Lola Blau im Grünen

Satire, Ironie und tiefere Bedeutung verpackt in eine schmissige Show: zu erleben weit hinten im Emmental.

Foto: Simon Schwab

Im wunderschönen Tannenwald auf der Moosegg vermutet man eher Rotkäppchen als Georg Kreisler. Dass man Letzteren zum Zuge kommen liess, war sicher die richtige Entscheidung. Vor vier Jahren stiess Simon Burkhalter, der künstlerische Leiter der Freilichtspiele Moosegg, auf die Songs aus Kreislers Heute Abend: Lola Blau und beschloss, dieses Musical auf der Moosegg aufzuführen. Da er selbst die Titelrolle spielen wollte, machte er aus der Hauptfigur, einer jungen jüdischen Schauspielerin, eine Drag. Das Verlagshaus stand dieser Idee jedoch ablehnend gegenüber. Erst nachdem die Rechte an einen anderen Verlag übergegangen waren, erhielt Burkhalter grünes Licht.

Als der Gesangsstudent Burkhalter im Jahr 2017 seinen Job auf der Moosegg antrat, war er zarte 23 Jahren alt. Er hatte zuvor während drei Jahren die Theatertruppe Gymnasium Kirchenfeld geleitet. Burkhalter stammt aus dem Emmental: «Da unten am Berg bin ich aufgewachsen und meine Grossmutter lebt gleich nebenan. Ich habe hier oben als Kind viel gespielt.»

Gleich neben dem Hotel liegt die kleine, zauberhafte Freilichtbühne. Hier wird seit 25 Jahren Volkstheater mit Laien gespielt. Der junge Leiter verlieh der beschaulichen Bühne neuen Schwung. Er passte das Konzept an und bringt seither, zusätzlich zum Volkstheater, jedes Jahr eine Musiktheaterproduktion (hauptsächlich Operetten und Musicals) heraus. Die Regie besorgte er selber, oft auch das Bühnenbild. Zunehmend übernimmt er auch Gesangs- und Schauspielrollen. Viele der Stücke hat er bearbeitet und teilweise selbst geschrieben. Im vergangenen Jahr war dies Michelis Brautschau (Komödie nach Gotthelf) und in diesem Jahr wird Geld und Geist von Gotthelf, adaptiert von Franz Schnyders Film aufgeführt (Premiere 7. Juli 2023).

«Die wollen nur spielen»

Die Dörfer unten im Tal glänzen im Abendlicht. Vor den mächtigen Tannen steht ein hölzernes Bühnenbild mit verschiedenen Ebenen und Podesten, welche die wechselnden Zeiträume und Spielorte des Stücks veranschaulichen. Sie werden in rascher Abfolge bespielt. An einer Fahnenstange werden die Flaggen jener Länder gehisst, die Lola Blau auf ihrer Flucht gezwungenermassen aufsucht. Ihr erstes Engagement 1938 am Landestheater Linz scheitert am Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland. Die Wirtin der Wiener Pension Aida (köstlich: Stefanie Verkerk) überbringt ihr die niederschmetternde Nachricht und Lola flieht umgehend in die Schweiz. Im Cabaret Fondue in Basel und im Cabaret Voltaire in Zürich tritt sie mit überschaubarem Erfolg auf. Da ihr Aufenthalt in der Schweiz «keinem Bedürfnis» entspreche, wird sie von der Fremdenpolizei ausgewiesen. In Amerika ist sie willkommen und wird berühmt.

Ähnlich wie Lola Blau erging es in der Nazizeit vielen jüdischen Künstlerinnen und Künstlern. Kreisler selbst kann als Alter Ego seiner Protagonistin gelten, gibt es doch sowohl beim Zeitpunkt der Flucht als auch bei den Zufluchtsorten Übereinstimmungen. Auch er wollte – wie Lola – nur spielen und die Leute unterhalten, musste aber erkennen, dass dies in einer existenziellen Ausnahmesituation nicht reicht: «Die Schauspieler, die warten in den Dielen. Die wollen nicht etwas tun, die wollen nur spielen», reimt er im Song Im Theater ist nichts los. Am Anfang singt Lola noch begeistert «Im Theater da ist was los», am Schluss distanziert sie sich vom entmenschlichten, oberflächlichen Theaterbetrieb: Im Lied Zu leise für mich beklagt sie die fehlende Wirkung des Unterhaltungskünstlers: «So sitz ich nach wie vor hier fest und singe Lieder und bleibe wirkungslos vom eignen Klang berauscht.»

Leichtfüssig und tiefsinnig

Martin Schurr inszeniert kurzweilig und leichtfüssig. Er gibt dem Abend einen durchgehenden Puls mit revueartigen Szenen aber auch nachdenklichen Momenten. Eine Tänzerin und ein Tänzer sowie ein tanzender Chor sorgen für schmissige Showeinlagen. Hochmusikalisch und stilsicher leitet und begleitet Bruno Leuschner vom Klavier aus.

Foto: Simon Schwab

Zu den Höhepunkten der Inszenierung gehören etwa die witzige Juden-Szene auf dem Schiff nach Amerika (Sie ist ein herrliches Weib) und die rasante Tanznummer mit Stefanie Verkerk zu Cole Porters Too darn hot. Der Regisseur schlüpft selbst in verschiedene Rollen.  Mit «Schmidt», dem immergleichen deutschen Spiesser, gelingt ihm ein wahres Kabinettstück.

Simon Burkhalter spielt die Titelrolle mit ihren zwanzig Liedern gewandt und beweglich, in charmantem Chanson-Stil und mit einer natürlichen Grandezza ohne aufgesetztes Drag-Gehabe. Sein elegantes Understatement bekommt den Kreisler-Texten gut: So können die sarkastischen, sich vor gedanklichen Hakenschlägen und virtuoser Wortakrobatik überschlagenden Texte für sich selber stehen und auf das Publikum wirken. Burkhalter überzeugt in den rasanten Nummern, doch auch in den ruhigen, bissigen Liedern wie z. B. Ich hab’ dich zu vergessen vergessen und Zu leise für mich hat er starke Momente.

Foto: Simon Schwab

 

Lola Blau wird auf der Moosegg noch bis am 28. Juni 2023 gespielt.

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