Parkinson-Symptomen mit Musik begegnen

Dawn Rose und ihr Team an der Hochschule Luzern – Musik haben ihre jüngsten Forschungsergebnisse mit einem Konzert vermittelt: Die «Playlist for Parkinson’s» ist Baustein einer internationalen Zusammenarbeit.

Toni Scherrer (links) und Dominik Furger. Foto: Priska Ketterer

Musik kann ein wirksames Mittel sein, um neurologischen Beeinträchtigungen zu entgegnen. Luzern zeichnet sich da mit Pionierprojekten aus. Die Fachgesellschaft und Betroffenenorganisation Aphasie Suisse gründete dort vor 15 Jahren den ersten schweizerischen Aphasiechor. Aphasiker haben durch einen Hirnschlag, Tumor oder Unfall die Sprache ganz oder teilweise verloren. Sie sind aber nach wie vor in der Lage, zu singen. Das Gemeinschaftserlebnis, das auch der Selbstermächtigung dient, leistet einen grossen Beitrag zur psychischen Gesundheit Betroffener. Mittlerweile gibt es in der Schweiz zehn Aphasiechöre und sogar einen Aphasie-Jodelchor.

Ein weiteres Projekt steuert gegenwärtig eine höchst lebendige Arbeitsgruppe rund um die britische Musikpsychologin Dawn Rose der Hochschule Luzern – Musik (HSLU–M) bei. Sie erforscht Möglichkeiten, den Alltag von Parkinson-Betroffenen mit Musik zu erleichtern. Vorgesehen ist eine von Parkinson Schweiz mitfinanzierte mehrsprachige Konsultationsstudie über die Musiknutzung von Betroffenen in der Schweiz. Eine sich im Aufbau befindende Webplattform namens «Playlist for Parkinson’s» soll diesen zudem Ressourcen zur Musiknutzung bereitstellen.

Technik aus der Filmbranche

Einen wichtigen wissenschaftlichen Baustein zum Projekt bildet die Entwicklung eines Messprotokolls an der HSLU–M. Es ermöglicht quantitative klinische Versuche auf einer drucksensitiven Gangmatte und mit Markern, mit denen von Musik begleitete Bewegungen genau erfasst und analysiert werden können. Das dabei angewendete Verfahren entstammt der Filmproduktion. Dort werden damit Bewegungen von Menschen auf Trickfiguren übertragen. Der Kern ist ein detailliertes vierdimensionales Modell einer Person, inklusive der Art, wie sie sich bewegt. Auf der Basis dieser Untersuchungen hat das Luzerner Forschungsteam ein Interventionsprotokoll formuliert, das musikunterstützte Neurorehabilitationen von Parkinsonbetroffenen optimieren soll. Es wird in Luzern, Lugano und London getestet. Die Projektpartner in der Schweiz sind das Luzerner Kantonsspital sowie Tessiner Kliniken und Neurozentren.

Eine Playlist for Parkinson’s ist bereits von der Luzerner Projektpartnerin, dem Royal Northern College of Music (RNCM), realisiert worden. Sie basiert auf Forschungsergebnissen von Michelle Phillips vom RNCM, Dawn Rose von der Hochschule Luzern, Ellen Poliakoff von der University of Manchester und Will Young von der University of Exeter. Erstellt worden ist die Liste in Zusammenarbeit mit Menschen mit Parkinson, die erzählten, wie sie Musik nutzen, was sie für sie bedeutet und wie sie hilfreich sein kann. Abgedeckt werden da verschiedene Einsatzbereiche, die von «Musik zum Glücklichsein» bis zu «Musik, die mich in Schwung bringt» reichen.

Playlist im Konzert

Wie eine solche Playlist konkret aussehen kann und welchen Nutzen sie hat, zeigten zwei Konzerte – eines 2022 am Royal Northern College of Music und eines am 9. Mai in Luzern, in deren Rahmen Musikstudierende Titel aus der Liste originell arrangierten und interpretierten. Dabei kam ein sehr ungewöhnlicher und weit über die Parkinson-Thematik hinaus inspirierender Musikmix zusammen. Wie selbstverständlich standen da Titel von U2, Ennio Morricone, Sydney Bechet, Giuseppe Verdi, Creedence Clearwater Revival, Antonio Vivaldi, Ludovico Einaudi und Schweizer Volksmusik nebeneinander. Ergänzt wurden die Musikbeiträge durch Interviews mit Parkinson-Betroffenen, die zum Teil sogar selber musizierend zum Konzert beitrugen.

Studierende der HSLU–M arrangierten für das Konzert zum Beispiel Verdis Gefangenenchor und Ennio Morricones Filmmusik aus dem Spaghetti-Western Spiel mir das Lied vom Tod für Streichquartett und Solosopran. Eine Jazz-Rock-Pop-Band wechselte virtuos vom U2-Titel Beautiful Day über John Fogertys Proud Mary zu Bechets Petite Fleur. Der selber von Parkinson betroffene Akkordeonist Toni Scherrer zeigte sich zusammen mit dem Volksmusik-Studenten Dominik Furger am Schwyzerörgeli als überaus charismatischer Entertainer. Der ganze Saal stimmte beim Folklore-Ohrwurm Ramseiers wie go grase mit ein und liess sich zum Abschluss des ganzen Konzertes sogar zum engagierten Country Roads-Karaoke verführen.

Hören, was inspiriert

Toni Scherrer erzählte auch, wie ihm das Musizieren dabei hilft, mit den Symptomen der Krankheit umzugehen. Laut Dawn Rose bilden Hirnareale, in denen Musik verarbeitet wird, vor allem im Frühstadium der Krankheit Inseln der Unversehrtheit. Scherrer macht denn auch die Erfahrung, dass Zittern und Gleichgewichtsstörungen während des Musizierens verschwinden und zum Teil erst nach Stunden oder gar Tagen wieder einsetzen.

Die Playlist kann weit über die Parkinson-Thematik hinaus Wirkung entfalten. In der Musikpsychologie spricht man von «Guilty Pleasure» und meint damit die Schuldgefühle, die einen beschleichen können, wenn man Vergnügen an Musik hat, die dem sich selber zugesprochenen intellektuellen Niveau nicht zu entsprechen scheint – ein Erbe des Bildungsbürgertums. Der musikalische Umgang mit der Krankheit hat damit auch emanzipatorischen Charakter. Was auch immer ich gerne höre und mich inspiriert: Es ist in Ordnung so.

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