Im Paradies der Kulturpolitik

Am 8. September wurden in der Berner Reithalle die Schweizer Musikpreise 2023 vergeben. Persönliche Anmerkungen zu einem schönen Anlass.

Der Gewinner des Schweizer Grand Prix Musik 2023, Erik Truffaz, spielt mit Bundespräsident Alain Berset zur Feier des Tages. Foto: 2023 BAK | Sébastien Agnetti

 

Zum Schluss spielen der Gewinner des Grand Prix Musik und der Bundespräsident ein Duett. Und man denkt: In welch paradiesischem Land leben wir, wo Politik und Kultur sich so gut verstehen, solcher Einklang herrscht. Alain Berset, nun am Flügel, hat zuvor auch eine wirklich geistvolle, der grossen Karriere des Trompeters Erik Truffaz mit Bewunderung und Witz Tribut zollende Laudatio gehalten.

Carlo Balmelli, Mario Batkovic, Lucia Cadotsch, Ensemble Nikel, Sonja Moonear, Katharina Rosenberger, Saadet Türköz, Helvetia rockt, Kunstraum Walcheturm, Pronto. – Auch für alle anderen Gewinner und Gewinnerinnen gibt es warmen Applaus, und das schicke Programmheft ebenso wie die aufwendigen Video-Einspielungen zu jedem und jeder haben es gar nicht nötig zu beweisen, dass sie alle diese Auszeichnung und das Preisgeld mehr als verdient haben. Man kann nur beipflichten, wenn Erik Truffaz in seiner Dankesrede wiederum der Schweiz dankt, dass sie einen Preis erfunden habe, der Menschen belohne, die sich um die Seele kümmerten.

Die so unterschiedlich gestrickten helvetischen Seelen erfreuen sich auch an ganz unterschiedlicher Musik und musikalischer Betätigung. Was an diesem Abend an Seelennahrung prämiert wird, ist in grosser Mehrheit urban, experimentell, avantgardistisch, hybrid. (Nebenbei gesagt trifft vieles präzise die Zielrichtung der neuen Kulturbotschaft und erfüllt à merveille zahlreiche Förderkriterien von Pro Helvetia.) Und so erscheint das hiesige Musikparadies plötzlich klein. Preisträgerin Rosenberger arbeitet mit Preisträger Walcheturm zusammen, Preisträgerin Cadotsch wird bei ihrer Darbietung begleitet von Preisträger 2014 Julian Sartorius, Preisträger Tuffaz trat oft mit Preisträgerin 2016 Sophie Hunger auf. Und er dankt Pro Helvetia, die ihn bei Tourneen so oft unterstützt habe.

Die «Verantwortung gegenüber den Tönen», die Mario Batkovic in seiner Rede anspricht, nehmen in diesem Land noch viele andere wahr. Klar, heute Abend wird die Spitze gefeiert. Das ist auch richtig. Aber – Binsenwahrheit – die Spitze kann sich nur auf einer breiten Basis halten. Und diese hat es oft mit Dornen und Disteln zu tun, wie die Vertriebenen aus dem Paradies. Stichwort Schulmusik: Der Bund bleibt hinter Föderalismuswolken versteckt, anstatt – Traumvorstellung! – die Kantone mit flammendem Schwert zu überzeugen, dieses Fach mit solide ausgebildetem Personal und genügend Pflichtstunden würdig auszustatten. Auch die Laienmusik, Chöre, Musikvereine, wären ein frucht- und dankbarer Boden für mehr nationale Zuwendung. Damit sie beispielsweise eine professionell ausgebildete Dirigentin, einen Stimmbildner, eine Chorleiterin zu fairen Bedingungen anstellen könnten.

Im Video über Carlo Balmelli gibt es eine sprechende Sequenz. Der Tessiner Preisträger steht allein auf einer Bühne und dirigiert. Er dirigiert ins Leere, es ist kein Blasorchester zugegen, keine Basis. Ein filmischer Clou natürlich, trotzdem eine erschreckende Vorstellung.

Es war schön, einen Abend im Paradies zu verbringen. Erfüllt davon kann die nationale Musikpolitik nun wieder verstärkt darüber nachdenken, wie sie Milch und Honig auch ausserhalb etwas üppiger zum Fliessen bringt.

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