Wenig bekannte Zürcher Komponistin

Verena Naegele und Sibylle Ehrismann zeichnen in ihrem Buch die Biografie und das künstlerische Schaffen von Martha von Castelberg nach.

Martha von Castelberg-von Orelli (1892–1971) muss als bislang unbekannte, erst kürzlich wiederentdeckte Zürcher Komponistin bezeichnet werden. Die nach ihr benannte, 2004 gegründete Stiftung, welche sich der Bekanntmachung ihrer Musik verschrieben hat, tritt mit dieser Publikation erstmals an die Öffentlichkeit. Gleichzeitig wird darin auch die Neuedition sämtlicher Kompositionen in Aussicht gestellt.

Verena Naegele und Sibylle Ehrismann folgen den «wenigen Spuren», welche die Künstlerin hinterlassen hat, und versuchen einerseits, ihr Leben nachzuzeichnen, und andererseits, das Werk chronologisch zu ordnen und zu würdigen.

Martha von Castelberg stammte aus einem Zweig der Familie von Orelli, der sich dem Katholizismus zugewandt hatte und nach besonders strengen religiösen Grundsätzen lebte. In der Zürcher Diaspora wuchs sie wohlbehütet in einer schwerreichen Bankiersfamilie auf. Früh wandte sie sich der Musik zu, spielte Violine und Bratsche, brachte sich selbst das Klavierspiel bei und beschäftigte sich intensiv mit Harmonielehre, aber zu einem professionellen Musikstudium kam es nicht. 1920 heiratete sie den Juristen Victor von Castelberg und wurde Mutter zweier Söhne. Seit 1912 hatte sie autodidaktisch komponiert. Ihre religiöse und musikalische Heimat fand sie ab 1939 in der Kirche St. Martin in Fluntern, in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihrem Wohnhaus.

Martha von Castelberg komponierte geistliche Lieder (vor allem mit Orgelbegleitung), vierstimmige Motetten, einige weltliche Lieder, eine Messe und eine Klaviersonate, zumeist für bestimmte Anlässe oder namentlich genannte Interpreten ihres Bekanntenkreises wie etwa den Tenor Peter Willi. Nur vereinzelt wurden zu ihren Lebzeiten Lieder und Motetten gedruckt oder Schallplatten-Einspielungen ihrer Kompositionen veröffentlicht. Nach dem Tod ihres Mannes (1957) wurde es noch stiller um sie und nach ihrem Tod (1971) geriet sie allmählich in Vergessenheit.

Die eingehende Würdigung von Leben und Werk in Buchform offenbart vieles über das Umfeld, in dem in der damaligen Schweiz eine Frau sich auf das Komponieren vorwiegend geistlicher Musik verlegte, bezieht aber auch merklich unverstellt die persönlichen Perspektiven der beiden Autorinnen ein. Dabei lassen die musikalischen Werkdarstellungen von Sibylle Ehrismann zusätzliche Notenbeispiele vermissen, welche es ermöglicht hätten, unter die analytische Oberfläche vorzustossen. So wartet man gespannt auf die (Erst-)Editionen der (meisten) Werke, um das nun zu neuem Leben erwachende Œuvre einer ungewöhnlichen Komponistin zur Gänze kennenzulernen.

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Verena Naegele und Sibylle Ehrismann: Martha von Castelberg-von Orelli 1892–1971: Komponieren, trotz allem, 168 S., Fr. 34.00, Hier und Jetzt, Zürich 2021, ISBN 978-3-03919-539-8

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