Kontrapunkt-Kur

Lionel Rogg kombiniert in seinen Werken traditionelle Kompositionstechniken mit zeitgenössischen Klängen.

Foto: Tobias Gaede/pixelio.de

Ein ganzes Konvolut von neuen Werken aus der Feder des Genfer Orgelvirtuosen Lionel Rogg (*1936) dominiert den Katalog der Neuerscheinungen bei den Editions Cantate Domino. Dabei treffen sich Werke mit ganz unterschiedlichem Hintergrund: Stilkopien in Anlehnung an Vorbilder aus Romantik und früher Moderne als Improvisationsmodelle, eher humoristisch gedachte «Zugabenstücke», konzertante und liturgische Musik, die Rogg als Komponisten zeigen, der aus einem grossen satztechnischen Fundus schöpft, dessen ganz persönlicher Stil aber eher schwer zu definieren ist.

Das kurze Choralvorspiel Aus tiefer Not erinnert in seiner fast durchgehenden Verwendung des 2. Modus von Olivier Messiaen und mit der häufigen Nebeneinanderstellung terzverwandter Akkorde an manches Beispiel aus der französischen (Improvisations-)Tradition. Die düster-gespannte Atmosphäre der Begleitakkorde, über die sich der modal verfremdete Choral im Pedal erhebt, zeigt eindrücklich, wie Rogg mit an sich einfachen Mitteln den Hörer unmittelbar zu faszinieren weiss. Die zwei möglichen Registrierungsanweisungen für ein mittleres oder ein eher grosses Instrument sind mühelos realisierbar, einzig die fast unumgänglichen Dezimenspannungen dürften nicht wenige Spielende mit kleinen Händen vor unüberwindbare Probleme stellen; ansonsten ein rundum gelungenes Stück für Konzert und Gottesdienst!

Mit der praktischen Verwendbarkeit der Trois Ricercare dürfte es schon etwas problematischer werden. In den drei Sätzen, die auf einem beliebigen Tasteninstrument gespielt werden können (einige knappe dynamische Angaben und / oder Fusston-Lagen geben Hinweise auf eine entsprechende Umsetzung), hat sich der Komponist laut Vorwort einer selbstauferlegten «Kontrapunkt-Kur» unterzogen. Satztechnische «Zwänge» sollen dabei umso stimulierender auf die Imagination wirken und Entdeckungen auf anderen Gebieten auslösen sollen. Dies ist Rogg zweifellos hervorragend gelungen: Unter Einsatz kontrapunktischer Kunstgriffe wie diverser Engführungen, konsequent eingesetzter Kontrasubjekte oder ostinater Figuren im dritten Stück entstehen drei herb klingende, harmonisch kaum fassbare Sätze, in deren freiem Kreisen um wechselnde tonale Zentren man gelegentlich Anklänge an Frank Martin oder Paul Hindemith herauszuhören glaubt. Eine geschickte «kontrapunktische Dramaturgie» verleiht den Sätzen innere Spannung, auf den Schluss hin gesteigert in den Eckteilen, in Bogenform beim Mittelsatz. Eine konzertante Aufführung in Verbindung mit Alter Musik dürfte sich fast aufdrängen, da diese drei kurzen Stücke wirkungsvoll zeigen, wie die Kombination von jahrhundertealten Kompositionstechniken und zeitgenössisch geprägtem Klangmaterial zu faszinierenden Resultaten führen kann!

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Lionel Rogg, Aus tiefer Not (choral pour orgue), CD 3107, Fr. 9.60; Editions Cantate Domino, Fleurier 2013

id., Trois Ricercare pour orgue, piano ou clavecin, CD 3104, Fr. 12.80

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