Angereicherter Mikrokosmos

Die grosse Welt von Bartóks kleinen Klavierstücken mit einer grossen Menge an Zusatzinformationen.

Foto: Daniel Kaiser/flickr.com

Wer den Mikrokosmos von Béla Bartók in der gewohnten Aufmachung von Boosey & Hawkes kennt, wird überrascht sein, wenn er nun die neue (und erste) Urtext-Ausgabe der Wiener Urtext Edition in den Händen hält. Aus den sechs schlanken Heften I bis VI sind drei umfangreiche Bände geworden. Diese Aufteilung mit je zwei Heften pro Band entspricht offenbar der ursprünglichen Intention Bartóks, der sie aber gegen den Verlag Boosey & Hawkes nicht durchsetzen konnte.

Dass die drei Bände so angeschwollen sind, hat aber noch andere Gründe: Jedem Band ist ein Vorwort der Herausgeber Michael Kube und Jochen Reutter vorangestellt, das sich sehr detailliert mit der Entstehungsgeschichte, den Quellen und weiteren Hintergründen des Mikrokosmos befasst. Darauf folgt das Vorwort des Komponisten.

Der Notentext selber ist raumgreifend und sehr übersichtlich gestaltet und wird zusätzlich noch mit Einblicken in Bartóks eigene Handschrift aufgelockert. Seine Anmerkungen zu den einzelnen Stücken finden sich anschliessend genauso wie umfassende und sehr lesenswerte Hinweise zur Interpretation aus der Feder von Peter Roggenkamp. Umfangreiche Kritische Anmerkungen fehlen natürlich ebenso wenig wie einige bisher unveröffentlichte Stücke und die Sonderfassungen für Bartóks Sohn Péter.

Wer also einen vertieften Einblick in den Mikrokosmos gewinnen möchte, wird hier fürstlich bedient, und das erst noch zu einem moderaten Preis. Inwieweit diese Neuausgabe die Verbreitung des Werkes für den praktischen Unterricht fördern wird, ist eine andere Frage. Da sind andere Stücke Bartóks (etwa die Sammlung Für Kinder) immer schon auf willigere Ohren gestossen. Der Mikrokosmos ist eben doch nicht primär eine Klavierschule, sondern vor allem ein Kompendium bartókscher Kompositionskunst.

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Béla Bartók, Mikrokosmos in drei Bänden, Urtext hg. von Michael Kube und Jochen Reutter, Fingersätze vom Komponisten; Band 1 (Vol 1 & 2), UT 50411, € 24.50;
Band 2 (Vol 3 & 4), UT 50412, € 27.50; Band 3 (Vol 5 & 6), UT 50413, € 27.50; Wiener Urtext Edition, Schott/Universal Edition 2016

Ein, zwei, oder drei Hörner

Bekannte und noch unbekannte Stücke aus dem 18. und 19. Jahrhundert in Neu- oder Erstausgaben

Foto: Spitalfields_E1/flickr.com

Bekannte Hornwerke, die der Henle- und der Bärenreiter-Verlag in den letzten Jahren herausgegeben haben, Mozarts Hornkonzerte (HN 701–4, BA 5311–13) und das Hornquintett (HN 826) sowie Beethovens Sextett op. 81b (HN 955) und Brahms’ Horntrio (BA 9435), wurden hier bereits besprochen (SMZ 6/2004, S. 40; SMZ 4/2011, S. 38; SMZ 9/2013, S. 20). Die editorische Linie findet nun bei Henle im Erscheinen von zwei kurzen Kompositionen ihre Fortsetzung. Beide sind auch geeignet für den Unterricht fortgeschrittener Schüler:

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In Glasunows Rêverie spiegelt sich die Liebe des Komponisten zum Waldhorn, dessen Spiel er sich nebst Klavier, Violine und Violoncello aneignete und es bis zur Mitwirkung im Studentenorchester brachte. Dem Werk, 1890 geschrieben und erst bei der Drucklegung von Mélodie in Rêverie umbenannt, gehen zwei weitere Kompositionen für Horn und Streicher voraus: Idyll op.14,1 und die 2. Serenade op. 11, entstanden 1884.

 

Alexander Glasunow, Rêverie op. 24 für Horn und Klavier, hg. von Dominik Rahmer, HN 1285, € 7.50, G. Henle, München 2015

 

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Das Bläserquintett op. 43 von Carl Nielsen zeigt den Komponisten als Meister in der Behandlung der Blasinstrumente: Jeder Spieler erhält hier seine eigene brillante Kadenz. Später schrieb Nielsen Konzerte für die Flöte und die Klarinette, leider blieb er uns Hornisten ein Solokonzert schuldig. Der nun neu erschienene Canto serioso war als Probespielstück für eine damals zu besetzende 4. Hornstelle am Königlichen Theater Kopenhagen in Auftrag gegeben worden. Dass es Nielsen nicht nur für ein Gelegenheitswerk hielt, beweist sein späteres Umschreiben für Violoncello.

Carl Nielsen, Canto serioso für Horn und Klavier, Urtext hg. von Dominik Rahmer, HN 586, € 9.00, G. Henle, München 2014

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In der von Doblinger herausgegebenen Reihe Diletto Musicale, sind die Sechs kleinen Stücke für drei Hornisten von Franz Alexander Pössinger (1767–1827) erschienen. Die kurzen, unterhaltsamen Kompositionen eignen sich für das Zusammenspielen unter jungen Hornisten. Sie waren vermutlich einem Hornvirtuosen der Beethovenzeit, Friedrich Hradezky, zugeeignet. Er soll in der Besetzungsliste der Wiener Fidelio-Aufführungen figuriert haben und blies 1824 vermutlich das berühmt-berüchtigte Hornsolo im 3. Satz von Beethovens Neunter Sinfonie.


Franz Alexander Pössinger, Sechs kleine Stücke op. 30 für drei Hörner, hg. von Rudolf H. Führer, DM 1475, € 19.95, Doblinger, Wien 2014

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Von Simon Scheiwiller liebevoll ediert erscheint bei Kunzelmann ein Concerto für zwei Hörner des im 18. Jahrhundert in Leibach und Graz als Kapellmeister und Musikdirektor tätig gewesenen Wenzel Wratny. Es handelt sich um ein vergnügliches, auch von fortgeschrittenen Laien oder von Naturhornspielern auszuführendes Stück.
 


Wenzel Wratny , Concerto per 2 Corni da Caccia in Es-Dur, Klavierauszug und Stimmen, hg. von Simon Scheiwiller, Erstausgabe, OCT 10335a, Fr. 35.00, Edition Kunzelmann, Adliswil 2014

 

Licht über Schatten

Ein Duo für zwei Querflöten verbreitet mit modernen Spieltechniken eine hoffnungsvolle Stimmung.

Foto: Andreas Heim/flickr.com

Anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager hat der Pan-Verlag 2015 die Komposition Licht über Schatten für zwei Flöten des Komponisten Michael Schneider (*1964) veröffentlicht. Schneider, dessen Werk von Kammermusik, Vokalmusik bis hin zu Orchesterwerken reicht, erhielt schon während seiner Gymnasialzeit wichtige Anregungen bei János Tamás und studierte dann bei Dimitri Terzakis in Bern Komposition.

Licht über Schatten entstand bereits 1993 in einem Meisterkurs Komposition von Edisson Denissow während den Internationalen Musikfestwochen in Luzern, wo es noch im selben Jahr von Kathrin Rengger und Katja Marty uraufgeführt wurde. Der Komponist hat das Duo Elfriede Frank, der zweiten Ehefrau des Vaters von Anne Frank gewidmet, die selbst den Holocaust überlebte, aber ihren Mann und ihre drei Kinder verlor. Er beschreibt sie im Vorwort als vitale und aufgeschlossene Frau, über deren Leben durch den Verlust dieser Familienmitglieder ein Schatten blieb. Ein Gedicht des unter Stalin verfolgten Lyrikers Ossip Mandelstam (1891–1938) mit dem Titel In weite Ferne ist dem Stück als Motto vorangestellt. Ohnmacht und Gewalt auf der einen Seite stehen Hoffnung, Menschlichkeit und der Kraft der Poesie auf der anderen Seite gegenüber.

Der Komponist beschreibt in dem Duo mit leisen, luftdurchsetzten, zerbrechlich wirkenden Tönen eindrucksvoll Stimmungen, die inspiriert sind vom Schicksal verfolgter Menschen. Das Stück beginnt dunkel und geheimnisvoll in der tiefen Lage, wird aber im weiteren Verlauf durch die Ausweitung und Verlagerung des Tonumfangs in die zweite und dritte Oktave der Flöten, die sich im Wechselspiel beleuchten, immer heller, bewegt sich dynamisch aber immer noch im leisen Bereich zwischen pp und mf. Es kommen immer mehr Farben in den Dialog der beiden Querflöten, zunächst durch eine Flageolettmelodie in beiden Stimmen, die sich in der Oberstimme oft abwechseln, und dann noch durch gleichzeitige Multiphonics in beiden Stimmen, die fast wie Sphärenklänge tönen, wenn auch das Stück immer wieder in die tiefe Lage zurückkehrt. Der Schluss des Duetts ist frei mit Whistletönen gestaltet und erinnert an ein Flüstern der Stimmen. Licht über Schatten macht nachdenklich und ist ein eindrucksvoller Dialog, in dem durch die Klangfarben der Flöten hoffnungsvolles Licht über Schatten geworfen wird.

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Michael Schneider, Licht über Schatten, für zwei Flöten, PAN 360, € 9.00, Pan, Basel/Kassel 2015

Olympische Spielereien

Die «Herkulesaufgaben» des Tiroler Gitarristen Robert Morandell atmen den mutig-verschmitzten Geist aufgeweckter griechischer Halbgötter, bleiben aber dennoch auf irdischer Augenhöhe.

Ausschnitt aus dem Titelblatt

Eine romantische Arpeggiostudie, ein einfacher Blues, ein jazziger Rhythmus, Akkorde aus reinen und übermässigen Quarten, ein munteres Siebenachtelstück – von allem ist etwas dabei. Die meisten der «12 + 1 Etüden auf dem Weg zum Gitarrenolymp» sind in e-Moll oder G-Dur gehalten, einige auch mit starkem chromatischem Einschlag. Direkt unter den Noten stehen rudimentäre Tabulaturen. Dies erleichtert jenen Schülerinnen und Schülern, die im Notenlesen weniger sattelfest sind, bei hohen Lagen oder vielen Vorzeichen die Orientierung auf dem Griffbrett.

Jedes Stück hat eine klare Struktur, die es dem Autor ermöglicht, mit minimalen Zusatzanweisungen Variationen vorzuschlagen, zum Beispiel ein neues Anschlagsmuster, eine andere Reihenfolge der Töne innerhalb eines Taktes oder veränderte Bindebögen. Daraus ergeben sich verschiedene Schwierigkeitsgrade, die von den Spielerinnen und Spielern in vorgegebenen Kästchen abgehakt werden können. Auch fürs Auswendigspielen, für den richtigen Fingersatz und fürs Spieltempo gibt es entsprechende Piktogramme.

Von der Aufmachung her richtet sich das Heft vorwiegend an Kinder. Die Stücke können aber geradeso gut von Jugendlichen gespielt werden. Alle Nummern sind bestimmten Gestalten oder Orten der griechischen Mythologie zugeordnet, zudem sind sie mit kurzen Kommentaren versehen. Keine Angaben gibt es über die Urheberschaft der Illustrationen – stammen sie von Morandell selbst?

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Robert Morandell, Herkulesaufgaben, 12 + 1 Etüden
auf dem Weg zum Gitarrenolymp, D 35 958, € 14.50, Doblinger, Wien 2015

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