Erster Franco Ambrosetti Jazz Award

Im Rahmen des diesjährigen Festival da Jazz St. Moritz wird erstmals der Franco Ambrosetti Jazz Award vergeben. Die diesjährigen Preisträger sind Känzig & Känzig.

Anna & Heiri Känzig bei Konzert und Preisverleihung im Hotel Walther. Foto: Giancarlo Cattaneo

Mit der mit 10’000 Franken dotierten Auszeichnung will Ambrosetti Persönlichkeiten ehren, die sich um den Jazz in der Schweiz verdient gemacht haben. Sie verbänden «verschiedene Genres, Generationen und Grooves und sprechen eine offene, neugierige Sprache mit verspielter Musikalität auf höchstem Niveau». Darüber hinaus trügen sie mit ihrem umfassenden, internationalen Netzwerk den Schweizer Jazz in die Welt.

Die diesjährigen Preisträger sind Känzig & Känzig. Mit ihrem Album «Sound and Fury» landete Anna Känzig auf Platz 6 der Schweizer Charts. Nun tat sich die vielseitige Sängerin mit ihrem Onkel zusammen: Heiri Känzig zählt international zu den führenden Jazzbassisten – er ist bisher unter anderem mit dem Vienna Art Orchestra, Charlie Mariano und Chico Freeman aufgetreten. Was Känzig und Känzig miteinander verbindet, ist ihr offener musikalischer Horizont. Für ihr erstes gemeinsames Projekt haben sie sich als Inspirationsquelle das Great American Songbook ausgesucht.

Der Preis wird am 30. Juli im Hotel Walther, Via Maistra 215, Pontresina von Franco Ambrosetti persönlich übergeben.

Tschumi-Preis 2019 auch für Musikvermittlung

Die HKB-Studierenden Olivera Tičević und Valentin Cotton sind mit je einem Eduard-Tschumi-Preis für die beste Gesamtbewertung ihrer Master-Prüfung ausgezeichnet worden. Erstmals wurde mit Laura Müller auch eine Musikvermittlerin prämiert.

Valentin Cotton. Foto: zVg

Olivera Tičević, montenegrinische Sopranistin, absolvierte den Master Specialized Music Performance an der HKB bei Christan Hilz. Sie ist Gewinnerin zahlreicher Wettbewerbe. 2010 und 2013 wurde sie zur vielversprechendsten Künstlerin der Barock Austria Akademie gewählt, daraufhin folgte eine internationale Karriere mit Konzerten in Wien, Stockholm, Heidelberg und Tokio.

Der französische Pianist Valentin Cotton absolvierte am Conservatoire National Supérieur de Musique de Paris in der Klasse von Michel Dalberto seinen Interpretations-Master. Er ist Preisträger mehrerer internationaler Wettbewerbe, so gewann er etwa den ersten Preis beim Concours de France und beim internationalen Wettbewerb von Montrond sowie den Schenk-Preis der gleichnamigen Stiftung in der Schweiz.

Erstmals wurden in der Jurierung aber auch die anderen vier Vertiefungen des Master-Studiengangs berücksichtigt: Musikvermittlung, Forschung, Neue Musik und Kammermusik. Die Musikvermittlerin und Klarinettistin Laura Müller konnte sich innerhalb dieser Neuausrichtung des Wettbewerbs unter anderem mit einem transdisziplinären Vermittlungsprojekt im Kindermuseum Creaviva im Zentrum Paul Klee durchsetzen.

Alljährlich treten HKB-Studierende, die ihren Master Specialized Music Performance Klassik abschliessen, an einem Solistendiplomkonzert auf. Das Sinfonie Orchester Biel Solothurn begleitete das diesjährige Konzert in Biel unter der Leitung seines Chefdirigenten Kaspar Zehnder. Im Anschluss wurde den Studierenden mit der besten Gesamtbewertung in der anspruchsvollen dreiteiligen Master-Prüfung erneut der mit je 5000 Franken Eduard-Tschumi-Preis verliehen.

Der Sinfoniker Fritz Brun

Der Dirigent Adriano hat alle 10 Sinfonien und auch alle anderen publizierten Orchesterwerke des Schweizer Komponisten aufgenommen.

Wer hat schon je eine Sinfonie von Fritz Brun (1878–1959) gehört? Seinen Namen kennt man vielleicht noch, wirkte er doch während über 30 Jahren als Chefdirigent der Bernischen Musikgesellschaft (heute Berner Symphonieorchester). Was aber nur wenige wissen: Brun war der bedeutendste Schweizer Sinfoniker des frühen 20. Jahrhunderts, wenngleich nicht der wichtigste Schweizer Komponist seiner Zeit. Da hatten andere, etwa Arthur Honegger, Frank Martin und Othmar Schoeck, grösseres Gewicht. Aber Fritz Brun war der einzige, der sich hauptsächlich und mit eminenter Begabung der Sinfonik widmete, vergleichbar etwa einem Anton Bruckner – auch in seiner verkannten Bedeutung. Es ist zu hoffen, dass diese bald ein Ende haben wird. Die Publikation sämtlicher Orchesterwerke von Fritz Brun in der vorliegenden Einspielung könnte einen Anstoss geben, dass er endlich die seinem Schaffen zustehende Anerkennung erhält. Zwar haben viele Schweizer Sinfonieorchester in den letzten Jahrzehnten Werke von Brun aufgeführt, es gab auch Radiomitschnitte, und einige seiner Sinfonien wurden auf LP und CD veröffentlicht. Aber es entbehrt nicht der Ironie, dass ein Aussenseiter-Dirigent sein Schaffen in Erinnerung rufen musste, und dies erst noch mit zwei ausländischen Orchestern.

Der Dirigent heisst Adriano, geboren 1944 als Adriano Baumann in Fribourg. Mit dem Moskauer Sinfonieorchester und dem Bratislava Sinfonieorchester hat er im Zeitraum 2003–2015 diese Gesamtaufnahme realisiert. Nach dem Musikstudium am Zürcher Konservatorium wirkte Adriano als Filmmusikkomponist, Herausgeber von Honeggers Filmmusiken und Souffleur am Opernhaus Zürich. Auf Anregung von Ernest Ansermet und Joseph Keilberth wandte er sich schliesslich dem Dirigieren zu und widmete sich fortan unter dem Künstlernamen Adriano der Interpretation wenig bekannter Werke, darunter eben der Filmmusik von Arthur Honegger sowie Orchesterwerken und Opern von Ottorino Respighi. Und er setzt sich auch für wenig gespielte Schweizer Komponisten wie Hermann Suter, Albert Fäsy, Pierre Maurice und Emile Jaques-Dalcroze ein.
Die Idee einer Gesamtaufnahme des sinfonischen Schaffens von Fritz Brun entstand 2002. Damals wandte sich Adriano an Hans Brun, den Sohn von Fritz Brun, mit dem Ersuchen um eine finanzielle Beteiligung an seinem Projekt. Dieser und in der Folge auch die Erbengemeinschaft Brun, heute vertreten durch den Enkel des Komponisten, Andreas Brun, habrn das ehrgeizige Unterfangen in den folgenden Jahren massgeblich unterstützt.

Das jetzt vorliegende Resultat darf sich sehen (und hören!) lassen: eine elf CDs umfassenden Gesamtaufnahme von Bruns Orchesterwerken. Zu den zehn Sinfonien kombinierte Adriano alle publizierten Brun-Werke, darunter die Rhapsodie für Orchester, die Sinfonische Dichtung Aus dem Buch Hiob, die Konzerte für Klavier mit Orchester und Violoncello mit Orchester. Dazu noch die Gesangszyklen 3 Lieder und Gesänge für Alt und Klavier von Othmar Schoeck (orchestriert von Fritz Brun) sowie Bruns 5 Lieder für Alt und Klavier – arrangiert von Adriano für Mezzosopran und Streichsextett.

Diese umfassende Würdigung ist eine einzigartige Tat, die es erlaubt, Bruns Schaffen als Ganzes kennenzulernen. Wie viele seiner komponierenden Zeitgenossen begann Brun in den Fussstapfen von Beethoven, Schumann, Bruckner und Brahms; eigenständig entwickelte er seinen Stil im Bereich der sich allmählich erweiternden Tonalität, ohne diese je in Frage zu stellen. Seine persönliche Musiksprache fand er schon 1901 in der ersten Sinfonie und blieb seinem Stil treu bis zur Zehnten, die er im Alter von 75 Jahren komponierte.

Charakteristisch für Bruns Stil sind die kammermusikalischen Strukturen, die den orchestralen Fluss auflockern und ihm Zeichnung geben, die fassbare Gestaltung grosser Sätze und die reiche spätromantische Harmonik. Besonders schön lässt sich das im ersten Satz der Fünften beobachten, die Brun selber als problematisch taxierte. In den Sätzen 2 und 4 gestaltet er virtuose Fugati mit Zwölftonthemen im freitonalen Raum, wie das auch Bartók und Hindemith gemacht haben.

Bereichert wird diese Publikation durch eine Aufnahme der Achten, die Fritz Brun 1946 als Dirigent mit dem Studio-Orchester Beromünster realisiert hat. Und die Variationen für Streichorchester und Klavier über ein eigenes Thema sind in einer Aufnahme durch das Collegium Musicum Zürich unter der Leitung von Paul Sacher und mit Adrian Aeschbacher aus demselben Jahr zu hören.

Fritz Brun: Complete Orchestral Works.
Moscow Symphony Orchestra, Bratislava Symphony Orchestra
Adriano, conductor
(11 CDs) Brilliant Classics 8968194

Hunderte Liedtexte online

Der Verein Giigäbank aus dem Muotatal hat ein grosses Reservoir an Liedtexten auf einer Website öffentlich zugänglich gemacht. Damit soll die Freude am Singen neu belebt werden.

Blick auf Muotathal im Muotatal. Foto: Paebi/Wikimedia Commons,© Verein Giigäbank

Die Website https://lieder.giigaebank.ch bringt rund 350 Liedtexte von «Ä altä Älpler» bis «Zwüscha Bärgä» in den Hosensack – Smartphone sei Dank. Es handle sich dabei um Lieder, die beim geselligen Zusammensein im Muotatal und in Illgau gerne gesungen würden, an deren Texte man sich aber nicht immer richtig erinnere, ist auf der Website zu lesen. Ziel sei, die Tradition des offenen Singens im Muotatal zu bewahren.

Dieser Online-Sammlung liegen zwei Singbüchlein zugrunde, das eine wurde 1979 in Muotathal und das andere 1988 in Illgau veröffentlicht. Der Verein weist darauf hin, dass viele Urheber dieser Lieder nicht bekannt seien und man sich daher «in einem Graubereich des Urheberrechts» befinde. Deshalb könnten einzelne Einträge auf Verlangen allenfalls gelöscht werden.

Eine Suchfunktion führt zu bestimmten Liedtexten, man kann sich aber auch anhand des alphabetischen Verzeichnisses inspirieren lassen.

Zur Zeit sind Texte greifbar, vielleicht kommen zu einem späteren Zeitpunkt Audiodateien hinzu.
 

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Screenshot der Website lieder.giigaebank.ch

Kieferbeschwerden bei Musizierenden

Holzblasinstrumente verursachen häufig Kieferbeschwerden. Überraschenderweise trifft es aber auch nicht wenige, die ein Streichinstrument spielen.

Dominik Ettlin — Der Unterkiefer ist ein hufeisenförmiger Knochen. Seine beiden Enden bilden mit der Schädelbasis die Kiefergelenke. Die Stellung und Bewegungen des Unterkiefers wird durch die Aktivität der Kaumuskeln reguliert. Beschwerden in den Kiefergelenken oder -muskeln manifestieren sich meist mit bewegungsbegleitenden Knack- oder Reibegeräuschen und/oder Schmerzen, zum Beispiel beim Kauen oder Gähnen. Gelegentlich ist die Mundöffnung einschränkt (Kiefergelenkblockade). Die Beschwerden schwanken typischerweise im Zeitverlauf und in Abhängigkeit der Haltung des Unterkiefers.

Eine entspannte beziehungsweise physiologische Schwebelage des Unterkiefers ist gegeben, wenn sich obere und untere Zähne bei geschlossenen Lippen nicht berühren. Unphysiologische Bewegungen oder Haltungen wie zum Beispiel exzessives Kaugummikauen, häufiges Zähnepressen oder nächtliches Zähneknirschen können eine Überlastung des Kausystems begünstigen. Eine anhaltende unphysiologische Stellung nimmt der Unterkiefer auch beim Spielen bestimmter Blasinstrumente oder beim Gesang ein. Im Volksmund verbreitete Ausdrücke wie «verbissen an eine Aufgabe herangehen» oder «Zähne zusammenbeissen und durch» oder «an einem Problem kauen» offenbaren die enge Koppelung von Kaumuskelspannung und Gefühlen. Entsprechend können auch emotionale Belastungen zu Verspannun- gen und Beschwerden im Kauapparat führen.

Qualitativ gute wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Kiefergelenkbeschwerden bei Musizierenden sind spärlich. In einer holländischen Studie beklagten Studierende der Musik häufiger als Medizinstudierende Beschwerden in den Bereichen Hände, Schultern, Nacken und Kiefer. Eine Befragung von 210 Lernenden fand ein deutlich höheres Risiko zur Entwicklung von Kiefergelenkbeschwerden bei denjenigen, die Blasinstrumente spielten, im Vergleich zu Musizierenden anderer Instrumente. Eine noch detailliertere Analyse hinsichtlich der Verteilung von Beschwerden nach Instrument lieferte die Befragung von 408 professionellen Muszierenden zweier klassischer Orchester in Deutschland. Weil das Musizieren mit Holzblasinstrumenten (Flöte, Fagott, Klarinette und Oboe) eine anhaltend unphysiologische Unterkieferhaltung erfordert, überrascht es nicht, dass dabei Funktionsstörungen und Schmerzen im Kiefergelenk in dieser Gruppe gehäuft beschrieben wurden. Erstaunlich ist aber, dass ähnliche Beschwerden etwa ebenso häufig von Personen empfunden wurden, die Saiteninstrumente spielten.

Andere Risikofaktoren wie nächtliches Zähneknirschen und anhaltendes Kieferpressen könnten diese Beobachtung zumindest teilweise erklären. Denn diese Risikofaktoren beschreiben gehäuft Personen unter Stressbelastungen, welche wiederum mit erhöhtem Kaumuskeltonus sowie Kiefer- und Gesichtsschmerz einhergehen. Etwa die Hälfte von 93 professionellen Violinisten in Portugal berichteten demnach, an Lampenfieber zu leiden, wobei sich ein deutlicher Zusammenhang mit Kiefergelenkbeschwerden ergab. Übermässiges Singen wird ebenfalls als mögliche Ursache von Kiefergelenkbeschwerden vermutet, aber verlässliche Daten sind dazu nicht verfügbar.

Zusammenfassend beklagen Musizierende mit variabler Häufigkeit Kieferbeschwerden. Gemäss heute bekannten Daten sind diese nicht eindeutig dem Spielen eines bestimmten Instrumententyps zuzuordnen. Für Singende und Musizierende von Blasinstrumenten ist die Beeinträchtigung aber am Höchsten. Mittlerweile wird an Musik-Ausbildungsstätten eine gesundheitsfördernde Schulung empfohlen. Instruktionen zum Erkennen von Stress und Verspannung während der Ausbildung sind zweckmässig, da etwa junge stärker als erfahrene Musizierende an Lampenfieber leiden. Sinnvoll ist auch die frühe Wissensvermittlung zu Tinnitus und anderen Hörstörungen, die gehäuft mit Kieferbeschwerden assoziiert sind. Sowohl vorbeugend wie therapeutisch steht der Umgang mit emotionalen Belastungen, die Optimierung der Körperwahrnehmung und das Erlernen von Entspannungstechniken im Vordergrund.

PD Dr. med., Dr. med. dent. Dominik Ettlin Interdisziplinäre Schmerzsprechstunde

Zentrum für Zahnmedizin,

Universität Zürich Plattenstrasse 11, 8032 Zürich

Die Literaturhinweise finden sich in der Online-Version des Artikels unter:

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Spassige Walzerduette

Aleksey Igudesman serviert ein Vergnügen im Dreivierteltakt für zwei Geigen.

Comedy-Geiger-Dirigenten-Unternehmer Aleksey Igudesman. Foto: Julia Wesely

Vom umtriebigen Comedy-Geiger-Dirigent-Unternehmer Aleksey Igudesman habe ich mit grossem Spass seine zehn Walzer für zwei Geigen durchgespielt. Der Simple Waltz zu Beginn ist einfach zu spielen, aber gut geformt. Die anderen neun sind raffinierte Erfindungen in verschiedenen Stimmungen. Sie verlangen geläufiges Spiel und grosse dynamische und agogische Beweglichkeit. Humoristische Wirkungen entstehen durch eingebaute Generalpausen, hektische Begleitfiguren, Kratztöne oder theatralisch atemlose Wendepausen. Die Bearbeitungen von Chopin, Brahms und Johann Strauss treiben deren Inhalt auf die Spitze. Die beiden Stimmen wechseln demokratisch mit der Führung ab; es ist ein Vergnügen für Profis und gute Amateure … und ebenso für die Zuhörer.

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Aleksey Igudesman: Waltz & more für 2 Violinen,
UE 33657, € 17.95, Universal Edition, Wien

Wettbewerbsstück mit Encore

Alexandre Guilmant schrieb selten für andere Instrumente als die Orgel. «Morceau symphonique» und «Morceau de lecture» für Posaune sind überaus gelungene Ausnahmen.

Alexandre Guilmant und Clarence Eddy in der Steinway Hall, Chicago 1898. Nachweis s. unten

Wer kennt es nicht: Alexandre Guilmants fulminantes Morceau symphonique. Längst gehört dieses süffig komponierte Paradestück – es wurde 1902 für den Abschluss am Pariser Conservatoire geschrieben – zum Kernrepertoire der Posaunenliteratur. Wunderbar, dass es nun davon eine sorgfältig erarbeitete Urtextausgabe gibt, welche sich sowohl auf das Autograf wie auch auf den Erstdruck bzw. die Erstausgabe bezieht und sich dadurch meines Erachtens als unverzichtbares «Standard-Material» qualifiziert. Die Qualität des Drucks wie auch die Berücksichtigung wendetechnischer Bedürfnisse in der Solo- und Klavierstimme lassen keine Wünsche offen.

Ein hübsches Detail: Ergänzt wurde diese Edition durch das bislang unbekannte Morceau de lecture à vue, eine «Blattleseübung», welche Alexandre Guilmant quasi als Encore für dieselbe Abschlussprüfung komponiert hat. Der Komponist des Pflicht- und des Blattlesestücks sass übrigens 1902 in persona am Klavier – eine Tradition, die man heutzutage an den Hochschulen durchaus wieder einmal aufleben lassen könnte.

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Alexandre Guilmant: Morceau symphonique und Morceau de lecture für Posaune und Klavier, hg. von Dominik Rahmer, HN 1090, € 12.00, G. Henle, München

 

Foto: Ernest Hergt / wikimedia commons

Frühwerke editorisch eingebettet

Der erste Band der Gesamtausgabe von César Francks Orgelwerken bringt nicht wirklich neues Repertoire, erschliesst aber Zusammenhänge rund um die Werkentstehung auf Deutsch.

César Franck an der Orgel von Sainte-Clotilde, Paris 1885. Foto eines Gemäldes von Jeanne Rongier

Dieser erste von acht geplanten Bänden mit César Francks gesammelter Orgel- und Harmonium-Musik präsentiert vier Frühwerke sowie zwei Fragmente. Für viele Orgelspielerinnen und -spieler handelt es sich sicher um Neuentdeckungen, da die Werke nicht im Kanon der zwölf «grossen» Orgelwerke des Komponisten stehen.

Die Fantaisie (Pièce) in A-Dur wurde 1990 von Joël-Marie Fauquet (Editions musicales du Marais) und 2008 in einer um gewisse Druckfehler bereinigten Ausgabe von Bernhard Haas (Butz-Verlag) herausgegeben; zwei Fassungen einer Fantaisie en ut majeur (frühe Stadien der späteren C-Dur-Fantasie aus den Six Pièces) sowie eine Pièce en mi bémol majeur erschienen bereits 1973 bei Schola Cantorum in einer Ausgabe von Norbert Dufourcq. Das charmante Andantino in g-Moll wurde zu Lebzeiten Francks in einer Anthologie publiziert, später auch als Einzelausgabe, erhielt aber von ihm keine Opuszahl. Insofern stellen also nur die fragmentarisch überlieferten und für eine Aufführung leider zu wenig «kompletten» Werke – ein Stück in Es-Dur, von dem nur die letzten fünfeinhalb Seiten erhalten sind, sowie der Anfang einer Prière (ohne Schluss) – wirkliche Neuentdeckungen dar. Dennoch handelt es sich um hochinteressante Zeugnisse des Komponisten, dessen biografische Hintergründe (zum Beispiel sein «Karrierestart» als klavierspielendes Wunderkind bis zu einem fundamentalen Zerwürfnis mit seinem Vater) und kompositorische Entwicklung vom mondänen Salonmusiker zum Mystiker nach wie vor zu wenig zur Kenntnis genommen werden. So ist klar erkennbar, dass Franck diese Werke noch für frühromantische Instrumente (Saint-Roch 1842, Saint-Eustache 1853) konzipiert und sichtlich damit gerungen hat, seine klanglichen Intentionen zu formulieren, weil diese noch nicht dem späteren Standard Cavaillé-Colls und den damit möglichen, einigermassen schematischen «Registrierungs-Szenarien» entsprechen. Auch die Klangsprache des Komponisten wirkt gelegentlich noch etwas ungelenk und (zum Beispiel in nachschlagenden Begleitfiguren) stark vom Klavier inspiriert, aber da und dort schimmern schon gewisse «typische» Franck-Wendungen durch.

Das ausgezeichnete Vorwort der Herausgeberin erschliesst diese Zusammenhänge nun auch für ein deutsch- und englischsprachiges Publikum, da Joël-Marie Fauquets massstabsetzende Biografie (Fayard 1999) nur in französischer Sprache erhältlich ist. Der mustergültig aufgemachte Notentext und der ausführliche Kritische Bericht liefern eine Fülle von Details zu den Werken, ihrer Entstehungsgeschichte und Realisierung und dokumentieren herausgeberische Entscheide auch im Spiegel der bereits bekannten Editionen. Man darf also gespannt sein, ob aus den Folgebänden auch neue Erkenntnisse zu den bereits in Originalausgaben (frz. Verlage, Nachdruck bei Butz) und Kritischen Neueditionen (Wiener Urtext, Henle) erhältlichen «kanonischen» Werken Francks zu gewinnen sind.

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César Franck: Sämtliche Orgel- und Harmoniumwerke, Band I: Frühe Orgelwerke / Fragmente, hg. von Christiane Strucken-Paland, BA 9291, € 29.95, Bärenreiter, Kassel 

Foto von Braun & Co. eines Gemäldes von Jeanne Rongier (1852–1934) / wikimedia commons

Zeichen, Spiele, Blumensträusse

György Kurtág und Heinz Holliger haben mit den Sammlungen «Signs, Games and Messages» sowie «Un bouquet de pensées» und «Mobile» vor allem Oboeninstrumente bedacht.

György Kurtág. Foto: Lenke Szilágyi (s. unten)

Kurze Stücke sind praktisch. Sei es zur Ergänzung oder Strukturierung eines Konzertprogrammes, sei es für die instruktive Arbeit im Hochschulbereich oder sei es, um den Komponierenden etwas genauer bei der Arbeit über die Schultern zu gucken. Zwei Sammlungen mit zahlreichen, vorwiegend kurzen Stücken von György Kurtág und Heinz Holliger, die in einer recht grossen Zeitspanne entstanden sind, dürften daher grosse Beachtung finden.

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Unter dem Titel Signs, Games and Messages (Zeichen, Spiele und Botschaften) erschienen bereits früher Sammlungen etwa für Violine, Violoncello oder Klarinette. Nun liegen György Kurtágs Solo- und Kammermusikwerke für Oboe und Englischhorn vor, die eine tiefere Betrachtung verdienen. Seine Schreibweise bewegt sich in einem interessanten Spannungsfeld zwischen sehr genau notiert und sehr frei gemeint. Detaillierte Artikulationsangaben wie zum Beispiel verschiedene Bindebögen (hierarchisch oder alternativ gedacht) kontrastieren mit einem weitgehenden Verzicht auf Taktstriche oder allzu genaue Tempo- oder Rhythmusangaben. Einige Ossia-Stellen bieten den Ausführenden Wahlmöglichkeiten. Zentral ist bei Kurtágs Musik immer die möglichst präzise Charakterisierung: Hier helfen variantenreiche, in Worte gefasste Angaben weiter wie più sonore, raddolcendo, con slancio, disperato, pochiss. più intenso oder immer wieder rubato und parlando.

Das umfangreichste und bekannteste Werk der Sammlung ist In Nomine – all’ongherese, eine grossartige Monodie, die in leicht veränderter Form für zahlreiche Instrumente existiert. Aber auch einige kürzere Stücke verdienen eingehendes Studium, wie etwa das Sappho-Fragment oder die zweiteilige Hommage à Elliott Carter. Bei den Kammermusikwerken tritt häufig ein Klarinetteninstrument hinzu (in nicht weniger als drei Fällen ist es die Kontrabassklarinette). Als ganz kurzes Duo sticht hier sicher das heftige Versetto für Englischhorn und Bassklarinette heraus, aber auch das unendlich langsame und (bis auf einen kurzen Ausbruch) unendlich stille Rozsnyai Ilona in memoriam für Englischhorn und Kontrabassklarinette. Äusserst poetisch sind ausserdem die beiden Duos für Sopran und Oboe bzw. Englischhorn, Lorand Gaspar: Désert und Angelus Silesius: Die Ros’. Alle Werke dieser aussergewöhnlichen und grossartigen Sammlung sind Heinz Holliger gewidmet, aus dessen Feder die andere Ausgabe stammt, über die hier berichtet werden soll.

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Seine Sammlung besteht aus zehn Duos für ein Oboeninstrument und Harfe, die ursprünglich für den Eigengebrauch komponiert wurden. Es sind verspielte, teilweise sehr kurze Werke, Geburtstagsgeschenke etwa für Robert Suter, Elliott Carter oder Peter-Lukas Graf, die in der Ausgabe nun auch teilweise für andere Melodieinstrumente bearbeitet sind (Flöte, Karinette, Saxofon). Zwei längere und sehr anspruchsvolle Stücke stechen auf den ersten Blick aus den «Albumblätter-Miniaturen» heraus: zum einen das titelgebende Werk Un bouquet de pensées, seinem geschätzten Lehrer Émile Castagnaud zum 90. Geburtstag gewidmet, ein weit ausladender dialogisch angelegter Gesang aus dem Jahr 1999 für Oboe d‘amore und Harfe; zum anderen Surrogò, all’ongherese, 2006 György Kurtág gewidmet, eine sirrende und flirrende Komposition (diese Ausdrücke finden sich im Untertitel!) höchst energievollen Charakters für Englischhorn und Harfe, welche sich am Ende ins klangliche Nichts auflöst.

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In Ergänzung zu dieser äusserst lohnenden Zusammenstellung wurde nun in einem separaten Heft das bereits früher publizierte Mobile für Oboe und Harfe neu aufgelegt. Einerseits ist die Neuausgabe unabdingbar, da sowohl im Harfen- als auch im Oboenpart signifikante Änderungen eingearbeitet wurden. Andrerseits verliert das Werk nun ein entscheidendes Charaktermerkmal: Die zwölf kurzen Teile waren in der Erstausgabe auf einer grossen Seite abgedruckt und konnten in drei verschiedenen Abfolgen gespielt werden. Wenn nun mit der Neuausgabe ein ganzes Heft (in dem die drei Versionen hintereinander abgedruckt sind) durchgespielt wird und darüber hinaus ständig in den Übergangsfermaten störend geblättert werden muss, fällt der quasi improvisatorische Charakter der Aufführung komplett weg, für den der Titel Mobile steht. Der Rezensent erlaubt sich zu empfehlen, die einzelnen Teile etwas zu verkleinern und wie bei der Erstausgabe auf einen grossen Karton zu kleben. Bei guter Platzierung könnten die beiden Musikerinnen oder Musiker sogar von einem Notenkarton spielen, womit noch lebendigere und spontanere Interaktionen möglich wären.

György Kurtàg: Signs, Games and Messages, Solos und Kammermusikwerke für Oboe und Englischhorn, Z. 15 074, ca. Fr. 52.00, Editio Musica Budapest 2018

Heinz Holliger: Un bouquet de pensées, 10 Stücke für Oboe (Oboe d’amore, Englischhorn) und Harfe (einzelne Stücke auch für Flöte/Altflöte, Klarinette, Sopran-/Alt-/Tenorsaxophon und Harfe), Partitur und Stimmen ED 9467, € 55.00, Schott, Mainz

id., Mobile, für Oboe und Harfe, Spielpartitur ED 5384, € 28.00, Schott, Mainz

Beeindruckende Materialsammlung

Die «Geschichte der Schweizer Volksmusik» von Brigitte Bachmann-Geiser beeindruckt durch ihre Fülle an Themen, Quellen, Bildern und Klängen.

Ausschnitt aus dem Titelblatt

Das Buch von Brigitte Bachmann-Geiser ist keine Geschichte der Volksmusik, wie die Autorin im Vorwort selber feststellt, sondern eine vierhundertseitige Materialsammlung. Warum es trotzdem diesen Titel trägt, bleibt allerdings ein Geheimnis.

Die Publikation fasst das Lebenswerk von Brigitte Bachmann-Geiser zusammen; darin liegt die Stärke, gleichzeitig aber auch die Schwäche des Buches. Beeindruckend ist die Vielfalt an Themen sowie die Breite des gesammelten Materials. Kaum jemand hat sich so lang und intensiv mit verschiedenen Facetten der Schweizer Volksmusik auseinandergesetzt, und so ist eine einzigartige Sammlung von Materialien zusammengekommen, die das Buch zur Pflicht für alle Spezialisten macht. Von historischen Zeugnissen über Alpsegen, Jodelarten, Volkslied, Alphorn, Blasmusikwesen bis zu Kinderinstrumenten und Kalenderbräuchen werden vielfältige Themen behandelt. Zu allen Kapiteln ist reiches Bildmaterial abgedruckt. Akustisch wird die Sammlung vervollständigt durch zwei CDs mit Beispielen zu den einzelnen Kapiteln und mit Melodien, Rhythmen und Lärm in Kalenderbräuchen, insgesamt also ein beachtliches Konzept, das nicht nur textlich, sondern auch optisch und klanglich beeindruckt.

Das Buch weist aber einige Schwächen auf, die den positiven Gesamteindruck trüben. Die Auswahl und Gewichtung des Materials scheint sehr zufällig. So wird beispielsweise auf dreizehn Seiten über Viehschellen und Kuhglocken berichtet, während dem eidgenössischen Jodlerverband gerade einmal eine Seite zugestanden wird. Auch die Ländlermusik – immerhin eine der zentralen Gattungen der Schweizer Volksmusik – wird auf fünfeinhalb Seiten abgehandelt. Diese Gewichtung wäre zu verschmerzen, wenn sie irgendwie begründet würde. Es fehlt aber jeder Hinweis darauf, warum sie so ausgefallen ist bzw. was denn hier unter Volksmusik verstanden wird. Ebenfalls unbefriedigend ist der Umgang mit dem gesammelten Quellenmaterial. So wird beispielsweise behauptet, die Kuhreihen im 18. und 19. Jahrhundert seien ohne Text aufgeschrieben worden, weil die ausländischen Forscher mit der Schweizer Mundart nichts anfangen konnten, dabei wird aber unterschlagen, dass Jean-Jacques Rousseau sein Beispiel explizit der Sackpfeife zuschrieb. Schade ist auch, dass zahlreiche Detailfehler vorkommen. So wird z. B. ein Foto mit Stocker Sepp vor einer Swissair-Maschine auf «um 1925» datiert, obwohl die Swissair erst 1931 gegründet wurde, oder behauptet, dass Bligg mit seinem Titel Volksmusigg wochenlang in der Hitparade gewesen sei, was sich anhand der Listen der Schweizer Hitparade nicht bestätigen lässt.

Am stärksten enttäuscht jedoch, dass die meisten Kapitel in den 1970er- und 1980er-Jahren stehengeblieben sind und kaum aktualisiert wurden – und wenn, dann mit wenigen, unsorgfältig recherchierten Sätzen. Das fällt besonders beim Kapitel «Erneuerung der Volksmusik» ins Gewicht, das sich auf die 1960er bis 1980er beschränkt und die letzten 25 Jahre, in denen die Schweizer Volksmusik äusserst lebendig war und sich stark verändert hat, kaum erwähnt.

Als Quellensammlung für kritische Spezialisten ist das Buch also sehr empfehlenswert, als Überblick für Einsteiger hingegen wenig geeignet.

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Brigitte Bachmann-Geiser: Geschichte der Schweizer Volksmusik, 399 S., 187 Abb., 2 CDs, Fr. 64.00, Schwabe, Basel 2019, ISBN 978-3-7965-3853-7

Wie wirkt Musik?

Eckart Altenmüller beleuchtet in seinem Buch «Vom Neandertal in die Philharmonie – Warum der Mensch ohne Musik nicht leben kann» mit grossem Geschick die physiologischen Aspekte des Musizierens.

Ausschnitt aus dem Titelblatt

Warum noch ein Buch über Musik und Gehirn?, fragt sich Eckart Altenmüller gleich als erstes. Es unterscheide sich von anderen, antwortet er selber, weil er auch Fragen nach dem Woher, Wie und Warum stelle. Das Feld steckt er denn auch weit ab, mit Einblicken in die Forschungen zur Urgeschichte des Musizierens, zur Frage, ob Tiere auch Musizieren, zur Emotionsforschung und zur Musiktherapie. All dies tut er in einem wohltuend unprätentiösen, klaren und fundierten Stil. Ergänzt werden die Ausführungen im Fliesstext durch Musikbeispiele, die mit Hilfe von QR-Codes abgerufen werden können.

Altenmüller ist Neurologe und als Flötist Schüler von Aurèle Nicolet, das heisst, sowohl als Musiker wie auch als Wissenschaftler äusserst beschlagen. Er gilt zu Recht weltweit als einer der bedeutendsten Vertreter der Neuromusikologie. Dass die Lektüre des Buches zum grossen Vergnügen wird, ist überdies der Tatsache zuzuschreiben, dass er als Person präsent bleibt. Thesen und Theorien illustriert er vorzugsweise aus seinem persönlichen Erfahrungshintergrund als Flötist. Zahlreiche Beispiele hat er denn auch selber auf seinem Instrument eingespielt. Gut spürbar ist überdies seine Verwurzelung in der westeuropäischen, bildungsbürgerlichen Medizintradition. Einschübe zur Auflockerung der wissenschaftlichen Darlegungen zitieren Persönlichkeiten wie Grimmelshausen, Proust, Ingeborg Bachmann, Ovid und so weiter.

Die stärksten Passagen des Buches stellen die Darlegungen zu physiologischen Aspekten des Musizierens dar. Altenmüller versteht es nicht nur, neuere Resultate zu Hirnphysiologie und Sensomotrik des Musizierens nahezubringen. Auch Übetechniken und Musikerkrankheiten, vor allem den «Musikerkrampf», handelt er erhellend ab. Etwas mehr aufs Glatteis gerät er, wenn es um die eher geisteswissenschaftlichen Gebiete der Emotionstheorien und Musiktherapie geht. Grossen Raum nehmen dabei wiederum die eher physiologischen Forschungen zu Gänsehautmomenten in der Musik ein. Wie Altenmüller selber einräumt, werden solche durch eher banale Dinge wie ein Kratzen auf einer Wandtafel zuverlässiger erzeugt. Man kann sich also fragen, wie gross ihr Erkenntnispotenzial für die Emotionsforschung in der Musik tatsächlich ist.

Wichtige aktuelle Modelle der Emotionsforschung in der Musik bleiben hingegen unerwähnt oder werden bloss am Rande gestreift. Vermissen dürfte man etwa Hinweise auf das ethologische Modell David Hurons oder auf Klaus R. Scherers Komponentenprozessmodell und auf die Emotionstheorien Nico Frijdas, die Ausgangspunkt für die wichtigsten neueren Modelle sind. Auch die Musiktherapie reflektiert Altenmüller vor allem als Physiologe. Einige Beispiele zur aktuellen Musiktherapieforschung scheinen wenig repräsentativ oder überholt.

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Eckart Altenmüller: Vom Neandertal in die Philharmonie – Warum der Mensch ohne Musik nicht leben kann, 511 S.,
€ 24.99, Springer, Berlin 2018, ISBN 978-3-8274-1681-0

Musikpolitische Aktivitäten im Nationalrat

Am 21. Juni haben die Präsidentin des Schweizer Musikrats und der Präsident der Parlamentarischen Gruppe Musik im Nationalrat je einen Vorstoss eingereicht zu den Themen «Musikalische Bildung» (Postulat NR Quadranti) und «Wertschöpfungskette des Musiksektors» (Motion NR Müller-Altermatt).

Marcel Vogler / pixelio.de

«Wenn Musik nicht nur Kultur oder Technorama und Verkehrshaus nicht nur Museum sind». Der Titel des Postulats 19.3725 von Rosmarie Quadranti weist auf das Dilemma hin: Es gibt Aufgaben, die sowohl in der Bildung als auch in der Kultur angesiedelt sind. Bislang können solche – wie zum Beispiel die Umsetzung des Artikels 67a BV – nur über ein Bundesamt gelöst werden. Mit dem Postulat wird der Bundesrat gebeten aufzuzeigen, «mit welchen Massnahmen Aufgaben, die in der Kultur als auch in der Bildung anzusiedeln sind, durch das Bundesamt für Kultur als auch das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation gelöst werden können.»

Wie der Schweizer Musikrat in seiner heutigen Medienmitteilung schreibt, beauftragt die Motion 19.3807 «Wertschöpfungskette des Musiksektors von Nationalrat Stefan Müller-Altermatt den Bundesrat, Massnahmen zu treffen, die es erlaubten, statistische Daten über die wirtschaftliche Leistung des gesamten Musiksektors zu erheben und zwar «unter Einbezug der Laien, der Professionellen, der Bildung, Forschung und Wissenschaft sowie der Musikwirtschaft und des Rechts.»

Zudem unterstütze der Schweizer Musikrat die Motion 19.3322 von Nationalrat Thomas Ammann zur steuerlichen Befreiung von Entschädigungen für die Freiwilligenarbeit.
 

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Joana Aderi

Foto: Mario Heller
Joana Aderi

Was hat es in deinem Fall gebraucht, dass du dich als Musikerin derart schön hast entfalten können?

Ich habe ein Umfeld gebraucht, das mich «machen liess». Die Narrenfreiheit einer Ausländerin kam mir da entgegen.
Grundsätzlich bin ich neugierig und sehr fleissig. Ich erschrecke mich manchmal selber mit meiner Selbstdisziplin. Aber die Motivation muss zu hundert Prozent von mir herkommen. Mein ganzes Lernsystem fällt sofort in sich zusammen, wenn mir von aussen etwas aufgezwungen wird. (suffering punk soul stellt sich quer.) Darum war eine Schweizer Musikhochschule für mich viel zu eng. An der Schule in Trondheim, Norwegen, habe ich dann den für mich essenziellen Freiraum gefunden. Ich bin unmittelbar aufgeblüht. Mein spätpubertäres Dasein erhielt im Norden oben die Möglichkeit, sich kompromisslos auszuprobieren, das heisst auch mal vollständig zu scheitern, um die eigenen Grenzen zu fühlen, mich kennenzulernen. Das hätte hier nicht in dieser Weise geklappt. Ich habe acht Jahre in Norwegen gelebt und hätte auch durchaus noch viel länger bleiben können. Für mich war es wichtig, mich ganz von der Schweiz abzumelden, um wirklich das Gefühl zu haben, ich falle ins Unbekannte hinein. Ein Atelier-Stipendium hat mich nie gereizt.

Sind die Verhältnisse in der Schweiz einer musikalischen Entfaltung zuträglich oder hinderlich?

Die Schweizer Verhältnisse: Crabs in a bucket mentality!! Das habe ich fast nicht ausgehalten. Du musst noch nicht mal Taten an den Tag legen, es reicht schon, etwas grösser zu denken und du wirst zurückgepfiffen. Ich habe schon im ersten Jahr Musikstudium gewusst, dass ich auf die experimentellen Bühnen Europas will, ich wollte nie Musiklehrerin werden. In der Schweiz wurde mein junger Traum immer perforiert, Luftschlösser sofort zum Einsturz gebracht. Also bin ich ins Ausland gegangen und habe es einfach gemacht. Und es hat funktioniert.
Wir haben uns in Trondheim oft unter Sängerinnen getroffen, uns unsere verschiedenen Stimmen präsentiert, zusammen Dinge ausgecheckt. In einer grundsätzlich wohlwollenden Atmosphäre, wo wir uns ob der Andersartigkeit der anderen gefreut haben. Wir haben uns gegenseitig gepusht. No more crabs. Die Krabben finde ich ganz schlimm und es war ein Hauptgrund, weshalb ich weg musste.
Jetzt bin ich zurück in der Schweiz und bin sehr gerne hier. Ich glaube, es hat sich ein bisschen verändert. Oder vielleicht fühlt es sich anders an, wenn man seine innere Haltung zur Musik gefestigt hat und nicht mehr so sehr vom Umfeld abhängig ist?


Ist es für eine musikalische Selbstverwirklichung unabdinglich, ins Ausland zu gehen?

Ich kenne wunderbare Musikerinnen und Musiker, die noch kaum je aus ihrer Kleinstadt herausgekommen sind. Ich bewundere das sehr, wenn Menschen am gleichen Ort, im gleichen Umfeld eine riesige Entwicklung durchlaufen können. Wie machen sie das bloss? Ich habe die Reibung im Unbekannten, wo ich unbekannt bin, unbedingt gebraucht, um mich zu erspüren.
 

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Joana Aderi ist in allerhand experimentellen Projekten engagiert.

 

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Nicht jammern, sondern handeln!

Was brauchte es, damit ihre Karrieren so richtig aufblühen konnten? Sechs Schweizer Musikerinnen und Musiker geben Antwort.

Foto: Lindsay Henwood on Unsplash
Nicht jammern, sondern handeln!

Was brauchte es, damit ihre Karrieren so richtig aufblühen konnten? Sechs Schweizer Musikerinnen und Musiker geben Antwort.

Der schubladensprengende, 71-jährige Luzerner Perkussionist Fredy Studer;
Benedikt Wieland und seine Band Kaos Protokoll;
die in allerhand experimentellen Projekten engagierte Joana Aderi;
Nik Bärtsch, mit Ronin und Mobile sowie solo;
Michael Sele, mit the Beauty of Gemina ein Begriff für Fans aufwühlender Rockklänge;
und Andreas Ryser, mit dem Elektronikprojekt Filewile ebenso gut vernetzt wie mit dem Label Mouthwatering:
lauter Schweizerinnen und Schweizer, denen es gelungen ist, sich auf internationaler Ebene zu profilieren. Wir haben sie gefragt, was nötig war, damit sie sich richtig entfalten konnten.

Die drei Fragen lauteten:

Was hat es in deinem Fall gebraucht, dass du dich als Musiker derart schön hast entfalten können?

Sind die Verhältnisse in der Schweiz einer musikalischen Entfaltung zuträglich oder hinderlich?

Ist es für eine musikalische Selbstverwirklichung unabdinglich, ins Ausland zu gehen?

 

Die Antworten von (der Klick auf den Namen führt weiter):

Joana Aderi

Nik Bärtsch

Andreas Ryser

Michael Sele

Fredy Studer

Benedikt Wieland

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HEMU – A new direction

A woman at the head of the Haute Ecole de Musique Vaud Valais Friborg and the Lausanne Conservatory.

The Haute Ecole de Musique Vaud Valais Friborg (HEMU) is an educational institution recognized for its demanding and comprehensive training, as well as for its complicity with professional circles and its commitment to musical life. Multidisciplinary and multi-style, it covers all training profiles in classical, jazz and contemporary music. The HEMU is located in the heart of Europe and French-speaking Switzerland, and offers university-level education to more than 500 students of 39 different nationalities. Emphasizing both theory and practice, its Bachelor’s and Master’s study programs are established in such a way as to promote good access to the professional world. Its teaching staff, made up of many internationally renowned artists, guarantees its students high-level supervision. Historically present in the Lausanne Conservatory (before the Bologna reform), classical music has been taught at the HEMU for more than 150 years. Alongside it, the jazz and contemporary music departments, offered exclusively in French-speaking Switzerland, were created in 2006 and 2016 respectively. tradition, creation, research and development always with the aim of achieving, and helping to achieve, excellence. Each year, the HEMU produces more than 300 public performances: concerts, workshops, etc. The masterclasses given by prestigious musicians and the partnerships concluded with world-renowned institutions provide students with rewarding educational experiences and, above all, allow them to create a network. Its Bachelor and Master studies are accredited by the Swiss Confederation and recognized internationally. Since 2009, the HEMU has been part of the ‚Music and Performing Arts‘ area of ​​the Western Switzerland University of Applied Sciences (HES-SO), the largest network of higher professional training in Switzerland, which had nearly 21,000 students. at the start of the 2018-2019 school year.

Matthias von Orelli — Noémie L. Robidas, violoniste et jusqu’alors directrice du Département spectacle vivant de l’Institut supérieur des arts de Toulouse, est la nouvelle directrice générale de ces deux institutions. Québécoise, elle est au bénéfice d’une ample expérience professionnelle, tant comme musicienne, pédagogue, chercheuse que directrice d’établissement.

Madame la directrice, je suis heureux que vous preniez le temps de parler avec nous. Vous avez repris la direction il y a quelques mois. Quelles sont vos premières impressions ?

Je suis heureuse et enthousiaste d’être à la barre d’un si beau voilier qui accueille en son sein des musiciens depuis leur plus jeune âge jusqu’à l’obtention d’un Master. J’ai l’impression de pouvoir contribuer à tout un écosystème de la musique. J’y ai trouvé des équipes professorales et administratives motivées, fières de travailler à l’HEMU-CL. J’ai aussi fait la connaissance des élèves et étudiants qui sont nombreux et pleins de talent ! Cela est pour moi une grande source d’inspiration !

Vous connaissez la Suisse depuis longtemps. Votre perception du pays a-t-elle changé depuis que vous occupez ce nouveau poste ?

La Suisse est un pays où j’ai pu séjourner ponctuellement depuis une dizaine d’années et duquel je me sens proche en effet, probablement de par mes origines québécoises. Étrangement, d’un point de vue professionnel, je me sens plus à la maison en terres helvètes qu’en France où j’ai vécu les 7 dernières années. Je crois que cela tient dans le fait d’y retrouver des valeurs de simplicité et d’accessibilité à la hiérarchie sans que cela ne remette en cause le respect des fonctions. Je crois aussi retrouver en Suisse cette recherche collective de consensus. Évidemment, l’accent est différent ! (rires)

Vous êtes confrontée à une institution qui a traversé une période de crise et de tensions, ce qui a obligé l’ancien directeur à quitter ses fonctions. Est-ce que cela a affecté votre travail ?

Je vous mentirais en vous disant que cela n’affecte pas du tout mon travail. Je dois aider l’équipe à hisser la grande voile après la tempête. Certains ont encore la crainte que le vent ne s’agite à nouveau, mais c’est normal. Ce que je sens, c’est que tout le monde a envie de regarder de l’avant ! Cet accompagnement du changement est propre à toute nouvelle gouvernance, c’est un défi que je suis prête à relever !

Différences et similitudes

Vous êtes originaire du Canada et travaillez en France depuis longtemps : quelles sont les différences – ou les similitudes ?

J’ai appris à connaître le milieu musical de la Suisse par le réseau des conservatoires et écoles de musique où j’ai eu la chance de donner des formations continues pendant de nombreuses années. J’ai aussi été initiée aux enjeux de la musique à l’école ayant effectué un remplacement à la HEP-Bejune durant 6 mois. Pour ce qui est de la scène musicale à proprement parler, j’apprends à la connaître maintenant. Je pense que les musiciens en Suisse comme en Europe, ont la chance d’avoir un bel accompagnement de l’état, de nombreuses structures musicales et un public qui valorise l’art et la culture. En Amérique du Nord, les musiciens doivent bien souvent autogérer tous leurs projets et initiatives. Les qualités d’entrepreneur sont là-bas presque aussi importantes que le talent pour la réussite d’un musicien.

Vous avez une carrière très internationale. Comment percevez-vous les Hautes Ecoles de Musique Suisse en comparaison internationale ?

Ce sont de beaux établissements qui offrent des formations de grande qualité qui sont, selon moi, vraiment compétitives à l’international, c’est d’ailleurs ce qui explique notre grande attractivité et le fait que nos étudiants proviennent de partout dans le monde !

Les Hautes Ecoles de Musique suisses font également face à de grands défis. Lesquels sont les plus impor-tants et les plus urgents à votre avis ?

Je crois que le principal défi d’avenir de nos écoles relève de leur capacité d’adaptation face à un milieu professionnel en constante évolution. Nos hautes écoles doivent non seulement être à la page des besoins de leurs étudiants mais également anticiper le contexte auquel leurs diplômés seront confrontés dans 10-15-20 ans. Aujourd’hui, il ne suffit plus d’être un excellent instrumentiste pour réussir et vivre de la musique. Il faut donc doter nos étudiants d’un vaste portefeuille de compétences pour leur assurer un avenir professionnel. Il faut pour cela notamment remettre certaines de nos habitudes pédagogiques en question, revoir les plans d’études fréquemment.

Récemment, un journal suisse a déclaré que de nombreux musiciens vivent souvent pour la musique, mais pas de la musique. En Suisse, peu de gens choisissent la musique comme profession. D’une part, cela est dû au fait qu’en Suisse, les enfants ne sont pas spécialisés dès le plus jeune âge, ce qui est essentiel pour la musique, mais qu’ils se voient proposer différentes options. D’autre part, beaucoup de Suisses ne sont pas disposés à vivre uniquement «  pour  » la musique, ils veulent vivre «  de  » la musique. Où voyez-vous en ce cadre votre école ?

Cela est une grande question ! Je crois que l’HEMU-CL doit jouer une carte pour dynamiser l’écosystème suisse romand de la musique en accompagnant mieux les talents du territoire. Présente dans les cantons de Vaud, Valais et Fribourg, je crois plus que jamais que l’HEMU-CL doit agir en synergie avec les conservatoires et les écoles de musique pour que nous puissions créer chez les jeunes l’envie de se surpasser en leur donnant des modèles, en créant des systèmes de mentorat, en incitant les professeurs et directeurs des différentes institutions à travailler encore plus main dans la main. Nous devons troquer les idées de concurrence pour des idées de complémentarité.

La digitalisation est un sujet omniprésent. Où voyez-vous les opportunités de cette technologie pour votre Haute Ecole ?

Je dois avouer que nous avons un peu de retard de ce côté. Que ce soit des environnements numériques d’apprentissage, des applications, la mise en place de communautés numériques liées à l’apprentissage, le travail en studio d’enregistrement, il y a plusieurs opportunités à saisir qui sont efficientes et beaucoup plus accessibles qu’on y croit. D’ailleurs, nous inaugurerons un studio de grande envergure au Flon dès l’automne ! Mais, nous devons garder en tête que toutes ces innovations technologiques doivent rester au service de la pédagogie et de la musique.

Dialogue constructif

Vous avez dit que vous souhaitiez un dialogue constructif au sein de l’institution et que l’innovation et la créativité sont aussi importantes pour vous que l’excellence. À quoi cela ressemble-t-il dans la mise en œuvre concrète ?

Je crois que nous ne nous représentons pas aujourd’hui tous les défis écologiques et sociétaux à venir. En ce sens, bien que l’excellence reste pour moi une valeur fondamentale pour l’HEMU-CL, il me paraît primordial de former des musiciens davantage ouverts sur les enjeux du monde actuel et capable d’agir grâce à leur art à l’évolution de notre société. Concrètement, nous devons leur apprendre à diversifier leurs pratiques en terme esthétique, nous devons provoquer les rencontres avec d’autres formes d’art, avec la création d’aujourd’hui, avec des publics diversifiés. Les étudiants doivent apprendre certes à défendre un patrimoine musical, une esthétique et leur instrument, mais doivent impérativement développer une inventivité qui devra sans cesse être renouvelée. Cela est l’un de nos grands défis en tant qu’École !

Although I like several musical styles, my heart always comes back to an inexhaustible source of inspiration: Jean-Sébastien Bach… and, being a trained violinist, when I have a little free time (laughs), I dive back into happiness in the manuscript version of his Sonatas and partitas. His simple pen already lets the music be heard.

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