Volksmusikalische Tänze

Roland Fink hat Stücke aus der Sammlung Hanny Christen aus der Gegen um Avenches und um Davos für variables dreistimmiges Ensemble bearbeitet.

Hôtel de ville in Avenches, 1899. Nachweis: s. unten

Die Schweizer Volksmusik-Sammlung aus dem Nachlass von Hanny Christen wurde 2002 als zehnbändige Anthologie im Mülirad-Verlag Altdorf herausgegeben. Das Lebenswerk der 1976 verstorbenen Volkskundlerin und Sammlerin erfuhr dank des Einsatzes von Fabian Müller und der Gesellschaft für die Volksmusik in der Schweiz (GVS) eine späte Würdigung. Heute ist diese Gesamtausgabe, die über 10 000 vergessene Melodien und Tänze aus fast allen Regionen des Landes enthält, eine wertvolle Quelle für unsere traditionelle Volksmusik. Die zehn Bände können beim Mülirad-Verlag auch als Download erworben werden.

Aus der Sammlung Hanny Christen haben seither verschiedene Autoren einzelne Stücke für mehrstimmige Ensembles arrangiert. Die meisten dieser Ausgaben sind ebenfalls im Mülirad-Verlag erschienen, so auch die Musizierhefte Flums, Säntis und Ticino von Roland Fink. Der vielseitige Komponist, Chorleiter und Arrangeur aus Alten ZH legt nun zwei weitere Hefte nach: Dances d’Avenches und Davoser Tänze, diesmal im Eigenverlag.

Die Arrangements sind dreistimmig, als Partitur gedruckt für zwei Melodieinstrumente und Gitarre. Eine optionale Bassstimme sowie transponierende Bläserstimmen liefert der Autor auf Anfrage. Die erste Stimme ist konzipiert für Altblockflöte, kann aber auch von Querflöte, Violine, Akkordeon oder Klarinette übernommen werden. Für die von ihm selbst komponierte zweite Stimme schlägt Roland Fink vor: Violine, Akkordeon oder Klarinette, je nach Tonumfang der Stücke auch Oboe oder Querflöte.

Die Tonarten der Vorlagen aus der Mülirad-Anthologie wurden diesem Instrumentarium entsprechend transponiert, meist in die Subdominante (eine Quarte nach oben). Das kommt der Altblockflöte in der Oberstimme entgegen. Für die Geige gehen einzelne Stücke allerdings bis in die fünfte Lage. Die zweiten Stimmen klingen gut, verlangen aber auch nach versierten Ausführenden. Im Ensemble-Unterricht mit Jugendlichen werden diese Arrangements viel Freude bereiten, fordern den Teilnehmenden aber einiges an technischer Fertigkeit ab.

Die Sammlung Hanny Christen ist nach Regionen der Schweiz aufgeteilt. Roland Fink gibt den einzelnen Stücken, sofern sie nicht bereits einen individuellen Titel haben, eigene regionale Namen: Parsenner Schottisch, Pischa-Polka, Brämabüel-Mazurka etc. Das ist zwar nicht «Urtext», erleichtert aber die Navigation auf der musikalischen Reise durch die Schweiz, zu welcher auch die ansprechenden Illustrationen von Alexandra Fink-Thali einladen.
 

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Dances d’Avenches, Schweizer Volksmusik aus dem 19. und 20. Jahrhundert, gesammelt von Hanny Christen, für zwei Melodie-Instrumente und Gitarre mit optionaler Bassstimme gesetzt von Roland Fink, Fr. 22.00, www.rolandfinksingers.ch

Id. Davoser Tänze
 

Foto oben: Max van Berchem (1863–1921), Schweizerische Nationalbibliothek

Böhmische Entdeckungen

Die Camerata Rousseau spielt Konzerte für Fagott und Oboe sowie eine Sinfonie von Jan Anton und Leopold Kozeluch, wobei die Zuschreibung der Werke an die beiden Cousins nicht immer klar ist.

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Dass die zwei Cousins von ihren Eltern den gleichen Vornamen Jan Anton erhielten, war im Nachhinein keine gute Idee: Beide zeigten Talent für die Musik und speziell für die Komposition, was zwingend zu Verwechslungen führen musste. Der neun Jahre später Geborene entschied sich als junger Mann, den Namen Leopold zu tragen. Die beiden Kozeluch – um sie handelt es sich nämlich – gehörten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und darüber hinaus zu den namhaftesten böhmischen Komponisten. Jan Anton bildete sich nach seinen Lehrjahren in der Heimat noch in Wien bei Gassmann, Gluck und Hasse weiter und machte sich später in Prag besonders als Komponist geistlicher Vokalwerke einen Namen.

Auch Leopold – nach Studien bei seinem Cousin und bei Duschek – vervollkommnete sein Talent in Wien, wo er vermutlich von Albrechtsberger unterrichtet wurde. Als Klaviervirtuose, Musiklehrer und Komponist hatte er bald durchschlagenden Erfolg. Das Angebot, Nachfolger von Mozart als Hoforganist in Salzburg zu werden, liess er unbeachtet. 1792 wurde er «Kammer Kapellmeister und Hofmusik Compositor» am kaiserlichen Hof in Wien, eine Position, die er bis zu seinem Tod 1818 innehatte. Es ist überliefert, dass er sich abschätzig über Haydn geäussert hat, und bekannt, dass er seinerseits von Mozart und Beethoven heftig kritisiert wurde. Trotz dieser persönlichen Animositäten, die heute eher amüsieren, ist unbestritten, dass er den Stil der Wiener Klassik entscheidend mitgeprägt hat. Noch sind aber grosse Teile seines riesigen Œuvres wiederzuentdecken.

Die CD vereint ein Fagott- und ein Oboenkonzert von Jan Anton und eine Sinfonie von Leopold Kozeluch sowie als Weltersteinspielung ein weiteres Fagottkonzert, das sowohl Leopold als auch seinem Cousin zugeschrieben wird (wobei die Verwirrung um die Namen auch auf das Cover durchschlägt). Die beiden Fagottkonzerte, durchaus unterschiedlich, sind attraktive Werke, in denen der Solist Sergio Azzolini auf einem Originalinstrument von ca. 1794 alle Facetten seines Könnens demonstrieren kann: eine ausdrucksstarke musikalische Rede, kantable Melodiebögen und technische Brillanz. Gleiches lässt sich auch über das Oboenkonzert in F-Dur mit dem hervorragenden Solisten Giovanni De Angeli sagen. Leopold Kozeluchs dreisätzige g-Moll-Sinfonie, um 1787 komponiert, ist wie die bekannteren Werke in dieser Tonart von Mozart, Haydn oder Vanhal ein hochexpressives, dramatisches Stück mit kühnen Harmonien und aufregenden dynamischen Kontrasten, das sofort in ganz Europa gespielt wurde.

Es ist ein Verdienst der Camerata Rousseau und ihres Leiters Leonardo Muzii, diese vier Werke, die allerdings schon 2016 aufgenommen wurden, auf einer neuen CD im besten Licht zu präsentieren. Das Orchester spielt engagiert, klangschön, differenziert und präzise. Sein Name bezieht sich auf den berühmten Genfer Philosophen, Dichter und Komponisten und erinnert daran, dass Musikerinnen und Musiker der Abteilung für Alte Musik der Genfer Musikhochschule es gegründet haben, um Kompositionen des 18. und 19. Jahrhunderts stilgerecht aufzuführen. In der Zwischenzeit ist es nach Basel weitergezogen, und es wirken auch Absolventen der Schola Cantorum Basiliensis mit. Besonders hervorzuheben ist der fundierte Booklettext von Karl Böhmer, der alles Wissenswerte über die beiden Komponisten und ihre Werke enthält.

Jan Anton Kozeluch (1738–1814) und Leopold Kozeluch (1747–1818): Concertos and Symphony. Sergio Azzolini, Fagott; Giovanni De Angeli, Oboe; Camerata Rousseau auf historischen Instrumenten; Leitung Leonardo Muzii. Sony classical 19439788202

Tod des jamaikanischen Klangtüftlers Lee Perry

Der jamaikanische Klangtüfteler und Produzent Lee Scratch Perry, der am Aufstieg Bob Marleys entscheidenden Anteil hatte und rund 30 Jahre in der Schweiz lebte, ist im Alter von 85 Jahren in Jamaika verstorben.

Perry am Zürcher Festival Integration (Bild: Wolfgang Böhler)

Perry gilt als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten in der Entwicklung des Reggae und Ska. Er prägte als Produzent den Sound von Bob Marley entscheidend mit, trennte sich aber von ihm, bevor Marley zur Weltkarriere ansetzte. In Jamaika erbaut Perry in den 1970er-Jahren ein exzentrisches Studio auf, das Black Ark Studio, das 1979 abbrannte.

1989 heiratete er die Schweizerin Mireille Campbell. Das Paar hatte zwei Kinder und lebte rund dreissig Jahre in Einsiedeln im Kanton Schwyz. Es zog erst letztes Jahr wieder nach Jamaika. In der Schweiz richtete Perry ebenfalls ein Studio ein, das Secret Laboratory, das 2015 ebenfalls von einem Feuer beschädigt wurde.

Neoklassizismus in der Schweiz

Am zweiten Septemberwochenende sind in Brunnen Werke von Othmar Schoeck und von einigen seiner Schweizer Zeitgenossen zu hören, kontrastiert durch die Uraufführung eines Streichquartetts von Cécile Marti und das Podium «futur composé», geleitet von Dieter Ammann.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Igor Strawinsky wohl der bedeutendste Vertreter des musikalischen Neoklassizismus. Aber auch Othmar Schoeck und seine Zeitgenossen in der Schweiz schrieben Werke in dieser Stilrichtung. Unter dem Motto «Passé composé» ermöglicht das Othmar Schoeck Festival dieses Jahr Begegnungen mit Volkmar Andreae, Fritz Brun, Raffaele d’Alessandro, Richard Flury, Walter Furrer, Arthur Honegger, Peter Mieg, Paul Müller-Zürich, Hans Schaeuble und Werner Wehrli. Begegnungen deshalb, weil ausgewiesene Fachpersonen zusätzlich zu den musikalischen Aufführungen die Komponisten und ihr Werk reflektieren in einer Ausstellung, in Vorträgen und Einführungen, ausgehend von Fragen wie: Was bedeutete es, in dieser von zwei Weltkriegen geprägten und zerrissenen Zeit als Komponist in diesem Land zu leben? Wie sah damals das musikalische Leben in der Schweiz aus?

In der Masterclass Liedduo unter der Leitung von Cornelia Kallisch erarbeiten Gesangsstudierende der Hochschule Luzern – Musik an zwei Tagen Lieder von Volkmar Andreae (1879–1962), Fritz Brun (1878–1959), Walter Furrer (1902–1978), Peter Mieg (1906–1990), Werner Wehrli (1892–1944) und Othmar Schoeck (1886–1957). Einführungen zu den einzelnen Komponisten geben Marc Andreae, Sibylle Ehrismann, Anselm Gerhard, David Reissfelder, Michael Schneider und Cristina Urchueguía.

Damit bietet das Othmar Schoeck Festival vom 10. bis am 12. September 2021 in Brunnen ein Panorama der musikalischen Vergangenheit der Schweiz. Gleichzeitig gewährt es mit dem Podium «futur composé» unter der Leitung von Dieter Ammann Einblick in aktuelle Arbeiten von Kompositionsstudierenden der Hochschule Luzern – Musik. Und besonders hervorzuheben ist die Uraufführung von Ellipse für Streichquartett, geschrieben von Cécile Marti für das Othmar Schoeck Festival.

Ein hybrides Festival

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Cécile Marti mit der Ellipse-Skulptur. Foto: Martin Messmer

 

Anstatt letztes Jahr das Othmar Schoeck Festival abzusagen, wurde es bis auf eine Ausnahme ohne Publikum vor Ort durchgeführt. Die Anlässe wurden gestreamt. Heuer hingegen freuen sich die Veranstalter darauf, ein grosses Publikum vor Ort willkommen zu heissen. Da die epidemiologische Lage bekanntlich nach wie vor fragil ist und für das Publikum und die Ausführenden grösstmögliche Sicherheit geboten werden soll, schreiben die Organisatoren für den Einlass vor Ort das Covid-Zertifikat sowie Maskenpflicht vor. Zudem werden die Veranstaltungen gestreamt. So sind sie für alle Interessierten zugänglich.

Aufgrund der letztjährigen Erfahrungen will man dieses Jahr einen Schritt weitergehen. Mit der Konzeption des ganzen Anlasses als hybrides Festival peilen die Organisatoren ein strategisches Ziel an: Die weitere Professionalisierung der Streams (Zusammenarbeit mit Marcel Babazadeh von atelierklangundraum.com) soll die Attraktivität einer Mitgliedschaft im Verein Othmar Schoeck Festival auch für internationale Schoeck-Fans markant steigern. Die Umsetzung dieses Konzepts ist möglich dank einer zusätzlichen Unterstützung durch die öffentliche Hand im Rahmen der von Bund und Kantonen ausgeschriebenen Transformationsprojekte.

Das Visuelle spielt besonders in zwei Veranstaltungen eine herausragende Rolle: Im Konzert des Urschweizer Kammerensembles wird die Aufführung eines Orgelkonzertes von der Empore auf eine Leinwand im Chorraum projiziert und die Uraufführung von Cécile Martis Ellipse für Streichquartett wird begleitet von einer Projektion, die die Entstehung der Ellipse als Skulptur zeigt.

Programm

Eröffnung und Abschluss: Konzert des Urschweizer Kammerensembles
10. 9., 20 Uhr, 12. 9., 19 Uhr; Einführung 30 Minuten vor Beginn
Pfarrkirche St. Leonhard Ingenbohl

Werke von Othmar Schoeck, Raffaele d’Alessandro, Paul Müller-Zürich und Hans Schaeuble;
Leitung: Stefan Albrecht, Orgel: Martin Dettling, Einführung: Heinrich Aerni

Unten im Kirchenschiff sitzen und trotzdem den Organisten Martin Dettling spielen sehen? Das ist möglich in diesem ausserordentlichen Konzert des Urschweizer Kammerensembles im Rahmen des diesjährigen Othmar Schoeck Festivals. Im ersten Teil spielt es unter der Leitung von Stefan Albrecht auf der Empore das Konzert für Orgel und Streichorchester von Paul Müller-Zürich. Das Geschehen wird von oben auf eine Leinwand im Chorraum übertragen. Dort sitzen die Musikerinnen und Musiker dann in der zweiten Konzerthälfte und spielen Werke von Othmar Schoeck, Hans Schaeuble und Raffaele d’Alessandro.

Konzert und Uraufführung: Belenus Quartett
11. 9., 20 Uhr, Grand Palais
Uraufführung von Cécile Martis Ellipse für Streichquartett sowie Streichquartette von Arthur Honegger, Othmar Schoeck und Richard Flury

Die Schweizer Künstlerin Cécile Marti ist eine Doppelbegabung: Sie widmet sich der Komposition und der Bildhauerei. Das Werk Ellipse für Streichquartett, das vom Belenus Quartett uraufgeführt wird, ist sowohl Musik als auch Skulptur. Gleichzeitig mit dem Erklingen der Musik wird eine Projektion gezeigt, die das Entstehen der Skulptur vom Rohling bis zur Endform dokumentiert.

Ausstellung: Hermann Hesse und seine Musikerfreunde – Andreae, Brun, Schoeck
Fondazione Hermann Hesse Montagnola, Konzeption: Eva Zimmermann
11. und 12. 9., 10 bis 18 Uhr, Villa Schoeck

 

Über die Flöte und das Leben

In diesem schmalen Bändchen gibt Peter Lukas Graf Erinnerungen preis und gibt Ratschläge aus seiner Karriere als Flötist und Dirigent.

Eine Biografie wollte er nicht schreiben. Peter Lukas Graf war aber bereit, in jeder der 52 Wochen des Jahres mit dem japanischen Verleger Kan Saito Fragen und Antworten auszutauschen – in Form einer E-Mail-Korrespondenz. Das Ergebnis ist ein klar strukturiertes Bändchen zu 52 Themen aus dem Umfeld seines Instruments. Der lockere und persönliche Kommentarstil bewährt sich sowohl bei den Ratschlägen aus dem Erfahrungsschatz des über siebzig Jahre lang aktiven Flötisten als auch bei den Anmerkungen zum Dirigieren, dem Gegenfach, das, wie er etwas verschämt feststellt, sein Selbstbewusstsein heben konnte. Aber Spielen und Dirigieren waren für ihn «geradezu gegensätzliche Berufe … Flöte spielen ist daher fürs Dirigieren keine Hilfe».

Persönliche Begegnungen und unverhoffte Ereignisse werden in knappster Formulierung – ohne Larmoyanz, aber oft mit leichter Selbstironie gewürzt – vermittelt und bieten Einblick in Befindlichkeiten, die den Ablauf von solistischen Auftritten beeinflussen konnten. Anekdotisches und Fachtechnisches wird auf sympathische Weise kombiniert.

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Peter Lukas Graf: Backstage – Über Musik, die Flöte und das Leben, 72 S., € 12.50, Schott, Mainz 2020, ISBN 978-3-7957-2155-8

St. Gallen zeichnet Ackerhus aus

Die Albert Edelmann-Stiftung in Ebnat-Kappel bewahrt historische Toggenburger Instrumente, handschriftliche Notenmanuskripte und bemalte Möbel aus dem 17. bis 19. Jahrhundert auf. Nun zeichnet der Kanton sie aus.

Hausorgel von Heinrich Ammann, 1807. Foto:Jost Kirchgraber / Kanton St. Gallen

Zum Sammlungsbereich Musik gehören Toggenburger Hausorgeln, Halszithern und andere Instrumente sowie zahlreiche handschriftliche Notenmanuskripte. Sie geben Zeugnis von der Toggenburger Hausmusik und Hauskultur des 18. und 19. Jahrhunderts. Im 20. Jahrhundert hatte der an der Gesamtschule Dicken in Ebnat tätige Lehrer, Maler und Förderer von lokalem Volks- und Kulturgut Albert Edelmann (1886–1963) dieses Kulturgut teilweise wieder erschlossen, befördert und vermittelt. Die Instrumente können aber nicht nur in den Ausstellungsräumen des Museums Ackerhus begutachtet werden.

Der Unterschutzstellung voran ging laut der Medienmitteilung des Kantons eine Beurteilung durch die Fachstelle Kulturerbe im Amt für Kultur und einen Fachbeirat. Diese stuften den Sammlungsbereich «Musik» und den Bestand zur «Toggenburger Möbelmalerei» als Kulturerbe des Kantons ein.

Mehr Infos:
https://www.sg.ch/news/sgch_allgemein/2021/08/ackerhus-mit-kulturerbe-label-ausgezeichnet.html

Kampf, Klischees und Kompromisslosigkeit

Um «Frau & Klavier» drehte sich der Frühlingskongress 2021 der EPTA Schweiz (European Piano Teachers’ Association). Er wurde zu einer beeindruckenden Demonstration der Vielschichtigkeit dieses Themas.

Es ging einerseits um faszinierende Pionierleistungen und spannende Lebensgeschichten von Musikerinnen, andererseits aber auch um Aspekte von Unterdrückung, Anfechtung, Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Frauen in der Musik. Allen Referentinnen ging es um Würde, Dialog und Respekt im künstlerischen und professionellen Zusammenwirken von Musikschaffenden aller Geschlechter.

Pionierinnen

Die Keynote zum Auftakt des Kongresses hielt Eva Weissweiler mit ihrem «Rückblick einer Pionierin». Zahlreiche musikwissenschaftliche Publikationen und Buchveröffentlichungen zu Komponistinnen, die Gründung des Arbeitskreises «Frau und Musik» und die Organisation vieler Festivals und Konzertreihen stehen im Mittelpunkt von Eva Weissweilers Lebenslauf. Er dürfte beispielhaft sein für das künstlerisch-politische Wirken der Frauen ihrer Generation, und zeigt den unermüdlichen, international vernetzten Einsatz für die Selbstverständlichkeit, dass Frauen aktiv in der zeitgenössischen und klassischen Musikszene mitwirken. Auf kompromisslose Weise schilderte sie die schwierigen Zustände für Musikerinnen, Komponistinnen und Musikwissenschaftlerinnen in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit der frühen Siebzigerjahre: «… dass ich zeitweilig in den Ruf einer Hexe geriet und von meinem Doktorvater auf der Strasse nicht mehr gegrüsst wurde, weil er sich schämte, solch eine Natter am nicht vorhandenen Busen genährt zu haben.» Die heutigen Verhältnisse sind mit den Frauenanfeindungen der Männergeneration von damals nicht mehr vergleichbar und doch belegte Weissweiler mit eindrücklichen Statistiken, dass auf allen Ebenen noch sehr viel zu tun bleibt: «Ich kann daher nur mit dem dringenden Appell schliessen: Lasst uns nicht nur forschen, sondern auch fordern! Machen wir unser Thema zu einem politischen! Ich wage zwar nicht, daran zu glauben, aber es wäre ein Traum, wenn eines Tages nur ein Drittel aller schweizerischen und deutschen Musikerinnen für nur eine Woche nicht mehr spielen, singen, unterrichten oder dirigieren würden. Denn dann würde der Rest der Menschheit endlich merken: Ohne uns wird es still, verdammt still!»

Im darauffolgenden Referat porträtierte die Pianistin Kathrin Schmidlin zwei bedeutende Komponistinnen des frühen 20. Jahrhunderts: Lili Boulanger (1893–1918) und Vítězslava Kaprálová (1915–1940). Beiden Komponistinnen gelang es unter schwierigen Lebensumständen, ihre eigene, unverwechselbare Musiksprache zu finden: Boulanger – vom französischen Umfeld geprägt – mit einer tiefen, poetischen Intensität der Klangfarben, Kaprálová – eine Schülerin von Martinů – mit expressiver Prägnanz im Rhythmus. Schmidlin schöpfte in ihrem abwechslungsreichen Vortrag aus dem Vollen, nicht zuletzt mit Beispielen aus ihrer frisch publizierten, viel beachteten CD-Publikation Frauenstimmen (mit Anna Fortova, Violoncello, erschienen beim Label Claves), und weckte beim Publikum die Lust auf eine weiterführende Auseinandersetzung mit beiden Komponistinnen und deren Umfeld.

Sabine Kemna, aus Kassel zugeschaltet, stellte nach der Mittagspause die Geschichte und Philosophie des Furore-Verlags vor: Seit der Gründung im Jahre 1986 publiziert er Werke von Komponistinnen, inzwischen wurde die beeindruckende Zahl von über 2000 Kompositionen herausgegeben. Eine wahre Pionierleistung, welche der Gründerin Renate Mathei 2012 die Verleihung des deutschen Bundesverdienstkreuzes einbrachte.

Pianistinnen

Der knackige Kurzfilm Frau & Piano des Österreichers Sebastian Leitner (SLfilm) gab Anlass zu einer regen und kontroversen Diskussion über Frauenbilder in der Musik. Wie weit sind Klischees zulässig oder sinnvoll? Welche Bedeutung haben Kleidung und Styling für Frauen (und Männer) auf der Bühne? Welche Erwartungen hegt welches Publikum? Wie umgehen mit sexistischen Reaktionen?

Die Diskussion führte nahtlos über zur zweiten Keynote «Hammer, High Heels und Kalkül» von Esther Flückiger. Die Pianistin und Komponistin, welche in der Schweiz auch zu den führenden Kunstschaffenden der elektronischen Musik zählt, nahm das Publikum anhand von zahlreichen Videos mit auf einen 200 Jahre überblickenden Streifzug durch die Geschichte, Hintergründe und Herausforderungen von Pianistinnen auf den Konzertbühnen der Welt. Beginnend mit Fragen der Biedermeier-Schicklichkeit folgte Flückiger «dem Weg zur Freiheit» bis zu den heutigen, mutig und kompromisslos auftretenden weiblichen Klassik-Klavierstars. Besonders neu für viele im Publikum dürften die Porträts von Jazz-Pionierinnen wie Dorothy Donegan, Carla Bley, Aki Takase oder Myra Melford gewesen sein. Ausgehend von ihrem Schaffen als Komponistin und Interpretin und als Mitbegründerin von zwei Frauenorganisationen (Frauenmusikforum Schweiz, 1984, heute ForumMusikDiversität und Suonodonne Italia, 1994, Rom) bot Flückiger Einblick in ihren reichen Erfahrungsschatz in Sachen «Frau sein» und «Mann sein» am Klavier – politisch, künstlerisch und publizistisch. Der Vortrag war eine leidenschaftliche Hommage ans Klavierspiel.

Die EPTA-Konferenz, welche ursprünglich in den Räumlichkeiten der Musikschule Baar geplant war, musste kurzfristig online durchgeführt. Das ermöglichte, Gäste aus allen Winkeln der Schweiz und auch aus den Nachbarländern willkommen zu heissen. Besonders erfreulich und ergiebig waren daher die Diskussionen im Anschluss an alle Beiträge. Der Kongresstag wurde mit schönen Video-Beiträgen von zwei jungen Musikschülerinnen (Sophie Hohl, Musikschule Brugg; Pauline Schielke, Musikschule Baar) am Klavier umrahmt. Zum Abschluss fand das traditionelle, thematisch freie «Podium der Mitglieder» statt. Die Pianistin Annamaria Savona widmete es einem pädagogischen Thema: Sie gab Einblicke ins Forschungsprogramm «Song leading» des Schweizerischen Nationalfonds, in welchem der Einsatz des Klaviers im Schulunterricht wissenschaftlich untersucht wird. Mit Video-Sequenzen aus Unterrichtssituationen demonstrierte sie die praktischen und pädagogischen Herausforderungen bei der Verwendung von Instrumenten und digitalen Medien für die Einstudierung von neuen Liedern mit Kindern und Jugendlichen.

Zahlreiche Links und Dokumente zur Konferenz können eingesehen werden unter www.epta.ch

Die diesjährige EPTA-Herbstkonferenz findet am Samstag, 13. November 2021, in Vevey statt. Thema: «Le piano et la musique contemporaine» mit Referaten und Konzerten von Jean-Jacques Schmid, Ludovic Van Hellemont, Jean-Claude Charrez, Raphaël Sudan, Antonin Scherrer, Anne Gillot und Victoria Harmandjeva.

Berner Förderakzent «Continuer» verlängert

Die Kulturförderung des Kantons Bern verlängert den Förderakzent «Continuer – Beiträge für Kulturschaffende an Entwicklung und Vertiefung» bis 31. Oktober. Kulturschaffende können sich bis dahin um Beiträge bewerben, die ihnen die Anpassung an die weiterhin unsichere Situation ermöglicht.

Foto: Miguel A. Amutio/unsplash.com (s. unten)

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Kulturschaffen seien nachhaltig, schreibt der Kanton in seiner Mitteilung. Kulturveranstaltungen könnten zwar wieder stattfinden. Die Umsetzungsbedingungen seien aber weiterhin instabil. Die Veranstalterinnen und Veranstalter planen vorsichtig und sehen sich zugleich vor der Herausforderung, eine Vielzahl abgesagter und verschobener Veranstaltungen nachzuholen. Für die Umsetzung neuer Kulturprojekte bleibt wenig Spielraum. Aus diesem Grund verlängert die Kulturförderung des Kantons Bern den im Frühjahr lancierten Förderakzent «Continuer – Beiträge für Kulturschaffende an Entwicklung und Vertiefung».

Mit diesem Förderakzent soll Kulturschaffenden (einzeln oder als Kollektiv beziehungsweise Gruppe organisiert) mit Beiträgen von maximal 10’000 Franken beziehungsweise im Fall von Kollektiven maximal 15’000 Franken ermöglicht werden, ihre künstlerischen Fragen zu vertiefen sowie die Arbeitsweise und Ausrichtung – generell oder in Bezug auf die Pandemiefolgen – weiterzuentwickeln. Bisher konnten 47 «Continuer»-Beiträge an Kulturschaffende oder Kollektive der Sparten Musik, Tanz, Theater, Bildende Kunst und Literatur gesprochen werden.

Mehr Infos:
https://www.erz.be.ch/erz/de/index/kultur/kulturfoerderung/kulturschaffende/kommission_fuer_allgemeinekulturellefragen/Foerderakzent_2021_Continuer.html

Lambert gewinnt Murtener Solistenwettbewerb

Der Fribourger Student Maxime Lambert entscheidet das Valiant Forum für Horn des Festivals Murten Classics 2021 für sich.

Maxime Lambert. Foto: Murten Classics

Der Valiant-Forum-Wettbewerb des Festivals Murten Classics ist auch dieses Jahr als Solistenwettbewerb durchgeführt worden, und zwar für junge Hornistinnen und Hornisten. Am Preisträgerkonzert spielten der 24-jährige Spanier Pere Andreu Gomez sowie der gleichaltrige Maxime Lambert  aus der Schweiz. Beide studieren in Fribourg. Der dritte, Matthijs Heugen (20 Jahre), studiert in Salzburg. Sie spielten die Hornkonzerte KV 417, 447 und 495 von Mozart.

Bei der anschliessenden Siegerehrung durfte Maxime Lambert den ersten Preis, ein Solistenkonzert am Festival Murten Classics 2022 und ein Preisgeld von 2500 Franken, entgegennehmen. Die Jury hat Matthijs Heugen mit dem zweiten Platz und einem Preisgeld von 1800 Franken ausgezeichnet und Pere Andreu Gomez mit dem dritten Platz und einem Preisgeld von 1200 Franken.

Neue Musik in mittelalterlichen Mauern

Das Forum Wallis ist ein international gut vernetztes Festival an einem spektakulären Ort.

Jedes Festival hat seine identitätsstiftenden Säle und Gebäude. Bayreuth hat das Festspielhaus, Salzburg die Felsenreitschule, Luzern das KKL. Und das Forum Wallis hat das einzigartige Schloss Leuk.

Die einstige Sommerresidenz der Sittener Bischöfe aus dem Spätmittelalter, hoch über dem Tal am Eingang des Dorfs gelegen und von Weinbergen umgeben, wurde von Mario Botta architektonisch sanft renoviert und wird seit 1996 von der Stiftung Schloss Leuk verwaltet, die hier ein Kulturzentrum mit internationaler Ausstrahlung eingerichtet hat. In diesem spektakulären Bau hat auch das Forum Wallis Gastrecht. Das dreitägige Festival findet gewöhnlich an Pfingsten statt, doch diesmal wegen der Pandemie erst im August. Als Hauptkonzertsaal dient ein ebenerdiger Raum, in dessen rohem Mauerwerk über den Köpfen noch die diskret beleuchteten Spuren der Zwischenböden und des mächtigen Kamins sichtbar sind. Der akustisch hervorragende Klangraum reicht bis unters Dach, und eine Glasfassade auf der Eingangsseite lässt vergessen, dass man von meterdicken Mauern umgeben ist. Schon dieses einzigartige Ambiente macht den Konzertbesuch zu etwas Besonderem.

Freier Zugang zu den Konzerten

Die Sektion Wallis der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM-VS) veranstaltet das Festival, Programmmacher ist deren Vorsitzender Javier Hagen aus Brig, der zugleich die IGNM Schweiz präsidiert. Zwei Dutzend Institutionen von der Loterie Romande bis zu regionalen Sponsoren finanzieren das Festival. Die Eigeneinnahmen bestehen aus Spenden, der Eintritt ist frei. «Die IGNM-VS», heisst es seitens der Veranstalter, «möchte ausdrücklich den Zugang zu zeitgenössischer Musik und Kultur frei von einem ökonomischen Zwang gewährleisten.» Auch das Dorf Leuk hat etwas davon: Es kann von der Umwegrentabilität profitieren.

Den Räumlichkeiten entsprechend präsentieren die Konzerte vor allem Kammermusik- und Solostücke mit und ohne Elektronik. Eine thematische Ausrichtung gibt es nicht. Es herrscht eine lockere, beinahe familiäre Atmosphäre, man kommt schnell in Kontakt mit den Ausführenden.

Der Festivalchef als Netzwerker und Interpret

Wer glaubt, es handle sich hier bloss um einen Provinztreff, täuscht sich. Die Walliser sind bekanntlich ein rühriges Völkchen, und das nicht nur im Fussball. Javier Hagen, ein kultureller Aktivist aus Leidenschaft, spielt virtuos auf der Klaviatur seiner internationalen Beziehungen. Als begnadeter Netzwerker kann er jederzeit eine Schar vorzüglicher Interpreten für sein Festival abrufen. UMS‘n JIP dient dabei als eine Art Passepartout zu den internationalen Musiker- und Veranstalterkreisen. Das Kürzel ist das Markenzeichen des Duos für Stimme und Blockflöten, das Hagen, ein ausgebildeter Sänger und Komponist, zusammen mit Ulrike Mayer-Spohn bildet. Die Veranstalter sind offensichtlich scharf auf die ausgefallene Besetzung, die beiden kommen auf rund hundertvierzig Auftritte pro Jahr von Europa bis Fernost.

Beim Forum Wallis trat das Duo nun in zwei gross dimensionierten Werken auf. Unter dem Titel Playing with Morton bot es die minimalistischen Three Voices von Morton Feldman in einer Version für Stimme, Blockflöten und Zuspielung. Die Spannung im meditativen Stück hielt es über fünf Viertelstunden mit unerschütterlicher Ruhe aufrecht.

Hier werden die letzten Dinge verhandelt

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Das Duo UMS‘n JIP, Uraufführung von Mathias Steinauers «Einfalt». Videostill: Max Nyffeler

Ein zweiter Auftritt des Duos galt der Uraufführung eines neuen Werks von Mathias Steinauer für Stimme/Synthesizer, Blockflöten und Bildprojektionen: ein elfteiliger Liederzyklus, basierend auf Textfragmenten des chinesischen Dichters Du Fu aus dem achten Jahrhundert. Der Titel Einfalt – er soll auf die Abwesenheit von «falscher Rücksichtnahme, Verstellung und Unredlichkeit» verweisen – ist pures Understatement. Die Inhalte kreisen um das grosse Thema der Vergänglichkeit und werden mit eindringlicher Genauigkeit musikalisch reflektiert. Die Reduktion auf das Wesentliche in Aussage und Verarbeitung hinterlässt einen starken Eindruck. Die klangliche Ebene wird optisch kontrapunktiert durch die Projektion von Bildern von John Lavery (1856–1941), der sich sowohl als Gesellschaftsmaler des Fin de Siècle als auch als Dokumentarist im Ersten Weltkrieg betätigte. Ein visueller Verfremdungseffekt, der die Thematik nochmals in ganz anderem Licht erscheinen lässt.

 

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Lukas Huber: «slow fire | durch mich». Foto: Max Nyffeler

Steinauers Hinwendung zu den letzten Dingen fand eine Fortsetzung in der Soloperformance slow fire | durch mich des um eine Generation jüngeren Lukas Huber. Die Bezeichnung «Oper» war natürlich zu hoch gegriffen, aber in der Absage an unverbindliche Materialexperimente wie an gängige politische Parolen und in der existenziellen Dringlichkeit, mit der er seine Botschaft von der Nichtigkeit unseres Daseins formulierte, traf Huber mit seinem schlicht gehaltenen Auftritt zweifellos einen Nerv. Ein Stuhl, ein Tischlein, ein kleines Gerät für eine einfache Elektronik und eine nackte Glühbirne, die ein trübes Licht verbreitete: Das waren die einzigen Requisiten für seinen gesprochenen und gesungenen Monolog, der mit Zitaten von den alten Griechen bis zu heutigen Schriftstellern angereichert war. Die Besucher bildeten einen Halbkreis um die karge Szenerie. Die Séance endete mit einer sanften missionarischen Geste – zum Abschied erhielt jeder Besucher noch ein kleines Traktat mit den Kernaussagen der Performance in die Hand gedrückt.

Konzertmarathon mit akusmatischer Musik

Das war der Weg nach innen. Die Welt des materiellen Aussen kam in einer «Langen Nacht der neuen Musik» zum Zug. Das Forum Wallis hatte einen weltweiten «Call for acousmatic works» gestartet, Juroren aus vier Kontinenten wählten dann aus den Einsendungen die Stücke aus, die nun in einem Konzertmarathon aufgeführt wurden. Für die Klangregie sorgten junge Komponisten unter der Leitung von Simone Conforti, der am Ircam Paris arbeitet und am Konservatorium von Cuneo unterrichtet. Das ästhetische Spektrum der Arbeiten war weit, doch gab es manche untergründigen Gemeinsamkeiten, so etwa die sinnliche Auffassung von Klang und ein individueller, oft auch spielerischer Umgang mit den Möglichkeiten des technischen Mediums Computer.

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Lange Nacht der neuen Musik. Eine Klangregisseurin während des Klangmarathons. Foto: Max Nyffeler

Elektronische Mittel, jedoch in Verbindung mit Instrumentalspiel live, verwendet auch der zwischen New York und Afrika pendelnde Perkussionist Lukas Ligeti. Auf einer Art Midi-Marimbafon entfaltete er ein virtuoses Spiel, in dem die komplexen Rhythmusstrukturen der afrikanischen Musizierpraxis erkennbar waren. Die Klänge sind im Computer gespeichert und kommen aus dem Lautsprecher, wobei sie durch Anschlagsnuancen in ihrem Charakter tiefgreifend verändert werden können.

Notierte Musik kontra Improvisation

Als Kontrast zur Lautsprechermusik fungierten zwei Improvisationskonzerte. Das Trio Manuel Mengis (Trompete), Roberto Domeniconi (Keyboard) und Lionel Friedli (Perkussion) beendete das Festival mit einer computergestützten Improvisation, die sich zwischen ratlos-verlorenem Herumstochern in Klangbröseln und anarchischer Wildheit bewegte. Ein gerade einsetzender Gewitterdonner lieferte dazu den passenden Kontrapunkt. Gesitteter ging es zu beim Trio Urban Mäder (Stimme, Klangobjekte), Hans-Peter Pfammatter (Synthesizer) und Silke Strahl (Saxofon): drei Individualitäten, die perfekt aufeinander eingestimmt sind und sich zu sensibel geformten Klangprozessen zusammenfinden können. Die Suchbewegungen bei der Entstehung grösserer Spannungsverläufe sind von einer Folgerichtigkeit, als ob sie einstudiert wären.

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Hyper Duo. Gilles Grimaître (rechts) und Julien Mégroz. Foto: Max Nyffeler

Diesem gepflegten Miteinander vorangegangen war ein eruptives Konzert des Hyper Duo aus Biel mit Gilles Grimaître am Keyboard und Julien Mégroz an Perkussionsinstrumenten. In einem einstündigen Parforceritt spielten sie vier durch kurze Überleitungen verbundene Werke von vier Komponisten, jedes auf seine Art von einer Virtuosität, die vor allem das rhythmische Zusammenspiel zu einem Hochseilakt macht. Das war hochgradige Präzision und Spielfreude pur, eine atemberaubende Demonstration musikalischer Manpower. Und auch ein schöner Beweis für die Durchschlagskraft von notierter Musik, wenn sie so leidenschaftlich zum Klingen gebracht wird. Verglichen damit wirkten die Improvisationskonzerte ein bisschen oldschool.

Beeindruckender Nachwuchs

Begonnen hatte das abwechslungsreich programmierte Festival mit einem Muntermacher, der die Handschrift des Ensemble Modern trug. Der Oboist Christian Hommel hatte mit drei Mitgliedern der Internationalen Ensemble-Modern-Akademie Werke von Benjamin Britten bis Rebecca Saunders einstudiert und stellte damit einmal mehr die hohe Interpretationskultur dieses Ensembles unter Beweis. Er selbst brillierte mit dem klanglich wilden, alle physischen Ressourcen mobilisierenden Solostück Ungebräuchliches von Rolf Riem. Die koreanische Geigerin Jae A Shin brachte mit grossem Schwung die eminent schwierige, mit Doppelgriffen gespickte frühe Solosonate von Bernd Alois Zimmermann zu Gehör. Bei solchem Nachwuchs braucht man sich um die Zukunft der Musik keine Sorgen zu machen.

Gründung einer Meyerbeer-Gesellschaft

In der Deutschen Oper Berlin wird am 5. September mit einem Festakt die erste Giacomo-Meyerbeer-Gesellschaft ins Leben gerufen. Sie will dem Werk des deutsch-jüdischen Komponisten zu mehr Beachtung verhelfen.

Giacomo Meyerbeer, Lithographie von Josef Kriehuber, 1847 (Schnitt). Nachweis s. unten,SMPV

Im öffentlichen Bewusstsein, schreibt die Gesellschaft, sei Giacomo Meyerbeer bisher fast ausschliesslich als Komponist der Grand Opéra im Gedächtnis. Dass er auch religiöse Lieder komponiert habe, sei nahezu unbekannt und werde erst jetzt neu entdeckt. Zu seiner Zeit war Meyerbeer bestens vernetzt mit den wichtigsten Komponisten und Intellektuellen.

In den Synagogen der Welt hingegen gehörte Giacomo Meyerbeer zum festen Bestandteil des Gottesdienstes. Darüber hinaus spielte zu Meyerbeers Lebzeiten auch seine Familie eine wichtige Rolle. Sie setzte Massstäbe bezüglich der musikalischen Salonkultur im historischen Berlin, vergleichbar mit der Familie Mendelssohn Bartholdy, und war zudem eine wichtige Kulturträgerin und Mäzenin der deutsch-jüdischen Wissenschafts- und Kulturgeschichte.

Bis heute leidet der Ruf Meyerbeers unter den antijüdischen Ressentiments. Schirmherr der Gesellschaft ist der Intendant der Deutschen Oper Berlin, Dietmar Schwarz.

Mehr Infos: meyerbeer-gesellschaft.de

Architekturwettbewerb für Luzerner Theater

Der Luzerner Stadtrat will für das Neue Luzerner Theater einen Architekturwettbewerb durchführen. Am Theaterplatz soll ein neuer, innovativer und einzigartiger Kulturort entstehen.

Heutiges Luzerner Theater. Foto: Ingo Hoehn (s. unten)

Die Projektierungsgesellschaft und auch der Stadtrat entschieden sich laut der Medienmitteilung der Stadt nach Erörterung verschiedener Optionen für die Durchführung eines zweistufigen anonymen Projektwettbewerbs nach SIA 142. Damit kann in der ersten Stufe ein breiter Fächer an guten Ideen für das Neue Luzerner Theater evaluiert werden. In der zweiten Stufe werden zehn bis zwölf der vielversprechendsten Entwürfe weiter konkretisiert.

So soll am Ende ein innovatives, qualitativ hochstehendes Projekt resultieren. Als Präsident für das Fachpreisgericht konnte der aus der Region Luzern stammende Zürcher Architekt Patrick Gmür gewonnen werden. Ferner engagieren sich internationale, nationale und regionale Persönlichkeiten mit hoher Fachkompetenz. Das Sachpreisgericht wird durch die Auftraggebenden besetzt. Hier geht es darum, dass die Stimme der Nutzenden und der Bestellenden ins Verfahren einfliesst.

Originalartikel:
https://www.stadtluzern.ch/beitraege/1323553

Grammatik korreliert mit Genetik

Ein Team unter Leitung der Uni Zürich hat Sprachfamilien über mehr als 10’000 Jahre zurückverfolgt, indem es unter anderem Daten aus der Musikwissenschaft mit digitalen Methoden kombinierte. Die Resultate erhellen die menschliche Vorgeschichte.

Foto: © Utae Ehara / Universität Zürich (Bildlegende s. unten),SMPV

Das Team verglich die Genome nordostasiatischer Populationen mit digitalen Daten zu ihrer Sprache (Grammatikregeln, Laute, Wortlisten) und ihrer Musik (Struktur, Stil). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Grammatik die Populationsgeschichte besser widerspiegelt als alle anderen kulturellen Daten.

Durch die einzigartige Zusammenarbeit von Genetik und Geographie mit moderner digitaler Linguistik und Musikwissenschaft seien sie dem Verständnis der menschlichen Vorgeschichte einen kleinen Schritt nähergekommen, erklärt dazu Teammitglied Balthasar Bickel, Professor am Institut für Vergleichende Sprachwissenschaft der Universität Zürich. Weitere Analysen seien nötig, um die komplexe Natur der kulturellen und genetischen Evolution zu verstehen. Aber die Entdeckung der Bedeutung des grammatikalischen Faktors sei ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Originalartikel:
https://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2021/Grammatik.html

Bild oben: Die Kultur ist ein wichtiger Faktor für die Rückverfolgung der Bevölkerungsgeschichte. Die Japanerin Utae Ehara spielt die sogenannte Mukkuri, eine Zupfmaultrommel.

Geimpft, genesen oder getestet

Im Opernhaus Zürich und in der Tonhalle Zürich werden ab September am Einlass nicht nur die Billette, sondern auch das Covid-Zertifikat geprüft.

Grosse Tonhalle, 2021. Foto: Georg Aerni

Wer in Tonhalle oder Opernhaus Zürich eingelassen werden will, muss — falls über 16 Jahre alt — geimpft oder von einer Covid-Erkrankung genesen sein oder einen aktuellen Test (PCR- oder Antigen-Schnelltest) vorweisen können. Damit setzen beide Häuser laut einer gemeinsamen Medientmitteilung die aktuelle politische Vorgabe für Grossveranstaltungen mit einer Kapazität von über 1000 Plätzen um.

Darüber hinaus müssen Gäste bis auf Weiteres bei ihrem Besuch eine Maske tragen. So soll der Schutz vor Ansteckungen weiter erhöht und dem Sicherheitsbedürfnis Rechnung getragen werden. Auf Abstand im Zuschauerraum wird hingegen künftig verzichtet.

Andreas Homoki, Intendant Opernhaus Zürich AG, und Ilona Schmiel, Intendantin der Tonhalle-Gesellschaft stehen hinter dem Entscheid. Mit Zertifikat und Maske sei maximaler Schutz gewährleistet. Grosse Oper und grosse Konzerte im halb gefüllten Zuschauerraum wären künstlerisch aber auch ökonomisch hingegen nicht tragbar.

Werk von Karin Wetzel an den Weltmusiktagen

Mit dem Werk «Glass Body» vertritt Karin Wetzel die Schweiz an den ISCM World Music Days 2021 in Shanghai/Nanning, China. Diese Veranstaltung wurde jedoch Corona-bedingt auf März 2022 verschoben.

Karin Wetzel. Foto: Annette Koroll

Die Eingaben der Schweizer Gesellschaft für Neue Musik (ISCM Switzerland) umfassten Werke von Sachie Kobayashi, Tobias Krebs, Fernando Garnero, David Philip Hefti, Fritz Hauser und Karin Wetzel. Wetzel ist somit nach Helena Winkelman (2015), Iris Szeghy (2016), Junghae Lee (2019) und Esther Flückiger (2020) die fünfte Schweizer Komponistin, die mit einer Komposition an den ISCM World Music Days präsent ist.

Die vollständige Liste des ausgewählten Repertoires (sowohl aus den offiziellen Einreichungen der ISCM-Mitgliedsorganisationen als auch aus unabhängigen Einreichungen) sind auf der Website der ISCM zu finden:
https://iscm.org/news/works-chosen-for-the-2021-iscm-wnmd
 

ISCM World Music Days 2021 verschoben

Die Organisatoren der ISCM World New Music Days 2021 in Shanghai und Nanning, China, geben bekannt, dass das Festival aufgrund der anhaltenden Bedrohung durch die Pandemie in der ganzen Welt nicht wie ursprünglich geplant im September 2021 stattfinden kann. Die Organisatoren hoffen, das Festival Ende März 2022 durchzuführen. Nach heutigem Stand würden 2022 somit zwei nachgeholte ISCM-Festivals stattfinden: das von 2021 in Shanghai und Nanning und dasjenige von 2020 in Auckland und Christchurch in Neuseeland.

Die ISCM World New Music Days ist das seit 1923 alljährlich stattfindende Festival der International Society for Contemporary Music, ISCM, und feierte in den letzten 100 Jahren seiner Existenz viele musikhistorisch bedeutende (Ur-)Aufführungen: https://de.wikipedia.org/wiki/Internationale_Gesellschaft_für_Neue_Musik

In der Schweiz wurde das Festival sechsmal abgehalten: 1926, 1929, 1957, 1970, 1991 und zuletzt 2004.
 

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