Schwanengesang?

Der neueste Forschungsstand ist in diese Ausgabe von César Francks «Trois Chorals» eingeflossen.

Monument à César Franck de Alfred-Charles Lenoir (1850-1899). Foto: Siren-Com, wikimedia commons

«Je vais m’atteler avec courage à l’orchestration de Ghiselle, tout en faisant aussi autre chose» – mit diesen Worten umschrieb César Franck seine Aktivitäten im Jahr 1890, Zeichen seiner ungebrochenen Kreativität, trotz der Spätfolgen eines Verkehrsunfalls, die schliesslich zu seinem Tode führen sollten. Mit «autre chose» meinte er wohl zwei Werkzyklen: eine Reihe von gut 60 Harmoniumstücken, veröffentlich unter dem Titel L’Organiste, und die Trois Chorals. Auch wenn diese – wie so viele «letzte Werke» – gerne als Schwanengesang des leidenden Komponisten betrachtet werden, der sich darin noch einmal zu höchster kompositorischer Perfektion und in mystische Sphären aufschwingt, scheint es sich dabei um eine Auftragskomposition des Verlegers Durand gehandelt zu haben, die Franck relativ zügig umsetzte. Autografe Reinschriften deuten darauf hin, dass er auch die Publikation noch vorbereiten konnte. Da die Erstausgabe aber erst um den Jahreswechsel 1891/92 (also über ein Jahr nach Francks Tod) erschien, war es ihm allerdings wohl kaum mehr möglich, Druckfahnen zu korrigieren und die Publikation zu beaufsichtigen.

Friedemann Winklhofers Neuausgabe der Trois Chorals skizziert im ausführlichen Vorwort die Entstehungsgeschichte der Werke und fasst die wesentlichen Erkenntnisse zusammen, die Joël-Marie Fauquet in seiner epochalen, hierzulande leider relativ wenig beachteten Franck-Biografie (Fayard, Paris 1999) zusammengetragen hat. Gewisse Details – einige Registrierungsfragen oder die Namen der Widmungsträger, dankbarer Stoff für die Gerüchteküche – werden sich aufgrund der vorliegenden Quellen wohl nicht abschliessend klären lassen.

Für seinen hier publizierten Notentext scheint der Herausgeber allerdings neben dem Erstdruck auch Einsicht in bisher nicht zugängliche Autografe des ersten und dritten Chorals gehabt zu haben. Diese erlauben verschiedene geringfügige Ergänzungen und Korrekturen des «bekannten» Notentexts, wie ihn beispielsweise Günther Kaunzinger 1991 für die Wiener Urtext-Edition vorgelegt hat (übrigens mit praktisch identischer Paginierung). So sind die eröffnenden Sechzehntel-Figuren im a-Moll-Choral «neu» mit Legato-Bögen zusammengefasst, welche vielleicht die gelegentlich zu hörende «Trommelfeuer»-Artikulation etwas relativieren. Weitere Details lassen sich mit dem ausführlichen Kritischen Bericht überprüfen, führen allerdings nicht zu wirklich bahnbrechenden neuen Erkenntnissen. Interpretatorische Hinweise, so eine Stellungnahme zum «ewigen» Problem der Koppelmöglichkeiten des Récit-Manuals, sind nur im Vorwort angesprochen, der eigentliche Notentext ist dann aber neutral gehalten und verzichtet auch auf die englischen Registrierungsangaben des Erstdrucks oder auf deutende Ergänzungen des Herausgebers.

Fazit: eine zuverlässige und auf dem neuesten Stand der Franck-Forschung stehende Ausgabe in klarem und elegantem Notenbild. Und bereits ist eine weitere Franck-Edition aus dem Hause Bärenreiter angekündigt …

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César Franck, Trois Chorals pour Grand Orgue, hg. von Friedemann Winklhofer, HN 975, € 26.00, G. Henle Verlag, München 2013

Umgearbeitet für Frauenchor

Grosse Chorwerke von Vivaldi, Mozart und Pergolesi in gleichstimmigen Versionen.

Bild: semmickphoto – Fotolia.com

In Chören herrscht oft Mangel an Männerstimmen. Umgekehrt suchen Frauenchöre nach neuen Schwergewichten im Repertoire. Dies bringt die Verlage dazu, Werke für gemischten Chor oder Solisten in neuer Gestalt herauszugeben. Hier einige Beispiele von Bärenreiter.

Vivaldis bekanntes Gloria entstand 1716 im Ospedale della Pietà, einem Waisenhaus in Venedig, wo Vivaldi als Betreuer und Musiker wirkte. So liegt die Vermutung nahe, dass es auch dort, und somit ausschliesslich von Kinderstimmen aufgeführt wurde. Die Bearbeitung von Malcolm Bruno zeigt, dass diese meisterhafte Komposition auch in der Fassung für gleiche Stimmen keine qualitativen Einbussen erlebt.

Das Kyrie für zwei vierstimmige Frauenchöre und zwei Streichergruppen entfaltet in dieser Bearbeitung einen eigenen Reiz. Kombiniert mit dem Gloria ergibt sich gewissermassen eine kurze Messvertonung.

Von Mozart sind die allseits beliebte Krönungsmesse und die Missa brevis in D für dreistimmigen Frauenchor erschienen. Solche Umarbeitungen erfordern Fachkompetenz und musikalische Einfühlung. Heribert Breuer versucht, die Substanz der Originalversionen zu bewahren, und gibt ihnen gleichzeitig einen neuen Klangcharakter.

In der Aufführungsgeschichte von Pergolesis Stabat mater deutet einiges darauf hin, dass es schon früher chorische Aufführungen gegeben hat. Die Neubearbeitung von Malcolm Bruno mischt solistische Ariensätze mit dreistimmigen Chören und Sätzen für drei Einzelstimmen, wobei das vorhandene musikalische Material die Grundlage für die neu hinzugefügten Stimmen bildete. Das Repertoire für Frauenchor ist damit durch ein weiteres berühmtes Werk erweitert.

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Antonio Vivaldi, Gloria RV 589, bearb. für Chor SSAA von Malcolm Bruno, Partitur BA 8953, € 12.95,Bärenreiter, Kassel 2012
id., Kyrie RV 587, BA 8954, € 12.95

Wolfgang Amadeus Mozart, Missa in C KV 317 «Krönungsmesse», bearb. für Frauenchor SMA von Heribert Breuer, Partitur, BA 5691, € 30.95, Bärenreiter, Kassel 2013
id., Missa brevis in D KV 194, Klavierauszug, BA 5690-90,
€ 8.75

Giovanni Battista Pergolesi, Stabat mater, bearb. für Frauenchor SMA von Malcolm Bruno, Partitur, BA 5692,
€ 24.95, Bärenreiter, Kassel 2013

 

Licht und Nachklang

Heftis zweites Klaviertrio «Lichter Hall» verlangt ungewohnt Spieltechniken von den Streichern.

Foto: Petra Dirscherl/pixelio.de

David Philip Hefti komponierte dieses Werk im Auftrag des Medea Trios, das die Komposition am 16. Oktober 2012 in der Wigmore Hall in London zur Uraufführung brachte. Es ist als kompaktes, einsätziges und helles Gegenstück zum ersten Klaviertrio Schattenspie(ge)l konzipiert. Verschiedene Impulse ziehen Ruhepunkte – gleichsam als Echo – nach sich und entwickeln sich stetig vom anfänglichen Stocken zur fliessenden Bewegung. Die anschliessende Cantabile-Passage, die aus seinem Orchesterwerk Moments lucides als Nachhall anklingt, löst sich in einen schattenhaften Schluss auf.

Die Streicher werden in verschiedenen exotischen Spielweisen gefordert: Klopfen, Kratzen, Knirschen, «irisierendes und zischendes Pizzicato» (macht Spass zum Ausprobieren!) und Flageolett-Sternschnuppen. Ein «richtiges» Cantabile ohne Doppelgriffe erhalten sie erst bei der erwähnten Reminiszenz aus dem Orchesterstück. Technisch ist dieses einsätzige, neun Minuten dauernde Klaviertrio nicht allzu schwierig – für Berufsmusiker, versteht sich, und zwar solche mit Sinn für neuartige Klänge!

Weil der Rhythmus praktisch nie durchhörbar ist, fragt es sich, ob Spielpartituren auch für die Streicher nicht sinnvoller wären als die vorliegenden Einzelstimmen. Da steht den Ausführenden von Lichter Hall viel Bleistiftarbeit bevor!

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David Philip Hefti, Lichter Hall, Trio Nr. 2 für Violine, Violoncello und Klavier, Partitur und Stimmen, GM 1887, Fr. 36.00, Edition Kunzelmann, Adliswil 2012

Pollock Stipendiatin beim Deutschen Musikwettbewerb

Die in Zürich geborene Posaunistin und Branimir-Slokar-Schülerin Louise Anna Pollock ist eine der Stipendiatinnen des Deutschen Musikwettbewerbs. Gewonnen hat den 40. Deutschen Musikwettbewerb der 22 Jahre alte Pianist Frank Dupree.

Foto: Deutscher Musikrat

Dupree setzte sich in der Finalrunde in Bonn als einziger Künstler durch und wurde vom Vorsitzenden des Beirats Siegfried Mauser mit dem Preis des Deutschen Musikwettbewerbs 2014 belohnt. Zwölf weitere junge Solisten und Kammermusikensembles wurden für ihre Leistungen mit einem Stipendium ausgezeichnet, darunter die Posaunistin Louise Anna Pollock.

Louise Anna Pollock wurde 1988 in der Schweiz geboren und begann ihr Posaunenstudium 2008 bei Branimir Slokar an der Hochschule für Musik Freiburg im Breisgau. Seit ihrem Bachelorabschluss studiert sie bei Henning Wiegräbe an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart.

Pollock hat bereits zahlreiche Preise als Solistin und Kammermusikerin gewonnen, darunter das Stipendium des Bundespräsidenten beim Mendelssohn-Wettbewerb. Sie spielt seit September 2013 als Praktikantin bei den Stuttgarter Philharmonikern.

Biberacher Jazzpreis 2014 geht an Sid

Die Sängerin und Komponistin Rea Dubach, der Schlagzeuger Daniel Weber, und der Pianist Luzius Schuler, alles Absolventen der HKB (Hochschule der Künste Bern), haben mit ihrer Band SÌd den Biberacher Jazzpreis 2014 gewonnen.

Bild: zvg

Der Biberacher Jazzpreis ist laut Eigencharakterisierung «einer der wenigen international ausgeschriebenen Preise für den Jazznachwuchs und nach mehr als 20 Jahren zu einer festen Einrichtung geworden». Vor allem für die jüngeren Jazzmusiker und -musikerinnen biete er eine Alternative zu den grossen nationalen und internationalen Wettbewerben.

Den zweiten Preis hat heuer die Gruppe Curious Case gewonnen, den dritten Krassport, die vierten bis sechsten Preise gehen an ttrio akk:zent, Turn und No-Look-Pass. Insgesamt bewarben sich knapp 50 Formationen um die Preise.

Die bernisch-deutsche Gruppe Sid um die Sängerin Rea Dubach ist inspiriert von den Klangwelten Finnlands, Schwedens, Irlands und Islands, und klingt «mal mystisch, dunkel und schrill», mal «ganz zart, luftig und zerbrechlich».
 

 

 

Softwaregestützte Analyse von Jazzimprovisationen

Im Rahmen eines «Jazzomat» getauften Projektes des Weimarer Musikwissenschaftlers Martin Pfleiderer kann gratis eine Software bezogen werden, die sich als Werkzeugkasten für die Analyse von einstimmigen Melodien, speziell Jazzimprovisationen, nutzen lässt.

Foto: Innovated Captures – Fotolia.com

Die so genannte MeloSpySuite ist ein frei verfügbares Stand-Alone-Software-Toolkit, das mehrere Befehlszeilen-Programme zur Analyse einstimmiger Melodien, insbesondere Jazzimprovisationen, umfasst.

Eingeschlossen ist die Weimarer Jazz Datenbank, die derzeit mehr als 100 Jazzsolos verschiedener Musiker und Stile umfasst. Die Solos wurden in einem MIDI-artigen Format, zusätzlich wurden metrische Informationen, Akkorde, Formteile und Phrasenunterteilung sowie umfassende Metadaten zu Stil, Genre, Tempo und rhythmischem Feeling von Experten annotiert.

Ausserdem enthält das Software-Paket eine Version der Essener Volksliedsammlung mit etwa 8000 Volksliedern aus Zentral-, West- und Osteuropa. Die Veröffentlichung einer Jazzomat Web Application, die auf der MeloSpySuite aufbaut, ist für Ende 2014 geplant.

Kostenloser Download: jazzomat.hfm-weimar.de/download/

Churer Anerkennungspreis für Rolf Caflisch

Die Stadt Chur verleiht in diesem Jahr je einen Anerkennungspreis an die bildende Künstlerin Ursula Palla und an den Musiker Rolf Caflisch. Förderpreise erhalten unter anderen die Band Waving Hands mit Hannes Barfuss und Yassin Mahdi sowie die Theatergruppe Stevvi Production.

Rolf Caflisch mit Led Airbus in der Alten Kaserne Zürich. Foto: Aaron Schwartz

Der 1978 geborene Rolf Caflisch wird für sein langjähriges kulturelles Engagement und musikalisches Schaffen im Bereich Jazz geehrt. Den Förderpreis erhält die Band Waving Hands mit Hannes Barfuss (*1990) und Yassin Mahdi (*1990) für ihre experimentellen Klangwelten und kreativen Musikvideos. Sowohl die Anerkennungs- als auch die Förderpreise sind mit je 4000 Franken dotiert.

Der aus Chur und Trin stammende Rolf Caflisch ist Mitglied verschiedener Musik-formationen aus den Bereichen Pop, Rock, Folk und Jazz, als Freelancer und Studiomusiker in unterschiedlichste Projekte involviert sowie Initiator und Organisator der Konzertreihen JazzTga-min, ParkUnplugged und WEEKLY Jazz.

Als Schlagzeuger und Bandcoach unterrichtet Rolf Caflisch an verschiedenen Musikschulen. Er studierte an der Idruma Lissabon, der Jazzschule in St. Gallen sowie an der Schlagzeugschule Rhythmstixx in Bern.

Die Band Waving Hands mit Hannes Barfuss und Yassin Mahdi spielt seit 2012 in Chur, Graubünden und der ganzen Schweiz. Die Musik, Electropop im weitesten Sinne, strahlt Wärme, Experimentierfreudigkeit und Vielfältigkeit aus. 2013 wurde Waving Hands vom Schweizer Fernsehen an die Konzertshow 8×15 eingeladen. Ausserdem konnte sie am m4music Popmusikfestival des Migros-Kulturprozent an der Ausscheidung um das beste Demotape des Jahres teilnehmen.

 

Zürich ehrt den Musikverleger Patrik Landolt

Die Stadt Zürich ehrt den Musikproduzenten und -verleger Patrik Landolt mit einer mit 15’000 Franken dotierten Auszeichnung für allgemeine kulturelle Verdienste. Der mit 50’000 Franken dotierte Kunstpreis 2014 der Stadt geht an den Theaterregisseur Werner Düggelin.

Ausschnitt aus einem Intakt-Cover

Patrik Landolt setze sich als Musikverleger und Musikproduzent unermüdlich für die experimentelle Musik und den zeitgenössischen Jazz ein, schreibt die Stadt Zürich in ihrer Würdigung. Er war Gründungsmitglied des Vereins «Fabrikjazz» und der Jazz-Festivals «Taktlos» und «Unerhört!».

Mit dem Label Intakt Records veröffentlicht Landolt seit 1986 hauptsächlich zeitgenössische Jazzmusik im Grenzbereich zwischen Improvisation und Komposition. Profitieren können von dieser Arbeit viele Schweizer, aber auch internationale Musikerinnen und Musiker.

Landolt sei ein umtriebiger Netzwerker, engagierter Veranstalter, kompetenter Förderer und erfolgreicher Promotor der Zürcher Jazzszene, heisst es in der Mitteilung weiter.

Werkbeiträge für Luzerner Kulturschaffende

Kanton und Stadt Luzern fördern gemeinsam Künstlerinnen und Künstler durch Beiträge, die jährlich im Rahmen von Wettbewerben vergeben werden. 2014 gehen sie an Freie Kunst und Fotografie, Komponierte Musik, Theater und Tanz sowie Programme von Kulturveranstaltern.

2013 wurde unter anderen das Luzerner Jazzorchester gefördert. Foto: ©foto-graf.ch

Im Bereich «Komponierte Musik» werden auch Eingaben aus dem Bereich Volksmusik erwartet. Dies entspreche einem früheren Entscheid der Wettbewerbskommission, in diesem Feld aktiv zu werden, schreiben die Stadt und der Kanton.

«Theater und Tanz» seien wichtige Fördergebiete – gerade auch im Hinblick auf den Planungsbericht Kulturförderung und den gezielten Aufbau einer starken Freien Szene. Mit der Sparte «Programme von Kulturveranstaltern» sollen Fördergelder auch in die Luzerner Landschaft fliessen.

Für Werkbeiträge stehen den vier Jurys dieses Jahr total 250‘000 Franken zur Verfügung. Abgabetermin der Dossiers ist der 11. Juli 2014.
 

Mehr Infos: www.werkbeitraege.ch

Bei dieser stimmig ausbalancierten «Winterreise» wird der Tenor von einer Gitarre begleitet.

Mehr als 50 Einspielungen gibt es schon von Franz Schuberts Winterreise – für eine weitere Aufnahme sollten gute Gründe gegeben sein. André Fischer (Gitarre) und Raphaël Favre (Tenor) argumentieren mit dem «Meisterwerk». Die Besonderheit aber liegt eher bei der Gitarre, die in diesem Fall das gewohnte Klavier ersetzt. Fischer hat sich bei seiner Transkription an den Übertragungen des deutschen Gitarristen Tilman Hoppstock sowie an denen des Japaners Masanobu Nishigaki orientiert. Hoppstock spielte zwölf Lieder der Winterreise auch schon ein mit dem bekannten Tenor Christoph Prégardien (Christophorus 77352, 2011).

Von einer Innovation kann man also nicht sprechen – wohl aber von einer besonderen Bereicherung des CD-Regals! Nichts Erzwungenes oder Forciertes hat diese komplette Winterreise mit allen 24 Liedern an sich. Alles klingt natürlich. Der gerade Ton Raphaël Favres trägt seinen Teil dazu bei. Nichts von kitschiger Melodramatik und billigem Vibrato in der Gesangspartie, die sich dem verbindlich-persönlichen Ton der Gitarre anschmiegt. Bernhard Hanke, der Tontechniker, findet exakt das richtige Verhältnis von Intimität und Klangentfaltung. Feiner könnten die dynamischen Verhältnisse zwischen Stimme und Gitarre nicht sein.

Einziger Kritikpunkt: die in Download-Zeiten wichtige Verpackung. Es wimmelt von orthografischen «Eigenheiten», die auch vor einem der grössten Komponisten nicht halt machen. Zu einem «F. Scubert», wie er auf dem CD-Rücken steht, sollte man dennoch greifen. Ruhig auch des Öfteren!

Der Leiermann (ganz)

Erstarrung (Ausschnitt)
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Franz Schubert: Winterreise

Raphaël Favre, Tenor
André Fischer, Gitarre
Stradivarius STR 33981
www.andrefischer.ch

 

Wie gesprochen

Mit Streichquartetten von Jean-Jacques Dünki und Alexander von Zemlinsky stellt sich ein neues Label vor, das zur Hör-CD auch Videomaterial bietet.

Zemlinsky-Quartett. Foto: Tomáš Bican,Jean-Jacques Dünki,Jean-Jacques Dünki

Eine leise aufsteigende Linie in der zweiten Violine, die allmählich an Selbstbewusstsein gewinnt. Dann sind ein hohes Tremolo und vorsichtige Pizzicati zu hören. Jean-Jacques Dünkis Streichquartett Madrigaux beginnt tastend – als müsse sich das Zemlinsky-Quartett die Klangwelt erst nach und nach erschliessen. Die Musiker laden Töne mit Bedeutung auf; fast sprachähnlich wirkt die Interpretation. Der Basler Pianist und Komponist hat sich, wie man im Booklet erfährt, für das Werk von sieben verschiedenen Texten (von Giacomo Leopardi bis Franz Kafka) inspirieren lassen, die durch Hinfälligkeit und Vergänglichkeit geprägt sind. Wer mehr Informationen möchte, kann sich die halbstündige, ein wenig fahrige Einführung von Elmar Budde anschauen, die auf der beigelegten Blue-Ray-Disc (neben der Konzertaufnahme) zu sehen ist. In Auftrag gegeben hatte das Werk die Gesellschaft für Kammermusik Basel, deren künstlerischer Leiter Laurentius Bonitz auch das Label bmn-medien gegründet hat. Der hier vorliegende plastische Konzertmitschnitt ist die erste Produktion.

Im zweiten Satz «al pié» von Dünkis Quartett werden Tonrepetitionen mit grösster Wucht gehämmert, ehe ein Machaut-Zitat für eine ganz andere Klangwelt sorgt. Das Adagio «clave» weist tonale Anklänge und einen schwebenden Streichersatz auf. Insgesamt zerfällt Madrigaux ein wenig in seine Einzelteile. Es fehlen zwingende Entwicklungen und zusammenhangstiftende Elemente.

Die an die Sprache erinnernde Deutlichkeit der Interpretation setzt sich auch bei Zemlinskys erstem Streichquartett fort. Da wird nicht nur im melosgetränkten Kopfsatz genauestens artikuliert. Der schlanke, helle, genau ausbalancierte Klang des Ensembles dient der Transparenz. Das Furiant-Trio des Allegrettos platzieren die vier Tschechen, die sich auch nach Zemlinsky nenen, auf dem Tanzboden; im dramatisch auflodernden dritten Satz haben sie einen langen Atem. Auch wenn der erste Geiger František Souček nicht immer ganz höhensicher ist, überzeugt das Quartett insgesamt als homogenes Kollektiv. Die Mannschaft ist der Star.

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Madrigaux I
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Madrigaux IV
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Jean-Jacques Dünki: Madrigaux (2011/12), Uraufführung. Alexander von Zemlinsky: Streichquartett Nr. 1 in A-Dur op. 4, Zemlinsky-Quartett (František Souček, Petr Střižek, Petr Holman, Vladimír Fortin), CD & Blue-Ray-Disc, bmn-medien 20131. www.bmn-medien.eu

Singstimmtherapie mit professionellen Sängern

Die Begleitung professioneller Sänger ist in der Stimmtherapie Freude und Herausforderung zugleich. Sie kommen in der Regel allerdings erst unter Leidensdruck, wenn Probleme schon sicht- und hörbar sind.


Professionelle Sänger suchen oft erst Hilfe, wenn Konzerte abgesagt oder Aufnahmetermine verschoben werden müssen und der existenzielle Druck steigt. Durch Druck wird aber das Körperinstrument, das bei Sängern den Klang am unmittelbarsten beeinflusst, weiter verstimmt. Vor allem der Regelkreis Atmung – Haltung – Kehlkopfaufhängung gerät durcheinander, Fehl-und Kompensationsspannungen sind die Regel, es kann zu regelrechten Teufelskreisen kommen.


Beispiele aus der Praxis


Die Stimme der 24-jährigen B., Studentin einer Jazzschule, bricht im oberen Bereich immer wieder unkontrolliert weg, Höhe ist mit grosser Anstrengung verbunden. Die fachärztliche Diagnose: hyperfunktionelle Dysphonie, beginnende Knötchenbildung. B. hat eine klare Klangvorstellung, sie möchte auch in der Höhe einen souligen, vollen Bruststimmklang haben. Diesen versucht sie, durch Hochziehen des Brustregisters zu erreichen und stützt dabei zu wenig. Zunächst wird ein Stimmentlastungsprogramm zusammengestellt, damit die Stimme druckarm frei schwingen kann. Danach arbeiten wir «klassisch» am Ausbau des Kopfregisterklangs und B. entdeckt, dass auch dieser sehr voll und direkt sein kann, aber mit weniger Druck auskommt. Jetzt geht es ums Mischen der verschiedenen Klangfarben in der Höhe, immer wieder auch um eine verbesserte Stütztechnik, ein Einsingprogramm und stimmhygienische Massnahmen. In der zweiten Hälfte der Therapie ist der Austausch mit der Gesangslehrperson von B. rege und befruchtend.


Bei der 51-jährigen freischaffenden Opernsängerin M. kommen viele Faktoren zusammen: Rückenprobleme nach Unfall, vorbestehendes Asthma, grosser Gewichtsverlust in kurzer Zeit und beginnende hormonelle Umstellungen. Die Stimme bricht in der mittleren und höheren Lage plötzlich komplett weg oder detoniert, das Vibrato klingt wabbelig, ausgehaltene Töne sind nicht möglich, Legato- und Pianosingen ebenso wenig. Ist das Stimmfach adäquat? Die Sprechstimme ist kaum betroffen. Einige Engagements verlaufen unbefriedigend, der Druck ist gross. Fachärztliche Diagnose: funktionelle Dyspho-nie/Dysodie. So vielfältig wie die Ursachen im Fall M. ist die Therapie. Neben konsequentem Fitnesstraining zum Wiederaufbau von Haltemuskulatur und körpertherapeutischer Arbeit arbeitet M. mit einer Gesangspädagogin und mit mir. Anfangs geht es darum, zu orten, warum die Stimme wegbricht. Stütze und Stimmsitz müssen den neuen körperlichen Gege-benheiten zum Teil deutlich angepasst werden.


Nachdem die Grundlagen wieder halbwegs verlässlich funktionieren, liegt die Entscheidung über den Schwerpunkt der jeweiligen Lektion immer mehr bei M. Geht es um Beckenbodenbeteiligung, um Randkantenverschiebung, um Stimmansatz in der hohen Lage, den Vokalausgleich, um konkrete Beispiele aus der anstehenden Literatur? Wir hören Bänder von Engagements ab und tauschen uns mit der Gesangspädagogin und dem Facharzt aus. Anfangs sehen wir uns häufig, mit der Zeit werden die Abstände zwischen den Sitzungen grösser und haben eher Supervisionscharakter.


Kompetenter Umgang mit der Stimme


Bei Profisängern geht es – wie bei Laien auf anderem Niveau – immer um die gleiche Grundlage: das Einstellen des Instrumentes. So die Wechselwirkungen des Spannungszustandes und die Zusammenarbeit der queren Strukturen Beckenboden – Zwerchfell – Stimmlippen – Zungengrund – Gaumensegel, das heisst die Aufrichtung und die «innere Haltung». Dazu kommt die Arbeit an der «äusseren Haltung», der Rumpf- und Atem-muskulatur sowie der Kopfhaltung, die die Kehlkopfaufhängung bedingt. Ausserdem die Ökonomisierung des Druckgleichgewichts auf der Stimmbandebene sowie die Optimierung des Klangraums (des «Ansatzrohrs») und der Artikulation. Die Stärkung der Eigenwahrnehmung und der (Wieder-)Aufbau des Vertrauens in die eigene Kompetenz im Umgang mit der Stimme sind gegen Ende des gemeinsamen Weges zentral.


Unabsehbarer Osten

Wie klingt traditionelle japanische Musik? Wie erging es dem Schweizer Dirigenten Michel Rochat in der Türkei und in Taiwan? Warum kommen Musikerinnen und Musiker aus Asien nach Europa? Im Jahr der tschechischen Musik gehen die Theresienstädter Komponisten fast vergessen. Und schliesslich der Blick eines in New York lehrenden österreichischen Komponisten auf die Schweiz.

Unabsehbarer Osten

Wie klingt traditionelle japanische Musik? Wie erging es dem Schweizer Dirigenten Michel Rochat in der Türkei und in Taiwan? Warum kommen Musikerinnen und Musiker aus Asien nach Europa? Im Jahr der tschechischen Musik gehen die Theresienstädter Komponisten fast vergessen. Und schliesslich der Blick eines in New York lehrenden österreichischen Komponisten auf die Schweiz.

Focus

Un monde complexe
La musique traditionnelle japonaise frappe par sa diversité et par une multitude de genres différents

Le Suisse qui écrivait pour l’opéra traditionnel taïwanais
Entretien avec Michel Rochat, qui a travaillé des années en Extrême-Orient

Masseneinwanderung im Klassikbetrieb?
Musikerinnen und Musiker aus Asien in Europa

Im Gedenkjahr vergessen
Die Theresienstädter Komponisten Victor Ullmann, Hans Krása, Pavel Haas und Gideon Klein

Welcome home
Der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas blickt auf die Schweiz

 

… und ausserdem

RESONANCE


Un spectacle musical sur des textes d’Aloïse Corbaz

Neues Dreigespann in der Tonhalle Zürich

Grobes und Feines aus der Schweiz an der MaerzMusik in Berlin

Louis Niedermeyer est de retour

Mauern, das Jetzt und der Tod: The bianca Story in Berlin

Vom Altai bis in die Alpen mit dem Projekt «AgulA»

Müssen Orchester flexibler werden?

Rezensionen Klassik — Neuerscheinungen Bücher, Noten, CDs

Carte Blanche mit Michael Eidenbenz

 

CAMPUS

Onstage : un siècle et demi de programmes numérisés

Kompetenznetzwerk Musikvermittlung Schweiz +

klaxon Kinderseite
 

FINALE

Rätsel: Pia Schwab sucht

 

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Welcome home

Die Schweiz war für ihn schon immer Mitteleuropa, genauso wie sein Geburtsland Österreich. Der Komponist Georg Friedrich Haas im Gespräch.

Grossgliederung Europas gemäss StAGN. Bild: WikimediaCommons
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Die Schweiz war für ihn schon immer Mitteleuropa, genauso wie sein Geburtsland Österreich. Der Komponist Georg Friedrich Haas im Gespräch.

In einem kleinen Ort in Vorarlberg, dem westlichsten Bundesland Österreichs, hat Georg Friedrich Haas seine Kindheit verbracht. Studiert man die Länderumrisse Mitteleuropas, könnte man meinen, dass Vorarlberg und Tirol wie der Rüssel eines Elefanten bis in die Schweiz hineinragen, zwischen Deutschland und Italien, wobei Vorarlberg die Rüsselspitze darstellt. Dieses Bild mag seltsam anmuten, und doch bietet es sich als Analogie für die Situierung dieses westlichen Vorarlberger Ortes namens Tschagguns an: Der Rüssel ist ein flexibles, mit einem sensiblen Tastgefühl begabtes Organ, das dem Elefanten zur sozialen Interaktion mit den anderen Elefanten dient. – In Tschagguns wird eine alemannische Sprache gesprochen, während der überwiegende Teil Österreichs dem bairischen Sprachraum angehört, zudem liegt der Ort direkt an der über den Gebirgskämmen des Rätikon verlaufenden Landesgrenze, und drittens verläuft die Wasserscheide zwischen den Stromgebieten des Rheins und der Donau östlich dieses Ortes. Tschagguns liegt also im Einzugsgebiet des Rheins, während Österreich weitgehend dem der Donau zugehörig ist. Daher lässt sich auch erklären, weshalb die Himmelsrichtung «Osten» in unserem Zusammenhang nicht die Bedeutung Entfernung und kulturelle Andersartigkeit impliziert. So meinte Georg Friedrich Haas auf die Frage hin, ob er zu einem Gespräch zur SMZ-Ausgabe zum Thema «Osten» bereit wäre, dass er aus umgekehrter Perspektive beim Thema «Westen» niemals an die Schweiz, wohl aber an Frankreich, Irland, die USA und Kanada gedacht hätte. Und er fügte hinzu: «Die Schweiz war für mich immer Mitteleuropa. Genauso wie Österreich.»

«Ich hatte eigentlich nie das Gefühl, dass die Schweiz etwas vollkommen anderes ist. Es gibt natürlich gewisse Unterschiede. Damals schon, wenn wir über die Grenze in die Schweiz fuhren, fiel mir auf, dass die Ortschaften an den Hängen viel höher hinaufreichen als in Österreich.» In unserer Unterhaltung fallen Worte wie «Wachstum» und «Wohlstand», Begriffe, die seit dem 9. Februar für vieles herhalten müssen. Auch wenn Georg Friedrich Haas seit dem vergangenen Sommer nicht mehr in Basel lebt, wo er von 2005 bis 2013 als Kompositionsprofessor wirkte, ist er ein wachsamer Beobachter des hiesigen politischen Geschehens. Im September des vergangenen Jahres hat er an der New Yorker Columbia University in der Nachfolge Tristan Murails eine Kompositionsprofessur angenommen. Es sind also nicht mehr nur acht Kilometer Entfernung zur Schweiz, sondern weit über 6000. Es war zwar nicht geplant, über Politik zu sprechen, doch das Thema drängte sich uns geradezu auf. Dass sich die Folgen des Abstimmungsergebnisses nun ausgerechnet bei den Erasmus-Geldern zuerst bemerkbar machen, bedauert Haas zutiefst. «Vermutlich haben nur ganz wenige jener Schweizerinnen und Schweizer, die vom Erasmus-Projekt persönlich betroffen sind, bei dieser Abstimmung mit ‹Ja› gestimmt. Das, was mit am dringendsten notwendig ist, nämlich die Förderung internationaler Beziehungen auf hohem intellektuellem Niveau, wird als erstes abgestellt. Man sieht, wie falsch die Werkzeuge greifen.»

«Für so etwas gibt es keine musikalische Sprache»

Aus seinen Worten hört man heraus, dass sein Leben als Mensch mit dem des Musikers eine untrennbare Einheit bildet. Wir kommen auf in vain («vergeblich») zu sprechen, ein einstündiges Werk für 24 Instrumente, das Simon Rattle als «eines der grossen Meisterwerke des 21. Jahrhunderts» bezeichnet hat. Mit dieser Musik reagierte Haas auf das Erstarken der politischen Rechten in Österreich zum Ende des 20. Jahrhunderts. 1999 kam es dort im Zuge der Nationalratswahlen zur Regierungsbeteiligung einer Partei (FPÖ), deren Vorsitzender Haider bereits seit über einem Jahrzehnt aufgrund mitunter extrem rechtspopulistischer Parolen und eines augenzwinkernden, unsauberen Umgangs mit der Nazivergangenheit für heftigste Kritik im In- und Ausland gesorgt hatte. Alle damaligen EU-Mitgliedstaaten, zudem Kanada, Israel und Norwegen setzten ihre politischen Kontakte mit der schwarz-blauen Regierung Österreichs vorübergehend auf Sparflamme. Derartige Massnahmen, die als «Sanktionen» bezeichnet wurden, richteten sich selbstverständlich nicht gegen Österreich als Ganzes, sondern blieben auf den Umgang der Regierungen untereinander beschränkt. Paradoxerweise bewirkten sie jedoch, dass sich plötzlich viele mit der schwarz-blauen Koalition solidarisierten, die ihr gegenüber zuvor sehr skeptisch eingestellt waren. Der Komponist bemerkt dazu, Haider habe die EU vermutlich vorsätzlich provoziert. Der Politiker habe diese Sanktionen, diesen Druck von aussen auf Österreich gebraucht, um einen Solidarisierungseffekt im Inneren des Staates zu erreichen. Klingt hier eine Warnung hinsichtlich der diplomatischen Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz an? Vielleicht. Jedenfalls handelt es sich dabei keineswegs um die Verkündung schulmeisterlicher Gewissheiten oder gar politischer Ideologien, sondern um seismografische Beobachtungen eines sensiblen Musikers, der sein kompositorisches Schaffen niemals direkt in den Dienst der Politik stellen würde und der das Privileg hat, aus der Freiheit und Unabhängigkeit eines Intellektuellen heraus öffentlich Stellung zu beziehen.

«Ich bin ein politisch aktiv lebender Mensch. Ich habe dementsprechend auch versucht, mein politisches Bewusstsein in die Kunst einzubringen, habe aber mehr und mehr verstanden, dass das nicht funktioniert und ich glaube, bei in vain ist dieser Kontrast besonders stark: Das Thema von in vain ist ja nicht konkret die Regierungsbeteiligung einer österreichischen Partei mit einer problematischen Beziehung zur Nazi-Vergangenheit. Daraus kann man keine Musik machen. Man kann einen Text schreiben, man kann protestieren, aber man kann keine Musik machen. Musik mache – nein, machte ich sozusagen über die Verzweiflung darüber, dass Dinge, die man für überwunden geglaubt hat, wieder da sind. Die musikalische Katastrophe von in vain ist die Tatsache, dass es eine Reprise gibt: Am Ende des Stückes nach einem beinahe eine Stunde lang andauernden Prozess ist man wieder dort, wo man am Anfang war. Von meinem politischen Standpunkt her würde ich kritisieren, dass das musikalische Material, das ich überwinden möchte und das dann doch wiederkehrt, viel zu schön ist, um als Symbol für diese widerwärtigen politischen Ereignisse geeignet zu sein. Für die Leute, die damals an die Macht gekommen waren, wäre ja sogar eine Generalpause noch zu schön! Für so etwas gibt es keine musikalische Sprache. Es sind seit der Arbeit an diesem Werk dreizehn Jahre vergangen. Ich habe danach aufgehört, aus einem politischen Bewusstsein heraus konkret Musik zu machen. Hinzu kommt, dass die Möglichkeit politischer Partizipation stark eingeschränkt ist, wenn man im Ausland lebt.»

Blick auf die Schweiz

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Doch blickt Haas mit Freude auf seine Schweizer Jahre zurück: «Die Basler Musikhochschule ist ein wunderbarer Ort», schwärmt er. «Die intensive Zusammenarbeit zwischen Instrumentalausbildung und Aufführungspraxis neuer und neuster Musik ist einzigartig. Überhaupt fasziniert mich, in welcher Weise die Kunst des 20. Jahrhunderts in der Schweiz Bestandteil des allgemeinen Bewusstseins ist. Sehen Sie sich die Banknoten an: Arthur Honegger! Stellen Sie sich vor, auf einer österreichischen Banknote wäre Gustav Mahler abgebildet.» Er lacht und bemerkt: «Ich will ja gar nicht so weit gehen, mir Anton Webern zu wünschen.»

Wir kommen wieder auf unser eigentliches Thema: Spätestens nach seiner Übersiedlung in die Schweiz sei ihm ein fundamentaler Unterschied zu Österreich aufgefallen, nämlich der, ob ein Land eine jahrhundertelange demokratische Tradition hat oder eine jahrhundertelange monarchistische. Der Komponist spricht von den divergierenden Blickrichtungen der beiden Alpenländer und der Verbindung Österreichs in den Osten, nach Ungarn, Tschechien, Slowenien. Österreich hätte 1918 die Chance zu einer Vielsprachigkeit nach Schweizer Vorbild gehabt, sagt der Komponist. Aber man hatte sich damals entschlossen, «Deutsch-Österreich» zu sein und jene, die eine andere Muttersprache hatten, zur Assimilation zu nötigen. Dass sich in Österreich eine zur Schweiz analoge Vielsprachigkeit nicht durchgesetzt hat, sei «eine Tragödie innerhalb der österreichischen Geschichte.»

Seit einigen Monaten lebt und arbeitet Georg Friedrich Haas nun in New York, doch er ist immer wieder unterwegs in Richtung «Osten». Eine Anekdote voller Hintersinn: «Als ich mit meinem Arbeitsvisum erstmals aus den USA ausgereist und dann wieder eingereist bin, gab mir der immigration officer bei der Kontrolle am Flughafen das Dokument mit den Worten zurück: Welcome home. Stellen Sie sich das in der Schweiz vor!» Nachdenkliche Stille. Erst vor wenigen Tagen war er wieder in Europa, und zwar aus Anlass der Uraufführung seines concerto grosso Nr. 1 für vier Alphörner und Orchester, interpretiert von den weit über die Schweiz hinaus bekannten Musikerinnen und Musikern des hornroh modern alphornquartet und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Susanna Mälkki. Das Werk lotet auf faszinierende Weise das Spannungsverhältnis zwischen den Intonationsmöglichkeiten der Alphörner und denen eines grossen Sinfonieorchesters aus. Assoziationen zur Schweiz, so Haas, habe er in diesem Zusammenhang nicht gehabt. «Ich liebe die Intonationsmöglichkeiten dieser Instrumente, die sozusagen als Lehrmeister der Intonation in Obertonharmonik eingesetzt werden. Dass Instrumente mit einer Konnotation ‹unterhalb der Hochkultur› ausgerechnet im traditionsbelasteten Herkulessaal in München und später im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins im wahrsten Sinne des Wortes den Ton angeben, freut mich.»
 


Georg Friedrich Haas’ Musik hören

Radio
Die mitgeschnittene Münchner Uraufführung des concerto grosso Nr. 1 wird am Dienstag, den 8. April 2014 um 20.03 Uhr auf BR-KLASSIK gesendet.

 

Konzert
27. August 2014, 19 Uhr, Grange aux Concerts Cernier, im Rahmen des Schweizerischen Tonkünstlerfestes
Georg Friedrich Haas: Doppelkonzert für Akkordeon, Viola und Kammerensemble; In nomine für Ensemble
Katharina Rosenberger: shift für Ensemble
Fanny Vicens (Akkordeon), Anna Spina (Viola), Nouvel Ensemble Contemporain, Pierre-Alain Monot

 

22./23. April 2015, Tonhalle Zürich, Grosser Saal
Georg Friedrich Haas: concerto grosso Nr. 1 für vier Alphörner und Orchester, Schweizer Erstaufführung
Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 6

Tonhalle-Orchester Zürich, Kent Nagano (Leitung), HORNROH modern alphorn quartet
 

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Tonhalle Zürich wird drei Jahre geschlossen

Kongresshaus und Tonhalle Zürich müssen ab Mitte 2017 für zweieinhalb bis drei Jahre geschlossen werden. Die Tonhalle-Gesellschaft und die Betriebsgesellschaft Kongresshaus Zürich AG suchen nach Möglichkeiten, während dieser Zeit einen reduzierten Konzert- und Kongressbetrieb zu ermöglichen.

Foto: Adrian Michael, wikimedia commons

Es habe sich gezeigt, schreibt die Stadt, dass die Instandsetzung der beiden in die Jahre gekommenen Gebäude höchst anspruchsvoll ist und länger dauere als bis anhin angenommen. So müsse heute mit einer Betriebsschliessung von zweieinhalb bis drei Jahren ab Mitte 2017 gerechnet werden.

Mit Unterstützung der Stadt suchen die Tonhalle-Gesellschaft und die Betriebsgesellschaft Kongresshaus Zürich AG nach Möglichkeiten für eine provisorische Lösung, um einen reduzierten Betrieb für beide Häuser zu ermöglichen.


Zur Konzertsaison 2014/15

TOZ/SMZ — An der Medienkonferenz vom 31. März wurden in der Tonhalle Zürich die Höhepunkte der Saison 2014/15 vorgestellt. Das neue Führungsduo (Ilona Schmiel, Intendantin, und Lionel Bringuier, Chefdirigent) will mit dem Tonhalle-Orchester Zürich einerseits so viele Menschen wie möglich erreichen und andererseits ein Repertoire des 21. Jahrhunderts erarbeiten. Neu geschaffen wurde ein «Creative Chair», der erstmals an Esa-Pekka Salonen vergeben wird. Damit soll jeweils ein bedeutender zeitgenössischer Komponist, der auch als Dirigent oder Solist auftritt, einem breiten Publikum Einblick in sein Schaffen gewähren. Zudem wurden neue Werke an Rolf Martinsson und Georg Friedrich Haas in Auftrag gegeben. Artist in Residence ist die chinesische Pianistin Yuja Wang. Die bestehende Vermittlungsarbeit für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene wird ausgebaut. Neu wird ein Schülermanagement-Projekt durchgeführt und das Youth Orchestra of Caracas wird erstmals in der Schweiz zu Gast sein.

 

Thomas Schacher im Gespräch mit dem neuen Präsidenten der Tonhalle-Gesellschaft, Martin Vollenwyder (Redaktionsschluss 20. März 2014, PDF)

 

Link zum Saisonprogramm

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