Schlüssige Kombinationskunst

Das musikalische Kunstwerk als Gegenstand der Philosophie. Eine hoch abstrakte analytische Betrachtung, die sich doch auf das eigene Hören auswirken kann.

Bild: Roland Marz – Fotolia.com

Seit Jahrtausenden beissen sich Philosophen die Zähne an der Musik aus – an dieser seltsamen Zeitkunst, die so schwer zu fassen ist, die an einer Krankheit leidet, die man vom Menschen kennt und die als Autismus bekannt ist. Musik entzieht sich, wenn man ihr zu nahe kommt. Sie gleicht dem Pudding, der nicht an die Wand zu nageln ist. – Gunnar Hindrichs, 42-jähriger Professor für Philosophie an der Universität Basel, beeindruckt all das nicht. Er ist kein Psychologe, dafür aber geschult an Metaphysik wie am spekulativen Denken, hat Musikwissenschaft betrieben inklusive einer intensiven Auseinandersetzung mit Theodor W. Adorno. Was er nun in Die Autonomie des Klangs versucht, ist nicht weniger als eine Klärung grundlegender Fragen: Was macht das musikalische Kunstwerk aus? Und: Worin kann eine Ontologie der Musik bestehen, also ihre umfassende Seinsbestimmung?

So etwas liest sich nicht wie ein Witz im Blick. Hindrichs setzt eine Kenntnis von Adornos Materialbegriff ebenso voraus wie Helmut Lachenmanns ästhetische Schriften und massgebliche Entwicklungen der Musikgeschichte vom 13. Jahrhundert bis zur Jetztzeit. Es gelingt Hindrichs tatsächlich, all dies schlüssig zu kombinieren. Das verdankt sich einer unbedingten Konzentration auf seine Ausgangsfragen sowie einer hohen Abstraktionsfähigkeit. In 252 Paragraphen und sechs Kapiteln durchschreitet er grundlegende Aspekte von Musik: Das musikalische Material kommt modifiziert zur Sprache, vom musikalischen Klang geht es über musikalische Zeit und Raum hin zum musikalischen Sinn und zum musikalischen Gedanken.

Solch Elementares kann nicht ohne Reibungsverluste, ohne Exklusion vonstatten gehen. Notenbeispiele gibt es keine, ebenso wenig konkrete Werkbezüge. Wenn sich Hindrichs auf die Musikgeschichte bezieht, geschieht es meist in Form übergreifender Termini, die den progressiv gesinnten Philosophen verraten. Musique concrète, Neuer Konzeptualismus, Musique spéctrale sowie Lachenmanns Musique concrète instrumentale – all das kommt vor, wobei das diesen Erscheinungen zugrunde liegende geräuschlastige «Material» doch sichtlich in Reibung gerät mit den gebildeten Kategorien. Im Sinne seiner ontologischen Bestimmung muss Hindrichs das in Kauf nehmen. Er leugnet das nicht, unterscheidet dabei zwischen Denken über Musik und Denken in Musik.

Die immanente Seinsbestimmung des musikalischen Kunstwerks berührt sich mit Ideen absoluter Musik. Hindrichs schliesst aussereuropäische wie funktionale Musik ebenso aus wie institutionelle, musiksoziologische oder musikethnografische Fragen, denen er unübersehbar skeptisch gegenübersteht. Sein Verdienst mindert das nicht. Nach der Lektüre hört man Musik anders. Sein kühl analytischer Blick wird wärmer in der direkten Begegnung mit Klingendem. Allein dadurch ist einiges gewonnen!

Image

Gunnar Hindrichs, Die Autonomie des Klangs. Eine Philosophie der Musik, 272 S., Fr. 24.50, stw 2087, Suhrkamp, Berlin 2014, ISBN 978-3-518-29687-5

Massgebend seit 1707

Jacques Martin Hotteterres «Principes de la Flûte» neu übersetzt, kommentiert und ergänzt.

Abbildung in der Neuausgabe

Für das Spiel auf der einklappigen Traversflöte, der barocken Blockflöte und der Barockoboe sind Hotteterres Principes immer noch von so grundlegender Bedeutung, dass der heutige Spieler nicht umhin kommt, dieses Werk zu studieren und «dessen Grundbegriffe in sein eigenes Werk zu integrieren». Dies bemerkt der auf alte Musik spezialisierte Flötist und Herausgeber Karl Kaiser im Vorwort. Kaiser hat das Lehrwerk neu übersetzt, um die «Zielrichtung Hotteterres und auch seine spezifische Ausrichtung für heutige Musiker zu vermitteln». Er weist aber auch darauf hin, dass jeder Musiker seine künstlerische Position selber finden müsse. Gleichzeitig reichert er die Übersetzung mit zahlreichen Kommentaren an, in welchen er ausführliche Ergänzungen und Erklärungen zum Originaltext gibt. Hotteterre selbst schrieb im Vorwort, dass er die Anfangsschwierigkeiten, «die normalerweise zu den beschwerlichsten zählen», ebnen wolle und dass sein Lehrwerk auch dem Selbststudium dienen könne.

Der Flötist gliedert sein Werk über die Grundbegriffe, die «Principes», in zwei «Traités» für Traversflöte und Blockflöte und schliesst mit einer kurzen «Méthode» für Oboe. Im ausführlichen Traité über die Traversflöte beschreibt Hotteterre zunächst die Haltung (Kapitel I), um «schöne Grazie mit Gewandtheit zu verbinden», und den Ansatz (Kapitel II) und empfiehlt dabei, seine Ratschläge vor einem Spiegel übend anzuwenden. In Kapitel III und IV geht er auf die Griffweise der Traversflöte ein, indem er systematisch zunächst die «natürlichen Töne» ohne Vorzeichen und die Triller auf diesen Tönen erklärt und zu jedem Griff einen konkreten Fingersatz empfiehlt. In Kapitel V und VI verfährt er in derselben Weise mit den erhöhten und vertieften Tönen und ergänzt in Kapitel VII noch Spezialgriffe. Am Ende des Lehrwerks befinden sich übersichtliche Tabellen der Griffe in heutiger Notation und mit allen im Text beschriebenen Varianten. In Kap. VIII und IX widmet sich Hotteterre der Artikulation und den Verzierungen, die seiner Meinung nach «absolut notwendig sind für die Vollkommenheit des Spiels». Selbstverständlich sind die darin behandelten Aspekte wie das inegale Spiel und Verzierungen wie Battements, Flattements etc. auch für andere Instrumente von Bedeutung. Speziell die inegale Spielweise behandelt Hotteterre 1719 in seinem zweiten Lehrwerk L`Art de Préluder, das im selben Verlag auch in neuer Übersetzung von Dagmar Wilgo bereits erschienen ist (EW 815; vergl. Rezension von Matthias Arter SMZ 6/2012 S. 30). Der «Traité pour la flûte à bec» fällt viel kürzer aus und gibt nur knappe Hinweise zur Körper- und Fingerhaltung und auch die «Méthode» für Oboe umfasst nur wenige Seiten, was damit zusammenhängen kann, dass Hotteterre hauptsächlich Flötist war. 

Es stellt sich am Schluss die Frage, warum dieses Lehrwerk immer noch im Schatten des Versuchs einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen von Johann Joachim Quantz aus dem Jahre 1752 steht, der zwar wesentlich ausführlicher die von Hotteterre behandelten und zahlreiche weitere Aspekte beschrieb, sich im Aufbau der Basiskapitel aber doch weitgehend an dessen Lehrwerk hielt und dieses im «Ersten Hauptstück» eigens erwähnte.

Image

Jacques Martin Hotteterre, Principes de la Flûte, Kommentierte Fassung aus dem Französischen mit Einführung und Zusammenfassung sowie Grifftabellen für Traversflöte, Blockföte und Oboe von Karl Kaiser, EW 924, € 24.50, Edition Walhall, Magdeburg 2014-06-12

Von Danny Boy bis Pata Pata

Eine Reise durch die Vielfalt musikalischer Stile weltweit, anzutreten für drei Flöten oder Flötenensemble.

Foto: Stephanie Hofschlaeger/pixelio.de

In seiner Triosammlung veröffentlicht Florian Bramböck eine Kombination von Arrangements bekannter Titel und Eigenkompositionen, eine Vielfalt von musikalischen Stilen aus aller Welt. Dazu zählen beispielsweise ein alpenländisches Volkslied, Schlager, schottische Traditionals sowie südamerikanische und afrikanischen Melodien. Bei den schottischen Volksliedern Danny Boy und My Bonnie lies over the ocean kommen eingängige keltische Melodien zum Klingen, von welchen letztere reizvoll im Walzerstil mit hinzukomponierter Einleitung arrangiert ist. Mit dem Swingsong Bei mir bist Du schean bearbeitet Bramböck gekonnt einen Nummer-eins-Hit aus den dreissiger Jahren für Flötentrio. Als Einstieg in den Afro- Latin Jazz bietet das Heft swingende Grooves von Cha-Cha bis Boogaloo. Exotisch mag der Danse marocain mit seinen ungewöhnlichen Harmonien wirken. Gelungen erscheint auch das Arrangement von Pata Pata, einem rhythmisch pulsierenden Hit der Sängerin Miriam Makeba. Einen Ausflug in die alpenländische Volksmusik macht Bramböck mit dem Tanzlied Der Weg zu mein Dirndl ist stoani.

Der Schwierigkeitsgrad der einzelnen Stücke variiert von einfach bis mittelschwer, da sich in einigen Stücken rhythmische Herausforderungen zeigen und der Tonumfang bis g“‘ geht. Alle Stücke, die das Triorepertoire in erfrischender Weise bereichern, lassen sich auch chorisch in Ensemblebesetzung spielen.

Image

Florian Bramböck, Flute Trios from around the world, für drei Flöten, Partitur und Stimmen, UE 35 579, € 19.95, Universal Edition, Wien 2013

Das «Schlagzeug» immer dabei

Zwei neue Bücher leiten an zur Bodypercussion. Das erste ebnet den Einstieg eher für (nicht zu kleine!) Kinder, das zweite für Jugendliche und Erwachsene.

Foto: Kzenon – Fotolia.com

Schnipsen, patschen, schlagen, stampfen, Hände reiben, klatschen. Auf und mit dem eigenen Körper. Das nennt sich Bodypercussion und ist in den letzten Jahren en vogue in der Schulmusik – gleich auf welcher Stufe, ob im Kindergarten oder in der Primar- und Sekundarschule. Es ist insofern eine einfache Sache, weil ohne Voraussetzungen zu erlernen und im Resultat motivierend für die Schülerinnen und Schüler. «Einfach» auch in dem Sinne, dass das Instrument, der Körper, immer mit dabei ist. Die Bodypercussion-Patterns hingegen können schon komplex sein. Mehrstimmige Arrangements mit vertrackten Bewegungsabläufen, das müssen zuerst auch die Lehrpersonen üben, bevor sie eine Gruppe zum Grooven bringen. Andererseits: Rhythmusunterricht kann auf einfachem Niveau beginnen und doch schnell zu Erfolgserlebnissen führen. Und es entspricht dem kindlichen und jugendlichen Bewegungsbedürfnis.

Image

Am Anfang von BodyGroove stehen Warm-ups, einfach und schwungvoll. Up and down and left and right – let’s clap the same speed. Grundlegend ist und bleibt der Puls. Erst wenn der von alleine läuft, kommen Rhythmen dazu, bis der ganze Körper zum Schlagzeug wird. Als nächster Schritt folgen Melodien und Texte, die ihrerseits die Rhythmen stützen und illustrieren. Hier zeigt sich die Nähe der Bodypercussion zum Rap und zum Beatboxen. Die Texte der Arrangements dürften etwas anspruchsvoller, interessanter sein: «Das ist mein Stuhl, ja das ist mein Stuhl» – das wirkt etwas bieder, etwas aufgeräumt.

Vormachen – Nachmachen, das ist hier die natürlichste Lehrmethode. Aber nicht nur. Die «Tipps zu Erarbeitung» bringen Hinweise, wie dieses Muster variiert und erweitert werden könnte. Zum Beispiel kann auch mal ein Schüler Spielleiter sein. Oder die Schülerinnen und Schüler erfinden eigene Bodypercussion-Patterns. Die Aufführungsstücke, die wie die Kreisspiele, Kanons und Rhythmicals auf der DVD vorgestellt werden, zeigen, wie mans machen könnte. Dabei wird eine grosse Klangvielfalt sichtbar, die nur schon durch die verschiedenen Klatschtechniken entstehen. Let us play the Groove!

Image

Von «einfach» über «mittel» bis «anspruchsvoll»: Das Buch von Maurizio Trové ist didaktisch geradlinig aufgebaut. Im ersten Teil werden die binären und ternären Rhythmen eingeführt sowie rhythmische Grundmuster und Klatschkombinationen vorgestellt. Grundpuls in den Füssen, Rhythmen in den Händen, Akzentuierungen, Klangerweiterungen durch verschiedene Schlagtechniken, Taktverschiebungen, Kombinationen aus 8er-, 6er- und 4er-Rhythmen, Polyrhythmik. Die Übungen werden laufend komplexer und anspruchsvoller. Gehirnhälften trainieren! Kopf, Hände und Füsse sind gleichermassen gefordert. Üben ist also angesagt – aber nicht nur: Die «Gruppenspiele» sorgen für Auflockerung und öffnen den Raum fürs Improvisieren und Interagieren. Das macht Spass, relax! Doch jetzt fängts erst richtig an. Die Klatschrhythmen werden auf dem Körper verteilt, es ertönen Brust-, Oberschenkel- und Wangenschläge, und durch die Vielfalt der Geräusche entsteht ein lebendiger Rhythmus, der zum Tanzen auffordert. Die Videoclips zeigen dies anschaulich und prägnant. Allerdings könnten sie etwas länger sein, damit der Leser die Möglichkeit erhielte, die Rhythmen zusammen mit den Clips zu üben. Eine Loopfunktion, die die Patterns endlos wiederholt, wäre hilfreich. Ebenso fehlt das Einzählen, damit man richtig startet.

Die Latin Grooves und die Pop/Rock Grooves im dritten Teil sind so arrangiert, dass sie gut zum Klassenmusizieren passen oder Chorstücke rhythmisch-perkussiv begleiten können. Hier und in den Arrangements des zweiten Teils zeigt sich, was Bodypercussion vermag: Mit Schwung und Fantasie die Klänge des eigenen Körpers entdecken. Dazu liefert das Buch vielerlei Anregungen.

Richard Filz und Ulrich Moritz, BodyGroove, Bodypercussion für Kinder und Jugendliche von 9-13 Jahren, HI-S6903, mit DVD (Video und Audio), Fr. 38.90, Helbling, Bern u.a. 2013, ISBN 978-3-86227-102-3

Maurizio Trové, Bodypercussion – Mein Instrument, 111 S., mit DVD, € 28.50, Academia-Verlag, St. Augustin 2014, ISBN 978-3-89665-627-8

Merkwürdiger Eigensinn

Drei Streichquartette, komponiert im Verlauf von 20 Jahren, geben Einblick in die Kammermusik Hermann Suters.

Ausschnitt aus dem CD-Cover

So etwas wie ein alter Bekannter ist Hermann Suter nicht. In der Schweiz war er tätig, leitete als Dirigent sowohl den Basler Gesangsverein, die Basler Liedertafel und die symphonischen Konzertreihen der Allgemeinen Musikgesellschaft. Neben seinen vielen Dirigaten, zu denen von 1918–1921 noch die Leitung der Basler Musikschule und des Basler Konservatoriums kam, ergab sich nur ein schmales kompositorisches Œuvre. Wenn jemand Suter kennt, so geht es wohl zurück auf die Begegnung mit dem Oratorium Le laudi di S Francesco d’Assisi (1925) und das dem Geiger Adolf Busch gewidmete Violinkonzert op. 23 (1924).

Die in der Reihe Musiques Suisses erschienenen drei Streichquartette erlauben nun einen schönen Einblick in die Kammermusik, zugleich auf den kompositorischen Werdegang. 1901 entstand das erste Quartett in D-Dur, 1910 schrieb Suter sein zweites in cis-Moll, 1918 folgte das letzte, sogenannte «Amselrufe»-Quartett op. 20 in G-Dur. Progressiv sind alle drei nicht. Bezugspunkte sind in erster Linie Johannes Brahms, auf einer zweiten Ebene Richard Wagner nebst Max Reger und auf einer dritten ist der Einfluss des von Suter stets bewunderten Beethoven spürbar. Zutiefst rätselhaft wie Beethovens Spätwerk sind die Quartette nicht. Überraschungen aber bergen sie durchaus. Schon im ersten gibt es – besonders deutlich zu Beginn des zweiten Satzes «Moderato, con svogliatezza» – ungewöhnliche Wendungen, die durch die deutschen Bezugspunkte nicht erklärbar sind.

Zumindest eine gewisse Eigenständigkeit ist also spürbar. Im dritten Streichquartett geht sie über in etwas befremdenden Eigensinn. Kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs zieht sich Suter, wie der Bookletautor Georg-Albrecht Eckle zu Recht formuliert, «fast kindlich in das Idyll zurück, das er in einem heiter melancholischen, äusserst abgehobenen dreisätzigen Quartett aufleben lässt».

Zu solch historischen «Querständen» gesellen sich manche Schräglagen intonatorischer Natur. Da es sich beim BeethovenQuartett um gestandene Profis handelt, dürften die mikrotonalen Bereicherungen auf Zeitnot bei der Einspielung zurückzuführen sein. Trotz mancher Vorbehalte: Die CD bleibt eine beredte Fundgrube für eine Schweizer Musikgeschichte, die noch zu schreiben ist.

About JW Player 6.0.2813…

    00:00           

00:00

 00:00 

 

         

 

Fullscreen

 

 

Streichquartett Nr. 1 D-Dur op.1, 2. Satz, Moderato, con svogliatezza
Image

Hermann Suter: Sämtliche Streichquartette. BeethovenQuartett: Mátyás Bartha, Laurentius Bonitz, Violine; Vahagn Aristakesyan, Viola; Carlos Conrad, Violoncello. Musiques Suisses MGB CD 6279

Neue Wege, neue Töne

Der Berner Musiker Tobias Jundt hat von Berlin aus den internationalen Durchbruch geschafft. Auf dem vierten Album seines Projekts Bonaparte zeigt er sich vielseitiger.

Melissa Jundt

In der Schweiz schrieb Tobias Jundt einst mit Erfolg Songs für sich und andere Popsänger, aber auch Musik für Jazzbands, Streichquartett und Orchester. 2008 zog er trotzdem nach Berlin, weil man in der Schweiz eigentlich nur mit Mainstream-Popmusik oder in stark subventionierten Genres wie Jazz oder Klassik überleben könne. Er aber wollte in einem Nischenbereich Songs schreiben, die nicht von Mainstream-Radios gespielt werden und deshalb nach einem «viel grösseren Spielfeld» verlangen. Dies ist ihm von Berlin aus geglückt: Er tritt mit seiner Band Bonaparte selbst in fernen Ländern wie China auf, sein neues Album wird sogar in den USA veröffentlicht.

Das vierte Bonaparte-Album ist nicht zufällig selbstbetitelt, denn Tobias Jundt sucht darauf nach neuen künstlerischen Wegen und einem eigenständigeren Ausdruck. Er ist sich offensichtlich bewusst geworden, dass der hektisch-grelle Party-Sound der letzten Alben zwar zu seinen wilden Shows passt, sich sonst aber schnell abnützt. Auf Bonaparte klingt sein Elektro-Pop noch immer meist kantig, rau und aufgeregt. Doch finden sich darauf auch ruhigere und vielschichtigere Songs, denen man auch zuhause gerne zuhört.

Dies hat viel mit den Texten zu tun. Jundt albert seltener wortspielerisch herum, sondern sinniert öfter wie in Me So Selfie, das den Selbstdarstellungszwang thematisiert. Herausragend ist der nachdenkliche Song Into The Wild, zu dem man auf der Bonaparte-Website einen eindrücklichen Videoclip findet. Zu acht der neuen Songs soll es gemäss Jundt einen solchen Videoclip geben, womit er seinem Bestreben nach einer Art Gesamtkunstwerk schon recht nahe kommt. Die künstlerische Umorientierung zeigt sich auch live. An einem Konzert in Zürich setzte Bonaparte in verkleinerter Besetzung weniger auf Show und mehr auf die Musik, was beim Publikum trotzdem durchwegs gut ankam.

Image

Bonaparte: ‚Bonaparte‘, Warner Music. www.bonaparte.cc

Matthew Gee mit Tschumi-Preis ausgezeichnet

Matthew Gee, Studierender der Klasse Ian Bous­fields und derzeitiger Soloposaunist des Royal Philharmonic Orchestra London, ist im Rahmen der Solisten­prüfung der Berner Hochschule der Künste (HKB) mit dem Eduard-Tschumi-Preis 2014 ausgezeichnet worden.

Foto: Bethany Clarke

Matthew Gee habe die Jury besonders mit «Solo für Posaune und Orchester» von Luciano Berio (2000) überzeugen können, schreibt die HKB. Ihr Masterstudium in Specialized Music Performance ebenfalls erfolgreich abgeschlossen haben Matthjis Broersma, Monika Cekala, Miriam Prandi (Cello) und der Pianist Arturs Cinguievs.

Der Tschumi-Preis, der jährlich für die beste Solisten­prüfung an der Hochschule der Künste Bern ver­geben wird, ist mit einer Preissumme von 12’000 Franken bemessen.

Bereits im vergangenen März hatte das hauseigene Hochschulorchester die Master Specialized Performance-Studierenden Monika Gajdos (Flöte), Esra Kerber (Bratsche) und den Tschumipreisgewinner Matthew Gee, Posaune begleitet.

Flüchtiger Gegenstand

Die Improvisation des 18. und 19. Jahrhunderts in Einzelaspekten beleuchtet.

Ausschnitt aus dem Titelbild

Nach der sowohl theoretischen wie auch praxisnahen Erforschung historischer Aufführungspraktiken (die zwar noch lange nicht als abgeschlossen gelten können, wohl aber in der dritten Generation schon wieder selbst Gegenstand von Forschung geworden sind), wird seit einigen Jahren der Fokus zusehends auf etwas noch Vergänglicheres gerichtet: die Improvisation. Als Gegenkonzept zum Werk und seinem gewichtigen ästhetischen Charakter ist sie doch ohne dieses nicht zu denken – von einer kleinformatigen Ornamentierung des Notierten über eine ergänzende Konzertkadenz bis hin zur grossformatigen Steggreif-Komposition.

Wer Anregungen zum weiteren Nachdenken sucht, wird in diesem Sinne daher gerne auf den vorliegenden Band Beyond Notes. Improvisation in Western Musik of the Eighteenth and Nineteenth Centuries zurückgreifen; um ein Handbuch, wie es vielleicht der Titel suggerieren mag, handelt es sich allerdings nicht. Vielmehr versammelt der Band als gewöhnlicher Tagungsbericht (La Spezia, 2010) insgesamt 20 Beiträge – und damit kaum mehr als ebenso viele einzelne Aspekte, die sich bisweilen an den Rändern ergänzen, die aber schon in der Übersicht schmerzliche Lücken offenbaren. Dem Herausgeber ist dies bewusst, und er sucht es im Vorwort auch nicht zu verbergen. Umso entscheidender ist daher die nahezu durchwegs hohe Qualität der auf Englisch oder Italienisch publizierten Beiträge, auch wenn man sich gelegentlich bei den behandelten Themen weniger Details, dafür aber einen das Ganze berücksichtigen Blick gewünscht hätte, so wie dies etwa einleitend Martin Kaltenecker (The Fantasy-Principle) gelungen ist.

Die einzelnen Aspekte, die von der portugiesischen Musik für fünfsaitige Gitarre, über das Violinspiel von Tartini, Bériot und Paganini, die Tastenkünste eines Hummel und einer Clara Wieck bis hin zum Singen von Passagen bei Rossini und Donizetti reichen, lassen denn auch den Eindruck eines nur schwer zu systematisierenden Gegenstandes entstehen. Die das Inhaltsverzeichnis ordnenden Überschriften geben jedenfalls Orientierung – und decken die entsprechenden Fehlstellen auf: Allein der über alle Jahrhunderte und Stile kaum zu überblickende Bereich der Orgelmusik ist nur durch einen gerade einmal fünfeinhalb Seiten umfassenden Text vertreten (über Louis Vierne). So ist der Band schließlich doch nur an den Spezialisten adressiert, er wird aber hoffentlich in vielen Bibliotheken ein Zuhause finden. Wie immer bei Brepols ist die Ausstattung vorzüglich.

Image

Beyond Notes. Improvisation in Western Musik of the Eighteenth and Nineteenth Centuries, hg. von Rudolf Rasch, (= Speculum Musicae Bd. 16), 387 S., € 100.00, Brepols, Turnhout 2011, ISBN 978-2-503-54244-7

 

get_footer();