Steig ein in die Kirchenmusik!

Mit Hilfe eines Wettbewerbs suchen die Zürcher Kirchen und die ZHdK nach Ideen für die Musik in Gottesdienst und Kirche. Angesprochen sind Musikerinnen und Musiker aller Sparten, auch Laien und Studierende. Einsendeschluss ist der 31. März 2016.

Die katholische und die reformierte Kirche des Kantons Zürich schreiben zusammen mit der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) den Wettbewerb «Klang & Gloria» für Kirchenmusik aus. Verlangt werden zwei Präsentationen, die bis am 31. März 2016 als Video hochzuladen sind auf www.klangundgloria.ch. Zum Mitmachen eingeladen sind Musikerinnen und Musiker aller Sparten, auch Laien und Studierende sind angesprochen. Mit dem Wettbewerb wollen die Initianten auf die «vielfältigen künstlerischen und beruflichen Möglichkeiten in der Kirchenmusik aufmerksam machen.»

Beat Schäfer, Leiter Kirchenmusik an der ZHdK und Jurypräsident, beantwortet einige Fragen, die den Hintergrund dieses Wettbewerb etwas ausleuchten wollen.

SMZ: Beim Lesen der Wettbewerbsausschreibung entsteht der Eindruck, es gebe zu wenig angehende Musikerinnen, die sich für Kirchenmusik spezialisieren. Ist das so?
Beat Schäfer: Im Sinne von Angebot und Nachfrage stimmt das. Eine Erhebung in den über 170 Gemeinden, die 2008 von der reformierten Kirche des Kantons Zürich im Zusammenhang mit der neuen Personalverordnung in Auftrag gegeben worden ist, belegte zum Beispiel, dass ein Viertel aller 2008 aktiven Organisten 2014/15 im Pensionierungsalter sein werden. Das ist nun so eingetroffen. Im Schnitt haben jedoch in den letzten Jahren nur zirka drei Orgelstudierende ihren Master abgeschlossen. Dabei ist zu beachten, dass die ZHdK keineswegs nur für den Kanton Zürich Musikerinnen und Musiker ausbildet! Zurzeit haben wir sogar einen Jahrgang ohne einen einzigen Bachelor-Orgelstudierenden. Dafür wird der DAS-Kurs (Orgel-C-Ausbildung für versierte Laien oder Pianistinnen und Pianisten, die im Nebenberuf Orgel spielen) recht gut besucht. Bei den Chorleitenden sieht es in der Kirchenmusik etwas besser aus (etwa vier Absolventinnen und Absolventen pro Masterstudiengang). Auch die aktuell diskutierte Reduktion von Gemeinden (infolge von Mitgliederrückgängen in den Kirchen) findet nicht in dem Masse statt wie im Moment der Rückgang der Studierenden. Der neue Weiterbildungsstudiengang «Kirchenmusik Pop und Jazz» ist erst am Anlaufen (drittes Kursjahr).

Ist es nicht eher so, dass Kirchenmusik boomt? Ich denke etwa an die grossen Kirchenklangfeste Cantars 2011 und 2015, den Berner Kirchenmusikkongress von Ende Oktober oder das Kirchenmusiksymposium im Rahmen der 1. Mendelssohntage in Aarau.
Das ist ganz sicher so, dass diese Anlässe positiv ausstrahlen. Und es gibt inhaltlich auch viel Positives zu verzeichnen. In diesem Sinne hoffen auch die Verantwortlichen hinter dem Kirchenmusikwettbewerb «Klang & Gloria» auf ebenso positive Impuls nach aussen (medial) als auch nach innen (in den Kirchen). Man muss sich aber über den besonderen Eventcharakter dieser Veranstaltungen bewusst sein. Deren Organisation war dabei professionell, und den erwähnten Anlässen war eine hohe mediale Resonanz beschieden. Alle drei waren aber Aktionen, die einmalig und nur alle paar Jahre möglich sind, die aber bei aller Ausstrahlung zwar einen wichtigen Teil des kirchenmusikalischen Schaffens darstellen, allerdings aber auch nur einen Teil. Der Kirchenmusikkongress in Bern zum Beispiel erhob nie den Anspruch repräsentativ für die «flächendeckende» Kirchenmusik sein zu wollen, sondern wollte vielmehr Impulse vermitteln, die dann (hoffentlich) auch in die Breite wirken. Insofern wurden gerade dort manche wichtige Produktionen gerade nicht von Gemeinde-Ensembles, sondern von kirchenfernen Institutionen bestritten (Gymnasiumschöre, Uni-Chor, Kammerchor des Südwestfunks, Studierende der HKB).
Oder trotz des überwältigenden Echos, das Cantars ausgelöst hat – und das mich sehr freut – könnte ich problemlos über 100 Gemeinden allein im Kanton Zürich aufzählen, katholische wie reformierte, die eben nicht im Stande oder willens waren, einen Chor, eine Band, eine Organistin oder einen Kirchenmusiker ans Cantars oder an die Anlässe in Bern oder Aarau zu entsenden.

 

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Beat Schäfer bei der Einweihung der Orgel im neuen Orgelsaal der ZHdK

Braucht die Kirchenmusik ein neues Image?
Ich denke, dass das Image, der Ruf einer Sache wie der Kirchenmusik, stets im Wandel ist und bei der Breite unserer Gesellschaft sogar widersprüchlich sein kann, je nach Person, Zeit und Ort. Das «Image» hat dabei zu einem Teil wirklich mit dem Gegenstand der Kirchenmusik zu tun, ebenso aber auch mit der beurteilenden Person (mit ihren Erfahrungen, Wertmassstäben) und ebenso zu einem andern Teil mit dem Umfeld (zum Beispiel dem Image der Kirche als Ganzes).
Ein «falsches» Image – oder vielleicht ist es besser, von einem Klischee zu sprechen – lässt sich jedoch oft nur langsam ändern, weil man immer Orte findet, die solche festgefahrenen Vorurteile bestätigen («Im Kirchenchor singen im weniger Leute, vor allem alte Leute», «die Musik ist zu eindimensional und stilistisch zu eng gehalten», «Kirchenmusik spricht eine Sprache, die veraltet ist» etc.).

Dabei ist Kirchenmusik grundsätzlich etwas sehr Dynamisches, das heisst sowohl Kraftvolles wie Bewegendes und Selbst-Sich-Bewegendes. Kirchenmusik hat also stets verschiedene Facetten. Vier Aspekte sollen dieses Dynamische verdeutlichen:

1. Kirchenmusik ist Teil unserer abendländischen Musikkultur, die sich mit Vergangenem auseinandersetzt, da sie in einer Tradition steht (der Bibel, der Kirche, aber auch überlieferter [kirchenmusikalischer] Gepflogenheiten). Sie ist selbst oft Produkt einer früheren Kultur. Mit ihrer Aufführung werden musikalische Werke weitergegeben als Kunstformen und Schätze, die heute genauso zu begeistern vermögen wie früher, Trost spenden, beglücken oder herausfordern können. Gleichzeitig zeugt sie von vergangenen oder noch aktuellen Riten. Gerade weil diese Kirchenmusik wertvolle Schätze der Vergangenheit in die Gegenwart trägt, muss sie darauf achten, dass sie dabei nicht zum Vorwand für Argumente für alt-erstarrte Strukturen und überholte Glaubensansichten verkommt.

2. Die Kirchenmusik ist Teil der heutigen Kultur und erfindet sich stets neu, denn sie ereignet sich heute und hat aktuell zu sein: Sie setzt sich gleichzeitig mit heutigen Anliegen, mit heutiger Sprache und heutigen Ausdrucksformen, Lebens- und Glaubensinhalten auseinander. Kirchenmusik, die nicht auch aktuell, neugeschaffen und heute sinnstiftend ist, wäre nur museales Depositum.

3. Kirchenmusik ist über ihre verkündende, lobpreisende, aufrüttelnde oder besänftigende tröstende Funktion gegenüber dem einzelnen Zuhörer hinaus auch gemeinschaftsbildend, dies nicht nur, indem sie Hörende mit gleichen Interessen versammelt, als auch dadurch, dass sie Teil einer Gemeindeaktion ist, bzw. Gemeinschaft formt und fördert z.B. im Gemeindegesang, im Chorgesang, beim Musizieren bei Offenen Singen, in einem Gemeindeorchester oder einer Kirchen-Band.

4. Kirchenmusik ist – losgelöst vom Eigenwert – von ihrem Wesen als Gottesdienstmusik her immer auch Partnerin des Wortes gewesen, des gesprochenen Wortes, des biblischen oder göttlichen Wortes und diesem Wechselspiel ausgesetzt. Wo dieses Wechselspiel gelingt, führt es immer zu einem Mehrwert für beide Seiten.

Alle vier Aspekte gehören für mich unabdingbar zum Wesen einer lebendigen Kirchenmusik in der Gemeinde, in der Kirche, oder zur positiven Ausstrahlung der Kirchenmusik in die auch säkulare Gesellschaft hinaus.

Warum sind neue Ideen gefragt?
Wie oben dargestellt gehört es zum Wesen der Kirchenmusik (ich denke jeder Kunst!), dass sie immer wieder neu «erfunden» wird – auch bei der Interpretation «alter Vorlagen/Partituren». Es gibt für die Kirchenmusik zusätzlich aus der Tradition so etwas wie ein inneres Programm nicht stehen zu bleiben durch Worte aus der Bibel wie z.B. Psalm 96 Singet dem Herrn ein neues Lied oder der reformatorischen Erklärung, dass Kirche immer eine «ecclesia semper reformanda» zu sein hat (wozu sich auch die katholische Kirche mit ihren Konzilen ja deutlich bekennt).
Vielleicht sprechen Sie mit den neuen Ideen die Offenheit der künstlerischen Ausdrucksmittel im Wettbewerb an (Wortlaut der Ausschreibung: «Ob Rap, Tanz, Klassik- oder Pop-Performance, ob Wort und Musik in freier Kombination, komponiert, arrangiert oder improvisiert – wir sind gespannt auf Ihre Ideen!). Wir sind der Meinung, dass mit allen stilistischen Mitteln «stimmige» oder «unstimmige» Kirchenmusik gemacht werden kann und hoffen nun mit dem Wettbewerb natürlich auf viele gelungene Realisationen guter Ideen, aber auch, dass sich neben angehenden oder «arrivierten» Kirchenmusikerinnen und -musikern auch Leute melden werden, die sonst eher «aus einer andern Ecke» kommen.

In welche Richtung könnte/sollte sich Kirchenmusik bewegen?
Für mich hat sich die Richtung in all den Jahren meiner langjährigen Berufserfahrung eigentlich nie wesentlich geändert: Zu den Menschen hin, zu Unmittelbarkeit, zu grosser Authentizität, zu überzeugender künstlerischer oder kunsthandwerklicher Arbeit, zu mehr Dringlichkeit und in Gottesdiensten zu liturgischer Stimmigkeit; entsprechend weniger in Richtung Dekoration, Beliebigkeit, Wellness-Sound, sakrale Geräuschkulisse.

Liegt das Problem nicht vielerorts in den Strukturen oder an den Wurzeln?
Sicher. Zusätzlich auch in Gepflogenheiten oder schlicht in der Unkenntnis, was Kirchenmusik mehr bewirken kann, als nur gute Stimmung zu verbreiten.

Sind Kirchgemeinden sind finanziell nicht in der Lage oder willens, gut ausgebildete Musikerinnen und Musiker zu vernünftigen Bedingungen anzustellen?
Die Anstellungsbedingungen im Kanton Zürich, wo dieser Wettbewerb lanciert worden ist, bewegen sich auf katholischer wie reformierter Seite für professionelle Kirchenmusiker lohnmässig zwischen Primarlehrer und Mittelschullehrer-Salär (je nach Ausbildungsgrad und Aufgabenfeld). Die Betriebsmittel sind dabei unterschiedlich, auch je nach kirchenmusikalischen Formationen oder Musikangeboten, ebenso die Teamarbeit je nach personeller Besetzung der verschiedenen Verantwortungsträger (inkl. Kirchenmusikerinnen und -musiker).

Andererseits erwarten die Gemeinde und der Liturg/die Liturgin von der Musik oft nicht mehr als die «Verschönerung» des Gottesdienstes.
Ja, das gibt es leider immer noch manchenorts. Das hängt sehr oft auch mit der fehlenden entsprechenden Ausbildung der Liturgen/Liturginnen zusammen, manchmal auch von einem entsprechenden Rollenverständnis.
Selten gibt es auch Kirchenmusiker und -musikerinnen (oft gerade solche ohne kirchenmusikalischen Ausbildungshintergrund), die, ob unwissend, resigniert oder den Weg des einfachsten Widerstandes (bzw. Aufwandes) gehend, sich nur um die angenehme Beschallung der Gemeinde kümmern, losgelöst von Inhalten und dem Spannungsverlauf eines Gottesdienstes.
Gerade, weil es ein grosser Verlust wäre, wenn künftig vermehrt Musikerinnen und Musiker eingesetzt werden müssen für gottesdienstliche Aufgaben, denen Inhalt, Form und Bedeutung der verschiedenen Gottesdienste fremd sind, die nicht über eine entsprechende Vielfalt von stilistischen Ausdrucksmöglichkeiten verfügen und sich nicht auch im Dienste des Gemeindeaufbaus verstehen, ist es wichtig, immer wieder Menschen an diesen spannenden Beruf und diese vielfältigen Aufgaben heranzuführen. Dieser Wettbewerb soll ein Impuls unter vielen auf dieses Ziel hin sein.