Einfach weihnächtlich

Drei Hefte mit Weihnachtsliedern für variables Ensemble, in verschiedenen Sprachen und aus verschiedenen Ländern, durchwegs leicht oder sehr leicht zu spielen.

Foto: nneiole, fotolia.com
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Wer Advent und Weihnachten mit Liedgut aus verschiedenen europäischen Ländern feiern will, findet in Europa für Anfänger eine abwechslungsreiche Auswahl besonders schöner Lieder aus fünfzehn Nationen. Aus dem deutschen Sprachraum ist allerdings keines dabei. Der Satz ist für zwei Melodieinstrumente bzw. eine Gesangsstimme und ein begleitendes Obligatinstrument plus Klavier. Der Gitarrenpart beschränkt sich auf die Akkordangaben.

Die Texte sind mit allen Strophen abgedruckt, im jeweiligen Originalalphabet mit einer deutschen Übersetzung. Um die korrekte Aussprache muss man sich allerdings selber kümmern. Die mitgelieferte CD enthält nur die Instrumentalsätze und jeweils einen Track mit dem Klavierpart für das Play-along. Sie wurde akustisch produziert, klingt aber sehr hölzern. Dafür sind alle Stimmen wirklich sehr leicht zu spielen!

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Die Bände der Kammermusikserie Ad libitum der Editio Musica Budapest sind für Formationen mit variabler Besetzung gedacht, sei es für das Musizieren im Familien- oder Freundeskreis oder in Musikschulen. Die Besetzung für diese Weihnachtsmusiken umfasst Klavier, zwei Melodiestimmen (wahlweise auch in B), je eine optionale Gitarren- und Schlagzeugstimme sowie eine Gesangsstimme mit mehrsprachigem Text. Die Auswahl enthält bekannte (Adeste Fideles, Stille Nacht, O Tannenbaum, Es ist ein Ros entsprungen, In dulci Jubilo u. a.) und weniger bekannte Lieder und einige weihnächtliche Instrumentalsätze wie etwa Händels Pastorale (Pifa) aus Messias.

Die durchwegs kurzen Stücke sind leicht und können vom Blatt gespielt bzw. rasch einstudiert werden. In der Gesangsstimme ist jeweils nur eine Strophe des Textes abgedruckt, dafür vier- bis fünfsprachig: auf Lateinisch (wenn so im Original), Deutsch, Französisch, Englisch und Ungarisch. Alles in allem eine gelungene Bereicherung des weihnächtlichen Repertoires für kleine Ensembles!

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Gleich für ein ganzes Salonorchester sind diese Arrangements aus dem Uetz-Verlag geschrieben. Die Gesangsstimme wird von keinem Instrument verdoppelt, ohne Sänger bzw. ein zusätzliches Soloinstrument geht also gar nichts. Dafür werden alle Instrumentalstimmen permanent parallel im Klavier mitgespielt; es macht also nichts, wenn nicht alle da sind! Die Harmonisierung ist manchmal etwas gewagt. Wer es konventionell mag, nimmt lieber das Kirchengesangbuch.

Leider verfügen die recht undankbaren Instrumentalstimmen mit Ausnahme des Klaviers über keine Stichnoten des Gesangs oder der jeweiligen Oberstimme in den Intros. Das bedeutet für die Einzelnen: Pausen und Pedaltöne auszählen und überhaupt den Zusammenhang im Blindflug erfassen wie ein Berufsmusiker. Und genügend proben im Ensemble!

Ausgewählt wurden populäre Weihnachtslieder wie Stille Nacht, Es ist ein Ros entsprungen, Herbei ihr Gläubigen (Adeste Fideles) u. a., aber auch weniger bekannte wie Maria durch ein’ Dornwald ging und Zu Bethlehem geboren. Zwei bis drei Strophen sind jeweils ganz ausgeschrieben in Text und Notensatz, letzterer bleibt sich allerdings immer gleich. Der Klaviersatz ist mittelschwer; die Instrumentalpartien lassen sich zwar leicht spielen, haben aber ausgesprochenen Füllstimmencharakter und setzen deshalb gutes Notenlesen und kammermusikalische Erfahrung voraus.

 

Europa für Anfänger, 15 besondere Weihnachtslieder, für 1–2 Melodieinstrumente oder Stimmen und Klavier bzw. Gitarre arrangiert von Dagmar Wilgo und Nico Oberbanscheidt, EW 917, € 19.80. Edition Walhall

Weihnachtsmusik, Ad libitum – Kammermusikserie mit variabler Besetzung, hg. und arr. von András Soós, Z 14946, ca. Fr. 23.00, Editio Musica Budapest

Weihnachtslieder für Salonensemble, Sieben deutsche Weihnachtslieder für Gesang, Klavier, Flöte, Klarinette, zwei Violinen, Viola, Violoncello, Bass, arrangiert von Christian Brüggemann, BU 9092, € 38.00, Musikverlag Bruno Uetz, Halberstadt

Lob auf das Weihnachtswunder

Diese Komposition für Soli, Chor, Bläser und Klavier ist einzigartig im Werk Ottorino Respighis.

Palazzo Chigi-Saracini, Siena. Foto: Carlotta&Luca ItalyzMe, flickr commons

Die Entstehungsgründe der Komposition Lauda per la Natività del Signore sind aus Respighis Biografie bekannt. Während eines Cembalorezitals mit Wanda Landowska im Januar 1928 im Palazzo des Conte Guido Chigi in Siena haben Ambiente und Atmosphäre den Komponisten so inspiriert, dass er für diesen Raum eine «Piccola cantata» komponieren wollte. Als Text wählte er einen Jacopone da Todi zugeschriebenen Lobgesang auf die Geburt Christi: Laus pro nativitate Domini. Wie eine Art Drehbuch stellte sich Respighi die entsprechenden Strophen und Verse zur Vertonung zusammen.

Die Uraufführung der im Sommer 1930 vollendeten Partitur für Soli, Chor, Flöten, Oboe, Englischhorn, zwei Fagotte, Triangel und Klavier fand am 22. November 1930 im Saal der Vereinigung «Micat in vertice» statt zusammen mit einem instrumental gleich besetzten Werk Respighis, der Suite della tabacchiera.

Die vorliegende Kritische Edition des Werkes basiert bewusst auf dem Autograf. Da es zwischen diesem und dem Erstdruck von 1931 einige Abweichungen gibt, wurden auf Anfrage von Riccordi freundlicherweise die Druckfahnen zum Erstdruck sowohl der Partitur als auch des Klavierauszuges zur Verfügung gestellt. Die Durchsicht ergab, dass die handschriftlich eingetragenen Änderungen von Respighi selbst vorgenommen worden waren. Sie lassen insgesamt den Eindruck einer nachträglichen Glättung des Werkes entstehen. Die Versuche, durch Briefe zwischen Verlag und Komponist oder Notizen weitere Aufschlüsse über diesen Prozess zu erhalten, blieben ergebnislos. Detaillierte Hinweise über die Unterschiede zwischen Autograf und Erstdruck finden sich in Teil 1 des Kritischen Berichts.

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Ottorino Respighi, Lauda per la Natività del Signore,
hg. von Christine Haustein, Partitur, CV 10.084/00,
€ 45.00, Carus, Stuttgart 2015

Rückwärts- und vorwärtsgewandt

Eine schwer zu beherrschende Klaviersonate, in der hochexplosive Musik doch noch gebändigt ist.

Skrjabin portätiert von Leonid Pasternak, 1909. wikimedia commons

Skrjabins vierte Klaviersonate von 1903 steht mit einem Bein durchaus noch im 19. Jahrhundert. Im eröffnenden Andante denkt man gelegentlich an Tristan oder auch an die farbenprächtige Chromatik der Violinsonate César Francks. Und das anschliessende Prestissimo volando – so flüchtig hingehaucht es teilweise klingt – entpuppt sich bei näherer Betrachtung als eine ganz klassische Sonatensatzform. Daneben gibt es aber schon deutliche Auflösungstendenzen in der Harmonik und komplexe rhythmische Strukturen, die weit ins 20. Jahrhundert weisen. Gewisse Passagen «swingen» geradezu!

Die Einsätzigkeit aller späteren Sonaten Skrjabins ist hier bereits vorgespurt, erscheint doch am Ende des Werks das Hauptthema des ersten Satzes wieder, diesmal aber in hymnisch überhöhtem Fortissimo. Vielleicht eine Art Klammer, die diese hochexplosive Musik gerade noch zu bändigen weiss?

Valentina Rubcova hat diese kürzeste Sonate Skrjabins (das Meisterwerk dauert nicht einmal acht Minuten!) im Henle-Verlag neu herausgebracht und mit einem sehr lesenswerten Vorwort versehen. Michael Schneidts Fingersätze sind klug und wohldosiert. Wer mit den schwer zu beherrschenden, raschen Pianissimo-Akkorden in der rechten Hand Probleme hat (Prestissimo volando, Takt 1 und ähnliche Stellen), sollte sich im Übrigen nicht schämen, zwei bis drei Noten auch an die Linke abzugeben.

Im Anhang findet sich auch ein programmatischer Prosatext, der offenbar mit Billigung Skrjabins der Sonate beigefügt wurde. Die Autorenschaft ist indes nicht geklärt. Mag jeder selber entscheiden, ob ihn dieses Poem eher zur Musik hin oder aber von ihr weg führt …

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Aleksandr Skrjabin, Klaviersonate Nr. 4 Fis-Dur op. 30,
hg. von Valentina Rubcova, HN 1110, € 10.00,
G. Henle, München 2015

jubilieren

Meist wirken sie im Hintergrund, zur Zeit aber feiern mehrere Musikverbände ein Jubiläum. Wir unterhalten uns mit den Verantwortlichen. Am Tag der Musik jubiliert die Musik. Eric Tissot erklärt, woher dieser Brauch kommt. Und schliesslich: Runde Geburtstage bestimmen Konzert- und Verlagsprogramme. Ein Essay zum Leid der Gedenktage.

jubilieren

Meist wirken sie im Hintergrund, zur Zeit aber feiern mehrere Musikverbände ein Jubiläum. Wir unterhalten uns mit den Verantwortlichen. Am Tag der Musik jubiliert die Musik. Eric Tissot erklärt, woher dieser Brauch kommt. Und schliesslich: Runde Geburtstage bestimmen Konzert- und Verlagsprogramme. Ein Essay zum Leid der Gedenktage.

Alle blau markierten Artikel können durch Anklicken direkt auf der Website gelesen werden. Alle andern Inhalte finden sich ausschliesslich in der gedruckten Ausgabe oder im e-paper.

Focus

Grund zum Feiern?
Was bewegt die Verantwortlichen schweizerischer Musikinstitutionen
rund um ihre Jubilaen? Eine kleine Umfrage

Jubiläen und kein Ende
Essay über das Leid der Gedenktage

De Paris à La Chaux-de-Fonds : la Fête de la musique
Entretien avec Eric Tissot, president de la Fete de la musique de La Chaux-de-Fonds de 1996 a 2004

… und ausserdem

CAMPUS

HEMU, CL et EJMA : vers un pôle d’excellence de toutes les musiques

Le souffle, source de musique et de vie ? Une méthode respiratoire

Wichtige Impulse für den Musikunterricht in den Dreissigerjahren
Ungekürzter Artikel von Bernhard Billeter

Viel erreicht und noch viel mehr vor — 40 Jahre VMS
Festrede von Helena Maffli
Zur Geschichte des VMS

5. Internationaler Kirchenmusikkongress in Bern

Kirchenmusikwettbewerb: Interview mit Beat Schäfer

Rezensionen Studien- und Unterrichtsliteratur — Neuerscheinungen

klaxon Kinderseite 

 

FINALE

Rätsel — Pia Schwab sucht

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Reformen des Musikunterrichts

Besserer, vielfältigerer Musikunterricht! Dieser Ruf erklang immer wieder. Dem standen Äusserungen skeptischer Musiker entgegen. Clara Haskil meinte, dass Klavierunterricht nicht eine Sache des Lernens sei. Das könne man einfach! Die ungarische Klavierpädagogin Margit Varró hingegen gab ihr Leben lang in unzähligen Vorträgen und pädagogischen Kursen sowie in ihrem Lehrbuch von 1929 «Der lebendige Klavierunterricht», das immer noch aktuell und erhältlich ist, nützliche Anweisungen dazu. Sie besuchte die Schweiz 1938 anlässlich des 3. Kongresses der zwei Jahre zuvor von Leo Kestenberg und Gleichgesinnten gegründeten Internationalen Gesellschaft für Musikerziehung. Mit ihrem Leben und Werk befasst sich die 2012 erschienene Dissertation von Ruth-Iris Frey-Samlowski.

Margit Varró. Foto: Varró-Fundation, Budapest (Mariann Abraham)
Reformen des Musikunterrichts

Besserer, vielfältigerer Musikunterricht! Dieser Ruf erklang immer wieder. Dem standen Äusserungen skeptischer Musiker entgegen. Clara Haskil meinte, dass Klavierunterricht nicht eine Sache des Lernens sei. Das könne man einfach! Die ungarische Klavierpädagogin Margit Varró hingegen gab ihr Leben lang in unzähligen Vorträgen und pädagogischen Kursen sowie in ihrem Lehrbuch von 1929 «Der lebendige Klavierunterricht», das immer noch aktuell und erhältlich ist, nützliche Anweisungen dazu. Sie besuchte die Schweiz 1938 anlässlich des 3. Kongresses der zwei Jahre zuvor von Leo Kestenberg und Gleichgesinnten gegründeten Internationalen Gesellschaft für Musikerziehung. Mit ihrem Leben und Werk befasst sich die 2012 erschienene Dissertation von Ruth-Iris Frey-Samlowski.

Bestrebungen zur Verbesserung des Musikunterrichts an Schulen, Musikschulen und im Privatunterricht sind alt und immer noch aktuell. Der 1893 gegründete Schweizerische Musikpädagogische Verband (SMPV) erstrebt laut Statuten von Anfang an bis heute unter anderem «den Zusammenschluss der … fachmännisch gebildeten und musikpädagogisch tätigen Berufsmusiker … zum Zweck der Förderung der Musikerziehung in der Schweiz». Vor 102 Jahren führte er zu diesem Zweck strenge Diplomprüfungen ein, eine Ausbildung, die heute in der Fachhochschule Kalaidos weitergeführt wird. Die Durchführung von Kongressen, Vorträgen und Weiterbildungskursen in der Schweiz erlebte in den dreissiger Jahren eine Blütezeit. 

Drei Kongresse der ISME

Gleichzeitig wurden solche Bestrebungen unterstützt durch die heute International Society for Music Education (ISME) genannte Institution. Sie führte unter der Leitung von Leo Kestenberg 1936 ihren ersten Kongress in Prag durch, den zweiten 1937 in Paris und den dritten 1938 in der Schweiz. Der versierte Konzertpianist Leo Kestenberg (1882–1962), geboren in Rosenberg, Ungarn (heute Slowakei), hatte sich bereits ab 1900 in der sozialdemokratischen Bildungsarbeit engagiert. Diese war ihm eine Herzensangelegenheit und er organisierte in Berlin, wo er an verschiedenen Konservatorien Klavierunterricht erteilte, Konzerte und Veranstaltungen für die breite Bevölkerung. 1918 nach Kriegsende wurde er zum Musikreferenten im Preussischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung berufen und erteilte weiterhin Klavierunterricht, ab 1921 als Professor an der Hochschule für Musik. Sein Buch Musikerziehung und Musikpflege von 1921 fand grosse Beachtung. Viele Erlasse des Ministeriums zur schulischen und ausserschulischen Musikerziehung entstammen seiner Feder. Er organisierte jährliche Reichs-Schulmusikwochen, bis er schon 1932 (als Sozialist und Jude schon vor der Machtergreifung!) abrupt in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde und nach Prag emigrierte. 1938 flüchtete er nach Paris, wo ihn eine Berufung nach Tel Aviv erreichte.

Es war eine bewegte Zeit. Das Folgende entnehme ich der Dissertation Leben und Wirken Margit Varrós von Ruth-Iris Frey-Samlowski (meine Rezension dieses Buches findet sich hier). Der Prager Kongress wurde von den Achsenmächten Deutschland und Italien sowie von Russland boykottiert. 700 Delegierte und 21 Regierungsvertreter waren eingeladen, aus der Schweiz Emile Jaques-Dalcroze, Walter Simon Huber (der Vater von Klaus Huber), der Zürcher Konservatoriumsdirektor Carl Vogler und Willy Schuh, der einen ausführlichen Bericht für die Schweizerische Musikzeitung verfasste. Darin beschrieb er als Ziel einen «Aufbruch zur musikalischen Aktivierung des ganzen Volkes im Gegensatz zur blossen geniesserischen Passivität einer begrenzten Hörerschicht und der Technisierung und Verflachung des Musiklebens». Margit Varró hatte aus unbekannten Gründen diesen Anlass verpasst, wurde aber von Leo Kestenberg zu einem Vortrag in Prag «Musikalische Begabung und persönlicher Habitus» sowie einer Rundfunksendung in der Karwoche 1937 eingeladen. Er empfing sie persönlich, führte sie durch eine im Aufbau begriffene grosse Musikbibliothek mit Unterrichtsmaterialien im Aussenministerium (der Aussenminister Dr. Kamil Krofta engagierte sich persönlich für Kestenbergs Arbeit) sowie durch das Smetana-Museum. Dies war der Beginn einer lebenslangen, für sie entscheidenden Freundschaft. Ihre Auftritte fanden grosse Resonanz bei zahlreichen Zuhörern und in der Presse.

Nur einen Monat später reiste sie nach Paris, wo der zweite Kongress gleichzeitig mit der Weltausstellung «Art et Technique» stattfand. Ihr Vortrag «La réceptivité musicale de l’enfant et l’adolescent» auf psychologisch erhärteter Grundlage, vom Säugling und Kleinkind an, veröffentlicht auf französisch und ungarisch, weckte grosses Interesse. Auch dieser Kongress mit deutlich weniger, nämlich 95 Delegierten aus 14 Staaten, wurde von Deutschland boykottiert, fand aber international ein breites Echo in der Presse. Aus der Schweiz waren illustre, damals vorübergehend dort wohnhafte Referenten angereist, Walter Damrosch, Ernst Krenek, Alois Hába, Curt Sachs und Jaroslav Krika sowie folgende Schweizer: W. S. Huber, der in der Schweizerischen Musikzeitung und in den Schweizerischen Musikpädagogischen Blättern Bericht erstattete, und Hugo Keller, der ein «Exposé» beisteuerte. «Jugendkonzerte mit altersgerechter Vermittlung» war das Hauptthema des Kongresses, das Margit Varró umso mehr interessierte, als sie selber schon unzählige in Ungarn veranstaltet hatte. Ernst Schelling, der ab 1924 die «Young People’s Concerts», die Kinderkonzerte der New Yorker Philharmoniker dirigiert hatte, Robert Mayer aus London und der Deutschamerikaner Walter Damrosch berichteten über ihre Erfahrungen damit in Konzerten und am Radio, während der Vierteltonkomponist Hába und Krenek sich vor allem für die zeitgenössische Musik einsetzten.

Bereits vor 1930 besuchte Varró die Schweiz. Davon zeugt eine erhaltene Fotografie. 1936 reiste sie nach Bern, wahrscheinlich zu einer Unterrichtsdemonstration. Anwesend war der bekannte Pianist, Musikpädagoge und Musikwissenschaftler Eduard Rüfenacht, dessen Schrift Sinn und Aufgabe der Musikerziehung, Francke-Verlag Bern, sie in die letzte, erweiterte Auflage ihres Lehrbuches 1958 aufnahm. 1937 hielt sie auf ihrer Reise nach Paris einen Vortrag vor der Ortsgruppe Basel SMPV mit demselben Thema wie zuvor in Prag, mit ausführlicher Besprechung in den Schweizerischen Musikpädagogischen Blättern von M. W., wohl Walter Müller von Kulm. Schliesslich weilte sie 1938 länger in der Schweiz, bevor sie am dritten Internationalen Kongress teilnahm, der eine Woche dauerte (23. bis 28. Juni). Vorgängig, das Datum ist nicht bekannt, hielt sie in der Ecole normale de Musique von Paris einen Vortrag über «L’enseignement vivant du piano» und am 20. Juni gleich zwei Vorträge in Brüssel über «Le talent musical» und «Les nouveaux buts de l’enseignement musical».

Vom Schweizer Kongress sind leider keine Programme und Teilnehmerlisten mehr aufzutreiben, ein Tatbestand, der auf wenig archivalische Sorgfalt im SMPV schliessen lässt. Ruth-Iris Frey-Samlowski ist es jedoch gelungen, aus Presseberichten in den 14 teilnehmenden Ländern (darunter diesmal, in der neutralen Schweiz, auch Deutschland!) ein Detailprogramm zu rekonstruieren, das mit seinen rund 50 Referaten und Darbietungen auch heute noch so interessant ist, dass es hier abgekürzt geboten wird:

Der Schweizer Kongress «Musikerziehung und Heilpädagogik»

Zürich, 23. und 24. Juni

  • Grussworte in der Aula der Höheren Töchterschule: Fritz Enderlin, Rektor; Jaroslav Jindra, Ministerialsekretär, Prag; LeoKestenberg, Prof. Dr. Antoine-E. Cherbuliez, Präsident SMPV Ortsgruppe Zürich; Prof. Dr. med. Miroslav Seemann, Karls-Universität Prag.
  • Referate: Prof. Dr. Heinrich Hanselmann, Zürich, «Musikerziehung und Heilpädagogik»;
  • Prof. Dr. György Révész, Amsterdam, «Die psychobiologische Bedeutung der Musikerziehung bei Mindersinnigen (Blinden und Taubstummen)»;
  • Prof. Dr. M. Seemann, «Die Aufgaben des Arztes in der Taubstummenpflege».
  • Praktische Darbietungen: Mimi Scheiblauer und Olga Zollinger, Zürich (Assistenz), «Musikalisch-rhythmische Erziehung bei Taubstummen und Gebrechlichen» in der Taubstummenanstalt Wollishofen sowie am Ausflug in die Anstalt Bühl ob Wädenswil (Geistesschwache) und in das Landerziehungsheim Albisbrunn (Schwererziehbare).

Bern, 25. Juni

  • Grussworte in der Schulwarte, Bern: Kurt Joss, Präsident SMPV Ortsgruppe Bern; Dr. E. Bärtschi, Stadtbernischer Schuldirektor; Prof. Dr. M. Seemann, Prag; Herr Wöldike, Kopenhagen.
  • Referate: Eduard Rüfenacht, Bern, «Die erzieherische Bedeutung der musikalischen Improvisation»;
  • Dr. Ernst Ferand, Hellerau/Laxenburg, «Die psychologischen Grundlagen der Improvisation» (seine Dissertation, Wien 1937, «Die Improvisation in der Musik» enthält deren umfassende Geschichte);
  • Prof. Dr. Henri Vallon, Paris, «Bewegung und Musik, eine physio-pathologische Studie».
  • Gertrud Biedermann, Bern, «Lektion mit Kindern im Bambusflöten-Schnitzen und -Spielen»
  • Gertrud von Goltz, Bern, sprach über ihre Erfahrungen im Gesangsunterricht an der Hilfsschule Bern.
  • Rhythmisch- musikalische Demonstration: Ernst Müller, Vorsteher der Anstalt für schwachsinnige Kinder Weissenheim/Bern,
  • Konzert: Hugo Keller, Bern (Chorleiter) mit den Berner Singbuben und dem Röseligartenchor

Am 26. Juni stand zusätzlich ein Besuch vor Ort auf dem Programm: Blindenanstalt Faulensee/Spiez. Gottfried Kölliker, blinder Musiklehrer hielt ein Referat über den hohen erzieherischen Wert der von ihm an dieser Anstalt betreuten Musikpflege, ergänzt durch ein Chor- und Orchesterkonzert.

Basel, 27. und 28. Juni
Schwerpunkt: musikalische Erziehung bei Geisteskranken und Entwicklungsgehemmten

  • Grussworte im Ratsaal des Halbkantons Basel-Stadt: Dr. Fritz Hauser, Regierungsrat, derzeitiger Präsident des Nationalrates; J. Jindra, Prag; L. Kestenberg; Dr. F. Wenk, Sekretär des Erziehungsdepartements Basel-Stadt (Moderation); Bourgoin, Generalinspektor, Paris; Prof. Dr. Xirau, Regierungsvertreter, Barcelona; Dr. Fr. Wenk, Sekretär des Erziehungsdepartementes Basel-Stadt (Tagespräsident).
  • Darbietungen beim offiziellen Empfang im Foyer des Kunstmuseums Basel: Basler Waisenknaben mit Guggemusig; Ernst Sigg, Leiter des Collegium Musicum der Knabengymnasien; E. Jakob, Lieder der Sissacher Trachtengruppe; Dr. Gustav Güldenstein, Musiktheorielehrer am Konservatorium Basel, Tänze von Mozart und Dvořák.
  • Referate: L. Kestenberg sowie Walter Müller von Kulm, SMPV Basel und Konservatoriumsdirektor (beide ohne Titel);
  • Prof. Alois Hába, Prag, „Heilkräfte der Musikerziehung in unserer Zeit“;
  • Willy Overhage, Kurzreferat.
  • Besuche in und bei Basel: Baselstädtische Anstalt für Geisteskranke Friedmatt mit Referat von Prof. Dr. John Staehelin «Die diagnostischen, prognostischen und therapeutischen Vorteile einer musikalischen Heilpädagogik» und Darbietung von Helene Horsberger, Basel, «Rhythmik mit verschiedenen Gruppen von Geisteskranken»; Anstalt zur Hoffnung, Riehen, mit Darbietung von Melita Kosterlitz, Hellerau/Laxenburg, «Gymnastik mit einer Gruppe schwachbegabter Kinder»; Öffentliche Primarschulen der Stadt Basel, Referate von W. S. Huber, «Überblick über den äusseren und inneren Aufbau der baselstädtischen Schulmusikpflege» und «Wesentliche Forderungen der modernen Schulerziehung», drei Lektionen nach der für die baslerischen Primarschulen verbindlich erklärten «Methode Lechner» sowie Esther Gutknecht, Lehrerin einer Mädchenprimarklasse, Referat mit Einblick in die Lehrweise der Musikerziehung an den öffentlichen Primarschulen und Darbietung eines selbst erarbeiteten Singspiels durch Schülerinnen.
  • Besuche ausserhalb Basels: Goetheanum Dornach, Vortrag von Werner Pache «Aufbau der anthroposophischen Musikerziehung»;
  • Sonnenhof zu Arlesheim, Vortrag Dr. med. Julia Bort, «Die Bedeutung der Musik und der Heileurhythmie in der Heilpädagogik Rudolf Steiners»;
  • «Heim für seelenpflegebedürftige Kinder»

 

Der Kongress beschloss folgende von Goldschmid (wahrscheinlich Pfr. Theodor Goldschmid, Hymnologe und Komponist, Zentralpräsident des Schweizerischen Kirchengesangbundes 1896–1937), Rudolf Schoch, Zürich und W. S. Huber redigierte Resolution:

 «Die Teilnehmer der Internationalen Arbeitskonferenz für Musikerziehung und Heilpädagogik, die vom 23. bis 28. Juni 1938 in Zürich, Bern und Basel getagt hat, danken der Gesellschaft für Musikerziehung in Prag, dem Schweizerischen Musikpädagogischen Verband, dem heilpädagogischen Seminar der Universität Zürich und den Erziehungsbehörden der Tagungsorte für die Durchführung dieses Kongresses, der ihnen Einblick gab in die Möglichkeiten, bei Gebrechlichen, Schwererziehbaren, Geistesschwachen, Blinden und Taubstummen durch die Musik heilpädagogische Erfolge zu erzielen.
Sie geben dem Wunsche Ausdruck, dass die gesammelten Beobachtungen durch vermehrte Versuche vertieft und die Erfahrungen durch Vermittlung der Zentralstelle Prag ausgetauscht werden. Sie haben die Überzeugung gewonnen, dass die pädagogischen und psychologischen Ergebnisse dieser Arbeiten von ausschlaggebender Bedeutung sind für die Gesamterziehung. Sie erwarten, dass der nächste internationale Kongress 1939 in Prag die Probleme der Spezialkonferenz auf dem Boden der allgemeinen Musikerziehung weiter verfolgt wird.»

 

Auch wenn das Thema diesmal spezieller war, so muss doch vom Kongress in der Schweiz eine ungeheure Breitenwirkung ausgegangen sein, nicht nur in der Heilpädagogik, sondern für die gesamte Bedeutung der Musikerziehung. Die beiden Fachorgane und viele Tageszeitungen berichteten ausführlich davon. Der Besucherstrom an allen drei Tagungsorten war überwältigend und übertraf die kühnsten Erwartungen. Einen Begriff davon erhielt ich durch die mit Mimi Scheiblauer in Zürich aufgetretene Rhythmik- und Klavierlehrerin Olga Zollinger. Sie war nach dem Kriege einige Jahre in England tätig und brachte von dort die Idee der sogenannten freiwilligen Schülerprüfungen (Stufentests) nach Zürich, welche von 1965–79 in der Ortsgruppe Zürich SMPV ihre erste Blütezeit erlebten und sich heute weit verbreitet haben, namentlich in Luzern und an der Jugendmusikschule der Stadt Zürich. Das Ziel dieser Stufentests besteht darin, den Kindern im Instrumentalunterricht nicht nur technische Beherrschung des Instruments, sondern eine umfassende musikalische Bildung mit Gehörbildung, allgemeiner Musiklehre, elementarer Harmonie- und Formenlehre sowie Improvisation (Erfindungsübungen) zu vermitteln, also genau der Stossrichtung der drei genannten Kongresse und auch den Forderungen Varrós entsprechend. Während meiner Präsidialzeit dieser Ortsgruppe 1971–82 lernte ich Olga Zollinger gut kennen. Sie berichtete noch damals begeistert von den Impulsen, die sie 1938 und vorher erhalten und nach denen sie sich ausgerichtet hat.

Der geplante Kongress 1939 in Prag fand nicht mehr statt. Die Tschechoslowakei war von Hitlerdeutschland überrannt worden und Kestenberg, der spiritus rector, hatte sich nach Tel Aviv retten können Die ISME musste nach dem Weltkrieg neu gegründet werden, und zwar 1953 in Brüssel unter den Auspizien der Unesco.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich meinem ersten Klavierlehrer Hans Rogner ein Kränzchen winden. Der Wiener war in Zürich sesshaft geworden, war am Konservatorium als Klavier- und Theorielehrer, Dirigent des Berufsschulorchesters und Bibliothekar angestellt und komponierte charmant und bescheiden, zum Beispiel Bühnenmusiken für die Marionettenspiele von Ambrosius Humm, dem Sohn des bekannten Schriftstellers Jakob Humm, der die Texte dazu lieferte. Rogner verwirklichte, was ich erst später realisierte, genau die in den dreissiger Jahren empfangenen Reformideen, nicht zuletzt von Margit Varró, ohne dass ihr Name einmal im Unterricht auftauchte. Er flocht Gehörbildung und allgemeine Musiklehre in den Unterricht ein. Zu letzterem verfasste er humorvoll mit Ernst Hörler zusammen die bei Jecklin erhältlichen «Musica»-Heftchen mit Zeichnungen zum Beispiel des Intervalensees und der hölzernen Ton-Leiter mit den beiden enger stehenden Sprossen pro Oktave. Das war keine graue Theorie, er liess seine Schüler singen, improvisieren und komponieren. Allerdings lässt sich ein so vielseitiger Unterricht in Halbstundenlektionen kaum realisieren. Er zwackte von den 60 Minuten Einzelunterricht zehn Minuten ab, nahm eine Gruppe von sechs Schülern zusammen und gab eine zusätzliche «Theoriestunde» pro Woche.
 

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Erbe, Vielfalt und Zukunft

Am 20. November 2015 feierte der Verband Musikschulen Schweiz seinen 40. Geburtstag in Biel. Festrednerin war Helena Maffli, Präsidentin der Europäischen Musikschulunion. Sie hat der SMZ die Erlaubnis erteilt, die Rede hier im Wortlaut zu veröffentlichen. Herzlichen Dank!

Helena Maffli. Foto: Archiv SMZ
Erbe, Vielfalt und Zukunft

Am 20. November 2015 feierte der Verband Musikschulen Schweiz seinen 40. Geburtstag in Biel. Festrednerin war Helena Maffli, Präsidentin der Europäischen Musikschulunion. Sie hat der SMZ die Erlaubnis erteilt, die Rede hier im Wortlaut zu veröffentlichen. Herzlichen Dank!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Très chers amis,

Es freut mich ausserordentlich, dass wir heute den 40. Geburtstag des Verbands Musikschulen Schweiz zusammen feiern dürfen, herzlichen Dank für die Einladung! Es ist schon eine besondere Ehre, Gastrednerin dieser Feier zu sein, und diese Aufgabe habe ich sehr ernst genommen. Zum Thema habe ich «Erbe, Vielfalt und Zukunft» gewählt. Dies ist keine originelle Erfindung sondern eine pure Leihgabe – aber es lohnt sich doch, die guten Ideen zu kopieren, oder was meinen Sie?

Dass man in Europa überhaupt zu der guten Idee kam, einen nationalen Musikschulverband zu gründen, ist nicht sehr lange her. Dagegen weiss jeder von uns, dass die Gründung der Konservatorien im Sinne von öffentlichen Einrichtungen der musikalischen Bildung schon über 200 Jahre zurückliegt. Le Conservatoire National Supérieur de Paris kam zuerst, 1795, und in den nachfolgenden Jahrzehnten ging die Gründungsbewegung weiter in die meisten Zentren Europas. In der Schweiz wurde als Erstes Le Conservatoire de Musique de Genève1835 gegründet und in den vierzig folgenden Jahren Bern, Lausanne, Basel, Winterthur und Zürich. In diesen Schulen konnte man generell im gleichen Haus von der Kindheit bis zur Vollendung der Berufsstudien lernen: das Kontinuum der musikalischen Bildung war eine Selbstverständlichkeit.

Die Jugendmusikschulen dagegen sind eine Erscheinung der Nachkriegszeit. Die grossen soziokulturellen Umwandlungen, das neue Identitätsbewusstsein und der allgemeine Wiederaufbau nach dem Krieg begünstigten auch die progressive Entstehung einer viel breiteren musikalischen Bildung als früher. In diesem Zusammenhang ist es auch kein Zufall, dass gerade Frankreich und Deutschland als erste schon in den fünfziger Jahren einen nationalen Musikschulverband gründeten.
In den Sechziger- und Siebzigerjahren nahm die Zahl der Musikschulen rasant zu, sowohl in der Schweiz als auch überall in Westeuropa. Zu diesen Zeiten wurden auch die meisten Musikschulverbände Westeuropas gegründet.
Osteuropa dagegen entwickelte nach dem sowjetischen Vorbild ein anderes Modell, mit zentralisierten Musikschulen und mit dem Ziel eher der Begabten- als der Breitenförderung. Während des kalten Krieges waren die West-Ost-Kontakte äusserst begrenzt, aber nach dem Berliner Mauerfall haben auch die meisten osteuropäischen Länder Musikschulverbände gegründet.

Die Verbindungen zwischen dem Verband Musikschulen Schweiz (VMS) und der Europäischen Musikschulunion (EMU) sind eng und standhaft, und das seit der Gründung der beiden Organisationen, EMU 1973 und VMS 2 Jahre später. Für diese Treue über Jahrzehnte hinweg und für die vielen guten Beispiele seitens des VMS sind wir in der EMU sehr dankbar. Ich komme zurück auf dieses Thema im dritten Teil meiner Festrede.

Héritage, Diversité, Futur. En Suisse, la diversité fait partie intégrante de l’héritage comme dans peu d’autres pays en Europe. Plus de 50% des Suisses ont au moins un grand-parent né à l’étranger, si bien que la diversité se situe dans l’ADN de ce peuple et (je cite) « le multiculturel s’est inscrit dans la réalité suisse au point qu’il a intégré notre subconscient », fin de citation du Neuchâtelois Gabriel de Montmollin. Celui ou celle – comme moi-même – qui vient d’un pays centraliste, met quelques années rien que pour essayer de comprendre ce pays où les us et les coutumes, les dialectes, les menus, l’architecture et tout le reste changent au fur et à mesure que défilent les paysages qu’on admire depuis les trains des fameux chemins de fers suisses !
Mais encore plus étonnant pour moi était de découvrir que dans ce petit pays les façons mêmes de penser l’enseignement ainsi que les traditions et les pratiques pédagogiques sont tout aussi variées, que ce soit à l’école publique ou dans les écoles de musique. Cependant, je dois vous avouer honnêtement que je n’en avais pas vraiment pris conscience dans mes fonctions au Conservatoire de Lausanne, avant de commencer à côtoyer des collègues de toute la Suisse grâce à mon expérience au comité et aux travaux de l’ASEM. Peu à peu, j’ai alors constaté que la Suisse en tant que telle et la Suisse pédagogique sont une mini-Europe, et rien ne m’a plus étonné dans la diversité des réseaux européens.

« L’unité dans la diversité » est à la fois la belle devise européenne, l’idéal de la Suisse et la source de la richesse de notre culture et de notre musique. Mais c’est un contexte tellement exigeant ! Assumer concrètement cette diversité démographique, politique, linguistique et pédagogique est un travail quotidien qui demande beaucoup de volonté et d’efforts. L’ASEM offre une plateforme nationale extraordinaire pour des rencontres et des débats qui peuvent être vifs, mais jamais destructifs. A travers des décennies, il a toujours été possible au sein de l’ASEM de trouver des solutions aux défis des plus divers parce que finalement tout le monde a fait le choix de travailler ensemble à long terme. Cela demande de la patience. J’ai entendu dire qu’en Suisse les moulins tournent lentement (« In der Schweiz mahlen die Mühlen langsam »). Pour moi, le sens de cette phrase un peu moqueuse est positif. Je crois que la Suisse est toujours cette « nation de volonté » (Willensnation) qui est préparée à rencontrer les défis toujours grandissant du monde actuel et capable de trouver des réponses.

« Plus vous saurez regarder loin dans le passé, plus vous verrez loin dans le futur »/« Je weiter man zurückblicken kann, desto weiter wird man vorausschauen » (Winston Churchill). Das 40-jährige Dasein des Verbandes Musikschulen Schweiz enthält viele Aspekte und Problemlösungen die man aus der europäischen Perspektive bewundern kann. Ich sehe folgende wertvolle Elemente:

  • eine starke Vernetzung mit dem gesamten Schweizer Musiksektor, worin der VMS eine proaktive und vorausgehende Rolle erworben hat
  • ein geduldiger und pragmatischer Aufbau der Verbandsorganisation (Erneuerungen ohne Revolutionen)
  • die einzigartige Pensionskasse Musik und Bildung, ein geniales Businessmodell, und das seit 1978
  • das Forum Musikalische Bildung, eine nachhaltig gewordene nationale Plattform
  • -die treibende Kraft vom VMS in der politischen Arbeit, ich denke vor allem an den Werdegang der Volksinitiative Jugend und Musik und an die laufende Umsetzung des Verfassungsartikels, und – last but not least :
  • die dauerhafte internationale Vernetzung des VMS. Sie sollen wissen, dass das 7. Europäische Jugendmusikfestival der EMU 2002 in der Schweiz – eine Riesenherausforderung des VMS – für die europäischen Teilnehmenden zu einem der allerbesten Festivals wurde, dank der Betreuung jeder einzelnen Gruppe von einer Musikschule in einer der Regionen der Schweiz. Da wurde die Schweizer Vielfalt mit all ihren Dimensionen konkret und unvergesslich miterlebt.

Auf der gemeinsamen Reise in die Zukunft ist es heute wichtiger denn je, nach weltweiten Wegweisern zu suchen. Sollte es eine Hoheit über nationale und internationale Bildungsorganisationen geben, kann dies nur die Unesco sein, und hier möchte ich an die zweite Unesco-Weltkonferenz zur künstlerischen Bildung (« arts education ») in Seoul 2010 erinnern. Die Seoul Agenda, das Ergebnis dieser Konferenz, wurde von allen Unesco-Mitgliedstaaten in der ganzen Welt einstimmig verabschiedet. Sie ist ein konkreter Aktionsplan mit praktischen Strategien und Handlungsempfehlungen und sie besteht aus drei Zielsetzungen:

1.Den Zugang zu künstlerischer und kultureller Bildung als grundlegenden und nachhaltigen Bestandteil einer hochwertigen Erneueurung von Bildung sicherstellen.
2.Die Qualität der Konzeption und Durchführung von künstlerischen und kulturellen Bildungsprogrammen sichern.
3.Prinzipien und Praktiken dieser Bildung anwenden, um zur Bewältigung der heutigen sozialen und kulturellen Herausforderungen beizutragen.

Diese drei Ziele sind schwer trennbar und stehen in einer engen Wechselwirkung. Mit den zwei ersten Zielen, Zugang und Qualität, setzen sich alle mir bekannten Musikschulen in Europa fast ständig auseinander. Dagegen bleibt das dritte Ziel, soziale und kulturelle Herausforderungen, viel ferner von den Debatten über die Zukunft der musikalischen Bildung und der Musikschulen. Gründe dafür kann man erraten. Dennoch wächst das generelle Bewusstsein unserer ganzheitlichen Bildungsverantwortung in der Welt der Globalisierung, Migrationen und Unsicherheit. Keiner von uns ist zu klein oder zu gross, dieses dritte Ziel auf seiner Weise und an seiner Stelle umzusetzen, sei es auf der individuellen, schulischen, regionalen, nationalen und internationalen Ebene.

Die Schweiz steht ganz vorne in Europa in vielen musikalischen Angelegenheiten: die Mitgliederzahl des Schweizer Musikrates, die Zahl der Studierenden in den Musikhochschulen und der Lernenden in den Musikschulen (da sind wir Nr.2 in Europa), der Wachstum der Konzertindustrie, die Zahl der Amateurorchester und Chöre usw. Deswegen ist unsere Verantwortung vielleicht noch grösser, alles dafür einzusetzen, alle zusammen, damit die Reise in die Zukunft in die gute und sichere Richtung geht.

40 Jahre ist ein wunderbares Alter: Man hat Erfahrung ohne zuviel Gewicht der Vergangenheit und es bleibt viel zu lernen und zu erleben. Ich gratuliere dem Verband Musikschulen Schweiz mit allen früheren und heutigen Mitwirkenden von ganzem Herzen und wünsche viel Kraft, Freude und Erfolg für die Zukunft.

Vorausgehen – verbinden – unterstützen / anticiper – unir – soutenir : quelle belle vision, qu’elle vous porte toujours plus loin, chers amis !
 


Überblick über die wichtigsten Ereignisse in der Geschichte des VMS

 

Der Artikel Ein «kleines» VMS-Jubiläum aus der Feder des VMS ist auf den Unterseiten des Verbandes Musikschulen Schweiz abrufbar. Bitte klicken Sie hier


Bericht über die Jubiläumsfeier in Biel am 20. November 2015

Das PDF des Berichts aus der SMZ 12/2015, S. 29, können Sie hier herunterladen.

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Das Duo Calva moderierte die Geburtstagsfeier fulminant.

Auch die VMS-Präsidentin und ehemalige VMS-Präsidenten wurden vom musikalischen Witz des Duos Calva umgarnt:

Hector Herzig (1. von links)
Hans Brupbacher (2. von links)
Willi Renggli (1. von rechts)
Christine Bouvard, amtierende VMS-Präsidentin (2. von rechts)

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Steig ein in die Kirchenmusik!

Mit Hilfe eines Wettbewerbs suchen die Zürcher Kirchen und die ZHdK nach Ideen für die Musik in Gottesdienst und Kirche. Angesprochen sind Musikerinnen und Musiker aller Sparten, auch Laien und Studierende. Einsendeschluss ist der 31. März 2016.

Foto: Christoph Wider
Steig ein in die Kirchenmusik!

Mit Hilfe eines Wettbewerbs suchen die Zürcher Kirchen und die ZHdK nach Ideen für die Musik in Gottesdienst und Kirche. Angesprochen sind Musikerinnen und Musiker aller Sparten, auch Laien und Studierende. Einsendeschluss ist der 31. März 2016.

Die katholische und die reformierte Kirche des Kantons Zürich schreiben zusammen mit der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) den Wettbewerb «Klang & Gloria» für Kirchenmusik aus. Verlangt werden zwei Präsentationen, die bis am 31. März 2016 als Video hochzuladen sind auf www.klangundgloria.ch. Zum Mitmachen eingeladen sind Musikerinnen und Musiker aller Sparten, auch Laien und Studierende sind angesprochen. Mit dem Wettbewerb wollen die Initianten auf die «vielfältigen künstlerischen und beruflichen Möglichkeiten in der Kirchenmusik aufmerksam machen.»

Beat Schäfer, Leiter Kirchenmusik an der ZHdK und Jurypräsident, beantwortet einige Fragen, die den Hintergrund dieses Wettbewerb etwas ausleuchten wollen.

SMZ: Beim Lesen der Wettbewerbsausschreibung entsteht der Eindruck, es gebe zu wenig angehende Musikerinnen, die sich für Kirchenmusik spezialisieren. Ist das so?
Beat Schäfer: Im Sinne von Angebot und Nachfrage stimmt das. Eine Erhebung in den über 170 Gemeinden, die 2008 von der reformierten Kirche des Kantons Zürich im Zusammenhang mit der neuen Personalverordnung in Auftrag gegeben worden ist, belegte zum Beispiel, dass ein Viertel aller 2008 aktiven Organisten 2014/15 im Pensionierungsalter sein werden. Das ist nun so eingetroffen. Im Schnitt haben jedoch in den letzten Jahren nur zirka drei Orgelstudierende ihren Master abgeschlossen. Dabei ist zu beachten, dass die ZHdK keineswegs nur für den Kanton Zürich Musikerinnen und Musiker ausbildet! Zurzeit haben wir sogar einen Jahrgang ohne einen einzigen Bachelor-Orgelstudierenden. Dafür wird der DAS-Kurs (Orgel-C-Ausbildung für versierte Laien oder Pianistinnen und Pianisten, die im Nebenberuf Orgel spielen) recht gut besucht. Bei den Chorleitenden sieht es in der Kirchenmusik etwas besser aus (etwa vier Absolventinnen und Absolventen pro Masterstudiengang). Auch die aktuell diskutierte Reduktion von Gemeinden (infolge von Mitgliederrückgängen in den Kirchen) findet nicht in dem Masse statt wie im Moment der Rückgang der Studierenden. Der neue Weiterbildungsstudiengang «Kirchenmusik Pop und Jazz» ist erst am Anlaufen (drittes Kursjahr).

Ist es nicht eher so, dass Kirchenmusik boomt? Ich denke etwa an die grossen Kirchenklangfeste Cantars 2011 und 2015, den Berner Kirchenmusikkongress von Ende Oktober oder das Kirchenmusiksymposium im Rahmen der 1. Mendelssohntage in Aarau.
Das ist ganz sicher so, dass diese Anlässe positiv ausstrahlen. Und es gibt inhaltlich auch viel Positives zu verzeichnen. In diesem Sinne hoffen auch die Verantwortlichen hinter dem Kirchenmusikwettbewerb «Klang & Gloria» auf ebenso positive Impuls nach aussen (medial) als auch nach innen (in den Kirchen). Man muss sich aber über den besonderen Eventcharakter dieser Veranstaltungen bewusst sein. Deren Organisation war dabei professionell, und den erwähnten Anlässen war eine hohe mediale Resonanz beschieden. Alle drei waren aber Aktionen, die einmalig und nur alle paar Jahre möglich sind, die aber bei aller Ausstrahlung zwar einen wichtigen Teil des kirchenmusikalischen Schaffens darstellen, allerdings aber auch nur einen Teil. Der Kirchenmusikkongress in Bern zum Beispiel erhob nie den Anspruch repräsentativ für die «flächendeckende» Kirchenmusik sein zu wollen, sondern wollte vielmehr Impulse vermitteln, die dann (hoffentlich) auch in die Breite wirken. Insofern wurden gerade dort manche wichtige Produktionen gerade nicht von Gemeinde-Ensembles, sondern von kirchenfernen Institutionen bestritten (Gymnasiumschöre, Uni-Chor, Kammerchor des Südwestfunks, Studierende der HKB).
Oder trotz des überwältigenden Echos, das Cantars ausgelöst hat – und das mich sehr freut – könnte ich problemlos über 100 Gemeinden allein im Kanton Zürich aufzählen, katholische wie reformierte, die eben nicht im Stande oder willens waren, einen Chor, eine Band, eine Organistin oder einen Kirchenmusiker ans Cantars oder an die Anlässe in Bern oder Aarau zu entsenden.

 

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Beat Schäfer bei der Einweihung der Orgel im neuen Orgelsaal der ZHdK

Braucht die Kirchenmusik ein neues Image?
Ich denke, dass das Image, der Ruf einer Sache wie der Kirchenmusik, stets im Wandel ist und bei der Breite unserer Gesellschaft sogar widersprüchlich sein kann, je nach Person, Zeit und Ort. Das «Image» hat dabei zu einem Teil wirklich mit dem Gegenstand der Kirchenmusik zu tun, ebenso aber auch mit der beurteilenden Person (mit ihren Erfahrungen, Wertmassstäben) und ebenso zu einem andern Teil mit dem Umfeld (zum Beispiel dem Image der Kirche als Ganzes).
Ein «falsches» Image – oder vielleicht ist es besser, von einem Klischee zu sprechen – lässt sich jedoch oft nur langsam ändern, weil man immer Orte findet, die solche festgefahrenen Vorurteile bestätigen («Im Kirchenchor singen im weniger Leute, vor allem alte Leute», «die Musik ist zu eindimensional und stilistisch zu eng gehalten», «Kirchenmusik spricht eine Sprache, die veraltet ist» etc.).

Dabei ist Kirchenmusik grundsätzlich etwas sehr Dynamisches, das heisst sowohl Kraftvolles wie Bewegendes und Selbst-Sich-Bewegendes. Kirchenmusik hat also stets verschiedene Facetten. Vier Aspekte sollen dieses Dynamische verdeutlichen:

1. Kirchenmusik ist Teil unserer abendländischen Musikkultur, die sich mit Vergangenem auseinandersetzt, da sie in einer Tradition steht (der Bibel, der Kirche, aber auch überlieferter [kirchenmusikalischer] Gepflogenheiten). Sie ist selbst oft Produkt einer früheren Kultur. Mit ihrer Aufführung werden musikalische Werke weitergegeben als Kunstformen und Schätze, die heute genauso zu begeistern vermögen wie früher, Trost spenden, beglücken oder herausfordern können. Gleichzeitig zeugt sie von vergangenen oder noch aktuellen Riten. Gerade weil diese Kirchenmusik wertvolle Schätze der Vergangenheit in die Gegenwart trägt, muss sie darauf achten, dass sie dabei nicht zum Vorwand für Argumente für alt-erstarrte Strukturen und überholte Glaubensansichten verkommt.

2. Die Kirchenmusik ist Teil der heutigen Kultur und erfindet sich stets neu, denn sie ereignet sich heute und hat aktuell zu sein: Sie setzt sich gleichzeitig mit heutigen Anliegen, mit heutiger Sprache und heutigen Ausdrucksformen, Lebens- und Glaubensinhalten auseinander. Kirchenmusik, die nicht auch aktuell, neugeschaffen und heute sinnstiftend ist, wäre nur museales Depositum.

3. Kirchenmusik ist über ihre verkündende, lobpreisende, aufrüttelnde oder besänftigende tröstende Funktion gegenüber dem einzelnen Zuhörer hinaus auch gemeinschaftsbildend, dies nicht nur, indem sie Hörende mit gleichen Interessen versammelt, als auch dadurch, dass sie Teil einer Gemeindeaktion ist, bzw. Gemeinschaft formt und fördert z.B. im Gemeindegesang, im Chorgesang, beim Musizieren bei Offenen Singen, in einem Gemeindeorchester oder einer Kirchen-Band.

4. Kirchenmusik ist – losgelöst vom Eigenwert – von ihrem Wesen als Gottesdienstmusik her immer auch Partnerin des Wortes gewesen, des gesprochenen Wortes, des biblischen oder göttlichen Wortes und diesem Wechselspiel ausgesetzt. Wo dieses Wechselspiel gelingt, führt es immer zu einem Mehrwert für beide Seiten.

Alle vier Aspekte gehören für mich unabdingbar zum Wesen einer lebendigen Kirchenmusik in der Gemeinde, in der Kirche, oder zur positiven Ausstrahlung der Kirchenmusik in die auch säkulare Gesellschaft hinaus.

Warum sind neue Ideen gefragt?
Wie oben dargestellt gehört es zum Wesen der Kirchenmusik (ich denke jeder Kunst!), dass sie immer wieder neu «erfunden» wird – auch bei der Interpretation «alter Vorlagen/Partituren». Es gibt für die Kirchenmusik zusätzlich aus der Tradition so etwas wie ein inneres Programm nicht stehen zu bleiben durch Worte aus der Bibel wie z.B. Psalm 96 Singet dem Herrn ein neues Lied oder der reformatorischen Erklärung, dass Kirche immer eine «ecclesia semper reformanda» zu sein hat (wozu sich auch die katholische Kirche mit ihren Konzilen ja deutlich bekennt).
Vielleicht sprechen Sie mit den neuen Ideen die Offenheit der künstlerischen Ausdrucksmittel im Wettbewerb an (Wortlaut der Ausschreibung: «Ob Rap, Tanz, Klassik- oder Pop-Performance, ob Wort und Musik in freier Kombination, komponiert, arrangiert oder improvisiert – wir sind gespannt auf Ihre Ideen!). Wir sind der Meinung, dass mit allen stilistischen Mitteln «stimmige» oder «unstimmige» Kirchenmusik gemacht werden kann und hoffen nun mit dem Wettbewerb natürlich auf viele gelungene Realisationen guter Ideen, aber auch, dass sich neben angehenden oder «arrivierten» Kirchenmusikerinnen und -musikern auch Leute melden werden, die sonst eher «aus einer andern Ecke» kommen.

In welche Richtung könnte/sollte sich Kirchenmusik bewegen?
Für mich hat sich die Richtung in all den Jahren meiner langjährigen Berufserfahrung eigentlich nie wesentlich geändert: Zu den Menschen hin, zu Unmittelbarkeit, zu grosser Authentizität, zu überzeugender künstlerischer oder kunsthandwerklicher Arbeit, zu mehr Dringlichkeit und in Gottesdiensten zu liturgischer Stimmigkeit; entsprechend weniger in Richtung Dekoration, Beliebigkeit, Wellness-Sound, sakrale Geräuschkulisse.

Liegt das Problem nicht vielerorts in den Strukturen oder an den Wurzeln?
Sicher. Zusätzlich auch in Gepflogenheiten oder schlicht in der Unkenntnis, was Kirchenmusik mehr bewirken kann, als nur gute Stimmung zu verbreiten.

Sind Kirchgemeinden sind finanziell nicht in der Lage oder willens, gut ausgebildete Musikerinnen und Musiker zu vernünftigen Bedingungen anzustellen?
Die Anstellungsbedingungen im Kanton Zürich, wo dieser Wettbewerb lanciert worden ist, bewegen sich auf katholischer wie reformierter Seite für professionelle Kirchenmusiker lohnmässig zwischen Primarlehrer und Mittelschullehrer-Salär (je nach Ausbildungsgrad und Aufgabenfeld). Die Betriebsmittel sind dabei unterschiedlich, auch je nach kirchenmusikalischen Formationen oder Musikangeboten, ebenso die Teamarbeit je nach personeller Besetzung der verschiedenen Verantwortungsträger (inkl. Kirchenmusikerinnen und -musiker).

Andererseits erwarten die Gemeinde und der Liturg/die Liturgin von der Musik oft nicht mehr als die «Verschönerung» des Gottesdienstes.
Ja, das gibt es leider immer noch manchenorts. Das hängt sehr oft auch mit der fehlenden entsprechenden Ausbildung der Liturgen/Liturginnen zusammen, manchmal auch von einem entsprechenden Rollenverständnis.
Selten gibt es auch Kirchenmusiker und -musikerinnen (oft gerade solche ohne kirchenmusikalischen Ausbildungshintergrund), die, ob unwissend, resigniert oder den Weg des einfachsten Widerstandes (bzw. Aufwandes) gehend, sich nur um die angenehme Beschallung der Gemeinde kümmern, losgelöst von Inhalten und dem Spannungsverlauf eines Gottesdienstes.
Gerade, weil es ein grosser Verlust wäre, wenn künftig vermehrt Musikerinnen und Musiker eingesetzt werden müssen für gottesdienstliche Aufgaben, denen Inhalt, Form und Bedeutung der verschiedenen Gottesdienste fremd sind, die nicht über eine entsprechende Vielfalt von stilistischen Ausdrucksmöglichkeiten verfügen und sich nicht auch im Dienste des Gemeindeaufbaus verstehen, ist es wichtig, immer wieder Menschen an diesen spannenden Beruf und diese vielfältigen Aufgaben heranzuführen. Dieser Wettbewerb soll ein Impuls unter vielen auf dieses Ziel hin sein.

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Der Kanton Waadt hat eine neue Kulturchefin

Nicole Minder, die gegenwärtige Direktorin des Château de Prangins, wird per 1. April 2016 Kulturchefin des Kantons Waadt. Die Soziologin und Kulturmanagerin hat ihre Kernkompetenzen in der Bildenden Kunst.

Foto: zvg

Die neue Chefin der SERAC (Service des affaires culturelles) des Kantons Waadt war ab  1988 Konservatorin im Cabinet cantonal des estampes in Vevey. Seit 2006 amtet sie als Direktorin des Château de Prangins. Seit 2012 ist sie überdies Lehrbeauftragte für Museumsstudien an der Université de Neuchâtel.

Musik, Tanz und Theater sind Domänen, in die sich die Spezialistin der Bildenden Kunst für ihre neue Aufgabe noch einarbeiten muss. In der Zeitung «24heures» erklärt sie dazu, sie sei dank ihrer intensiven interdisziplinären Kulturarbeit damit immer wieder in Kontakt gekommen. So habe sie auch als Museumsdirektorin ein Netzwerk zu den performativen Künsten aufgebaut.

Brigitte Waridel, welche die Waadtländer SERAC 21 Jahre lang geleitet hat, geht per Ende dieses Jahres in den Ruhestand. Für ihre Nachfolge gab es laut dem Kanton 33 Bewerbungen.

Erfolgreiche Schlüsselsuche

Tiefes Verständnis für Tschaikowskys unüberwindbare Menschenscheu schafft Malte Korff mit seiner Darstellung der gründlich analysierten Kindheit und Jugend.

Tschaikowsky 1893. Foto: Alfred Fedetsky (1857–1902). Quelle: wikimedia commons

Neu sind die Erkenntnisse nicht, mit denen der Leipziger Musikwissenschaftler und Konzertdramaturg Malte Korff in seiner Würdigung von Leben und Werk des vielschichtigsten und widersprüchlichsten russischen Komponisten glänzt. Nie zuvor aber hat sich im deutschen Sprachraum ein renommierter Autor von Komponistenbiografien die Mühe genommen, so viele Dokumente aus den beiden ersten Lebensjahrzehnten Tschaikowskys zusammenzutragen, um sie kritisch zu durchleuchten und allgemein verständlich zu präsentieren.

Fast alle Komplexe und Depressionen, an denen der vor 175 Jahren geborene Russe litt, führt Korff überzeugend auf die sehr enge Bindung des Knaben an seine Mutter und auf die Probleme mit seiner Homosexualität zurück. Wie wichtig für die menschliche und geistige Entwicklung die aus der Westschweiz stammende Gouvernante Fanny Dürbach war, geht aus der ausführlichen Schilderung jener Jahre noch deutlicher hervor als etwa aus der englischen Standardbiografie von Edward Garden (1973).

Mit nur drei Sätzen lieferte die Hauslehrerin einen der vielen Schlüssel zum Verständnis von Tschaikowskys späterem Lebensweg: «Man musste äusserst behutsam mit ihm umgehen. Jede Kleinigkeit konnte ihn verletzen. Er war ein Kind wie aus Porzellan.» In welchen verstrickungsreichen Kreislauf der zuerst als Jurist ausgebildete Kompositionsschüler von Anton Rubinstein geriet, wenn er seine Menschenscheu und weitere Probleme mit Unmengen von Alkohol zu verdrängen versuchte, kommt ebenso klar zum Ausdruck wie seine herausragende Stellung in der russischen Gesellschaft. Korff hält bezüglich der bis heute mysteriösen Todesursache an jener Version fest, wonach Tschaikowsky der Cholera erlag, nachdem er unabgekochtes Wasser getrunken haben soll.

Das an eine Zeittafel und Bibliografie angeschlossene Werkverzeichnis beschränkt sich auf eine Auswahl. Ein paar wenige Abbildungen spannen den Bogen vom Porträt des Achtjährigen bis zum Begräbnis auf Staatskosten, mit dem 1893 in St.Petersburg erstmals ein Bürgerlicher beehrt wurde.

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Malte Korff, Tschaikowsky. Leben und Werk, 256 S., Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2014,
ISBN 978-3-423-28045-7

Lange vor dem Samichlaus

Mittelalterliche ein- und mehrstimmige Gesänge zu Ehren des heiligen Nikolaus aus vier Jahrhunderten.

Ensemble Peregrina. Foto: zvg,anonym,anonym,anonym

Für Hörerinnen und Hörer, die des Mittelalter-Kitschs überdrüssig sind und finden, die Musik aus jener Zeit bedürfe, um genossen zu werden, nicht der Beigabe entfernt verwandter Instrumente und Stilmittel aus anderen Kulturen oder Zeiten; für diese Hörerinnen und Hörer ist das Basler Ensemble Peregrina unter der Leitung von Agnieszka Budzińska-Bennett seit seiner Gründung 1997 ein sicherer Hafen.

Ihre CD Miracula, welche Musik zu Ehren des heiligen Nikolaus aus verschiedenen Jahrhunderten sammelt, steht in der besten Tradition dieses Ensembles. Der Klang der Frauenstimmen und der Instrumente ist nah, warm, nicht zu hallig; das Programm sorgfältig ausgewählt und arrangiert. Die Besetzungen sind abwechslungsreich: Einmal wird eine Stimme von den Instrumenten begleitet, einmal erklingt ein Gesangssolo, einmal ein Frage- und Antwortspiel zwischen Vorsängerin und Tutti (bei einem Ensemble mit drei Sängerinnen darf wohl nicht von «Chor» geredet werden). In den ersten einstimmigen Stücken wird das Gehör so eingestimmt und beginnt so feine Unterschiede wahrzunehmen, dass die erst bei Track 8 eintretende Zweistimmigkeit (im wunderschönen Conductus Gaudens in domino / Iube domne silencium) geradezu überwältigend erscheint. Tanzsätze (wie die Estampite Nicholaus inclitus, Track 11) sind neben den Gesangsstücken auch vertreten.

Weil der heilige Nikolaus damals wie heute weite Verehrung genoss, stammen die Stücke aus ganz Europa. Aus der Schweiz ist der Sankt Galler Benedicamus-Tropus Nicholai sollempnia zu hören (Track 21). Kurzum, bei 27 Nummern gibt es Musik für jeden Geschmack. Die letzten drei Stücke auf einen annähernd gleichen Tropus-Text (Benedicamus devotis mentibus) sorgen noch für eine kleine Überraschung: Der letzte ist erst um 1500 in Verona entstanden und beweist, dass der Geschmack für «einfache» Polyfonie weit über die zeitlichen Grenzen des Mittelalters erhalten blieb.

Kleine Unachtsamkeiten bei der Redaktion des Booklets führen zu den einzigen nachteiligen Bemerkungen dieser Rezension: Ein Tippfehler ist ausgerechnet auf dem Rückentitel passiert (Miralula), und die Abfolge der Stücke im Booklet entspricht nicht ganz der Abfolge auf der CD (Tracks 11 und 12 sind vertauscht), was eine leichte Verwirrung verursachen kann.

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Gaudeat ecclesia, Rondellus
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Salve cleri / Salve iubar, Motette
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Benedicamus-Tropus
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Miracula – Mittelalterliche Musik für den heiligen Nikolaus (12.–15. Jh.). Ensemble Pe

Aargauer Klaviermusik

Der amerikanische Pianist Jason Paul Peterson machte spannende Entdeckungen bei Werner Wehrli, Peter Mieg und Emil Frey.

Foto: zvg,Der rätselhafte Fisch,2. Sonate As-Dur op. 36, 1. Satz,Fantasie,4. Sonate, 2. Satz, Presto

Zur Entwicklung der schweizerischen Klaviermusik des 20.Jahrhunderts haben auffällig viele Komponisten mit Aargauer Wurzeln oder Wohnsitz beigetragen. Neben Werner Wehrli, Emil Frey und Peter Mieg waren dies auch Robert Blum, Walther Geiser, Hermann Haller, Walter Lang, Walter Müller von Kulm und Heinrich Sutermeister sowie Roberto Gerhard, Heinz Holliger, János Tamás, Alfred Wälchli und Ernst Widmer.

Die drei Erstgenannten vereinigt der an der Kantonsschule Baden unterrichtende Amerikaner Jason Paul Peterson zu einer durch persönliche Beziehungen gefestigten Trias. Der Aarauer Werner Wehrli (1892-1944) war mit dem Badener Emil Frey (1889-1946) befreundet, zu dessen Privatschülern der Lenzburger Peter Mieg (1906-1990) zählte. Während Frey und Mieg auf der vielversprechend Swiss Piano Masterworks betitelten CD mit je einer Sonate vertreten sind, für die eine solche Zuordnung nur bedingt zutrifft, verdient Wehrli mit seinen meisterhaft konzentrierten Miniaturen Von einer Wanderung op. 17 spezielle Beachtung.

Was der von Spätromantik, Impressionismus und Neuer Sachlichkeit geprägte Komponist auf kleinstem Raum an musikantischen und humorvollen Einfällen (Rast, In der Eisenbahn), zarter Klangpoesie (An der Quelle, Der rätselhafte Fisch) oder urtümlicher Kraft (Böser Buben Tanz) mit pädagogischen Absichten in Einklang brachte, beflügelt die Spielfreude des Pianisten hörbar.

Trotz beeindruckender Bewältigung des überladenen, ungeheuerlich schwierigen Klaviersatzes vermag die 2. Sonate As-Dur op. 36 von Emil Frey, ein ziemlich skurriler Zweisätzer, nicht zu überzeugen. Als endlich wieder entdecktes, im Kriegsjahr 1914 entstandenes Meisterwerk erweist sich hingegen Freys hochexpressive Fantasie über den Choral O Haupt voll Blut und Wunden op. 33.

Neoromantische Züge trägt die viersätzige, mit einem brillanten Presto (2. Satz) aufwartende 4. Sonate (1975) von Peter Mieg, die im Finale mit einem als Seitenthema dienenden Marsch-Zitat aus der Kindermusik op. 65 von Prokofjew verblüfft.

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Werner Wehrli
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Emil Frey
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Emil Frey
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Das zehnte Album von Michael von der Heide ruft zunächst in Erinnerung, welch formidabler Sänger der 43-jährige Wahlzürcher aus Amden ist. Auf Bellevue meistert er einmal mehr mit Leichtigkeit und Geschmeidigkeit nicht nur jede Melodie, sondern auch viele Stile. Wie ein Paradiesvogel, den er auf der Bühne gern und glaubhaft gibt, hüpft er von französischem Chanson über das schweizerdeutsche Volkslied bis zum deutschen Lied, wobei das Pop-Format als verbindendes Element dient. Dass er keine Berührungsängste zum Schlager hat, zeigt sich auf dem neuen Album deutlicher als auch schon. Neu ist aber die elektronische Ausgestaltung einiger Stücke mit House-Patterns, in denen akustische Instrumente oft nur noch Schnörkel oder Akzente setzen.

Die Musik von Bellevue wird klar von Maurizio Pozzi alias Maury geprägt, der schon für Schweizer Grössen wie DJ Antoine und Remady gearbeitet hat und 2013 die Hymne zur Street Parade schuf. Der Zürcher hat nicht nur sämtliche Songs komponiert oder arrangiert, sondern auch produziert und viele Instrumente gespielt. Die kühle Tönung der Musik verstärkt die warme Intensität des Gesangs, von der Heides bedingungslose Hingabe. Die Kompositionen unterstützen allerdings gar brav die von den Texten vorgegebene Gefühlslage. Da alles absehbar ist, fehlt es den meisten Songs an Spannung und Charakter.

Zu den Ausnahmen gehört das von Christine Lauterburg stammende Mundartlied Hinterem Berg, das an das Guggisbergerlied erinnert. Gezupfte Saiteninstrumente bringen mit ihrem verzierenden Spiel eine trockene Brechung ins Stück, wie man dies von Leonard Cohens Spätwerk kennt. Reizvoll am Duett Rien que des amis ist, dass man die Stimmen von Sina und von der Heide stellenweise kaum mehr unterscheiden kann. Herausragend aber ist das von Markus Schönholzer komponierte Stück Weisse Haie. Es schafft eine atmosphärische Vielschichtigkeit, die den meisten anderen Liedern abgeht und die den sinnierenden Text von der Heides widerspiegelt.

In vielen Texten wimmelt es allerdings von Worten wie Herz, Sonne, Sommer und Meer. Schwer zu ertragen ist etwa das Stück Mit dir würde ich es immer wieder tun, weil es von Klischees und Pathos trieft und sich mit ebensolcher Musik zu einer Schnulze im Stil Helene Fischers steigert. Dass es auch im Schlager anders geht, zeigt etwa der Aargauer Dagobert, der denn auch in Deutschland viel Anerkennung erhalten hat. – Man darf besonders gespannt sein, wie Michael von der Heide dieses Stück live darbietet. Denn er ist nicht nur ein souveräner Sänger, sondern auch ein glänzender Entertainer, der mit seiner schelmenhafte Präsentation schon manchem seiner Stücke eine wohltuende Ironie verlieh.

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Michael von der Heide: Bellevue. MvdH.

Informationen, Videos und Musikausschnitte: www.michaelvonderheide.com
 

«Ich nenne es Mut»

Ob Volksmusik oder Klassik – Hauptsache eine Frau steht im Mittelpunkt: In Bern fand das Festival Femmusicale vom 20. bis 29. November zum zweiten Mal statt.

Symbolbild. Foto: agsandrew – fotolia.com

Frauenförderung in der klassischen Musikbranche hat mittlerweile schon so etwas wie Tradition: Wettbewerbe, Förderpreise, Dachverbände, Festivals etc. Doch noch immer ist das Ungleichgewicht zwischen Komponistinnen und Komponisten auf den Konzertprogrammen der Orchester und Ensembles gross. Seit letztem Jahr gibt es nun noch einen Veranstalter mehr, der diesen Missstand zum Thema macht. Bei den Konzerten des Festivals Femmusicale in Bern soll jeweils eine Frau im Mittelpunkt stehen. Die Initiative stammt vom Pianisten Patrizio Mazzola, der an den Hochschulen in Bern und Luzern unterrichtet. Ihn hat es besonders gestört, dass sich so wenige Männer für komponierende Frauen interessieren und einsetzen. Nun möchte er mit gutem Beispiel vorangehen. Auf ein Genre hat sich der Veranstalter dabei nicht festgelegt. Ob Volksmusik, Romantik, zeitgenössisch experimentelle oder auch poppige Klänge, insgesamt gab es die Musik von 22 Komponistinnen zu hören. Zugegebenermassen waren einige darunter, die man nicht erst seit gestern kennt: Fanny Mendelssohn, Clara Schumann, Lily Boulanger, Sofia Gubaidulina. Sie gehören zu den wenigen Frauen, die ihren Platz im klassischen Repertoire bereits erobert haben. Sie sind die Spitze eines unentdeckten Eisbergs, wie Christine Fischer bei einer Diskussionsrunde anmerkte, in der Festivalkünstlerinnen über die Rolle der Frau in der westlichen Musik diskutierten. Die Co-Präsidentin des Forums Musik Diversität bezog sich auf die unerforschten Jahrhunderte, in denen möglicherweise viel mehr Frauen kompositorisch aktiv waren, als wir heute wissen. Ob Frauen aber im aktuellen Musikschaffen wirklich noch solche Förder-Plattformen brauchen? Sind nicht junge Komponistinnen bereits dank der Chancengleichheit in der Ausbildung längstens anerkannt und ebenso erfolgreich wie ihre männlichen Kollegen?

Umwege
Dass viele Frauen trotzdem eher über Umwege zum Komponieren kommen, bestätigt die Geschichte von Gabrielle Brunner. Obwohl die 1963 Geborene in einer Musikerfamilie aufwuchs und selbst eine hervorragende Geigerin ist, kam sie erst 2007 zum Komponieren. Von ihr gab es am Festival zwei kraftvolle und dramatisch mitreissende Kompositionen für Solovioline zu erleben, die sie selbst mit scharfen Akzenten und hoher Intensität spielte: Lema I und Lema II. Auch für die Entdeckung unbekannter Komponistinnen setzt sich Brunner ein, forschte dazu in der Musikmediensammlung des FMD, die in der Musikbibliothek der Hochschule der Künste Bern HKB lagert, und produzierte eine CD.
Eine Raritäten-Entdeckung aus heutiger Zeit war der Auftritt von Ruth Dürrenmatt zur Festivaleröffnung. Sie präsentierte mit beeindruckendem Selbstbewusstsein ihr eigenwilliges Gesamtkunstwerk: improvisierend am Klavier sang sie zu Beginn einen inbrünstigen, souligen «Muh»-Song. Nach diesem augenzwinkernden Einstieg wurde es ernsthaft: Ihre selbst geschriebenen Texte sind gesellschaftskritisch, klagen Umweltverschmutzung und gewissenlosen Kapitalismus an, beschäftigen sich mit Tabuthemen wie Alter und Tod. Besonders beeindrucken ihre Kindheitsgeschichten, die von einer überaus lebendigen Fantasie zeugen. Wenn sie von einem Feuerdämon erzählt, der auf Bäumen lebt oder dem Wegfliegen ihrer Seele ins Traumland, dann scheint sie ganz bei sich. Begleitet von Cello und Klavier (Brigitt Sahi und Patrizio Mazzola) singt die ausgebildete Opernsängerin mit voll röhrender Stimme und heftigem Impetus. Ihre Zeichnungen und Bilder zieren das Programmheft. Ruth Dürrenmatt, die jüngste Tochter des berühmten Dichters Friedrich Dürrenmatt, ist eine künstlerische Naturgewalt im wahrsten Sinne des Wortes. Denn ihr gesamtes Schaffen ist geprägt von einer ungezwungenen und natürlichen Naivität. Darauf legt sie sogar besonders Wert, wie sie dem SRF2 in einem Interview verriet: «Wehe dem Künstler, der zu sehr erwachsen ist.» Und wenn auch ein Grossteil des Publikums vor allem aus Neugier gekommen war zu hören, was die Tochter von Dürrenmatt so treibt, ist das Bühnengeschehen eine Grösse für sich. Eine Portion Trotz schwingt immer darin mit. Denn obwohl sie bereits als Kind am Klavier improvisierte, wurde die heutige 64-Jährige nie ermutigt, sich kompositorisch zu entwickeln. So war es für sie ein langer Weg, sich von den traditionellen Geschlechterrollen ihrer Erziehung zu lösen und zu ihrem persönlichen künstlerischen Ausdruck zu finden: «Ich nenne es Mut», kommentiert sie selbst diesen teils kämpferischen Weg.
Mut hat auch der Veranstalter Patrizio Mazzola mit der Lancierung seines Festivals bewiesen. Wenn sich seine Botschaft weiter verbreiten soll, braucht es jedoch noch einiges mehr, angefangen von einer professionelleren Kommunikation bis hin zu einem inhaltlich schärferen Programm. Dann dürfte es auch mehr Publikum geben.

www.femmusicale.ch
 

Strategien gegen
 das Ausbrennen

Lampenfieberforschung und Burn-out-Prävention. Dies waren zwei der zentralen Themen am 13. Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) im Grossen Saal der Musik-Akademie Basel zum Thema «Stress und Musizieren».


Stell’ dir das Publikum nackt vor. Nervösen Debütierenden ist in der Musikausbildung oft so ein Ratschlag mitgegeben worden, wenn sie mit Auftrittsängsten kämpften. Das wirkt in der Regel auch. Die Strategien zur Bekämpfung von Auftrittsängsten sind heute aber wesentlich differenzierter. Sie bedienen sich mehrheitlich derselben Taktik: Es gilt, bedeutungsschweren Aufgaben und Anspannungen mit Humor etwas von ihrer emotionalen Schärfe zu nehmen. Eine ganze Reihe solcher Vorgehensweisen explizierte die Münchner Pianistin und Musikpsychologin Adina Mornell am Symposium der SMM, das heuer dem Thema «Stress und Musizieren» gewidmet war und mit knapp 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern einmal mehr überaus gut besucht war. Scheinbar unlösbare, beängstigende Aufgaben in lösbare und lustvolle zu verwandeln, schien dabei das Grundmuster. Unklare Ziele müssten etwa, so Mornell, durch klare Teilziele ersetzt werden. Zu hohen Selbstansprüchen wiederum könne durch «Selbstbehinderungen» die Spitze gebrochen werden: Extra weniger üben als möglich sei zum Beispiel geeignet, sich nach Fehlern sagen zu können, man hätte es ja besser gekonnt, wenn man nur…


Verbreitete Lampenfieber-Mythen rückte Horst Hildebrandt vom Schweizerischen Hochschulzentrum für Musikphysiologie ins rechte Licht. In Training und Beratung angehender Berufsmusiker mache man an den Musikhochschulen die Erfahrung, dass sehr viel, was Studierende zunächst als schicksalhafte Auftrittsängste erlebten, von weitaus den meisten mit geeigneten Mitteln des Selbstmanagements selber in den Griff bekämen. Nur sehr wenige der Ratsuchenden bedürften tatsächlich eines persönlichen Coachings oder gar einer Therapie. Hilfreich sei es, so Hildebrandt sinngemäss, sich bewusst zu werden, dass die meisten Begleiterscheinungen von Lampenfieber – Schwitzen, Herzklopfen, Einengung des Horizontes und so weiter – völlig normale Reaktionen auf ein öffentliches Ausgestelltsein darstellten. Letzteres werde evolutionär als Gefahrensituation beurteilt und der Körper entsprechend mobilisiert. Es gehe also nicht darum, solche Reaktionen zum Verschwinden zu bringen, sondern Techniken zu entwickeln, sich von ihnen nicht behindern zu lassen.


Praktische Strategien gegen Ängste, Stress und Überbeanspruchung boten zwei Workshops. Die SMM-Präsidentin Martina Berchtold-Neumann demonstrierte Hypnosetechniken und schickte ihr Publikum auf eine innere Reise – gefühlte fünf Minuten lang, während in Tat und Wahrheit zwanzig verstrichen. Und die Psychotherapeutin Ines Schweizer thematisierte die Angst vor der Angst, will sagen dem Lampenfieber, dass dieses erst zerstörerisch werden lässt. Wird man sich bewusst, dass sich Auftrittsängste auf zahlreichen Ebenen – den Gedanken, Gefühlen und dem Körper – äussern, wird es möglich, diese auch produktiv zu nutzen.


Der Kardiologe Sebastian Kerber wies in einem überaus humorvollen Beitrag darauf hin, dass der Fokus mit Blick auf Musiker-Erkrankungen zu Unrecht fast ausschliesslich auf dem Skelett und dem Nervensystem liegt. Dabei werde das Herz-Kreislaufsystem vernachlässigt. Musik ist in buchstäblicher Art auch eine «Herzensangelegenheit»: Zur gesamtheitlichen Gesundheitsvorsorge von Musikern gehört deshalb genauso auch die Diagnose von Blutdruck und Herzrhythmusstörungen. Auch in dieser Hinsicht lassen sich präventiv Massnahmen definieren.


Der Zürcher Psychologe Victor Candia wies schliesslich darauf hin, dass wir sehr viele Bewegungsmuster lernen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Viel virtuoses Können, etwa das Halten von Gleichgewicht beim Gehen, provoziert keinerlei mentalen Stress. Ganz anders im Falle des Musizierens, das wir bewusst erlernen müssen und das deshalb Quelle von mentaler Anspannung ist, die wiederum physischen Stress nach sich zieht. Hervorragend organisiert war das Symposium einmal mehr von der SMM-Gründerin Pia Bucher und gewohnt souverän moderiert vom Tessiner Arzt Adrian Sury.

Eklat beim ARD-Musikwettbewerb

Wie das Deutsche Kulturinformationszentrum (KIZ) schreibt, haben sich der Bayerische Rundfunk und der Vorsitzende der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen «einvernehmlich darauf verständigt, von der Besetzung der künstlerischen Leitung des Wettbewerbs durch Martin Ullrich Abstand zu nehmen».

Foto: BR

Laut der KIZ-Meldung sind «im Zuge der Vertragsverhandlungen unerwartet unterschiedliche Auffassungen zur vertraglichen Ausgestaltung der künstlerischen Leitung des ARD-Musikwettbewerbs und strukturelle Unvereinbarkeiten zutage getreten».

Als die Deutschen Musikhochschulen am 19. September die Wahl Ullrichs vermeldeten, begrüsste der BR-Hörfunkdirektor Martin Wagner die Ernennung noch mit dem Hinweis darauf, dass Ullrich als Vorsitzender der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen bestens vernetzt sei.

Dazu kämen, so Wagner damals weiter, seine Forschungsschwerpunkte «Theorie der populären Musik und das Verhältnis von Musik und digitalen Medien», die hoffen liessen, dass er dem renommierten Wettbewerb neue Impulse geben könne.

 

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