Musizieren ist in Deutschland Unesco-Kulturerbe

Die Deutsche UNESCO-Kommission und die Kultusministerkonferenz haben auf Vorschlag des Deutschen Musikrates das Instrumentale Laien- und Amateurmusizieren in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen

Foto: Daniel Gregory/flickr.com

Zur Begründung heisst es unter anderem, das Expertenkomitee würdige den Vorschlag als «intergenerationelle, schichtenübergreifende und interkulturelle Kulturform». Die vielfältigen Organisationsformen sowie die weite Verbreitung seien bemerkenswert. Dies ermögliche das Mitwirken einer breiten Trägerschaft in ländlichen wie auch urbanen Räumen, für die das Musizieren eine identitätsstiftende und integrative Funktion besitze.

Die Aufnahme des Amateur- und Laienmusizierens in das «Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes» ist nach Ansicht Martin Maria Krügers, des Präsidenten des Deutschen Musikrates, eine wertvolle Berufungsgrundlage für die musikpolitische Arbeit des Deutschen Musikrates und seiner Mitgliedsverbände, um die Rahmenbedingungen für das Musikleben in Deutschland zu verbessern.

2014 wurde auf Vorschlag des Deutschen Musikrates und des Deutschen Bühnenvereins, in enger Zusammenarbeit mit der Deutschen Orchestervereinigung, bereits die Deutsche Theater- und Orchesterlandschaft in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

Dokumente zur Operngeschichte im Web

Ab sofort können auf der Online-Plattform «Collezione Digitale» tausende Dokumente der italienischen Operngeschichte aus dem Archivio Storico Ricordi in Mailand digital eingesehen und erforscht werden.

«Collezione Digitale» (Bild: Screenshot),SMPV

Laut der Medienmitteilung des Medienunternehmens Bertelmanns kann nach mehrjährigen Vorarbeiten zur Katalogisierung, Restaurierung und Digitalisierung des Archivbestandes zunächst die komplette ikonographische Sammlung des Ricordi-Archivs online abgerufen werden. Sie umfasst mehr als 400 Porträts namhafter Sängerinnen und Sänger, Komponisten und Librettisten, rund 600 Bühnenbildentwürfe sowie mehrere tausend Kostüm- und Requisitenzeichnungen zu zahlreichen italienischen Opern, darunter die Werke von Giuseppe Verdi und Giacomo Puccini.

Zu vielen Werken und Aufführungen sind zudem detaillierte Regie- und Bühnenanweisungen einsehbar. Die Collezione Digitale bietet eine Suche nach Komponisten und Opern sowie eine freie Suche an. Die angezeigten Dokumente können herangezoomt werden und sind mit Metadaten sowie meist auch weiterführenden Links versehen.

Webseite: digital.archivioricordi.com
 

Zwischen Kunst, Modellbildung und Empirie

Am 29. November wurden an der Graduate School of the Arts in Bern die ersten Doktorate verliehen – Grund für eine knappe Reflexion über Stärken und Schwächen der künstlerischen Forschung.

Promotionsfeier an der GSA. Foto: GSA/Daniel Allenbach

Vor zehn Jahren ist in Bern der Grundstein zu einem ungewöhnlichen Projekt gelegt worden: der Graduate School of the Arts (GSA), einem universitären künstlerischen Dissertationsprogamm für Absolventen der Kunstausbildung an einer Fachhochschule, namentlich der Berner Hochschule der Künste (HKB). Nun haben die Universität Bern und die HKB ‒ offiziell vertreten durch Virginia Richter, Dekanin der Phil.-hist. Fakultät der Uni, und HKB-Direktor Thomas Beck ‒ mit zahlreichen Gästen die ersten Promovierten der GSA feiern können. Das kulinarische Büfett dazu hat Roman Brotbeck metaphernreich zusammengestellt ‒ in den Räumen der HKB im Berner Aussenquartier Bümpliz. Brotbeck ist einer der Initiatoren des Programms; er hat die HKB bis vor rund vier Jahren in verschiedenen Funktionen mitgeleitet. Eine weitere treibende Kraft war Anselm Gerhard, der Leiter des Institutes für Musikwissenschaft der Uni Bern, der an der Feier ebenfalls seine Grüsse überbrachte. Moderiert wurde der Anlass von Thomas Gartmann und Beate Hochholdinger-Reiterer. Sie wechseln sich jeweils jährlich in den Funktionen von Leitung und Ko-Leitung der GSA ab.

Die ersten nun abgeschlossenen Dissertationen der GSA stammen vom Musiker Immanuel Brockhaus, der seit 2003 auch als Leiter des MAS Pop & Rock der HKB Bern amtet, und der Grafikerin Julia Mia Stirnemann. Brockhaus ist der Frage nachgegangen, «welche Einzelsounds die Geschichte der populären Musik prägten und bis heute prägen». Stirnemann hat sich überlegt, wie sich «durch ein parametergebundenes und gezieltes Vorgehen unkonventionelle Weltkarten generieren lassen», namentlich solche, die nicht den Äquator als massgebenden Grosskreis zugrunde legen. Nutzniesser solcher ungewöhnlicher Darstellungen können etwa Schulen, Infografiker oder Weltreisende sein.

Die Techniken, welche die beiden verwendet haben, sind massgeschneidert: Brockhaus hat aus den jeweils ersten 40 Plätzen der Billboard Top 100 Singles von 1960 bis 2013 zwanzig Kultsounds herausgefiltert, detailliert analysiert und beschrieben ‒ mit Hilfe von Methoden aus Musikethnologie, der sogenannten Actor-Network Theory, und Soundanalysen. Das Kernstück der Arbeit Stirnemanns bildet eine eigene Software. Sie ist im Web unter der Adresse worldmapgenerator.com abrufbar.

Mit der GSA haben sich die Universität Bern und die HKB gleich zweifach auf schwieriges Terrain gewagt: Zum einen ist künstlerische Forschung akademisch noch keineswegs allgemein akzeptiert, zum andern wird auch die Frage, ob ein dritter Zyklus, das heisst ein Promotionsstudium mit Doktor-Grad oder PhD an Fachhochschulen sinnvoll ist, nach wie vor sehr emotional diskutiert. Das zeigt auch eine aktuelle Veranstaltung an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK): An einem Podiumsgespräch unter dem sinnigen Titel «Gleichartig aber anderswertig?» diskutieren dort am 9. Dezember Vertreterinnen und Vertreter aus Deutsch- und Westschweiz, Österreich und Grossbritannien Themen rund um die künstlerische Forschung und Alternativen wie das österreichische PEEK (Programm zur Entwicklung und Erschliessung der Künste).

Eine Art säkulare Gretchenfrage ist, wie weit künstlerische Forschung Wissenschaftlichkeit für sich in Anspruch nehmen kann. Darüber gibt es noch kaum Konsens, verbindet man Wissenschaft doch gemeinhin mit Modellbildung, Experimenten, Widerlegungsversuchen, Replikationen und damit Forschungslinien entlang allgemeinerer Theorien. Die Arbeiten von Brockhaus und Stirnemann illustrieren aber gerade den individuellen Charakter künstlerischer Fragestellungen, auch wenn vorstellbar ist, dass weitere Arbeiten an deren Ergebnisse andocken könnten.

Möglicherweise besteht die akademische Qualität solcher Arbeiten in der möglichst sorgfältigen Darstellung eines einzelnen Phänomens oder Sachverhaltes. Vorbilder dazu gibt es in der Frühzeit des wissenschaftlichen Denkens, im 18. und 19. Jahrhundert in der voraussetzungslosen Dokumentation gesammelter Daten oder in Einzelfallstudien, die im heutigen Zeitalter der Quantifizierung und Doppelblindstudien zu Unrecht etwas in Verruf geraten sind. Die Wissenschaftstheorie weiss, dass selbst in harten Fächern der Naturwissenschaften und der Medizin die Grenzen zwischen Kunst, Modellbildung und Empirie durchaus fliessend sind.

Zufällige Blicke in die Liste der weiteren Dissertationsprojekte der GSA zeigt die Stärken und Schwächen aktueller künstlerischer Forschung: Sie geht alleine in der Musik vom Blick aufs Werk des Schweizer Komponisten Hermann Meier über die Geschichte des Gitarrenspiels, die Interpretationspraxis bei Joseph Joachim, Kreativprozesse in der Neuen Musik, Musikalische Gestaltungsideale der Liszt-Tradition, die Wiederentdeckung der Bassklarinette oder die musikalische Ausstrahlung des Klosters Einsiedeln im 11. und 12. Jahrhundert. Spontan fragt man sich, ob solche Projekte an einem Musikwissenschaftlichen Institut auch ohne Einrichtung einer GSA ebenfalls Raum hätten. Die zwangsläufig zufällig anmutende und sicherlich gewünschte Vielfalt hilft nicht, das Profil der GSA zu schärfen.

Die einzigartige Stärke der Berner GSA, die lokale Nähe der Partner Universität und Fachhochschule, scheint überdies zugleich eine Schwäche. Sie erlaubt es zwar, die doch recht unterschiedlichen methodischen und kulturellen Traditionen reiner und angewandter Forschung in intensivem Dialog einander näherzubringen, etwas, was im modernen Wissenschaftsbetrieb dringend notwendig scheint. Auf der andern Seite droht das Image von Selbstgenügsamkeit und Provinzialität. Den Anschein des Heimatschutzes verstärkt die Tatsache, dass zur Zeit neben universitär Promotionsberechtigten formell bloss Berner Masterstudierende in ein GSA-Programm aufgenommen werden können. (Für Absolventen nichtbernischer Fachhochschulen muss ein von der Uni Bern verliehener spezialisierter Master in Research on the Arts erworben werden.) Umgekehrt zeigen sich die Verhältnisse etwa im Fall der ZHdK, wo eine Partnerschaft mit der Universität Graz die internationale Vernetzung moderner Forschung unterstreicht, dafür aber die so wichtigen produktiven Reibungsflächen zwischen den Institutionen reiner und angewandter Forschung deutlich kleiner sein dürften.

 

Website der Graduate School of the Art

 

gsa.unibe.ch

Schwyzer Kulturkommission zeichnet Kulturschaffende aus

Die Kulturkommission des Kantons Schwyz zeichnet sieben Kunstschaffende mit einem Werkbeitrag aus, darunter den Bratschisten und Komponisten Cyrill Greter und die Flamencotänzerin Sheila Runa Lindauer.

Sheila Runa Lindauer. Foto: zvg

Greter erhält einen Beitrag von 10’000 Franken. Das Einsiedler Orchester «Wood & Metal Connection» hat ihn für die Konzertreihe im Frühsommer 2018 einerseits als Solisten engagiert und ihm andererseits einen Kompositionsauftrag erteilt. Er möchte diese Chance nutzen und sich im Laufe des kommenden Jahres mindestens drei Monate Zeit nehmen, um die Komposition zu schreiben.

Ebenfalls 10’000 Franken erhält Sheila Runa Lindauer. Mit dem Werkbeitrag möchte sie sich persönlich weiterentwickeln und aufbauend auf dem Flamenco neue Elemente des zeitgenössischen Tanzes und der Bewegungssprache ausprobieren. Dazu plant sie die Entwicklung spezieller Tanzschuhe und eines ebenfalls neu entwickelten Tanzbodens.

Weitere Beiträge gehen an die Künstlerin Maya Prachoinig (20’000 Franken), das Duo aus Künstler Tom Heinzer und Germanist Nathanael Schindler (20’000 Franken), den Gründer des Kulturfestivals «Gersauer Herbst» Roger Bürgler (15’000 Franken) sowie die Filmemacherin und Fotografin Mirjam Landolt (25’000 Franken).

 

Suisa-Jazzpreis geht an Heiri Känzig

Die Fondation Suisa zeichnet Heiri Känzig mit ihrem Jazzpreis 2016 aus. Der Zürcher Musiker gilt als einer der herausragenden Kontrabassisten Europas.

Heiri Känzig (Bild: zvg/Fondation Suisa)

Der mit 15’000 Franken dotierte Jazzpreis 2016 der Fondation Suisa wird Heiri Känzig im Rahmen eines besonderen Matinée-Konzertes am Sonntag, 4. Dezember 2016 um 11 Uhr im Moods Zürich verliehen. Heiri Känzig wird zusammen mit Chico Freeman und Thierry Lang auftreten, zuerst je im Duo, danach im Trio.

Heiri Känzig wurde 1957 geboren und wuchs in Zürich und Weiningen auf. In Graz, Wien und Zürich studierte er Musik. Seit 1990 lebt er in Meilen, und seit 2002 ist er Professor für Kontrabass an der Hochschule für Musik in Luzern. Die Singer-Songwriterin Anna Känzig ist seine Nichte; ein gemeinsamer Auftritt ist im Mai 2017 geplant.

Bilanz 15/16 von Theater Orchester Biel Solothurn

Theater Orchester Biel Solothurn hat die Saison 2015/16 mit einer schwarzen Null abgeschlossen. Die Zahl der Eintritte erhöhte sich im Vergleich zum Vorjahr um 11.3 Prozent. Impulse gab die Wiedereröffnung des Stadttheaters Soothurn nach der Renovation.

Theater Solothurn. Foto: Johannes Iff/TOBS

Theater Orchester Biel Solothurn (TOBS) zählte in der Saison 230 Veranstaltungen. Sowohl beim Karten- und Abonnementverkauf, bei den Tourneeeinnahmen, den Engagements des Orchesters durch Dritte wie auch bei den Zuwendungen durch Stiftungen, Gönner und Sponsoren hätten gegenüber dem Vorjahr deutlich höhere Einnahmen generiert werden können, schreiben die Verantwortlichen. Die Erfolgsrechnung schliesst mit einem Jahresgewinn von 8941 Franken.

Insgesamt 59’659 Eintirtte generierten die TOBS-Eigenproduktionen in den Spielstätten in Solothurn, Biel und in Gastspielhäusern der ganzen Schweiz (Vergleich Saison 2014/15: 53’587). Dies entspricht einer Erhöhung um 11.3 Prozent. In Biel konnten 27’979 Eintritte verzeichnet werden, davon 10’104 bei den Konzerten des Sinfonie Orchester Biel Solothurn. Ein besonders starker Besucheranstieg können die Vorstellungen in Solothurn verzeichnen: Neugier und Freude am frisch renovierten Stadttheater liessen die dortige Publikumsgrösse von 17’990 (Saison 2014/15) auf 21’208 Personen (Saison 2015/16) ansteigen. 10’472 Eintritte zählte man bei  Abstechervorstellungen von TOBS in anderen Schweizer Theatern.

Die Anzahl verkaufter Abonnemente erhöhte sich von 2443 in der Saison 2014/15 auf 2581 in der Saison 2015/16. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass zahlreiche Solothurner Kundinnen und Kunden ihr Abonnement nach der Wiedereröffnung auf die Saison 2015/16 hin wieder aktivierten. Die Zahl der Abos fürs Stadttheater Solothurn stieg so von 870 (2014/15) auf 909 (2015/16). Auch der Erfolg eines Sonderabos zur Adventszeit trug zu dieser positiven Entwicklung bei. In Biel stieg die Anzahl verkaufter Konzertabonnemente von 435 in der Saison 2015/16 auf 444.

 

Basler stimmen über Kasernenhauptbau ab

Im September dieses Jahres hat der Grosse Rat des Kantons Bsel-Stadt Ja gesagt zu Sanierung und Umbau des Kasernenhauptbaus zum Kultur- und Kreativzentrum. Ob die Sanierung durchgeführt wird, entscheidet nun die Stimmbevölkerung am 12. Februar.

Der Basler Kaernenplatz (Bild: Kanton Basel-Stadt)

Die Bausubstanz des Kasernengebäudes ist veraltet und entspricht nicht mehr den heutigen Anforderungen. Die Sanierung soll eine neue, flexible Art der Nutzung, mit jeweils befristeten Mietverträgen ermöglichen. Danach soll der Hauptbau kulturellen, kreativen und sozialen Aktivitäten Platz bieten.

Die seit langem notwendige Sanierung und der Umbau des Kasernenhauptbaus kosten 44,6 Millionen Franken. Davon sind 39,9 Millionen Franken nur für die bauliche Gesamtsanierung und den Umbau des Kasernenhauptbaus veranschlagt. Angesichts der bautechnisch anspruchsvollen Situation, der denkmalpflegerisch wertvollen Substanz, des schlechten Zustandes des Gebäudes und angesichts des Gewinns für das Kleinbasel seien diese Kosten gerechtfertigt, schreibt der Kanton.

Der Grosse Rat hat am 21. September 2016 der Gesamtsanierung des Kasernenhauptbaus und dem Umbau zum Kultur- und Kreativzentrum zugestimmt sowie die Ausgaben für das Bauprojekt bewilligt. Gegen den Beschluss des Grossen Rates wurde das Referendum ergriffen.
 

Appenzell Ausserrhoden stellt Kulturkonzept vor

In Heiden ist das Kulturkonzept 2016 des Kantons Appenzell Ausserrhoden vorgestellt worden. Dabei haben die Anwesenden sich dafür ausgesprochen, 10’000 Franken für den Austausch mit geflüchteten Kulturschaffenden einzusetzen. Ein Schwerpunkt bildet die Musik.

Kulturlandsgemeinde 2016. Foto: Hannes Thalmann/flickr.com

Ausgehend von der Evaluation der Zielsetzungen der Jahre 2012 bis 2015 sind in einem dreistufigen Verfahren sieben Schwerpunkte für die nächste Vierjahresperiode definiert worden. Zum einen werden mit der Kulturvermittlung, der Literatur, der Kooperation unter den Museen und der Suche nach einem Werkhaus vier Schwerpunkte der letzten Jahre fortgesetzt und vertieft. Zum anderen werden mit Musik, der Kulturlandsgemeinde und der Kultur in der Gesellschaft drei neue Schwerpunkte gesetzt. Alle sieben Schwerpunkte sind im Kulturkonzept 2016 näher ausgeführt und mit Massnahmen versehen.

Die Frage, was sie mit 10’000 Franken Kulturfördermittel tun würden, wurde von gegen 50 Kunst- und Kulturschaffenden, Vermittelnden, Veranstaltenden und Vertreterinnen und Vertretern von Institutionen beantwortet. Die Antworten führen bei der Präsentation als kurze Statements durch das Konzept. Sieben Vorschläge standen am Mittwochabend zur Auswahl. In einem zweistufigen Verfahren haben die Anwesenden der Kulturbegegnung einen klaren Entscheid gefällt: Mit dem Geld soll durch Kooperationen der Austausch mit geflüchteten Kulturschaffenden gefördert und ihnen der Zugang zu lokalen kulturellen Netzwerken ermöglicht werden.
 

OSR mit neuem Konzertmeister

Wie das Fachblatt «The Strad» schreibt, hat das Orchestre de la Suisse Romande (OSR) mit Svetlin Roussev, dem früheren Konzertmeister des Orchestre Philharmonique de Radio France einen neuen Konzertmeister.

Foto: Julien Benhamou

Der Bulgare Roussev ist Gewinner der ersten Sendai International Violin Competition von 2001 und amtet auch als Professor am Conservatoire de Paris, an dem er selber ursprünglich studiert hat. Er entschied die Audition unter Jonathan Nott, dem musikalischen Leiter des OSR für sich, die diesen Monat durchgeführt worden ist.

Roussev ist Preisträger der Wettbewerbe Indianapolis und Long-Thibaud. Im Jahr 2000 wurde er zum Leiter des Orchestre d’Auvergne ernannt und 2005 zum Konzertmeister des Orchestre Philharmonique de Radio France. Ab 2007 bis dieses Jahr hatte er dieselbe Funktion beim Seoul Philharmonic Orchestra inne.

konsumieren

Im Focus «konsumieren» konzentrieren wir uns auf das Thema «Neue Musik und Konsum». Absolventinnen und Absolventen des Nachdiplom-Studiengangs «DAS Musikjournalismus 2015/16» der Hochschule für Musik Basel in Kooperation mit dem Internationalen Musikinstitut Darmstadt haben darüber Essays geschrieben.

konsumieren

Im Focus «konsumieren» konzentrieren wir uns auf das Thema «Neue Musik und Konsum». Absolventinnen und Absolventen des Nachdiplom-Studiengangs «DAS Musikjournalismus 2015/16» der Hochschule für Musik Basel in Kooperation mit dem Internationalen Musikinstitut Darmstadt haben darüber Essays geschrieben.

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Focus

Boulez au Burger King ? 
Nouvelle musique et consommation de masse
Originaltext Deutsch: Boulez bei Burger King? — Neue Musik zum schnellen Verzehr

Die Neue Musik als Kaufhaus
Was man im Supermarkt moderner Klänge alles erstehen kann

Tendances d’infiltration
Entre nouveauté à tout prix et intérêts mercantiles
Originaltext Deutsch: Versickerungstendenzen — Neue Musik und Konsum an entgegengesetzten Enden des Kulturbetriebes?

Geschlossen, ohne Gesellschaft
Warum und wie die Neue Musik ihre selbsterrichteten ­Zugangsbeschränkungen überdenken sollte.

Bild und Abbild im hybriden Raum
Stefan Prin‛s Mirror Box Extensions

Schafe auf der Bühne und in den Medien
Zeitgenössische Oper in den USA

Sofa oder Polsterstuhl?
Livekonzert vs. Musikkonserve

… und ausserdem

CAMPUS

Willi Renggli ist verstorben

Défendre encore l’enseignement de la musique en terre vaudoise

L’enseignement en groupe fait l’objet d’un colloque

«Musikinitiative top oder Flop?»  —  Fachtagung des Verbandes der Musikschulen des Kantons Schwyz

klaxon Kinderseite — page des enfants

Rezensionen Lehrmittel — Neuerscheinungen
 

FINALE


Rätsel
— Michael Kube sucht

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Bild und Abbild im hybriden Raum

Im Werk «Mirror Box Extensions» gestaltet der belgische Komponist die alltägliche Verschmelzung unserer realen und virtuellen Lebenswelt musikalisch.

Gabi Schönemann / pixelio.de
Bild und Abbild im hybriden Raum

Im Werk «Mirror Box Extensions» gestaltet der belgische Komponist die alltägliche Verschmelzung unserer realen und virtuellen Lebenswelt musikalisch.

Das Fotografieren oder Filmen seitens der Zuschauer ist an Konzerten in der Regel untersagt. Es lässt sich aber in Zeiten von Smartphones und Co. nicht wirklich unterbinden. Zu schnell ist das kleine Gerät gezückt und eine Erinnerung auf die digitale Speicherkarte gebannt. Und nicht selten sieht man, wie einzelne Zuschauer aus dem Publikum ganze Passagen filmen oder den Ton mit einem Handyrecorder aufnehmen. Dass hier Persönlichkeits- und Urheberrechte verletzt werden könnten, scheint niemanden zu interessieren. Viel zu sehr hat die allumfassende Digitalisierung Einzug in unseren Alltag genommen und der technische Fortschritt begünstigt diesen Prozess, indem er immer mehr Speicherplatz zur Verfügung stellt. Fotografieren und Filmen ist zur Normalität geworden. Der einst flüchtige Moment wird festgehalten und kann jederzeit wiedererlebt werden. Je kostbarer er einmal war, umso stärker wird er durch wiederholten Konsum abgenutzt. Aus der Einmaligkeit des «live» ist ein permanentes «re-live» geworden. Darunter leidet insbesondere die Konzertsituation. Denn das digitale Abbild ist eben nicht identisch mit den Akteuren aus Fleisch und Blut, die auf der Bühne Höchstleistungen vollbringen. Wie stark die Grenzen zwischen beiden jedoch bereits verschwommen sind, greift der belgische Komponist Stefan Prins in seinem Werk Mirror Box Extensions auf.

Prinzip der Spiegeltherapie

Das Stück wurde 2015 bei den Donaueschinger Musiktagen vom Nadar-Ensemble aufgeführt. Sieben Instrumentalisten werden mit Elektronik und Video-Projektionen ergänzt. Es basiert auf der Komposition Mirror Box aus dem Jahr 2014. Darin behandelt Prins auf musikalische Weise das Prinzip der Spiegeltherapie, wie sie von Medizinern verwendet wird. Patienten, die nach einer Amputation unter Phantomschmerzen leiden, legen ihre verbleibende gesunde Gliedmasse in eine mit Spiegeln ausgestattete Kiste. Jede ausgeführte Bewegung wird nun durch das Spiegelbild gedoppelt und es entsteht der optische Eindruck zweier funktionstüchtiger Arme oder Beine. Diese Illusion lässt sich therapeutisch nutzen.

Bei Prins ist Mirror Box der dritte Teil einer Werkreihe mit dem Titel Flesh+Prosthesis, in der Hybride aus Mensch und Technologie geschaffen werden. Die instrumental erzeugten Klänge werden aufgenommen und live-elektronisch transformiert, wobei sich die Musiker als «Fleisch» und die Elektronik als «Prothese» verstehen lassen. Für Mirror Box Extensions wurde dieses Prinzip um Videos erweitert, die vorproduziert und im Konzert auf durchsichtige Leinwände projiziert wurden. Sie zeigen die spielenden Musiker in Lebensgrösse, sodass es schwerfällt, sie vom Original zu unterscheiden. Bild und Abbild bewegen sich, erstarren, verschwinden und erscheinen. Es geht dem Komponisten darum zu zeigen, wie sehr reale und virtuelle Lebenswelt in unserem Alltag bereits verschmolzen sind. Die digitalen Kopien der auf der Bühne agierenden Musiker nennt er «Avatare» und sie spielen auch in anderen seiner Werke eine wichtige Rolle. So etwa in dem Klavierzyklus Piano Hero, dessen dritter Teil bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik 2016 uraufgeführt wurde. Hier zeichnet sich jedoch eine gegenläufige Tendenz ab. In Piano Hero I (2011) steuert der Pianist über eine digitale Klaviertastatur kurze Videosequenzen, die auf eine Leinwand projiziert werden und ihn beim Ausführen verschiedener Aktionen im Innenraum eines Konzertflügels zeigen. Ausgebaute Tasten des Klaviers fallen auf die Saiten, es wird gekratzt und geschabt. Sämtliche Klänge kommen aus den Lautsprechern, nur selten dringt das dumpfe Klacken der digitalen Tastatur durch. Im zweiten Teil werden ebenfalls Videos eingesetzt, der Pianist spielt jedoch zusätzlich auf einem akustischen Klavier und tritt so mit seinem Abbild in den Dialog. Verschwunden ist der Avatar schliesslich im dritten Teil des Zyklus, in dem lediglich eine live-elektronische Verarbeitung der Klänge im Inneren des auf der Bühne befindlichen Flügels stattfindet. Hier gibt es kein Video mehr. Der Musiker tritt also aus dem virtuellen Raum in die analoge Welt, er erobert sich die Realität zurück und es bleibt abzuwarten, ob Prins diese Entwicklung in weiteren Werken der Piano Hero-Reihe fortsetzt. In Mirror Box Extensions hingegen findet durch die Projektionen eine Erweiterung auf der digitalen Ebene statt. Stefan Prins schafft eine hybride Konzertsituation aus Musikern und deren Avataren, die unsere zunehmend technologisierte Lebenswirklichkeit reflektiert. Reelle und virtuelle Welt verschwimmen immer mehr, er nennt diesen Zustand «erweiterte Realität».
 

Einfluss des Publikums

Neben dem Verwirrspiel um Bild und Abbild der Musiker tritt ein weiteres Moment der Irritation ein, wenn nach etwa der Hälfte der gut 30-minütigen Komposition einzelne Zuschauer beginnen, mit Tablets die Bühne zu fotografieren. Von ihren Plätzen aus halten sie dafür die Geräte in die Höhe, was bei einigen Konzertbesuchern für Empörung sorgt. Doch schnell wird klar, dass sie Teil der Komposition sind. Der hybride Zustand reicht bis in den Zuschauerraum, und somit ergibt sich eine neue Dimension der Spiegelung. Der Musiker wird von dem Video auf der Leinwand reflektiert und beide vom Tablet der Zuschauer. Stefan Prins greift hier die allgegenwärtigen, auch auf Konzerten Neuer Musik zu sehenden Smartphones und Tablets auf, indem er sie in sein Werk integriert. Spätestens seit John Cages «stillem» Stück 4´33´´ besteht ein Bewusstsein dafür, dass auch vom Komponisten nicht beabsichtigte Klänge, die auf irgendeine Weise im Rahmen einer Aufführung entstehen, integraler Bestandteil der musikalischen Erfahrung sind. Telefone, die in Taschen gesucht werden, Fotos schiessen und im schlimmsten Fall anfangen zu läuten, sind keine Seltenheit. Doch nicht nur produzieren sie Geräusche, die andere Zuschauer als störend empfinden könnten, viel mehr zerstört jedes Abbild der spielenden Musiker die Einmaligkeit der Darbietung. Wie sehr die Konzertsituation dadurch verändert wird, zeigt Stefan Prins in Mirror Box Extensions. So bilden die Tablets der Zuschauer in seiner Komposition sowohl die gemachten Fotos der Bühne als auch vorproduzierte Videosequenzen der Instrumentalisten ab. Das Stück endet mit dem Verschwinden der Musiker auf der Bühne und ihrem Verbleiben auf den Geräten. Zwar ist die Aufführung mit ihrer Einmaligkeit vorbei, doch ein Abbild des Erlebten verbleibt im digitalen Raum, wo es jederzeit abgerufen und konsumiert werden kann. Was Prins im Konzert zeigt, gilt auch ausserhalb. Im Zuge der Digitalisierung sind wir zunehmend mit Computer, Smartphone und Tablet verwachsen. Ein beachtlicher Teil unseres Lebens findet im virtuellen Raum statt. Bei der Fülle an Bildschirmen, die uns alltäglich umgeben und Einblick in andere Welten gewähren, fällt es mitunter schwer, zwischen Fakt und Fiktion zu differenzieren. In Stefan Prins’ Ensemblestück Mirror Box Extensions wird der Zuschauer permanent mit Illusionen konfrontiert. Eben so, wie Patienten bei der Spiegeltherapie über die Funktionalität ihrer Gliedmassen getäuscht werden, fällt es bei Prins schwer, zwischen Bild und Abbild zu differenzieren. Der hybride Raum, den er damit schafft, reflektiert künstlerisch unsere Lebenswirklichkeit, in der wir mit den digitalen Medien so stark interagieren, dass sie zu unseren Prothesen geworden sind.

Christopher Jakobi

… studiert Musikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zzt. Masterarbeit über die Klangsättigung in der Musik Raphaël Cendos.

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Boulez bei Burger King?

Neue Musik zum schnellen Verzehr.

Pavel Losevsky/fotolia.com
Boulez bei Burger King?

Neue Musik zum schnellen Verzehr.

Mit Pierre Boulez starb diesen Januar die letzte grosse Gründerfigur der Neuen Musik. In den obligaten Nachrufen wurde versucht, seinem breiten Wirken gerecht zu werden. Manchmal stand der Komponist Boulez im Zentrum des Interesses, manchmal der Dirigent und zuweilen gar der Kulturfunktionär. Schliesslich aber zielten alle diese Texte auf die alles entscheidende Frage: Wird er, wird seine Musik bleiben?

Ohne zu übertreiben kann sie als die Gretchenfrage der Kunstrezeption bezeichnet werden. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird zum grossen Komponisten nur erklärt, wer vor dem Urteil nachfolgender Generationen besteht. Eine Haltung, die dem heutigen Klassik-Betrieb einige Probleme beschert. Besonders zu leiden hat dabei das zeitgenössische Musikschaffen, das im Verlauf des 20. Jahrhunderts an den Rand der gesellschaftlichen Wahrnehmung gedrängt wurde. Oft wird die Schuld dafür beim Musikbetrieb, dem Publikum oder anderen dunklen Kräften gesucht. Dabei geht aber vergessen, dass nicht nur die Rezipienten, sondern die Produzenten selbst wenig Interesse an der Gegenwart zeigen. Denn auch die Komponisten unserer Zeit haben verinnerlicht, dass nur der wirklich zählt, dessen Musik überlebt.

Obwohl in der Neuen Musik also viele traditionelle Vorstellungen über die Tonkunst zur Disposition gestellt wurden, halten die meisten ihrer Vertreter am Narrativ der die Zeiten überdauernden Meisterwerke fest – wohl in der Hoffnung, selbst einen Beitrag zum Kanon beizusteuern. Man könnte über diesen romantischen Anachronismus der Avantgarde grosszügig hinwegsehen, indem man ihn zum psychologisch notwendigen Teil einer in unbekannte Gefilde vordringenden Künstlerexistenz verklärt. Könnte man. Doch um dem zeitgenössischen Musikschaffen auch im dritten Jahrtausend Präsenz zu verschaffen, bedarf es frischer Ansätze.

Hamburger statt Filet Wellington

Wagen wir ein Gedankenexperiment – statt Werke für die Ewigkeit zu schaffen, welche dann doch nur einmal aufgeführt werden, könnte man die Not zur Tugend machen: Stücke schreiben für den Augenblick, für genau eine Aufführung, unwiederholbar. Oder, um es mit einem Vergleich zu sagen: Statt ihren Namen in Gerichten wie dem Filet Wellington zu verewigen, sollten sich die Komponisten hinter den Grill bei McDonalds stellen. Musik mit den Vorzügen eines Hamburgers schaffen – schnell zu verschlingen.

Was gäbe es dabei zu gewinnen? Sieht man sich die Entwicklung der Musikbranche an, erkennt man einen kontinuierlichen Zerfall des bisherigen Geschäftsmodells. Die Tonträgerindustrie wurde durch Gratis-Downloads ihres Absatzmarktes beraubt, Geld verdient man höchstens noch mit Konzerten. In der Popmusik verlangen daher die Grössen der Zunft für immer aufwendiger inszenierte Livekonzerte immer höhere Eintrittspreise, während sich in der E-Musik der Kult um Interpreten ins Unermessliche steigert. Während deren Gastspiele zumeist gut besucht werden, bleiben die Säle ansonsten halb leer. Den Trend hin zum Konzert als aussergewöhnlichem Ereignis gilt es aufzugreifen und konsequent weiterzudenken. In Zeiten der Reproduzierbarkeit und digitalen Verbreitung von Musik kann die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden. Diese Entwicklung zu antizipieren, ist die Herausforderung, aber auch die Chance gerade der Neuen Musik.

Ansätze in dieser Richtung gab es bereits einige. Die Aleatorik der späten 50er-Jahre, wie sie zum Beispiel in Stockhausens Klavierstück XI verwirklicht wurde, kann als Versuch interpretiert werden, einem Werk mit jeder Aufführung eine andere Gestalt zu verleihen. Noch mehr Einzigartigkeit, und somit mehr Eventcharakter, besitzen die ortsgebundenen Stücke des Kanadiers R. Murray Schafer (*1933). So sind im Musiktheater The Princess of the Stars die akustischen Begebenheiten des Aufführungsortes, eines kleinen Sees ausserhalb Torontos, in die Komposition mit einbezogen. Möchte man eine Aufführung des Werks erleben, muss man wohl oder übel nach Nordamerika reisen. Von solchen Ideen ist es nur noch ein kleiner Schritt, Kompositionen derart zu konzipieren, dass sie ein bestimmtes Konzert zu einem einzigartigen, unwiederbringlichen Ereignis machen. Von «Sternstunde» würde dann nicht mehr gesprochen, weil die Tastenlöwin XY mal wieder einen guten Tag hatte –, sondern weil man bei der einzigen Gelegenheit dabei war, das neue Stück zu hören.

Faktor Zeit

Freilich bedingt ein solches Konzept, die Musik entsprechend anzupassen. Da die Wiederholung eines Stückes ausgeschlossen ist, sollte es zum Beispiel bei einmaligem Hören zu verstehen sein. Es sollte schnell konsumierbar sein und keiner umfangreichen Erklärungen bedürfen. Doch widerspricht das nicht dem Selbstverständnis der Neuen Musik? Ist der Gedanke, dass Experimente Zeit brauchen, um verstanden zu werden, nicht konstitutiv für eine dem Fortschritt verpflichtete Musizierhaltung? Gewiss, doch der Blick in die vorklassische Vergangenheit zeigt zumindest, dass man anspruchsvolle Musik auch dann schreiben kann, wenn man weder auf wiederholte Aufführungen noch auf eine verständnisvollere Nachwelt schielt.

Komponisten wie Georg Philipp Telemann oder Johann Sebastian Bach hätten es sich nicht träumen lassen, dass ihre Musik über ihren Tod hinaus weiter aufgeführt würde. Tote Tonsetzer, auch die bekanntesten, besassen höchstens historischen Wert. Dennoch verwandten sie ihr ganzes Können darauf, Werke höchsten Anspruchs zu schaffen. Selbst ein Werk wie Telemanns Tafelmusik, per definitionem ein Stück Gebrauchsmusik, lässt subtil die Kunst seines Autors erkennen. Um den Zweck einer Musique de table nicht zu verfehlen, also ein höfisches Mahl nicht durch übermässige Expressivität der Musik zu stören, liegen die Raffinessen der Partitur auf einer anderen Ebene. Die virtuose Beherrschung unterschiedlichster Genres und Besetzungen ist es, die Telemann darauf hoffen liess, mit Hintergrundmusik Ruhm bei den Zeitgenossen zu erlangen.

Als weiteres Beispiel können Bachs über 200 Kantaten herangezogen werden. Jede Woche hatte nicht nur eine neue geschrieben, sondern auch gleich einstudiert und am Sonntag aufgeführt werden müssen. Dennoch schaffte es der Komponist, den spezifischen Ausdrucksgehalt jedes Textes aufzunehmen und in Musik zu fassen. Solche Mühen nahm er im Wissen oder aus heutiger Sicht eher im Glauben auf sich, dass es beim einmaligen Erklingen dieser Werke bleiben würde.

Zugegeben, diese zwei Beispiele entstammen einem gesellschaftlichen Umfeld, in dem die Musik Funktionen einnahm, die sie heute nicht mehr erfüllen kann. Herrschaftliche Repräsentation und die Lobpreisung Gottes zählen nicht zu den primären Aufgaben der Neuen Musik. Trotzdem vermögen sie zu zeigen, dass die Qualität der Musik nicht unter den oben beschriebenen Anforderungen zu leiden braucht. Auch schnell geschriebene, auf Anhieb erfassbare Stücke oder Konzepte können höchsten ästhetischen Ansprüchen genügen.

Doch wie steht es mit der Idee, dass fortschrittliche Kompositionstechniken Zeit brauchen, um sich zu etablieren, um Allgemeingut zu werden? Ich glaube, dabei wird die Wirkungsmacht der Zeit überschätzt. Dazu eine kurze Anekdote: Vor Jahren beklagte eine alte Dame den Umstand, dass es heute keine «grossen Männer» wie Mozart oder Beethoven mehr gebe. Schon eher defensiv erwiderte ich ihr, dass das nicht stimme, es gebe doch Schönberg. Eine Bemerkung, welche sie nur mit einem spöttischen «Ach, die Modernen» quittierte. Ein Komponist, der dazumal bereits 50 Jahre tot war, wurde von der Dame noch immer als modern abgestempelt. Ein halbes Jahrhundert reichte also nicht aus, um Schönbergs Musiksprache ihres neutönerischen Nimbus zu berauben. Es scheint daher für den avantgardistischen Komponisten ratsam zu sein, nicht allzu viel auf die Zukunft zu geben. Wieso es also nicht mit Hamburgern versuchen? Und keine Angst, bloss am Konsum orientiert ist das nicht. McDonalds Burger sind zwar schnell geschluckt, bleiben aber lange im Magen.
 

Simon Bittermann

… arbeitet seit über 20 Jahren im Musikalienhandel und hat nebenbei Philosophie und Musikwissenschaft studiert. Er schreibt regelmässig Kritiken für den Tages-Anzeiger. Und falls er endlich die Zeit dafür findet, wird er sich in seiner Dissertation mit den Philosophischen Aspekten von Schönbergs Überschreitung der Tonalität herumschlagen dürfen.

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Neue Musik und Konsum

Alf Loidl/pixelio.de
Neue Musik und Konsum

In unserer aktuellen Ausgabe sind sieben Essays zu diesem nur auf den ersten Blick vielleicht etwas spröde anmutenden Thema zu entdecken. Geschrieben haben für uns Absolventinnen und Absolventen des Nachdiplom-Studiengangs «DAS Musikjournalismus 2015/16» der Hochschule für Musik Basel in Kooperation mit dem Internationalen Musikinstitut Darmstadt. Der Kurs wurde von Björn Gottstein und Thomas Meyer sowie Stefan Fricke geleitet. Allein schon die Titel der Essays (in alphabetischer Reihenfolge) erhellen vielfältige Aspekte eines Themas, in dem man grosse Widersprüche vermuten könnte. Oder doch nicht?

Boulez bei Burger King?
Neue Musik zum schnellen Verzehr
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Die Neue Musik als Kaufhaus
Was man im Supermarkt moderner Klänge alles erstehen kann
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Geschlossen, ohne Gesellschaft
Warum und wie die Neue Musik ihre selbsterrichteten ­Zugangsbeschränkungen überdenken sollte.
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Bild und Abbild im hybriden Raum
Stefan Prin‛s Mirror Box Extensions
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Schafe auf der Bühne und in den Medien
Zeitgenössische Oper in den USA
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Sofa oder Polsterstuhl?
Livekonzert vs. Musikkonserve
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Versickerungstendenzen
Neue Musik und Konsum an entgegengesetzten Enden des Kulturbetriebes?
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Im Wohnzimmer von Mahalia Jackson

Eins der wohl schönsten Jazzbücher wurde wiederaufgelegt: Mit Jazzlife kann der Leser ins Jahr 1960 zurückkehren und dem Genre bei einer Reise quer durch die USA auf die Spur kommen.

Stan Getz by a stage door on Cosmo Alley, Hollywood. Copyright: William Claxton

1960 reiste der Fotograf William Claxton (1927–2008) zusammen mit dem deutschen Musikjournalisten und -produzenten Joachim Ernst Berendt (1922–2000) durch die USA, um Jazzmusiker und Strassenszenen an Orten wie New York, Kansas City oder Philadelphia festzuhalten. Das Buch mit dem Titel Jazzlife erschien in einer Grossauflage von zwei Millionen Exemplaren und war gleichwohl immer wieder vergriffen. 2003 veröffentlichte der Taschen-Verlag den um zahlreiche Farbfotos und Beiträge erweiterten Band erneut. Und jetzt erscheint erstmals eine Ausgabe des Buches, die sogar gebunden günstig ist. Es sind knapp 600 Seiten, auf denen der Jazz nicht mehr jung ist, aber auch noch keine grauen Haare hat.

Claxton, bekannt geworden durch stilbildende Fotos von Jazzikone Chet Baker und Schauspieler Steve McQueen, erinnert sich in seinem Vorwort, warum ihn Berendt für das Projekt gewinnen wollte: Seine Bilder hätten Seele. Und tatsächlich gelangen dem US-Amerikaner Aufnahmen, die zunehmend Cover-Art-Qualität hatten und gleichwohl nie an Wärme einbüssten. Man habe Tausende von Fotos gemacht und Hunderte von Interviews geführt, doch im Buch sei nur ein Bruchteil davon gelandet, was ihn schmerze, sagte Berendt. Aber: Was für ein faszinierender Bruchteil! Weil die beiden Herausgeber den Jazzbegriff weit fassten, bekommt der Leser zusätzlich Einblicke in die damalige Welt von Gospel, Blues und Dixieland. Man sieht, wie Mahalia Jackson den zwei Besuchern in ihrem Chicagoer Wohnzimmer eine Kostprobe ihres Könnens gibt, begegnet Duke Ellington am Monterey Jazz Festival und trifft Thelonious Monk in San Francisco mit Trenchcoat und vor einem Champagner-Cocktail sitzend. Auch viele unbekannte oder vergessene Gesichter sind zu entdecken, ebenso wie Geschichten, die von den Überbleibseln der Segregation oder dem Knast auf der anderen Seite von New Orleans erzählen.

Vor der Reise riet man Berendt davon ab – mit dem Argument, die ganze Jazzszene befinde sich doch in New York. Weit gefehlt, wie Jazzlife ebenso nach- wie eindrücklich beweist.

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William Claxton, Joachim Ernst Berendt, Jazzlife –
A Journey For Jazz Across America in 1960, Dt/En/Fr,
600 S., Hardcover im Schuber, € 49.99, Taschen-Verlag,
Köln 2016, ISBN 978-3-8365-4293-7

Schafe auf der Bühne und in den Medien

Über die Vermarktung Neuer Musik in Amerika am Beispiel von Louis Andriessens Bühnenwerk «De Materie».

Foto: ruhrgebiet/fotolia.com
Schafe auf der Bühne und in den Medien

Über die Vermarktung Neuer Musik in Amerika am Beispiel von Louis Andriessens Bühnenwerk «De Materie».

 Ende März, in New York, blökten Schafe auf der Opernbühne. Ihre nahezu alles überschattende Präsenz in den Zeitungen, in sozialen Netzwerken, ja sogar in Alltagsgesprächen jeglicher Art, liess es kaum zu, sich ihrer zu entziehen. Da sie nur eine kleine Rolle in der Inszenierung von Louis Andriessens De Materie spielten, schien ihre Dominanz in den New Yorker Medien verwunderlich. Dieses Beispiel ist aber bezeichnend für den amerikanischen Umgang mit Neuer Musik.

Die Tatsache, dass Schafe über die Bühne wanderten, müsste nicht so bemerkenswert sein. Der Anlass dafür war jedoch die Neueröffnung der vor Kurzem renovierten Armory. Die schauspielernden Tiere kamen in Heiner Goebbels Inszenierung der Anti-Oper vor, die 2014 für die Ruhrtriennale entstanden ist. De Materie ist ein Stück des in den USA öfters aufgeführten Komponisten Andriessen, das seine amerikanische Uraufführung bereits zehn Jahre zuvor hatte. Damals führte das New York Philharmonic es jedoch konzertant auf, was die Neuinszenierung des zwischen 1985 und 1988 geschriebenen Stückes zu einem spannenden Happening machte. Die New York Park Avenue Armory erwarb die Inszenierung – die zweite szenische Aufführung des Stücks seit der Uraufführung durch Robert Wilson 1989 im Amsterdamer Muziektheater. Goebbels hatte seine Inszenierung für die Kraftzentrale Duisburg mit dem Ensemble Modern Orchestra und dem ChorWerk Ruhr unter Leitung von Peter Rundel konzipiert. Nun galt es zu überlegen, wie man die Inszenierung aus dem Ruhrgebiet in der Armory aufführen und an New York bzw. das New Yorker Publikum anpassen könnte.

Nachgewiesene Markttauglichkeit

Das ChorWerk Ruhr und der Dirigent wirkten auch in New York mit. Das junge International Contemporary Ensemble, das dieses Jahr auch in Darmstadt zu hören war, ersetzte allerdings das Ensemble Modern Orchestra. Die statische, bildreiche Inszenierung Goebbels sowie Andriessens ebenso statisches vierteiliges Werk eigneten sich für eine spektakuläre Werbekampagne, eine perfekte Vereinigung der kraftvollen Symbolik von Goebbels Arbeit mit der prachtvollen Herrschaftlichkeit der im 19. Jahrhundert gebauten Armory. The Gilded Age kommt 2016 in der Form hochgebildeter New Yorker Hipsters zum Ausdruck, für deren Bedürfnis nach spiessbürgerlichem Sich-zur-Schau-Stellen sich die östliche Seite New Yorks besser eignet, als die auf der anderen Seite des Parks verortete Met. Diesbezüglich war in einer Rezension der Aufführung im Wall Street Journal explizit zu lesen: «The Park Avenue Armory has also become a home of the hot ticket, offering buzz-worthy productions that are often imported from generously funded European arts festivals.»1 Ein Grundbaustein der amerikanischen Opernwelt sind gefragte, neue europäische Werke, deren Marktfähigkeit bereits erfolgreich getestet wurde. Bei derartigen Aufführungen spielt allerdings noch ein weiteres entscheidendes Element eine Rolle: Künstlerische Kreationen wurden in Europa sehr oft bereits finanziell unterstützt.

Spektakuläre Vermarktung

Kurz vor der Aufführung von De Materie veröffentlichten diverse New Yorker Zeitungen eine Reihe von Ankündigungen des zukünftigen Events. Bemerkenswert war dabei ihr fast ausschliesslicher Fokus auf die 100 Schafe, welche im letzten Akt des Stücks auf der Bühne zu bestaunen waren. Was waren das für Schafe? Woher genau kamen sie? (Im Programmheft war lediglich zu lesen: «100 sheep from the Pennyslvanian countryside.») Wie war es denn logistisch möglich, die Schafe nach New York zu bringen? Wie probt man mit Schafen? Sind Schafe die neuesten Primadonnen der Opernwelt? Vermeintliche Antworten auf alle diese Fragen fanden sich zuhauf in den vielen Porträts dieser neuen «Stars» – mitunter sogar in der New York Times und dem New Yorker. Bei solch dringlichen Fragen muss die Musik natürlich erstmals auf der Seite gelassen werden.

Das andere Bild, welches die Werbekampagne dominierte, war ein Tableau aus dem zweiten Teil des Stückes, in dem Andriessen eine Vision der Begine Hadewijch vertont hat. Die Hadewijch, in schwarz-weissem, einer Nonnentracht ähnlichem Kostüm, steht vor der vordersten Bank, während eine Gruppe von ganz in schwarz gekleideten Beginen zusammengebrochen auf den anderen, im Raum verteilten Bänken liegen. Die Halle ist zur Kathedrale transformiert, und Hadewijch steht in der Mitte, dem Publikum zugewandt, ihre Arme im Zeichen der Offenbarung und Vereinigung weit geöffnet. Das Publikum ist zum Altar, zum Gott ihrer mystisch-erotischen Vision geworden. Über diesem kargen Bild steht in Grossbuchstaben der Name der Anti-Oper: «DE MATERIE»: eine transzendentale Vereinigung des starken Bildmaterials der Inszenierung mit der Marketing-Abteilung der Armory.

Die Kraft einer solchen Vereinigung ist keineswegs zu unterschätzen, da es in den USA unvorstellbar ist, staatliche Unterstützung für künstlerische Projekte zu bekommen. Ganz besonders trifft dies natürlich auf Opern-Projekte zu. Die ständige Suche nach Geld ist ein alltägliches Leid des Musikerlebens, das für die Konsumenten nicht wahrnehmbar, deshalb jedoch nicht minder schwerwiegend ist. Daher auch die Leichtigkeit, sich darüber lustig zu machen. Im Grunde wären allerdings Respekt und Wertschätzung angebracht: Ohne die geschmacklose, plakative und scheinbar bodenlose Vermarktung einer Inszenierung würde sie unter Umständen nicht existieren – eine bittere Wahrheit, die einfach schnell runterschlucken zu müssen man sofort lernt.
Im Falle der Andriessen-Goebbels Inszenierung wurde das Spektakel der Vermarktung dem Spektakel der Inszenierung angepasst. Wenn das der Preis für die Aufführung eines vor allem in den USA wichtigen musiktheatralischen Werks des späten 20. Jahrhunderts ist, lässt sich daran fast nichts aussetzen. Wenn jedoch jegliche Aufführung einer Oper des 20. Jahrhunderts (vom 21. ganz zu schweigen) an einer etablierten Institution gewohnheitsmässig mit einem selbstgefälligen Tonfall als ein Wagnis beschrieben wird, wird man dieser Bezeichnung sowie des begleitenden Werbespektakels schnell müde. Dies ist besonders dann der Fall, wenn der Autor dieses Werks ständiger Gast der Ivy-League-Universitäten ist – Andriessen war im Wintersemester 2015/16 Gastprofessor in Princeton – und eine lange Liste von Kompositionsstudenten und -studentinnen in den USA hat. Andriessens Musik ist immerhin ein bereits konsumiertes, etabliertes Produkt bei uns Amerikanern.
 

Kritische Auseinandersetzung

Dann muss man sich wie jene zuvor zitierte Autorin des Wall Street Journals fragen, warum es den Import einer europäischen Inszenierung braucht, um die erste szenische Aufführung einer fast 30-jährigen Oper diesseits des Atlantiks zu sehen. Nicht dass es keine Uraufführungen Neuer Musik in den USA gäbe, jedoch sind diese kaum in etablierten Institutionen zu sehen. In der kommenden Saison, könnte man einwenden, wird Kaija Saariahos 2000 in Salzburg uraufgeführte L’amour de loin an der Met in einer Neuinszenierung von Robert Lepage zu sehen sein. Allerdings kam es im Zug der Ankündigung in der New York Times zu keiner ernsthaften Auseinandersetzung mit Saariahos Musik. Stattdessen wurde lediglich von der Tatsache gesprochen, dass es nun, 2016, die erste Aufführung der Oper einer Komponistin seit 1903 sei. «Met to Stage Its First Opera by a Woman Since 1903» lautete der Titel. 2 Zweifelsohne ist dies Grund zur Freude! Der selbstgefällige Ton jedoch, der proklamiert, man habe zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: eine Komponistin und eine Oper des 21. Jahrhunderts, ist alles anders als zeitgemäss. Mit dieser soft-core-zeitgenössischen Musik, deren ständig wiederkehrende, exotisch klingende Vokalriffs über einem summenden koloristischen Orchesterklangteppich in Wellen über einem schwimmt, lässt sich dieser «Blick in die Zukunft» – laut Met-Direktor Peter Gelb – immer noch als zahm und verhalten bezeichnen.
So kommt es schliesslich zur altbekannten Frage des Geldes. Auch wenn sich die Macht der Republikanerinnen und Republikaner irgendwann vermindern würde, so käme die staatliche Förderung der Künste als Diskussionspunkt im Senat dennoch nicht vor. Was aber trotz des ewig prekären Zustands der Operninstitutionen und der Medien, die deren Angebote ankündigen und diskutieren, verlangt werden könnte, wäre eine seriöse und kritische bzw. selbstkritische Auseinandersetzung mit ihren Inhalten. Dies würde in erster Linie den Verzicht auf derartige Schaf-Porträts, die lediglich zum Füllen der Konzerthallen dienen, voraussetzen. Stattdessen könnten die Schafe als misslungener Versuch, einen Lückenfüller zu finden, entlarvt und beschrieben werden. Dies war allerdings auch Goebbels Versuch, mit seiner Inszenierung das Publikum in der 15-minütigen ersten Hälfte des vierten Teils zu unterhalten, während dem zwei Akkorde in den stimmbaren Schlaginstrumenten (Glockenspiel, Vibrafon), Klavier und Harfe im langsamen Wechsel gespielt werden. Man könnte fragen, ob die statische Bildhaftigkeit der Inszenierung die Fetischisierung des erotisch-mystischen Schreibens der Begine Hadewijch in Andriessens Partitur unterstützt oder hinterfragt. Schliesslich liesse sich sogar fragen, ob und wie Goebbels Auseinandersetzung mit Andriessens Oper dem Publikum etwas Neues über das Stück lehrt. Auf jeden Fall waren die einhundert Schafe auf der Bühne der Armory nicht das einzige beeindruckende Ereignis, das es zu bestaunen gab.

Anmerkungen

1 Heidi Waleson, Opera’s Changing Face: «Orphic Moments» and «De Materie» offer a chance to examine the changing nature of the institutions that perform opera in The Wallstreet Journal, 4. April 2016.
www.wsj.com/articles/operas-changing-face-1459806371
2 Michael Cooper, Met to Stage Its First Opera by a Woman since 1903 in New York Times, 17. Februar 2016.
www.nytimes.com/2016/02/18/arts/music/met-to-stage-its-first-operaby-a-womansince-1903.html

 

Elaine Fitz Gibbon
… ist Doktorandin am Germanistik-Department der Universität Princeton. Sie schreibt über Neue Musik, vor allem Opern und Musiktheater, die zwischen der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts und heute geschrieben wurden; ausserdem interessiert sie sich für die Rezeption dieser Werken in den USA.

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