Ruhetage in Davos

Vom 4. bis 18. August findet das diesjährige Davos-Festival statt. Es wandert von Gipfeln, liiert sich mit Geschichten und lässt sich Zeit. Es ist das letzte unter der Leitung von Reto Bieri. Einige Eindrücke aus dem Ruhegeschehen.

Ensemble Ouranos auf der Festival-Wanderung. Foto: © Yannick Andrea,Reto Bieri unterwegs mit Goethes «Über allen Gipfeln ist Ruh». Foto: © Yannick Andrea

Andere Festivals haben einen «Artist in Residence», Davos hat einen «Artist in Ruhe». Das ist genau die Art von Kontrapunkt und Hinterfragung, die der künstlerische Leiter Reto Bieri anstrebt. Er hat auch genau die richtige Besetzung für diese einzigartige Position: Patricia Kopatchinskaja. Das Radio habe angefragt: «Wann spielt sie denn?» – Sie spielt gar nicht, sondern lässt ihre Geige ruhen. Ab und zu spricht sie am festivaleigenen Radio Ruhe, auf dem vor allem «die aktuelle Ruhe vor Ort» zu hören ist: Landwassergeriesel, Grillen auf der Stafelalp, Spülmaschinen im Hotel Schweizerhof.

Patricia Kopatchinskaja sei für ihn ein Phänomen der Ruhe, führt Bieri aus. Sie hätten einmal ein Stück zusammen gespielt, etwas furchtbar Schwieriges. Er habe ein halbes Jahr geübt. Als sie sich drei Tage vor der Aufführung getroffen hätten, habe die Geigerin gestanden, das Werk noch nicht angeschaut zu haben. Sie seien es dann gemeinsam durchgegangen, ganz langsam, hätten es eingerichtet. «Jetzt muss ich schlafen», habe Kopatchinskaja daraufhin gesagt. «Wir hatten kaum etwas gemacht», berichtet Bieri, «aber als wir uns gegen Abend wieder trafen, beherrschte sie das Stück!»

Der Ruhe auf die Spur kommen oder eher sich der Ruhe hingeben, will nun das ganze diesjährige Festival unter dem Titel «Heute Ruhetag». Der Untertitel «Young Artists in Concert» gibt an, was das Festival seit der Gründung 1986 tut: Es gibt jungen Musikerinnen und Musikern an der Schwelle zum Berufsleben die Möglichkeit, zwei Wochen in ausgewählten Ensembles zu arbeiten und aufzutreten.

Mitfiebernde Freunde

Das letzte Konzert, das ich bei meinem Davos-Aufenthalt höre, ist eine Matinee in der Pauluskirche. «Heute wegen Tod geschlossen» heisst sie und verbindet Werke von Komponisten, die mit falschen oder gar willentlich gefälschten Todesnachrichten zu tun hatten. So eine Bearbeitung der Trauermusik, die Cherubini zum Tod von Haydn schrieb. Joseph Haydn war aber gar nicht gestorben, sondern sein Bruder. Der Komponist liess verlauten: «Wenn ich von der Feier vorher gewusst hätte, wahrhaftig, ich wäre nach Paris gereist.» Friedrich Gulda, der exzentrische Komponist und Pianist, hatte sich Nachrufe verbeten und testete dann mit einer falschen Todesmeldung, ob sich die Presse auch daran halte. Diesen aufbegehrend-eigensinnigen Geist gibt die Geza-Anda-Preisträgerin Claire Huangci wieder, die mit grosser Verve einige seiner kurzen Stücke spielt.

Ich sitze auf der Empore, um mich herum viele junge Festivalteilnehmer. Aufmerksam verfolgen sie, wie ihre Kolleginnen und Kollegen spielen. Als Thomas Reif, Ruiko Matsumoto und Michael Schöch den letzten Satz von Haydns C-Dur-Klaviertrio Hob XV:27 sehr rasch in Angriff nehmen, geht ein Raunen durch die Reihen, das am Ende in begeisterten Applaus umschlägt. Denn die drei bringen ihr halsbrecherisches Tempo mit Spielfreude, Schalk und Präzision ins Ziel.

Verbindende Musse

Im Gespräch mit meiner Sitznachbarin will ich wissen, was sie denn nun – neben den musikalischen Fortschritten – nach Hause nehmen werde. Die Nachwuchsgeigerin Maria Elisabeth Köstler muss nicht lange überlegen: «Weniger ist mehr! Sowohl bei einem Programm, als auch in der Arbeit.» Sie habe schon an verschiedenen Sommerakademien teilgenommen. Oft sei nicht nur die Unterbringung prekär gewesen, sie habe zum Teil auch in fünf verschiedenen Ensembles proben und auftreten müssen. Da komme Hektik auf; das Resultat sei unbefriedigend. Hier dagegen habe man auch mal einen freien Tag zum Wandern oder freien Musizieren mit anderen. Man könne sich in der Kammermusikgruppe wirklich kennenlernen. Genau das strebt Reto Bieri an. Er betont, er überlege sich sehr genau, wen er mit wem zusammenbringen wolle. Und diese Feinabstimmung spürt am Ende auch das Publikum.

Ansteckende Programme, Zumutungen inklusive

Als weitere wichtige Erfahrung nennt Köstler: «Wie man stimmige Programme macht, in denen sich alles aufeinander bezieht.» Da gibt es in Davos tatsächlich viel abzuschauen. Die Titel und Querverbindungen sind nämlich nicht nur Lockvögel im Programmheft. Der Sprecher Tom Tafel oder auch Reto Bieri selbst schnüren in den Konzerten Literatur, Lokal- und Weltgeschichte mit der Musik zu einleuchtenden Paketen zusammen. Goethes «Über allen Gipfeln ist Ruh» wird erwandert von der Steinwüste auf dem Jakobshorn bis ins Tal – passende Musik an jeder Station. So eingebunden geht das Publikum auch auf Zumutungen neugierig ein, etwa als die Veranstaltung, die ein kurzer Nachklang zur Wanderung sein soll, gegen zehn Uhr in die Ankündigung mündet, das abschliessende Klavierwerk von Morton Feldman dauere 70 Minuten! Natürlich bleiben nicht alle, aber es ist auch kein Problem, wenn ein Teil des Publikums die Ruhe bei sich zu Hause vorzieht. In den ersten Festivaltagen war bereits Feldmans sechsstündiges Streichquartett Nr. 2 aufgeführt worden mit dem Hinweis: «Ein- und Ausstieg jederzeit möglich.» Finken standen zur Verfügung, damit der Publikumsverkehr leise vonstatten ging.

Eher geräuschvoll und aufgrund der längeren Vorbereitungszeit bereits im Vorfeld geprobt ist die Kammeroper, die am ersten Festivalwochenende zur Aufführung kommt. Über das Thema Ruhe leuchtet die Wahl des Stoffes unmittelbar ein: Tim Krohns Episodenerzählung Aus dem Leben einer Matratze bester Machart. Darin wird in acht Stationen von 1935 bis 1992 auf einer Matratze geliebt und gespielt, gestritten und gelitten. Was sich im Buch durch die Konzentration auf Kleinstepisoden zu einer Art Kaleidoskop des 20. Jahrhunderts weitet, will in der gleichnamigen Musiktheaterfassung von Leo Dick nicht recht gelingen. Zu vermischt, zu wenig spezifisch eingesetzt sind die angewandten Mittel und Techniken.

Die eigene Begeisterung

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«Ein Festival muss aus dem Ort herauswachsen, muss mit dem Ort und den Leuten zu tun haben, sonst hat es keinen Sinn.» Mit dieser Überzeugung hat Bieri die Leitung in Davos vor fünf Jahren übernommen. Darum sind auch die Festivaltitel jeweils verbale Fundsachen aus der Gegend. Noch wichtiger: Die Leute aus dem Dorf und die Feriengäste sollen beteiligt sein. Aus diesem Bestreben entwickelte sich beispielsweise das Offene Singen. Am Anfang seien da nur wenige Leute gekommen, doch mittlerweile ist es ein beliebter, zum Teil regelrecht herbeigesehnter Teil der Festivalwochen. Das Festival als Ganzes, früher vielleicht eher eine Privatveranstaltung für Leute aus dem Unterland, habe sich geöffnet. Aber so sehr Bieri auch das Publikum im Blick hat, so wenig sieht er sich als selbstlosen Vermittler: «Jetzt sage ich etwas Provokatives: Ich habe alles eigentlich nur für mich gemacht! Und zwar nicht, um Erfolg zu haben, sondern weil ich an jedem kleinsten Detail Freude habe! Ich habe das Gefühl, genau indem ich das für mich mache, kann es dann auch bei anderen ankommen.»

Warum hört Reto Bieri nun also nach fünf Jahren auf? «Wir haben hier wirklich etwas bewirkt, nicht ich allein, das ganze Team. Jetzt müsste man das verwalten. Es kommen neue Dinge. Und wenn ich atmen kann, dann atme ich auch anderswo.» Ab dem nächsten Jahr wird der Pianist Olivier Schnyder das Davos-Festival leiten.

Kulturagenten – für kreative Schulen

Die Stiftung Mercator Schweiz führt in Kooperation mit verschiedenen Kantonen das Projekt «Kulturagenten – für kreative Schulen» durch. Von 2018 bis 2023 werden insgesamt 18 Schulen teilnehmen können.

Foto: Tierney – fotolia.com,SMPV

Kern des Projekts «Kulturagenten – für kreative Schulen» sind sogenannte Kulturagentinnen und Kulturagenten, die über den Zeitraum von vier Jahren an den teilnehmenden Schulen eingesetzt werden. Die Agentinnen und Agenten kennen sich mit Kultur aus, sind oft selbst künstlerisch tätig und in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen erfahren. Sie haben die Aufgabe, gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern, den Lehrpersonen, der Schulleitung, den Eltern, den Kulturschaffenden und Kulturinstitutionen ein umfassendes Angebot an kultureller Bildung zu entwickeln und durchzuführen. Pro Kanton oder Kantonsverbund können sechs Schulen im Bereich der Volksschule teilnehmen.

Die Aufwendungen für das Gesamtprojekt belaufen sich auf 4,3 Millionen Franken, wovon die Stiftung Mercator Schweiz 3,4 Millionen Franken übernimmt. Die teilnehmenden Kantone übernehmen die Kosten für das Kunstgeld, das sich pro Schule und Schuljahr auf 12’500 Franken beläuft. Die Schulen stellen die notwendigen personellen Ressourcen bereit und können sich freiwillig mit zusätzlichen Mitteln an der Finanzierung der Projekte an den Schulen beteiligen.
 

Warnsignal Schmerz

Das 16. Symposium der SMM und der SIS beschäftigt sich in Luzern mit einem Thema, das keinesfalls verdrängt werden sollte.

SMM — Schmerzerfahrungen gehören zum Musikeralltag. Sie können Karrieren behindern oder gar beenden. Es sei denn, man versteht sie als Signale, künstlerische Ambiti-onen oder berufliche Verpflichtungen so zu steuern, dass Gesundheit und Unversehrtheit des Leibes nicht gefährdet werden. Galt früher einmal Durchbeissen und Ignorieren von physiologischen und körperlichen Widerständen als Zeichen falsch verstandener Professionalität, ist heute klar, dass nur kluge, informierte Rücksicht auf das eigene körperliche Wohlergehen ein langes und befriedigendes Musikerleben gewährleisten kann.

Am Symposium der SMM weist der Psychiater und Psychotherapeut Stefan Büchi – er ist Ärztlicher Direktor der Privatklinik Hohenegg –darauf hin, dass Schmerz nie ein isoliert zu betrachtendes körperliches Phänomen ist, sondern eine Grunderfahrung, die gleichermassen kognitive, emotionale und soziale Aspekte beinhaltet. Dazu diskutiert er die Konsequenzen dieses Schmerzverständnisses für die Therapie.

Anke Steinmetz, die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin (DGfMM), wird darlegen, dass neben einseitigen und oft lang andauernden statischen Belastungen auch instrumentenspezifische und ergonomische Aspekte in der Schmerzentwicklung eine wichtige Rolle spielen. Erfolgreiche Therapien chronischer Schmerzsyndrome, so die Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin, erfordern in der Regel multimodale interdisziplinäre Behandlungskonzepte.

Aktuelle Erkenntnisse der internationalen Bindegewebsforschung mit Relevanz für die Musik-Medizin präsentiert Robert Schleip, der Leiter der Forschungsgruppe für Faszien an der Universität Ulm. Faszien (Bindegewebe) bilden ein feinmaschiges Geflecht, das Muskeln, Knochen und Organe umhüllt und durchdringt. Sie finden sich aber auch in der Haut, in den Knorpeln, den Knochen, den Gelenken, den Sehnen sowie in Gehirn und Rückenmark. Schleip erörtert unter anderem das Präventive Faszientraining zur Vorbeugung gegen Überlastungsschäden und die Rolle der faszialen Mechanorezeptoren für die propriozeptive Körperwahrnehmung.

Eine Präsentation ist praktischer Anleitung zur Selbsthilfe gewidmet. Die Spezialisten Horst Hildebrandt, Oliver Margulies und Marta Nemcova von der Musikersprechstunde der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) zeigen das Repertoire von Selbsthilfemöglichkeiten auf – neben sogenannten Engpassdehnungen und Selbstmassagetechniken unter anderem ein optimiertes Zusammenwirken von feinmotorischen Komponenten mit einer geordneten Stütz- beziehungsweise Haltungsmotorik.

Erfahrungen aus der Musikersprechstunde des Luzerner Kantonsspitals steuern in einer zweiten Präsentation Urs Schlumpf, Beate Walter und Katja Bucher bei. Sie zeigen auf, wie lokal muskuläre Überforderungen sich mit technischen Fehlern vermischen.

Eine nachhaltige Rehabilitation gelingt dabei nur dank einer interdisziplinären Vorgehensweise, bei welcher der diagnostizierende Arzt, die behandelnde Physio- oder Ergotherapeutin und der zuständige Musikpädagoge zu einer unité de doctrine gelangen.

Für die von der SMM-Präsidentin Martina Berchtold-Neumann moderierte Veranstaltung im Marianischen Saal in Luzern werden 5 SGARM Credits vergeben. Anmelden kann man sich bis am 15. Oktober über die Webseite der SMM am Ende der Symposiums-Seite (www.musik-medizin.ch/aktuelles-symposium) oder im Sekretariat der SMM.

Uri strafft Kriterien für Förderbeiträge

Zum 37. Mal vergibt die Kunst- und Kulturstiftung Werk- und Förderbeiträge. In diesem Jahr können sich Urner Kulturschaffende auch um einen Aufenthalt im Zentralschweizer Atelier in New York bewerben. Eine Heimatberechtigung im Kanton Uri genügt allerdings nicht mehr, um sich bewerben zu können.

Foto: nockewell/pixelio.de

Seit 1982 schreibt die Kunst- und Kulturstiftung Uri einmal pro Jahr das Urner Werkjahr sowie Förderungsbeiträge aus. Seit mindestens drei Jahren in Uri wohnhafte Kunst- und Kulturschaffende oder solche, die mindestens acht Jahre in Uri gewohnt haben, können sich um das Urner Werkjahr oder Förderbeiträge bewerben. Eine Heimatberechtigung im Kanton Uri genügt nicht mehr, um sich bewerben zu können. In diesem Jahr kann das neunköpfige Kuratorium wiederum das Zentralschweizer Atelier in New York vergeben. Urner Kulturschaffende haben so die Möglichkeit, im Jahr 2020 während mehrerer Monate in der amerikanischen Grossstadt zu leben und zu arbeiten.

Den Entscheid über die Vergabe fällt ein neunköpfiges Fachkuratorium unter der Leitung von Elisabeth Fähndrich. Entscheidend für die Vergabe sind die Dokumentation, der Leistungsausweis und die Präsentation der ausgestellten Werke im Haus für Kunst Uri. Das Urner Werkjahr, die höchste Auszeichnung, ist mit 20’000 Franken dotiert. Die Förderungsbeiträge betragen zwischen 4’000 und 10’000 Franken, Projektbeiträge bewegen sich im Rahmen von 2’000 Franken bis 6’000 Franken.

Die Kunst- und Kulturstiftung Uri hat in den vergangenen 37 Jahren Urner Kulturschaffende mit rund 1,1 Millionen Franken unterstützt. Ergänzend dazu überreicht der Regierungsrat des Kantons Uri seit 2011 an Persönlichkeiten mit grossen kulturellen Leistungen den «Goldenen Uristier». Die Kunst- und Kulturstiftung wird gemeinsam vom Kanton Uri sowie vom Kunstverein Uri getragen und mit Mitteln des Lotteriefonds gespiesen. Alle fünf bis zehn Jahre wird zudem einer Urner Persönlichkeit der Innerschweizer Kulturpreis verliehen, die höchste Auszeichnung der Zentralschweizer Regierungen.

Direktlink zu den Bewerbungsunterlagen:
http://www.ur.ch/de/verwaltung/dienstleistungen/?dienst_id=3896
 

Wie France Musique vermeldet, ist Jeanne Boulez-Chevalier, die Schwester des 2016 verstorbenen Komponisten Pierre Boulez, im Alter von 96 Jahren verstorben. Sie war mitverantwortlich für die Übergabe eines Teils des Boulez-Nachlasses an die Paul-Sacher-Stiftung in Basel.

Jeanne Chevalier spielte an ihrer eigenen Wirkungsstätte, in der Stadt Roanne (Loire) eine Rolle in der Filmwelt. In der Stadt trägt ein Kinosaal ihren Namen. Ihr Sohn Pierre Chevalier ist ein bedeutender Filmproduzent, unter anderem für den Kulturkanal Arte.

Aber auch an der Karriereentwicklung ihres Bruders hatte Jeanne Chevalier Anteil. So assistierte sie ihm etwa während der legendären Siegried-Inszenierung in Bayreuth mit Patrice Chéreau als Regisseur. Zusammen mit ihrem Bruder Roge Boulez und ihren Kindern entschied sie, dass der Nachlass des Komponisten auf drei Institutionen aufgeteilt wurde: Die Paul-Sacher-Stiftung, die Bibliothèque national de France und die Pariser Cité de la Musique.

 

Das Modell Meisterkurs auf den Kopf gestellt

Mehr Raum für Austausch auf Augenhöhe und ein steigender Frauenanteil: Die Darmstädter Ferienkurse befinden sich im Wandel. Davon zeugen auch die Eindrücke von drei Teilnehmenden aus der Schweiz.

Schlagzeug-Studio mit Corentin Marillier in der Mitte. © IMD 2018, Fotograf: Kristof Lemp

Eine Lehrperson spricht, ein Lernender spielt vor, die Klasse sieht aufmerksam zu: Im herkömmlichen Modell für Meisterkurse sind die Hierarchien klar definiert. Auch im Rahmen der Darmstädter Ferienkurse kommt es nach wie vor zu dieser Lernsituation, doch entspringen die nachhaltigen Impulse heute vermehrt anderen Formaten. Seit Thomas Schäfer 2009 die künstlerische Leitung der Kurse übernommen hat, ist der Austausch grösser und vielfältiger geworden. Im Bereich der Akademie konnten sich die Teilnehmer dieses Jahr in diversen Workshops zu ganz unterschiedlichen Themen wie kollektives Komponieren, Arbeiten im öffentlichen Raum oder künstlerische Forschung einbringen. Im Bereich des Diskurses wurde auch das Format der Vorträge («Lectures») durch verschiedene Beteiligungsformen gelockert. Schliesslich ist der «Open Space», der Ort für Darbietungen in Eigeninitiative, heute so weit etabliert, dass die verschiedenen Räume bereits in der ersten der beiden Wochen belegt waren. Schäfer greift auf das Bild von Platons «Philosophischem Garten» zurück, um zu beschreiben, dass in Darmstadt ganz unterschiedliche Akteure verschiedenster Herkunft mit diversen Kenntnissen, Fähigkeiten und Zielen zusammenkommen, die für einen bestimmten Zeitraum miteinander und voneinander lernen, zusammen leben und arbeiten – also gemeinsam Freiräume zur Entwicklung neuer Ideen schaffen.

Auf Augenhöhe lehren und lernen

Persönliche Einblicke in die verschiedenen Formen des ausgreifenden Darmstädter Thinktanks geben drei Teilnehmende, die aus der Schweiz angereist sind. Die 24-jährige Harfenistin Rahel Schweizer hat gerade ihren Master Pädagogik bei Sarah O’Brien in Zürich abgeschlossen und wirkt in verschiedenen Ensembles, Theatergruppen und einer Band mit. Verantwortlich für neue Initiativen in der Harfenklasse in Darmstadt ist die Dozentin Gunnhildur Einarsdóttir, die neben den Meisterkursen («Studios») zum Workshop «Composing for Harp» und zu Chamber Sessions eingeladen hat. Schweizer schätzt die Vielfalt der ausgewählten Kompositionen und die Offenheit in Proben: «Mir gefällt insbesondere der experimentelle Gedanke, dass alles ausprobiert werden kann – und das zunächst wertungsfrei.» In einer Probe mit dem britischen Komponisten Oliver Thurley feilt Schweizer mit Fingerhüten an den Saiten an der Umsetzung der Klänge, die bewusst an die Grenze des Möglichen führt. Unter anderem für dieses Stück mit dem Titel a horizon, gloa on the forest floor wird Thurley mit dem Kranichsteiner Musikpreis für Komposition ausgezeichnet.

Auf das Zusammenwirken in der Gruppe kommt es auch im Schlagzeug-Studio von Christian Dierstein und Håkon Stene an. Für das Konzert Hearing Metal and Nylon, das sich als Parcours durch die Räume der Edith-Stein-Schule gestaltet, und für die Freiluft-Darbietung des Workshops «Nature Theater of Darmstadt» gilt es, die Abläufe sorgfältig abzustimmen. Der 27-jährige Franzose Corentin Marillier, der zurzeit an der Hochschule Luzern bei Pascal Pons im Masterstudium Interpretation of Contemporary Music steht, ist denn auch nicht vornehmlich für die Arbeit an der eigenen Technik oder Spielweise angereist, sondern um Leute zu treffen und das eigene Tun zu reflektieren – was hier, wie er sagt, auch auf sehr hohem Niveau geschieht.

Gender-Gewichtungen verschieben

Gemäss der in Luzern lebenden Komponistin und Pianistin Asia Ahmetjanova hat sich das Klima bei den Darmstädter Ferienkursen merklich verändert. Die 26-jährige Lettin hatte bereits im Sommer 2014 als Komponistin teilgenommen und empfand die Stimmung damals als im negativen Sinne kompetitiv und für ihr Schaffen hemmend. Dieses Jahr wurde sie eingeladen, für den Workshop «Encounterpoints» mit Yaron Deutsch (Gitarre), Uli Fussenegger (Kontrabass) und Carlo Laurenzi (Klangregie) eine neue Komposition zu schreiben. Das Stück Motivation wird in kollegialer und gleichzeitig fordernder Probenarbeit einstudiert. Die offenere, ungezwungenere Atmosphäre führt Ahmetjanova auf den höheren Anteil an Dozentinnen und Teilnehmerinnen an den diesjährigen Kursen zurück. In der Tat setzt sich das Team der Darmstädter Ferienkurse seit Längerem dafür ein, Chancengleichheit und Diversität zu fördern. So werden durch stärkeren Einbezug von Dozentinnen Vorbilder geschaffen. Zum unmittelbaren und sichtbaren Umschwung führt zudem dieses Jahr eine vorübergehende Kontingentierung in den Kompositionskurse. Mit diesen Initiativen haben sich die Gewichtungen bei den Teilnehmenden (42% Komponistinnen) und bei den Dozierenden in Komposition (12 Komponistinnen und 14 Komponisten) deutlich verschoben, während die Themen Gender und Diversität im Rahmen der Tagung «Defragmentation» eingehend reflektiert werden.

Lo&Leduc mit Hitparaden-Allzeit-Rekord

Mit dem Ohrwurm «079» erzielt das Berner Duo Lo & Leduc einen Allzeit–Rekord. Seit nunmehr 21 Wochen steht der Song an der Spitze der Offiziellen Schweizer Single-Hitparade.

Lo&Leduc (Bild: Youtube-Videostill)

Damit überholt das Duo Ed Sheerans «Perfect» und Luis Fonsis «Despacito», die jeweils 20 Mal das Ranking anführten. Bereits im Frühjahr hatte «079» den Schweizer Bestwert von DJ Bobo («Chihuahua») und den Minstrels («Grüezi wohl, Frau Stirnimaa!») übertroffen. Beide Hits standen zehn Wochen auf Platz eins.

Mittlerweile liegt «079» bei über 90’000 Verkäufen (Downloads und Streams beigemischt), was vierfach Platin entspricht. In Deutschland wurde «079» bis jetzt fast eine Million Mal gestreamt.

Die Schweizer Hitparade wird im Auftrag von IFPI Schweiz von der Firma GfK Entertainment ermittelt. Sie ist Teil der GfK, eines der weltweit grössten Marktforschungsunternehmen.

Berner Studierende brillieren in Finnland

HKB-Studierende haben am 3. Lieksa Euphonium-Wettbewerb in Finnland gleich alle drei ersten Plätze belegt.

Die drei Preisträger (Bild: Lieksa Euphonium-Wettbewerb)

Gewonnen hat den Wettbewerb die Japanerin Ayaka Sato, den zweiten Platz belegte der Portugiese Alfedo Leitaō. Auf dem dritten Platz findet sich der Italiener Tobias Reifer. Die Preise sind mit 6000, 3000 und 2000 Euro dotiert.

Die Lieksa Brass Week, in deren Rahmen der Wetbwerb stattfand, ist 1980 von Musikberater Erkki Eskelinen ins Leben gerufen worden. Unterrichtet werden die Instrumente Trompete, Waldhorn, Posaune, Tuba und Euphonium. 2019 wird der Wettbewerb im Fach Posaune durchgeführt.
 

Bundesrat Berset lobt «Jugend und Musik»

Die mit der Kulturbotschaft 2016-2020 definierte ganzheitliche Ausrichtung der Kulturpolitik des Bundes hat sich laut Bundesrat Berset bewährt. Die beschlossenen konnten gemäss dem vorgesehenen Zeitplan eingeführt werden. Das Programm «Jugend und Musik» sei eine Erfolgsgeschichte.

Foto: Schweizerische Bundeskanzlei

Die strategischen Handlungsachsen dieser Kulturpolitik – die kulturelle Teilhabe, der gesellschaftliche Zusammenhalt sowie Kreation und Innovation – werden laut der Medienmitteilung des Bundsamtes für Kultur (BAK) in der nächsten Kulturbotschaft für die Jahre 2021-2024 weitergeführt.

Die politischen Diskussionen rund um den Unterricht der Landessprachen in der Primarschule sowie die zahlreichen kantonalen Volksabstimmungen zu diesem Thema hätten deutlich gemacht, welche Bedeutung diesem Aspekt der schweizerischen Vielfalt zukomme, erklärte Berset. In der neuen Kulturbotschaft für die Jahre 2021-2024 werde dieses Thema des sprachkulturellen Austauschs eine Priorität darstellen.

Auch die Stärkung der kulturellen Teilhabe wird in der nächsten Kulturbotschaft eine zentrale Rolle spielen. Bundespräsident Berset nannte als Beispiel das Programm Jugend und Musik. Dieses hat 2017 über 8500 Kindern und Jugendlichen ermöglicht, an Musiklagern oder -kursen teilzunehmen. Für 2018 sind bereits heute über 11’000 Teilnehmende geplant. Der Aufbau dieser musikalischen Breitenförderung bildet die erste Phase der Umsetzung des Programms und wird auch in der nächsten Förderperiode fortgesetzt. In der nächsten Kulturbotschaft sollen zusätzlich Massnahmen zur Begabtenförderung eingeführt werden.

Bundespräsident Berset erinnerte überdies daran, dass die Kreativwirtschaft in der Schweiz zurzeit 275’000 Menschen beschäftigt und eine Wertschöpfung von 22 Milliarden Franken im Jahr generiert. Künftig sollen neue Formen der Zusammenarbeit zwischen der Kultur und der Wirtschaft gesucht werden, dies insbesondere auch in Hinblick auf die Digitalisierung, die in den letzten Jahren auch im Kulturbereich deutlich an Bedeutung gewonnen hat. Die Kulturförderung muss ihre Instrumente entsprechend in allen Bereichen anpassen und weiterentwickeln.

Der Bundesrat wird im Frühling 2019 die Vernehmlassung der neuen Kulturbotschaft eröffnen. Im Februar 2020 sollte er die Botschaft dem Parlament zur Beratung vorlegen. Die definitive Verabschiedung der Kulturbotschaft für die Jahre 2021-24 sollte in der Wintersession 2020 erfolgen.

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