Eine Big-Band retten

Die ehemalige ZS-Big-Band soll als ORP-Big-Band erhalten bleiben. Dafür werden Geldspenden gesucht. Ein nächster Auftritt mit dem Orchester Reto Parolari ist für 2019 angesagt.

Aus der ZS-Big-Band wird die ORP-Big-Band. Foto: ORP

Anfang 2018 hat sich die Zivilschutzorganisation Winterthur von ihrem Aushängeschild, der ZS-Big-Band Winterthur getrennt. Dies schreibt das Orchester Reto Parolari (ORP) in einem Brief. Es hat 25 Jahre lang mit der ZS-Big-Band zusammengearbeitet, sei es im Rahmen des Festivals der U-Musik oder in gemeinsamen Konzerten.

Das ORP möchte die Ex-ZS-Big-Band in ihrer Form erhalten und zwar unter dem neuen Namen ORP-Big-Band. Das kann es aber mit den eigenen Mitteln nicht tun. Deshalb hat es eine Spendenaktion gestartet und hofft auf viel Wohlwollen und Unterstützung.
Der nächste Auftritt ist für November 2019 geplant unter dem Titel «Ein Abend im Circus».

Weitere Informationen und Kontaktaufnahme über www.orchester-retoparolari.ch
 

Einzahlungsschein zum Herunterladen (PDF)
 

Gut geschriebene Texte vermitteln Musik

Eine Studie des Frankfurter Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik relativiert den Einfluss des Komponistenprestiges bei der Bewertung klassischer Musik und zeigt: Das Gefallen an Musik wird durch lebendige Texte gefördert.

Foto: Rudis-Fotoseite.de/pixelio.de,SMPV

Das Hören von klassischer Musik wird häufig begleitet von Informationen über die Stücke: Im Konzert und in der Oper werden Programmhefte verteilt, zu jeder guten Klassik-CD gehört ein Booklet und im Radio werden klassische Stücke anmoderiert. Eine Studie am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik untersuchte nun den Einfluss verschiedener Informationen auf die Bewertung der gehörten Musik.

Zwei Fragen beschäftigten dabei die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Hat die Bekanntheit der Komponisten einen Einfluss auf das Gefallen der Stücke? Wie beeinflussen stilistisch unterschiedliche Einführungstexte die Einschätzung der Musik? Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer hörten im Rahmen der Studie eine Sinfonia von Josef Mysliveček (1737–1781). Während die eine Hälfte der Teilnehmer die richtigen Informationen über den Urheber des Stückes erhielten, wurde der anderen Hälfte gegenüber behauptet, es handle sich um ein Stück von Wolfgang Amadé Mozart (1756–1791). Vor dem Hören lasen die Teilnehmer beider Gruppen zudem eine kurze Einführung: Eine Gruppe erhielt einen Text, der auf lebhafte, teils blumige Weise die expressive Bedeutsamkeit der Sinfonia beschrieb, während der Text der zweiten Gruppe die formalen Eigenheiten der Sinfonia darlegte. Nach dem Hören bewerteten alle Teilnehmer die Sinfonia unter anderem danach, wie gut ihnen die Musik gefiel.

Die kürzlich in der Fachzeitschrift Psychology of Music veröffentlichten Ergebnisse bestätigen die naheliegende Vermutung, dass Vorabinformationen einen nachhaltigen Einfluss auf das Hörerleben von Musik haben. So konnte das Forscher-Team einen Alterseffekt bezüglich Prestige beobachten: Im Gegensatz zu älteren Teilnehmern gefiel jüngeren das Stück besser, wenn es Mozart zugeschrieben wurde. Dieses Ergebnis bestätigt Beobachtungen aus früheren Studien. Im Gegensatz zu früheren Studien nahmen an dieser Studie aber auch ältere Hörerinnen und Hörer teil, bei denen die Zuschreibung zu Mozart keine Auswirkung darauf hatte, wie gut ihnen das Stück gefiel. Die scheinbare Immunität der älteren Teilnehmer – mehrheitlich erfahrene Musikliebhaber – weist darauf hin, dass musikalisch-stilistische Erfahrungen vor externen Einflussnahmen auf die Bewertung von Musik schützen können.

Dagegen hatte der Stil, in dem der Text geschrieben war, über alle Altersstufen hinweg einen starken Effekt: Den Teilnehmern der Gruppe, die den ausdrucksstarken Text gelesen hatten, gefiel die gleiche Musik besser, als denen, deren Text nüchterne, musikanalytische Informationen präsentierte

Originalpublikation: Fischinger, T., Kaufmann, M., & Schlotz, W. (2018). If it’s Mozart, it must be good? The influence of textual information and age on musical appreciation. Psychology of Music. Advance online publication. DOI:10.1177/0305735618812216
 

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Zürcher erhält ein Zentrum für die Kreativindustrie

Die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) baut an ihrem Standort im Toni-Areal das Zurich Center for Creative Economies auf. Gründungspartnerin ist die Zürcher Kantonalbank (ZKB).

Zürcher Hochschule der Künste, Toni-Areal. Foto: Micha L. Rieser/wikimedia commons

Mit dem Zurich Center for Creative Economies (ZCCE) soll ein international führendes Kompetenzzentrum in Forschung, Lehre und Beratung entstehen. Seit rund 15 Jahren positioniert sich die ZHdK in diesem Feld erfolgreich. Die ZKB fördert die Initiative in den nächsten sechs Jahren mit insgesamt 1,9 Millionen Franken. Damit können bestehende Initiativen der ZHdK verknüpft und eine Professur, ein Senior-Fellowship-Programm sowie Förderprogramme für Start-ups und Spin-offs an der Schnittstelle von Studium und Arbeitsmarkt aufgebaut werden.

Etabliert sich das ZCCE erfolgreich, unterstützt die ZKB die Hochschule bis 2024 mit weiteren Beiträgen in der Höhe von 1 Million Franken. Eine Voraussetzung dafür ist, dass weitere Partner und Fördergelder gewonnen werden. Die ZHdK beteuert, dass die Partnerschaft zwischen ZKB und ZHdK «die Freiheit von Lehre und Forschung in keiner Weise beeinträchtigen». Die Wissenschaftsfreiheit sei vertraglich bekräftigt worden. Der Zürcher Fachhochschulrat hat die Zusammenarbeit genehmigt.

Die Kreativwirtschaft vereint zukunftsfähige Branchen und bildet einen wichtigen Teil des Arbeitsmarkts für die Absolventinnen und Absolventen der ZHdK. Daher ist sie für die Hochschule von strategischer Bedeutung. Zürich gilt mit innovativen Unternehmen und einer dynamischen Start-up-Szene national und international als Hotspot der Kreativwirtschaft. Rund ein Drittel der Schweizer Wertschöpfung entsteht im Kanton Zürich.

Prävention und Behandlung bei Musikern

Einladung zur Fortbildung «Prävention und Behandlung bei Musikern» am 24. und 25. Mai 2019 in Bad Neustadt

Foto: Kaspar Ruoff,SMPV

Das Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt und das Schweizerische Hochschulzentrum für Musikphysiologie SHZM laden zu einer ersten gemeinsamen Fortbildungsveranstaltung für Musikerinnen und Musiker am 24. und 25. Mai 2019 nach Bad Neustadt ein. Praktische Workshops zur fachgruppenspezifischen Körperarbeit und zum Stressmanagement im musikalischen Berufsalltag stellen den Hauptschwerpunkt der Veranstaltung dar. Weiterhin werden neue Strategien zur Prävention und Behandlung berufsspezifischer Probleme dargestellt und diskutiert. Das neue Kooperationsmodell «Gesundheit am Meininger Theater» wird als lernendes interdisziplinäres Modellprojekt vorgestellt. Der Flyer zur Veranstaltung kann als Download bezogen werden unter

https://www.campus-nes.de/presse-aktuelles/veranstaltungen/fort-und-weiterbildungen.html

Klassikliebhaber verlassen sich auf Kritiken

Eine Umfrage der Hochschule Luzern und der Universität Sheffield zeigt, dass gut zwei Drittel aller Klassikfans konstruktiv und nachvollziehbar begründete Musikkritiken nutzen, um sich zu informieren.

Foto: Susanne Schmich/pixelio.de

62 Prozent derjenigen, welche die Umfrage beantworteten, nutzen Profi-Musikrezensionen regelmässig. Vier von fünf Musikfreunden finden, Kritiken sollten konstruktiv, respektvoll, aufgeschlossen und unparteiisch informieren. Zudem wird eine gut begründete Bewertung erwartet. Etwa zwei Drittel der Klassikfans lesen gerne Vergleiche mit anderen Aufnahmen, ebenso viele lassen sich von einer klaren und packenden Schilderung überzeugen.

Die Online-Umfrage des Forschungsteams der Hochschule Luzern und der Universität Sheffield, die zwischen Januar 2017 und März 2018 auf deutsch- und englischsprachigen Web-Plattformen aufgeschaltet war, beantworteten 1200 Personen aus 62 verschiedenen Ländern, die klassische Musik regelmässig oder gelegentlich hören, das Altersspektrum reichte von 17 bis 85 Jahren.

Mehr Infos: https://www.hslu.ch/de-ch/hochschule-luzern/ueber-uns/medien/medienmitteilungen/2019/01/28/rezensionen-spielen-grosse-rolle-fuer-liebhaber-klassischer-musik/


Verlinkter Bildnachweis: Susanne Schmich / pixelio.de

Durch die Musikgeschichte streifen

Ein fesselndes Lesebuch durch 12 Jahrhunderte herausgegeben von Tobias Bleek und Ulrich Mosch

Foto: Petra Dirscherl/pixelio.de

Ganz neu und doch schon deutliche Gebrauchsspuren! Nicht, dass ich’s in einer Nacht durchgelesen hätte, aber ich habe dieses Buch immer wieder hervorgenommen, es kapitelweise gelesen, konsultiert. Es handelt sich hier nämlich nicht um eine herkömmliche Musikgeschichte, die klar und übersichtlich Fakten zusammenstellt und sie so auch etwas allzu eindeutig fixiert, sondern um ein Lesebuch. Nicht bloss auf gesichertes Wissen kommt es an (das ist die notwendige Voraussetzung), sondern mindestens ebenso, welche Auswahl man trifft, wie man die Teile verbindet und präsentiert. Gerade Musikgeschichte zu vermitteln, beruhend auf den neusten Erkenntnissen, befriedigend für Kenner, aber auch verständlich für Laien, ist eine Kunst. Ein Team um die beiden Herausgeber Tobias Bleek und Ulrich Mosch nimmt uns hier auf einen Streifzug durch zwölf Jahrhunderte mit, von 800 bis 2000. Ja, noch mehr, es setzt in der Antike an und reicht in die jüngsten Tage. Auch Popmusik 2.0 kommt zum Zug – und unser verändertes Hörverhalten.

Machen wir hier kurz Halt bei jener extravaganten Ars subtilior um 1400, die bald darauf durch süssere englische Töne abgelöst wurde. Das Buch stellt sie uns nicht als ausweglosen Manierismus vor, sondern als eine Musik, die durch die Mittel der Notation, der Konstruktion und der Intertextualität emotionale und gestalterische Nuancen darstellen wollte – dies in einer Zeit, als Europa und vor allem die Kirche gespalten waren. Derlei wird anschaulich erzählt, erfreulicherweise mit dem Mut zur erhellenden Anekdote, denn Musikgeschichte besteht auch aus Geschichten. Die Illustrationen bebildern nicht nur, sondern ergänzen. Mit Inserts werden Fachbegriffe umrissen und weitere Details hervorgehoben. Jeder Unterrichtende wird hier reichlich Stoff und Anregung finden. Sogenannte U-Musik taucht ebenso auf wie – seltener – aussereuropäische Musik. Gleichzeitig werden auch musiksoziologische, politische, mediale und technische Aspekte berücksichtigt. Und so kommt schliesslich sogar die Musikverbreitung im Internet zu einem Kapitel. Einziges Manko: Das Papier ist recht schwer und riecht etwas streng. Aber sonst sei das Buch wärmstens zum Gebrauch empfohlen.
 

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Tobias Bleek / Ulrich Mosch (Hrsg.): Musik. Ein Streifzug durch 12 Jahrhunderte, 397 S., zahlreiche Ill., € 34.95, Bärenreiter/Henschel, Kassel/Leipzig 2018, ISBN 978-3-7618-2233-3

 

 
 

 
 

Verlinkter Nachweis Bild oben: Petra Dirscherl / pixelio.de

Detailberatung zum Urheberrecht auf Kurs

Die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Ständerates (WBK-S) spricht sich ohne Gegenstimme bei einer Enthaltung dafür aus, auf die Revision des Urheberrechts einzutreten.

Ständeratssaal. Foto: Parlamentsdienste 3003 Bern

Der Nationalrat behandelte laut der Medienmitteilung des Bundesverwaltung in der Wintersession 2018 die Vorlage zur Revision des Urheberrechtsgesetzes sowie zur Genehmigung und Umsetzung zweier Abkommen der Weltorganisation für geistiges Eigentum. Für den Ständerat als Zweitrat hat die WBK nun die Vorberatung begonnen und eine Anhörung mit den folgenden Organisationen durchgeführt: swissuniversities, Schweizerischer Nationalfonds (SNF), Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband (SBVV), Arbeitsgruppe «Lichtbildschutz», Allianz der Konsumentenschutz-Organisationen, Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik (SUISA), Interessengemeinschaft Radio und Fernsehen (IRF) sowie Verband für Kommunikationsnetzwerke (SUISSEDIGITAL).

Dabei wurden die Schwerpunkte auf Open Access in der Wissenschaft, den Schutz von Fotografien ohne individuellen Charakter, die Regelung zu Video-on-Demand, das zeitversetzte Fernsehen sowie auf die Vergütung für Hotels, Ferienwohnungen, Spitäler und Gefängnisse gesetzt. In der anschliessenden Eintretensdebatte unterstrich die Kommission die Notwendigkeit einer Modernisierung des Urheberrechtsgesetzes und ist mit 11 zu 0 Stimmen bei einer Enthaltung auf die Vorlage des Bundesrates eingetreten. Die Detailberatung wird an der nächsten Kommissionssitzung vom 12. Februar 2019 stattfinden.

Aufwühlendes Psychogramm

Dmitri Schostakowitschs Violinsonate op. 134 in der Version mit Streichorchester und Perkussion. Liveaufnahme mit Sebastian Bohren und der Camerata Zürich unter der Leitung von Igor Karsko.

Foto: Marco Borggreve,Dmitri Schostakowitsch

Kaum noch zu bremsen ist die Produktivität des Geigers Sebastian Bohren. Nach eigenem Bekunden strebt er danach, sich interpretatorisch einem Stück so anzunähern, dass es im Idealfall «so klingt, wie es ist». Im Falle von Dmitri Schostakowitschs Sonate op. 134 (1968) wird hierfür auch mal der Rahmen ausgeweitet.

Ursprünglich für Violine und Klavier gesetzt und dem Geiger Igor Oistrach auf den Leib geschrieben, wurde der Klaviersatz später auf ein grosses Streichorchester plus Perkussion übertragen. Ein legitimer Kunstgriff. Vor allem aber ein Unterfangen, dem sich Sebastian Bohren und die Camerata Zürich unter der Leitung von Igor Karsko bei einem Konzert in der Stadtkirche von Brugg mit beglückender Spiellust hingaben. Davon zeugt der nun vorliegende Livemitschnitt für Sony Classical.

Schostakowitschs Opus 134 ist Psychogramm und tönendes Zeitdokument zugleich. Auch im Jahr 1968 lebte der Komponist in einem Klima von Angst und Unterdrückung, stand zudem unter dem Eindruck der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings. In karger Zwölftonreihung geführt, gewährt schon der erste Satz mangels Grundtonart keine emotionalen Zufluchtsräume mehr. Der zweite, schnelle Satz lässt einen gespenstischen Totentanz losbrechen. Der Finalsatz mutet dann wieder wie ein reduziertes Fazit an – mit eigenwilligen Variationen über eine stoische Passacaglia und raffiniert adaptierten barocken Anleihen.

Die Ausführenden dieser neuen Einspielung eint ein hörbarer Wille zu objektivierender Klarheit: Sebastian Bohrens Spiel steht in jedem Moment als leuchtender Fixstern im Zentrum des aufnahmetechnisch brillant eingefangenen klanglichen Geschehens. Sein Ton strahlt aus einer inneren Ruhe umso eindringlicher und zeugt von tiefer geistiger Konzentration. Oft kühl und vibratoarm verdichtet er in den exponierten solistischen Partien einen lakonischen Gestus, beansprucht aber auch in den hitzigsten, virtuosesten Ausbrüchen eine unerschütterliche Souveränität. Die Camerata Zürich schafft mit ihrem schneidend präzisen, zugleich sinnlich atmenden Zusammenspiel die denkbar beste Klangumgebung für das verdienstvolle Unterfangen, Schostakowitschs aufwühlendes Spätwerk in ein «verjüngtes» interpretatorisches Licht zu tauchen.
 

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Sonate op. 134, Andante
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Allegretto
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Largo-Andante-Largo
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Dmitri Schostakowitsch: Sonate op. 134 für Violine, Perkussion und Streichorchester. Sebastian Bohren,

Intelligent ausgeleuchtet

«Impromptus», «Moments musicaux» und «Valses sentimentales» von Franz Schubert für zwei Gitarren bearbeitet: Raoul Morat und Christian Fergo haben das Repertoire für ihr Instrument überzeugend erweitert.

Foto: Tomasz Trzebiatowski,Franz Schubert

Die Gitarristen Raoul Morat und Christian Fergo haben bei Frank Bungarten an der Hochschule Luzern studiert und sich dort auch zum Gitarrenduo zusammengeschlossen. Die Duoformation kann dem Instrument viel mehr Klavierliteratur erschliessen als die Sologitarre, aus einem einleuchtenden Grund: Da der Gitarrensolist bloss eine Hand zur Klangerzeugung hat – mit der andern muss er die Saiten verkürzen – fehlt ihm die harmonische und kontrapunktische Fülle der zweihändigen Klavierliteratur. Zwei Gitarren sorgen aber für verlustfreies Reproduzieren des Klaviersatzes. An Schuberts Werke haben sich die beiden bereits 2016 gewagt, als sie mit dem Tenor Julian Prégardien einen Winterreise-Zyklus realisierten. Nun also Impromptus, Moments musicaux und Valses sentimentales, die schon manchen Gitarristen gereizt haben dürften. Eines der Moments musicaux hat im 19. Jahrhundert bereits der bedeutende Gitarrist Francisco Tarrega bearbeitet. Nun legen Morat und Fergo also eine ganze Sammlung dieser Charakterstücke vor, wohl nicht ganz zufällig auf einem österreichischen Label, es heisst Challenge Records.

Im ersten Moment erschrickt man ein wenig: Das erste Impromptu aus Schuberts Opus 90 beginnt im Original mit einem vierfach oktavierten G im Fortissimo. Auf zwei Gitarren tönt dies ziemlich jämmerlich. Je weiter sich das Gitarrenduo Morat-Fergo allerdings durch den Notentext arbeitet, umso mehr gerät man in den Sog der Musik, und mehr und mehr ist man fasziniert. Den Gitarren stehen eine Fülle an Klangtechniken zur Verfügung, Flageoletts, Vibrati, Pizzicati, die Klänge verschiedener Positionen der zupfenden Finger und so weiter. Das Luzerner Duo nutzt sie weidlich und überaus geschmackvoll, um die Musik Schuberts in allen Farben irisieren zu lassen. Es entsteht ein filigranes, transparentes Klangbild, das die ausgewählten Stücke delikat, aber auch modern erscheinen lässt.

Damit erweitert das Duo das Repertoire des Instruments, das mit hochstehenden Werken aus Spätklassik und Frühromantik wahrlich nicht gesegnet ist, auf überaus überzeugende Art. Es bemüht sich um zusätzliche historische Verwurzelung, indem es die Stücke auf Kopien von Gitarren aus der Zeit Schuberts einspielt. Zeitnähe wird damit allerdings kaum gewährleistet, auch wenn die Klanglichkeit der historischen Instrumente auf die Entstehungszeit der Originale verweisen kann. Man kann aber davon ausgehen, dass diese Klavierwerke, zu jener Zeit auf Gitarren gespielt, fremd geklungen hätten. Der Reiz der Bearbeitungen liegt eher ausserhalb von Bemühungen um historisch-informiertes Musizieren in allgemeinen interpretatorischen und gestalterischen Prinzipien. Das Resultat ist überzeugend, weil es die Musik zeitlos auf intelligente Weise durch- und ausleuchtet. Aufgenommen haben die beiden die CD in einem Konzertsaal der Abtei Marienmüster, finanziert teilweise über Crowdfunding.
 

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Impromptu 3
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Moments musicaux Nr. 3
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Vamps als Improvisationshilfe

Die Publikationen von Thomas Silvestri sind aus der eigenen Unterrichtspraxis herausgewachsen und geben wertvolle Anregungen.

Thomas Silvestri. Foto: zVg

Gerade wenn wir selber nicht viel Erfahrung mit Improvisieren haben, tun wir uns schwer, dieses enorm bereichernde Lernfeld in unseren Unterricht zu integrieren. Thomas Silvestri gibt uns jedoch mit seiner Reihe Piano-Vamps for Improvising (Vol. 1–3) wunderbares Material an die Hand, das mir etliche neue Impulse und Ideen für meinen Unterricht gegeben hat. Die Stücke sind alle ganz aus seiner Unterrichtspraxis heraus entstanden und bieten nur jeweils so viel explizite Theorie an, wie gerade nötig, um schnell ins Spiel hineinzukommen. In den Heften werden kurze Ostinato-Bass-Figuren (Vamps) vorgestellt, über welchen improvisiert werden kann. Die dazugehörigen Tonleitern (Dur, Moll, Bluestonleiter, Pentablues-Tonleiter etc.) werden im letzten Teil der Hefte bewusst gesondert aufgelistet mit der Absicht, sich diese zuerst einzuprägen und zu eigen zu machen. Dort finden sich auch viele typische «Patterns», welche als Bausteine geübt werden sollen und später in die Improvisationen einfliessen können. Das Ziel ist, ein Repertoire an gut klingenden Phrasen aufzubauen und mit der Zeit ein Gefühl für die verschiedenen Tonarten zu bekommen. Sehr zu empfehlen sind auch die Anregungen, wie einzelne Tonarten nicht nur als sogenannte «Tonleiter» geübt werden können, sondern wie, mit dem Tastenbild als Orientierung, auf einem beliebigen Ton gestartet werden kann, um beispielweise kleine Motive, Intervalle oder leitereigene Akkorde diatonisch zu versetzen. Dadurch werden die Tonleitern mehr und mehr als «Tonreservoir» betrachtet, welches irgendwo beginnt und irgendwo aufhört, wie es beim Improvisieren natürlich der Fall ist.

Auch bei www.silvestrimusic.ch erschienen sind Jazzy Tunes for Piano-Solo, in Versionen für Anfänger bis Fortgeschrittene. Es sind Sammlungen von «jazzigen» Klavierstücken, viele mit einem Improvisationsteil. Das Heft im mittleren Schwierigkeitsbereich (Intermediate Vol.1) bietet beispielsweise neben den Stücken zahlreiche Tipps zu Tonleitern und Patterns. Auch zeigt der Autor, wie eine Improskizze mit ausnotierten wie auch freien Stellen angefertigt werden kann. Mittels QR-Code können die einzelnen Stücke als Audio-Examples angehört werden.
 

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Thomas Silvestri: Piano-Vamps for Improvising Vol. 1, Blues, Funk, Jazz, Valse, Tango, Pop, Bossa, Classic, Choro, Flamenco … and more; Heft Fr. 20.00; PDF Fr. 10.00; Eigenverlag Thomas Silvestri, www.silvestrimusic.ch

Nicht «marktkonforme» Sonate

1932 schuf der Pianist und Komponist Ernst Levy dieses einsätzige Werk für Flöte und Klavier.

Ernst Levy. Foto: zVg

Der Basler Komponist Ernst Levy (1895–1981) erlangte zunächst als pianistisches Wunderkind einen grösseren Bekanntheitsgrad. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt er sogar als einer der bedeutendsten Pianisten. Anerkennung erhielt er auch als Musiktheoretiker, jedoch wurde sein kompositorisches Schaffen, das u. a. 15 Sinfonien sowie zahlreiche Kammermusikstücke und Klavierwerke beinhaltet, kaum gewürdigt. In den USA durchlief er eine Hochschulkarriere als Professor für Klavier, was zur Folge hatte, dass er nicht gezwungen war, besonders marktkonform zu komponieren und sich um die Aufführungen seiner Werke zu kümmern. Die Sonate für Flöte und Klavier schuf Levy im Jahr 1932, uraufgeführt wurde sie jedoch erst 1939 bei einem Konzert in der Carnegie Hall in New York mit dem Komponisten selbst am Klavier.

Die aus einem Satz bestehende Sonate, welche knapp 17 Minuten dauert, birgt in sich den klassischen, dreisätzigen Aufbau in der Reihenfolge schnell- langsam-schnell und ist typisch für Levys Kompositionsstil, den er wie folgt beschreibt: «Das Hauptmerkmal einer Sonate, welches ihrem Konzept inhärent ist, ist das des Werdens, einer Entwicklung. Wir sind sozusagen zum Ende eines Werkes nicht dieselben, die wir zu Beginn des Werks waren.»

Nach einem elegischen Flötensolo zu Beginn erklingt ein zupackendes Triolenmotiv, das vom Klavier in pulsierenden Triolen begleitet wird. Später folgen Kantilenen in beiden Instrumenten, die ineinander verwoben sind und sich gegenseitig imitieren. Interessant ist, dass der am Anfang geschriebene 4/ 4-Takt ständig verändert wird, sodass er, wie es der Herausgeber Timon Altwegg beschreibt, bald wie ein ironischer Scherz anmutet und daraus ein «sich ständig ändernder, quasi ein- und ausatmender musikalischer Organismus» entsteht. In der Mitte der Sonate folgt ein langsamer Teil mit zarten Piano-Abschnitten und einer Kantilene der Flöte, die nur sporadisch von Akkorden untermalt ist. Er mündet in einen kecken, mit «Vivo e leggiero» übertitelten Schlussteil, in welchem kurz vor Ende des Stücks nochmals das Anfangsmotiv in der Flöte erklingt.

Mit dieser Sonate hat Ernst Levy ein vielschichtiges und interessantes Werk geschaffen, das es verdient, auch heutzutage in den Konzerten seinen Platz zu finden.
 

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Ernst Levy: Sonate für Flöte und Klavier, hg. von Timon Altwegg, Erstdruck, BP 2803, € 14.00, Amadeus-Verlag, Winterthur 2017

Macht Appetit auf more Jazz

Knapp, aber äusserst kompetent und humorvoll schildert Ted Gioia die Geschichte des Jazz, geht auf die wichtigsten Interpreten ein und erklärt, worauf es beim Jazzhören ankommt.

Ausschnitt aus dem Cover

Bücher über die Geschichte des Jazz sind gewöhnlich dreimal so dick wie diese 200 Seiten starke Tour d’Horizon. Der erfahrene Jazzjournalist und -pianist Ted Gioia beschreibt darin nicht nur der Reihe nach Stile und Interpreten, sondern breitet auch einen Katalog von Kriterien aus, die für ihn massgebend sind bei der Beurteilung von Jazzdarbietungen. Fats Waller, nach einer Definition von Jazz befragt, antwortete: «Wenn Sie diese Frage stellen müssen, lassen Sie lieber die Finger davon!» Und Duke Ellington meinte: «Listening is the most important thing in music.» Ted Gioia gesteht, dass er sich als Dreissigjähriger für sein erstes Buch über die Geschichte des Jazz von den Newsletters des einflussreichen Weinkenners Robert Parker in Napa Valley inspirieren liess: Die Fähigkeit, Geschmacksnuancen edler Tropfen in blumigen Metaphern zu beschreiben, und dies in atemberaubender Vielfalt, zeigte dem Jazzautor, wie man an die schwierige Aufgabe, Musik in Worte zu fassen, herangehen kann.

In seinem neuesten Werk, Jazz hören, Jazz verstehen, lässt sich Ted Gioia über die Schulter blicken: Seine Art des kritischen Hörens und Urteilens basiert nicht nur auf persönlichem Geschmack, sondern folgt klaren Kriterien, die in der Musik selbst liegen. Parameter wie Rhythmus, Puls, Phrasing, Tonhöhe und Klangfarbe, Dynamik, Persönlichkeit und Spontaneität beschreibt er in knappen Kapiteln, die sich dank dem Reichtum der Metaphern und dem angelsächsischen Humor leicht lesen lassen. Treffend ist beispielsweise der Tipp, dass man sich unter dem Stichwort «Student Jazz Band» Darbietungen anhören soll, die noch unvollkommen sind. So schärft man sein Gehör und lernt die Grossen des Metiers erst richtig schätzen. Im Kapitel über die Struktur des Jazz gibt der Autor Einblick in seine Arbeit mit Musikstudenten und zeigt lehrreiche Beispiele, wie komplexere Jazzstücke in ihre Formteile aufgeteilt und diese durch die Instrumentation charakterisiert werden können. Es kommt uns heute entgegen, dass praktisch alle in diesem Buch erwähnten Musiktitel bzw. Interpreten im World Wide Web abgerufen werden können. Ted Gioia gibt in jedem Kapitel eine Reihe von Hörempfehlungen. Über den Ursprung des Jazz und die Entwicklung seiner Stile gelangt er zur Beschreibung der wesentlichen Neuerer, von Louis Armstrong bis Ornette Coleman. Es folgt das Kapitel «Jazz hören heute» und ein Anhang mit «Jazzmeistern am Anfang und in der Mitte ihrer Karrieren». Das Stichwortverzeichnis am Ende des Buches hilft bei der Orientierung in dieser Vielfalt.

Die ersten Jazzplatten erschienen vor hundert Jahren in New Orleans. Aufnahmen (oft live oder ungeschnitten) sind wertvolle Zeitdokumente und trugen zur Verbreitung dieser Musik über alle Kontinente bei. Das Wesentliche einer Jazzdarbietung liegt jedoch in der Spontaneität des Live-Erlebnisses. Jeder Event ist ein Unikat! Ted Gioia hat sich seine Haltung dazu bis heute bewahrt: «Heute Nacht kann fast alles passieren – fast alles! (…) Die Musiker wissen selbst kaum, was sie gleich spielen werden; die Verankerung des Jazz in der Improvisation sorgt auf der Bühne für seltsame und wundervolle Verläufe, vielleicht schon beim nächsten Song.»

Dieses knappe, aber inhaltlich äusserst reiche Buch hilft sowohl dem Einsteiger als auch dem Kenner bei der Vertiefung seiner Kenntnisse und – es macht Appetit auf more Jazz!
 

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Ted Gioia: Jazz hören, Jazz verstehen, aus dem Englischen von Sven Hiemke, 207 S., € 24.95, Henschel/Bärenreiter, Leipzig/Kassel 2017, ISBN 978-3-7618-2426-9

 

Facetten der Virtuosität

Rund um den Geiger Heinrich Wilhelm Ernst wird das Thema in diesem englisch- und deutschsprachigen Sammelband sehr breit betrachtet. Eine CD mit Musikbeispielen rundet die Publikation ab.

Eine Matinee bei Liszt, ganz rechts Heinrich Wilhelm Ernst. Nähere Angaben s. unten

Im letzten Jahrzehnt hat sich der Begriff Virtuosität ausgeweitet von den Virtuosen und deren Werken zu umfassenderen Fragen einer neuen künstlerischen Landschaft und neuer Aufführungspraktiken. Ausgangspunkt dieses Buches, dessen Bezugspunkt der Geiger und Komponist Heinrich Wilhelm Ernst (1814–1856) bildet, war die Tagung «Der lange Schatten Paganinis» im November 2015 in Göttingen. Die zur Hälfte englischen, zur Hälfte deutschen Abhandlungen der 19 Autorinnen und Autoren liefern Rück- und Ausblicke und sind geordnet in sechs Sektionen: Verschiedene Konzepte von Virtuosität, Musikalischer Text und Aufführung, Salon versus Konzertsaal, Das weite Feld der virtuosen Aufführungspraxis, Virtuosen-Karrieren, Auswirkung in Presse und Literatur. Darüber kurz zu berichten ist fast unmöglich! Daher wähle ich einige spannende Höhepunkte aus:

H. W. Ernst ist der in ganz Europa herumtourende Interpret seiner virtuosen Kompositionen, der finanziell auf volle Säle (und sie sind übervoll!) angewiesen ist. Er ist der Gegenpol von Joseph Joachim, dem ernsthaft für Werktreue kämpfenden Musikprofessor. Beide sind Wunderkinder und etablieren sich im 19. Jahrhundert im immer bürgerlicher werdenden Europa, wie Chopin, Auer, Paganini, Liszt, Thalberg, Saint-Saëns, Vieuxtemps, Sivori und Kreisler, als romantische Heroen in den Sälen und Salons. Virtuoser Flow der Interpreten-Persönlichkeit bringt die Zuhörenden zu Gefühlsextasen. Kreisler sagt: «Wenn man Virtuosität im Blut hat, entschädigt das Vergnügen, aufs Podium zu steigen, alle Plagen. Man sollte umsonst spielen. Was sage ich? Man sollte zahlen zum Spielen!»

Die Überlegungen zum Wort dolce, der in Paganinis Werken und im 1. Satz von Beethovens Violinkonzert am häufigsten vorkommende Anweisung, zeigen auf, dass grosses seelisches Engagement vom Interpretierenden verlangt wird (Paganini: «Bisogna forte sentire per far sentire»). Ernst setzt dolce am Kulminationspunkt seiner Werke, der mit dem Goldenen Schnitt der Taktzahlen übereinstimmt. Heine schreibt, dass die Fingergeschicklichkeit nur vereint mit dem der angesetzten Geige so nahen Herzschlag eine glaubwürdige Aufführung ergebe. Borer kommt zum Schluss, dass mit dolce nicht piano gemeint ist, sondern jenseits musikalischer Dynamik eine poetisch-ethische – besonders intensive – Dimension, die grössere Tiefe fördert. Beispiele: Tartini («suonare parlante»), Corelli («Prinz der Süsse»), Dante (Purgatorio XXIV, 52–57: «dolce stile novo»). Die Kirchenväter Augustinus und Caesarius von Arles meinten, mit einer auf einem Holz aufgespannten Saite – wie der ans Kreuz gebundener Körper Christi – sei man fähig, die «Süsse der Wahrheit auszudrücken». Die alten Griechen (Orpheus, Pythagoras) assoziierten Saitenspiel mit Süsse, Liebe und Kraft; Amphion erbaute die Mauern von Theben mit Saitenspiel. Und der Inder Bharata betrachtete die Süsse (madhura) als eine der neun wichtigen Qualitäten von Musik.

Es gibt etwas Besseres als perfekte Violinvirtuosität; ein anonymer 30-jähriger Geiger bringt dies auf den Punkt, indem er sagt: «Es ist viel schwieriger, technisch perfekt und gleichzeitig emotional beteiligt zu sein, denn du gehst Risiken ein.» Gidon Kremer verlangt, dass in einer Aufführung etwas sei, das sie «persönlich, menschlich und tief» mache. Die lateinische Bedeutung des Wortes imperfectus meint «unvollendet, unfertig» – das heisst «noch suchend, lebendig»! Seit Beginn des 20. Jahrhunderts verführt die «performance police» der Studioaufnahmen zu Glätte und verhindert «das Ausstrecken nach dem Unerreichbaren. Perfektion tötet die Kunst» (Kremer). Viele Interpreten haben sich dagegen gewehrt mit langen ungeschnittenen Aufnahmefolgen oder Liveaufnahmen. Artur Schnabel meinte, dass Aufnahmen «gegen die wirkliche Natur von Aufführung» sei. Rudolf Serkin betrachtete Aufnahmen als «Tortur». Populärmusikern gelingt der Kampf gegen das Mikrofon mit Improvisation – die ist einmalig, unschneidbar; ganz im Sinn von Mozart und Beethoven, die noch bei Aufführungen ihre Soloparts nicht aufgeschrieben hatten. Am Beispiel der unkonventionellen Konzertpraxis von Patricia Kopatchinskaja wird aufgezeigt, wie man das «Narrenhaus» der Virtuosität verlassen kann.

In einem Kapitel taucht man ein in die Strapazen und Erfolge der fünfmonatigen Gastspielreise H. W. Ernsts in die Niederlande. Hier ein Zitat aus den vielen Pressestimmen: «Man sieht [beim Blick auf die Zuhörer] betrübte, schwermütige oder liebevolle Gesichtsausdrücke, je nach den Tönen, die der Künstler erzeugt. … Wenn der Künstler es so weit zu bringen weiss, dass unsere Seele mit der seinigen vereint wird, dann hat er eine hohe Stufe der Perfektion erreicht.»

In weiteren Kapiteln wird atemraubend die 80 Jahre dauernde Virtuosenkarriere von Camille Saint-Saëns resümiert. Die faszinierenden, amüsierenden und provozierenden Berichte Heinrich Heines über das Pariser Musikleben werden geschildert. Man erfährt von den Erkenntnissen Louis Spohrs mit seinen Kollegen Ernst und Sivori in London im Jahr 1843 über dünne Saiten=leichtes Flageolettspiel versus dicke Saiten=voller Ton. Das Leben der Schwestern Teresa und Maria Milanollo gibt Anlass, über eine weibliche Form der Violinvirtuosität nachzudenken. Mittels dichterischer Werke Dostojewskis und Gautiers wird die unterschiedliche Wirkung Ernsts in Westeuropa und Russland verglichen.

Auf der CD kann man verschiedene Interpretationen – auf hohem Niveau gespielt – von Werken H. W. Ernsts vergleichen. Basierend auf Originalfingersätzen wird die Art der im 19. Jahrhundert üblichen Glissandi demonstriert.

Dem anregenden Buch fehlt ein Register für gezielte Suche.

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Christine Hoppe, Melanie von Goldbeck, Maiko Kawabata Hrsg.: Exploring Virtuosities. Heinrich Wilhelm Ernst, Nineteenth-Century Musical Practices and Beyond, 413 S., CD mit Musikbeispielen von H. W. Ernst, eingespielt von Autoren des Buches, € 74.00, Olms, Hildesheim u.a. 2018, ISBN 978-3-487-15662-0

 

Bild oben:
Eine Matinee bei Liszt
, Stich von Joseph Kriehuber (1848)
v. li.: Joseph Kriehuber, Hector Berlioz, Carl Czerny, Franz Liszt, Heinrich Wilhelm Ernst.
Bibliothèque nationale de France/wikimedia commons


Musikalisches Bestiarium

Drei Tiere stehen Pate für die drei bunten Sätze dieser Komposition für Klarinette und Klavier von Alexis Ciesla.

Koi-Karpfen. Foto: 3268zauber/wikimedia commons

Der französische Klarinettist, Musikpädagoge und Komponist Alexis Ciesla hat mit “Bestiaire” für Klarinette und Klavier ein vielseitiges und faszinierendes Werk für fortgeschrittene Anfänger geschaffen. Das dreisätzige Werk gefällt durch seine zugängliche musikalische Sprache, welche sich verschiedenster Stile und Techniken bedient und diese gekonnt einsetzt. Der erste Satz, «Klapperschlange», spielt mit der harmonischen Moll-Tonleiter und verwendet Techniken wie Triller und Flatterzunge oder eine Spezialnotation für eine accelerierende Dreitonfigur. Beide Spieler haben eine kleine Kadenz zu gestalten. Der zweite Satz unter der Überschrift «Koi-Karpfen» mit seiner perlenden Sechzehntel-Begleitung im Klavier lehnt sich an japanische Musik an und verlangt von beiden Spielern eine fliessende musikalische Gestaltung mit langen Melodiebögen. Als Spezialtechnik ist bei der Klarinette ein Ton eingebaut, der als Luftton endet. «Füchse» ist der Titel des dritten Satzes und er steht für einen flotten und fröhlichen Foxtrott-Swing. Zwar ist der ganze Satz auskomponiert, aber im Mittelteil lässt der Komponist der Klarinettistin die Wahl, stattdessen eine 16-taktige Improvisation zu spielen und gibt die dafür passende Skala an.

Während der erste und zweite Satz viel Gelegenheit für die musikalische Gestaltung mit differenzierter Artikulation, abwechslungsreicher Dynamik und langen Phrasierungsbögen bieten, steht beim dritten Satz vor allem die Präzision bei der rhythmischen Umsetzung und die Swing-Phrasierung im Vordergrund.
 

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Alexis Ciesla: Bestiaire für Klarinette und Klavier, ADV 8117, € 18.95, Advance Music (Schott), Mainz 2017

Mendelssohn bleibt ein heisses Eisen

Peter Gülke zeichnet ein Bild von Felix Mendelssohn Bartholdy, das von den Paradoxien jener Zeit und einer immer noch einseitigen Betrachtung der Werke bestimmt ist.

Felix Mendelssohn Bartholdy gemalt von Wilhelm Hensel 1847 (Ausschnitt). Nachweis s. unten

Wenn das Streichquartett op. 80 in f-Moll als erstes Werk genauer betrachtet wird und zur Frage führt, «Warum überwiegt im instrumentalen Bereich (…) das Moll-Geschlecht so auffällig», so bewegt sich der Autor im Bereich seiner früheren Publikation von 2015, Musik und Abschied. Dort hatte er in einer Reihe von Werken vom Mittelalter bis zur Gegenwart unter dem gemeinsamen Aspekt des Todes verblüffende Einsichten vereinigt. Mendelssohns Opus 80 irritiert uns in seiner Rücksichtslosigkeit gegenüber der Form; es ist kurz nach dem Tod seiner Schwester Fanny entstanden – und einige Monate später ist auch er tot. Gülke will mit diesem Aufbau gleich zu Beginn dem Verdikt von «Perfektionismus» und «Glätte» entgegentreten, das auch heute noch bei Werkbeschreibungen gegen Mendelssohn ins Feld geführt wird. Und er beendet diesen Abschnitt mit dem Satz: «Auch dieser frühe Tod gehört zu den Katastrophen der Musikgeschichte.»

Gülke weicht den Fragen nicht aus, er provoziert sie sogar unverzüglich, wenn er nicht beim Oktett und bei der Musik zum Sommernachtstraum weiterfährt, den heute populären und anerkannten Werken, sondern anhand der Klaviersonate op. 6 und des Streichquartetts op. 13 des noch nicht Zwanzigjährigen auf schon eigenständige Bezüge zu grossen Vorbildern hinweist. Sein Talent, den Musikverlauf analysierend und doch anschaulich zu beschreiben, bewährt sich auch dort, wo er sich «nur» auf (für ihn) auffällige Details beschränkt, die aber immer erhellend zu einer individuellen Einsicht führen.

Mit dem kryptischen Schumann-Zitat als Untertitel, das er gleich auf der ersten Seite noch vervollständigt, «Er ist der Mozart des 19. Jahrhunderts, der hellste Musiker, der die Widersprüche der Zeit am klarsten durchschaut und zuerst versöhnt», stellt Gülke die Bedeutung des Komponisten für den Zeitraum der ‚Romantik‘ ins Zentrum. Gleichzeitig verweist er auf die Schwierigkeiten bei der Beurteilung des Gesamtwerks und der Biografie: «Mendelssohn bleibt ein heisses Eisen.»

Die privilegierte familiäre Situation, die sensationelle Frühbegabung der Geschwister Fanny und Felix, die einseitige Förderung des Knaben und die damit verbundene Blockade der Kreativität seiner Schwester kommen ungeschönt zur Darstellung, ebenso die zahlreichen geistlichen Werke von Felix, welche die Ernsthaftigkeit der Konversion zum Christentum belegen sollten, dann aber mit den beiden Oratorien Paulus und Elias doch zeigten, dass er keine der Religionen bevorzugen wollte – von seiner Reformations-Sinfonie hat er sich ja distanziert und sie nicht zum Druck freigegeben.

Das umfangreichste Kapitel, «Im schönen Zugleich von Kunst und Religion», konzentriert sich auf diesen Bereich der geistlichen Musik, wo Gülke die Widersprüche am deutlichsten festmachen will: «Viele Kompositionen, komplementär zur Reformations-Sinfonie und zum Lobgesang, muten wie Versuche an, die Unterscheidung geistlich/weltlich von der weltlichen Seite her zu unterlaufen.» Und an anderer Stelle: «Nirgendwo bei Mendelssohn widersprechen Rezeption und Wertungen einander so schroff wie bei geistlicher Musik.» Die ausführlichsten Werkbetrachtungen widmet Gülke deshalb den beiden Oratorien, gibt aber zu bedenken: «Beim Versuch, in Mendelssohns Musik möglichst tief hineinzuhören, riskieren wir, ihn anders zu verstehen, als er verstanden sein wollte.»
 

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Peter Gülke: Felix Mendelssohn Bartholdy, «Der die Widersprüche der Zeit am klarsten durchschaut», 139 S., mit Illustrationen und Literaturverzeichnis, € 29.99, Bärenreiter/Metzler, Kassel/Stuttgart 2017,
ISBN 978-3-7618-2462-7

 

 

Bild oben:
Felix Mendelssohn Bartholdy, Porträt von Wilhelm Hensel 1847
Sammlung Stadtmuseum Düsseldorf
Quelle: http://www.hetorgel.nl/d2010-06b.html
/ wikimedia commons

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