Die Musikerin Big Zis erhält den Kunstpreis der Stadt Zürich. Die Auszeichnung für besondere kulturelle Verdienste geht an den Musikvermittler Veit Stauffer.

Der mit 50’000 Franken dotierte Kunstpreis der Stadt Zürich geht im Jahr 2021 an die Musikerin Franziska Schläpfer, bekannt als Big Zis. Schläpfer verbindet verschiedene Genres, Kunstformen und Szenen (Hip-Hop, Jazz, Impro, Videokunst, Tanz und so weiter) und ist laut der Mitteilung der Stadt «eine Leitfigur für viele: Vor allem wegen ihrem künstlerischen Talent, aber auch wegen ihrer integren Art aufzutreten».

Die Auszeichnung für besondere kulturelle Verdienste – dotiert mit 20’000 Franken – verleiht die Stadt Zürich dem Musikvermittler Veit Stauffer. Bis am 31. Dezember letzten Jahres stand Stauffer im Rec Rec an der Rotwandstrasse 64. Der Rec-Rec-Laden war einer der zentralen Musikorte in der Stadt. Als Vertrieb war Rec Rec in seiner Hoch-Zeit der grösste Independent-Vertrieb der Schweiz. Es war ein Arbeitsort, an dem sich insgesamt über 70 Leute mit grossem Einsatz für Musik engagierten.

Neue Perspektiven ausloten

Die Fondation Suisa schreibt 2021 bereits zum vierten Mal die Förderung «Get Going!» aus. Anmeldeschluss ist am 30. August.

Blake Wheeler / unsplash.com

Bei «Get Going!» handelt es sich um eine Anstossfinanzierung der Fondation Suisa, die sich auf die Philosophie des «Möglichmachens» beruft. Jedes Jahr werden im Rahmen dieser Förderung vier Beiträge à 25 000 Franken vergeben. Bewerben können sich musikalisch-kreative Menschen, die künstlerische Vorstellungen jenseits von gängigen Genre-, Alters- oder Projektkategorien realisieren möchten. Voraussetzung für Bewerbungen von Urheberinnen und Urhebern, Autorinnen und Autoren sowie Musikerinnen und Musikern ist, dass sie in ihrem Werk einen deutlichen Bezug zum aktuellen schweizerischen oder liechtensteinischen Musikschaffen nachweisen können.
 

Anmeldeschluss: 30.08.2021
Weitere Informationen und Ausschreibung:
https://www.fondation-suisa.ch/de/werkbeitraege/get-going-2021
 

11 Kompositionen ausgezeichnet

Die Jury des VII. Wettbewerbs für Elektronische Musik des Forum Wallis hat aus 234 eingereichten Werken 11 prämiert und weitere 10 mit einer Special Mention bedacht.

Schloss Leuk. Foto: Forum Wallis,Bild: Forum Wallis

Der internationale Wettbewerb für neue akusmatische Musik Ars Electronica Forum Wallis wird 2021 zum 7. Mal ausgetragen. Wie das Festival und die Jury mitteilen, sind nun die Resultate bekannt: In die Ränge der Ars Electronica Forum Wallis Selection 2021 kamen elf Werke von Komponisten und Komponistinnen aus der Schweiz, Griechenland, Frankreich, Grossbritannien, Israel, Argentinien, Kolumbien und den USA (in alphabetischer Reihenfolge): Manuella Blackburn/Microplastics, Lee Gilboa/Redacted, Bernadette Johnson/Summer Fragments, Panayiotis Kokoras/AI Phantasy, Thibault Madeline/Enfant Sauvage, Thibault Madeline/Le murmure de Bombus, Nicolás Medero Larrosa/nightblooming-genera, David Nguyen/Whale Song Stranding, Richard Scott/Thunder actually bycicles, Sylvain Souklaye/Soliloquy in motion, Juan Carlos Vasquez/Channel Zero.

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v.l.n.r.u.o.n.u.: Manuella Blackburn, Bernadette Johnson, Lee Gilboa, Sylvain Souklaye, Richard Scott, Nicolás Medero Larrosa, Juan Carlos Vasquez, David Nguyen, Panayiotis Kokoras.

Special Mention und Jury

Eine Special Mention gab es für zehn weitere Werke (in alphabetischer Reihenfolge): Renzo Filinich Orozco (PER)/Convergent Points, Elliot Hernandez (MEX)/Ritual, Lisa-Maria Hollaus (AUT)/Brut, Helge Meyer (GER)/Noise Music, Paul Oehlers (USA)/Flux Hammer, Christopher Poovey(USA)/Forged Effervescence, Leah Reid (USA)/Reverie, Richard Scott (GBR)/Music floats upwards, Ryne Siesky (USA)/Wanton Hush, Pierre-Henri Wicomb (ZFA)/Evenly hovering.

In der Jury walteten Kotoka Suzuki (Tokyo/Toronto), Reuben de Lautour (Christchurch), Jaime Oliver (Lima/New York) und Javier Hagen (Leitung Forum Wallis). Die gekürten Werke werden am 10. August vom schweizerisch-italienischen Komponisten und Toningenieur Simone Conforti (Biennale Musica Venezia, IRCAM Paris) im Rahmen des Festivals für Neue Musik Forum Wallis auf Schloss Leuk aufgeführt.

Eingereicht wurden 234 Werke aus allen Kontinenten. Bemerkenswert war die grosse Menge an Werken, welche sich mit den unmittelbaren und weitreichenden Folgen der Coronapandemie auseinandersetzten, sowie die hervorragende Qualität und damit auch die zahlenmässige Präsenz lateinamerikanischer Komponisten, die ein Viertel der 21 ausgewählten Werke stellen.
 

Forum Wallis

Das Forum Wallis ist ein internationales Festival für Neue Musik, das 2006 gegründet wurde und von der Walliser Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik IGNM-VS normalerweise über das verlängerte Pfingstwochenende veranstaltet wird. Die 15. Festivalausgabe findet in diesem Jahr Corona-bedingt vom 10. bis 12. August auf Schloss Leuk statt. Gastensembles und -solisten sind das Ensemble Modern, Lukas Ligeti, UMS ´n JIP, Hanspeter Pfammatter, Manuel Mengis, Lukas Huber, Roberto Domeniconi, Urban Mäder, Silke Strahl, Gerry Hemingway und das Hyper Duo.
 

Wandelnde Kunst

Das Interdisziplinäre Kunstfestival (IKW) bringt vom 9. bis 17. Juli in vier Anlässen Musik, Literatur und bildende Künste in einem neuen Format zusammen.

Foto: IKW,SMPV

Das Festival will Natur, Mensch und Kunst verbinden. Die Interaktion zwischen Künstlerinnen, Künstlern und Publikum, das Live-Erlebnis also, ist das zentrale Anliegen der Organisatoren. Aufführungen finden u.a. in der Alten Rathauspassage und beim Walcheweiher (Wandelnde Kunst im Winterthurer Wald) statt. Mit von der Partie sind die Musikerinnen und Musiker Elio Coria, Jonas Iten, Nicolás Gagliani, Fernando Noriega Diaz, Carolina Mazalesky und das Duo Silbersaiten, die Schriftstellerin Meret Gut sowie der bildende Künstler Luca Harlacher.

Daten und Orte:

https://www.ikwfestival.com

Kulturbesuche nehmen wieder zu

Ein Drittel der Schweizer Bevölkerung ist bereit, Kulturbesuche ohne weitere Bedenken wiederaufzunehmen. Dies hat eine Befragung ergeben, die im Auftrag des Bundesamts für Kultur (BAK) und des Generalsekretariats der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (GS EDK) im April 2021 durchgeführt wurde.

Symbolbild: digitalstorm/depositphotos.com

Gegenüber der zweiten Befragung von September 2020 hat die Bereitschaft zur Wiederaufnahme der Kulturbesuche deutlich zugenommen. Waren damals nur 18 Prozent der Befragten bereit, kulturelle Institutionen oder Veranstaltungen «ohne grosse Bedenken» wieder zu besuchen, lag dieser Anteil im April 2021 bereits bei 30 Prozent, bleibt damit allerdings noch immer in der Minderheit.

36 Prozent der Befragten rechnen damit, die Ausgaben für Kulturbesuche zu reduzieren (September 2020: 55 Prozent). Nur noch 55 Prozent der befragten Abonnenten wollen ihre Abonnemente erneuern (September 2020: 69 Prozent).

Parallel zur dritten Befragung der Bevölkerung wurde erstmals eine Befragung der Kulturinstitutionen durchgeführt. Diese zeigt, dass die Kulturinstitutionen von der COVID-Krise hart getroffen wurden: 79 Prozent der befragten Institutionen (ausgenommen die Bibliotheken) haben Kurzarbeit angemeldet und / oder eine Ausfallentschädigung beantragt. 41 Prozent der Institutionen, die Abonnemente anbieten, verzeichnen für die Saison 2020/2021 einen Rückgang der Abonnementszahlen, im Durchschnitt 35 Prozent.

Mehr Infos:
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-84373.html

Wenn sich Rock und Klassik finden

Überraschende Programme sind Teil der DNA der Basel Sinfonietta. Das Konzert mit Musik von Frank Zappa und einem neuen Werk von Oliver Waespi passt also genau.

Seit 41 Jahren bekennt sich die Basel Sinfonietta dazu, nebst Unbekanntem und Bekanntem auch Zeitgenössisches in ungewöhnlichen Besetzungen und Konzertformen zur Aufführung zu bringen. An diese Prämisse hält sich das Orchester auch zum Abschluss der Saison 2020/21. Auf dem Programm im Stadtcasino Basel stehen dabei nicht nur drei Werke von Frank Zappa, dem 1993 verstorbenen Rockprovokateur, sondern auch die Uraufführung eines Drumset-Konzerts aus der Feder des Komponisten Oliver Waespi – mit dem Schweizer Schlagzeuger Jojo Mayer als Solist.

Im Vorfeld des Konzertes mit dem Titel Jojo, Zappa und Rock’n’Roll verriet Dirigent Baldur Brönnimann, dass es ursprünglich im Freien hätte stattfinden sollen. «Wir wollten Waespi mit Werken von Bernhard Gander und anderen kombinieren, schliesslich mussten wir das Orchester verkleinern und ohne Pause spielen.» Was die pandemiebedingten Herausforderungen für den Kulturbereich gut illustriert. Immerhin: Dank dem Abflachen der Ansteckungskurve lässt sich der Abend endlich wieder vor Publikum durchführen, was Daniela Martin, Geschäftsführerin der Basel Sinfonietta, bei ihrer Einführung als «aufregenden Moment» bezeichnet. Sie bilanziert: «Es war eine Saison der Wogen, aber wir haben sie gemeistert.»

Frank Zappa und Edgar Varèse

Eröffnet wird die Aufführung mit Dupree’s Paradise von Zappas 1984er-Album The Perfect Stranger. Das rund siebenminütige Stück, das, wie der Komponist sagte, im Jahr 1964 während einer Jamsession frühmorgens in einer Bar in Los Angeles spielt, präsentiert sich wie ein experimenteller und betont expressiver Film-Soundtrack: Auf frühlingshaft anmutende und optimistische Momente folgen rasch düstere Exkursionen, die bisweilen an George Gershwin erinnern. Im Mittelpunkt stehen dabei die ständig wechselnden Rhythmen, die sich steigern und abflachen wie ein Gespräch, das langsam in die Gänge kommt, dann an Fahrt aufnimmt, nur um wieder zu versanden. Bis das Ganze nach einer neuerlichen Steigerung mit raumgreifender Instrumentierung und einem Knall endet.

Danach ist die Reihe an Get Whitey. Das Werk von 1992 fokussiert auf komplexe Rhythmen und polyrhythmische Strukturen und wirkt wie die Untermalung eines unverhofften Zusammentreffens. Eines, bei dem sich etwa Klarinette, Harfe oder akustische Gitarre erst schüchtern beschnuppern und äussern, sich dann aber zusehends selbstbewusst und fordernd geben. Bevor die Sinfonietta diesen Konzertteil abschliesst, erzählt Brönnimann von Zappas 15. Geburtstag und seinem Wunsch, mit seinem Vorbild Edgar Varèse telefonieren zu dürfen. Zwar kam der Anruf zustande, bloss der Komponist war nicht zu Hause. Was der lebenslangen Faszination Zappas für dessen Arbeiten jedoch keinerlei Abbruch tat. Das legt auch The Perfect Stranger von 1994 nahe. «Es weist viele Anklänge an Varèses Stück Déserts auf», bestätigt Brönnimann. Laut Zappa soll das Werk von einem Staubsaugervertreter handeln, der sich ausschweifend mit einer nachlässigen Hausfrau unterhält. Das äussert sich in schier trunkenen Motiven, die auf immer wieder aufwallende Westernmotive treffen und mit gezupften Saiteninstrumenten und Paukenschlägen aufwarten. Es ist eine höchst gelungene und neugierige Auseinandersetzung zwischen E- und U-Musik, bei der die Rhythmen einem konstanten Katz-und-Maus-Spiel unterzogen werden – herausfordernd und lohnend zugleich.

Jojo Mayer und Oliver Waespi

Während die Bühne für den letzten Programmteil umgebaut wird, finden sich darauf nebst dem Dirigenten auch Komponist Oliver Waespi und Drummer Jojo Mayer ein, um sowohl über Frank Zappa als auch ihre eigene Zusammenarbeit zu sprechen. Sie habe sich, sagt Brönnimann, als tolles Erlebnis entpuppt. Dies insbesondere, weil dabei die Schnittmenge von Rock und Klassik zum Tragen komme. Auf die Frage, wie er an die Komposition seines neusten Stück Volatile Gravity herangegangen sei, erklärt Waespi: «Wie viele Musiker kann ich zwar nicht sonderlich gut tanzen, doch ich fühle mich als Rhythmusmensch.» Sein dreiteiliges Werk für Drumset und Orchester versteht sich als eine Art musikalische Erkundung einer Stadt. Die Form des Stücks artikuliert sich dabei entlang eines imaginären urbanen Raums mit mehreren Zentren – aufgespannt zwischen bebauten und unbebauten, strukturierten und offenen Bereichen. Live spiegelt sich das im ersten Teil mit dem Titel High Frequency Trading wider, der in Nullkommanichts von 0 auf 100 schaltet und sowohl für Dynamik als auch Dramatik besorgt ist.

Zunächst geht das Schlagzeug von Jojo Mayer im Orchestermeer zwar schier unter, doch kraft seiner Beharrlichkeit und Virtuosität gelingt es dem in New York wohnhaften Künstler, sich zunehmend in den Mittelpunkt zu spielen und die sich bietenden Improvisationsmöglichkeiten zu nutzen. Bisweilen wirkt die Musik wie ein Hochseilakt ohne Sicherheitsnetz: Mayers Patterns tänzeln über den wogenden Wellen, die das Orchesters unablässig aufwirft. Man spürt: Der Schiffsbruch ist nur einen Ruder- respektive Schlagzeugschlag entfernt, doch gemeinsam wird die Herausforderung gemeistert. Auch, weil es Mayer versteht, in seinen Solos die Einwürfe der Orchestermusiker aufzunehmen und mit Wucht und Präzision darauf zu antworten. Die aufeinandertreffenden Kräfte von Orchester und Solist sind nicht nur ebenbürtig, sondern es gelingt den Beteiligten, sich je länger je mehr zu finden – und zu vereinen. Das Resultat ist pulsierende Musik, die gleichermassen aus Rock und Klassik schöpft und den geschaffenen Spannungsbogen bis zum Schluss hochhalten kann.

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Oliver Waespi, Jojo Mayer und Baldur Brönnimann (vorne, von links)

Aargauer Charme

Der von Kultur Kehrsatz veranstaltete Mieg-Abend ist ein Beispiel dafür, wie Deutschschweizer Musikkultur aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts bewahrt und gepflegt werden kann.

Eigentlich hätte der Flötist Jean-Luc Reichel letztes Jahr gerne Peter Miegs Flötenkonzert aufgeführt, auf das er grosse Stücke hält. Wie so viele andere wurde auch dieses Projekt ein Opfer der Pandemie. Dass Reichel nun gemeinsam mit seiner Musikpartnerin Joyce-Carolyn Bahner am Klavier einige Werke Miegs im kleinen Rahmen präsentieren konnte, war den ersten zaghaften Lockerungen des nationalen Pandemie-Regimes zu verdanken. Eingeflochten zwischen die Stücke Les plaisirs de Rued und Les Délices de la flûte für Flöte solo sowie einen Satz aus der Klaviersonate IV und der Sonate für Flöte und Klavier waren Lesungen des Literaturwissenschaftlers und Übersetzers Markus Hediger. Er betreibt auf Youtube sogar einen Kanal mit Werken Peter Miegs, auch Les Délices de la flûte können da in Reichels Version abgehört werden.

Die Welt in der Provinz

Hedigers Charakterbeschreibungen und Anekdoten über Mieg, den er persönlich kannte, zeichneten ein vergnügliches Sittenbild der Deutschschweizer Kultur Mitte des 20. Jahrhunderts. Miegs Hang zum Perfektionismus und seine anstrengende Suche nach perfekten, manchmal auch eigenbrötlerischen Lösungen bis ins Detail entsprachen dem Zeitgeist, der in Disziplinen wie Fotografie oder Typografie dem Schweizer Kunsthandwerk zu Weltruhm verholfen hat. Dazu passte auch Miegs Koketterie mit dem Kontrast von Provinz und Weltläufigkeit, wenn er seine (Flöten-)Werke etwa mit Titeln wie Les charmes de Lostorf, Les Jouissances de Mauensee oder Les humeurs des Salis versah. Als Lenzburger verkörperte er selber ja sozusagen die Provinz der Provinz: eine Gegend, auf die das selbstgefällige Wirtschaftszentrum Zürich kulturell heute noch gerne gönnerhaft hinunterblickt und damit leben muss, dass der übermächtige Kulturriese Deutschland mit seinen Metropolen München, Berlin und so weiter die Limmatstadt wiederum etwa gleich herablassend beäugt.

Am Rand zu stehen, prägte aber auch auf ästhetischer Ebene das Wirken Miegs. Das kompositorische Handwerk eignete er sich ausserhalb der institutionellen Musikausbildung an, was ihn trotz gelegentlichem Anbändeln mit zeitgenössischen Techniken wie der Dodekafonie zur Avantgarde Distanz halten liess. Identität bot ihm, wie Tom Hellat und Anna Kardos in ihrer Mieg-Monografie Auf der Suche nach dem eigenen Klang (Hier und Jetzt, Verlag für Kultur & Geschichte, Zürich 2016) schreiben, die Figur des Aschenbrödels: Mieg begegnete ihr in einer Aufführung des gleichnamigen Balletts des Westschweizer Tonschöpfers Frank Martin. Bei ihm als Lehrer oder vielmehr Ratgeber («Coach» würde man heute wohl sagen) vervollkommnete er seine kompositorischen Kenntnisse. Später wurden auch Gottfried von Einem und Alexander Tscherepnin zu Freunden.

Seit Dieter Ammann und Sol Gabetta, aber eigentlich schon seit der Gründung des Künstlerhauses Boswil spielt der Aargau musikalisch in der ersten Liga, auch wenn man das in Zürich eher zögerlich zur Kenntnis nimmt. Einige Werke Miegs befinden sich da durchaus auf Augenhöhe. Ein literarisches Denkmal gesetzt hat ihm zudem der Schriftsteller von Weltformat Hermann Burger, der – nebenbei gesagt – auf Schloss Brunegg Untermieter von Peter Miegs Cousin Jean Rudolf von Salis war. Burger sei heute vergessen, meinte Hediger in Kehrsatz, habe Mieg aber in seinem Roman Brenner verewigt, und zwar mit dem Kunstnamen Edmond de Mog, der ihn in die Nähe des Zürcher Dirigenten Edmond de Stoutz rückte, mit dem Mieg auch befreundet war.

Das Französische ist nicht mehr das Mass aller Dinge

Dass Mieg nicht auch vergessen geht, dafür sorgt die Peter-Mieg-Stiftung, die der Komponist noch selber ins Leben gerufen hat. Definitiv geadelt wurde Mieg durch die Basler Paul-Sacher-Stiftung. Sie hat 2018 seinen musikalischen Nachlass übernommen. Die Mieg-Stiftung wiederum hat auf die Pandemie-Situation reagiert und Musiker und Musikerinnen dazu aufgerufen, ein Kammermusikwerk Miegs einzustudieren und online zu publizieren, um sie so «in der Corona-Pandemie mit einem Honorar unterstützen zu können». Eine originelle Idee, die möglicherweise dazu geführt hat, dass Miegs Schaffen mehr Aufmerksamkeit erhielt, als es zu normalen Zeiten der Fall gewesen wäre.

Als Zugabe nach dem Konzert in Kehrsatz spielten Joyce-Carolyn Bahner und Jean-Luc Reichel den ersten Satz aus Poulencs Flötensonate. Sie schlugen damit die Brücke zur französischen Kultur, die Miegs Werk, wie dasjenige vieler seiner Deutschschweizer Altersgenossen, stark beeinflusst hat. Dass uns diese Phase der eidgenössischen Kultur mittlerweile etwas fremd scheint, hat zweifelsohne auch damit zu tun, dass die damalige Begeisterung für alles Französische heute praktisch verloren gegangen ist. Blick und Emotionen sind mittlerweile aufs Englische und den Osten ausgerichtet.


Red. SMZ. Eine weitere Gelegenheit, sich mit Musik von Mieg und einigen seiner Schweizer Zeitgenossen auseinanderzusetzen, bietet das Othmar-Schoeck-Festival in Brunnen vom 10. bis 12. September 2021 unter dem Motto «Passé composé – Neoklassizismus in der Schweiz».

www.schoeckfestival.ch

Markus Hedigers Youtube-Kanal:
https://www.youtube.com/user/cygnebleu

Peter-Mieg-Stiftung:
http://www.petermieg.ch

Peter Mieg auf neo.mx3
https://neo.mx3.ch/petermieg

Aargauer Laienkultur unter der Lupe

Eine Strukturanalyse beschreibt erstmals die Situation der Aargauer Laienkultur, um daraus Erkenntnisse für das neue Kulturkonzept 2023–2028 zu gewinnen.

Symbolbild. Foto: Kyle Head / unsplash.com

Im Herbst 2020 hat die Abteilung Kultur des Departements Bildung, Kultur und Sport (BKS) eine Strukturanalyse im Bereich Laienkulturverbände und Laienkulturvereine im Kanton Aargau in Auftrag gegeben. Die Studie hatte zum Ziel, die Situation der Aargauer Laienkultur zu beschreiben, die in Verbänden und Vereinen organisierten Laienkultursparten zu analysieren, übergreifende Verbindungen aufzuzeigen und einerseits Herausforderungen, andererseits aber auch gute Entwicklungsansätze zu erkennen.

Zu diesem Zweck wurden die sechs wichtigsten Verbände der Laienkultursparten Blasmusik (Aargauischer Musikverband), Chor (Aargauischer Kantonalgesangsverein), Theater (Aargauischer Theaterverband), Trachten (Aargauischer Trachtenverband), Jodeln (Nordwestschweizer Jodlerverband, Teilverband Aargau) und Museen/Sammlungen (Verband Aargauer Museen und Sammlungen) sowie deren Mitgliedervereine befragt.

Die meisten Vereine sehen sich gut bis sehr gut in der Bevölkerung verankert. Ein Grossteil der Vereine beurteilt die finanzielle Situation als zufriedenstellend bis stabil, fürchtet jedoch eine künftige Verschlechterung aufgrund der Corona-Pandemie sowie des anhaltenden Mitgliederrückgangs. Letzterer ergibt sich meistens wegen der Schwierigkeiten hinsichtlich der Nachwuchsförderung. So fällt es vielen Vereinen schwer, jüngere Mitglieder und geeignete Personen für die Leitungsfunktionen zu finden. In den meisten Vereinen nimmt das operative Geschäft eine zentrale Funktion ein, strategischen Fragen hingegen schenkt man in der Tendenz wenig Beachtung. Viele Verbände und Vereine würden eine intensivere spartenübergreifende Zusammenarbeit sehr begrüssen.

Mehr Infos:
https://www.ag.ch/de/aktuelles/medienportal/medienmitteilung/medienmitteilungen/mediendetails_168705.jsp

Javier Hagen als «Nominierer»

Das japanische Kyoto-Preis-Komitee hat Javier Hagen eingeladen, Nominationen für den Kyoto-Preis in der Kategorie «Kunst und Philosophie», Disziplin «Musik», einzureichen.

Javier Hagen. Foto: zVg

Gemäss Wikipedia gehört der hochdotierte Kyoto-Preis der japanischen Inamori Foundation neben dem Nobelpreis zu einer «der höchsten Auszeichnungen für Verdienste in Wissenschaft und Kultur». Jedes Jahr wird in den drei Kategorien «Advanced Technology», «Basic Sciences» und «Arts and Philosophy» in der Regel je eine herausragende Persönlichkeit für ihr Lebenswerk geehrt. Alle vier Jahre wird ein Musikpreis in der Kategorie «Kunst und Philosophie» vergeben. Im Gründungsjahr des Kyoto-Preises, 1985, ging der Musikpreis an Olivier Messiaen, später an: John Cage (1989), Witold Lutoslawski (1993), Iannis Xenakis (1997), György Ligeti (2001), Nikolaus Harnoncourt (2005), Pierre Boulez (2009), Cecil Taylor (2013) und Richard Taruskin (2017).

Da 2020 wegen der Sars-Covid-19-Pandemie keine Verleihung stattfand, wird der nächste Musikpreis 2022 vergeben. Die Inamori Foundation lädt jedes Jahr international anerkannte Fachpersonen ein, herausragende Persönlichkeiten für den Preis zu nominieren. Wie Javier Hagen mitteilt, gehört er zu den «Nominierern» für den nächsten Musikpreis. Deren Vorschläge werden in einem Pool gesammelt. Daraus wird in einem dreistufigen Verfahren der Preisanwärter oder die Preisanwärterin ausgewählt. Die Wahl schliesslich wird von der Stiftungsdirektion genehmigt.

Javier Hagen hat als Sänger weltweit hunderte Kompositionen uraufgeführt und zahllose Uraufführungen organisiert. Ausserdem engagiert er sich über die IGNM-VS, SGNM und ISCM standespolitisch regional, national und international.
 

Contempo-Preis für Marie-Louise Schneider

Die Sängerin und Performerin Marie-Louise Schneider, die an der Hochschule für Musik FHNW einen Master in Spezialisierter Musikalischer Performance abgeschlossen hat, gewinnt mit ihrem Projekt «Konzert zum Lesen» den Schaffhauser Contempo-Preis für Kultur.

Foto: Benno Hunziker

Schneider überzeugte die Jury mit ihrem Projekt, in dem sie – wegen der mangelnden Auftrittsmöglichkeiten während der Corona-Zeit – ein Konzert in eine Textform fasste.
Die Jury betonte laut der Mitteilung der FHNW, dass Marie-Louise Schneider als Sängerin und Performerin immer wieder erstaune oder bisweilen auch irritiere, dass sie sich von der Pandemie nicht habe paralysieren lassen und gegen die Grenzen gekämpft habe, die durch Corona gesetzt worden seien. Schneiders Projekt sei auch eine Alternative zu den während Corona überbordenden Livestreams gewesen.

Marie-Louise Schneider hat einen Bachelor in Musik und Bewegung und hat im Juni 2021 ihr Masterstudium in Spezialisierter Musikalischer Performance Improvisation bei Andrea Neumann, Alfred Zimmerlin und Fred Frith an der Hochschule für Musik FHNW abgeschlossen.

Mit dem Contempo-Preis für die Schaffhauser Kultur wird seit 1993 jährlich eine Künstlerin oder ein Künstler aus der Region Schaffhausen ausgezeichnet.

Ein Riesenrohr als Fingerzeig

Das Musikpodium holt die Produktion «Rohrwerk» des Studio-Klangraums nach Zürich und markiert damit unübersehbar, wo die Musik spielt.

Musik ist eine Zeitkunst – oder wird zumindest gemeinhin als solche betrachtet. Häufig geht dabei jedoch vergessen, dass sie sich nicht nur in der Zeit entwickelt, sondern auch Raum benötigt, um sich auszubreiten. Gestalteter Raum hingegen ist die Domäne der Architektur; eines Metiers, das sich bei seiner den Alltag prägenden Routine seltsam indifferent, ja taub gegenüber der Sphäre des Klangs gebiert.

Musik und Architektur — diese beiden sich fremden Schwestern einander anzunähern ist das Ziel des Komponisten und Studio-Klangraum-Mitbegründers Beat Gysin. Und mit dem Projekt Rohrwerk. Fabrique sonore geschieht das auf denkbar spektakuläre Weise. Ein 45 Meter hohes Stoffrohr wird von einem Kran in den Kreuzgang des Grossmünsters gehalten. Die «Pfeilspitze» dieses Rohres zielt nach unten, das futuristisch anmutende Ungetüm scheint auf einer Fläche von wenigen Quadratzentimetern zu stehen. In die mit wellenförmigen Ausfräsungen versehene Spitze sind noch nie gesehene Perkussions- und Blasinstrumente eingebaut: überlange Röhrenglocken, ein mit einer Posaune verbundenes Horn, ein Klangrohr mit der längsten Feder der Schweiz als Impulsgeber, Rohre, die als Lautsprecher dienen, aber auch eine Feedbackschlaufe erzeugen können …

Gigantische Teamarbeit

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Entwickelt wurden diese Klangwunder in Teamarbeit. Die herkömmliche Arbeitsteilung zwischen Komponist, Musiker, Bühnenbildner, Veranstalter etc. spielte bei diesem 2019 im Rahmen des Festivals ZeitRäume Basel erstmals realisierten Projekt eine untergeordnete Rolle. Gemeinsam, am grossen Tisch, brüteten die aus allen Sparten stammenden Beteiligten ihr unförmiges Ei aus. Der Impuls für Rohrwerk kam zwar vom Studio-Klangraum, es ist eigentlich bereits die dritte Folge einer Leichtbauten genannten Reihe räumlich-musikalischer Interventionen. Doch ein derartiges Unternehmen könnte ohne die intensive Mitarbeit aller Mitstreiter, ihren Enthusiasmus und auch Irrsinn, niemals umgesetzt werden. So ist es denn auch folgerichtig, wenn in Zürich nicht nur das Riesenrohr in die Silhouette der Stadt gestellt und mit der eigens dafür komponierten Musik bespielt wurde. Über das ganze Wochenende vom 25. bis 27. Juni verteilt konnte man Workshops mit den Komponisten oder Führungen mit dem Bühnenbauer Peter Affentranger und dem Architekten Patrick Heiz besuchen. Das eröffnete einem nicht nur ungewohnte Einblicke und Einsichten, sondern war schlicht auch schön. Etwa wenn die beiden Perkussionistinnen Anne Briset und Jeanne Larrouturou nicht ohne Stolz das von ihnen mitentwickelte Arsenal an klanglichen Wundertüren vorführten.

Für Rohrwerk wurde in Zürich also kein Aufwand gescheut. Da das Institute for Computer Music and Sound Technology (ICST) der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) als Co-Produzent beteiligt war, erstaunt das nicht wirklich. Dennoch backt das Musikpodium der Stadt Zürich für gewöhnlich wesentlich kleinere Brötchen. Die Vermutung liegt nah, das Musikpodium wolle gegenüber dem neuen Festival Sonic Matter, dem Nachfolgeprojekt der Tage für Neue Musik, Präsenz markieren und deshalb mit der Riesenkelle anrühren. Doch Heinrich Mätzener, der künstlerische Leiter des Musikpodiums, wischt solche Überlegungen sofort vom Tisch. Die beiden Veranstaltungen seien völlig unabhängig voneinander. Er und René Karlen, der damalige Leiter der Abteilung E-Musik der Stadt, seien sich einfach sofort einig gewesen, das einmalige Projekt zu unterstützen. Das war vor über zwei Jahren gewesen, als Sonic Matter und Covid noch kein Thema waren. Und nur wegen letzterem sei Rohrwerk erst jetzt nach Zürich gekommen.

Das Unbehagen der Musik im Raum

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Aber mal alle Superlative der Höhe, Breite und Länge beiseitegeschoben: Überzeugt das Riesenrohr auch musikalisch? Es gab drei Konzerte, jenes am Samstag mit Kompositionen von Emilio Guim, Beat Gysin und den beiden ICST Musikern Germán Toro Pérez und Nicolas Buzzi. Und ja, die Konzerte bereiteten Freude. Der Innenhof des Kreuzgangs wurde mit einer statischen Musik geflutet, wie sie in dem ehrwürdigen Gemäuer wohl noch nie zu hören gewesen war. Obertonspektren wurden aufgefächert, Klangflächen aufgebaut und wieder abgerissen. Auf Anhieb war nie ganz ersichtlich, ob die Klänge nun analog oder elektronisch produziert respektive reproduziert wurden. Es lohnte sich auf jeden Fall, aufmerksam hinzuschauen, wer auf der Bühne woran hantierte. Und obwohl alle Komponisten obertonorientiert arbeiteten, also alle Stücke derselben Klangwelt entstammten, kam kein Gefühl der Gleichförmigkeit auf. Kritisieren kann man jedoch, dass man sich alle Stücke auch ohne die ganze Riesenkonstruktion vorstellen könnte. Es wäre kein Problem, all die abgefahrenen Instrumente ohne musikalische Einbussen an übergrosse Ikea-Kleiderständer zu hängen. Der Bezug zwischen der Konstruktion und der Musik war zu wenig erkennbar.

Doch ist vielleicht gerade dies das Interessanteste an Rohrwerk. Die Diskrepanz zwischen architektonischem Aufwand und musikalischer Notwendigkeit lässt das Problem des Raumes in der Musik überdeutlich hervortreten. Die Aufgabe, welche das Genfer Architektenteam Made in zu Beginn des Projekts erhalten hatte, kann man mit «Raum aus klingenden Rohren» zusammenfassen. Was es aber ablieferte, war kein begehbarer Klangkörper, sondern ein riesenhaftes Symbol, auf das die Musik zu reagieren hatte. Damit lenkten François Charbonnet und Patrick Heiz den Blick auf ein grundlegendes Problem, das Verhältnis von Raum und Musik. Die Räume, in denen Musik stattfindet, sind heute derart genormt, also selbstverständlich, dass sie überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden. Musik als Raumkunst zu verstehen, heisst also zuallererst, sie von den für sie errichteten Musentempeln zu befreien. Wie ein übergrosser Finger weist Rohrwerk auf diesen blinden Fleck des Klassikbetriebs hin.

Weitere Aufführungen an der École polytechnique fédérale de Lausanne vom 21. bis 23. September.
Trailer Rohrwerk.Fabrique sonore Basel 2019 (YouTube)

 

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