Schweizer Frühromantiker

Zwischen Wiener Klassik und Romantik stehen die noch allzu wenig bekannten Werke von Friedrich Theodor Fröhlich.

Daila Dambrauska, Alena Hönigová, Miki Takahashi und Ilze Grudule. Foto: zVg

In seiner herausragenden Stellung von der Musikwissenschaft längst gefestigt, hat es der freiwillig aus dem Leben geschiedene Schweizer Frühromantiker Friedrich Theodor Fröhlich (1803–1836) im Musikleben immer noch schwer. Eine Gesamtausgabe seines umfangreichen, vorwiegend vokalen Schaffens steht nach wie vor aus. Zu den wenigen CDs tritt mit der Ersteinspielung des Klavierquartetts d-Moll (1835) und der Klaviersonate A-Dur (1831) endlich wieder eine gewichtige Repertoirebereicherung hinzu.

Das am Geburtsort Brugg ein Jahr vor dem frühen Tod entstandene Quartett wurde erst 1942 in Zürcher Privatbesitz entdeckt und nach der Handschrift in der Universitätsbibliothek Basel 2017 vom Amadeus-Verlag in Winterthur herausgegeben.

Zeichnet sich im stürmisch beginnenden Kopfsatz und im musikantischen Finale romantisches Pathos ab, halten sich das mozartsche Thema der Variationen (2.Satz) und das tänzerische Scherzo an die Wiener Klassik. Daran orientiert sich auch die ebenfalls viersätzige Sonate. Ihr schon 1937 von Walter Frey und Willi Schuh in der Sammlung Schweizer Klaviermusik aus der Zeit der Klassik und Romantik (Hug, Leipzig/Zürich) herausgegebenes Finale weist als Besonderheit einen rezitativartigen Adagio-Einschub auf, der von Fröhlichs Eigenwilligkeit zeugt.

Wenn diese beiden Ersteinspielungen nicht fröhlich stimmen, liegt es an der Vorherrschaft des Tasteninstruments im Quartett und am historisierenden Interpretationsansatz der zwar hörbar engagierten, dynamisch aber wenig differenzierenden Interpretinnen Alena Hönigová (Fortepiano), Miki Takahashi (Violine), Daila Dambrauska (Viola) und Ilze Grudule (Violoncello). Statt Fröhlichs Musik von ihrem langen Dornröschenschlaf zu erwecken und zu entstauben, führen das ausgedörrt klingende Fortepiano von John Broadwood & Sons und die Streichinstrumente in alter Mensur mit ihrem farblos fahlen Klang in die nebulösen Anfänge der Schweizer Romantik zurück, ohne die stilistisch nahe Verwandtschaft zu Schubert überzeugend aufzeigen zu können.

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Friedrich Theodor Fröhlich: Klavierquartett d-Moll / Klaviersonate A-Dur. Alena Hönigová (Fortepiano), Miki Takahashi (Violine), Daila Dambrauska (Viola) und Ilze Grudule (Violoncello). Koramant Records KR 11004

Eine Ode an die Schutzpatronin der Musik

Am Wochenende vom 20./21. November bringen die Zürcher Sing-Akademie und Orchestra La Scintilla unter der Leitung von Florian Helgath ein vielseitiges und schwungvolles Konzertprogramm zu Ehren der heiligen Cäcilia nach Basel und Zürich.

Cäcilia, Schutzpatronin der Musik, aus der Sicht von Bernardo Cavallino (1616–1656). Bild: WikiCommons,Foto: Marco Borggreve,Foto: Marco Borggreve,SMPV

Die heilige Cäcilia von Rom

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Christina Landshamer

Im späten 17. Jahrhundert feierten englische Musiker jedes Jahr am 22. November die heilige Cäcilie als Schutzpatronin der Musik mit besonderen Konzerten und Gottesdiensten. Mit seiner Ode for St. Cecilia’s Day liess Händel die Tradition dieser Festivitäten 1732 wieder aufleben. Sein Werk ist ein freudiges Lob auf die Musik: Feierliche Chöre umrahmen fünf reizvolle Arien, in denen auch jeweils ein Instrument solistisch vorgestellt und nach barocker Art unterschiedlichen Affekten zugeordnet wird.

Bei der Aufführung mit der Zürcher Sing-Akademie und Orchestra La Scintilla glänzen in den Sologesangspartien die international gefeierten Stimmen von Christina Landshamer und Werner Güra.

 

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Werner Güra

Benjamin Britten – selbst geboren am 22. November – schrieb sein Werk A Hymn for St. Cecilia für Chor a cappella unter widrigen Umständen während des Zweiten Weltkrieges. Das Werk wurde daher nicht nur zu einer Hommage an die bekannten barocken Cäcilienoden, sondern auch an seine sehr vermisste Heimat England.

Gerahmt wird das Konzertprogramm von Henry Purcells festlicher Ouvertüre aus dem Werk Hail! Bright Cecilia sowie einem zeitgenössischen Stück von Anders Hillborg für Chor a cappella mit dem fantastischen Titel Muoaeyiywoum. Wie aus dem Nichts entstehen hier Klänge und Rhythmen im Raum, verformen sich, verschmelzen und lösen sich wieder auf. Wie es in Händels Ode im allerersten Satz heisst: «From harmony, from heavenly harmony, this universal frame began …»

Les Concerts – Zürcher Sing-Akademie und Orchestra La Scintilla

Die gemeinschaftliche Konzertreihe dieser beiden Ensembles der Spitzenklasse macht es sich zur Aufgabe, spannende Konzertprogramme zu entwerfen. Es kommen sowohl grosse Meisterwerke als auch unbekannte Juwelen der Musikgeschichte auf die Bühne, mit interessanten Brücken in die Gegenwart.

Samstag, 20.11.2021, 19.30 Uhr
Peterskirche Basel

Sonntag, 21.11.2021, 17 Uhr
Kirche St. Jakob Zürich

Ticketverkauf
www.ticketino.com

Büro der Zürcher Sing-Akademie: T 043 344 56 60

Abendkasse
 


Werkbeiträge für Contratto und Huber

Die Kulturkommission des Kantons Schwyz unterstützt auch dieses Jahr Musikprojekte mit Werkbeiträgen. Sie gehen an die Dirigentin Graziella Contratto (25’000 Franken) und den Volksmusik-Bassisten Pirmin Huber (20’000 Franken).

Pirmin Huber. Foto: zVg

Die 1966 geborene Dirigentin, Pianistin, Pädagogin, Dozentin und Kuratorin Graziella Contratto plant laut der Mitteilung des Kantons eine «komponierte Interpretation» von Werken Othmar Schoecks. Zu diesem Zweck suche sie den Austausch mit Komponisten, Dirigenten, Arrangeuren und anderen Musikern. Analysen von Orchesterwerken und Originalaufnahmen mit dem Komponisten Othmar Schoeck als Liedbegleiter sollen Hinweise auf Schoeck-spezifische musikalische Stilmerkmale liefern.

Der 1987 geborene Pirmin Huber plant Literatur für den Kontrabass-Unterricht. Die Kompositionen, welche zum Teil neu entstehen und für mehrere Kontrabässe arrangiert werden, werden als Noten und als Aufnahmen erhältlich sein. Das Ziel sei es «groovige, intuitive Melodien» zu schaffen, die Elemente der neuen Volksmusik enthalten und das Erlernen des Kontrabassspiels unterstützen.

Bundesrat sprach mit Kulturbranche

Der Vorsteher des Eidgenössischen Departements des Innern hat sich am 21. Oktober in Bern die weiterhin dringenden Anliegen des Kultursektors infolge der Covid-Krise angehört.

Foto: SMZ/ks

Im Zentrum des Gesprächs standen die aktuelle Situation im Kulturbereich, die Volksabstimmung vom 28. November zum Covid-Gesetz und die Verlängerung der geltenden Unterstützungsmassnahmen.

In ihrer aktuellen Medienmitteilung fasst die Taskforce Culture die wichtigsten Anliegen wie folgt zusammen:

«1. Oberste Priorität hat die Verlängerung der bewährten kulturspezifischen Entschädigungs- und Unterstützungsmassnahmen gemäss Art. 11 Covid-19-Gesetz bis Ende 2022 (A-Fonds-perdu-Ausfallentschädigungen, Beiträge an Transformationsprojekte, Nothilfe für Kulturschaffende, Finanzhilfen für Vereine der Laienkultur).

2.Es braucht weiterhin Kurzarbeitsentschädigungen auch für befristete Arbeitsverhältnisse oder Mitarbeitende auf Abruf (mit 100% Entschädigung für tiefe Einkommen). Diese Arbeitsformensind typisch im Kulturbereich.

3.Die Idee, dass die Corona-Erwerbsausfallentschädigung ab nächstem Jahr nur noch für diejenigen verfügbar sein soll, die ihre Erwerbsarbeit komplett aufgrund behördlicher Massnahmen unterbrechen müssen, ist unbedingt zu verwerfen. Auch bei massgeblich eingeschränkter Erwerbstätigkeit muss weiterhin Anspruch auf Taggelder bestehen bleiben.

4.Der Schutzschirm für Publikumsanlässe ist bis Ende 2022 zu verlängern. Bei einem Planungsvorlauf von 6 bis 9 Monaten für grosse Anlässe ist dieses Instrument der Risikoabsicherung – insbesondere mit Blick auf die grossen Sommerfestivals 2022 – entscheidend.

5.Auch Vereinen im Bereich der Amateurkultur soll der Zugang zu Beiträgen an Transformationsprojekte ermöglicht werden.»
 

Aviel Cahn bleibt in Genf

Der Stadtrat der Stadt Genf und der Stiftungsrat des Grand Théâtre de Genève bestätigen den amtierenden Generalintendanten des Grand Théâtre de Genève in seinen Funktionen für eine Vertragsverlängerung von fünf Jahren.

Aviel Cahn. Foto (Ausschnitt): GTG / Nicolas Schopfer

Seit der Saison 2019/2020 an der Spitze des Genfer Theaters, läuft Aviel Cahns erster Vertrag bis 2024. Der Anschlussvertrag von fünf Jahren bestätigt ihn im Amt bis 2029. Seit 2019 an der Spitze des Grand Théâtre de Genève, vertrete Aviel Cahn «eine Vision der Öffnung seiner Institution gegenüber der Stadt sowie anderen Kunstformen», heisst es in der offiziellen Medienmitteilung.

Geboren 1974 in Zürich, absolvierte Cahn sowohl eine musikalische Ausbildung als auch ein Jurastudium. Miit 26 Jahren verliess er die Schweiz, um die internationalen Beziehungen des Beijing Symphony Orchestra zu managen. Anschliessend war er für das Casting an der Finnischen Nationaloper zuständig, bevor er das Konzerttheater Bern und das Zürcher Kammerorchester leitete. Mit 34 Jahren wurde er Intendant der Flämischen Oper Antwerpen/Gent.

Musiktheater und Gartenbau

Der Musikwissenschaftler Klaus Pietschmann und der Kunsthistoriker Matthias Müller von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) realisieren ein interdisziplinäres Projekt zum Wechselverhältnis von Gartenkunst und höfischer Musiktheaterpraxis am frühneuzeitlichen Fürstenhof.

Eröffnungsserenade der Planetenfeste 1719 im Garten des Holländischen Palais in Dresden,SMPV

Das mit rund 550′.000 Euro dotierte Forschungsprojekt wird einen besonderen Schwerpunkt auf den Dresdner Hof im 17. und 18. Jahrhundert legen. Neben zwei Doktorandenstellen wird es auch eine Postdocstelle geben, die mit der Basler Musiktheaterwissenschaftlerin Helena Langewitz besetzt werden soll. Das Projekt «Garten und Musiktheater am Dresdner Hof des 17. und 18. Jahrhunderts: Mediale und funktionale Wechselbeziehungen im Dienste herrschaftlicher Metaphorik und fürstlicher Repräsentation» startet im Januar 2022.

Aufwändig gestaltete Gartenanlagen sowie opulent ausgestattete Opern fungierten im 17. und 18. Jahrhundert als zentrale Bestandteile fürstlicher Repräsentation. Sie waren zudem aufs Engste miteinander verknüpft: Gartendekorationen bildeten einerseits einen festen Bestandteil des Ausstattungswesens von Opera seria wie Opera buffa, andererseits dienten die Gartenanlagen selbst als Aufführungsstätten für musiktheatrale Darbietungen.

Originalartikel:
https://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/14393_DEU_HTML.php

Johannes Otter unterrichtet in Nürnberg

Johannes Otter, Dozent an der Berner Hochschule der Künste, ist als Professor für Horn an die Hochschule für Musik Nürnberg berufen worden.

Bild: zVg

Johannes Otter hat sein Horn-Studium an der Musikakademie Basel, der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt und an der Berliner Hochschule für Musik «Hanns Eisler» absolviert. Nach einem Masterstudium Neue Musik in Stuttgart schloss er in Basel sein Masterstudium in Musikpädagogik ab.

Er unterrichtet unter anderem bei den Musikkurswochen in Arosa und bei der Jungen Deutschen Philharmonie. Von 2009 bis 2011 war er Assistent von Norbert Sterz an der Hochschule für Musik in Detmold. Seit 2012 ist er Professor an der Hochschule der Künste in Bern.

Tod der Sopranistin Edita Gruberová

Die Sopranistin Edita Gruberová ist in ihrer Wahlheimat Zürich im Alter von 74 Jahren verstorben. Zum Opernhaus der Stadt hatte sie ein kompliziertes Verhältnis.

Edita Gruberová 2013. Foto: Franz Johann Morgenbesser (s. unten)

Edita Gruberova galt als möglicherweise bedeutendste Koloratursängerin des 20. Jahrhunderts. Ihre internationale Karriere begann sie 1974 als Königin der Nacht in der Zauberflöte bei den Festspielen in Glyndebourne und unter Herbert von Karajan in Salzburg.

Dem Zürcher Opernpublikum ist neben ihrer phänomenalen Stimme auch ihr legendärer Streit mit dem damaligen Intendanten Alexander Pereira in Erinnerung, der dazu führte, dass sie an der Limmat acht Jahre lang nicht mehr auftrat. Der Auslöser: Ihre Tochter verletzte sich als Tänzerin während einer Vorstellung im Opernhaus Zürich. Letzteres wies allerdings Ansprüche wegen einer Haftpflicht ab. 

«Carmina Burana» zum Geburtstag

Im September feierte der Boys Choir Lucerne sein zehnjähriges Bestehen mit einem Jubiläumskonzert unter der Leitung von Alessandro Cadario.

In taberna. Foto: Manuela Jans

Als einer der ersten Chöre wagte der Boys Choir Lucerne (Knaben- und Herrenformation) nach dem langen Singverbot anfangs September 2021 ein Grossprojekt zum 10-Jahre-Jubiläum. Carl Orffs Carmina Burana wurde für einmal ganz anders auf die Bühne gebracht. Das Konzept stammte vom Dirigenten Alessandro Cadario (I), den die Sänger bei einem Workshop der European Choral Association (ECA) in Bonn kennengelernt hatten. Es folgten weitere Begegnungen mit einem «Peer to Peer Training» in Luzern.

Cadario bezog sich auf die von Orff im Untertitel erwähnten «imaginis magicis». So wurde das Werk nicht nur gesungen, sondern der mit Sängerinnen erweiterte Chor stellte unter Anleitung der Choreografin Yvonne Sieber auch die jeweiligen Bilder dar – eine grosse Herausforderung!

Andreas Wiedmer – Einstudierung Chöre
Gabriela Bürgler – Sopran
Samuel Zünd – Bariton
Jonathan Kionke – Countertenor
Presseecho auf:
www.boys-choir-lucerne.ch

Bundesrat tagt in Musikhochschule

Der Bundesrat tagt einmal jährlich ausserhalb des Bundeshauses. Die 15. Sitzung «extra muros» fand am 13. Oktober 2021 am Departement Musik der Hochschule Luzern (HSLU-M) in Luzern-Kriens statt.

Bundespräsident Parmelin auf dem Weg zur HSLU. (Bild: HSLU / Priska Ketterer)

HSLU-M-Direktor Valentin Gloor begrüsste die Bundesratsmitglieder. Er führte das Gremium zu drei kurzen Konzerten von Studierenden und Dozierenden. Trotz der besonderen Sicherheitsvorkehrungen und des Medienrummels wurde der Hochschulbetrieb nicht tangiert. Dieser reibungslose Ablauf sei laut Valentin Gloor nur dank des grossen Einsatzes der beteiligten Mitarbeitenden und Studierenden möglich gewesen.Der Bundesrat lud nach dem Besuch des Departements Musik zu einem öffentlichen Apéro im Verkehrshaus Luzern.

Die Idee zur «extra muros»-Sitzung in Luzern stammt laut der offiziellen Mitteilung der HSLU von Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Sie hat 1983 einen Abschluss als Konzertpianistin an einer der Vorgängerinstitutionen des Departements Musik gemacht hat, dem damaligen Konservatorium.

Sannicandro Laureate des Joachim-Wettbwerbs

Chiara Sannicandro, Studentin an der Basler Hochschule für Musik, ist beim Joseph-Joachim-Wettbewerb in Hannover als eine der vier «Laureates» ausgezeichnet worden. Zudem hat sie den Publikumspreis zugesprochen erhalten.

Chiara Sannicandro (Bild: Stiftung Niedersachsen / Helge Krückeberg)

Maria Ioudenitch hat den mit 30’000 Euro dotierten Hauptpreis des Wettbewerbs gewonnen. Alle vier Finalisten, Maria Ioudenitch, Chiara Sannicandro, Javier Comesaña und Minami Yoshida, wurden als Laureates des Wettbewerbs zudem mit einem Preisgeld von 10’000 Euro ausgezeichnet. Den Publikumspreis in Höhe von 2000 Euro erhielt Chiara Sannicandro.

Chiara Sannicandro wurde in Salzburg geboren und begann im Alter von vier Jahren mit dem Geigenunterricht. Im Alter von neun Jahren wurde sie in das Pre-College an der Universität Mozarteum Salzburg aufgenommen, wo sie bei Klara Flieder studierte. Von 2016 bis 2020 studierte sie bei Mauricio Fuks an der Jacobs School of Music in Bloomington, USA, wo sie ihren Bachelor mit hoher Auszeichnung abschloss.

Seit 1991 richtet die Stiftung Niedersachsen den Internationalen Joseph Joachim Violinwettbewerb Hannover aus. Antje Weithaas und Oliver Wille, die seit 2019 die künstlerische Leitung von Gründer Krzysztof Wegrzyn übernommen haben, suchen neugierige Persönlichkeiten. Beteiligt am Wettbewerb war auch die Camerata Bern.

 

Skrjabin auf die Finger geschaut

Anfang September trafen sich Studierende und Interpretationsforscher zu einem Meisterkurs im Künstlerhaus Boswil. Dass es heute möglich ist, das Spiel von Künstlerinnen und Künstlern vergangener Zeiten minutiös zu analysieren, kann der Klavierpädagogik neue Horizonte eröffnen.

Frühe Aufnahmen auf Welte-Rollen. Foto: Museum für Musikautomaten, Seewen SO / Archiv SMZ

Im Seewener Museum für Musikautomaten steht eine geschichtsträchtige mechanische Orgel. Sie hätte in die Britannic, das Schwesterschiff der 1912 gesunkenen Titanic, eingebaut werden sollen. Dazu kam es nicht; die Britannic sank im ersten Weltkrieg ebenfalls. Die Britannic-Orgel ist in den letzten Jahren zum Ausgangspunkt spezieller Forschungen geworden. Sie haben dazu geführt, dass Musikstudierende heute längst verstorbenen Komponisten oder Konzertpianisten – etwa Rachmaninow oder Eugène d’Albert – auf die Finger blicken können, wenn auf hochmodernen Flügeln ihr Spiel reproduziert wird. Für die Klavierpädagogik eröffnen sich damit ganz neue, hochinteressante Perspektiven. Ein Meisterkurs im Künstlerhaus Boswil hat dies auf eindrückliche Weise gezeigt.

Papierrollen als Klangquellen

Die Britannic-Orgel war ein Produkt der Freiburger Manufaktur Welte, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem mit mechanischen Klavieren Furore machte. Auf diesen haben Persönlichkeiten wie Carl Reinecke, Ferruccio Busoni, Teresa Carreño, Artur Schnabel oder Edwin Fischer und Komponisten wie Debussy, Saint-Saëns, Skrjabin, Reger, Grieg, Granados, Mahler oder Gershwin ihr Spiel verewigt. Aufgezeichnet wurde es auf Papierrollen, auf der Basis eines komplizierten Druckluft-Mechanismus. Auch die Dynamik ist dabei registriert worden, mit einem heute kaum mehr rekonstruierbaren Verfahren.

Spieltisch der Britannic-Orgel. Foto: Museum für Musikautomaten, Seewen SO

Teams der Berner Hochschule der Künste (HKB) haben in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Nationalphonothek Lugano zunächst die grossen Bestände an Musikrollen zur Britannic-Orgel digital erfasst und zugänglich gemacht. Die dabei gesammelten Erfahrungen erlaubten, auch die Musikrollen des mechanischen Klaviers Welte-Mignon digital zu erfassen. Die Daten wurden so aufbereitet, dass man sie auf ein Yamaha-Disklavier, eine Art moderne, aber weitaus präzisere Version des Welte-Mignons, übertragen konnte.

Das Studium der Einspielungen Busonis, Debussys oder Griegs hat nicht nur Erkenntnisse zur historischen Interpretationspraxis ergänzt, die bereits dank frühen akustischen Aufnahmen gewonnen worden sind. Die Papierrollen liefern zu Dynamik, Anschlags- oder Pedaltechniken – wenn auch nicht hundertprozentig zuverlässig – präzisere Zeugnisse als die verrauschten Grammofon-Aufnahmen. Unschätzbar ist dabei vor allem der pädagogische Wert: Studierende können auf der Tastatur des Disklaviers das historische Spiel mitverfolgen, ihm mit den eigenen Fingern nachspüren oder die eigene Reproduktion des Vorbildes so lange nachspielen und -korrigieren, bis sie es exakt kopieren können.

Dabei geht es natürlich nicht darum, Interpretationen der goldenen Epoche des Klaviervirtuosentums eins zu eins wiederzugeben. Das Verfahren hilft aber, die damaligen Intentionen taktil und visuell besser zu verstehen. Die Pianisten und Interpretationsforscher Manuel Bärtsch und Sebastian Bausch, die das Welte-Mignon-Projekt «Magic Piano» an der HKB entwickelt haben, arbeiteten am Boswiler Meisterkurs mit den Studierenden an Werken von Chopin, Liszt, Schubert, Schumann, Brahms und Skrjabin sowie an den für die damalige Zeit typischen Ausdruckmitteln. Die Welte-Mignon-Überlieferungen zeigten etwa, wie frei und spontan selbst die Komponisten mit ihren Werken umgegangen waren. Sie spielten sorglos Rubati, synchronisierten linke und rechte Hand keineswegs immer oder arpeggierten ganze Akkord-Partien und liessen gar scheinbar willkürlich ganze Takte aus.

Ungeklärtes und Potenziale

Dabei sind Fragen offengeblieben: Viele Virtuosinnen und Virtuosen spielten für Welte auf der Durchreise, ohne grossen Aufwand zu betreiben, Werke ein – manche wohl, ohne zu realisieren, dass diese Zeugnisse Jahrzehnte überdauern dürften. Es mag also sein, dass der eine oder die andere die Einspielung eher auf die leichte Schulter nahm. Unklar ist auch, wie zuverlässig die Technik zur Erfassung der Dynamik tatsächlich war. Ganz auszuschliessen ist nicht einmal, dass da in einer Nachbearbeitung etwas nachgeholfen wurde. Die recht geheimnisvolle Methode zur Erfassung der Dynamik könnte möglicherweise auch einfach darin bestanden haben, dass Welte-Mitarbeiter während der Aufnahmen Notizen machten, worauf die dynamischen Unterschiede dann in einem weiteren Schritt hinzugefügt wurden.

Die Auseinandersetzung mit den Welte-Rollen öffnet überraschende Perspektiven: Man könnte das Verfahren auf Meisterkurse mit heutigen Virtuosen anwenden, indem diese auf dem Disklavier ihre Interpretationen einspielten, die dann analysiert würden wie die historischen Welte-Aufnahmen. Tatsächlich kann der Boswiler Meisterkurs in einem grossen Kontext gesehen werden: als Zeichen von Umwälzungen in der Musikpädagogik, angestossen von den Sozialen Medien. Mittlerweile herrscht ein unüberblickbares Angebot an Onlinekursen und Coachings, die ihre eigenen Stärken haben. Vor allem können sie zum Spiel eines Lehrers oder einer Lehrerin in Echtzeit begleitende Daten aufspielen (Anschlagsstärke, Pedalnutzung, Zeitpunkt des Loslassens einer Taste und so weiter). Das Institut Interpretation der HKB hat es in der Hand, den Schritt von der historischen Datenerhebung und -aufbereitung zur pädagogischen Nutzung der Erkenntnisse zu gehen.

Website «Magic Piano»

Torsten Möller
Befreiender Blick zurück. Was lässt sich aus Aufnahmenin Welte-Mignon-Technik erschliessen?
Artikel in Schweizer Musikzeitung 6/2021(PDF)

Welche Unterstützung brauchen Sie (noch)?

Im Hinblick auf die kommenden Beratungen in Parlament und Bundesrat führt die Taskforce Culture eine Umfrage zur aktuellen Situation und zum Unterstützungsbedarf im Kultursektor durch. Die Befragung läuft bis am 25. Oktober.

Foto: Emily Morter / unsplash.com

Der Schweizer Musikrat und die Taskforce Culture teilen heute mit, dass das Planen und Durchführen von Kulturprojekten nach wie vor eine grosse Herausforderung und oft mit finanziellen Einbussen verbunden sei. Im Hinblick auf die parlamentarischen Diskussionen über die Verlängerung der bestehenden Massnahmen sind konkrete Informationen zur aktuellen Situation im Kultursektor gefragt, besonders zahlenbasiertes Material. Deshalb beauftragte die Kerngruppe der Taskforce Culture das Beratungs- und Forschungsbüro Ecoplan (www.ecoplan.ch) mit einer Umfrage zu den Bedürfnissen bei den Kulturschaffenden, den Kulturunternehmen und den Vereinen im Laienbereich.

Die Befragung ist bis am 25. Oktober in drei Sprachen online:

Kulturschaffende – actrices et acteurs culturels – operatori culturali
Deutsch: www.kulturschaffende-de.ecoplansurvey.ch
Français: www.kulturschaffende-fr.ecoplansurvey.ch
Italiano: www.kulturschaffende-it.ecoplansurvey.ch

Kulturunternehmen – entreprises culturelles – imprese culturali
Deutsch: www.kulturunternehmen-de.ecoplansurvey.ch
Français: www.kulturunternehmen-fr.ecoplansurvey.ch
Italiano: www.kulturunternehmen-it.ecoplansurvey.ch

Kulturvereine im Laienbereich – associations culturelles amateurs – associazioni culturali amatoriali
Deutsch: www.kulturvereine-de.ecoplansurvey.ch
Français: www.kulturvereine-fr.ecoplansurvey.ch
Italiano: www.kulturvereine-it.ecoplansurvey.ch
 

Tod des Musikwissenschaftlers Manfred Hermann Schmid

Laut einer Mitteilung des Bärenreiter-Verlags ist in Augsburg der Musikwissenschaftler Manfred Hermann Schmid gestorben. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit lag auf der Musik Wolfgang Amadeus Mozarts.

Foto: SMZ/ks,SMPV

Der 1947 in Ottobeuren geborene Musikforscher war seit 1986 nach mehreren Zwischenstationen Ordinarius für Musikwissenschaft an der Universität Tübingen. Er stellte unter anderem die Kritischen Berichte zu Mozarts Streichquintetten und den Quintetten mit Bläsern fertig, die sein Vater innerhalb der Neuen Mozart-Ausgabe herausgegeben hatte. Notwendige Revisionen an diesen Editionen nahm er für praktische Einzelausgaben vor.

Beethovens Streichquartetten war Manfred Hermann Schmids letztes Buch gewidmet. Es  erschien wenige Tage nach seinem Tod bei Bärenreiter/Metzler.

Ausgezeichnete ZHdK-Studierende

Benedikt Böhlen (Violoncello bei Roel Dieltiens), Marena Whitcher (Gesang Jazz bei Rahel Hadorn) und Milena Umiglia (Violoncello bei Thomas Grossenbacher) erhalten den Werner und Berti Alter-Preis 2021.

Benedikt Böhlen, Marena Whitcher, Milena Umiglia (Bild: ZHdK)

Benedikt Böhlen studierte Violoncello an der Musikakademie Basel, mit Master Performance Abschluss. 2021 erwarb er an der Zürcher Hochschule der Künste den Master Pädagogik. Er spielt regelmässig im Ensemble Phönix Basel und ist Mitglied im Schweizer Kammerorchester Arte Frizzante. Zudem ist er Cellolehrer an der Musikschule in Dornach.

Die 1990 geborene Marena Whitcher ist halb Schweizerin und halb Amerikanerin. Sie etabliert sie sich derzeit im In- und Ausland als Gesamtkünstlerin auf verschiedenen Bühnen – von Avantgarde Pop über Jazz bis zur zeitgenössisch klassischen Musik und Kleinkunst. Für Radio SRF2 vertonte und instrumentalisierte sie mehrere Hörspiele.

Milena Umiglia wurde 1998 in eine Musikerfamilie hineingeboren und erhielt ihren
ersten Cello-Unterricht mit vier Jahren bei ihrer Mutter. In 2008 wurde sie eine
Privatschülerin von Rafael Rosenfeld an der Musikakademie Basel. Seit September 2019
studiert sie bei Thomas Grossenbacher an der Zürcher Hochschule der Künste.

Die 1980 in Zürich gegründete Werner und Berti Alter-Stiftung prämiert die besten Diplomprojekte im Master Music Pedagogy der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK).

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