Leichtigkeit statt Spielbeschwerden

Die Dispokinesis basiert auf neurophysiologischer Grund-lage und beschäftigt sich mit Haltung, Bewegung, Atmung und Ausdruck von Musizieren-den. Die Ziele sind Leichtig-keit in der Spielmotorik, schmerz- und beschwerdefreies Musizieren, Ausdrucksvielfalt und Bühnenkompetenz.

Cornelia Suhner –– Um auf der Bühne zu stehen und sich über sein Instrument, die Stimme oder als Dirigent auszudrücken, reicht locker sein nicht aus. Damit sich die Spielmotorik frei und mühelos anfühlt und das Musizieren treffsicher gelingt, benötigt der Körper Halt und Stabilität. Die Fragen sind: wo – und wie? Um Musiker dies entdecken zu lassen, hat der niederländische Pianist und Physiotherapeut Gerrit Onne v. d. Klashorst die sogenannten «Übungen der Urgestalten von Haltung und Bewegung» entwickelt. Sie bilden den Kern der um 1950 speziell für Musikerinnen und Bühnenkünstler entwickelten Dispokinesis.

Dispokineter lehren im Grunde nichts Neues. Vielmehr sind sie Meister sowohl im Weglassen künstlich erlernter, hemmender Muster als auch im Freilegen, Herauslocken und Entwickeln des Potenzials, das in jedem einzelnen Menschen steckt. Die Kernidee: Mit den «Urgestalten»-Übungen wird der Aufrichtungsprozess des Menschen vom Liegen über das Krabbeln, Sitzen und Stehen durchgearbeitet. Dabei können Fehlhaltungen erkannt und verändert und die natürlichen Haltungs-und Aufrichtungsreflexe (Vorderfuss, Beine, Becken/Unterbauch) wieder entdeckt und erfahren werden. So finden MusikerInnen zu einer ursprünglichen Körperhaltung zurück, wie sie sie als Kind schon einmal erworben hatten.

Die Kennzeichen «dieser» natürlichen Haltung sind dynamische Stabilität im unteren Körperbereich sowie als Folge davon Freiheit im Oberkörper mit gelösten Schultern und durchlässigen Armen und Händen. Eine solche natürliche «Disposition» ist Grundvoraussetzung für feinmotorische, leichte Bewegungen (Finger, Lippen, Zunge), eine gut funktionierende Atemführung oder einen frei schwingenden, brillanten Klang.

Zu den Übungen der Urgestalten kommen zwei weitere wichtige Bereiche hinzu: Damit beim Musizieren eine physiologisch sinnvolle Haltung beibehalten werden kann, wird das Instrument mit ergonomischen Hilfsmitteln verschiedenster Art individuell dem Körper angepasst. Des Weiteren bietet die Dispokinesis spezielle Übungen (für alle Instrumente, Gesang und Dirigieren) zur Optimierung der instrumentalen und künstlerischen Kompetenz an – wie etwa Vorstellungs- und Lernhilfen zu feinmotorischer Spieltechnik, Spielgefühl, Atmung, Dosierungs- und Differenzierungsfähigkeit und vielem mehr. Die Ziele dabei sind Ausdrucksvielfalt, Bühnenkompetenz und minimaler Krafteinsatz für maximale Klangfülle, Leichtigkeit und Virtuosität.

Dispokinesis wird sowohl in Einzelsitzungen und in kleineren Gruppen – so dass immer ein persönliches Feedback möglich ist – als auch in Workshops und Seminaren unterrichtet. Bei Bedarf arbeiten Dispokineter mit Ärzten und anderen Therapeuten zusammen. Diese Art zu arbeiten ist für alle geeignet, die ihre Spiel- und Ausdrucksfähigkeit verbessern und ihr ganzes Potenzial an Klanggestaltung ausschöpfen möchten. Sie wird präventiv oder als pädagogisches Konzept eingesetzt, vor allem aber auch bei Indikationen wie Haltungs-, Bewegungs- und Atemstörungen, ebenso bei Spielhemmungen (Ansatzunsicherheit, Krämpfe, Einbußen im Klang, gedrückte hohe Lage, Bogen- oder Lippenzittern…), sowie bei Schmerzsyndromen, Lampenfieber oder Kontrollverlust.

Cornelia Suhner

… ist Flötistin und arbeitet als Dispokineterin, Auftritts-, Ausdrucks- und Mentaltrainerin in Zürich und Bern.

> www.cornelia-suhner.ch

> www.vivace-musikermedizin.ch

Wenn sich die Stimme verknotet

Schreckgespenst jeder Sängerin sind Knötchen auf den Stimmlippen. Eine Operation ist aber nur in wenigen Fällen notwendig.

Salome Zwicky — Sie stehen für Ungewissheit, Absagen, Timeout, Neuorientierung und Existenzangst. Oft stellt sich nicht nur die Frage, ob falsch gearbeitet wurde, auch Selbstvorwürfe und Schuldgefühle können die Folge sein. Meistens sind junge Sängerinnen in Ausbildung oder am Karriereanfang betroffen. Männer haben keine Knötchen, längere Stimmlippen scheinen immun zu sein.

Knötchen entstehen durch jede ungünstige Form der Stimmproduktion – nicht nur beim Singen. Es handelt sich um Verdickungen der Schleimhaut im mittleren Abschnitt der Stimmlippen durch ungünstige Phonation – daher der Fachbegriff Phonationsverdickungen.

Die Luft fliesst durch die geschlossenen Stimmlippen und erzeugt an deren Kante eine Schwingung. Der Luftstrom reibt und saugt an der Schleimhaut, am ausgeprägtesten in der Mitte der Stimmlippen. Zum eigenen Schutz verdickt sich die über-strapazierte Schleimhaut, ähnlich wie die Haut an Händen oder Füssen unter Druck und Reibung Schwielen hervorbringt. Die Verdickung an den Stimmlippen verschlechtert aber die Schwingungseigenschaften, so dass noch mehr ungünstiger Druck nötig ist für die Phonation – ein Teufelskreis entsteht.

Nicht jede knötchenartige Veränderung ist eine Phonationsverdickung. Echte Knötchen sind symmetrisch, also auf beiden Stimmlippen etwa gleich ausgebildet. Bei knötchenartigem Befund an nur einer Stimmlippe handelt es sich ziemlich sicher um eine andere Veränderung, zum Beispiel um Polypen oder Zysten. Diese verschwinden im Unterschied zu Knötchen auch dann nicht, wenn die Stimme geschont wird. Echte Knötchen können unter einer ein- bis zweiwöchigen Stimmruhe (nur leises, anstrengungsloses Sprechen, kein Singen mit Vollstimme) hingegen kleiner werden oder verschwinden. Nur löst diese vorübergehende Vorsicht das Problem nicht, die Verdickungen werden unter steigender Belastung erneut entstehen. Es ist wichtig, die eigentliche Ursache anzugehen.

Wenn echte Knötchen gefunden werden, stellt sich demnach zuerst die Frage nach der Ursache, und daraus wird die Form der Therapie abgeleitet. Das schädliche «zu viel» an den Stimmlippen setzt sich zusammen aus der mechanisch wirkenden Kraft und einem Zeitfaktor. Das heisst, es kommt darauf an, wie man Töne produziert (muskuläres Gleichgewicht, subglottischer Druck), aber auch wie oft, beziehungsweise wie lange man so singt. Sollten per Zufall Knötchen festgestellt werden, ist es wichtig zu wissen, dass sie nur bei gleichzeitiger Stimmstörung behandelt werden müssen. Manche Sängerinnen singen problemlos mit Ansätzen von Knötchen.

Der Therapieansatz ist immer ähnlich. Vereinfacht ausgedrückt muss gelernt werden, Töne – vor allem laute oder hohe Töne – mit Resonanz anstatt Druck erklingen zu lassen. Die Kraft zum Singen muss aus einer guten Atem- und Körpertechnik geschöpft werden und nicht mittels Kehlkopfmuskulatur erzeugt. Dasselbe Prin-zip gilt beim Sprechen im Alltag, im Klassenzimmer sowie auf der Bühne und wird auch in der Sprecherziehung, Gesangspädagogik oder Stimmtherapie (Logopädie) verfolgt. Atemführung, Stütze und Randstimmtraining entlasten den Kehlkopf. Bewährte Hilfsmittel sind LaxVox oder – ganz neu – die StimmMaske nach Doctor Vox. Bei manchen Sängerinnen müssen einzelne Bereiche der Gesangstechnik umgestellt werden. Das braucht Zeit, ist aber für das wei-tere Reüssieren im Beruf essentiell. Die operative Entfernung der Knötchen ist nur in wenigen Fällen notwendig und nur bei gleichzeitiger Korrektur der fehlerhaften Stimm-gebung sinnvoll.

Phonationsverdickungen sind nichts Schlimmes. Sie zeigen, dass die Art der Stimmbelastung in eine Sackgasse geführt hat, und sind ein Warnsignal für die Betroffenen, den Umgang mit ihrer Stimme zu überdenken und zu optimieren. Die Mühe lohnt sich. Das wichtige Zusammenwirken von Therapie und Pädagogik bietet die Chance, die eigene Stimme tiefgreifender kennenzulernen und dadurch Achtsamkeit und gesundes technisches Fundament zu erwerben. Es wird sich im wahrsten Sinne des Wortes «der Knoten lösen».

Salome Zwicky

… vom SingStimmZentrumZürich (www.sszz.ch) ist Fachärztin ORL mit Spezialgebiet Phoniatrie.

Ressourcenorientierung im Musikeralltag

Das 17. SMM/SIS-Symposium steht am 2. November 2019 in Basel im Zeichen der Prävention.

SMM — Prävention und Gesundheitsförderung im Musikerberuf sind zentrale Ziele der Schweizerischen Gesellschaft für Musik-Medizin. Ins Thema einführen werden in den Räumen der Basler Musikakademie eine Hornklasse und ein Referat von Peter Knodt, der als Dozent für Fachdidaktik Trompete an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) amtet. Knodt hat Absolventinnen, Absolventen und das Lehrenden-Team des Fachs Horn zum Thema befragt und sieht interinstitutionelle Kooperationen, geeignete individuelle Kompetenzprofile und gemeinsame künstlerisch-pädagogische Grundüberzeugungen als wichtige Faktoren für Gesundheit und nachhaltige Zufriedenheit im Berufsalltag.

Knodts Erörterungen ergänzt Horst Hildebrandt, Leiter des Schweizerischen Hochschulzentrums für Musikphysiologie, mit Überlegungen zu Selbsthilfekonzepten, die für Vorbeugung und Therapie eine entscheidende Rolle spielen. Er wird aufzeigen, wie hilfreich eine Mischung aus Wahrnehmungsschulung, Tonusregulation, Kraftaufbau, Bewegungs-, Atmungs- und Haltungsschulung sein kann – ergänzt um Techniken der Schnellregeneration sowie der Muskel- und Faszienpflege.

Der Rheinfeldener Psychiater Andreas Schmid zeigt am Symposium, wo Berufsmusikerinnen und ‑musiker Kraft und Erholung finden, wenn sie an Grenzen stossen. Er erörtert die Quellen der Resilienz, die verhindern, dass es zu Kreativitätskrisen, Erschöpfung oder gar zu psychischen Krankheiten kommt. Sein Vortrag schlägt den Bogen von allgemeinen Prinzipien der Resilienz hin zu deren praktischen Bedeutung im Musikeralltag.

Der Zürcher Musikphysiologe Oliver Margulies stellt Konzepte für die Verankerung eines musikphysiologischen Angebotes an Musikaus-bildungsstätten vor. Sie gehen auf das von Horst Hildebrandt in den 1990er-Jahren an der deutschen Musikschule Lahr entwickelte Pilotprojekt «Musikphysiologische Beratung» zurück. Aus ihm entwickelten sich unter anderem die heute bestehenden musikphysiologischen Lehr- und Beratungsangebote an den Musikhochschulen Zürich und Basel. Der Vortrag gibt Einblick in zwei seit 2010 vom Margulies betreute Projekte am Vorarlberger Landes- konservatorium und an der Musikschule Konservatorium Zürich. Dazu gehören Einzelberatung für Lehrkräfte und deren Studierende, Lehrerfortbildungen, Bühnentrainings, Begabtenförderung, Zugang zu Forschungsprojekten und spezialisierte Beratungen an der ZHdK.

Elke Hofmann ist Beauftragte für Digitalisierung und Dozentin für Gehörbildung an der Basler Musikhochschule. Sie macht sich Überlegungen zum digitalen Wandel, der Informationen jederzeit und überall verfügbar macht. Die sich rasant verändernden neuen Technologien erfordern zusätzliche Verfügbarkeiten, Flexibilität und Kommunikativität und stellen damit auch Anforderungen, die als belastend empfunden werden können.

Wer am Symposium teilnimmt, kann sich zusätzlich zu den Referaten in zwei Workshops weiterbilden. Der eine steht unter dem Motto «Wer bewegt – gewinnt : Physische Ressourcen optimal nutzen mit FBL Functional Kinetics». Die Musik- und Bewegungsphysiologin Irene Spirgi Gantert zeigt dabei auf, wie physische und psychosoziale Ressourcen in engen Wechselbeziehungen zueinander stehen. Eine Stärkung der physischen Ressourcen beinhaltet sowohl Geschicklichkeits- als auch Beweglichkeits-, Ausdauer- und Kraftübungen.

Der zweite Workshop widmet sich der «Freude am musikalischen Ausdruck – Dispokinesis für Musiker». Die Flötistin Karoline Renner zeigt auf, wie die Methode Lösungswege unter anderem bei Schmerzen, Atemproblemen, mangelndem Erfolg beim Üben und Auftrittsängsten anbietet. Ziel ist die Verbesserung der eigenen instrumentalen und künstlerischen Fähigkeiten. Der Workshop vermittelt einen ersten Eindruck, welche Zusammenhänge zwischen körperlicher und mentaler Haltung bestehen und wie sich durch Selbstbeobachtung Selbstwertgefühl entwickeln kann.

Kieferbeschwerden bei Musizierenden

Holzblasinstrumente verursachen häufig Kieferbeschwerden. Überraschenderweise trifft es aber auch nicht wenige, die ein Streichinstrument spielen.

Dominik Ettlin — Der Unterkiefer ist ein hufeisenförmiger Knochen. Seine beiden Enden bilden mit der Schädelbasis die Kiefergelenke. Die Stellung und Bewegungen des Unterkiefers wird durch die Aktivität der Kaumuskeln reguliert. Beschwerden in den Kiefergelenken oder -muskeln manifestieren sich meist mit bewegungsbegleitenden Knack- oder Reibegeräuschen und/oder Schmerzen, zum Beispiel beim Kauen oder Gähnen. Gelegentlich ist die Mundöffnung einschränkt (Kiefergelenkblockade). Die Beschwerden schwanken typischerweise im Zeitverlauf und in Abhängigkeit der Haltung des Unterkiefers.

Eine entspannte beziehungsweise physiologische Schwebelage des Unterkiefers ist gegeben, wenn sich obere und untere Zähne bei geschlossenen Lippen nicht berühren. Unphysiologische Bewegungen oder Haltungen wie zum Beispiel exzessives Kaugummikauen, häufiges Zähnepressen oder nächtliches Zähneknirschen können eine Überlastung des Kausystems begünstigen. Eine anhaltende unphysiologische Stellung nimmt der Unterkiefer auch beim Spielen bestimmter Blasinstrumente oder beim Gesang ein. Im Volksmund verbreitete Ausdrücke wie «verbissen an eine Aufgabe herangehen» oder «Zähne zusammenbeissen und durch» oder «an einem Problem kauen» offenbaren die enge Koppelung von Kaumuskelspannung und Gefühlen. Entsprechend können auch emotionale Belastungen zu Verspannun- gen und Beschwerden im Kauapparat führen.

Qualitativ gute wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Kiefergelenkbeschwerden bei Musizierenden sind spärlich. In einer holländischen Studie beklagten Studierende der Musik häufiger als Medizinstudierende Beschwerden in den Bereichen Hände, Schultern, Nacken und Kiefer. Eine Befragung von 210 Lernenden fand ein deutlich höheres Risiko zur Entwicklung von Kiefergelenkbeschwerden bei denjenigen, die Blasinstrumente spielten, im Vergleich zu Musizierenden anderer Instrumente. Eine noch detailliertere Analyse hinsichtlich der Verteilung von Beschwerden nach Instrument lieferte die Befragung von 408 professionellen Muszierenden zweier klassischer Orchester in Deutschland. Weil das Musizieren mit Holzblasinstrumenten (Flöte, Fagott, Klarinette und Oboe) eine anhaltend unphysiologische Unterkieferhaltung erfordert, überrascht es nicht, dass dabei Funktionsstörungen und Schmerzen im Kiefergelenk in dieser Gruppe gehäuft beschrieben wurden. Erstaunlich ist aber, dass ähnliche Beschwerden etwa ebenso häufig von Personen empfunden wurden, die Saiteninstrumente spielten.

Andere Risikofaktoren wie nächtliches Zähneknirschen und anhaltendes Kieferpressen könnten diese Beobachtung zumindest teilweise erklären. Denn diese Risikofaktoren beschreiben gehäuft Personen unter Stressbelastungen, welche wiederum mit erhöhtem Kaumuskeltonus sowie Kiefer- und Gesichtsschmerz einhergehen. Etwa die Hälfte von 93 professionellen Violinisten in Portugal berichteten demnach, an Lampenfieber zu leiden, wobei sich ein deutlicher Zusammenhang mit Kiefergelenkbeschwerden ergab. Übermässiges Singen wird ebenfalls als mögliche Ursache von Kiefergelenkbeschwerden vermutet, aber verlässliche Daten sind dazu nicht verfügbar.

Zusammenfassend beklagen Musizierende mit variabler Häufigkeit Kieferbeschwerden. Gemäss heute bekannten Daten sind diese nicht eindeutig dem Spielen eines bestimmten Instrumententyps zuzuordnen. Für Singende und Musizierende von Blasinstrumenten ist die Beeinträchtigung aber am Höchsten. Mittlerweile wird an Musik-Ausbildungsstätten eine gesundheitsfördernde Schulung empfohlen. Instruktionen zum Erkennen von Stress und Verspannung während der Ausbildung sind zweckmässig, da etwa junge stärker als erfahrene Musizierende an Lampenfieber leiden. Sinnvoll ist auch die frühe Wissensvermittlung zu Tinnitus und anderen Hörstörungen, die gehäuft mit Kieferbeschwerden assoziiert sind. Sowohl vorbeugend wie therapeutisch steht der Umgang mit emotionalen Belastungen, die Optimierung der Körperwahrnehmung und das Erlernen von Entspannungstechniken im Vordergrund.

PD Dr. med., Dr. med. dent. Dominik Ettlin Interdisziplinäre Schmerzsprechstunde

Zentrum für Zahnmedizin,

Universität Zürich Plattenstrasse 11, 8032 Zürich

Die Literaturhinweise finden sich in der Online-Version des Artikels unter:

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Vom Trommelwirbel zum Tinnitus

Unwillkommene Ohrge-räusche können ganz unter-schiedliche Ursachen haben.

Daniela Gut — Aus der Geschichte sind viele Fälle von Musikern mit Tinnitus und auch Schwerhörigkeiten bekannt. Vermutlich ist Beethoven der bekannteste Fall. Schon im Alter von zwanzig Jahren begann sich sein Gehör zu verschlechtern, und damit einhergehend setzte auch ein sehr störender Tinnitus ein. Später kam es sogar zu einem völligen Gehörsverlust, der Tinnitus blieb aber bestehen. Die Ursache dieses Problems bei Beethoven ist bis heute nicht geklärt. Diskutiert wird eine Otosklerose, einer knöchernen fortschreitenden Fixierung des Steigbügels, oder eine Neurolues, Spätform einer Syphilis-Erkrankung. Man hat versucht, diesem Rätsel auf die Spur zu kommen, indem man die Leiche exhumiert hat. Leider fehlten aber die Felsenbeine (Knochen, die den Gehörsapparat enthalten), so dass keine neuen Erkenntnisse zum Vorschein kamen.

Musiker sind während ihres ganzen Berufslebens starken Lärmbelastungen ausgesetzt. Sei es im Orchester, bei Proben oder beim Unterrichten. Die grösste Lärmbelastung wird dabei durch das eigene Instrument erzeugt.

Bei den Lärmschädigungen unterscheidet man zwischen akutem und chronischem Lärmtrauma. Beim akuten Lärmtrauma kommt es zu einer kurzen starken Lärmeinwirkung – wie bei einem Schuss. Die typische Frequenz dafür ist 6000 Hz. Das chronische Lärmtrauma ist definiert als längerdauernde Schalleinwirkungen mit über 85 dB Schalldruckpegel.

Beide Störungen können zur Entwicklung von Tinnitus führen. Letzterer ist definiert als jegliche Form von Ohrgeräusch. Es kann ein Ton sein, aber auch ein Rauschen, Brummen und so weiter.

«Tinnitus» ist folglich mehr ein Symptom als eine Diagnose. Die Ursachen sind sehr unterschiedlich, müssen nicht einmal vom Ohr ausgehen. Beispiele sind Kiefergelenksprobleme, Halswirbelsäulenprobleme, auch Gefässe: Sowohl Arterien als auch Venen können Flussgeräusche verursachen. Nicht zu vergessen sind Medikamente, allen voran Psychopharmaka, Schleifendiuretika und auch Aspirin in hohen Dosen. Bei letzterem ist der Tinnitus reversibel. Bei psychiatrischen Erkrankungen kann ebenfalls ein Tinnitus auftreten – beispielweise bei Depressionen oder Burn-out-Syndrom.

Ohrerkrankungen mit Tinnitus

Tinnitus kann mit bestimmten Ohrerkrankungen einhergehen.

Selbst ein banaler Ohrpfropfen kann einen Tinnitus verursachen. Nach Entfernung ist das Geräusch aber verschwunden. Auch bei Entzündungen des Gehörgangs und des Mittelohrs tritt meistens ein Tinnitus auf. Dieser ist nach Abheilen der Entzündung ebenfalls in der Regel reversibel. Beim Tubenkatarrh, wo sich hinter dem Trommelfell Flüssigkeit bildet, die zu einer Gehörsverminderung ohne Schmerzen führt, tritt gewöhnlich auch ein Tinnitus dazu. Bei der Otosklerose tritt häufig als erstes Symptom ein Tinnitus auf. Diese Erkrankung ist familiär gehäuft. Die fortschreitende Schwerhörigkeit kann operativ deutlich verbessert werden.

Dann bleiben die Erkrankungen des Innenohrs, wie der Gehörsturz und der Morbus Ménière. Letzterer besteht aus einer Trias von Drehschwindel, Tinnitus und Gehörsverminderung. In diese letzte Kategorie gehören auch das akute und das chronische Lärmtrauma.

Prophylaxe-Massnahmen

Nun stellt sich die Frage, ob zum Schutz des Gehörs etwas unternommen werden kann. Als sehr wesentlich hat sich nach den Untersuchungen der Freiburger Musikphysiologen Bernhard Richter und Claudia Spahn die emotionale Einstellung des Musikers zu einem Stück erwiesen. Und natürlich Gehörschutzmassnahmen. Diese reichen von Notlösungen wie Watte über Schaumstoffstöpsel (Oropax) bis zu vorgeformten Gehörschützen. Für Musiker am sichersten und besten geeignet sind Otoplasten (Elacin), die entsprechend dem Gehörgang angefertigt werden und verschieden starke Dämpfung des Klangs anbieten. Generell sind alle Gehörschutzmassnahmen bei Musikern nicht sonderlich beliebt, da einerseits der Schutz gegeben sein sollte und andererseits die künstlerische Klangproduktion damit verändert wird. Es wird angenommen, dass ungefähr nur ein Sechstel aller Musiker sich schützt.

Zum Schluss bleibt mir mein beliebtes Zitat von Wilhelm Busch: Musik wird oft nicht schön empfunden, ist sie doch stets mit Lärm verbunden.

Dr. med. Daniela Gut

… ist Fachärztin FMH für ORL mit Praxis in Zürich

Wenn das Musizieren zur Qual wird

«Warnsignal Schmerz» hiess es anlässlich des 16. Symposiums der SMM am 27. Oktober in Luzern.

SMM — «No pain, no gain – Fortschritt muss leiden –, hiess es einst auch bei Musikstudierenden und ‑profis. Die Zeiten sind gottlob vorbei: Schmerzen werden heute vielmehr als Warnsignale des Körpers verstanden. Sie sind Aufforderungen, Proberoutinen, Haltung und mentale Einstellungen zu überprüfen. «Warnsignal Schmerz» war denn auch der Titel des 16. Symposiums der Schweizerischen Gesellschaft für Musik-Medizin und der Schweizerischen Interpretenstiftung im Marianischen Saal Luzern. In bewährter Art moderiert wurde der Anlass von der SMM-Präsidentin Martina Berchtold-Neumann. Sie bereicherte den Tag unter dem Motto «Urlaub vom Schmerz» überdies mit einer Erholungstrance

Dass die Konzepte Schmerz und Leiden getrennt werden müssen, zeigte zum Einstieg ins Thema der Psychiater Stefan Büchi auf, der als Ärztlicher Direktor der Privatklinik Hohenegg amtet. Er betonte wie wichtig es ist, herauszufinden, wie Betroffene Schmerzen subjektiv in ihr Leben integrieren. Erst wenn der Arzt, die Ärztin differenzierten Zugang zur den subjektiven Schmerzerfahrungen haben, sind Heilungsprozesse möglich. Dazu haben Büchi und ein schweizerisch-britisches Team eine Visualisierungsmethode entwickelt (Pictorial Representation of Illness and Self Mesure, PRISM). Sie erlaubt es, Krankheit, soziale und familiäre Situation sowie das Verhältnis zur Arbeit abstrakt-bildlich darzustellen. Damit können Patient und Helfende für einen Heilungsprozess von einem differenzierten gemeinsamen Blick auf das Schmerzerleben ausgehen.

Die in Halle (Saale) tätige Sportmedizinerin und Orthopädin Katja Regenspurger wies unter anderem darauf hin, dass rund die Hälfte aller Musikerinnen und Musiker mit muskuloskelettalen Beschwerden zu kämpfen hat. Verursacht werden sie auffällig häufig von Instrumenten mit asymmetrischer Spielweise, allen voran Querflöten und Violinen oder Bratschen, aber auch das Klavier provoziert überdurchschnittliche Überbeanspruchungen. Einfluss haben dabei die sogenannte isometrische statische Arbeit, etwas das Verbleiben in bestimmten Körperhaltungen, und die für Musizierende typischen repetitiven Beanspruchungen kleiner Muskelgruppen.

Die weit verbreiteten Rückenschmerzen sind in der Regel Folge einer mangelnden Balance‑ und Stabilisationsfähigkeit der tiefen Rückenmuskeln. Schmerzen vermieden werden können laut Regenspurger mit bewusster Übepraxis. Dazu gehören eine sinnvolle Pausengestaltung sowie das Aufwärmen und die Entlastung des muskuloskeletalen Systems durch mentales Üben. Keinesfalls sollte man in den Schmerz hinein üben oder das Spielpensum plötzlich steigern.

Aus der Praxis der Musikersprechstunden berichteten aus der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) Horst Hildebrandt, Oliver Margulies und Marta Nemcova und aus dem Luzerner Kantonsspital Urs Schlumpf. Da zeigte sich, dass die Schmerzproblematik wie viele andere gesundheitliche Probleme in der Musikpraxis heute höchst individuell angegangen wird. Entsprechende Beschwerdenanalysen sind, wie etwa das Beispiel einer Pianistin mit ungünstiger Handhaltung zeigte, aufwendig und erfordern ein hohes Mass an spezieller instrumentaltechnischer und physiologischer Kompetenz. Heute ist diese in den Schweizer Musikersprechstunden mittlerweile selbstverständlich.

Der Ulmer Neurophysiologe Robert Schleip wiederum wurde dem Luzerner Publikum auf modernem Weg per Video-Livestreaming zugeschaltet. Er präsentierte die neuesten Entwicklungen in der Faszienforschung. Ihre Bedeutung auch für die Schmerzproblematik wird immer mehr erkannt. Die Faszien – eng mit dem vegetativen Nervensystem verbundes Bindegewebe – verfügen über sehr viel mehr Bewegungssensoren und Schmerzrezeptoren, als sich in den Muskeln und Gelenken finden lassen und tragen damit wesentlich zur Schmerzproblematik bei.

Warnsignal Schmerz

Das 16. Symposium der SMM und der SIS beschäftigt sich in Luzern mit einem Thema, das keinesfalls verdrängt werden sollte.

SMM — Schmerzerfahrungen gehören zum Musikeralltag. Sie können Karrieren behindern oder gar beenden. Es sei denn, man versteht sie als Signale, künstlerische Ambiti-onen oder berufliche Verpflichtungen so zu steuern, dass Gesundheit und Unversehrtheit des Leibes nicht gefährdet werden. Galt früher einmal Durchbeissen und Ignorieren von physiologischen und körperlichen Widerständen als Zeichen falsch verstandener Professionalität, ist heute klar, dass nur kluge, informierte Rücksicht auf das eigene körperliche Wohlergehen ein langes und befriedigendes Musikerleben gewährleisten kann.

Am Symposium der SMM weist der Psychiater und Psychotherapeut Stefan Büchi – er ist Ärztlicher Direktor der Privatklinik Hohenegg –darauf hin, dass Schmerz nie ein isoliert zu betrachtendes körperliches Phänomen ist, sondern eine Grunderfahrung, die gleichermassen kognitive, emotionale und soziale Aspekte beinhaltet. Dazu diskutiert er die Konsequenzen dieses Schmerzverständnisses für die Therapie.

Anke Steinmetz, die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin (DGfMM), wird darlegen, dass neben einseitigen und oft lang andauernden statischen Belastungen auch instrumentenspezifische und ergonomische Aspekte in der Schmerzentwicklung eine wichtige Rolle spielen. Erfolgreiche Therapien chronischer Schmerzsyndrome, so die Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin, erfordern in der Regel multimodale interdisziplinäre Behandlungskonzepte.

Aktuelle Erkenntnisse der internationalen Bindegewebsforschung mit Relevanz für die Musik-Medizin präsentiert Robert Schleip, der Leiter der Forschungsgruppe für Faszien an der Universität Ulm. Faszien (Bindegewebe) bilden ein feinmaschiges Geflecht, das Muskeln, Knochen und Organe umhüllt und durchdringt. Sie finden sich aber auch in der Haut, in den Knorpeln, den Knochen, den Gelenken, den Sehnen sowie in Gehirn und Rückenmark. Schleip erörtert unter anderem das Präventive Faszientraining zur Vorbeugung gegen Überlastungsschäden und die Rolle der faszialen Mechanorezeptoren für die propriozeptive Körperwahrnehmung.

Eine Präsentation ist praktischer Anleitung zur Selbsthilfe gewidmet. Die Spezialisten Horst Hildebrandt, Oliver Margulies und Marta Nemcova von der Musikersprechstunde der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) zeigen das Repertoire von Selbsthilfemöglichkeiten auf – neben sogenannten Engpassdehnungen und Selbstmassagetechniken unter anderem ein optimiertes Zusammenwirken von feinmotorischen Komponenten mit einer geordneten Stütz- beziehungsweise Haltungsmotorik.

Erfahrungen aus der Musikersprechstunde des Luzerner Kantonsspitals steuern in einer zweiten Präsentation Urs Schlumpf, Beate Walter und Katja Bucher bei. Sie zeigen auf, wie lokal muskuläre Überforderungen sich mit technischen Fehlern vermischen.

Eine nachhaltige Rehabilitation gelingt dabei nur dank einer interdisziplinären Vorgehensweise, bei welcher der diagnostizierende Arzt, die behandelnde Physio- oder Ergotherapeutin und der zuständige Musikpädagoge zu einer unité de doctrine gelangen.

Für die von der SMM-Präsidentin Martina Berchtold-Neumann moderierte Veranstaltung im Marianischen Saal in Luzern werden 5 SGARM Credits vergeben. Anmelden kann man sich bis am 15. Oktober über die Webseite der SMM am Ende der Symposiums-Seite (www.musik-medizin.ch/aktuelles-symposium) oder im Sekretariat der SMM.

Die Arbeit in den musikermedizinischen Sprechstunden

Beschwerden, die beim Musizieren auftreten, müssen präzis und strukturiert abgeklärt werden. Die SMM vermittelt regionale Fachpersonen.

Peter Schönenberger — «Vor die Therapie hat Gott die Diagnose gestellt». Diesen Satz hört so manche Medizinstudentin von ihren Ausbildern, wenn sie sich zu einem Symptom gleich eine Behandlung ausdenken will. Auch unsere Beratungsstelle hat gelegentlich auf Anfragen zu antworten, die direkt nach einer bestimmten Behandlungstechnik fragen, ohne dass eine Vorabklärung stattgefunden hätte. Etwa im Sinne von «Ich leide unter Schmerzen; können Sie mir einen Handchirurgen empfehlen». Die Sache wird durch die Tatsache, dass auch viele Diagnosen unpräzise oder unzutreffend sind, nicht erleichtert. Begriffe wie Rheuma, Burnout und Sehnenscheidenentzündung gehören dazu.

Grundsätzlich folgen auch die musikermedizinischen Abklärungen den gleichen Prinzipien wie alle schulmedizinischen Abklärungen. Vorinformationen werden gesammelt. In Kenntnis allfälliger weiterer Krankheiten werden die Beschwerden, die für das Muszieren relevant sind, gezielt erfragt. Informationen zum Umfeld sind sowohl für die Suche nach den Ursachen wie auch für die Planung der Therapien von Bedeutung. Die körperliche Untersuchung erhebt einerseits allgemeine Befunde, beurteilt – bei den häufigen Beschwerden am Bewegungsapparat – zwingend Haltung und Funktion am Instrument. Die Abklärung kann in einer musikermedizinischen Praxis, einer entsprechenden Hochschulanlaufstelle stattfinden und durch eine interdisziplinäre Beurteilung ergänzt werden.

Das Beispiel einer jungen Althornistin soll das Gesagte illustrieren. Aus didaktischen Gründen deckt sich die Beschreibung der Problematik nicht exakt mit der effektiven Krankheitsgeschichte. Die Musikerin besucht eine Mittelschule und spielt seit sie acht Jahre alt ist Althorn, aktuell in zwei Formationen. Im Anschluss an eine Fraktur eines Handwurzelknochens der linken Hand als Fünfzehnjährige bleiben Schmerzen im linken Handgelenk zurück. Später kommen Schmerzen im rechten Handgelenk hinzu. Sie ist Rechtshänderin und muss in der Schule viel von Hand schreiben. Weder nach der Ruhigstellung im Gips vor drei Jahren, noch später hat jemals eine physio- oder ergotherapeutische Behandlung stattgefunden. Die Handgelenkschmerzen werden nach einer Stunde Musizieren stark und zwingen zu wechselnden Stützpositionen der linken Hand (Fotos). Rechts treten sie auch beim Schreiben auf. Von allen Handaktivitäten im Schulsport ist die junge Frau dispensiert.

Die Musikerin wird in der Sprechstunde der Berner Fachgruppe für Musikergesundheit vorgestellt. Auf Grund der im MRI nachgewiesenen Hinweise für eine Handgelenkarthritis wird eine rheumatologische Beurteilung angemeldet. Glücklicherweise kann eine entzündlich-rheumatologische Erkrankung ausgeschlossen werden. Allerdings liegt eine deutliche allgemeine Überbeweglichkeit der Gelenke vor, die für die Reizung der Handgelenke verantwortlich ist. Durch den fehlenden Muskelaufbau nach dem Unfall, die lockeren Gelenke und das freihändige Halten des knapp zwei Kilogramm schweren Instrumentes verspannten sich die Muskeln von der Hand bis zu den Schulterblättern und erzeugten bis in die Hände ausstrahlende Schmerzen (Triggerpunkt-Schmerzaussstrahlung).

In mehreren ergotherapeutischen und physiotherapeutischen Sitzungen, die in der Region der Musikerin stattfinden, kann die schmerzverursachende Unterarmmuskulatur entspannt und gekräftigt werden. Neben dynamischer Stabilisierung der laxen Gelenke durch Tapes erhält die junge Musikerin auch Anweisungen zur Pausengestaltung während des individuellen Übens. Mit der Zeit kann sie länger schmerzarm spielen. Die partielle Dispensation vom Schulsport kann bald gelockert werden.

Dr. med. Peter Schönenberger

… ist Facharzt FMH für Allgemeine Innere und Arbeitsmedizin und Vizepräsident SMM.

Warnsignal Schmerz

Weniger Spielen kann bei akuten Schmerzen schon helfen. Chronische Schmerzen zwingen zum Überdenken ganzer Lebenskonzepte. Dies ist meist nur mit fachlicher Hilfe machbar.

Martina Berchtold-Neumann — In der musikermedizinischen Sprechstunde ist das Thema Schmerz leider sehr häufig und ein Leitsymptom bei einem Grossteil musikerspezifischer Erkrankungen. Zu unterscheiden ist zwischen einem akuten und einem chronischen Schmerz. Die IASP (International Association for the Study of Pain) beschreibt folgende Unterschiede: Dem akuten Schmerz kommt eine Warn- und Schutzfunktion zu. Er ist in der Regel an erkennbare Auslöser gekoppelt, meist umschreibbar lokalisiert und wird von autonomen sowie endokrinen Aktivierungs- und Stressreaktionen begleitet. Von chronischen Schmerzen spricht man ab einer Dauer von drei bis sechs Monaten. Sie können sowohl im Zusammenhang mit einer anhaltenden Erkrankung als auch abgelöst von strukturellen Veränderungen als eigenständige Erkrankung auftreten.

Chronische Schmerzen prägen zunehmend die Lebensgestaltung. Kennzeichnend sind die komplexen biologischen, psychischen und sozialen Interaktionen. Ein akuter Schmerz löst meist angemessene Verhaltensweisen auf. Der Gang zum Arzt kann dafür sorgen, dass sich jemand um diese Leiden kümmert. Durch die Chronifizierung verliert der Schmerz hingegen seine positive protektive Wirkung. Das Leben mit dem Schmerz wird zum Normalzustand mit der Gefahr einer resignativen Lebenseinstellung. Die Therapie von chronischen Schmerzen erfordert Geduld und Ausdauer sowie ein multimodales und interdisziplinäres Vorgehen.

Der Schmerz birgt zwei Aspekte in sich – einerseits ist er eine Sinneswahrnehmung, andererseits ein Affekt. Man kann vom Schmerz nicht sprechen, ohne zugleich das Widrige in ihm anzusprechen – er ruft die Motivation hervor, ihn schleunigst loszuwerden. Ausserdem ist der Schmerz ein Tyrann. Meist ohne grosse Vorankündigung bricht er in unser Leben ein und macht sich darin breit. Ab diesem Moment okkupiert er unsere Existenz. Er nimmt uns gefangen.

Epidemiologische Studien ergeben ein recht einheitliches Bild: 40 bis 60 Prozent der Orchestermitglieder und Instrumentallehrpersonen an Musikschulen leiden unter Rückenschmerzen, die die Musikausübung beeinträchtigen. Aber auch bereits Studierende leiden unter körperlichen Beschwerden. Es ist davon auszugehen, dass mindestens 45 Prozent von ihnen wegen musikerspezifischer gesundheitlicher Probleme eine Sprechstunde aufsuchen.

Die Therapie von Schmerzen

Bei der Schmerzentstehung und -chronifizierung wirken körperliche und psychische Fehlfunktionen zusammen. Der Schmerz macht die Leistungsgrenzen sichtbar. Wurde der eigene Körper bis anhin instrumentalisiert, um musizieren zu können – oft auch gegen offensichtliche physische Warnsignale – so tritt er selbst in den Mittelpunkt und fordert «sein Recht». Musikerinnen und Musiker müssen sich also selbstreflektierend auf sich beziehen und Übepraktiken, Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Verpflichtungen kritisch hinterfragen. Es sind dies unter anderem Fragen nach dem Selbstkonzept, der Leistungsorientierung und der Einstellung zum Musikberuf. Während bei akutem Schmerz etwa eine temporäre Abstinenz oder Reduktion des Instrumentalspiels erfolgreich sein kann, fordert der chronische Schmerz ein viel prinzipielleres Umdenken des gesamten Lebenskonzeptes. Dies ist meist nur mit Unterstützung von Fachpersonen aus den Bereichen der Medizin, der Psychologie, der Physiotherapie und anderer Therapierichtungen zu bewerkstelligen.

Die Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) verfügt schweizweit über solch einen Pool von Fachpersonen, die je nach individueller Problemlage hinzu gezogen werden können. Einen Einblick in das Thema gibt ausserdem das diesjährige Symposium «Warnsignal Schmerz» in Luzern. Hier werden die wichtigsten aktuellen Sichtweisen und Erfahrungen, auch aus unseren Musikersprechstunden vorgestellt und diskutiert.

 

Martina Berchtold-Neumann

… ist Diplompsychologin FSP und Präsidentin SMM

Cette année, le symposium de la SMM sera consacré à « la douleur comme signal d’alarme ». Il aura lieu le 27 octobre à Lucerne.

> www.musik-medizin.ch

Gesundheitsiniti-ativen in deutschen Orchestern

Seit zwanzig Jahren macht die Musikermedizin in Deutschland grosse Fort-schritte. Schlüsselfaktoren sind Interdisziplinarität und der Dialog zwischen Medizin und Musikpraxis.

Karoline Renner, Sieglinde Fritzsche, Susanne Schlegel* — Die musik- physiologischen Ausbildungen der deutschen Musikhochschulen sind signifikant verbessert worden – sowohl qualitativ als auch quantitativ. Damit ist in den Orchestern auch das Bewusstsein gestiegen, dass Gesundheitsvorsorge selber verant- wortet werden muss. Bei der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz beispielsweise ist seit 2016 über zwei Spielzeiten hinweg ein Zyklus gesundheitsfördernder Angebote entstanden. Diese «Gesundheits- tage» sind gegliedert in Vorträge, Workshops und Sprechstunden. Der konzeptionelle Bogen spannt sich im Veranstaltungszyklus dabei von den «fassbaren» körperlichen Belastungen hin zu den «feinen» psychischen Inhalten. Gesundheitstage bieten keine pauschalen Lösungen, sie können lediglich Impulse setzen und mögliche Wege erfahrbar machen, die der einzelne Musiker individuell und eigenverantwortlich nutzen kann.

Orchestermusiker sind während ihrer Tätigkeit strengen Hierarchien unterworfen. Eine klare Regelung von Kommunikationsformen erweist sich während der künstlerischen Arbeit als sehr sinnvoll. Hierarchisches Denken und angelernte Sprachlosigkeit auch in den restlichen Berufsalltag zu tragen, ist jedoch überflüssig oder gar schädlich. So bauen sich Frustration und Gefühle der Machtlosigkeit auf, echte Einflussmöglichkeiten werden übersehen und Missverständnisse bleiben ungeklärt.

In Konstanz wird versucht, solche Kommunikationsmuster zu verändern. So gibt es beispielsweise ein Modell des aktiven Feedbacks von Seiten der Musiker bei den regelmässig stattfindenden Dirigierkursen für junge Dirigenten. Ziel ist es, diese Projekte auch in anderen Orchestern bekannt zu machen und Gesundheitstage möglichst einmal jährlich stattfinden zu lassen.

Andere Orchester sind Kooperationen mit medizinischen Einrichtung oder musikmedizinischen Instituten eingegangen und werden von ihnen im Rahmen eines komplexen Gesundheitsmanagements begleitet. Nicht alle Orchestern gewichten dies gleich. Eine Rolle spielen dabei unterschiedliche finanzielle und zeitliche Ressourcen.

Aus dem Berufsverband der professionellen Orchester und Rund-funkchöre, der Deutschen Orchestervereinigung (DOV), hat sich vor elf Jahren die Arbeitsgruppe (AG) Gesundheit und Prophylaxe heraus- gebildet. Mitglieder sind Aktive aus verschiedenen Berufsorchestern und den Rundfunkchören. Personell und logistisch unterstützt durch die Geschäftsstelle der DOV engagieren sie sich auf dem umfassenden und komplexen Gebiet der Musikergesundheit. Sie fördern Entwicklungen und machen musikermedizinische Erkenntnisse und neue Präventionsmöglichkeiten zugänglich.

Die direkte Arbeit der Arbeitsgruppe in den Orchestern zeigt sich aktuell beim «Schallschutzprojekt Willibert Steffens». Die DOV stellt speziell für den Orchestergebrauch entwickelte Schallschutzwände zur Ausleihe an die Orchester bereit. Das Projekt ist verbunden mit der persönlichen Beratung durch ein bis zwei Mitglieder der AG, um notwendiges Wissen und vorhandene Erfahrungen weiterzugeben und das Arbeitsumfeld der jeweiligen Orchester kennen zu lernen. Eine langfristig angedachte Vision ist ein Netz von Gesundheitsbeauftragten der einzelnen Orchester, die sich in enger Verbindung mit der AG für die Belange der Gesunderhaltung ihrer Kolleginnen und Kollegen engagieren.

*Karoline Renner, und Susanne Schlegel sind Mitglieder der Südwestdeutschen Philharmonie, Sieglinde Fritzsche ist Mitglied der Mecklenburgischen Staatskapelle Schwerin.

Violinspiel erleichtern

Ein Zürcher Forschungsprojekt liefert erste wissenschaftlich fundierte Ergebnisse zu individuell geeigneten Violinpositionen.

Horst Hildebrandt, Oliver Margulies, Marta Nemcova — Wer sowohl die Quellen zu den jahrhundertelangen Traditionen der Violinpädagogik als auch die musikmedizinischen Beiträge der letzten Jahrzehnte sichtet, wird Folgendes entdecken: Zu individuell geeigneten Instrumentenposition bzw. ergonomischen Hilfsmitteln (zum Beispiel Kinnhaltern, Kissen und Schulterstützen) finden sich oft nur ungenaue oder widersprüchliche Empfehlungen.

Die vorhandenen Empfehlungen könnten unter anderem von den individuellen anatomischen Voraus- setzungen derjenigen Schulenbe-gründer geprägt sein, welche die Empfehlungen formuliert haben. Erst ab den 1970er Jahren wurde die enorme Bandbreite individueller anatomischer Eigenschaften systematisch erforscht, welche an Musikinstrumenten erleichternd oder limitierend erfahren werden. Das für diese Forschung massgebliche Handla- bor wurde von seinem Begründer Christoph Wagner 2009 an die Zürcher Hochschule der Künste übergeben und von dem Autoren-Team dieses Beitrages weiter ausgebaut (www.zzm.ch).

Angesichts besorgniserregender Beschwerdezahlen bei hohen Streicherinnen und Streichern sowie zunehmender Nachfrage nach musikphysiologischen Hilfestellungen für den Unterrichtsalltag liefert ein an der Zürcher Hochschule der Künste jüngst abgeschlossenes, vom Schweizerischen Nationalfonds, der Ernst Göhner Stiftung und dem Schweizerischen Hochschulzentrum für Musikphysiologie (www.shzm.ch) gefördertes Forschungsprojekt erste wissenschaftlich fundierte Ergebnisse zu individuell geeigneten Violinpositionen.

Weitere Kooperationspartner waren Barbara Köhler (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) und Matthias Nübling (Gesellschaft für Empirische Beratung).

Die Querschnittstudie Objective Criteria for the Individual Selection of a Physiologically Advantageous Violin Position untersuchte über den Zeitraum von mehreren Jahren, wie Instrumentenposition, Muskelspannung und Anstrengungsgefühl im linken Arm zusammenhängen. Weiterhin wurden Daten zu individuellen, biomechanischen und muskulären Hand- und Armeigenschaften erhoben.

Eine Vorstudie an Musikschule Konservatorium Zürich mit 24 Schülern und Schülerinnen unterschiedlicher Spiel- und Altersstufen legte die Grundlage für die anschliessend unter Labor- bedingungen bei 15 Geigern und 15 Geigerinnen erfolgte Datenerhebung beim Spielen einer vorgegebenen Tonfolge in vier standardisierten Violinpositionen. Zusätzlich wurden Vergleichsdaten beim Spielen mit der gewohnten Position und ergonomischen Einrichtung gesammelt. Die standardisierten Violinpositionen wurden ohne Kinnhalter und Schulterstütze getestet, um eine objektive, vergleichende Analyse zu ermöglichen und Spieltraditionen der historischen Aufführungspraxis einbeziehen zu können.

Erste Auswertungen der verschiedenen Phasen des Forschungsprojektes zeigen, dass sich geschlechtsübergreifend klare Unterschiede zwischen den verschiedenen Instrumentenpositionen bezüglich der objektiven Muskelaktivität und beim subjektiven Anstrengungsgefühl messen lassen.

Auf Grundlage der Studienergebnisse wurde zudem ein laborunabhängig anwendbares Testverfahren für den Unterrichts-Alltag aller Ausbildungsstufen entwickelt. Im Rahmen eines Workshops für die European String Teachers’ Association ESTA wurde dieses Verfahren bereits vorgestellt. Die dargestellten Ergebnisse und Testverfahren erlauben es, für das Spiel auf hohen Streichinstrumenten im Berufsalltag physiologisch fundierte Empfehlungen bzgl. ergonomischer Optimierungen zu geben. Weiterhin erleichtern sie die Prävention und Therapie von tätigkeitsspezifischen gesundheitlichen Problemen.

Inspiriert durch die gewonne- nen Ergebnisse konnte in Zusam-menarbeit mit der Firma Wittner ein Kinnhaltermodell mit dem Namen Zuerich entwickelt wer-den, welches durch diverse Höhen- und Winkeleinstellungen eine Anpassung an die indi-viduellen Bedürfnisse und ver- schiedene Kopfpositionen auch während des Spielens in Sinne einer Ermüdungsprophylaxe erlaubt. (www.wittner-gmbh.de/neuheiten.html)

Mentales Training in Musikberufen

Die SMM feiert in den Räumen der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) am 28. Oktober mit ihrem 15. Symposium das 20-Jahre-Jubiläum. Dazu beschäftigt sie sich mit interdisziplinären Impulsen für das mentale Training.

SMM — In den letzten Jahrzehnten ist in der Musikermedizin die Einsicht gewachsen, dass Selbsthilfekonzepte sowohl im Berufsalltag als auch in Amateurkreisen eine hohe Bedeutung haben. Wie Horst Hildebrandt, Leiter der Musikphysiologie der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), am Symposium erläutern wird, gilt dies sowohl für die häufigen muskulo-faszialen Beschwerdebilder als auch für psychosomatische Belastungssituationen. Die Aktivierung individueller psychophysischer Ressourcen spielen, so Hildebrandt, bei der Gesundheitsförderung und beim konstruktiven Umgang mit berufsspezifischen Belastungen eine immer wichtigere Rolle.

Über die hohe Komplexität der neuronalen Prozesse beim Musizieren und ihre Störfaktoren wird Markus Weber, Zentrumsleiter Muskelzentrum/ALS Clinic des Kantonsspital St. Gallen, sprechen. Beeinträchtigungen von Konzentration, Aufmerksamkeit und Gedächtnis gehören ebenso dazu wie chronobiologische Aspekte (Arbeitszeiten), pharmakologische Einflüsse (Medikamente) und psychosoziale Belastungen.

Maja Storch, die Leiterin des Zürcher Institutes für Selbstmanagement und Motivation (ISMZ), wird aufzeigen, wie eine innovative Form der Zielformulierung dabei hilft, immer öfter so zu handeln, wie man es selber gerne hätte: Die sogenannten Motto-Ziele sind ein Element des Zürcher Ressourcen Modells (ZRM), eines Selbstmanagement-Trainings, das systematisch das Unbewusste einbezieht. Es gelingt dabei, sich direkt an das Unbewusste zu wenden und dort die Handlungsabsicht einzuspeisen.

In einem vierten Vortrag wird der Mentalcoach Reinhold Bartl – er ist Leiter des Milton Erickson Instituts Innsbruck – Hypno-Systemische Konzepte vorstellen, Übungswerkzeuge für «die Entwicklung der eigenen Stimmigkeit in anspruchsvollen beruflichen Kontexten».

Zwei Workshops runden das Programm ab: Reinhold Bartl wird aufzeigen, wie Musikerinnen und Musiker mit Irritationen (Missklängen) in ihrer beruflichen Entwicklung sinnvoll umgehen können, sowohl in Einzelsituationen als auch mit Blick auf «Formkrisen» im Alltag, beim Üben, Proben und Konzertieren. Die Berliner Ärztin Giovanna Eilers schliesslich wird als Ergänzung zum Vortrag von Maja Storch Einblicke in die praktische Anwendung der Selbstmanagement-Methode des ZRM geben. Wer möchte, kann dies im Workshop für ein eigenes Thema gleich selber ausprobieren.

Geleitet und moderiert wird das eintägige Symposium, das von 10 Uhr bis 17 Uhr dauert, von der SMM-Präsidentin Martina Berchtold-Neumann.

Mehr Infos und ein Anmeldeformular finden sich im Web unter:

> www.musik-medizin.ch/aktuelles-symposium

Üben im Flow

Wie Üben zu einem sich selbst organisierenden Prozess wird.

Andreas Burzik —Üben im Flow ist eine Methode, die darauf abzielt, Musiker beim Üben eines Instruments in Zustände der tiefen Verschmelzung mit ihrem Tun zu führen. Sie ermöglicht die Erfahrung, dass eine bewusste, willentliche Steuerung des Übeprozesses zugunsten eines sich von innen heraus entfaltenden, von der sinnlichen Wahrnehmung geleiteten Prozesses aufgegeben werden kann. Grundlage des Übens im Flow ist eine stark verfeinerte Wahrnehmung in den entscheidenden Sinneskanälen, dem Tastsinn, dem Hören und dem kinästhetischen Bewegungsgefühl.

So geht es beim Tastsinn um die Punkte, an denen ein Spieler unmittelbare Berührung mit seinem Instrument hat. Eine optimale und effektive Kraftübertragung auf das Instrument äussert sich in dem Gefühl einer «satten» Verbindung zum Klangkörper. Beim Hören geht es um die Entwicklung eines subtilen Klangsinnes. Grundsätzlich gilt, dass die beim Üben produzierte Tonqualität dem Spieler gefallen sollte. Dies klingt wie eine Banalität. Beobachtet man jedoch übende Musiker, so stellt man fest, dass die Aufmerksamkeit oft von anderen Teilaspekten gefangen ist und die Tonschönheit nicht konstant eine wichtige Rolle spielt. (Für intonierende Instrumente geht es dann im Weiteren um eine Sensibilisierung für eine von den Obertönen organisierte Intonation, die zu einer Verschmelzung der Klänge und einem äußerst beglückenden «Weiterreichen» des Klanges von Ton zu Ton führt.)

Im Weiteren ist bei intonierenden Instrumenten dann eine Sensibilisierung für eine von den Obertönen organisierte Intonation von Bedeutung. Dies führt zu einer Verschmelzung der Klänge und einem äußerst beglückenden «Weiterreichen» des Klanges von Ton zu Ton.

Beim kinästhetischen Bewegungsgefühl geht es um die Qualität der Anstrengungslosigkeit. Gemeint ist hier nicht eine völlige Entspannung oder Schlaffheit, sondern ein Körpergefühl des nicht angestrengten, leichten, fliessenden Tuns, ein Gefühl des Schwingens. Erstaunlicherweise fehlt bei vielen Instrumentalmethodiken eine konsequente und subtile Einbeziehung des ganzen Körpers in das eigene Spiel. Viele Musiker bedienen ihr Instrument lediglich aus den Armen heraus, eine Bewegungsform, die im Alltag so nie vorkommt. Sie führt zu muskulären Verspannungen und ist vermutlich Ursache für zahlreiche Musikerkrankheiten ist. Unnötig zu betonen, dass ein «lahmgelegter» Körper auch Klang kostet. Mitschwingende Musiker erzeugen deutlich mehr Obertöne und einen wunderbaren, «körperreichen» und tragfähigen Klang.

Sind diese «Leitgefühle» in den entscheidenden Sinneskanälen zu Beginn einer Übesequenz etabliert, kann man sich an die Erarbeitung der aktuellen Literatur machen. Die ersten Schritte beim Herangehen an ein Stück bestehen dann darin, dass man die Töne dieses Stücks gewissermassen in seine «Komfortzone» lädt, sie bestehen in einem spielerischen und konsequent musikalisch gestalteten Erkunden und Kultivieren der Töne des Stückes und der erlebten Sinnesempfindungen, noch ohne Beachtung von Notenwerten, Bindungen, Phrasierungen, Tempi, Dynamiken oder Interpretationen.

Mit wachsender Sicherheit im Hören und Erspüren des Stückes entsteht dann ein deutlich spürbarer Wille, auf die gewünschte Konzertfassung zuzugehen, das Bindungen, Tempi, Dynamiken und verschiedene interpretative Fassungen auszuprobieren. Die persönliche Komfortzone beginnt sich auszuweiten, sie fängt an zu pulsieren. Es entsteht ein fliessendes Vor und Zurück zwischen riskierenden Ausflügen und einem Zurückweichen und spielerischen «Nachbauen» von Vorgängen, bei denen Störungen im Kontakt zum Instrument oder zum Klang wahrgenommen wurden. So weitet sich die Komfortzone pulsierend aus, bis sie dann im besten Falle die angestrebte Konzertfassung umfasst.

Üben im Flow fühlt sich nicht an wie «Üben». Es ist eher ein hochkonzentriertes und hochengagiertes Erspielen des Stückes, das auf einem extrem kurz geschlossenen Feedback zwischen sinnlicher Wahrnehmung und kreativem Handeln basiert und keiner gedanklichen Einmischung bedarf. Sich diesem von innen heraus gesteuerten Prozess vertrauensvoll und geduldig hinzugeben gehört zu den mentalen Herausforderungen des Übens im Flow.

Andreas Burzik

… ist Diplompsychologe und ausgebildeter Geiger. Neben seiner internationalen Unterrichts- und Seminartätigkeit arbeitet er als Psychotherapeut und Coach in eigener Praxis. 2007-2016 Mentaltrainer der Orchesterakademie des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, München.

Mehr Informationen unter

> www.flowskills.com

Musik gegen Burnout

Musiker sind vielen Burnout-Risiken ausgesetzt – doch Musik ist auch wirksam gegen Burnout.

Felicitas Sigrist — Leistungsdruck, Lampenfieber, Konkurrenz, Arbeitsplatzunsicherheit: Im Musikeralltag kumulieren Arbeitsumstände, die als Risikofaktoren für Burnout-Entwicklung wohlbekannt sind. Die Arbeitszeit ist mit Blick auf solche Faktoren weniger relevant als unerfüllte Erwartungen, ausbleibende Anerkennung und zwischenmenschliche Unstimmigkeiten. Oft löst eine Kumulation von beruflichen und privaten Belastungen die Dekompensation aus.

Als Momentaufnahme zeigt sich Burnout als Erschöpfung mit unspezifischen Symptomen auf emotionaler, geistig-mentaler, körperlicher und sozialer Ebene – zum Beispiel Lustlosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Infektanfälligkeit, sozialer Rückzug oder Reizbarkeit. Dieser Zustand mündet oft in psychische oder körperliche Folgekrankheiten, meist in eine Depression. Voran geht ein Prozess von Wechselwirkungen zwischen arbeitsbezogenen und personenbezogenen Faktoren. Die äussere Anforderung wird mit der Selbstaufforderung «ich schaff’ das» übernommen – oft unreflektiert. Zwischenmenschliche Konflikte werden vermieden.

Ist eine Herausforderung erfolgreich bewältigt, wird man mit der nächsten, vielleicht grösseren Aufgabe betraut. Werden dazu erholsame Tätigkeiten reduziert, führt dieser Zyklus unweigerlich zur Überforderung. Als Selbstschutz vor Kränkung wird dies nicht anerkannt – hier werden innerseelische Konflikte vermieden. Stattdessen wird die Leistungsminderung mit Einsatzsteigerung beantwortet – also mehr desselben. Bei schwindenden Energien wächst die Aufgabe in der subjektiven Wahrnehmung. Da bei erhöhtem Stress neue Strategien immer unwahrscheinlicher werden, lässt sich diese Burnout-Spirale kaum mehr aufhalten.

Besonders gefährdet sind selbstunsichere, emotional labile Menschen, welche die Aussenwelt als wenig beeinflussbar erleben und bei zunehmendem Stress unflexibel reagieren. Da diese persönlichen Risikofaktoren oft mit früheren Beziehungserfahrungen zusammenhängen, kann Burnout als Resonanzstörung erklärt werden. Einzelpersonen haben wenig direkten Einfluss auf Rahmenbedingungen. Umso wichtiger ist es, souveränen Umgang mit diesen zu pflegen.

Musik ist in mannigfaltiger Weise wirksam gegen Burnout. Gesundheitsfördernde Aspekte der Musik sind wissenschaftlich gut belegt. Für Musiker ist doppelt bedeutsam: zur Selbstfürsorge und bei der Musikvermittlung. Musik beeinflusst Stimmungslage und vegetatives Nervensystem unmittelbar. Sie kann spezifisch sowohl entspannend als auch aktivierend genutzt werden – allerdings nur bei Berücksichtigung der individuellen Musikbiographie. Mit bewusstem Musikhören kann das Erregungsniveau gezielt beeinflussen werden – zur Entspannung, Konzentrationsförderung oder Aktivierung – und somit der Emotionsregulation dienen. Wird Musik jedoch missbraucht, etwa als Aufputschmittel, so kann sie auch in die Burnout-Spirale hineintreiben. Musik als Medizin wird therapeutisch meist als Entspannungsverfahren eingesetzt, um Ruheinseln zu schaffen. Entspannung und eine achtsame Haltung sind Voraussetzungen für neurologische Lernprozesse – auch in psychotherapeutischen Behandlungen.

Aktives Musizieren eignet sich als Ausgleich – sofern es nicht leistungsorientiert ist, sondern erlebnisorientiert bleibt. Neben multiplen biologischen Effekten des Musizierens sind zur Vorbeugung von Burnout besonders die sozialen Aspekte wichtig. Zusammenspiel ermöglicht Begegnungen ausserhalb des Arbeitsumfeldes, unabhängig von der beruflichen Rolle beziehungsweise Identität. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Zugehörigkeit sowie die Verbesserung sozialer Kompetenzen stärken die Persönlichkeit. Musikvermittlung, insbesondere im Amateurbereich, hat ihre Berechtigung daher nicht nur der Kunst wegen, sondern auch als wirkungsvolle Prophylaxe.

Schliesslich wird Musik als Medium in der Musiktherapie eingesetzt, die als psychotherapeutisches Verfahren in der Burnout-Behandlung bewährt ist. Kernpunkt ist dabei ein konstruktiver Umgang mit den zwischenmenschlichen und innerseelischen Konflikten, musikalisch gesprochen mit Dissonanzen.

Dr. med. Felicitas Sigrist

… ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Musik-Psychotherapeutin MAS/SFMT, leitende Ärztin Privatklinik Hohenegg, Meilen bei Zürich, Schwerpunkt Burnout und Belastungskrise.

Literaturhinweis

Sigrist F. (2016) Burnout und Musiktherapie. Grundlagen, Forschungsstand und Praxeologie. Reichert-Verlag, Wiesbaden 2016.

Vom Glücksgefühl im Flow

An ihrem 14. Symposium ist die Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin in Bern den speziellen Bedürfnissen aus reiner Liebhaberei Musizierender nachgegangen.

SMM — Wie grenzt man heute Profis und Amateurmusiker ab? Dass die Grenzen fliessend sind, daran erinnerte im Grossen Saal der Hochschule der Künste in Bern (HKB) der Valenser Neurologe Jürg Kesselring. Musikalische Kompetenz und Anteil am Bestreiten des Lebensunterhalts gehen dabei die vielfältigsten Beziehungen ein. So gibt es den ausgebildeten Profi, der die Musik bloss nebenbei betreibt, genauso wie den technisch eher auf bescheidenem Niveau Agierenden, der seine Existenz dennoch vollständig mit der Musik bestreitet. Tatsächlich, so kristallisierte sich an der Tagung heraus, scheint der markanteste Unterschied in der Haltung der Musik gegenüber zu liegen: «Nur beim Dilettanten», zitierte Kesselring dazu Egon Friedell, «decken sich Mensch und Beruf».

Musik als Freizeitbeschäftigung wird vermehrt zum Sehnsuchtsort. Andreas Cincera, der Studienleiter an der HKB Weiterbildung Musik, zeigte denn auch auf, dass die Nachfrage nach Erwachsenen-Unterricht zunimmt. Bedeutende Rollenvorbilder dürften dabei halbprofessionelle Ensembles bilden, die – vor allem in der zeitgenössischen Volks- und Weltmusik – zur Zeit einen Boom erleben. Die Musikschulen schöpfen das Potential noch nicht aus und beginnen auch erst jetzt so richtig, darüber zu reflektieren, wie die idealen Vermittlungsformen auszusehen hätten. Möglicherweise, so Cincera, sollte für Erwachsene das Erlebnishafte und Niederschwellige gegenüber der intensiven handwerklichen Schulung, wie sie für Heranwachsende wichtig und sinnvoll ist, höher gewichtet werden.

An der HKB wird in Form eines CAS (Certificate of Advanced Studies) an künftige Lehrpersonen das entsprechende Wissen vermittelt: Die Studierenden werden von renommierten Experten und Expertinnen unterrichtet und über Chancen und Grenzen musikalischen Lernens von Erwachsenen bis hin zur Hochaltrigkeit in- formiert.

Ein Privileg der Amateure ist es zweifelssohne, dass sie sich – ganz im Sinne Friedells – dem sogenannten «Flow», einem tranceartigen Zustand des vollkommenen Einsseins mit der Musik, uneingeschränkt hingeben können. Die Theorie dazu lieferte am Symposium der Bremer Musiker und Psychologe Andreas Burzik. Sie geht zurück auf den amerikanischen Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi. Burzik zeigte namentlich die Aspekte des Übens im Flow auf: Der bewusst wahrgenommene Tastsinn schafft den Kontakt zum Ins-trument, das aufmerksame Hören den Kontakt zum Klang und der Bewegungssinn, respektive das Gefühl der Anstrengungslosigkeit den Kontakt zum Körper; das achtsame Herangehen an das Übematerial weckt schliesslich die Lust am Erforschen, Erkunden, Entdecken. Vorbild bleibt dabei die «unbewusste Mühelosig- keit des Kindes».

In Sachen Technik und physischen Belastungen stehen Profis und ambitionierte Amateure durchaus vor gleichen Herausforderungen. Dem trugen am Symposium Beiträge zu Stimme, Haltung und Körperlichkeit Rechnung. Salome Zwicky vom SingStimmZentrum Zürich ging in einem Referat den Grenzen vokaler Belastung nach; die Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin Nicole Martin Rieder widmete sich in einem Workshop der Theorie und Praxis des Atmens und in einem weiteren Workshop beschäftigten sich die Physiotherapeutinnen Marjan Steenbeek und Sibylle Meier Kronawitter dem Zusammenspiel der Körperpartien beim Musizieren.

14. Symposium der SMM, Der Amateurmusiker – Zwischen krankem Ehrgeiz und gesundem Vergnügen, 29. Oktober 2016, Hochschule der Künste Bern, Grosser Saal.

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