Wer war Galina Ivanovna Ustvolskaja?

Souveräne Biografie über eine schwer zu fassende Komponistin.

Foto: wikimedia commons

Die beiden Wiener Musikwissenschaftler Tatjana Marković und Andreas Holzer sahen sich auf ihrer Suche nach schlüssigen Antworten zunächst vor erhebliche Probleme gestellt: Informationen über das Leben der russischen Komponistin sind überaus spärlich vorhanden. Ustvolskaja verbrachte ein zurückgezogenes Leben in Leningrad/St. Petersburg, gab so gut wie keine Interviews und scheute überhaupt jeglichen Kontakt mit der Öffentlichkeit. Dennoch formten Marković und Holzer aus profund recherchierten und sich im Informationsgehalt auch öfters widersprechenden biografischen Schnippseln verschiedener Herkunft ein plastisches Bild der schillernden Künstlerin, das der Schweizer Komponist Edu Haubensak ausserdem mit einem pointierten Essay ergänzt hat.

1919 in Petrograd geboren, studierte Ustvolskaja ab 1937 zehn Jahre lang Komposition am Leningrader Konservatorium, bevor sie sich ausschliesslich ihrem eignen Schaffen widmete. Es gehört zu den Qualitäten dieser Biografie, dass sie Phänomene wie die harsche Abgrenzung, die Ustvolskaja später gegenüber ihrem damals eng verbundenen Lehrer Dmitri Schostakowitsch vollzog, gründlich und nüchtern erörtert. Wahrheiten über Persönlichkeit und Werk der Komponistin werden von den Autoren damit weniger fixiert als reflektierend zur Diskussion gestellt. Marković und Holzer liefern darüber hinaus erhellende Darstellungen der für Ustvolskaja wesentlichen gesellschaftlichen, politischen und ästhetischen Kontexte. Und sie denken diese auch in ihren ausführlichen musikalischen Analysen des schmalen Œuvres Ustvolskajas mit – ein Œuvre, das die Komponistin zeitlebens fein säuberlich in zwei kompositorische Schichten getrennt wissen wollte: in eine der «typisch sowjetischen» und eine der «eigentlichen» Stücke. Die dem Buch beigelegte CD beinhaltet letztere; die vielschichtigen Musikanalysen Markovićs und Holzers können damit auch akustisch nachvollzogen und verglichen werden.

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Andreas Holzer und Tatjana Marković,
Galina Ivanovna Ustvol’skaja. Komponieren als Obsession,
299 S., mit CD, Fr. 39.90,
Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2013,
ISBN 978-3-412-21031-1

Durch die Verbindung von Klangvorstellung und Bewegungsausführung wird ein universales Vokabular von pianistischen Grundspielformen aufgebaut.

«Ein Kompendium von Übungen und kurzen Etüden oder Spielstücken zum Erwerb elementarer spieltechnischer Fähigkeiten», so besagt es das Vorwort von Wache Finger, wache Ohren, eines 2013 bei Breitkopf Pädagogik erschienenen Werkes von Bettina Schwedhelm. «Gibt es solche Zusammenstellungen nicht schon zur Genüge?», werden sich etliche Klavierlehrende fragen. Sicher finden sich viele gründliche Versuche, quasi die wahre Art der Anleitung zu einem technisch fundierten Klavierspiel zu geben. Mir scheint jedoch, dass es gerade Wache Finger, wache Ohren gelingen könnte, den teilweise schlafenden Riesen «Spieltechnik» wieder aufzuwecken und gerade auch unsere Schülerinnen und Schüler der Unter- und Mittelstufe in einer ansprechenden und verständlichen Art mit ihm bekannt zu machen.

Das Werk gliedert sich in drei Teile: zwei Schülerhefte und einen Lehrerkommentar mit einer DVD, die die wesentlichen Teilaspekte der Klaviertechnik zeigt. Ich empfehle nachdrücklich, sich gerade mit dem ausgezeichneten Lehrerkommentar gründlich zu beschäftigen, denn wer lediglich die Übungen und Stücke anschaut, sieht gleichsam nur die Spitze des Eisbergs. Im Vorwort und in den Erläuterungen zu den Beispielen der Schülerhefte betont die Autorin wiederholt, wie wichtig die Arbeit auf einer grundsätzlichen Ebene und die damit verbundene Schulung der Wahrnehmung sei. In enger Verbindung von Klangvorstellung und Bewegungsausführung soll parallel zur Klavierschule oder zu anderer Spielliteratur ein universal anwendbares Vokabular von pianistischen Grundspielformen aufgebaut werden. Bettina Schwedhelm versteht das vorgestellte Übungsmaterial als Rohmaterial, das individuell auf die körperlichen, geistigen und emotionalen Fähigkeiten der KInder abgestimmt werden soll. Die meist sehr kurzen Etüden, Übungen und Stücke sind jeweils auf einen wesentlichen Aspekt beschränkt. Ein jedem Schülerheft beigelegtes Doppelblatt zeigt weitere Möglichkeiten für die lohnende Arbeit mit Varianten auf, was bloss mechanisches Üben vermeiden soll. Zu allen Beispielen der Schülerhefte gibt es einen ausführlichen methodisch-didaktischen Kommentar und die hilfreiche DVD.

Die sorgfältige Auswahl der Beispiele, die ansprechende grafische Darstellung, zusammen mit den ungemein wertvollen Kommentaren und dem enormen Praxisbezug, machen dieses Werk zu einer Bereicherung des bestehenden Angebots.

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Bettina Schwedhelm, Wache Finger, wache Ohren.
Spiel- und Übungsmaterial zur elementaren Klaviertechnik;
Heft 1, EB 8821, € 16.00;
Heft 2, EB 8822, € 16.00;
Lehrerkommentar mit DVD, BV 476, € 28.00;
Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2013

Schattenhafte Klangpoesie

Vielverprechender Beginn der «Wohlhauser-Edition» mit einem zentralen Werkzyklus, der auf eignen Lautgedichten basiert.

Christine Simolka und René Wohlhauser. Foto: Martin Spiess,für Sopran, Flöte, Klarinette und Violoncello,für Sopran solo,für Sopran, Flöte, Klarinette, Violoncello und Klavier

«Komplexe Mikrostrukturen gestalten, mit Bruchstücken aus einer bruchstückhaften Welt arbeiten, die sich zu neuen Klang-Konglomeraten zusammenfügen, die dem Publikum vielleicht neue Erfahrungen und Sichtweisen eröffnen.» Dies sind die kompositorischen Prämissen von René Wohlhauser, einem spartenübergreifend agierenden Künstler, der als Komponist, Improvisatour, Pianist, Bariton, Musikpädagoge, Theoretiker und Schriftsteller gleichermassen umtriebig unterwegs ist. Jetzt hat das an der Baseler Musikakademie lehrende Multitalent mit eigenem Ensemble einen seiner zentralen Werkzyklen aufgenommen: The Marakra Cycle (2006–2011) – gelungener Start der «Wohlhauser-Edition» beim Label Neos.

Titel wie mira schinak, ’Srang, Sokrak und Charyptin muten esoterisch bis exotisch an, beruhen jedoch auf der Tatsache, dass diesen Stücken Lautpoesie (natürlich aus Eigenproduktion) zugrunde liegt. Sie überschreiben eine Musik, die von einer bemerkenswerten Klarheit der Diktion ist. Webern und Scelsi scheinen Wohlhauser gleichermassen inspiriert zu haben.

Konstruktive Verbindlichkeit zeichnet die Stücke für Sopran, Bariton, Flöte, Klarinette, Violine, Cello, Klavier und Perkussion (in verschiedenen Kombinationen zwischen Solo und voller Ensemble-Besetzung) ebenso aus wie Aspekte des Flüchtigen und Augenblickhaften, was die Musik in immer neue Richtungen führt, weil einzelne Elemente jederzeit produktive Eigendynamik gewinnen können.

Das «Erforschen der Tiefendimensionen des Klanges» ist erklärtes Ziel von Wohlhausers Ästhetik, die geräuschhaft, stationär oder virtuos daherkommt und auch auf reine Lautproduktion konzentriert sein kann. Ganz wichtig für die Wirkung dieser Klänge ist Christine Simolkas unaufgeregter Sopran, der den Hörer fortträgt bis zum Marakra Code 2, dramatischer Höhe- und Endpunkt des Zyklus, wo sich Wohlhausers Fantasiesprache zu trügerischen Bedeutungen verdichtet.

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René Wohlhauser: The Marakra Cycle; Ensemble Polysono (Christine Simolka, Sopran; Ursula Seiler Kombaratov, Flöte; Igor Kombaratov, Klarinette; Markus Stolz, Violoncello; René Wohlhauser, Klavier, Bariton und Leitung; Gäste: Tabea Resin, Flöte; Marzena Toczko, Violine), Neos 11308

 

Klassifikation von Musiker-Dystonien

Eine neue Einteilung von dystonen Bewegungsstörungen bei Musikern.


Mit Abstand die häufigste und auch die schwerwiegendste Bewegungsstörung bei Musikern ist die Musikerdystonie. Im Vollbild ist sie ist durch den Verlust der feinmotorischen Kontrolle von komplexen Bewegungen am Instrument gekennzeichnet. Schmerzen gehören nicht primär zur Symptomatik der Dystonie. Sie können aber als Folge von übermässiger Muskelanspannung auftreten. Die häufigsten Symptome bei fortgeschrittenen Handdystonien sind unwillkürliches Einrollen oder Abstrecken einzelner Finger und/oder abnorme Handgelenkshaltungen. Gelegentlich können auch kurz dauernde Muskelkontraktionen (myoklonische Dystonien) oder unwillkürliches Zittern (dystoner Tremor) die Symptomatik dominieren.


Die Betroffenen berichten häufig über ein starkes Spannungsgefühl im Unterarm während des Musizierens. Dies ist durch die zeitgleiche Aktivierung (Kokontraktion) antagonistischer Beuger- und Streckermuskeln bedingt. Nur in unter 5 Prozent der Fälle berichten die Patienten ein Gefühl der Schwäche. Schwierig ist die Diagnose der Handdystonien in der Frühphase der Erkrankung, wobei besonders die Abgrenzung von Überlastungsverletzungen schwierig bleibt. Hier berichten die Betroffenen häufig nur über subtile Erschwernisse bei schnellen regelmässigen Bewegungen am Instrument. Offenbar besteht hier eine «Grauzone» zu Störungen, die eher als «Über-Üben» oder als «muskuläre Ermüdung» bezeichnet werden sollten. Die Unterscheidung von solchen sehr häufigen Bewegungsproblemen von einer beginnenden Dystonie ist wichtig, da erstere auf Retraining sehr gut ansprechen, und auch entzündungshemmende und muskelentspannende Medikamente wirksam sind. Insgesamt scheinen die Heilungsaussichten bei dieser Form der Bewegungsschwierigkeiten viel besser, weswegen wir sie nicht als «beginnende fokale Dystonie» bezeichnen, sondern die Diagnose «dynamisches Stereotyp» bevorzugen. Dieser Begriff stammt aus der Sportwissenschaft und steht für falsch eingeübte Bewegungsgewohnheiten, die jedoch im Gegensatz zur fokalen Dystonie leichter korrigiert werden können und durch bewusste Hinlenkung der Aufmerksamkeit einen korrekten Bewegungsablauf ermöglichen.


Ein besonders interessanter Bereich ist die Ansatzdystonie der Bläser. Sie zeigt sich in der Frühphase häufig in subtilen Unzulänglichkeiten der Tongebung, vorwiegend in einem bestimmten Register oder einer Spielart oder in einem klar umschriebenen Dynamikbereich. In fortgeschrittenen Stadien weitet sich die Problematik meist auf den gesamten Tonumfang des Instruments und auf alle Dynamikbereiche aus, die Kontrolle über Ansatz, Artikulation und Atmung ist dann bei keiner Spielart mehr gewährleistet. Allerdings ist auch bei der Ansatzdystonie das diagnostische Spektrum viel breiter. In einer neuen Studie von Frau Dr. Steinmetz und von uns wurden 1817 Fragebögen bezüglich Ansatzschwierigkeiten an alle Blechbläser der deutschen Orchester ausgeteilt. Die Rücklaufquote betrug 32 Prozent. Von den 585 Blechbläsern berichteten 60 Prozent! über Ansatzprobleme zum Zeitpunkt der Studie, wobei jeweils ca. 30 Prozent Zungenstopper und Schwierigkeiten in der Höhe nannten und 26 Prozent Verkrampfungen der Ansatzmuskulatur. Für uns überraschend berichteten 10 Prozent, dass sie während ihrer Orchestertätigkeit schon einmal so grosse Schwierigkeiten mit dem Ansatz hatten, dass sie arbeitsunfähig waren. Interessant war auch, dass 40 Prozent derer, die Ansatzprobleme hatten, schon früher eine Ansatzkrise erfolgreich gemeistert hatten. Es wäre nun sicher medizinisch ungerechtfertigt und psychologisch sehr ungeschickt, diesen hohen Prozentsatz von Bläsern als «von Dystonie betroffen» zu klassifizieren, zumal ja erfreulicherweise sehr viele diese Krisen meistern. Wir sind daher gerade dabei, neue Klassifikationsleitlinien zu erstellen. Dabei spielen die Auslösefaktoren (Überlastung oder nicht), die Schwere und Ausprägung der Symptome, das Vorhandensein von «Inseln des Wohlbefinden», die Familienanamnese (gibt es Angehörige mit neurologisch bedingten Bewegungsstörung) und das Vorhandensein von psychologischen Symptomen (Angstprobleme oder nicht) eine Rolle. Gute Prognosen hinsichtlich einer Ausheilung durch Retraining haben danach die Musiker, die Bewegungsprobleme nach einer Überlastung entwickeln, die leichte Symptome haben, immer wieder auch ohne grosse Beschwerden musizieren können, keine Angehörigen mit Dystonien haben und zu Lampenfieber neigen.


Tod des deutschen Dirigenten Gerd Albrecht

Der Dirigent Gerd Albrecht, der zwischen 1975 und 1980 das Zürcher Tonhalle-Orchester leitete und zuletzt in Tokio und Kopenhagen Leitungsfunktionen innehatte, ist im Alter von 78 Jahren gestorben.

Foto: Matthias Heyde

Von 1966 bis 1972 war Albrecht, der 1935 in Essen geboren wurde, laut dem Bärenreiter-Verlag Generalmusikdirektor am Staatstheater Kassel, ehe er weitere Chefdirigentenposten in Berlin (Deutsche Oper), Zürich (Tonhalle-Orchester) und Hamburg (Staatsoper und Philharmonisches Staatsorchester) annahm.

Von 1993 bis 1996 war er als erster Ausländer Chef der Tschechischen Philharmonie Prag. In der Hamburger Jugendmusikstiftung und den Klingenden Museen in Hamburg und Berlin engagierte er sich für die Musikvermittlung an Kinder und Jugendliche.

Albrecht, der als moderner, analytisch arbeitender Orchesterleiter galt, leitete unter anderem die Uraufführungen von bedeutenden zeitgenössischen Werken.

Innerschweizer Kulturpreis für Michael Haefliger

Der Stiftungsrat der Innerschweizer Kulturstiftung verleiht den mit 25’000 Franken dotierten Innerschweizer Kulturpreis 2014 an Michael Haefliger, Intendant des Lucerne Festivals. Die Stiftung würdigt damit «sein grosses Engagement für das Festival».

Foto: Marco Borggreve, Lucerne Festival

Haefliger ist seit 1999 Intendant des Festivals, das unter seiner Führung weiterentwickelt und vergrössert worden ist. Mit den drei Jahreszyklen des Festivals sei es ihm  gelungen, das Publikum mit seinem Programm immer wieder zu begeistern, so der Stiftungsrat weiter. Das Lucerne Festival sei dadurch zu einem musikalischen Höhepunkt der Zentralschweiz geworden.

Michael Haefliger arbeitet auch am Projekt Theater Werk Luzern mit, das das Musiktheater und das Theaterschaffen in der Zentralschweiz neu aufstellen will.

Das Stiftungsstatut der Innerschweizer Kulturstiftung sieht in seiner Zweckbestimmung vor, bedeutende kulturelle Leistungen aus dem Gebiet der Zentralschweiz auszuzeichnen. Der Stiftungsrat besteht aus sieben Mitgliedern, von denen der Regierungsrat des Kantons Luzern zwei, die Kantone Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden und Zug je ein Mitglied wählen.

 

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