Atelieraufenthalt für Dominik Wyss in Berlin

Kunstschaffende aus den Kantonen Nidwalden, Obwalden, Uri, Schwyz, Glarus und Luzern werden 2015/2016 für je vier Monate in den beiden Atelierwohnungen der Zentralschweizer Kantone in Berlin leben und arbeiten. Unter ihnen auch der Musiker Dominik Wyss.

Potsdamer Platz, Berlin. Foto: Matthias Mittenentzwei/pixelio.de

Seit Juli 2003 bieten die Zentralschweizer Kantone (inklusive Glarus und ohne Zug, das ein eigenes Atelier in Berlin betreibt) ihren Kunstschaffenden diverser Sparten die Möglichkeit eines viermonatigen Aufenthaltes in Berlin-Mitte. Das Stipendium beinhaltet die unentgeltliche Benützung der Wohnung sowie einen monatlichen Lebenskostenzuschuss. Die Atelierwohnungen werden von der Landis & Gyr Stiftung den Zentralschweizer Kantonen kostengünstig zur Verfügung gestellt.

Einer der Stipendiaten ist der 1956 im luzernischen Triengen geborene Dominik Wyss. Nach der Matura am Kollegi in Stans studierte er an der Universität Zürich Musikwissenschaften und Germanistik. Seit 1983 arbeitet er als Lehrer am Kollegi in Stans, er betreut da auch den Chor und das Orchester. Regelmässig arbeitet er an Kompositionen, vor allem für das Theater. Seine Kompositionen wurden mehrfach aufgeführt, 1997 wurde er mit dem Anerkennungspreis der Schindler Kulturstiftung ausgezeichnet. Den Aufenthalt in Berlin möchte er für die Arbeit an einer neuen Komposition nutzen, die – ohne Theater- oder Filmbilder – das Leben der Grossstadt abzubilden versucht.

 

Schoecks Penthesilea

Im Auftrag der Othmar-Schoeck-Gesellschaft hat Beat A. Föllmi die stark fehlerhafte Partitur der Oper neu ediert. Aus finanziellen Gründen kommt damit die Gesamtausgabe von Schoecks Werken zu einem verfrühten Ende.

Achilles and Penthesila. Ölbild von J. H. W. Tischbein, ca. 1823. wikimedia commons,SMPV

Ein in der Musikwelt lang ersehntes Neuausgabe ist soeben im Musikverlag
Hug erschienen: die erste Kritische Edition der Oper Penthesilea (1927) von Othmar Schoeck. Das vielleicht wichtigste Bühnenhauptwerk des Schweizer Komponisten (1886-1957) wurde bisher immer auf der Basis einer mit zahlreichen Mängeln behafteten Partitur aufgeführt. Der Schweizer Musikwissenschaftler Beat Föllmi, Professor an der Universität Strasbourg und langjähriger Leiter der Othmar-Schoeck-Gesamtausgabe, die im Auftrag der Othmar-Schoeck- Gesellschaft (OSG) erscheint, hat nun in aufwändiger Arbeit eine vollständig korrigierte Version erarbeitet und hunderte von teilweise groben Fehlern ausgemerzt. Die neue Ausgabe folgt den Absichten des Komponisten so genau wie möglich und macht so ein in Schoecks Schaffen zentrales Werk in moderner Edition für die Bühne und die Wissenschaft zugänglich.

Mit dem Erscheinen dieses wichtigen Bandes kommt die Gesamtausgabe der Werke Othmar Schoecks leider zu einem vorzeitigen Abschluss. Der OSG als Trägerin der Gesamtausgabe ist es trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen, die nötigen Geldmittel für eine Weiterführung bereit zu stellen. Die Gesamtausgabe wurde 1988 begonnen, bisher sind 11 Bände (in 17 Teilbänden) erschienen, darunter ein Grossteil der Opern, die frühen Lieder, die Chorwerke, das Klavierwerk und das gesamte Orchesterwerk inklusive den Konzerten. Die OSG bleibt als Gesellschaft weiterhin bestehen.

Othmar Schoeck, Sämtliche Werke, Serie III: Band 14 (A+B), Penthesilea, hg. von Beat A. Föllmi im Auftrag der Othmar-Schoeck-Gesellschaft, Partitur, 2 Bände komplett gebunden, Fr. 288.00, Hug Musikverlage, Zürich 2014, ISBN 978-3-906415-24-6

Die deutschen Amateurchöre sind Kulturerbe

«Chormusik in deutschen Amateurchören» wurde in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. In der Schweiz hat der Bundesrat erstmals über das immaterielle Kulturerbe an die Unesco rapportiert.

Foto: Stephanie Hofschlaeger/pixelio.de

Wie die Bundesvereinigung Deutscher Chorverbände heute mitteilt, gibt es in Deutschland etwa 60 000 Amateurchöre mit über zwei Millionen Sängerinnen und Sängern. Im Rahmen der Unesco-Konvention wurde diesen nun eine besondere Ehrung zuteil. «Chormusik in deutschen Amateurchören» schaffte die Aufnahme ins bundesweite Verzeichnis gleich in der ersten Runde aus insgesamt 83 Vorschlägen.

Gemäss der Medienmitteilung würdigen die Experten die Chortradition als Kulturform, die «tief in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt [ist]. Die kreative Aneignung von Text und Musik sowie die künstlerische Vitalität der Menschen werden durch die Aktivität der Chöre mobilisiert. Gleichzeitig richtet sich die Praxis des Singens auf identitätsstiftende Gemeinsamkeiten und öffentliches Wirken. Kulturelle Tradition, gesellschaftlicher Aufbruch und lebendiges Engagement durchdringen sich bei der Pflege der Chormusik in den deutschen Amateurchören. Sie stellen einen Kern der Musiktradition, desMusiklebens und der Musikpflege in Deutschland dar.»

Ausserdem wurden die Sächsischen Knabenchöre, das Singen der Lieder der deutschen Arbeiterbewegung sowie die Deutsche Theater- und Orchesterlandschaft ins nationale Verzeichnis aufgenommen.

In der Schweiz hat der Bundesrat am 28. November den ersten periodischen Bericht über die Bewahrung des immateriellen Kulturerbes in der Schweiz verabschiedet. In der heutigen Medienmitteilung schreibt das Bundesamt für Kultur, die Zwischenbilanz sei positiv und der Bericht werde heute an die Unesco übergeben. Im Oktober wurde das Jodeln als eine der acht Kandidaturen vorgeschlagen.
 

Aarau veröffentlicht sein Kulturkonzept

Das neue Aarauer Kulturkonzept kann ab sofort am Empfang im Rathaus der Stadt oder bei der Kulturstelle der Stadt Aarau bezogen werden. Es lässt sich auch aus dem Internet herunterladen.

\“Besitzbare\“ Skulpturen auf dem Aarauer Bahnhofplatz. Foto: Chris.urs-o, wikimedia commons

Fünf Parteien, zehn kulturelle Institutionen und Interessensverbände, acht Abteilungen beziehungsweise Institutionen der Stadt Aarau sowie acht Einzelpersonen hätten an der Vernehmlassung teilgenommen, schreibt die Stadt. Verschiedene Inputs seien in das Konzept eingeflossen, das nun mit leichten Anpassungen von Seiten des Stadtrates fertiggestellt worden sei.

Das Konzept definiert den Rahmen für die kulturpolitischen Aktivitäten der nächsten Jahre. Es ist offen formuliert und überlässt die konkrete Ausgestaltung der Initiativen der kommenden Umsetzung.

Es enthält zudem keine Vorgaben, was Finanzen oder andere Ressourcen betrifft. Dies sei in der Vernehmlassung zum Teil als Mangel bezeichnet worden, räumt die Stadt ein, es sei aber wesentlicher Bestandteil des Konzeptes. Die kommenden Umsetzungsschritte sollen nun die Möglichkeit nach Beteiligung von Kulturschaffenden und Bevölkerung bieten. Bis im Frühjahr wird eine Umsetzungsplanung erarbeitet, die dann die konkrete Schritte für die nächste Legislaturperiode beinhaltet.

Download: www.aarau.ch/kultur
 

Wissenschaft, Technik und Musik in Jugendzentren

Ein von Thomas Gartmann und Barbara Balba Weber gemeinsam mit der Stiftung Science et Cité für das Förderprogramm MINT Schweiz konzipiertes Projekt mit dem Titel «Schall und Rauch. Wissenschaft, Technik und Musik in Jugendzentren» erhält Unterstützung von den Schweizer Akademien der Wissenschaft.

Foto: Thomas Max Müller / pixelio.de

Jugendzentren seien wichtige Begegnungsorte, und Musik habe darin eine zentrale Bedeutung, schreibt dazu Thomas Gartmann, der als Leiter Forschung der Hochschule der Künste Bern (HKB) amtet. Aufgrund dieser Tatsache sei das vorliegende Projekt entstanden: Alles, was klinge, habe «einen physikalischen Ursprung und besteht aus einer mehr oder weniger formbaren ‚Materie‘, die beeinflusst, verändert und verfremdet, aber auch visualisiert – und selber kreiert werden kann». Barbara Balba Weber ist an der HKB Dozentin für künstlerische Musikvermittlung.

Jugendliche sollen im Rahmen des Projektes über die technische und physikalische Seite der Musik und des Musikmachens angesprochen werden. Dazu werden in Jugendzentren – etwa im Kofmehl Solothurn oder im Kiff Aarau – vor Konzerten in kleinen Gruppen Workshops mit Musikern, Forschenden und Technikern durchgeführt. Die Resultate der Workshops werden in Form eines Vorkonzerts, beziehungsweise einer Science Show vor dem eigentlichen Konzertbeginn dem Publikum präsentiert.

Die Zusammenarbeit von Science et Cité, dem Verein infoklick.ch – Kinder- und Jugendförderung Schweiz, dem Verein tüfteln.ch und der Hochschule der Künste Bern öffne verschiedene Zugänge, um die Umsetzung des Projektes zu gewährleisten, so Gartmann weiter.
 

Kultur- und Kreativwirtschaft in Europa

Eine in Brüssel vorgestellte Studie von EY (früher: Ernst & Young) mit dem Titel «Wachstum schaffen: Erfassung der Märkte der Kultur- und Kreativwirtschaft in der EU» kommt zum Schluss, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft zur europäischen Wirtschaft einen wesentlichen Beitrag leistet.

Foto: Rainer Sturm/pixelio.de

Mit einem wirtschaftlichen Gewicht von 535,9 Milliarden Euro und 7,1 Millionen Arbeitsplätzen gehöre die KKW zu den wichtigsten Arbeitgebern in der EU und habe nahezu so viel Beschäftigte wie die Gastronomie, schreibt EY. Gleichzeitig beschäftige sie zweieinhalb Mal mehr Menschen als die Automobilbranche und fünfmal so viele wie die Telekommunikationsbranche.

Für die Studie sind elf Teilmärkte analysiert worden: Bücher, Zeitungen und Zeitschriften, Musik, Darstellende Kunst, TV, Film, Radio, Videospiele, Bildende Kunst, Architektur und Werbung. Sie ist von der GESAC (European Grouping of Societies of Authors and Composers) in Auftrag gegeben worden.

Die Studie kann unter www.creatingeurope.eu heruntergeladen werden.

Basels Musikleben soll nicht austrocknen

Zwölf Gross- bzw. Nationalräte und –rätinnen aus SP, FDP, SVP, GB, CVP, EVP und LCP bilden das Komitee einer Petition, die eine juristische Übergangslösung für die von der Wegweisung bedrohten Musikerinnen und Musikern aus Nicht-EU-Ländern in Basel fordert.

Heike / pixelio.de

Mit der Petition Keine Musikwüste in Basel! bitten die Unterzeichnenden «den Regierungsrat des Kantons Basel Stadt,

  • eine juristische Übergangslösung zu finden, damit alle von der Praxisänderung betroffenen MusikerInnen aus Drittstaaten, auch diejenigen, welche ihr Studium 2014 abschlossen, eine Kurzaufenthaltsbewilligung bis mindestens 31. Dezember 2015 erhalten und
  • als langfristige Massnahme beim Bund vorstellig zu werden und darauf hinzuwirken, dass die Verordnung zum Bundesgesetz so abzuändern sei, damit es freischaffenden Nicht-EU-MusikerInnen weiterhin möglich ist, hier in der Schweiz tätig zu sein.»

Die Petition kann hier eingesehen und unterschrieben werden.

In der Fragestunde des Nationalrates vom 8. Dezember hat sich Bundesrätin Simonetta Sommaruga zu den Bewilligungen für Musiker aus Drittstaaten in der Schweiz geäussert.
 

JTI Trier Jazz Award für Nicole Johänntgen

Die in Zürich lebende und wirkende Jazzsaxophonistin Nicole Johänntgen wird am 29. August 2015 im Rahmen des Mosel Musikfestivals mit dem Japan Tobacco International Jazz Award 2015 (JTI Trier Jazz Award) ausgezeichnet. Sie erhält überdies ein sechsmonatiges Atelier-Stipendium des Popkredits der Stadt Zürich in New York.

Cover der neuen CD. Bild: Hannes Kirchhof

Der JTI Trier Jazz Award werde ihr verliehen, weil sie «über ihr umfassendes Engagement beispielweise mit dem Programm SOFIA (Support of Female Improvising Artists) hinaus eine herausragende Musikerin» sei, schreibt eine Sprecherin der Musikerin. Dank eines  Stipendiums im Rahmen des Popkredits der Stadt Zürich wird sie 2016 im Rahmen eines Atelieraufenthaltes für sechs Monate in New York arbeiten können.

Johänntgen hat in Mannheim Saxophon und Komposition in Jazz/Popularmusik studiert und lebt seit 2005 als freischaffende Musikerin in Zürich. Sie unterrichtet an den Musikschulen in Urdorf und Oetwil an der Limmat im Kanton Zürich. Überdies leitet sie  Workshops für Hobbymusiker, und sie reist als SOFIA-Botschafterin von Land zu Land, spielt Konzerte im In- und Ausland und hält Vorträge über das Selbst-Management.

 

Bewilligungen für Musiker aus Drittstaaten in der Schweiz

Der Basler Nationalrat Markus Lehmann hat den Bundesrat in der Fragestunde des Parlamentes um eine Stellungnahme zur Bewilligungspraxis der Stadt Basel in Sachen ausändische Musiker gebeten. Getan hat dies Bundesrätin Sommaruga.

Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Foto: Bundesverwaltung

Nationalrat Lehmann wollte wissen, warum «exzellente, spezialisierte, selbstständigerwerbende ausländische Musikerinnen und Musiker», die nicht aus EU-/Efta-Ländern kommen, nicht in der Schweiz leben und arbeiten sollten und welche Massnahmen der Bundesrat zusammen mit den Kantonen bereit sei zu prüfen und grosszügig anzuwenden, damit die vielen klassischen Orchester weiterhin bestens qualifizierte Musikerinnen und Musiker einsetzen und beschäftigen können.

Laut Bundesrätin Sommaruga ermöglicht das Ausländergesetz qualifizierten Arbeitskräfte aus Nicht-EU/Efta-Staaten, also aus Drittstaaten, «eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausüben, sofern dies dem gesamtwirtschaftlichen Interesse entspricht, sie über die notwendigen finanziellen und betrieblichen Voraussetzungen verfügen und die Höchstzahlen, also die Kontingente, eingehalten werden».

Ein gesamtwirtschaftliches Interesse liege dann vor, wenn aus der selbstständigen Erwerbstätigkeit ein nachhaltiger Nutzen für den Schweizer Arbeitsmarkt entstehe, zum Beispiel durch die Schaffung von Arbeitsplätzen. Ausserhalb der kontingentierten Zulassung könnten die Kantone im Rahmen befristeter Kurzaufenthaltsbewilligungen – bis 8 Monate innerhalb von 12 Monaten – ohne Wohnsitznahme in der Schweiz eine Bewilligung erteilen. Nebst der beruflichen Qualifikation sei ein gesichertes Einkommen, also eine Existenzsicherung, eine Grundvoraussetzung.

Qualifizierte Musiker aus Drittstaaten können laut der Bundesrätin bereits heute im Rahmen dieser dargelegten Rechtsgrundlagen zum Arbeitsmarkt zugelassen werden. Falls besondere Anliegen der Kantone im Sinne einer grosszügigeren Regelung vorliegen, werden diese vom Bund geprüft – aber immer innerhalb der gesetzlichen Regelungen.

Auslöser für die Frage war eine Meldung, wonach einem halben Hundert Berufsmusikern aus Nicht-EU-Ländern, die in Basel zum Teil seit Jahren arbeiten und unterrichten, die Ausweisung droht.

Neustart für das Projekt Salle Modulable in Luzern

Die Stiftung Salle Modulable und Butterfield Trust (Bermuda) Ltd., als Trustee des Art I Trust, haben den Neustart des Projekts für ein modular aufgebautes Opernhaus in Luzern bekanntgegeben. Es soll der Vision des verstorbenen Christof Engelhorn entsprechen.

Das Projekt ist wieder im Aufwind; der Standort allerdings noch offen. Foto: Raphaela C. Näger/pixelio.de

Laut einer Medienmitteilung ist das erklärte Ziel von Stiftung Salle Modulable und Butterfield Trust, im Zentrum von Luzern ein Gebäude mit einem modularen, flexibel veränderbaren Aufführungsraum zu errichten. Das neue Theaterhaus soll eine international anerkannte Plattform für Inszenierungen und kreatives Experimentieren in den Bereichen Oper, Musiktheater, Tanz und Schauspiel bieten. Das Projekt soll im Rahmen der Neue Theater Infrastruktur (NTI) realisiert werden.

Für die bisherigen Vorarbeiten zur Projektierung der Salle Modulable hat Butterfield Trust in der Vergangenheit bereits 5,75 Millionen Franken bezahlt. Die restlichen finanziellen Verpflichtungen von Butterfield Trust belaufen sich somit im Falle einer Realisierung der Salle Modulable auf 114,25 Millionen Franken. Nach Abzug weiterer Kosten für die Projektierung, Rechtliches, Buchhaltung und Administration dürften gemäss heutigen Schätzungen schliesslich rund 80 Millionen Franken für den Bau des neuen modularen Theaters in Luzern zur Verfügung stehen.

In einer ersten Phase, die innert der nächsten zwölf Monate abgeschlossen werden soll, wird die Beratungsfirma Arup USA Inc. die technische Machbarkeit des Projekts überprüfen. Arup wird auch eine Schätzung der Kosten für Bau und Betrieb der Salle Modulable vornehmen sowie aufzeigen, welche rechtlichen und politischen Bedingungen für deren Realisierung erfüllt sein müssen. Danach sollen gemäss der Vereinbarung drei weitere Jahre zur Verfügung stehen, um sämtliche finanziellen und politischen Bedingungen für das Projekt zu erfüllen.
 

Stille Nacht

So paradox es klingen mag: Das berühmte Weihnachtslied drückt Stille mit Hilfe von Musik aus. Bei Penderecki winkt es als Erinnerung, bei Schnittke wird es neue Gegenwart.

So paradox es klingen mag: Das berühmte Weihnachtslied drückt Stille mit Hilfe von Musik aus. Bei Penderecki winkt es als Erinnerung, bei Schnittke wird es neue Gegenwart.

Wenn man im Duden das Wort «Stille» nachschlägt, so wird man überrascht: «Durch kein lärmendes, unangenehmes Geräusch gestörter [wohltuender] Zustand», heisst es da. Die Stille beinhaltet entgegen allen Annahmen «Geräusche», zwar nur angenehme, nicht-lärmende, aber doch Laute.

So scheint es heutzutage paradox, dass die Wintermonate und vor allem die Adventszeit als «stille Jahreszeit» gelten – sind sie doch geradezu von lärmenden Dauerschleifen-Weihnachtsliedern, Lautsprecherdurchsagen zu einmaligen Weihnachtsschnäppchen und quengelndem Kindergeschrei dominiert. Alles in allem keineswegs angenehme Geräusche. Und diesen zu entfliehen, stellt sich als grössere Herausforderung heraus, als man meint. Selbst dann, wenn die Natur zu ihrem letzten Mittel greift und versucht, die Welt mit schalldämmendem Schnee zu «beruhigen», ertönt allgegenwärtig und ironischerweise aus irgendeiner Ecke noch leise eine Schlagerversion des Weihnachtsklassikers Stille Nacht.

Dieses Lied, 1818 niedergeschrieben vom Österreicher Franz Xaver Gruber, beschäftigt sich damit, Stille in Form von Klängen auszudrücken. Die «stille Nacht», im christlichen Kontext die Nacht der Geburt Christi, kann als Inbegriff des «stillen Liedes», eines musikalischen Zustands von wohlklingenden Geräuschen, gesehen werden.

Er wählt dafür die Form der Siciliana, ein Satztypus, der sich durch einen markanten punktierten Rhythmus auszeichnet, und nichtsdestoweniger die Erinnerung an ein pastorales Wiegen- und Schlaflied erweckt. Dieser Rhythmus und der wellenartige, pendelnde Melodieverlauf verleihen dem Lied einen beinahe statischen, ruhenden Charakter und das vorgezeichnete Piano, das nahezu im Nichts verebbt, bekräftigt diesen noch. Man mag sich fast vorstellen, dass das scht von «stille Nacht» einem beruhigenden Zuflüstern der Mutter zu ihrem Kinde gleicht. Die Definition des Dudens für Stille scheint hier voll und ganz zuzutreffen – die behagliche Nacht wird weder durch ein lärmendes noch durch ein unangenehmes Geräusch gestört.

Die Faszination, die dieses Lied auf die Welt ausübt, zeigt sich in seiner unvergleichlichen Rezeption. Bereits zehn Jahre nach seiner Komposition wurde es in ganz Europa und der USA aufgeführt, und heute existiert es in unzähligen Sprachen. Es liegt in über hundert Versionen vor, von Heintje und Heino bis Elvis Presley und den Tiroler Herzensbrechern. Es ist kaum verwunderlich, dass so ein populäres Lied auch den Einzug in die Kunstmusik gefunden hat. Seine Thematik, die Stille, die Auseinandersetzung mit dem «Nicht-Ton», beschäftigt die Kunstmusik von jeher. In der Neuen Musik wird sie vor allem in den 1950er-Jahren mit John Cage zum Thema. Seine Inszenierung der Stille gilt als Ausgangspunkt etlicher Kompositionen, die die Stille thematisieren. Man suchte nach den Klängen, die an das Hörbare grenzen. Dieser Zeit entspringen besonders leise Werke, durchzogen von Pausen und dynamischen Extremen, die morendo aus dem Nichts kommen und ins Nichts gehen.

Etwas später als Cage setzt sich auch Krzysztof Penderecki in seinen Dimensionen der Zeit und Stille (1959/1960) intensiv mit dem Phänomen auseinander. Doch die Idee, das Thema mit dem Lied Stille Nacht, heilige Nacht zu verknüpfen, kommt ihm erst knapp zwanzig Jahre später. In seiner 2. Symphonie spielt er darauf an und verleiht ihr den Untertitel Christmas Symphony. Damit lenkt er die Aufmerksamkeit des Hörers auf das Lied, das im Werk selbst beinahe «hereinklingt». Die 1980 unter ihrem Widmungsträger Zubin Mehta uraufgeführte Komposition basiert auf einem simplen Sonatensatz. In dieser Struktur dringt signalartig dreimal Stille Nacht, heilige Nacht durch; bei den ersten beiden Malen auch deutlich mit «quasi da lontano» gekennzeichnet. Allerdings zitiert Penderecki das Weihnachtslied nicht vollständig. Lediglich der erste Takt, quasi das erste «Stille Nacht», erklingt. Somit gleicht das Zitat eher einer Reminiszenz, die durch ihre Kürze und aus der Ferne im Pianissimo erklingend – fast schon emblematisch – weihnachtliche Assoziationen hervorruft. Für ihn scheint sich die Stille in der flüchtigen Erinnerung zu äussern, die einem allein durch das Zitat eine verlorene Vergangenheit ins Gedächtnis ruft.

Ganz anders hat Alfred Schnittke das Weihnachtslied zwei Jahre zuvor verarbeitet. Sein Stille Nacht für Violine und Klavier, 1978 uraufgeführt, ist im Gegensatz zu Pendereckis 2. Symphonie eine Bearbeitung, keine Anspielung. Er zitiert das Lied in seiner ganzen Länge, verfremdet es aber nach und nach. Anfangs spielt die Violine in Doppelgriffen solistisch einer scheinbar klaren G-Dur-Melodik entgegen. Doch diese wird bald durch Dissonanzen gestört, durch verstörende Sekundklänge und später durch Tritoni des Klaviers. Der Kontrast zum Original wird immer deutlicher. In der letzten Strophe löst sich die Melodie durch Flageoletts und Oktavversetzungen in der Violine nach und nach auf und verklingt in einem «ritenuto molto», in der Stille. Schnittkes Bearbeitung mündet also nicht in der Wiederkehr des Bekannten, ist keine nostalgische Rückversicherung wie bei Penderecki. Bei ihm wird das vermeintlich Bekannte durch seine Verfremdung Schritt für Schritt zu einer neuen Gegenwart, die sich aber in der Stille verliert. Schnittke führt sein Weihnachtslied am Ende zurück in einen «durch kein lärmendes, unangenehmes Geräusch gestörten [wohltuenden] Zustand».
 

Kategorien

Musik zum Lesen

Es gibt Musik, die nur durch ihre Beschreibung innerhalb eines literarischen Werks existiert. Dabei kann der Autor ganz unterschiedlich vorgehen. Ein Blick in Bücher von Hermann Burger, Marina Zwetajewa und Thomas Mann.

Es gibt Musik, die nur durch ihre Beschreibung innerhalb eines literarischen Werks existiert. Dabei kann der Autor ganz unterschiedlich vorgehen. Ein Blick in Bücher von Hermann Burger, Marina Zwetajewa und Thomas Mann.

Musik braucht nicht immer eine Bühne. Manchmal reichen ihr zwei Buchdeckel, um zu entstehen. Wobei Texte über Musik, die flüchtige Klänge mit Wörtern begreifbar machen wollen, natürlich geläufig sind. Doch diese Beschreibungen versuchen meist «nur», das Gehörte, das ein anderer komponiert und gespielt hat, aufs Papier zu bannen. Seltener und ungewöhnlicher ist es dagegen, wenn die Musik überhaupt erst im literarischen Text entsteht, ohne lästige Interpreten sozusagen, allein und direkt im Kopf des Lesers. Musikalisierte Sprache, wie zum Beispiel Kurt Schwitters Ursonate, das Paradebeispiel der Lautdichtung, ist damit nicht gemeint. Vielmehr geht es um eine Musik, die im Stillen bleibt, also nie wirklich erklingt – sofern sich nicht jemand die Mühe macht, diese «literarische Musik» in Schallwellen umzusetzen. Sie erklingt einzig im Kopf, was allerdings nicht zwangsläufig heisst, dass die Musik weniger realistisch ist, und schon gar nicht, dass sie eine stille Musik sein muss. Hermann Burgers Roman Schilten ist dafür das beste Beispiel. Burger lässt seinen Anti-Helden Armin Schildknecht nämlich kräftig in die Tasten greifen. Wenn sich der frustrierte Volksschullehrer an sein Harmonium in der Mörtelgrube unterhalb der Turnhalle setzt, dann beschwört er schon mal die Apokalypse herauf, lässt das Inventar beben oder taucht seine Zuhörer in «stille Umnachtung» oder eine «schwermütige Trance».

Dem Leser wird die literarisch komponierte Musik ebenso wie der gesamte «Schulbericht zuhanden der Inspektorenkonferenz» – wie Burger seinen Roman untertitelt – sprachgewaltig um die «inneren» Ohren gehauen. Die Hauptperson Schildknecht liefert hier in der Ich-Form einen Bericht über den Zustand der Schiltener Schule ab, der gleichzeitig eine monierende Psycho-Selbstanalyse sowie das facettenreiche Zeugnis einer hochgradigen psychischen Pathologie darstellt: «Mein freiwilliger Arrest wird dadurch entschärft, dass ich zusammen mit meinem geliebten Harmonium eingesperrt bin. Die gemischte Schul- und Friedhofspflege von Schilten gab mir ein Instrument, zu sagen, was ich leide.» Die Musik bietet bei Burger einen Zugang in die tiefsten Abgründe der Romanfigur und damit – was nahe liegt – auch in die seelischen Abgründe des Autors selbst: Was das Harmonium spielt, wird zu einem morbiden Soundtrack, der Schildknechts Selbstmitleids-Exzesse begleitet und seinem Kampf mit der Umwelt Ausdruck verleiht: «Für die Dauer des Zwischenspiels jedoch sind sie [die Trauergäste] meiner Botschaft ausgesetzt. In der ersten Fantasie arbeite ich mit dem einfachen Trick der Panik in geschlossenen Räumen. Mit Oktavsprüngen greife ich die Proportionen des schabzigergrünen Ungemachs, lasse auch die kühle Gruft der Mörtelkammer in meinem Rücken erstehen, so dass die Trauergäste enger zusammenrücken und ängstlich nach den Ausgängen schielen.»

Obwohl die Musik in Schilten viel Raum einnimmt, ist sie nicht das Thema des Buches. Denn der Roman wäre schliesslich auch ohne die «literarische Musik» denkbar. Eine ganz andere Rolle spielt die Musik in dem kleinen autobiografischen Büchlein von Marina Zwetajewa Mutter und die Musik. Obwohl im Titel enthalten, erklingt darin fast nie Musik. Die Autorin beschreibt dafür umso poetischer ihre problematische Haltung zur ihr. Die Mutter wollte sie zur Musikerin erziehen, doch das tägliche Klavierüben war für das Mädchen Marina eine einzige Frustration, mit der sie ständig konfrontiert wurde: «Wenn ich nicht spielte, spielte Assja, wenn Assja nicht spielte, übte Walerija und – uns alle übertönend und überdeckend – die Mutter, den ganzen Tag und fast die ganze Nacht!» Die Erzählung kreist um die Musik und den Kampf mit ihr, der eigentlich der Kampf mit der Mutter ist: «Doch – ich liebte sie. Die Musik – liebte ich. Nur meine Musik liebte ich nicht. Das Kind kennt keine Zukunft, es lebt im Jetzt (welches immer bedeutet). Jetzt gab es nur Tonleitern, Kanons und schäbige ‹Stücklein›, die mich durch ihre Unscheinbarkeit kränkten.»

Um das Abarbeiten und Abquälen an der Musik geht es auch in Thomas Manns Doktor Faustus. Allerdings dringt das Bucht viel tiefer in historische, musikwissenschaftliche sowie theoretische Überlegungen zur Musik ein als die Werke von Burger und Zwetajewa. Thomas Mann hat seine Hauptfigur dem Komponisten Arnold Schönberg nachempfunden und sie gleichzeitig mit dem Urtopos des Faust verknüpft. Der Tonsetzer Adrian Leverkühn hat einen Pakt mit dem Teufel geschlossen und kann dank diesem wie ein Besessener arbeiten mit einer Garantie auf geniale Ideen. Thomas Mann hat damit der Zwölftonmusik ein auf grosser Kennerschaft fussendes, literarisches Denkmal gesetzt. Er schlägt somit eine einzigartige Brücke zwischen Musik und Literatur, die um einiges stärker ist als bei Burger und Zwetajewa, weil sie über die literarische und poetische Spielerei hinausgeht. Konkrete Beschreibungen von Klängen gibt es hingegen kaum. Dafür lässt sich das Buch, wie es Theodor W. Adorno anregt, im Gesamten als musikalische Form interpretieren. Er notierte über den Doktor Faustus: «Die Höllenfahrt Fausti als eine grosse Ballettmusik.» Das Ballett zum Lesen, es wäre auch ein paar Überlegungen wert.
 

Kategorien

Verkannter Bekannter

Zur späten Renaissance von Joachim Raff (1822–1882) trägt jetzt eine umfangreiche Biografie wesentlich bei.

Raff 1878. Fotografie von Mondel & Jacob, Library of Congress’s Photographs division

Seine Sinfonik beeindruckte einst Liszt, Tschaikowsky, Mahler und Richard Strauss, dennoch hielt die Erinnerung an ihn nur eine Miniatur wach, die Cavatina op. 85 Nr. 3 für Violine und Klavier. Sie trug den Namen des Komponisten in alle Welt hinaus und musste sich unzählige Bearbeitungen gefallen lassen. Als sein erfolgreichstes Stück versperrte sie den Blick auf das vielseitige Gesamtwerk mit 216 Opuszahlen fast ein Jahrhundert lang, wo Raff doch bei Lebzeiten zu den am häufigsten aufgeführten Komponisten deutsch-schweizerischer Herkunft gezählte hatte.

Seit 1972 setzt sich die Joachim Raff-Gesellschaft in Lachen SZ, wo der Musiker als Sohn eines Deutschen und einer Schweizerin geboren wurde, für den besonders von Liszt und Hans von Bülow geförderten Komponisten, Pianisten, Bearbeiter und Musikpädagogen ein. Ihr Präsident Res Marty legt jetzt das Resultat mehrjähriger Recherchen in Archiven, Bibliotheken und Museen vor. Das bescheiden als Biografie bezeichnete, fast drei Kilos schwere Buch ist weitaus mehr als eine solche. Es gleicht einer gewichtigen Kulturgeschichte der deutschen Romantik. Der Autor vereinigt unveröffentlichte Dokumente von Goethe, Mendelssohn Bartholdy, Liszt und Wagner bis zu Hans von Bülow, Richard Strauss und Ibsen mit einer stattlichen Zahl neuer Einsichten.

Bezüglich Format, Bilderreichtum und Informationsdichte nur mit den Chopin, Liszt und Schumann gewidmeten «Lebenschroniken in Bildern und Dokumenten» von Ernst Burger und mit dem vierbändigen Werk über Ernest Bloch von Joseph Lewinski und Emmanuelle Dijon vergleichbar, stellt das 440 Seiten mächtige Buch innerhalb der Biografien von Schweizer Komponisten die umfangreichste Publikation dar. Der Berufsberater und Sänger Res Marty hat als musikforschender Quereinsteiger ein Standardwerk über Raff geschaffen.

Es ist zu hoffen, dass die darin reproduzierten und klug kommentierten Empfehlungsschreiben und Rezensionen u. a. von Mendelssohn Bartholdy und Schumann zur längst fälligen Überwindung der Vorurteile renommierter Dirigenten und Konzertveranstalter beitragen werden. Mit programminspirierten Hauptwerken wie der 3. Sinfonie Im Walde, der 5. Sinfonie Lenore, dem auf Rachmaninow vorausweisenden Klavierkonzert c-Moll op. 185 oder den vier Orchestersuiten verdient es der raffiniert instrumentierende Mitarbeiter an Liszts sinfonischen Dichtungen, endlich wieder regelmässig aufgeführt zu werden.

Die meisten unveröffentlichten Dokumente stammen aus der Bayerischen Staatsbibliothek München. Als leidenschaftlicher Forscher und Sammler steuerte Res Marty viele biografisch aufschlussreiche Briefe und weitere Trouvaillen bei.

Image

Res Marty, Joachim Raff. Leben und Werk, mit einem Beitrag von Bernhard Billeter, 440 S., Fr. 69.00, MP Bildung, Beratung und Verlag AG, Altendorf SZ 2014

Bild auf dem Buchumschlag:
Portrait des ersten Direktors des Hoch’schen Konservatoriums von Frankfurt: Joseph Joachim Raff, Heinrich Georg Michaelis, 1882, Öl auf Leinwand, ungerahmt. Das Porträt wurde bei der Recherche für diese Publikation im Archiv des Historischen Museums Frankfurt wiederentdeckt, identifiziert und wird in dieser Publikation erstmals veröffentlicht. (historisches museum frankfurt / Foto: Horst Ziegenfusz)

Joachim-Raff-Gesellschaft

Musik für Fledermäuse

Wir begreifen Stille üblicherweise als Abwesenheit von Geräuschen. Tatsächlich ist Stille aber etwas anderes, nämlich die Unfähigkeit unserer Ohren, alle Frequenzen wahrzunehmen. Einige wenige Komponisten haben die paradoxe Idee verwirklicht, mit unhörbaren Frequenzen zu arbeiten, jeder auf eine andere Art.

Wir begreifen Stille üblicherweise als Abwesenheit von Geräuschen. Tatsächlich ist Stille aber etwas anderes, nämlich die Unfähigkeit unserer Ohren, alle Frequenzen wahrzunehmen. Einige wenige Komponisten haben die paradoxe Idee verwirklicht, mit unhörbaren Frequenzen zu arbeiten, jeder auf eine andere Art.

Es gibt Töne, die können wir nicht hören, aber fühlen. Angeblich wussten das schon die alten Orgelbauer und haben darum eine 64-Fuss-Pfeife, eine sogenannte Demutspfeife konstruiert. Ihr Grundton, das Subsubkontra-C von etwa 8Hz, liegt im Infraschallbereich – in einem Frequenzbereich, den wir, wenn überhaupt, körperlich wahrnehmen – und sollte den frommen Kirchgängern gehörig Ehrfurcht einflössen. Infraschall kann beim Zuhörer Unwohlsein hervorrufen, weil der Körper die Wellen zwar spürt, aber nicht recht lokalisieren kann. Hören kann man so eine Pfeife aber schon, denn in ihr schwingen ja die diversen Obertöne mit. Nur der Grundton ist unhörbar und in seiner Wirkung etwas gespenstisch. Weltweit besitzen nur zwei Orgeln ein voll ausgebautes (also bis zum C hinabreichendes) 64-Fuss-Register. Aber als Demutspfeifen, um dem Hörer Demut einzupfeifen, werden sie nicht mehr benutzt. Ob dieses provozierte Unwohlsein im Gottesdienst überhaupt die erhoffte Portion Ergebenheit hervorrufen konnte, ist ungewiss.

Gewiss ist aber, dass der Frequenzbereich, den wir hören können, beschränkt ist. All das Piepsen, Schnaufen, Grummeln und Rattern, das einem etwa während einer Zugfahrt ans Ohr dringt, spielt sich zwischen den Frequenzen 20 Hz und 20 kHz ab. Das menschliche Ohr hat sich auf diesen Bereich spezialisiert; die Musik logischerweise auch. Aber ein paar Exoten gibt es dennoch, die bewusst mit den abseitigen Frequenzen spielen. In dieser unhörbaren Welt gibt es Infraschall und Ultraschall. Schallwellen mit einer Schwingfrequenz unter 20 Hz gehören zum Infraschall, Schallwellen mit einer höheren Schwingfrequenz als 20 kHz sind Ultraschallwellen. Beide kann der Mensch nutzbar machen, aber nicht unmittelbar hören. Wenn man also glaubt, nichts zu hören, so schwirren unbemerkt lauter Infra- und Ultraschallwellen um einen herum. Tiere benutzen diese anderen Frequenzbereiche zur Kommunikation. Fledermäuse hören Schwingungen von 15 kHz bis 200 kHz, also weitgehend im Ultraschallbereich. Elefanten hören tiefe Frequenzen. Sie könnten also musikalischen Gefallen an einzelnen Tönen des 64-Fuss-Registers finden – würden sie je den Weg in eine damit ausgestattete Kirche finden.

Die Performance-Künstlerin Laurie Anderson hat ihre musikalische Zielgruppe weniger exotisch gewählt: Hunde. Im Jahr 2010 führte sie ihre Music for dogs erstmals vor der Oper in Sydney auf. Zahlreiche Hundebesitzer brachten ihr Lieblingstier zu dem Event mit. Auf youtube gibt es einen kurzen Clip, in dem die Hunde erwartungsfroh in die Kamera blicken. Wie die Vierbeiner diese musikalische Liebeserklärung wahrgenommen haben, kann man nicht sagen; sie machten auf alle Fälle einen vergnügten Eindruck. Die Halter hatten ebenfalls ihren Spass an dem konzeptuellen Hunde-Humbug; Andersons Musik – rhythmisch, elektronisch, mit vielen Sweep-Sounds – liegt nicht vollständig ausserhalb des menschlichen Hörbereichs, schliesslich teilen sich Herrchen und Hund zwangsläufig einige Frequenzen.

Das Spiel mit dem Unhörbaren gibt es aber auch in Musikstücken ohne tierischen Bezug: Eduardo Moguillansky hat sich in seinem Stück bauauf an die Hörgrenze des Menschen begeben. Diese sinkt im Laufe des Alters, so dass junge Menschen hohe Frequenzen um 20 kHz noch wahrnehmen können, ältere Menschen aber nicht. Bei Eduardo Moguillansky teilt die elektronische Zuspielung das Publikum in Nicht-Hörer und Hörer. Vom Band erklingen Frequenzen um 17 kHz; ein junger Mensch sollte die Töne noch hören können. Für Moguillansky läuft diese Trennung des Publikums entlang einer konkreten Jahreszahl: 1982, dem Jahr, in dem die Diktatur in Argentinien zu Ende ging. Jeder vor 1982 Geborene, der somit die Diktatur noch miterlebt haben könnte, würde die Töne nicht mehr hören. Diese sonderbar hohen Frequenzen tragen insofern eine zarte politische Dimension in sich, als sie das Umbruchsjahr 1982 durch Physiologie auf die Musik projizieren. Diese Hörbarkeitsgrenze gilt allerdings so scharf, wenn überhaupt, nur ideellerweise; denn die Hörfähigkeit ist von Mensch zu Mensch verschieden, und weil zudem jeder Mensch altert, verschiebt sich auch die Jahresgrenze, die die Zuhörer spaltet, im Laufe der Zeit. Die elektronisch zugespielten hochfrequenten Töne sind aber nur ein passiver Bestandteil von bauauf. Moguillansky hat sich auch in den für alle hörbaren Tönen mit der argentinischen Diktatur beschäftigt, genauer mit den sinnlosen, aber systemerhaltenden Arbeitsprozessen dieses Staatsapparats, dem sogenannten «proceso de reorganización national». Vier Musiker interpretieren bauauf; sie spielen dabei selten auf ihren traditionellen Instrumenten, sondern meist mit kleinen Holzgegenständen auf hölzernen Kisten. Wie brave Bürokraten erfüllen sie sitzend ihre Anweisungen, halten damit das grosse Getriebe am Laufen, können aber das Ziel hinter den Einzelaktionen nicht erkennen. Eine absurde Stempel-Station auf einem Amt …

Moguillansky und sein politisch konnotiertes Spiel mit dem Unhörbaren ist ein Sonderfall in der unhörbaren Musik, weil es ja eine Teilgruppe gibt, die den Ton hören kann. Wobei natürlich die unhörbare Musik an sich ein Spezialfall ist – wie soll man sie aufführen, wenn sie bei der Aufführung aufgrund der Unhörbarkeit unfreiwillig wie Cages 4’33“ klingt? Die Klangkünstlerin Jana Winderen und der Komponist Wolfgang Loos alias KooKoon haben jeweils eine eigene Herangehensweise an die unhörbaren Frequenzen gewählt, die dieses Dilemma löst: Sie machen sie hörbar. Infraschall muss schneller abgespielt werden, damit die Schallwellen in den hörbaren Bereich verschoben werden, Ultraschall dagegen muss verlangsamt werden. Und plötzlich kann man hören, wie Ameisen plaudern, wie Elefanten sich austauschen, ja sogar wie ein Erdbeben klingt. Das Unhörbare hörbar zu machen, hat eine öko-soziale Dimension. Im für uns Unhörbaren kommunizieren Tiere, da spricht die Welt. – Das Unhörbare in hörbare Musik zu verwandeln ist aber nicht so einfach. KooKoon hat zusammen mit Frank Scherbaum, Professor für Geophysik, die tieffrequenten seismischen Wellen einer Formanten-Analyse unterzogen und aus den Ergebnissen eine fünfsätzige seismosonic symphony komponiert; Musik, die nur aus den transformierten seismischen Wellen besteht. Während es bei KooKoon tatsächlich grummelt und schwer atmet – wie man es vom Erdbeben auch erwartet, entführt Winderens Klangkunst out of range den Hörer in die akustische Welt einer Bodenritze. Es kruschelt und gluckst im Ohr, als würde man der brownschen Molekularbewegung lauschen.

Die Verwandlung von unhörbaren Schallwellen in für uns hörbare ist übrigens auch umkehrbar, das heisst, man kann ohne weiteres ein Musikstück wie Beethovens Fünfte in einen höherfrequenten Bereich übertragen. Und so gäbe es sie auch noch: Musik für Fledermäuse.
 

Kategorien

Erste Opernluft

«Das Lied im Unterricht», Standardwerk jedes Gesangslehrers, hat eine grosse Schwester bekommen.

Foto: Paul-Georg Meister / pixelio.de

Unter dem Titel Die Arie im Unterricht legt die Edition Schott einen Auswahlband für junge Sänger vor, die am Beginn ihrer Ausbildung stehen und deren Stimmumfang noch begrenzt ist, die sich vielleicht auf eine Eignungsprüfung an einer Hochschule vorbereiten und schon mal ein wenig Opernluft schnuppern wollen.

In der Sammlung werden unterschiedliche Epochen und Stile vom Beginn der Gattung Oper bis hin zum 20. Jahrhundert berücksichtigt. Alle Arien sind in der Originalsprache vertreten, man singt italienisch, englisch, französisch und deutsch. Die Auswahl enthält eine Fülle zumeist «kleiner» Arien abseits der gängigen Anthologien. Erschienen sind bisher ein Sopranband, ein Band für Mezzo und Alt und ein Tenorband, alle jeweils rund 30 Arien umfassend.

Gemäss der Faustregel, dass Mozart zu singen Stimmpflege bedeutet, ist dieser vor allem in der Sopranausgabe, aber auch in den beiden anderen vertreten. Es findet sich neben Cherubino, Susanna und Zerlina auch weniger häufig zu Hörendes wie die Arie der Servilia aus La clemenza di Tito oder die der Serpetta aus La finta giardiniera. Ausserdem die Arien des Annio, der Barbarina, des Pedrillo und des Monostatos, Figuren, die im Schatten der grossen Opernhelden das Geschehen auf der Bühne mitbestimmen.

Um diese Gruppe herum sortiert sich ein bunter Strauss von kaum Bekanntem, schon mal Gehörtem und Unerlässlichem: Händel und Monteverdi, Verdi und Thomas, aber ebenso Vicente Martin y Soler, ein spanischer Komponist, der zu Lebzeiten «der Mozart aus Valencia» genannt wurde, oder Vincenzo Righini, ebenfalls ein Zeitgenosse Mozarts. Mit Hans Werner Henze, Karl Amadeus Hartmann, Kurt Weill und Carl Orff ist auch das 20. Jahrhundert mit durchaus singbaren Beispielen vertreten.

Die Herausgeberin Claudia Eder bemüht sich in ihrer Auswahl um stilistische, sprachliche und musikalische Vielfalt, die den begabten Anfänger bei seiner Arbeit an Atmung, Virtuosität, Artikulation und musikalischem Ausdruck unterstützen soll. Hält sie sich im Allgemeinen an einfache, schlichte Arien, so findet doch auch einiges Schwierige Einlass: So stellen sicher die Szene des Yniold aus Pelléas et Mélisande von Débussy, die Arie der Mignon aus der gleichnamigen Oper von Thomas, die interessanterweise im Sopranband erscheint (?), und Stride la vampa von Verdi Herausforderungen dar, die dem Anfänger vielleicht noch nicht gelingen.

Image

Die Arie im Unterricht, 32 Arien aus 4 Jahrhunderten für Tenor und Klavier, hg. von Claudia Eder, ED 21141, € 18.99, Schott, Mainz 2014

id., 28 Arien aus 4 Jahrhunderten für Mezzosopran/Alt und Klavier, ED 20897, € 17.99, 2013

id., 27 Arien aus 4 Jahrhunderten für Sopran und Klavier, ED 20896, € 17.99, 2012

get_footer();