Eine Wiederentdeckung wert

In einer repräsentativen Aufnahme kirchenmusikalischer Werke setzt das Ensemble Corund Johann Baptist Hilber ein Denkmal.

Ensemble Corund vor der Luzerner Hofkirche. Foto: zvg

«… mein ganzes bisheriges Leben [stand] im Zeichen dieses Klangwunders, das wir Musik nennen. Ich bin Musiker gewesen mit jedem Nerv, mit jedem Blutstropfen …» Das schrieb Hilber 1963, kurz nach der Vollendung seiner letzten Komposition, der Missa a cappella Vox clamantis in deserto. Seine ganz persönliche Wüste war eine Schwerhörigkeit, die schon in jungen Jahren begonnen hatte und die sich kontinuierlich verschlimmerte.

Trotzdem schuf Hilber ein reichhaltiges Œuvre und wurde vor allem mit seiner Kirchenmusik (verbreitet etwa die Missa pro Patria) über die Landesgrenzen hinaus bekannt. 1891 in Wil geboren, wirkte er ab den 1920er-Jahren bis zu seinem Tod 1973 in Luzern. Neben seiner kompositorischen Tätigkeit war ihm die pädagogische wichtig: Er gründete unter anderem die Katholische Kirchenmusikschule Luzern (heute Teil der Musikhochschule) und stand ihr bis 1967 vor, war Direktor der Luzerner Gesangsvereine und Mitredakteur musikalischer Zeitschriften. Er war Träger zahlreicher Ehrentitel und Preise, von denen hier nur der Titel eines Ehrendoktors der Universität Freiburg erwähnt sei.

Als Stiftskapellmeister an der Hofkirche St. Leodegar in Luzern fand Hilber ab 1934 ein ideales Wirkungsfeld. In eben dieser Kirche wurde die CD aufgenommen. Stephen Smith erweiterte sein professionelles Ensemble mit zehn Berufsmusikerinnen und -musikern und fünf ausgewählten Amateuren (ein gelungenes Experiment!), um so den Chor zu bilden, der wohl dem Komponisten vorgeschwebt haben mag. Der kongenial musizierende Titulaire Wolfgang Sieber setzte seine Orgel farbig und immer unterstützend ein, tadellos auch die Solistinnen Gabriela Bürgler und Anne Montandon und die Solisten Ross Buddie und Marcus Niedermeyr.

Hilbers spätromantische Klangwelt ist agogisch und dynamisch nuancenreich erstanden; die wunderschöne CD wird hoffentlich in vielen nacheifernden Chören ihre Wirkung entfalten.

 

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Terra Tremuit
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Johann Baptist Hilber: Chorwerke. Ensemble Corund, Leitung Stephen Smith; Wolfgang Sieber, Orgel.
Spektral SRL4-13121

Zwei Welten?

Gospel und die traditionelle musikalische Gestaltung eines Gottesdienstes rücken mit dieser Publikation zusammen.

Foto: jonchootc – fotolia.com

Stephan Zebe schreibt im Vorwort von Glory to God! – Gospel liturgisch: «Wenn sich Gospelchor und Sonntagsgemeinde begegnen, dann treffen meist zwei Welten aufeinander. Das soll sich ändern.» Zahlreiche Komponisten haben hier zu einem bahnbrechenden Werk beigetragen. Die Songs bilden eine vielfältige, praxisorientierte Mischung aus Gospel, Pop und Neuem geistlichem Lied.

In der Partitur sind nicht weniger als 94 Bearbeitungen enthalten. Der Band ist gegliedert in Beginn, Psalmen, Gloria, Kyrie, Halleluja, Credo, Sanctus, Vater unser, Agnus Dei, Dank und Sendung sowie Segen. Auch das Kirchenvolk wurde miteinbezogen, indem vier Liedsätze aus dem Kirchengesangbuch enthalten sind.

Das Kyrie ist mit acht verschiedenen Versionen vertreten. Auch neue Gesänge kommen nicht zu kurz. Auf die Kyrierufe antwortet das Volk mit «Herr und Gott erbarme dich». Auch eine deutsches Eingangslied ist zu finden: Der Herr sei hier. Der Gloriateil ist ebenfalls mit deutschen Gesängen bestückt: Ehre sei dem Vater und dem Sohn, Ehre und Herrlichkeit und Ehre sei Gott in der Höhe. Dann folgen 14 Hallelujaversionen. Das Vater unser ist ebenso vertreten. Als Schlusslieder finden wir Verleih uns Frieden gnädiglich und sieben Amenversionen. Zahlreichen englischen Songs sind auch deutsche Texte unterlegt.

In der Inhaltsangabe finden wir eine Aufschlüsselung nach verschiedenen Themen: Trauer und Trost, Gebetsrufe, Konfirmation, Firmung, Hochzeit, Kommunion und Abendmahl, Wort Gottes, Advent, Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Trinitatis. Ebenso wird hingewiesen auf die A-cappella-Versionen und die Kanons. Die deutschsprachigen Lieder sind speziell aufgeführt, auch alphabetisch mit Angabe des Komponisten. In der Partitur sind alle Gesänge mit Klavierbegleitungen versehen. Für den Chor gibt es eine kleinere Ausgabe im Format A5 ohne Instrumentalbegleitungen.

Es handelt sich um eine sehr gelungene Ausgabe, verwendbar für alle Zeiten des Kirchenjahres und für spezielle Anlässe, die neue Hörerlebnisse bietet.

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Glory to God! – Gospel liturgisch, hg. von Stephan Zebe, Partitur, ZE 3083, € 19.90; Gesangsausgabe, ZE 3084,
ab € 6.90; ZebeMusic, Berlin 2014

Der Kontrabass in der Volksmusik

Eine knapp gehaltene Methode bietet praktische Übungen und motivierende Anleitungen und schliesst damit eine musikpädagogische Lücke.

Foto: Paulwip / pixelio.de

Spätestens seit dem Wechsel des Millenniums wird die Schweizer Volksmusik wiederentdeckt und mit neuen Impulsen belebt. Für den Kontrabassunterricht bot sich das Thema ungeachtet dieses Phänomens stets an, lassen sich doch mehre Unterrichtsziele in idealer Weise verbinden: das Metrum regelmässig halten, den Kontrabass in einer wichtigen Funktion als Begleitinstrument einsetzen, die tonalen Grundstufen kennen und nach Gehör spielen u. a. m. Mit diesen Grunderfahrungen und Kompetenzen ist es ein Leichtes, das Spektrum auch zu erweitern, sei es in der wiederentwickelten Vielfalt der Schweizer Volkmusik (siehe die aktuell herausgekommenen Sammlungen des gleichen Verlags), sei es in der europäischen und aussereuropäischen Folklore bis hin zum Standardjazz.

Eine handliche Methode und pädagogisch ausgerichtete Materialsammlung für die Kontrabassspieler und -spielerinnen fehlte hingegen bislang. Nun hat Peter Gisler eine Anleitung vorgelegt, die durch ihre Einfachheit wie Systematik überzeugt. Auf den ersten 16 Seiten werden unprätentiöse Hinweise zum Kontrabassspiel für Selbstlernende gegeben und mit Fotos, Zeichnungen und Grundübungen illustriert. Danach führt er in schrittweisem Aufbau zur Begleitpraxis, von der Grundtonbegleitung über den Wechselbass bis zu Übergängen und einfachen Effekten. Die kleine Musiklehre am Schluss kann auch ungeachtet des Themas für den Kontrabassunterricht verwendet werden. Die kluge Wahl der Modelllieder und anschauliche Grafik führen geschickt hin zu den begleiterischen Grundformen eines Schottisch, Ländlers, Walzers. Ein Monferreina und weitere Beispiele wiederspiegeln, dass die Schweizer Volkmusik sich nicht auf die immergleichen Tänze reduzieren lässt. Die ebenso schlichte wie schön bespielte CD, auf der der Bass mit kerniger, zeitgemässer Klanggebung zu hören ist und später für das eigene Mitspielen ausgeblendet wird, dürfte viel zur Motivation beitragen, das Erlernte anzuwenden. Und es ist eine Einladung, Mitspielende zu suchen …

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Peter Gisler, Der Kontrabass in der Schweizer Volksmusik. Anleitung für den Gebrauch des Kontrabasses in der Schweizer Volksmusik, Bestell-Nr. 1113, mit CD, Fr. 38.00, Mülirad-Verlag, Altdorf 2013

 

Zwei Visitenkarten

Über die Musik hinausgreifen, wollen die Projekte der Klavierklasse von Patricia Pagny. Das wird nicht wirklich deutlich, die CDs zeigen aber ansprechende Programme.

Ausschnitt aus dem CD-Cover von «Entre la France et le Japon»,Tanja Biderman,Tomomi Hori,Patricia Pagny

Patricia Pagny, Klavierprofessorin an der Hochschule der Künste in Bern, ist Initiatorin des «Tasti’Era»-Projektes, das durch Interdisziplinarität neuen Wind in die Klassikszene bringen möchte. Ihr erklärtes Ziel ist es, musikalische Auftritte durch die Verknüpfung mit anderen Künsten attraktiv, vielseitig und ansprechend für das Publikum zu machen. Als greifbares Ergebnis und Visitenkarte sind bis jetzt allerdings nur zwei CDs entstanden, die trotz ansehnlicher Qualität kaum als bahnbrechend zu bezeichnen sind. Pagnys Klavierklasse spielt darin zwei gut geschnürte Programme ein, die sich aber nicht von gewöhnlichen Motto-CDs abheben.

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Ausgehend vom starken Einfluss der japanischen Malerei auf die französischen Künstler am Ende des 19. Jahrhunderts begibt sich die Klasse auf der CD Entre la France et le Japon auf die Suche nach etwas Vergleichbarem in der Musik. Tatsächlich gelingt eine überzeugende Gegenüberstellung durch eine treffende Stückwahl. Toshio Akaishi und Toru Takemitsu gewähren einen Einblick in die japanische Kompositionskultur, und durch mehr oder weniger bekannte französische Vertreter von Maurice Ravel bis Jean-Jacques Werner werden sehr bald Unterschiede, aber auch weitreichende Gemeinsamkeiten deutlich. Die meist atmosphärisch-schwebenden Werke, grenzen sich vornehmlich durch unterschiedliche Klangflächenstrukturen voneinander ab, die auf die verschiedenen Kulturkreise zurückzuführen sind. Das Prélude La Puerta del Vino von Claude Debussy mit seinen starken spanischen Einflüssen fällt da aus der Reihe, durch seine sehr schöne, thematisch aber unpassenden Klangwelt. Drei Ersteinspielungen, Jean-Jacques Werners Madigan Square, Toshio Akaishis A Heavy Cloud Drips in the North Winter’s Sky und The blue moon is rising from beyond a mountain ridge, weisen kompositorische Finesse und Individualität auf; bei Akaishi finden sich teilweise ausdrucksstarke und farblich überschwängliche impressionistische Elemente. Die Interpretinnen sind überzeugend und werden den Werken gerecht; neben Patricia Pagny selbst, welche als Mentorin qualitativ heraussticht, ist Mrika Sefa besonders hervorzuheben, die mit einer besonderen Ausdrucksstärke und Sensibilität für Phrasen und Zeit Poulencs Improvisation XIII und Takemitsus Song of love darbietet.

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In der zweiten CD Bern-Thun-Interlaken, véritable source d’inspiration wird das Spiel der Assoziationen weitergespielt, allerdings recht lose. Die vier miteinander eng verbundenen Komponisten (Ehepaar Schumann, Brahms und Mendelssohn) haben zwar alle die genannte Gegend gekannt und geschätzt, aber nur eines der aufgenommen Werke ist tatsächlich hier entstanden: Drei Fantasiestücke op. 111 von Schumann. Tanja Biderman eröffnet die Aufnahme mit der für den Anfang sehr intelligent gewählten Toccata op. 7 von Robert Schumann, einem Stück, das so schwer ist, dass nur wenige Pianisten es in ihr Repertoire aufnehmen können oder wollen. Es wird überraschend souverän und mit erleichternd wenig Betonung der Technik gemeistert, was sich auch bei Mendelssohns Variations sérieuses und Brahms’ Intermezzo op. 118 Nr. 6 nicht ändert. Dass direkt darauf die Intermezzi op. 117 von Brahms, gespielt von Tomomi Hori, erklingen, zeigt genauestens die Unterschiede der beiden Pianistinnen. Während Biderman Brahms ausholend, mit viel Rubato und Pathos vorträgt, gönnt sich Hori nicht viele Freiheiten, spielt streckenweise beinahe hölzern. Solche divergierende interpretatorische Auffassungen werden im Laufe der CD weiter sichtbar. Die Gesamtqualität bleibt trotzdem sehr hoch, besonders zu loben ist die Auffassung eines runden Klanges und die merkliche Hinwendung an die interne Logik der Kompositionen, die bei allen Unterschieden nie ins Willkürliche abgleitet.

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Schumann: Toccata op. 7
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Brahms: Intermezzo op.117, 2
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British Composers Award für Django Bates

Django Bates, Dozent im Studienbereich Jazz der HKB (Hochschule der Künste Bern), ist für seine Komposition The Study of Touch mit dem British Composers Award 2014 in der Kategorie Jazz ausgezeichnet worden.

Django Bates, Bild zum Album «Beloved Bird». Foto: Martin Munch

Django Bates war in den 1980er-Jahren als Gründer der Big Band Loose Tubes einer der Initianten der europäischen Jazzrenaissance. 1997 wurde er mit dem Danish Jazzpar Prize ausgezeichnet, der als Nobelpreis des Jazz gilt. 2005 ernannte ihn die RMC Kopenhagen zum ersten Professor für Rhythmische Musik. An der Berner HKB ist er Dozent für Klavier, Komposition und Ensemble.

Die British Composer Awards zeichnen Kompositionen in Zeitgenössischer Musik, Jazz und Elektroakustische Musik aus. Ins Leben gerufen worden sind sie 2003 von der British Academy of Songwriters, Composers and Authors (BASCA).
 

 

Erste Opernluft

«Das Lied im Unterricht», Standardwerk jedes Gesangslehrers, hat eine grosse Schwester bekommen.

Foto: Paul-Georg Meister / pixelio.de

Unter dem Titel Die Arie im Unterricht legt die Edition Schott einen Auswahlband für junge Sänger vor, die am Beginn ihrer Ausbildung stehen und deren Stimmumfang noch begrenzt ist, die sich vielleicht auf eine Eignungsprüfung an einer Hochschule vorbereiten und schon mal ein wenig Opernluft schnuppern wollen.

In der Sammlung werden unterschiedliche Epochen und Stile vom Beginn der Gattung Oper bis hin zum 20. Jahrhundert berücksichtigt. Alle Arien sind in der Originalsprache vertreten, man singt italienisch, englisch, französisch und deutsch. Die Auswahl enthält eine Fülle zumeist «kleiner» Arien abseits der gängigen Anthologien. Erschienen sind bisher ein Sopranband, ein Band für Mezzo und Alt und ein Tenorband, alle jeweils rund 30 Arien umfassend.

Gemäss der Faustregel, dass Mozart zu singen Stimmpflege bedeutet, ist dieser vor allem in der Sopranausgabe, aber auch in den beiden anderen vertreten. Es findet sich neben Cherubino, Susanna und Zerlina auch weniger häufig zu Hörendes wie die Arie der Servilia aus La clemenza di Tito oder die der Serpetta aus La finta giardiniera. Ausserdem die Arien des Annio, der Barbarina, des Pedrillo und des Monostatos, Figuren, die im Schatten der grossen Opernhelden das Geschehen auf der Bühne mitbestimmen.

Um diese Gruppe herum sortiert sich ein bunter Strauss von kaum Bekanntem, schon mal Gehörtem und Unerlässlichem: Händel und Monteverdi, Verdi und Thomas, aber ebenso Vicente Martin y Soler, ein spanischer Komponist, der zu Lebzeiten «der Mozart aus Valencia» genannt wurde, oder Vincenzo Righini, ebenfalls ein Zeitgenosse Mozarts. Mit Hans Werner Henze, Karl Amadeus Hartmann, Kurt Weill und Carl Orff ist auch das 20. Jahrhundert mit durchaus singbaren Beispielen vertreten.

Die Herausgeberin Claudia Eder bemüht sich in ihrer Auswahl um stilistische, sprachliche und musikalische Vielfalt, die den begabten Anfänger bei seiner Arbeit an Atmung, Virtuosität, Artikulation und musikalischem Ausdruck unterstützen soll. Hält sie sich im Allgemeinen an einfache, schlichte Arien, so findet doch auch einiges Schwierige Einlass: So stellen sicher die Szene des Yniold aus Pelléas et Mélisande von Débussy, die Arie der Mignon aus der gleichnamigen Oper von Thomas, die interessanterweise im Sopranband erscheint (?), und Stride la vampa von Verdi Herausforderungen dar, die dem Anfänger vielleicht noch nicht gelingen.

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Die Arie im Unterricht, 32 Arien aus 4 Jahrhunderten für Tenor und Klavier, hg. von Claudia Eder, ED 21141, € 18.99, Schott, Mainz 2014

id., 28 Arien aus 4 Jahrhunderten für Mezzosopran/Alt und Klavier, ED 20897, € 17.99, 2013

id., 27 Arien aus 4 Jahrhunderten für Sopran und Klavier, ED 20896, € 17.99, 2012

Stille – ausgerechnet in der Musik

Der Advent nennt sich gern «stille Zeit». Die Stille ist allerdings schwer zu fassen, auch in der Musik.

Oleg Kozlov – Fotolia.com
Stille - ausgerechnet in der Musik

Der Advent nennt sich gern «stille Zeit». Die Stille ist allerdings schwer zu fassen, auch in der Musik.

Zehn junge Autorinnen und Autoren haben vergangenen Winter im Rahmen einer Weiterbildung den CAS Musikjournalismus der Forschungsabteilung der Hochschule für Musik/FHNW besucht. Zum Abschluss verfassten sie Essays über die Stille, von denen wir vier in der Dezemberausgabe drucken, zwei davon in französischer Übersetzung. Illustriert werden die Texte mit Bildern von Kaspar Ruoff, in die man hineinhorchen kann.

Alle Essays finden sich hier, auf unserer Website. Dies auch in Hinblick auf das internationale Symposium Stille als Musik, das die Hochschule für Musik und das Musikwissenschaftliche Seminar vom 12. bis 14. Dezember in Basel veranstalten (www.musikforschungbasel.ch).

Sie gelangen zu den einzelnen Essays, indem Sie den jeweiligen Titel im untenstehenden Textfeld anklicken.

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Der Vihuela abgelauscht

Stücke aus der spanischen Renaissance grösstenteils für die moderne Gitarre bearbeitet.

Vihuela auf einem Altarbild von Girolamo dia Libri, Italien, um 1520. Wikimedia commons

Das wichtigste Zupfinstrument im Spanien des 16. Jahrhunderts war die Vihuela: gestimmt wie eine Laute, mit sechs Chören wie eine (moderne) Gitarre, mit lautenartigem Schallloch, aber flachem, gitarrenähnlichem Korpus. Und so enthält denn auch der Band Spanien der Reihe Lautenstücke aus der Renaissance kein einziges eigentliches Lautenstück. Trotzdem sind die Vihuela-Bearbeitungen für Gitarre von Werner Reif zu Recht in die Serie von Notenausgaben mit Lautenmusik aus Italien, England, Frankreich oder Deutschland eingegliedert, passen sie doch sowohl stilistisch als auch spieltechnisch bestens dazu.

Insgesamt begegnen uns 17 Stücke von vier Komponisten. Am besten vertreten ist Alonso Mudarra mit seinen meist zwei- bis dreistimmigen Fantasien, wobei diejenige, die «Ludwigs Harfenspiel» auf rhythmisch attraktive Weise imitiert, besonders heraussticht. Bei den Variationsstücken von Luys de Narváez – auch das bekannte Guárdame las vacas darf nicht fehlen – sorgen die eingestreuten Zwischenleittöne, die oft zum oberen Ton einer Quinte führen, für ein besonderes melodisches Flair. Die beiden Stücke von Miguel de Fuenllana klingen dagegen mit ihren fugierten Anfängen, einer deutlichen Dur-Moll-Harmonik und einfachen Schlusswendungen bereits ziemlich barock. Von Diego Pisador gibt es eine kleine Pavane, und am Schluss des Hefts finden sich drei weitere Stücke von Mudarra, nun für die vierchörige spanische Renaissancegitarre. Sie sind die einzigen, bei denen nicht das Umstimmen der 3. Gitarrensaite von g auf fis empfohlen wird.

Die Bearbeitungen sind mit reichhaltigen Fingersätzen versehen, die sich gemäss Vorwort in den meisten Fällen eng an den Originaltabulaturen orientieren. Erstaunlicherweise nicht in der Sammlung vertreten ist (neben den weniger bekannten Vihuelisten Esteban Daza und Enriquez de Valderrábano) der valencianische Meister Luys Milán.

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Lautenstücke aus der Renaissance – Spanien, für Gitarre bearb. von Werner Reif, D 905, € 12.80, Dux-Verlag, Manching 2014

Ein Ungar kommt selten allein

Zwei anspruchsvolle Werke für Violoncello solo, das eine aus den 1930er-Jahren, das andere vom Herausgeber des ersten, komponiert vor wenigen Jahren.

Ferenc Farcas. Foto: Françoise Farkas, 1971, wikimedia commons
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Ferenc Farkas (1905–2000) gehört zu den bedeutendsten ungarischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Sein reicher Werkkatalog umfasst alle musikalischen Gattungen. Über die Genesis der 1932 komponierten Sonata per violoncello solo ist wenig bekannt. Sie entstand kurz nach Farkas’ Studienaufenthalt in Rom und wurde zu seinen Lebzeiten nicht gedruckt. Der Sohn des Komponisten, der in Pully bei Lausanne lebende Dirigent András Farkas, entdeckte das Manuskript im Nachlass des grossen ungarischen Cellisten Ede Banda (1917–2004). Nun ist das charmante dreisätzige Werk bei der Editio Musica Budapest erschienen.

Wesentlich knapper gefasst als die grosse Solo-Sonate von Farkas’ Landsmann Zoltán Kodály ist das Stück vom Umfang und Schwierigkeitsgrad her etwa vergleichbar mit Caspar Cassadós Suite für Violoncello solo. Der erste Satz (Allegro) ist geprägt von osteuropäischer Rhythmik mit vielen Taktwechseln. Technisch anspruchsvoll sind die mit der linken Hand zu spielenden gegriffenen Pizzicati. Der zweite Satz (Andante) beginnt mit einer zarten auf der D-Saite in hoher Lage gespielten Melodie, zu welcher die leere A-Saite mitklingt. Der dritte Satz (Allegro molto) ist eine spritzige Tarantella, die dem Interpreten Gelegenheit bietet, die Brillanz seiner Bogentechnik zu demonstrieren. Eine Hommage an Farkas’ Lehrer Ottorino Respighi?

Die Erstedition besorgte der ungarische Cellist Miklós Perényi, welcher die Ausgabe auch mit Fingersätzen versehen hat.

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Von Perényi ist beim selben Verlag ebenfalls ein kurzes Werk für Violoncello solo erschienen: Introduzione e Scherzo, komponiert 2010–11. Der Komponist schreibt in einem Kommentar: «Das Werk ist nicht aufgrund im Voraus geplanter mathematischer Berechnungen entstanden, die Niederschrift erforderte jedoch viel Kalkulation.» Perényis Cellospiel ist berühmt für meisterhafte Perfektion. So verwundert es nicht, dass er in beiden Sätzen nicht mit technischen Schwierigkeiten und Effekten geizt und dem Cellisten vor allem für die linke Hand viele knifflige, interessante Aufgaben stellt.
 

 

Ferenc Farkas, Sonata per violoncello solo, Z. 14 879, € 7.45, Editio Musica Budapest (Edition Kunzelmann) 2013

Miklós Perényi, Introduzione e Scherzo per violoncello solo, Z. 14 881, € 7.45, 2013

 

Stille

Stille Nacht, Stille in der freien Improvisation, der stillste Ort der Welt, wo einem fast bang wird … – Junge Musikjournalistinnen und -journalisten haben sich mit dem Phänomen «Stille» in verschiedensten Ausprägungen beschäftigt. Wir präsentieren ihre Essays, die in einem Nachdiplom-Studiengang der Fachhochschule Nordwestschweiz entstanden sind.

Stille

Stille Nacht, Stille in der freien Improvisation, der stillste Ort der Welt, wo einem fast bang wird … – Junge Musikjournalistinnen und -journalisten haben sich mit dem Phänomen «Stille» in verschiedensten Ausprägungen beschäftigt. Wir präsentieren ihre Essays, die in einem Nachdiplom-Studiengang der Fachhochschule Nordwestschweiz entstanden sind.

Focus

… und ausserdem

RESONANCE


La voix d’ange de Fritz Albert Warmbrodt

Si loin, si proche : Susanne Abbuehl et Elina Duni au festival Jazzonze+

«Wichtig ist das Schaffen von Perspektiven»
Interview mit Balthasar Glättli, Präsident von Swiss Music Export

Comment fait-on chanter des enfants pour l’éducation ?
Des classes en Suisse romande et au Burkina Faso créent des chansons

Carte blanche: Hans Brupbacher zur Zukunft der SMZ

Rezensionen Klassik, Rock und Pop – Neuerscheinungen
 

CAMPUS


PreCollege Musik der ZHdK

Rezensionen Unterrichtsliteratur – Neuerscheinungen

klaxon Kinderseite
 

FINALE

Rätsel: Michael Kube sucht

 

 

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Eine Stunde am stillsten Ort der Welt

Wie Musik hat auch die Stille eine dunkle Seite. Ist man ihr dauerhaft ausgesetzt, kann sie zu psychischen Störungen führen. Ein Selbstversuch.

Wie Musik hat auch die Stille eine dunkle Seite. Ist man ihr dauerhaft ausgesetzt, kann sie zu psychischen Störungen führen. Ein Selbstversuch.

Eine Wendeltreppe führt in den Keller des Staatlichen Instituts für Musikforschung mitten in Berlin. Hier, hinter der unscheinbaren weiss gestrichenen Eisentür liegt der wahrscheinlich stillste Ort der Stadt, ein reflexionsarmer Raum. Gebaut wurde er Anfang der 1980er-Jahre, heute werden hier Sprach- oder Instrumentalaufnahmen gemacht. Als ich die schwere Doppeltür öffne, weht mir abgestandene Luft entgegen. Die Wände sind komplett mit hautfarbenen Dämmkeilen gepolstert. Der Boden besteht aus einem schwebenden Gitter. 99 Prozent der Geräusche werden dadurch absorbiert. Kein einziger Laut von aussen dringt herein. Durch die Haus-in-Haus-Konstruktion wird kein Schall übertragen. Und auch wenn ich schreien würde, hörte es draussen niemand.

In dieser «Camera silens» will ich meinen Selbstversuch starten. Ich möchte herausfinden, wie angenehm oder quälend Stille sein kann. Wie lange werde ich es hier aushalten? Was werde ich wahrnehmen? Werde ich eine Erfahrung machen, an die ich lange und gerne zurückdenke?

Untersuchungen in Schallschutz-Kabinen wurden schon Ende des 19. Jahrhunderts durchgeführt. Im psychologischen Labor der Yale University existierte ein «room in room», in dem Versuchspersonen hinter dicken Wänden und doppelten Türen, abgeschirmt von der Aussenwelt, Experimenten unterzogen wurden. Das hatte den Vorteil, dass sie nicht von den Testleitern und Apparaturen beeinflusst und abgelenkt wurden.(1) In den 1950er-Jahren gab es in den USA und Kanada Experimente mit der sogenannten sensorischen Deprivation, dem Entziehen von Sinneseindrücken. Ziel war es, psychische Erkrankungen zu erforschen und neue Behandlungsmethoden zu finden. Der kanadische Psychologe Donald Hebb brachte seine Probanden in abgeschlossenen Räumen unter. Ihre Wahrnehmungen waren zusätzlich durch Augenbinden, schalldichte Kopfhörer und Handschuhe blockiert. Die Folge waren Angstanfälle und Halluzinationen. Ähnliche Versuche wurden in den 1960er-Jahren in Prag und in Hamburg gemacht.(2)

Der Sozialforscher Albert Biderman schrieb Ende der 1950er-Jahre, mit Isolation, Desorientierung und Stress könne der Wille von Menschen gebrochen werden. Seine Schriften wurden für die Ausbildung von Verhörspezialisten in Guantánamo eingesetzt.(3)

Stille ist eine Foltermethode, die in vielen Ländern genutzt wird. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nennt in ihrem jüngsten Folter-Bericht die Isolation als eine von vielen weltweit praktizierten Foltermethoden. Dabei befinden sich die Opfer monate- oder sogar jahrelang in Einzelhaft. Einzelzellen sind auch aus Gefängnissen bekannt, beispielsweise jenen der DDR-Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen. In den Kellertrakt drang kein Tageslicht. Somit waren Tages- und Jahreszeit unbestimmbar. Auch der Kontakt zu Mithäftlingen fehlte. Eine Verständigung untereinander war nur durch Klopfzeichen möglich. Ehemalige Inhaftierte berichten von Halluzinationen, psychischen und depressiven Störungen, emotionaler Abstumpfung und extremer Sensibilisierung für Geräusche und visuelle Reize.(4)

Zurück in den Untergrund des Staatlichen Instituts für Musikforschung. Komplett dunkel ist es im reflexionsarmen Raum glücklicherweise nicht, in der Ecke baumelt eine Kellerlampe. Der Druck auf den Ohren ist unangenehm, als wären sie mit Watte ausgestopft. Dazu kommt ein tinnitusartiges Pfeifen. Überdeutlich nehme ich die Geräusche meines Körpers wahr. Trotzdem fühle ich mich auch geborgen zwischen dem ganzen Schaumgummi.

Ich habe eine Uhr dabei, ansonsten würde es mir schwer fallen, die Zeit einzuschätzen. Abgeschirmt von Tageslicht und Luft vergeht sie schneller als sonst. Mittlerweile sind 25 Minuten vorbei. Obwohl eigentlich unmöglich, bilde ich mir ein, Geräusche von draussen zu hören, wie von einem Spielplatz. Sind das schon Halluzinationen? Das Kratzen meines Bleistifts auf dem Papier beruhigt mich. Ein Institutsmitarbeiter schaut aus Sicherheitsgründen kurz herein. Nachdem er die Türen wieder geschlossen hat, verstärkt sich das Rauschen in meinen Ohren. Zehn Minuten später breitet sich ein leichter Kopfschmerz aus. Ich spüre meinen Herzschlag. Mein linkes Augenlid beginnt zu zucken.

Wenn keine Geräusche zu hören sind, wie hier im schalltoten Raum, ist die Zeitwahrnehmung gestört. Auch für die Halluzinationen gibt es eine rationale Erklärung. Da das Gehirn auf permanente Stimulation angewiesen ist, entladen sich die Nervenzellen immer wieder selbst. So entstehen die «künstlichen» Bilder.(5)  Davon berichten auch Probanden, die an dem BBC-Versuch Total Isolation teilnahmen. 48 Stunden lang verbrachten sie abgeschirmt in völliger Dunkelheit in einem Bunker. Währenddessen sahen sie Autos, Schlangen oder auch Zebras. Über 60 Jahre nach den ersten Forschungen sind die Folgen der Isolation offenbar noch nicht vollständig untersucht.

Eigentlich sehnen wir Grossstädter uns nach Stille. Sooft es möglich ist, versuchen wir uns eine Auszeit zu nehmen von Lärm und Stress. Hier – mitten in der Innenstadt – ist es nun endlich vollkommen still. Und das ist kaum zum Aushalten.

Mittlerweile ist eine Stunde vergangen. Der permanente Druck auf den Ohren, der auch durch Gähnen nicht verschwinden will, und das Tinnitus-Piepen lassen nicht nach. Ich muss wieder raus, in die Wirklichkeit. Ich wuchte die Schaumgummipolsterung und die schwere Tür zur Seite, laufe die Wendeltreppe nach oben, vorbei am Pförtner, und darf endlich wieder frische Luft atmen. Die Sonne blendet. Ich kneife die Augen zusammen und denke: Wie viel mehr muss Gefangenen nach Tagen, Monaten oder Jahren das Tageslicht bedeuten als mir jetzt!

Anmerkungen
1 Vgl. Schmidgen, Henning, Camera Silenta. Time Experiments, Media Networks, and the Experience of Organlessness, in: Osiris, Vol. 28, No. 1, Music, Sound and Laboratory from 1750-1980, University of Chicago Press 2013, S. 171 ff.
2 Vgl. zu diesem Absatz: Koenen, Gerd, Camera Silens. Das Phantasma der «Vernichtungshaft», http://www.gerd-koenen.de/pdf/Camera_Silens.pdf, S. 8 ff., zugegriffen am 19.05.2014.
3 Vgl. Mausfeld, Rainer, Psychologie, «weisse Folter» und die Verantwortlichkeit von Wissenschaftlern, in: Psychologische Rundschau, 60 (4), Göttingen 2009, S. 233.
4 Vgl. Lazai, Christina; Spohr, Julia; Voss, Edgar, Das zentrale Untersuchungsgefängnis des kommunistischen Staatssicherheitsdienstes in Deutschland im Spiegel von Opferberichten, http://www.stiftung-hsh.de/downloads/CAT_212/ZZ-InterviewauswertungMGB-MfSONLINE.pdf, zugegriffen am 18.05.2014.
5 Vgl. Kasten, Erich, Psychologisches Phänomen: Wenn das Hirn sich auf einen Trip macht, http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/psychologisches-phaenomen-wenn-das-hirn-sich-auf-einen-trip-macht- a-795483.html, zugegriffen am 19.05.2014.
 

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Stille Nacht

So paradox es klingen mag: Das berühmte Weihnachtslied drückt Stille mit Hilfe von Musik aus. Bei Penderecki winkt es als Erinnerung, bei Schnittke wird es neue Gegenwart.

So paradox es klingen mag: Das berühmte Weihnachtslied drückt Stille mit Hilfe von Musik aus. Bei Penderecki winkt es als Erinnerung, bei Schnittke wird es neue Gegenwart.

Wenn man im Duden das Wort «Stille» nachschlägt, so wird man überrascht: «Durch kein lärmendes, unangenehmes Geräusch gestörter [wohltuender] Zustand», heisst es da. Die Stille beinhaltet entgegen allen Annahmen «Geräusche», zwar nur angenehme, nicht-lärmende, aber doch Laute.

So scheint es heutzutage paradox, dass die Wintermonate und vor allem die Adventszeit als «stille Jahreszeit» gelten – sind sie doch geradezu von lärmenden Dauerschleifen-Weihnachtsliedern, Lautsprecherdurchsagen zu einmaligen Weihnachtsschnäppchen und quengelndem Kindergeschrei dominiert. Alles in allem keineswegs angenehme Geräusche. Und diesen zu entfliehen, stellt sich als grössere Herausforderung heraus, als man meint. Selbst dann, wenn die Natur zu ihrem letzten Mittel greift und versucht, die Welt mit schalldämmendem Schnee zu «beruhigen», ertönt allgegenwärtig und ironischerweise aus irgendeiner Ecke noch leise eine Schlagerversion des Weihnachtsklassikers Stille Nacht.

Dieses Lied, 1818 niedergeschrieben vom Österreicher Franz Xaver Gruber, beschäftigt sich damit, Stille in Form von Klängen auszudrücken. Die «stille Nacht», im christlichen Kontext die Nacht der Geburt Christi, kann als Inbegriff des «stillen Liedes», eines musikalischen Zustands von wohlklingenden Geräuschen, gesehen werden.

Er wählt dafür die Form der Siciliana, ein Satztypus, der sich durch einen markanten punktierten Rhythmus auszeichnet, und nichtsdestoweniger die Erinnerung an ein pastorales Wiegen- und Schlaflied erweckt. Dieser Rhythmus und der wellenartige, pendelnde Melodieverlauf verleihen dem Lied einen beinahe statischen, ruhenden Charakter und das vorgezeichnete Piano, das nahezu im Nichts verebbt, bekräftigt diesen noch. Man mag sich fast vorstellen, dass das scht von «stille Nacht» einem beruhigenden Zuflüstern der Mutter zu ihrem Kinde gleicht. Die Definition des Dudens für Stille scheint hier voll und ganz zuzutreffen – die behagliche Nacht wird weder durch ein lärmendes noch durch ein unangenehmes Geräusch gestört.

Die Faszination, die dieses Lied auf die Welt ausübt, zeigt sich in seiner unvergleichlichen Rezeption. Bereits zehn Jahre nach seiner Komposition wurde es in ganz Europa und der USA aufgeführt, und heute existiert es in unzähligen Sprachen. Es liegt in über hundert Versionen vor, von Heintje und Heino bis Elvis Presley und den Tiroler Herzensbrechern. Es ist kaum verwunderlich, dass so ein populäres Lied auch den Einzug in die Kunstmusik gefunden hat. Seine Thematik, die Stille, die Auseinandersetzung mit dem «Nicht-Ton», beschäftigt die Kunstmusik von jeher. In der Neuen Musik wird sie vor allem in den 1950er-Jahren mit John Cage zum Thema. Seine Inszenierung der Stille gilt als Ausgangspunkt etlicher Kompositionen, die die Stille thematisieren. Man suchte nach den Klängen, die an das Hörbare grenzen. Dieser Zeit entspringen besonders leise Werke, durchzogen von Pausen und dynamischen Extremen, die morendo aus dem Nichts kommen und ins Nichts gehen.

Etwas später als Cage setzt sich auch Krzysztof Penderecki in seinen Dimensionen der Zeit und Stille (1959/1960) intensiv mit dem Phänomen auseinander. Doch die Idee, das Thema mit dem Lied Stille Nacht, heilige Nacht zu verknüpfen, kommt ihm erst knapp zwanzig Jahre später. In seiner 2. Symphonie spielt er darauf an und verleiht ihr den Untertitel Christmas Symphony. Damit lenkt er die Aufmerksamkeit des Hörers auf das Lied, das im Werk selbst beinahe «hereinklingt». Die 1980 unter ihrem Widmungsträger Zubin Mehta uraufgeführte Komposition basiert auf einem simplen Sonatensatz. In dieser Struktur dringt signalartig dreimal Stille Nacht, heilige Nacht durch; bei den ersten beiden Malen auch deutlich mit «quasi da lontano» gekennzeichnet. Allerdings zitiert Penderecki das Weihnachtslied nicht vollständig. Lediglich der erste Takt, quasi das erste «Stille Nacht», erklingt. Somit gleicht das Zitat eher einer Reminiszenz, die durch ihre Kürze und aus der Ferne im Pianissimo erklingend – fast schon emblematisch – weihnachtliche Assoziationen hervorruft. Für ihn scheint sich die Stille in der flüchtigen Erinnerung zu äussern, die einem allein durch das Zitat eine verlorene Vergangenheit ins Gedächtnis ruft.

Ganz anders hat Alfred Schnittke das Weihnachtslied zwei Jahre zuvor verarbeitet. Sein Stille Nacht für Violine und Klavier, 1978 uraufgeführt, ist im Gegensatz zu Pendereckis 2. Symphonie eine Bearbeitung, keine Anspielung. Er zitiert das Lied in seiner ganzen Länge, verfremdet es aber nach und nach. Anfangs spielt die Violine in Doppelgriffen solistisch einer scheinbar klaren G-Dur-Melodik entgegen. Doch diese wird bald durch Dissonanzen gestört, durch verstörende Sekundklänge und später durch Tritoni des Klaviers. Der Kontrast zum Original wird immer deutlicher. In der letzten Strophe löst sich die Melodie durch Flageoletts und Oktavversetzungen in der Violine nach und nach auf und verklingt in einem «ritenuto molto», in der Stille. Schnittkes Bearbeitung mündet also nicht in der Wiederkehr des Bekannten, ist keine nostalgische Rückversicherung wie bei Penderecki. Bei ihm wird das vermeintlich Bekannte durch seine Verfremdung Schritt für Schritt zu einer neuen Gegenwart, die sich aber in der Stille verliert. Schnittke führt sein Weihnachtslied am Ende zurück in einen «durch kein lärmendes, unangenehmes Geräusch gestörten [wohltuenden] Zustand».
 

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«… wie ein gutgemachts kleid»

Rot und schön kommen sie daher, die 2013 von Bärenreiter neu herausgegebenen Bände der mozartschen Konzertarien für Sopran, sich orientierend am revidierten Text der neuen Mozartausgabe.

Foto: Günter Haas / pixelio.de

Im Sinne einer klaren Unterscheidung zwischen Werktext und Aufführungshinweisen gibt es zu den neuen Notenbänden je ein Beiheft mit Einführungstexten zu jedem Werk und allgemeinen Hinweisen zu verschiedenen Aspekten musikalischer Aufführungspraxis. Des Weiteren findet sich eine Textübersetzung ins Deutsche und ins Englische sowie verschiedenste Vorschläge zur Ausführung von Kadenzen, Eingängen und Reprisen.

Für Mozart war es eine Selbstverständlichkeit, dass «die aria einem sänger so accurat angemessen sey, wie ein gutgemachts kleid», und so wundert es nicht, dass er seine Arien vorwiegend einem bestimmten Sänger auf den Leib schrieb und die Arie dessen künstlerischer Physiognomie anpasste. Auch hier gibt der beigefügte Kommentar ausführlich Auskunft.
Die Sänger der Mozartzeit verstanden sich in Aufführungssituationen auch als kreative Mitgestalter des Werks, die ihre Freiräume in Kadenzen und der Verzierung wiederholter Teile zu nutzen wussten. Der Kommentar stellt nicht selten drei bis vier verschiedene Auszierungsmöglichkeiten einer bestimmten Kadenz vor sowie jeweils einen Vorschlag einer mit Ornamenten ausgeschmückten Reprise.

Sehr benutzerfreundlich ist die Einteilung nach Stimmtypen in drei Bände: für tiefen Sopran und Alt, für Sopran und für hohen Sopran. Innerhalb der einzelnen Bände sind die Arien chronologisch geordnet. Hilfreich auch die Durchnummerierung der Takte, die bei Schirmer völlig fehlt, während Bärenreiter mit Buchstaben unterteilt.

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Wolfgang Amadeus Mozart, Konzertarien für hohen Sopran, Zusammenstellung von Thomas Seedorf, Klavierauszug mit Beiheft, BA 9181, € 28.95, Bärenreiter, Kassel 2013

id., Konzertarien für Sopran, BA 9182, € 29.95

id., Konzertarien für tiefen Sopran und Alt, BA 9183,
€ 19.95

 

Besen, Dosen und Plastikflaschen kommen hier zum Einsatz und bringen Jugendliche zum Grooven.

Der Name «Schlagzeug» trägt es eigentlich schon in sich: Man schlägt aufs Zeug. Nur, auf welches «Zeug» ist nicht so klar, es muss ja nicht immer das Drumset sein. Das bekannte Ensemble Stomp wurde mit dem Stück Brooms, auf deutsch «Besen», bekannt. Mit der Zeit entstanden grosse Rhythmuskompositionen für die Bühne mit weltweitem Erfolg. Seitdem ist Stomp Synonym für Musik mit Alltagsgegenständen.

Wie diese Idee in der Schule (ab 12 Jahren) realisiert werden kann, zeigt Stomping Stuff. Dosen, Plastikflaschen, Schachteln, Töpfe, Besen – kurz: alles kann zum Klingen gebracht werden. Denn jeder Gegenstand ist es eigentlich wert, auf seine akustischen Eigenheiten untersucht zu werden. Experimentieren, ausprobieren, Patterns erfinden, einüben und dann vorzeigen. Performance! Die zwölf Kompositionen sind alle notiert in einer leicht verständlichen Percussionssprache. Auch die Kommentare lesen sich leicht. Sie zeigen die einzelnen Schritte auf, wie die Kompositionen erarbeitet werden, und sie beschreiben die Schlagtechniken, mit denen man die verschiedenen Klänge erzeugt. Gerade in dieser Klangvielfalt liegt, neben den Rhythmuslinien, der Reiz von Stomp.

Auf der beiliegenden DVD finden sich zahlreiche Videoclips. Sie zeigen den Gesamtablauf einer Komposition und die einzelnen Rhythmuspattern zum Einstudieren. Die Stücke grooven, man möchte am liebsten selber mitspielen. Also: Besenkammer entrümpeln und los!

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Gerhard Reiter, Stomping Stuff, Zwölf Percussion-Hits für Besen, Töpfe, Flaschen & Co., HI-S7253, mit DVD, Helbling, Bern u.a. 2013

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