Chorprobe zum Mitnehmen

Ein neues elektronisches Hilfsmittel zur effektiven, individuellen Probenvorbereitung für Chorsängerinnen und -sänger. Vorerst wurden die ganz grossen Werke der Chorliteratur aufbereitet.

Foto: zvg,SMPV

Für ein gutes Proben- und Konzerterlebnis müssen Chorsänger ihre Stimmen üben. Die App «carus music» bietet nun einen neuen Zugang zum Kennenlernen, Erlernen und Üben von Chormusik – mit und ohne Notenkenntnisse. 

Die grossen Werke der Chorliteratur, die im Carus-Verlag sowohl als Aufnahme wie als Notenausgabe vorliegen, wurden für mobile Endgeräte optimiert: Die aufbereiteten Urtext-Noten der Carus-Klavierauszüge sind mit den Einspielungen synchronisiert.

Die Navigation funktioniert intuitiv: Jeder Takt kann direkt angewählt werden, ein synchron zur Musik durchlaufender Marker erleichtert die Orientierung, das Umblättern erfolgt nach Belieben entweder automatisch oder manuell. Als besonderes Feature bietet «carus music» einen Coach zum Erlernen der eigenen Chor-Stimme: Ist der Coach aktiviert, wird die jeweilige Chor-Stimme von einem Klavier mitgespielt und deutlich hervorgehoben – wie in der Chorprobe. Gleichzeitig üben die Sängerinnen und Sänger ihre Stimme im Gesamtklang von Chor und Instrumenten – wie im Konzert. Im Slow-Modus steht der Coach auch in reduziertem Tempo zur Verfügung; schnelle und schwierige Passagen können so leichter geübt werden.

Ab sofort ist «carus music» mit einer ersten Auswahl bedeutender Werke der Chorliteratur erhältlich. Die Werkliste wird kontinuierlich erweitert. Die App ist kostenlos, die Werke werden via In-App-Kauf erworben und stehen nach dem Download offline zur Verfügung. Zum Testen gibt es jeweils einen Chorsatz pro Werk kostenlos. 

Werkliste, Tutorial und Dowloadmöglichkeiten: www.carus-music.com/

Aufgrund grosser Nachfrage bietet Carus das Konzept nun auch auf CD an. Die Werkliste wird auch da kontinuierlich erweitert.

Auf der Suche nach Universalien der Musik

Eine Forschergruppe um Patrick Savage von der Universität der Künste in Tokio hat mehrere hundert Musikaufnahmen aus aller Welt analysiert, um allen gemeinsame Strukturmerkmale festzumachen. Die Resultate sind nicht uninteressant, aber doch eher unentschieden.

Foto: Christa Laage/pixelio.de,SMPV

Musik wird gerne als eine universale Sprache charakterisiert. Bislang ist es jedoch nicht gelungen, in der Musik eindeutige Universalien, also Merkmale, die jeder musikalischen Äusserung in gleicher Art eigen sind, festzumachen. Das Team hat eine weitere Probe aufs Exempel gemacht – mit einer statistischen Analyse von 304 Musikaufnahmen aus aller Welt.

Wie die Autoren schreiben, konnten dabei keine absoluten Universalien festgestellt werden. Allerdings lassen sich statistische Allgemeinheiten angeben, die in allen Beispielen aus insgesamt neun berücksichtigten Weltregionen konsistent sind. Insgesamt identifizieren die Autoren dazu 18 individuelle Eigenschaften und 10 Eigenschaften, die in der Regel miteinander verbunden werden.

Die Eigenschaften umfassen Merkmale der Tonhöhenorganisation und der rhythmischen Struktur, aber auch Aufführungsmerkmale und soziale Kennzeichen. Am ähnlichsten erwiesen sich dabei die Funktionen von Musik als Mittel zur Koordination und zur Stärkung des Zusammenhalts von Gruppen.

Die Autoren der Studie betrachten ihre Resultate als einen guten Ausgangspunkt für weitere Forschungen zum Verständnis des Phänomens Musik unter Berücksichtigung globaler Kulturen.

Originalartikel:
http://www.pnas.org/content/early/2015/06/23/1414495112.abstract?sid=67c8f410-732c-4448-9502-f7b3db999d0a

Die Martinů-Gesamtausgabe geht an den Start

Der Bärenreiter-Verlag hat mit der Veröffentlichung des Gesamtwerks von Bohuslav Martinů (1890–1959) begonnen. Die Ausgabe soll bei ihrem Abschluss etwa hundert Bände umfassen.

Bohuslav Martinů 1945 in Boston. Bild: zvg,SMPV

Bohuslav Martinů, der seine letzten Lebensjahre in der Schweiz verbrachte und in Liestal starb, war einer der fruchtbarsten und vielseitigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Sein breites, viele Gattungen umfassendes Schaffen enthält etwa dreissig Opern und Ballette, Lieder, Chorwerke, Kantaten, ein Oratorium, Symphonien, zahlreiche Orchesterwerke für grosse und kleinere Besetzung, mehr als dreissig Solokonzerte, an die hundert Kammermusikwerke in vielfältigen Besetzungen sowie eine Reihe von Werken für Soloinstrumente.

Aus dem Prag des frühen 20. Jahrhunderts, das noch unter einem starken Einfluss der österreichisch-deutschen Spätromantik stand, zog Martinů 1923 nach Paris und studierte Komposition bei Albert Roussel. Mit seinem symphonischen Rondo Halftime (1924), schloss er sich dezidiert der neoklassizistischen Avantgarde seiner Zeit an; die Werke aus der zweiten Hälfte der 1920er Jahre stehen vermehrt unter dem Einfluss des Jazz. In den 1930er Jahren reicherte Martinů seine Kompositionen mit lyrischen Elementen, insbesondere aus tschechischen und mährischen Volksliedern, an und entwickelte seinen konzertanten Stil weiter, der in seinem Doppelkonzert für zwei Streichorchester, Klavier und Pauken (1938), kulminierte.

Nachdem die deutschen Truppen in Frankreich einmarschiert waren, emigrierte Martinů nach Amerika. Das neue Umfeld ermöglichte es dem Komponisten, sich als Symphoniker voll zu entfalten. Die fünf zwischen 1942 und 1946 entstandenen Symphonien bestechen durch ihre ungezwungene melodische Einfallskraft, ihre rhythmische Frische und durchgeformten Konzeptionen. In den 1950er-Jahren gelang Martinů eine originelle Synthese der verschiedenen Stile seiner kompositorischen Entwicklung. Insbesondere nach seiner Rückkehr nach Europa im Jahr 1953 wurden seine Werke zunehmend vom Neo-Impressionismus geprägt.

Die Bohuslav Martinů Complete Edition ist ein gross angelegtes musikwissenschaftliches Projekt. Unter der Federführung des Bohuslav Martinů Institute werden die Werke in allen Fassungen und Bearbeitungen sowie neu entdeckte und bislang unveröffentlichte Kompositionen in wissenschaftlich-kritischen Ausgaben zugänglich gemacht.  

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Die ersten Bände:

Series VI/2/1: The Epic of Gilgamesh, H 351, hg. von Aleš Březina, BA 10571, € 390.00, Bärenreiter, 2015

Series II/1/4: Symphony No. 4, H 305, hg. von Sharon Andrea Choa, BA 10572, € 335.00, Bärenreiter 2015

 

Raphael Jost gewinnt Swiss Jazz Award 2015

Raphael Jost und seine Band Lots Of Horns sind die Gewinner der 9. Ausgabe des Swiss Jazz Awards. Das Finale fand am Sonntagabend im Rahmen des Festivals Jazz Ascona in Ascona statt.

Raphael Jost und Lots of Horns (Bild: zvg)

Im Finale fanden sich überdies das Beat Baumli & Jürg Morgenthaler Trio und die Gruppe Piri Piri. Die drei Bands traten nacheinander in halbstündigen Sets auf. Entschieden haben Publikum und Jury, zu der dieses Jahr erstmals auch Pepe Lienhard gehörte. Raphael Jost und seine Mitmusiker überzeugten laut der Mitteilung des Jazzfestivals mit hervorragendem Zusammenspiel, starker Bühnenpräsenz und abwechslungsreichen Programm.

Die Gewinner erhalten neben dem Award Gelegenheit zu Auftritten an Schweizer Festivals und in Jazz Clubs, unter anderem am Festival da Jazz in St. Moritz am 9. August 2015 und am Jazz Ascona 2016. Ermöglicht werden diese von den Organisatoren des Swiss Jazz Awards, dem SRF-Sender Radio Swiss Jazz und dem Festival Jazz Ascona, mit Unterstützung vom Migros-Kulturprozent und den teilnehmenden Jazz Clubs.

Der Swiss Jazz Award wird seit neun Jahren jährlich vergeben. Informationen zu den Gewinnern der letzten Jahre sowie zum Preis allgemein unter www.swissjazzaward.ch.

In Bern kommt’s im Herbst zum «Urknall»

Das Musikfestival Bern lädt vom 3. bis 13. September zur Begegnung von Naturwissenschaft und Musik: Martin Jaggis «Planck» etwa greift auf Daten zur kosmischen Hintergrundstrahlung zurück, um fünf Ensembles der freien Szene zu einem Klangkörper zu fusionieren. Und «Rosetta» verfolgt die Suche nach dem Ursprung des Weltalls, von Multiversen und Higgs-Teilchen.

Artists in Residence Ensemble This I Ensemble That (Bild: Rahel Kohler)

Der Programmaufbau des diesjährigen Berner Musikfestivals spielt unter dem Motto «Urknall» mit den heute gängigen kosmologischen Bildern des Big Bang und der Cosmic Expansion: Nachdem an den drei ersten Tagen des Festivals die geballte Energie in verschiedenen Programmen explodiert, so verhalten sich die Konzerte und Performances der zweiten Festivalwoche dazu wie die Bildung von einzelnen Galaxien und Sternen. 

Artists in Residence sind der Schlagzeuger Brian Archinal und das Ensemble This I Ensemble That. Der aus Denver, Colorado (USA) stammende Archinal hat sich seit seinem Abschluss an der Musikhochschule Basel als Solist und Dozent etabliert. Seit 2014 unterrichtet er Schlagzeug an der Hochschule der Künste Bern. Dort entsteht unter seiner Leitung ein Ausbildungsgang für experimentelle Interpretationsformen. 

Teil der «Urknall»-Konzertreihe ist auch das Mad Scientist Festival – ein internationales Festival für neue Showformate und Kunstprojekte rund um Wissenschaft und Forschung. In Anlehnung an den riesigen Teilchenbeschleuniger im Genfer Kernforschungszentrum Cern wird ein lokaler Club für zehn Tage zu einem «Collider» umgebaut, in dem Urknallforschung auf spielerische Weise fassbar wird, mit Gesprächen und Installationen, einem besonderen Bar-Angebot und einer «Scientific Arcade».

Mehr Infos: www.musikfestivalbern.ch
 

Konzertreihe rund um die wohl älteste Orgel

Die spätgotische Orgel von 1435 steht im Zentrum einer Reihe von sechs Konzerten, die vom 4. Juli bis zum 8. August wöchentlich samstags sattfinden.

Die Orgel der Basilique de Valère in Sitten. Foto: Berra39, wikimedia commons,SMPV

In den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die Orgel in der Basilika von Valère in Sitten (Wallis), diese möglicherweise älteste Orgel der Welt, von Maurice Wenger wieder ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Nach der Restaurierung fand ab 1969 jährlich das Festival für alte Orgel (Festival international de l’orgue ancien et de la musique ancienne) statt. Nach 45 Jahren hat Maurice Wenger nun die Leitung in jüngere Hände übergeben; unter Véronique Dubuis findet im Juli und August die 46. Ausgabe statt.

Das als «mythisch» bezeichnete Instrument zieht Organisten aus aller Welt an, die es gerne einmal spielen möchten. Andererseits ist das Repertoire für ein so aussergewöhnliches Instrument eng limitiert, so dass die Gestaltung eines variierten Programms für sechs Abende eine Herausforderung darstellt. In diesem Jahr steht das Schlusskonzert im Zeichen der Feierlichkeiten zur 200jährigen Zugehörigkeit des Wallis zur Eidgenossenschaft. Neben traditionellen Volksweisen spielt Annerös Hulliger auch eine eigens für den Anlass geschaffene Komposition von Jean-François Michel: Valeria.

Programm und Vorverkauf: orgueancien-valere.ch/

Zeit und Raum kunstvoll inszeniert

Ende Juni wurde das Konzept der 1. Biennale «ZeitRäume Basel» vorgestellt. Vom 10. bis 13. September sollen neue Klänge spezielle Räume beider Basel in ungewöhnliche Musikorte verwandeln.

Rheindüker. Foto: Anna Katharina Scheidegger,SMPV

Schon öfter gab es in Basel originelle Festivals mit Neuer Musik. So etwa den grandiosen «Europäischen Musikmonat 2001» oder Gidon Kremers «Les Muséiques», ein Festival, das hauptsächlich in Museen spielte. Nun haben sich Baselland und Baselstadt auf Initiative von Beat Gysin zusammengetan, um die «einheimische» Biennale ZeitRäume Basel zu realisieren. Gysin präsidiert den Verein Zeiträume, der das Festival verantwortet. An der Pressekonferenz vom 23. Juni in Laufen präsentierte Festivalintendant Bernhard Günther das vielfältige und spannende Programm

Das Konzept ist bestechend: Neue Musik erobert neue Räume und ein neues Publikum. Es überzeugt auch vom Qualitätsanspruch her. Namhafte Komponisten schreiben Stücke für unkonventionelle Konzerträume, wobei die Räume in die Kompositionen einbezogen werden. Und verschiedene Schulklassen und Musikschulen von Stadt und Land sowie Studierende der Musik-Akademie sind originell in die Produktionen eingebunden.

Insgesamt bespielen rund 1000 Beteiligte die beiden Basel, es werden an den vier Festivaltagen über 20 Innen- und Aussenräume akustisch ausgeleuchtet, darunter das Basler Münster inklusive Kreuzgang und Vorplatz, die historische Innenstadt von Laufenburg, das Volkshaus, die Bahnhofshalle Badischer Bahnhof, das Staatsarchiv, eine offene Halle im Rheinhafenareal, der Lachsländerhof, die Alte Aula im Naturhistorischen Museum und das Stadtcasino.

Besonders auffällig an dieser ersten Biennale ist die Durchmischung von Profis mit Laien, von internationalen Grössen und einheimischen Kräften. So findet man international führende Komponisten wie Georg Friedrich Haas, Dieter Schnebel, James Clarke, Karlheinz Stockhausen ebenso in den Programmen wie die Schweizer Künstler Beat Furrer, Daniel Ott und Edu Haubensak. Veranstalter wie das Sinfonieorchester Basel sind für einmal beteiligt an pädagogischen Konzepten für Grundschülerinnen und -schüler, Musikstudentinnen und -studenten. Dieses Miteinander, das sich an den unkonventionellsten Orten Basels klingend offenbaren wird, dürfte dem Festival einen grandiosen Sog geben.

Ein wichtiger Bestandteil dieses Musikfestivals sind die verschiedenen Klanginstallationen. So zeigt etwa das Schweizerische Architekturmuseum ab dem 4. September die Ausstellung Der Klang der Architektur. Der in Berlin lebende Komponist Peter Ablinger entwickelt dafür mit dem Elektronischen Studio der Musik-Akademie Basel in den Ausstellungsräumen ein speziell auf die Ohren zugeschnittenes Konzept.

Im Hinterhof der Musik-Akademie kann man Walter Fähndrichs Musik-Installation Sunset erleben, die den Innenhof in subtil auf den Ort abgestimmte Klangfarben taucht. Unbequeme Musik gibt es auf dem Theaterplatz mit einem «begehbaren Hörstück» von Peter Ablinger, das aus den Klängen der Stadt ein inszeniertes Erlebnis macht. Oder dann der geheimnisvolle Tunnel Spiral im Tunnel des Parkhauses City, in welchem junge Komponistinnen und Komponisten aus Basel eine interaktive Klanginstallation einrichten.

So werden die sonst oft als elitär geltenden Exponentinnen und Exponenten der Neuen Musik Alltagsräume erobern, wie an der Pressekonferenz in Laufen vier Schüler Alltagsgegenstände bespielten. Auf einem Wassereimer hockend machten sie orange Plastikeimer mit Holzschlägeln zu Schlagzeugen, eine dramaturgisch und konzentrationsmässig beeindruckende Leistung.

An der Biennale selbst werden unter der Leitung von Sylwia Zytynska zirka 300 Schülerinnen und Schüler mitmachen, die nicht nur das hübsche «Stetli» von Laufen akustisch besetzen, sondern auch die Freiestrasse in der Stadt Basel. Der anwesende Stadtpräsident Alexander Imhof zeigte berechtigten Stolz auf die Musikbegeisterung in den Laufener Schulen.

www.zeitraeumebasel.com

Schaffhausen fördert Spiele mit Klischees

Die Musiker Roman Mäder, dessen Texte mit US-Klischees spielen, und Luca Ramella, er parodiert italienische Popmusik, werden vom Kanton Schaffhausen mit Förderbeiträgen ausgezeichnet.

Larry Bang Bang-Plakat von Roman Maeder, zvg

Der 1974 geborene Musiker Roman Mäder erhält – als Kunstfigur Cowboy Larry Bang Bang – einen Förderbeitrag in der Höhe von 20’000 Franken zur Realisierung eines Tonträgers, dessen Texte mit US-Klischees spielen. Der 1978 geborene Luca Ramella erhält einen Förderbeitrag in der Höhe von 17’000 Franken zur Realisierung eines Projekts als Parodie auf die italienische Popmusik.

Kanton und Stadt Schaffhausen verleihen seit 14 Jahren Förderbeiträge an Schaffhauser Kulturschaffende. Der Gesamtbetrag, der zur Vergabe zur Verfügung steht, beläuft sich auf 110’000 Franken. Die Bewerbungen werden von einem unabhängigen Fachkuratorium beurteilt und juriert. Die Förderbeiträge gehen in diesem Jahr überdies an den Schriftsteller Donat Blum (Literatur, 15’000 Franken), die Künstlerinnen Maya Bringolf und Corinne Gisel (je 20’000 Franken) sowie Edit Oderbolz (18’000 Franken). Auf Antrag des Kuratoriums gehen die Atelierstipendien 2016 an die Künstlerinnen Nora Dal Cero und Alexandra Meyer.

(Wahl-)Freiheit, die ich meine …

Das nicht kommerzielle Notenschreibprogramm «MuseScore» und das ebenfalls frei zugängliche Notensatz-System «Lilypond» sind prüfenswerte Alternativen zu den kommerziellen Angeboten. Eine Vertiefung des Themas «Notenschreiben auf dem Computer» und eine Replik auf das Interview mit Marcel Vonesch in der Schweizer Musikzeitung 6/2015.

Foto: Denys Rudyi – Fotolia.com
(Wahl-)Freiheit, die ich meine ...

Das nicht kommerzielle Notenschreibprogramm «MuseScore» und das ebenfalls frei zugängliche Notensatz-System «Lilypond» sind prüfenswerte Alternativen zu den kommerziellen Angeboten. Eine Vertiefung des Themas «Notenschreiben auf dem Computer» und eine Replik auf das Interview mit Marcel Vonesch in der Schweizer Musikzeitung 6/2015.

Musik und Computer – das ist ein ebenso brisantes Themenfeld wie ein recht umkämpfter Markt. Ein Markt zudem mit speziellen Bedingungen: Der Kundenkreis der Musiker ist normalerweise nicht übermässig technik-affin, er hat zu Recht kein gesteigertes Interesse daran, für Tage und Wochen die Steinway- mit der Laptop-Klaviatur zu vertauschen. Er möchte schlicht ein handliches Werkzeug, das ihm die effektive Erledigung seiner Aufgaben erlaubt – was in technischer Hinsicht dann wiederum sehr anspruchsvoll ist.

Die Aufgabenstellungen sind zudem von Person zu Person so radikal unterschiedlich wie die Arbeitsgebiete und Arbeitsweisen. Die berühmte Mund-Propaganda hilft dem Anfänger da wenig: Das Anpreisen irgendeiner favorisierten Softwarelösung hat etwa den gleichen Informationsgehalt wie die begeisterte Mitteilung, das blutdrucksenkende Medikament XY habe im eigenen Fall wunderbare Erfolge erzielt.

Was hingegen helfen könnte, eine begründete Auswahl zu treffen, wären konkrete Hintergrundinformationen. Dass ich glaube, hier einige Anmerkungen beitragen zu können, erklärt sich aus meiner beruflichen Bandbreite: Ich habe seit Beginn der 90er-Jahre als konzertierender Musiker, Musikpädagoge und Ensembleleiter, aber vor allem als Musikwissenschaftler und als Gestalter von Musikbüchern mit unterschiedlichster musikorientierter Software intensiv gearbeitet, zudem unter diversen Betriebssystemen.

Für die Bewältigung der breit gefächerten Aufgaben war ich geradezu gezwungen, mir kontinuierlich einen kritischen Überblick über die jeweils aktuellen Lösungen der Software-Entwicklung zu verschaffen. Dazu gehörte natürlich auch die Arbeit mit Produkten wie Sibelius, Finale, Capella oder ihren weniger berühmten Kollegen. Dazu gehörte aber auch die Kenntnis und Nutzung freier Software (dazu gleich mehr). Welcher Handwerker würde ernstlich auf eine Ausstattung setzen, die ihm in einem einzigen «Super-Multifunktions-Allround-Werkzeug» die Bewältigung aller Aufgaben vom Rasenmähen übers Tapetenablösen bis zur Altbausanierung verspräche? …

Frei und gratis ist nicht dasselbe

Um ein häufiges und verhängnisvolles Missverständnis gleich vorneweg zu korrigieren: «Freie Software» hat sachlich sehr wenig mit «Gratissoftware» zu tun. «Frei» wird hier im Sinne von «freier Rede» gebraucht, nicht von «Freibier». Freie Software unterliegt einer Lizenz, die es jedermann erlaubt, sie mehr oder weniger nach Belieben zu benutzen (zu verändern, umzuarbeiten, sie gesamt oder in Teilen anderswo einzubauen, sie aber auch zu verschenken, für die Ausbildung zu nutzen, ihre Funktionsweise zu studieren, sie in Geräte einzubauen etc.). Das Attribut «frei» bezieht sich dabei vor allem auf den «Quelltext», also die vom Programmierer geschriebene Konstruktionsanleitung, mit der schliesslich die fertige Programmdatei automatisiert hergestellt («kompiliert») wird. Ein relativ belangloser Nebeneffekt ist, dass es naturgemäss kaum sinnvoll ist, ohnehin frei verfügbare Software zu verkaufen …

Ein Programm hingegen wie etwa der bekannte Adobe-Reader ist zwar kostenlos, jedoch keineswegs «frei» – es ist «proprietär». Das heisst, nur der Eigentümer – die Firma Adobe – hat Zugriff auf den Quelltext, nur er kann deshalb diese Software verändern. Der fertige Adobe-Reader kann lediglich kopiert werden, so, wie er ist. Um ihn z.B. an ein Betriebssystem-Update anzupassen, bedarf es bereits unabdingbar des Quelltextes. (Nebenbei kann auch niemand aus dem fertigen Programm ohne Weiteres ersehen, ob es ausser den offensichtlichen noch unerwünschte Funktionen besitzt – Stichwort «Schad-Software»).

Die landläufige Idee, freie Software sei die Domäne von gelangweilten Hobby-Entwicklern mit dem Drang zur Selbstdarstellung, die zeitweilig mal bei einem Projekt mitmachen, um dann in «richtigen Software-Firmen» ihre eigentliche Lebensaufgabe zu finden, ist eine lustige Karikatur – mehr nicht.

Copyright-freie Software ist vielmehr eine technische Notwendigkeit in der Entwicklung jedweder Form von moderner Software. Seit Beginn der 90er-Jahre besteht Software praktisch immer aus einer Vielzahl einzelner Module, die zum Teil in vielen Programmen enthalten sind, da sie identische Funktionen zur Verfügung stellen. Wäre qualitativ hochwertige Software grundsätzlich copyright-belastet, müsste die Entwicklung jedes neuen Programms praktisch bei Null beginnen – was jeder Software-Entwicklung ein rasches Ende bereiten würde. Insofern besteht auch der Quelltext praktisch aller Kauf-Programme – Notensatz- oder andere musikalische Programme machen da keine Ausnahme – zu einem gewissen Teil aus freiem Software-Code. Nicht ohne Grund sponsert etwa die Firma Microsoft freie Software-Projekte mit respektablen Summen.

Abgesehen davon gibt es grosse Bereiche, in denen unablässig Software produziert wird, ohne dass irgendwelche Verkaufsinteressen bestehen: Universitäten erstellen Spezialsoftware für unterschiedlichste Fachgebiete, Studenten, Doktoranden und Habilitanden realisieren fortlaufend Software-Projekte. Rechenzentren, Forschungszentren und moderne Filmstudios könnten ohne hochflexible und transparente freie Software nicht arbeiten, sie steuern regelmässig Module und Fehlerkorrekturen zu freien Software-Projekten bei. All diese Software steht naturgemäss frei zur Verfügung – und ist, ach ja, auch gratis …

Allein die Offenheit des Quelltextes ist es, die eine gemeinsame Entwicklung in zum Teil weltweiten Entwickler-«Communities» erlaubt. Organisiert wird sie auf Internet-Entwicklungsplattformen und gesteuert durch (frei verfügbare) hochspezialisierte Datenbanksysteme. So werden Qualität und Kompatibilität der Beiträge sichergestellt und dem verantwortlichen Haupt-«Maintainer» eine effektive Kontrolle ermöglicht. Nicht anders arbeiten auch kommerzielle Software-Firmen.

Die oft kolportierte Idee übrigens, freie Software sei in Ermangelung der ordnenden Hand einer Firma eine notwendigerweise kurzlebige Sache, ist eine recht laienhafte (wenn auch von den Werbetrommlern der Softwarebranche immer wieder gern benutzte) Vorstellung, die mit der Realität nichts zu tun hat. Heute weiss jeder Facebook-Nutzer, dass Dinge, die einmal in die unendlichen Weiten des World Wide Web eingetaucht sind, schier nicht mehr zu beseitigen sind – das gilt auch für Quelltext. Das «Verfallsdatum» freier, kollaborativer Projekte ist tendenziell sogar langfristiger als das vieler proprietärer Angebote – logisch, sie können nicht von einer kollabierenden Firma in den Abgrund gerissen werden und sind nicht an einzelne Personen gebunden. Projekte wie das professionelle Textsatzsystem Latex, das freie Betriebssystem FreeBSD (das im Herzen aller Apple-Computer seinen Dienst verrichtet) oder der Verschlüsselungs-Standard PGP existieren seit der Frühzeit der Computerentwicklung, den 70er- und frühen 80er-Jahren.

Dass auf diese freie, «kollaborative» Weise natürlich auch musikbezogene Software entsteht, die der proprietären absolut ebenbürtig ist, kann also kaum noch verwundern. Der wesentliche Unterschied zu proprietärer Software ist, dass diese Projekte naturgemäss über keinen Werbe-Etat verfügen.

WYSIWYG und WYGIWYM

Niemand redet gern über seine Grenzen – da machen die Hersteller von Musik-Software keine Ausnahme. Eine solche, quasi naturgegebene Grenze bildet für Notenschreibprogramme das «WYSIWYG»-Prinzip: What You See Is What You Get (Was du siehst, ist das, was du bekommst). Jede Änderung soll mit allen ihren Auswirkungen auf den Rest des Dokumentes unmittelbar auf dem Bildschirm angezeigt werden. Um bei einem Notenschreibprogramm die Tastaturangaben einigermassen verzögerungsfrei wiederzugeben, muss das gesamte Dokument viele Male pro Sekunde durchgerechnet und neu auf dem Bildschirm dargestellt werden. Das heisst: Dem Prozessor stehen zum Setzen des Dokumentes nur Sekundenbruchteile zur Verfügung.

Nun ist qualitativ hochwertiger Notensatz eine sehr anspruchsvolle Arbeit. Die Organisation der Details einer Partitur bedingt ungleich aufwendigere Mechanismen: Die Elemente sind nicht wie bei einem Textprogramm (Word o. ä.) ausschliesslich zeilenweise angeordnet, sondern sie stehen kreuz und quer über die Seitenfläche hinweg in komplexen Wechselbeziehungen. Der damit anfallende Rechenaufwand fordert auch aktuelle Prozessoren schon bei kleinen Notensätzen mehrere Sekunden lang, einige Minuten sind bei grösseren Arbeiten keine Seltenheit. Würde ein WYSIWYG-Programm tatsächlich Notensatz auf dem Niveau des klassischen Notenstiches versuchen, spränge nach jedem Tastendruck oder Mausklick der Bildschirminhalt für die besagte Zeit wild hin und her, der Notentext wäre währenddessen unzugänglich, bis das neue Satzbild endlich «stünde». Keine Frage also, dass Software wie Finale, Sibelius, Capella oder MuseScore hier einen anderen Weg gehen muss: sie muss es bei einer relativ groben Schätzung belassen und wie Textprogramme praktisch ausschliesslich zeilenweise arbeiten (mit Nachlässigkeiten, an die wir uns leider durch die Allgegenwart dieser Drucke gewöhnt haben). Die ausgefeilte Grafik der verwendeten Zeichen und eine sorgsame Auswahl der eingegangenen Kompromisse sorgt zwar vordergründig für ein ästhetisches Bild. Genau besehen ist aber z. B. die Platzausnutzung stets deutlich schlechter als bei tatsächlich hochwertigem Notensatz. Meiner Erfahrung nach entsprechen 6 Handsatz-Seiten bei gleicher Zeichengrösse zwischen 8 und 12 Seiten eines beliebigen WYSIWYG-Satzes. Das heisst: Es gibt deutlich mehr und schlechter positionierte Wendestellen, eine weniger lesefreundliche Verteilung der Partiturdetails auf der Seite, dazu eine Vielzahl mikro-typografischer Sünden, die man meist erst im direkten Vergleich mit handgesetzten «Originalen» bemerkt. Wohlgemerkt: Dabei geht es nicht um Ästhetik, sondern vor allem um Lesbarkeit und damit z. B. um die Reduzierung von Fehlerquellen bei der Aufführung!

Es ist leider nicht beides gleichzeitig zu haben: WYSIWYG-Geschwindigkeit und professionelles Layout (so nachdrücklich die Software-Werbung das auch behaupten mag). Das Notensatz-System Lilypond (wie auch das verwandte, weniger verbreitete System MusiXTeX) muss deshalb einen völlig anderen Weg gehen, um dem klassischen Standard des Notenstichs wenigstens nahezukommen: Die Noteneingabe erfolgt zunächst in Form einer Art To-Do-Liste, einer schlichten Textdatei, anhand derer das Programm später das fertige Satzbild berechnet – unter Anwendung der typografischen Regeln des klassischen Notenstiches. Diese Liste wird auf Knopfdruck in ein beliebiges geeignetes Ausgabeformat wie etwa .pdf umgewandelt (was dann jeweils eine Kaffeepause lang dauert). Dieser Lösungsansatz wird gemeinhin mit «WYGIWYM» bezeichnet: What You Get Is What You Meant – du bekommst, was du gemeint hast. Das Resultat ist in der Tat ein praktisch makelloses Satzbild, gleichzeitig ein minimaler Umfang der Partituren. Interessanterweise sinkt mit Lilypond-Material tatsächlich die Fehlerquote der Ensembles, die ich damit ausstatte – der besseren Lesbarkeit wegen.

Allerdings bedingt die hohe typografische Qualität der Lilypond-Sätze einigen Einarbeitungsaufwand – die Einstiegshürde entspricht meiner Erfahrung nach etwa dem, was Sibelius oder Finale zu Beginn erfordern. Aber keine Angst: Da Lilypond von Musikern für Musiker entwickelt wird, entspricht die Denkweise hinter dem Programm im Grunde den gewohnten musikalischen Konzepten. Und da Lilypond im musikwissenschaftlichen Umfeld eine grosse Bedeutung hat, ist kaum ein Sonderfall denkbar, für den nicht bereits Lösungen entwickelt worden sind. Für den Einsteiger gibt es eine methodisch sehr gut gemachte Serie von Lern-Videos, die die ersten Schritte erleichtern (youtube: lilypond tutorial 1 bis 25), dazu ein einführendes Lern-Handbuch sowie ein Nachschlagewerk für Spezialfälle (s. für alle Informationen lilypond.org). Eine ziemlich raffiniert gestaltete Eingabe-Oberfläche namens Frescobaldi erleichtert die Arbeit zusätzlich entscheidend. Komplizierte und umfangreiche Partituren erfordern trotzdem gelegentlich eine langwierige Fehlerkorrektur. Dafür sind Textunterlegung, Druck von Einzelstimmen oder Auszügen und Ausgabe in alle irgendwie sinnvollen Formate unübertroffen elegant gelöst (und, für den Satzprofi, eine direkte Zusammenarbeit mit dem Satzsystem Latex vorgesehen). Darüber hinaus ist eine Reihe von Funktionen verfügbar, die mit WYSIWYG-Programmen kaum umzusetzen wären. Da Lilypond-Dateien simple Text-Dateien sind, belegen auch grosse Werke nur wenige Kilobyte, und es ist völlig egal, unter welchem Betriebssystem und mit welchem Texteditor sie bearbeitet werden (was auf Wunsch alle Hilfsmittel des gewohnten Textprogramms für die Arbeit an Lilypond-Dokumenten verfügbar macht).

Intuitive Bedienung

Um nicht unnötig mit Kanonen auf Spatzen zu schiessen, benutze ich parallel als «musikalischen Notizblock» MuseScore, ein ebenfalls freies (WYSIWYG)-Programm, das sich in seiner aktuellen Version im Funktionsumfang und Satzbild von den aktuellen Versionen von Sibelius und Finale allenfalls marginal unterscheidet (Download und alle nötigen Infos: musescore.org – wo es ebenfalls eine Reihe sehr hilfreicher Einführungsvideos gibt). Abgesehen von allen satztechnischen Manipulationen und weitestgehender Anpassbarkeit aller Partiturdetails, wie sie auch die kommerziellen Programme bieten, erlaubt das freie MuseScore selbstverständlich den Import einer breiten Palette von Formaten – 22 an der Zahl, inklusive einiger proprietärer Formate, dazu eine (experimentelle) Scan-Funktion zum Einlesen von Notentext und Rück-Übersetzung von pdf-Dateien in bearbeitbare/abspielbare Notensatzdateien. Für die Weiterverarbeitung vorgegebener Midi-Dateien (etwa aus dem Petrucci-Project IMSLP oder verwandten Portalen) gibt es also keinen Unterschied zu proprietären Programmen. Der Start gelingt durch den pragmatischen Aufbau und umfangreiche Layout-Vorlagen erfahrungsgemäss ohne allzu viel Schweisstropfen und Frustrationen.

Über das freie Standard-Format .xml ist der Austausch mit Finale-, Sibelius-, Capella-, Forte- oder Ouverture-Benutzern ebenso problemlos, wie es der Austausch dieser proprietären Programme untereinander ist, und der Export in alle üblichen Sound- und Grafik-Formate ist in gleicher Weise möglich wie das bequeme Einspielen per Keyboard – um nur die wichtigsten Details zu nennen.

Was die Klangausgabe (Sequenzer-Funktion) angeht, so unterscheiden sich die Möglichkeiten nicht merklich: Instrumental- und Vokalklänge sind den Notensystemen beliebig zuzuordnen und per Klick zu wechseln, die verwendeten Klangpakete (Soundfonts) sind mit einem Mausklick beliebig austauschbar, alle Klänge sind hinsichtlich Lautstärke, Raumakustik und Intonation nach Belieben zu verändern, für Übezwecke ist ein Metronom automatisch zuschaltbar, Dynamik und alle gängigen Wiederholungszeichen werden ebenso wiedergegeben wie verschiedene rhythmische Inegalisierungen oder Effekte wie Streichertremolos. Die Ausgabe als Midi- oder Audio-Datei bzw. als beliebige Grafik erlaubt dann die nahtlose Weiterbearbeitung mit beliebigen Programmen. Für Sonderwünsche und pädagogische Zwecke steht, wie bei den anderen Programmen auch, eine stetig wachsende Sammlung von Hilfsfunktionen (Plug-ins) zur Verfügung. Für die Bearbeitung auf mehreren Computern oder die Arbeit in Gruppen steht ein Online-Speicher zur Verfügung.

Speziell interessant (z. B. für meine editorische Arbeit) ist jedoch die enge Anbindung an Lilypond: MuseScore-Dateien lassen sich nach Lilypond exportieren und dort weiterverarbeiten, so dass mit vertretbarem Nachbearbeitungsaufwand «der Batzen und das Weggli» zu haben sind: intuitive, unkomplizierte Noteneingabe plus flexible Soundausgabe (MuseScore), anschliessend perfekte Satzqualität (Lilypond).

Dank der freien Lizenz beider Systeme ist es also keine Frage des Geldbeutels, sondern einzig und allein des Interesses, ob man mit Notenschreiben à la MuseScore – Sibelius – Finale – Capella auskommt, oder ob man für hochwertigen Notensatz den intellektuellen Aufwand von Lilypond/Frescobaldi treiben möchte.

Drum prüfe, wer sich ewig bindet …

Eine Gefahr, der nicht allein Sibelius-, Finale- oder Capella-Benutzer ausgesetzt sind, darf abschliessend auf keinen Fall unerwähnt bleiben. Wer durch Copyright «geschützte» Programme benutzt, geht ungewollt das Risiko ein, dass bei einem Ende der Versorgung mit Updates sein Programm nicht mehr installierbar ist. Spätestens nach einem Versionssprung des Betriebssystems ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass ein Update notwendig wird. Fehlt dies, etwa, weil die Herstellerfirma nicht mehr existiert oder die Produktion umgestellt hat, ist eine Installation nicht mehr möglich. Damit sind alle Daten, die mit diesem Programm erstellt wurden, nicht mehr zugänglich: sie können ja logischerweise von anderen Programmen nicht gelesen oder bearbeitet werden. Der gängige Name für diesen Sachverhalt ist Vendor-lock-in (Anbieter-Verkettung). Vendor-lock-in ist alles andere als eine theoretische Gefahr: Es hat mir in der Arbeit mit proprietärer Software mehrfach den irreparablen Verlust ansehnlicher Teile meiner Arbeit beschert, und inzwischen bedrohen die Folgen des Vendor-lock-in weite Bereiche der öffentlichen Verwaltung.

Nun zeigt bereits ein erster kurzer Blick in Wikipedia, dass die Herstellerfirmen der beiden Platzhirsche Sibelius (Avid Technology, Inc./USA) und Finale (Hersteller: MakeMusic/USA) seit etwa 2012 in ernsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken. Es gibt also heute keinerlei Garantie dafür, dass die Programme nach durchaus denkbaren Umstrukturierungen oder einem (Teil-)Verkauf weiterentwickelt werden – Notenschreib-Software ist leider bei hohem Entwicklungs-Aufwand ein relativ unrentables Nischenprodukt. Da der Quellcode dieser Programme aber natürlich dem Copyright unterliegt, ist er im negativen Fall unausweichlich verloren.

Doch derart pessimistisch muss man nicht einmal denken: Es genügt schon, künftig auf das Programm eines anderen Herstellers umzusteigen, um nach einiger Zeit bei den eigenen, älteren Partituren vor verschlossenen Türen zu stehen.

Sollten hingegen die Hauptentwickler eines freien Programms ihre Arbeit beenden, so ändert sich – gar nichts. Der Quellcode steht weiterhin auf einer der freien Plattformen bereit und kann von der interessierten Community problemlos aktualisiert und weiterentwickelt werden (was die fast ausnahmslose Regel ist). Für den hypothetischen Fall, dass mit einem Schlag weltweit alles Interesse an einer Software enden sollte, bliebe immer noch die letzte Version des Quellcodes abrufbar, damit ist das Programm prinzipiell jederzeit wiederherzustellen. Ausserdem kann der unverschlüsselte Text freier Notendateien jederzeit von anderen Programmen gelesen oder konvertiert werden.

Conclusio

Es geht mir nun keinesfalls darum, irgendjemanden zu restriktionsfreier Software zu «bekehren» – was hätte ich auch davon? Ich bin lediglich der Auffassung, dass zu jeder mündigen Entscheidung die Kenntnis aller wesentlichen Faktoren gehört. Der Blick durch die Werbebrille der Industrie ist da im besten Falle eine der möglichen Perspektiven, und begeisterte Empfehlungen von Kollegen sagen mehr über deren Bedürfnisse aus als über die eigenen.

Aus den dargestellten Sachverhalten ergeben sich aber einige Konsequenzen und Überlegungen:

  • Wer als Anfänger auf der Suche nach einem geeigneten Notenschreibprogramm (nicht: Notensatzprogramm!) ist, sollte es vernünftigerweise zunächst mit dem freien MuseScore versuchen (das auch, anders als die proprietären Schwesterprogramme, für alle gängigen Betriebssysteme erhältlich ist). Eventuell sollte er für eigentlichen Noten-Satz das Gespann MuseScore und Lilypond/Frescobaldi hin und wieder ausprobieren. Sollte er dann tatsächlich noch für ihn wichtige Funktionen vermissen, steht ihm der Griff zu proprietären Lösungen immer noch frei. Aber er weiss in diesem Falle sehr viel genauer, was er will und braucht. Und er hat die Sicherheit, später jederzeit auf seine bereits erstellten Dokumente zugreifen zu können.
  • Es bleibt natürlich jedermann unbenommen, sich ein prestigeträchtiges Kaufprogramm anzuschaffen und sich an einer aufwendig animierten, durchgestylten Bedienungsoberfläche zu erfreuen. Wer allerdings mit Schülern, Studenten, Kursteilnehmern oder anderen Lernenden arbeitet, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er es verantworten kann, durch die Verpflichtung zu teurer kommerzieller Software unwillkürlich soziale Selektion zu betreiben, während faktisch gleichwertige freie Lösungen zur Verfügung stehen. Ist es zudem korrekt, Schüler oder Studenten durch die Entscheidung für ein Kaufprogramm in die dauernde Abhängigkeit von kostenpflichtigen Updates zu führen, ohne die ihnen über kurz oder lang der Zugriff auf die eigenen Arbeiten versperrt wäre?
  • Wäre der Grund für die Favorisierung kommerzieller Programme die beliebte Formel «Das machen eben alle!» (neudeutsch: «Das ist halt der Standard!») oder, schlimmer: die Unkenntnis von Alternativen, so spräche dies für alles andere als für Sorgfalt und Berufsethos …

Voilà: Die Informationen liegen auf der Strasse (des Internets). «Tolle lege» – «Nimm und lies!», sagt Augustinus.
Moderner gesagt: Googelt und informiert euch!

Kontakt: joerg.fiedler@bluewin.ch

Vertiefende Informationen


Musescore:
https://musescore.org
Musescore liegt aktuell in Version 2.0 in Versionen für alle gängigen Betriebssysteme vor. Die homepage bietet einführende Videos an, dazu ein Handbuch als pdf-download sowie ein 387 Seiten starkes Lehrwerk als kostenpflichtiges Buch.

 

Lilypond: http://lilypond.org
Lilypond liegt ebenfalls für alle gängigen Betriebs-Systeme vor. Die aktuelle Version ist 2.18.2

http://www.lilypond.org/manuals.de.html
bietet neben einem Einführungs-Handbuch, einer Referenz und einem Entwickler-Handbuch auch eine umfassende Sammlung von «Schnipseln», kleinen Satzbeispielen für unterschiedlichste Problemlösungen, dazu vertiefende Texte über die Hintergründe der Noten-Typografie.

 

Lilypond-Tutorial
unter diesem Suchbegriff auf youtube

 

Weniger gängige freie Musiksoftware-Entwicklungen versammelt:
http://icking-music-archive.org/software/htdocs/index.html

 

Grundlegende Infos zum Thema freie Software
(Stichworte für Wikipedia – die bereits selber ein Beispiel für freie Software darstellt!):
Vergleich von BSD-Betriebssystemen
GNU General Public License
BSD-Lizenz
Freie Software
Open Source

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Verschiedene Facetten des Tanzens: Ein Musik-Tanz-Projekt im Jura, doppelter Tanzboden bei Schostakowitsch, tanzende Derwische und ein Gespräch über den Volkstanz.

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Verschiedene Facetten des Tanzens: Ein Musik-Tanz-Projekt im Jura, doppelter Tanzboden bei Schostakowitsch, tanzende Derwische und ein Gespräch über den Volkstanz.

Focus

Musique et danse associées sur scène
par l’association Musique-Danse-Projets

Doppelter Tanzboden bei Schostakowitsch
Parodistische und groteske Elemente in Ballettmusiken

Unir l’humain à Dieu
Le rôle mystique de la musique et de la danse des derviches tourneurs

Lust oder Choreografie?
Der Volkstanzexperte Johannes Schmid-Kunz im Gespräch

 

… und ausserdem

RESONANCE

Le festival de Verbier soigne la relève — avec son programme éducatif

Tanzgesänge an mythischem Ort — Sibil.la in Königsfelden

Maria – greifbar und entrückt — Exvoto in der Klosterkirche Rheinau

(Wahl-)Freiheit, die ich meine — Notensatz mit restriktionsfreier Software

Carte blanche mit Michael Kube

Rezensionen — Neuerscheinungen

CAMPUS

Gesundheit im Orchester — Studie der HSLU bei Philharmonia Zürich

Eloge de la fausse note — la philosophie de Marc Vella, pianiste nomade

Sänger sind Schauspieler — Meisterkurs von Paul Phoenix in Boswil

Rezensionen — Neuerscheinungen

klaxon Kinderseite 

FINALE


Rätsel
 — Pia Schwab sucht

 

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Eine neue Schweizer Musikgeschichte

Angelo Garovi betrachtet in seinem Buch die Musik im Gebiet der heutigen Schweiz von der Spätantike bis in die Gegenwart.

Ausschnitt aus dem Buchcover,SMPV

Wer hat an der Expo 1964 die Sinfonie für 156 Büromaschinen komponiert? Welche Kompositionen hat Igor Strawinsky am Genfersee geschrieben? Gab es nur in den Klöstern komponierende Frauen? Und was ist das Besondere an der Musik Arthur Honeggers?

Als Antoine-Elisée Cherbuliez, Professor für Musikwissenschaft an der Universität Zürich, 1932 die erste Musikgeschichte der Schweiz schrieb, gehörte Arthur Honegger noch zu den «jungen» Komponisten. Seither hat es keine selbständige Publikation zur schweizerischen Musikgeschichte mehr gegeben. Angelo Garovi betrachtet nun in zahlreichen knappen Kapiteln musikalische Themenkreise auf schweizerischem Territorium. Er beginnt bei der spätrömischen Wasserorgel von Avenches, thematisiert neben vielem anderen die Musik an den grossen Klöstern St. Gallen und Engelberg sowie am Konzil von Basel, spricht über liturgische Spiele im Spätmittelalter und die Festspielkultur im 19.und 20. Jahrhundert, über Minnesang und Kuhreihen, den Genfer Psalter und Glareans Dodekachordon. Auch die Schweiz als Gast- und Inspirationsland berühmter Musiker aus umliegenden Ländern spielt eine Rolle.

Angelo Garovi (*1944 in Sarnen) studierte Germanistik, Geschichte, Musikgeschichte und Orgel sowie Komposition bei Mauricio Kagel. Garovi war Musikkritiker in Luzern, Musikredaktor am Schweizer Radio SRF in Bern, Staatsarchivar des Kantons Obwalden und Professor für Deutsche Philologie an der Universität Basel. Er hatte Lehraufträge an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland.

Image

Angelo Garovi, Musikgeschichte der Schweiz,
mit Namensregister der Komponisten,
160 Seiten, illustriert, broschiert, Fr. 19.90,
Stämpfli, Bern 2015, ISBN 978-3-7272-1448-6

 

Ohne Schmerz
kein Preis?
Musikerspezifische Krankheitsbilder

Dank spezifischen Abklärungen in musikermedizinischen
Spezialsprechstunden können Musikerinnen und Musiker heute gezielt behandelt
werden.


Gesundheitliche Beschwerden können heute in interdisziplinären musikermedizinischen Sprechstunden beziehungsweise in den Praxen der beteiligten Fachpersonen beurteilt werden. Ihre Störungen und Krankheiten lassen sich so gezielt behandeln. Letztere lassen sich dabei im Wesentlichen einteilen in musikerspezifische Krankheitsbilder sowie allgemein häufige Krankheitsbilder mit besonderer Bedeutung für Musizierende.


Krankheitsbilder sind musikerspezifisch, wenn die Symptome im direkten Zusammenhang mit dem Musizieren stehen. Nicht selten werden entsprechende Probleme auch bei Angehörigen anderer Berufe beobachtet, wenn ähnliche ergonomische Herausforderungen und psychologische Umstände vorliegen.


Die Fachpersonen streben eine möglichst präzise Diagnostik an. Sie schlagen dazu die in ihrem Fachgebiet üblichen diagnostischen und diagnostisch-technischen Abklärungen vor. Ihre musikermedizinische Kompetenz erlaubt ihnen die Analyse der prädisponierenden und der auslösenden Faktoren sowie die Erarbeitung eines therapeutischen Konzeptes. Leider werden Symptome von Betroffenen – zum Teil aus nachvollziehbaren Gründen – zu häufig verdrängt beziehungsweise verschwiegen, oder sie werden ohne Diagnostik mit teilweise untauglichen Mitteln behandelt.


Häufig müssen Intensität und zeitliche Staffelung des Musizierens angepasst werden. Ergonomische Anpassungen am Instrument sind in einem gewissen Umfang möglich. Arbeitsplatzanpassungen scheinen dabei deutliche Grenzen gesetzt. An kaum einem Arbeitsplatz eines Produktionsbetriebes arbeiten Menschen auf so engem Raum wie in einem Orchester. In keiner Bibliothek teilen sich zwei Leser ein Buch so wie sich zwei Musikerinnen ein Notenpult in heikler Distanz teilen. Zumindest im klassischen Musikbetrieb bestehen Kleidervorschriften, und kein Musiker erbringt seine Spitzenleistung so leicht bekleidet wie ein Langstreckenläufer, wie sehr er auch schwitzen mag.


Wie Abklärungen erfolgen – ein Fallbeispiel


Ein Hausarzt überweist einen 19jährigen Flötisten wegen Schmerzen in den Bereichen der Beugeseite des rechten Handgelenkes und der Streckmuskulatur am rechten Unterarm. Pro Tag spielt er 30 Minuten Klavier und 3 bis 4 Stunden Flöte ‒ mit einer Pause. Die Schmerzen verspürt er schon seit drei Jahren. Sie treten vorwiegend am Zweitinstrument Klavier auf. Die Beschwerden, inzwischen auch im Nacken, haben zwei Jahre zuvor mit Hilfe einer Craniosakraltherapie gelindert werden können. Nachdem die Vorgeschichte erhoben ist, wird der Flötist körperlich untersucht, und sein Spiel mit der Flöte wird mit einer Videokamera aufgenommen.


In einer zweiten Sitzung stellt sich der Musiker in der interdisziplinären musikermedizinischen Sprechstunde vor. Festgestellt werden eine muskuläre Insuffizienz im Bereich der Brustwirbelsäule sowie ein Überlastungssyndrom der rechten Unterarmmuskulatur. Eine dynamische Ultraschalluntersuchung schliesst ein dyna-
misches Karpaltunnelsyndrom – eine positionsabhängige Kompression des Nervus medianus durch Muskulatur – aus. Der Flötist erhält Empfehlungen hinsichtlich der Spielhaltung an der Flöte und für ein spezielles Coaching durch eine spezialisierte Therapeutin oder Pädagogin sowie Hinweise auf die Bedeutung von Pausenplanung und die präventive Wirkung körperzentrierter Techniken. Zur Behandlung der muskulären Insuffizienz am Rücken und der Unterarmmuskulatur verordnet ein Musikerarzt eine aktive muskelaufbauende Physiotherapie.


Muskuläre Überlastung
(overuse)


Sehnenprobleme


Chronische myofasziale
Schmerzen


Nervenkompressionen


Hypersensibilität der
Fingerkuppen


Fokale Dystonie


Hautirritationen und
-allergien


Kiefergelenk- und Zahn-
probleme


Glaukom


Innenohrfunktionsstörungen


Stimmbanderkrankungen

Grünes Licht für das Klanghaus Toggenburg

Die St. Galler Regierung hat die Botschaft für den Bau des Klanghauses Toggenburg verabschiedet. Sie beantragt dem Kantonsrat einen Kredit von 19,3 Millionen Franken für die Klangwerkstatt oberhalb von Unterwasser. Das Parlament wird das Geschäft voraussichtlich in der Novembersession beraten.

Simulation «Klanghaus in der Landschaft»: nightnurse images, Zürich

Das geplante Klanghaus soll den Kursort Seegüetli oberhalb von Unterwasser ersetzen, ein Angebot der Klangwelt Toggenburg schaffen und zum musikalischen und architektonischen Zentrum für Naturtonmusik werden. Als Klangwerkstatt mit einzigartiger Akustik soll das Klanghaus sowohl professionelle Musikerinnen und Musiker als auch Laien für Proben, Kurse, Forschung und Experimente anziehen.

Das Raumprogramm des Klanghauses Toggenburg umfasst vier akustisch spezielle Klangräume, die wie ein Instrument gestimmt werden können. Das Gebäude ist als integrale Holzkonstruktion geplant. Der Kanton plant als Bauherr das Klanghaus. Als Betreiber des Klanghauses ist die Klangwelt Toggenburg vorgesehen.

Die Gesamtkosten für den Bau des Klanghauses einschliesslich aller Vorbereitungsarbeiten belaufen sich auf 24,3 Millionen Franken. Davon werden 5 Millionen Franken durch Stiftungen und Gönner finanziert und vor Baubeginn rechtlich verbindlich sichergestellt. Für den Kanton verbleibt ein Kreditbedarf von 19,3 Millionen Franken. Entsprechend untersteht der Kantonsratsbeschluss dem obligatorischen Finanzreferendum. 

Das Projekt Klanghaus der Arbeitsgemeinschaft Meili, Peter Architekten und Staufer & Hasler Architekten stösst auch auf Interesse bei Privaten, bei möglichen Gönnerinnen und Gönnern sowie bei Stiftungen. Ein massgeblicher Teil der privaten Drittmittel sei  bereits zugesichert oder in Aussicht gestellt, schreibt der Kanton. Das Bauvorhaben werde erst in Angriff genommen, wenn die Mitfinanzierung im Umfang von 5 Millionen Franken durch private Geldgeber gesichert sei. 

Nach der Zuleitung der Botschaft an den Kantonsrat wird in der Septembersession die vorberatende Kommission bestellt. Die erste Lesung im Kantonsrat findet voraussichtlich in der Novembersession 2015 statt, die zweite Lesung in der Februarsession 2016. Stimmt der Kantonsrat dem Projekt zu, ist im Jahr 2016 die Volksabstimmung geplant. Bei einer Zustimmung durch den Souverän könnte im Jahr 2018 mit dem Bau begonnen werden.

 

Kneipp-Kur mit Tuba

Ein jazziges Stück für die solistisch eingesetzte Tuba in Begleitung einer überaus bemerkenswerten weiteren Besetzung.

Foto: Elsa/pixelio.de

«Die Tubisten spielen in den Niederungen der Musik, in Tonkatakomben, (…) sie sind halbblinde Tonwichte, sie sind die Bergmänner der Musik, der Fussabtreter des Orchesters.» Mit diesen Worten begann der deutsche Kabarettist Olaf Schubert seine humorvolle Präsentation des Echo-Klassik-Preisträgers 2013, des jungen Tubisten Andreas Martin Hofmeir, anlässlich des Konzertes zur Verleihung des benannten Preises im Berliner Konzerthaus. Der exzentrische Hofmeir, der wie die fast gleichaltrige Patricia Kopatchinskaja barfuss spielt, ist der typische Anti-Star, einer, der alles aufzumischen versucht, in allen Musik-Genres dabei ist und sich daher in keine Schublade stecken lässt: Orchestermusiker, Kammermusiker, Volksmusiker, Popmusiker, Kabarettist, Dozent am Mozarteum Salzburg. Also doch ein Star!

Die Kunst braucht solche Zugpferde, damit Neues entstehen kann. Und wenn einer dies für die «Bergmänner der Musik» in Angriff nehmen kann, dann Hofmeir. So erstaunt es nicht, dass dieser Ausnahmekünstler seinen ungarischen Tuba-Kollegen und Komponistenfreund Roland Szentpali gebeten hat, ein Werk für ihn zu schreiben, um Literatur für sein verkanntes Soloinstrument zu generieren. Szentpali, nur ein Jahr älter als Hofmeir, legte 2014 ein Werk in kurioser Besetzung vor – passend zum Kuriosum Hofmeir –, mit dem er Olaf Schubert Lügen straft: die Chill Fantasy für Tuba, Klavier, Schlagzeug und Streichquintett. Hier wird dem Solisten alles abverlangt, und die Tuba entpuppt sich als ein höchst akrobatisches, agiles und zu unglaublich hohen Tönen fähiges Soloinstrument. Die jazzige Grundausrichtung des Stücks wird durch die Möglichkeit zur freien Improvisation (für Tuba und Klavier) über Jazzharmonien unterstützt, wobei der Komponist für «Nicht-Jazzer» jeweils eine auskomponierte Version anbietet. Ein Solostück für Tuba also, das nur in seiner Dreisätzigkeit einer gewissen Klassiknorm entspricht, ansonsten wohl eher als musikalische Kneipp-Kur zu verstehen bzw. zu geniessen ist – barfuss natürlich!

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Roland Szentpali: Chill Fantasy for tuba, piano, drum set and string quintet, TU185; Partitur und Stimmen Fr. 78.00; Orchesterpartitur Fr. 42.00; Editions Bim, Vuarmarens 2015

Gabi Gans grüsst Günter Geier

Keine Melodie ohne Worte! Im neuen Unterrichtswerk «Alles Gitarre!» von Burkhard Wolters ist jedes Stück mit einem passenden Text versehen.

Ausschnitt aus dem Titelbild

Das grosszügig gestaltete Heft richtet sich an junge Primarschulkinder im Einzel- oder Gruppenunterricht. Die meisten Liedtexte stammen – selbst bei bekannten Volksweisen – vom Autor selbst und beziehen sich in irgendeiner Form auf den musikalischen Inhalt. So gefallen sich Gabi Gans und Günter Geier auf der g-Saite, während Doris Dackel auf der d-Saite dauernd an den dicken Dieter Dachs denkt. Alle Melodien wollen also nicht nur gespielt, sondern auch gesungen werden.

Für fast alle Stücke steht jeweils eine ganze Seite zur Verfügung, sodass trotz grafischen Hilfen, mehrstimmigen Arrangements, zusätzlichen Lehrer-Begleitstimmen und farbigen Illustrationen die Übersicht immer gewahrt bleibt. Jeder Gitarrensaite ist eine bestimmte Farbe zugeordnet. (Im Unterricht können parallel dazu entsprechende Leuchtstifte eingesetzt werden.) Mit grosser Sorgfalt und didaktisch durchdacht werden die Kinder mit ihrem Instrument in die Welt der Töne, des Rhythmus und der Liedbegleitung eingeführt. Nach einer ersten Phase des Daumenspiels auf den Tönen g–d‘ wird der angelegte Wechselschlag gezeigt. Als Begleitung dienen reduzierte Akkorde, die mit dem Zeigefinger auf den drei Melodiesaiten geschlagen werden. Daumen und Wechselschlag werden zu nicht-gleichzeitigem zweistimmigem Anschlag kombiniert, und ebenfalls im Wechsel mit dem Daumen – als Pendelanschlag – wird der «freie» Anschlag des Zeigefingers vorgestellt.

Die relativ rasche Einführung verschiedener Anschlagstechniken eröffnet verschiedene Kombinationsmöglichkeiten im Zusammenspiel der Gruppe. Aber auch für den Einzelunterricht bietet der Band attraktives Material. Die Reihenfolge der zu lernenden Töne folgt keinem bestimmten Schema, sondern ist pragmatisch auf die Eigenheiten des Gitarrengriffbretts abgestimmt. So lernen die Schülerinnen und Schüler zwar das dis‘ und das gis‘ kennen, dafür fehlen einige tiefere Stammtöne; ein passender Anschlusslehrgang eines anderen Autors dürfte gar nicht so leicht zu finden sein. Wir warten deshalb gespannt auf einen zweiten Band!

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Burkhard Wolters, Alles Gitarre!
Schule für Gruppen- und Einzelunterricht;
ohne CD: ED 21710, € 14.00;
mit CD: ED 21710-50, € 19.50;
Schott, Mainz 2014

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