Würdigung für Ralf Weikert

Die Allgemeine Musik-Gesellschaft Zürich (AMG) hat am 26. Januar 2016 dem Dirigenten Ralf Weikert die Ehrenmitgliedschaft verliehen.

Foto: Oli Rust,Foto: Allgemeine Musik-Gesellschaft Zürich

Während einer Feierstunde im Predigerchor der Zentralbibliothek Zürich wurde dem langjährigen musikalischen Direktor des Opernhauses Zürich die Auszeichnung verliehen. Die Laudatio hielt Alois Koch. Ralf Weikert steht damit in einer langen und bedeutenden Reihe von Ehrenmitgliedern der AMG, die von Richard Wagner und Bernhard Romberg bis zu Matti Salminen und David Zinman reicht.

In seiner Laudatio porträtiert Alois Koch die Persönlichkeit Weikerts, würdigt seine grossen Verdienste als «begnadeter Dirigent und begnadeter Lehrer» und zeichnet seine internationale Karriere nach.

Die AMG besteht seit 1812 und wurde durch die Fusion der musikalischen Gesellschaften Zürichs gegründet. Ihre Bibliothek und ihr Archiv besitzen Weltgeltung, sie tritt mit Veranstaltungen und Ausstellungen hervor – sowie mit dem jährlich erscheinenden Neujahrsblatt, dem weltweit ältesten musikalischen Periodikum überhaupt.

www.amg-zürich.ch

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Feierstunde im Predierchor der Zentralbibliothek Zürich am 26. Januar 2016
Laurenz Lütteken, Vizepräsident der AMG, bei der Übergabe der Urkunde an Ralf Weikert

Laudatio für Ralf Weikert

Die Laudatio kann mit Klick auf den blau markierten Link im Wortlaut gelesen werden: Laudatio für Ralf Weikert (mit freundlicher Genehmigung von Alois Koch). 

Gema klagt erfolglos gegen Youtube

Das Oberlandesgericht (OLG) in München hat entschieden, dass Youtube nicht für Urheberrechtsverletzungen in die Pflicht genommen werden kann. Die Richter sehen die alleinige Verantwortung bei den einzelnen Uploadern.

Foto: Rainer Sturm/pixelio.de

Hintergrund des Rechtsstreits ist die Forderung der Gema, dem deutschen Pendant zur Suisa, Musikurheber für die Nutzung ihres urheberrechtlich geschützten Repertoires auf der Plattform Youtube angemessen zu entlohnen. Youtube bezahlt der Gema bislang keine Lizenzvergütung für die Musiknutzung auf ihrer Videoplattform, obwohl sie mit der Musik erhebliche Werbeerlöse erwirtschaftet. Das Urteil des OLG ist noch nicht rechtskräftig. Die Revision wurde ausdrücklich zugelassen.

Nach Ansicht der Gema ist die ungerechte Verteilung der Wertschöpfung in der digitalen Wirtschaft seit vielen Jahren ein Problem für Urheber. Im Online-Bereich werden mit kreativen Inhalten erhebliche Einnahmen erzielt. Wirtschaftlich profitieren bisher aber vor allem Plattformbetreiber wie Youtube, die sich unter Berufung auf Haftungsprivilegierungen ihrer Verantwortung entzögen, Urheber angemessen zu entlohnen. Daher müssten Urheber endlich fair an der Wertschöpfung in der digitalen Wirtschaft beteiligt werden, schreibt die Gema weiter.
 

Aktuelle Schweizer Volksmusik im Fokus

Die Fondation Suisa widmet ihren diesjährigen Anerkennungspreis dem Gesamtwerk einer Komponistin oder eines Komponisten von neuer, aktueller Schweizer Volksmusik. Bewerben kann man sich bis am 26. Februar.

digitalice / pixelio.de

Der Preis der Fondation Suisa ist ein Anerkennungspreis für besonderes Schaffen. Er wird jährlich vergeben an Komponistinnen und Komponisten sowie Verlegerinnen und Verleger, die mit ihrem Schaffen besonders zur Bereicherung des kulturellen Erbes unseres Landes beitragen. Der mit 25 000 Franken dotierte Preis wird jährlich in einer anderen Kategorie vergeben.

Bewerben können sich einzelne Komponistinnen und Komponisten oder Gruppen, die gemeinschaftlich komponieren. Alle Kandidatinnen und Kandidaten müssen einen Bezug zum aktuellen schweizerischen Musikschaffen ausweisen können und das volksmusikalische Komponieren soll einen wichtigen Stellenwert im Gesamtwerk einnehmen. Möglich sind auch Kandidaturvorschläge durch Dritte. Eine Fachjury beurteilt die eingereichten Kandidaturen gestützt auf das Preisreglement.

Für eine gültige Kandidatur sind bis am 26. Februar ein Anmeldeformular und ein Bewerbungsdossier in elektronischer Form einzureichen.

Nachlass Theodor Kirchners digitalisiert

Das Brahms-Institut an der Musikhochschule (MHL) macht den digitalisierten Nachlass des Komponisten Theodor Fürchtegott Kirchner allgemein zugänglich. Rund 9000 Seiten aus der Sammlung des Instituts sind ab sofort auf einer Website verfügbar.

Institutssitz Villa Eschenburg. Foto: Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck, Tomas Szamek

Theodor Fürchtegott Kirchner (1823–1903), Zeitgenosse und Freund von Johannes Brahms, gehörte zu den produktivsten Komponisten des 19. Jahrhunderts. Neben einigen Liedern, einem ambitionierten Streichquartett und kleineren Kammermusikwerken widmete er mit über 1000 Einzelstücken den grössten Teil seines Schaffens dem Klavier. Rund 9000 Einzelseiten aus seinem Nachlass wurden nun über ein Jahr lang bibliothekarisch erschlossen und digitalisiert.

Bestimmend für Kirchners musikalischen Weg war auch die Begegnung und Freundschaft mit Robert Schumann, der 1843 sein Opus 1 wohlwollend besprach und ihn 1853 zu den hochaufstrebenden Künstlern der jüngsten Zeit zählte. Mit der jung verwitweten Clara Schumann verband ihn über mehrere Jahre eine enge Liaison.

In seinen späteren Lebensjahren wohnte Kirchner krank und verarmt in Hamburg, wo er 1903 starb und auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt wurde. Über Kirchners letzten Klavierschüler Conrad Hannss gelangte der Nachlass in das Brahms-Institut.

Mehr Infos: www.brahms-institut.de

Nominierungen für den zehnten Swiss Jazz Award

Radio Swiss Jazz und JazzAscona haben die Kandidaten für den Swiss Jazz Award 2016 nominiert. Ab sofort kann das Publikum online bestimmen, wer Ende Juni 2016 beim Finale in Ascona um die Auszeichnung spielt.

Foto: Swiss Jazz Award

Nominiert sind Benny’s from Heaven (Benny’s From Heaven), Patrick Bianco’s Cannonsoul (Cannonsoul), Sam Burckhardt (Fly Over), Marianne Racine (Sångbook 2) sowie die Sinatra Tribute Band & Max Neissendorfer (A Man And His Music).

Die fünf Künstler und Bands wurden von einer Experten-Jury aus jenen Musikern ausgewählt, die kürzlich ein Album veröffentlicht und von den Hörerinnen und Hörern von Radio Swiss Jazz positive Bewertungen erhalten haben.

Per Online-Abstimmung, die ab sofort bis zum 4. März 2016 auf der Website www.swissjazzaward.ch durchgeführt wird, werden die drei Formationen bestimmt, die sich mit den meisten Stimmen aus der Online-Abstimmung für das Finale in Ascona qualifizieren werden.

Berner Kiwanis Preis 2016 geht an Laura Schmid

Die deutsche Blockflötenspielerin Laura Schmid erhält dieses Jahr den alle drei Jahre vergebenen Kiwanis Musikpreis des Kiwanis Club Bern.

Foto: Laurent Burst

Laura Katherina Schmid hat ihren Master of Arts in Music Pedagogy 2014 an der Hochschule der Künste Bern (HKB) mit Auszeichnung abgeschlossen. Nebst ihren weiterführenden Studien und Projekten unterrichtet sie an der Musikschule der Stadt Luzern. Ihr virtuoser Auftritt sowie ihre Körpersprache und starke Persönlichkeit hätten die Jury einstimmig überzeugt, schreibt die Berner Hochschule der Künste.

Der Kiwanis Musikpreis wird alle drei Jahre für sowohl künstlerisch wie pädagogisch überdurchschnittliche Absolventinnen und Absolventen des Studiengangs Master of Arts in Music Pedagogy ausgeschrieben und mittels Wettbewerb vergeben. Einer aussergewöhnlich hohen pädagogischen Kompetenz, das erworbene Können weiterzugeben, wird dabei grosse Bedeutung beigemessen.

Laure Schmid bestreitet am 1. März 2016, um 20.30 Uhr im Grossen Konzertsaal der HKB an der Papiermühlestrasse 13d ein Preisträgerkonzert.

«Annelies» – ein Oratorium, das Emotionen weckt

Die Lust, ein aussergewöhnliches Werk zu entdecken und durch die Aufführungen bekannt zu machen, stand bei Max Aeberli, dem Leiter des Teamchors Jona, im Vordergrund. Die Suche führte zum Oratorium «Annelies» von James Whitbourn.

Foto: Teamchor Jona,SMPV

«Das Werk Annelies geht unter die Haut», hält Max Aeberli im Gespräch fest, «aber trotz aller Tragik hat das Oratorium sehr viele helle und berührende Momente.» Nach dem Motto «schauʼn mer mal» habe er, notabene mit einem grossen Wissensvorsprung, das Notenmaterial den rund 80 Sängerinnen und Sängern des Teamchores inkl. ad-hoc-Chor vorgelegt. Von der vertonten Zitatensammlung aus dem Tagebuch der Anne Frank sei der Chor zwar von Beginn an sehr ergriffen gewesen, dennoch müssen vor allem Thematik und Aussagen laufend mental verarbeitet werden. «Es bringt mich zum Nachdenken, wie Menschen, gerade in grösster Not, nicht aufgeben, aus dem kleinsten Hoffnungsschimmer Kraft schöpfen, im Glauben Halt finden», führt Aeberli aus und zieht Parallelen zu den derzeitigen Flüchtlingsströmen und den Anschlägen auf unbescholtene Bürger rund um den Erdball. Gleichzeitig spielt er auf die musikalischen Sequenzen an, die das Leben der Menschen während des Holocaust im Schlimmen wie im Guten widerspiegeln.

Anspruchsvoller Part für den Chor
Max Aeberli ist sich bewusst, dass der Titel «Annelies» im ersten Moment irritiert, andererseits soll er aber neugierig darauf machen, was sich dahinter verbirgt. Der Chorleiter spricht von einem glücklichen Zufall, dass er auf das Werk gestossen ist. Vom englischen Komponisten James Whitbourn (geb. 1963) habe er im Rahmen seiner Arbeit mit dem Festivalchor Arosa eine kleine Tondichtung aufgeführt. Im Internet sei er daraufhin unter dessen Namen auf Annelies gestossen. Nach Aussage von Aeberli ist der Bekanntheitsgrad des Oratoriums hierzulande noch gering, was sich aber mit der Schweizer Erstaufführung am 19. März in der katholischen Kirche in Jona gewiss ändern wird. «Der Komponist versteht es hervorragend, die düstere Thematik zeitgenössisch zu vertonen. Annelies ist für die Singenden und Hörenden anspruchsvoll, weckt bei allen garantiert Emotionen und wird nachhaltig Gedanken anstossen.» Er spricht von einer an Vielstimmigkeit gekoppelten Schlichtheit mit wenigen Dissonanzen, die sich immer wieder aufs Schönste auflösen. Grundsätzlich wird das Werk in englischer Sprache gesungen, es beinhaltet jedoch auch wenige deutsche Passagen, wie zum Beispiel das Volkslied Der Winter ist vergangen, ich sehʼ des Maien Schein.

Neue Förderinstrumente der Stadt Bern

Die Kulturförderung der Stadt Bern hat neue Förderinstrumente für die Projektunterstützung in den Sparten Theater und Tanz, Musik, Literatur sowie für die Laienmusik publiziert. Die einzelnen Förderinstrumente werden präziser gefasst.

Zoro Babel am letztjährigen Berner Musikfestival. Foto: Philipp Zinniker

Im Laufe des vergangenen Jahres hat die städtische Kulturabteilung zusammen mit den Kulturförderkommissionen und Vertretungen der freien Szene die Merkblätter grundlegend überarbeitet und modernisiert. Neue und offene Formulierungen ermöglichen es nun, auch kurzfristig auf aktuelle Anforderungen an die Kulturförderung zu reagieren.

Der Begriff der «Projektbeiträge» ist in allen Sparten breit definiert, in allen Sparten steht neu das Förderinstrument «pauschale Programmförderung» zur Verfügung. Mit der pauschalen Programmförderung können in der Szene gut eingeführte, beständige Formationen oder Kleinveranstalter jeweils für ein Jahr unterstützt werden und müssen nicht für jede einzelne Veranstaltung ein separates Gesuch stellen.

Als Unterstützung im Bereich Musik steht neu auch das Instrument «Werkstipendium» zur Verfügung, mit dem einzelne Musikschaffende oder -gruppen speziell unterstützt werden können. Das Merkblatt zur Unterstützung der Laienmusik wurde ebenfalls neu gefasst und publiziert. Neu werden alle Gesuche auf Unterstützung für Konzerte von Laienorchestern, Blasmusiken oder von Chören direkt von der Abteilungsleitung nach einem festen Raster beurteilt.

Zu den Merkblättern: www.bern.ch/themen/kultur/kulturforderung/projektbeitrage

 

Wettbewerb für Geigerinnen und Geiger

Im Rahmen des Festivals Murten Classics veranstaltet die Valiant Bank einen Solistenwettbewerb. Junge Violinistinnen und Violinisten können sich bis am 19. Februar bewerben.

Schloss Murten. Foto: WikimediaCommons/Roland Zumbühl/Picswiss.ch,SMPV

An den Sommerfestspielen Murten Classics treten jeweils renommierte Solisten, Ensembles und Orchester auf. Das Festival findet von Mitte August bis Anfang September in der malerischen Stadt Murten statt. Hauptaufführungsort ist der Hof des mittelalterlichen Schlosses. Die Kulisse sowie der Blick auf den Murtensee und den Mont Vully verleihen den Konzerten eine einzigartige Mischung von Kultur und Natur.
Die Förderung von jungen Musikern ist ein zentrales Element der künstlerischen Zielsetzung von Murten Classics. In Zusammenarbeit mit Valiant führt Murten Classics seit 16 Jahren das Valiantforum durch, einen Wettbewerb für junge Künstler.
In diesem Rahmen findet im Jahr 2016 zum zweiten Mal ein Solistenwettbewerb statt. Der diesjährige Wettbewerb richtet sich an junge Violinistinnen und Violinisten. Er besteht aus einer internen Vorausscheidung anhand eingereichter Dossiers und Videoaufnahmen, aus einem teilweise öffentlichen Wettbewerb in zwei Runden sowie aus einem öffentlichen Preisträgerkonzert mit Orchester, das im Rahmen von Murten Classics durchgeführt wird.

Mit einem Dossier können sich Violinisten und Violinistinnen bis am 19. Februar bewerben. Sie müssen entweder das Schweizer Bürgerrecht besitzen oder an einer Hochschule für Künste in der Schweiz eingeschrieben und nach dem 31. Dezember 1989 geboren sein. Die Vorausscheidung findet am 30. und 31. März 2016 in Murten statt.
Aus der zweiten Runde werden drei Preisträger eingeladen, die am Dienstag, 30. August 2016, um 20.00 Uhr im Rahmen von Murten Classics je einen Teil des Preisträgerkonzertes bestreiten.
Sie werden vom Kurpfälzischen Kammerorchester Mannheim unter der Leitung von Johannes Schläfli begleitet.

Vorgespielt wird eines der Mozart-Violinkonzerte KV 207, 211, 216, 218 oder 219. Die Jury legt die Rangliste anlässlich des Preisträgerkonzertes fest.
Die Preissumme beträgt 5500 Franken. Wer gewinnt, tritt 2017 als Solist beim Festival Murten Classics auf, ist während eines Jahres Valiant-Künstler und wird bei Valiant-Anlässen nach Möglichkeit eingesetzt.
Die Jury kann in Zusammenarbeit mit weiteren Konzertveranstaltern zusätzliche Sonderpreise sprechen.

Die Wettbewerbsunterlagen sind erhältlich unter
www.valiant.ch/murtenclassics

oder anzufordern bei 
jacqueline.keller@murtenclassics.ch

Weitere Informationen zum Festivals Murten Classics
www.murtenclassics.ch

Petition für eine kindergerechte Klarinette

Im Nachgang des an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) durchgeführten Schweizerischen Klarinettentages ruft die Schweizerische Klarinettengesellschaft die Instrumentenbauer auf, ein geeignetes Instrument für den frühen Einstieg auf der Klarinette auf den Markt zu bringen.

Otmar Smit / fotolia.com

Um den sinnvollen Einstieg auf der Klarinette für jüngere Kinder zu gewährleisten, brauche es zwischen der sogenannten «Tigerklarinette», die in Hoch G gestimmt ist, und der bestehenden C-Klarinette ein neues Instrument mit ausgebauter Applikatur, ebenfalls in Hoch G gestimmt.

Eine solche müsse unter anderem leichtgewichtig, mit ausbalancierten Gewichtsverhältnissen sein, sie solle auf bestimmte heikle Klappen verzichten und so robust gebaut sein, dass sie wenigstens fünf Jahre gut spielbar bleibe. Eine solche Klarinette liege in den natürlichen Tonlage der singenden Kinder und weise zudem genau die richtige Länge auf, um das Kind in der idealen Körperstellung mit perfekt angewinkelten Armen musizieren zu lassen.

In den letzten Jahrzehnten ist in Sachen Klarinetten ein deutlicher Nachwuchs-Rückgang zu verzeichnen. Während andere Instrumente einen eigentlichen Boom erlebten, verliere die Klarinette stetig an Boden. Die Klarinettenpädagogen versuchten hier seit Jahren mit Engagement und Kreativität Gegensteuer zu geben, dennoch sei der Wendepunkt noch nicht erreicht, schreibt die Schweizerische Klarinettengesellschaft weiter.
 

Wie der Bund die musikalische Bildung fördert

Der Bund fördert die musikalische Bildung von Kindern und Jugendlichen seit 2012. 2016 werden die Massnahmen erweitert und das neue Programm «jugend+musik» lanciert.

Foto: highwaystarz / fotolia.com

Seit vier Jahren fördert der Bund die musikalische Bildung auf der Grundlage des Kulturförderungsgesetzes. Die Kompetenzen des Bundes wurden erweitert durch den von Volk und Ständen am 23. September 2012 angenommenen Verfassungsartikel 67a BV (Musikalische Bildung). 2016 beginnt eine neue Förderperiode.

In der neuen Förderperiode 2016-2020 werden die bestehenden Massnahmen zur Förderung der musikalischen Bildung fortgeführt und ausgebaut. Namentlich sollen Musikformationen, Musikwettbewerbe und Musikfestivals verstärkt unterstützt werden.

Die wichtigste Neuerung besteht in der Einführung des Programms «jugend+musik»Dieses hat zum Ziel, Kinder und Jugendliche zur musikalischen Aktivität zu führen und damit ihre Entwicklung und Entfaltung unter pädagogischen, sozialen und kulturellen Gesichtspunkten gesamtheitlich zu fördern.

Neu besteht auch eine Regelung, die Musikschulen verpflichtet, allen Schülerinnen und Schülern sowie allen Berufsfachschülerinnen und -schülern bis zum Abschluss der Sekundarstufe II Tarife anbieten, die deutlich unter den Erwachsenentarifen liegen. Ferner sollen die Schulen den besonders begabten Schülerinnen und Schülern Spezialtarife anbieten, die sich nach der Zahl der besuchten Unterrichtseinheiten richten.

Wie viel Geld ist für die Förderung der musikalischen Bildung vorgesehen? Das Parlament verabschiedete im Rahmen der Beratung zur Kulturbotschaft 2016-2020 einen Zahlungsrahmen in der Höhe von insgesamt 17,3 Millionen Franken. Von den durchschnittlich rund 3,5 Millionen Franken pro Jahr sind dabei durchschnittlich rund 2,5 Millionen Franken jährlich für das Programm «jugend+musik» bestimmt.

Die Einführung des Programms «jugend+musik»
Das Programm basiert auf drei Säulen: Aus- und Weiterbildung von «jugend+musik»-Leitenden, Musikkurse und Musiklager.

1) Aus- und Weiterbildung von «jugend+musik»-Leitenden: Das Programm bildet Leitende aus, die Kinder und Jugendliche im Rahmen von Kursen und Lagern in Musik unterrichten und Freude an der Musik vermitteln. Die j+m-Leitenden sind zu regelmässiger Weiterbildung verpflichtet. Die Ausbildung erfolgt im Rahmen eines mehrstufigen Modulsystems. Angehende j+m-Leitende absolvieren ein Grundmodul sowie weitere Module in Pädagogik und Musik.

2) Musikkurse: Das Programm unterstützt Musikkurse für Kinder und Jugendliche, die von einem zertifizierten j+m-Leitenden durchgeführt werden. Die Kurse müssen mindestens zehn Lektionen umfassen und es müssen mindestens fünf Kinder oder Jugendliche daran teilnehmen. Die Beiträge pro Teilnehmerin und Teilnehmer werden jährlich durch das BAK auf der Basis von fixen Ansätzen festgelegt. Die Leiterinnen und Leiter entscheiden im Rahmen gewisser Eckwerte selber über die Verwendung der Programmbeiträge (Infrastruktur, Entlöhnung Lehrpersonen usw.), was einen möglichst bedarfsorientierten Mitteleinsatz sicherstellt.

3) Musiklager: Das Programm unterstützt Musiklager für Kinder und Jugendliche, die von einem zertifizierten j+m-Leitenden durchgeführt werden. Die Lager dauern zwischen zwei und sieben Tagen und es müssen mindestens zehn Kinder oder Jugendliche daran teilnehmen. Es werden ebenfalls Beiträge gestützt auf fixe Ansätze ausgerichtet. Die Lager müssen in aller Regel in der Schweiz stattfinden, um ein gutes Kosten-/Nutzenverhältnis zu erreichen und die Wertschöpfung in der Schweiz zu behalten.

Es ist geplant, das Programm etappenweise einzuführen: Ausbildungen zum j+m-Leitenden werden ab 2016 angeboten. Musikkurse und Musiklager werden ab 2017 unterstützt. Für die Gesuchsbearbeitung ist eine externe Stelle zuständig, die das Programm im Auftrag des BAK abwickelt. In Rahmen eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens ist dieser Auftrag an Res Publica Consulting AG vergeben worden.

Die Teilnahmevoraussetzungen für die Aus- und Weiterbildung sowie die Förderkriterien für die Unterstützung von Musikkursen und Musiklagern sowie weitere Details finden sich im Förderungskonzept des Eidgenössischen Departements des Innern, unter folgendem Link:
http://www.bak.admin.ch/kulturschaffen/04250/04255/05057/index.html?lang=de

Walkman – unterwegs mit meiner Musik

1979 auf den Markt gebracht, hat der Walkman den Musikgenuss revolutioniert, indem er das Hörerlebnis an jedem beliebigen Ort und zu jeder beliebigen Zeit möglich machte.

Foto: halfpoint – fotolia.com
Walkman - unterwegs mit meiner Musik

1979 auf den Markt gebracht, hat der Walkman den Musikgenuss revolutioniert, indem er das Hörerlebnis an jedem beliebigen Ort und zu jeder beliebigen Zeit möglich machte.

Alles begann ausgerechnet in der Schweiz, genauer gesagt in den Wäldern rund um St. Moritz. Wir befinden uns im Februar 1972 und Andreas Pavel spaziert mit seiner Verlobten durch die Wälder, die das Engadiner Dorf umgeben. Es schneit, sie sind inmitten der Natur und beschliessen, ihr Experiment zu starten. Sie setzen sich die Kopfhörer auf, Pavel drückt die Wiedergabetaste am Stereobelt, den er vor Kurzem konstruiert hat, und es läuft Push Push von Herbie Mann und Duane Allman, ihr damaliges Lieblingsstück. «Plötzlich war es, als ob wir flögen», wird er Jahrzehnte später erzählen, «ein unglaubliches Gefühl. Ich besass ein Gerät, mit dem ich das ästhetische Potenzial jeder beliebigen Situation vervielfachen konnte.»

Der Stereobelt war ein modifiziertes Diktiergerät mit einem Hi-fi-Lesekopf und zwei Ausgängen für die Kopfhörer, befestigt an einem Gürtel mit Fächern für die Batterien und einen Vorrat an Audiokassetten. Andreas Pavel, ein kosmopolitischer Philosoph und Designer deutscher Herkunft und in Brasilien aufgewachsen, hatte ihn in einem Mailänder Laboratorium zu seiner eigenen Unterhaltung entwickelt. Als er das Gerät patentieren liess und den grossen Elektronikfirmen anbieten wollte, bekam er eine klare Absage. Fast höhnisch fragten sie, wer sich denn jemals von der Welt abschotten wolle, um Musik zu hören?
 

1979: Der Walkman von Sony

Im Jahr 1979 brachte Sony den Walkman auf den Markt. Masaru Ibuka, Mitbegründer des japanischen Unternehmens, war es leid gewesen, für seine zahllosen Geschäftsreisen ein grosses Gerät in den Koffer zu packen, um seine bevorzugten Stücke zu hören. Deshalb hatte er die Firma beauftragt, eine kompakte Version davon zu entwickeln, die man auf sich tragen konnte, mit «Wiedergabe» als einziger Funktion und optimiert für den Gebrauch mit Kopfhörern. Die Idee, im Gehen Musik zu hören, gefiel dem anderen Sony-Gründer, Akio Morita. Und so wurde der Walkman geboren, der seinen Namen der damaligen Popularität von Superman sowie dem tragbaren Aufnahmegerät Pressman verdankte, dessen folgerichtige Weiterentwicklung er war. 

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Mädchen in Sportkleidern
Es zeigt einen Walkman und eine Kassette – die winzig klein aussehen. Das Bild aus der damaligen Werbung fasst sowohl die Idee des jugendlichen Tatendrangs und als auch der Bewegungsfreiheit perfekt zusammen.

Interessanterweise hatte der erste Walkman, auf ausdrücklichen Wunsch von Akio Morita und genau wie der Stereobelt, ebenfalls einen doppelten Ausgang für die Kopfhörer, so dass zwei Personen gleichzeitig hören konnten. Zusätzlich war er mit Mikrofonen und einer Taste «Hotline» ausgestattet. Damit wurde die Wiedergabe leiser gestellt und die beiden Personen konnten miteinander sprechen, ohne die Ohrstöpsel abzusetzen. Moritas Angst war die gleiche, die schon den Stereobelt am Aufkommen gehindert hatte, und wurde durch die Skepsis der ersten Wiederverkäufer bestätigt: Sie waren misstrauisch gegenüber einer entfremdenden Technologie, die die Leute dazu drängte, sich in unhöflicher Weise abzusondern, um ihre eigene Musik zu hören. Der Erfolg des Walkmans fegte aber jede Befürchtung beiseite: In den zwei ersten Monaten der Vermarktung wurden 30 000 Stück verkauft, und schon bald verlor er den doppelten Ausgang sowie die «Hotline»-Funktion,weil man es offensichtlich vorzog, das modische Gadget allein zu besitzen. Im Lauf der Zeit konnte die Marke Walkman die Technologie weiterentwickeln und schuf fortlaufend eigene, neue, tragbare Lesegeräte für CD und MP3. Bis heute wurden mehr als 200 Millionen Exemplare verkauft, während Andreas Pavel erst vor wenigen Jahren endlich den Rechtsstreit gegen den japanischen Koloss Sony um die Anerkennung seines Patents gewonnen hat.

Ein Symbol der Unabhängigkeit

Der Walkman – oder der Stereobelt, wenn man so will – kann ebenso wie Radio oder Fernsehen als eine der grossen Erfindungen betrachtet werden, die unseren Lebensstil im 20. Jahrhundert veränderten. An der Pressekonferenz zur Präsentation ihres Produktes im Juni 1979 brachte Sony die Journalisten in den Park Yoyogi in Tokyo. Sie erhielten Walkmans, um damit frei umherzugehen und sich eine Aufnahme anzuhören, die sie zu verschiedenen Demonstrationen von Jugendlichen führte. Diese fuhren Fahrrad oder skateten und benutzten ihrerseits einen Walkman. Der ganze Werbefeldzug drehte sich um die Unabhängigkeit in der Bewegung und den jugendlichen Tatendrang, auf den auch der Name des Produkts hinweist. Schon seit gut zwanzig Jahren existierten zwar tragbare Transistorradios, die – nicht allzu bequem – in der Hemdtasche steckten und die man mit Kopfhörern benutzen konnte. Der Walkman hingegen war revolutionär, weil er seinen Besitzern nicht nur Bewegungsfreiheit gab, sondern auch und vor allem die Freiheit in der Auswahl dessen, was sie hören und wann sie dies tun wollten. Er war die Antwort auf den Wunsch nach einem auf persönliche Bedürfnisse zugeschnittenen Musikkonsum, wechselnd und nomadenhaft im Vergleich zum Radiohören, das schon naturgemäss eine äusserliche Gemeinschaft herstellt. Man kann sagen, dass Radio und Fernsehen die Welt ins Innere der Häuser brachten, aber dass man mit dem Walkman begann, etwas von der eigenen häuslichen Intimität – die innerliche Intensität des abgeschiedenen Genusses seiner Lieblingsmusik und die Emotionen, die sie hervorrief – in die Aussenwelt zu tragen. Dadurch wurde die Wahrnehmung der Aussenwelt radikal verändert.

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Die ersten Modelle des Walkmans hatten zwei Ausgänge für Kopfhörer und eine «Hotline-»Taste für die Kommunikation der beiden Hörer. Man hatte Angst, ein Gerät, das zu sehr zur Isolation verleitet, könnte erfolglos bleiben.

Der Walkman-Effekt

Wenn man sich ein Paar Kopfhörer aufsetzt, kann man nicht nur auswählen, was man hören möchte, sondern auch, was man eben nicht hören möchte. Heutzutage begegnet man in einer städtischen Umgebung selten jemandem, der ohne Ohrstöpsel oder riesige Markenkopfhörer unterwegs ist. Das ist die pandemische Ausbreitung der allerersten soziologischen Auswirkung des Walkmans, die bereits 1984 von Shuhei Hosokawa beobachtet und in einer der ersten Studien «Walkman-Effekt» genannt wurde. Damit bezeichnete er den Gebrauch dieses Geräts als eine Schutzstrategie vor allem, was unangenehm ist in einer Stadt: der Lärm, die aufgezwungene Interaktion mit anderen Personen, die Überreizung aller Sinne. Mit den seither entwickelten technologischen Äquivalenten ist es heute offensichtlich unumgänglich geworden, taub zu sein gegenüber der lautstarken Invasion unserer Kultur. Am Anfang jedoch, als er noch seltener war, wurde der Walkman von vielen Menschen als störend empfunden (wie Akio Morita es vorausgesagt hatte), weil er eine Abschottung erzeugte, die die Beziehung zum Nächsten aus dem Gleichgewicht brachte. Wer ein solches Gerät benützt, verstärkt das eigene Erlebnis durch eine Tonspur, die er selbst auswählt und die seine Wahrnehmung der Wirklichkeit verändert, während derjenige, der mit ihm in Kontakt tritt, sich ausgeschlossen fühlt und irritiert ist. Durch die akustische Isolation, die andere Wahrnehmungen begünstigt, wird die Kommunikation beeinträchtigt.

Die Ästhetisierung der Wirklichkeit

Die Einstellung gegenüber dem Walkman war zu Beginn also ambivalent. Es wäre einfach gewesen, das Gerät zu verteufeln: Es hätte genügt, die Aufmerksamkeit auf die geistige Verarmung des Einzelnen zu lenken, der sich der Masse angleicht, indem er ein Modeprodukt benützt, um schlussendlich durch die Musik das eigene Unbehagen zu lindern statt gegen eine Welt anzukämpfen, die ihm nicht entspricht. Dennoch verpflichten sein kommerzieller Erfolg und seine technische Entwicklung, die von der Musikkassette bis zum mit unendlichen musikalischen Bibliotheken verknüpften Smartphone führte, auch dazu, die positiven Aspekte und das wirkliche Bedürfnis zur Kenntnis zu nehmen: Der Walkman und seine Nachfolger sind Mittel zur Bestätigung der eigenen Identität geworden, dadurch dass sie die Erfahrung der Wirklichkeit definieren und kontrollieren.

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Der Walkman, 1979 in den Handel gebracht: Innerhalb der ersten zwei Monate wurden 30 000 Exemplare verkauft.

Das geschieht in erster Linie, indem «der Realität eine Klangspur hinzugefügt wird». Sowohl Andreas Pavel als auch viele zu den Anfängen des Walkmans Befragte, gebrauchten wortwörtlich diesen Ausdruck. Das tagtägliche Erlebnis des Musikgenusses im inneren Raum der eigenen Kopfhörer nimmt ein filmisches Ausmass an. Der Beobachter wird zum Regisseur und der Beobachtete zum ahnungslosen Schauspieler. Es ist eine Art von Voyeurismus im Widerspruch zwischen der wirklichen Welt und jener empfindsam gesteigerten Welt des Beobachters. Passivität und Nichtübertragbarkeit steigern die reine Schönheit des Augenblicks. Das ist aber nur der erste Faktor einer kunstsinnigen Besiedlung der Realität, durch die der Hörer sich wieder der umgebenden Welt anpasst und die Kontrolle über viele ihrer Dimensionen übernimmt. Der junge Mann, der Musik ab seinem iPod hört und rennend unterwegs ist, kontrolliert seine räumliche Bewegung durch den Rhythmus der Musikstücke, der Pendler, der lange Strecken in den öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen muss, versucht, die Zeit rascher vorbeigehen zu lassen, indem er sich mit Musikhören zerstreut; der Angestellte unterdrückt seine Gedanken und stabilisiert seine eigene Stimmung, während er seine Lieblings-CD hört bis zum Moment, in dem er den Fuss ins Büro setzt, während der Junge sich auf den Pisten des Skateparks selber anfeuert, indem die Playlist seiner bevorzugten Slammer läuft. Und offensichtlich alle, sowohl die in einem überfüllten Zug als auch jene auf der Strasse, zu schöne oder zu scheue oder solche, die nicht in der richtigen Stimmung sind, kontrollieren ihre sozialen Interaktionen und entscheiden über ihre eigene Erreichbarkeit. Sie tauchen ab in eine Blase aus Tönen, in eine Welt, die sie lieben, weil sie total privat und hedonistisch ist, geschaffen aus der Musik, für die sie sich entschieden haben und mit der sie eine enge Beziehung eingehen können.

Ob während der begrenzten Minuten einer Audiokassette oder in der virtuellen Unendlichkeit der Streaming-Portale: Diese Musik, die man häufig geniesst, ist nicht ein bestimmtes Album, sondern eine Zusammenstellung, eine Wiedergabeliste, hergestellt, um die Wirklichkeit persönlich zu gestalten und angepasst an bestimmte wiederkehrende Situationen. Es sind genau die Musikstücke, die wir brauchen für eine bestimmte Strecke, einen bestimmten Ort, bei einem bestimmten Wetter, um einzuschlafen, um zu studieren, um Erinnerungen an Personen oder Situationen wachzurufen. Und im Wesentlichen, um die eigene Identität auszudrücken und die eigene private Welt zu definieren, in der man frei ist, sich selber zu sein.
 

Gianluigi Bocelli

… ist Gitarrist, Musikologe und Schriftsteller
 

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Freiheit – im Plural neu betrachtet

Die zweite Version von Patrick Franks Theorieoper «Freiheit – die eutopische Gesellschaft», wird am 13. Februar in der Zürcher Gessnerallee gegeben.

Aufführung des Werks in Donaueschingen 2015. Foto: Astrid Karger/SWR
Freiheit – im Plural neu betrachtet

Die zweite Version von Patrick Franks Theorieoper «Freiheit – die eutopische Gesellschaft», wird am 13. Februar in der Zürcher Gessnerallee gegeben.

Wer die Website von Patrick Frank besucht (www.patrickfrank.de), der bekommt erste Eindrücke: Es geht offenbar nicht nur um einen Komponisten, sondern auch um einen Kulturwissenschaftler. Franks Medium ist Musik, dazu kommt, dass er in Zürich den einzigen analogen Fotoautomaten der Schweiz betreibt, dass er Vorträge über gesellschaftliche Themen hält, ironische Werbeclips macht, aber auch umfassende Musiktheater und Konzertinstallationen konzipiert wie eben Freiheit – die eutopische Gesellschaft.

Der Komplex ist untertitelt mit «Kuratorenkomposition und Theorieoper». Patrick Frank sagt, dass es sich um eine «Konzeption verschiedener Disziplinen unter einem Dach» handle, ferner um so etwas wie eine «Kulturdiagnose in Form eines Happenings, einer Performance, eines Konzertsymposions». Begriffe bringen nicht immer alles auf den Punkt. Gerade heute nicht, wo nicht mehr klar ist, was linke oder rechte Haltungen sind oder was man unter «Freiheit» verstehen soll. Kann der beredte Komponist und Kulturwissenschaftler da helfen? Für Frank ist Freiheit erstmal eine ziemlich ambivalente Kategorie – und offenkundig eine sehr aktuelle: siehe Flüchtlingsströme, siehe Erstarkung des Rechtspopulismus, siehe in der Schweiz die Perversion des vermeintlichen Allheilmittels Demokratie ins Antidemokratische.

Mauerfall als Höhepunkt
Frank ist nicht naiv. Er weiss, dass seine Kunst weder Revolutionen auslösen noch Widerstand fördern kann. Eines aber kann sie: Diagnosen geben von gesellschaftlichen Zuständen. Im ersten Akt, so Frank, «gehen wir davon aus, dass Freiheit eine Utopie war und für Freiheit gekämpft wurde. Es gab zahlreiche Freiheitsrevolutionen im 19. Jahrhundert. Freiheit war also noch keine gesellschaftliche Realität. Wir untersuchten also die Frage, wie die westliche Kultur den Wert ‹Freiheit› interpretiert und allmählich realisiert hat. Das grosse Ereignis, was schliesslich die vermeintliche Realisation von Freiheit auch massenmedial wirksam machte, war der Mauerfall und der Fall des ideologischen Gegners ‹Kommunismus›.»

Solche Thesen erinnern an das Buch Das Ende der Geschichte des amerikanischen Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama. Frank aber schafft in seiner theorielastigen Kunst besonders einprägsame Konstellationen. Per Video eingeblendet singt David Hasselhoff Looking for Freedom an der gefallenen Berliner Mauer, dazu rekapituliert ein Sprecher die Ereignisse am 11. September, davor gab es Erwägungen übers Wesen der Postmoderne. Der Komplexität und Widersprüchlichkeit des Themas entspricht der Charakter eines Kollektivwerks mit Beiträgen anderer Komponisten und Philosophen. «Mir war es wichtig», sagt Frank, «verschiedene Geister mit dem Thema Freiheit zu konfrontieren. Was dann schliesslich daraus resultiert, das war für mich selber eine Überraschung und eine Uraufführung. Genau das habe ich beabsichtigt, da das Thema ‹Freiheit› auch für mich längst nicht zu Ende gedacht ist.»

Mit Psychoanalyse und Kulturkritik
Folgerichtig ist für Frank auch sein Projekt nicht abgeschlossen. Mit überwiegend positiver Resonanz kam Freiheit – die eutopische Gesellschaft in einer ersten Version im Rahmen der Donaueschinger Musiktage im Oktober 2015 zur Aufführung. In der Gessnerallee Zürich wird der Komplex in einer zweiten Fassung mit veränderter Besetzung und anderer Dramaturgie am 13. Februar gegeben. Neben den Komponisten Martin Schüttler und Trond Reinholdtsen konnte Slavoj Žižek gewonnen werden. Er gilt als ein kontrovers diskutierter Philosoph, der wahlweise der Psychoanalyse oder der Kulturkritik zugerechnet wird. Žižek passt gut zu diesem ereignisreichen Abend, der auf alle Fälle eines bewirken dürfte: Er weicht so manche viel zu oft verknotete Gehirnwindung auf.
 

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Jürg Frey: Das Spiel mit der Stille

Der Schweizer Komponist und Klarinettist Jürg Frey wurde 1953 in Aarau geboren, wo er heute auch lebt. Unter Thomas Friedli studierte er am Conservatoire de Musique de Genève und betätigte sich danach als Klarinettenlehrer und Komponist. Fast seit deren Anfang war Jürg Frey Teil der zur Gruppe Wandelweiser, die 1992 von Antoine Beuger und Burkhard Schlothauer gegründet worden war, und zu der nebst gleichgesinnten Komponisten auch ein Noten- und Tonträgerverlag gehören. Frey hat unter anderen an der Universität der Künste, Berlin, der Universität Dortmund sowie an der Northwestern University und am California Institute of the Arts Workshops geführt. In Aarau organisierte er die Konzertserie Moments Musicaux Aarau als ein Forum für Gegenwartsmusik. Dieses Gespräch wurde im November 2015 am Huddersfield Contemporary Music Festival geführt.

Jürg Frey in Huddersfield im November 2015. Foto: Brian Slater/HCMF

1973, als Sie zwanzig waren, welche Musik haben Sie damals so gehört?
Jürg Frey: Mein Einstieg geschah über Free Jazz und von da aus zur Zeitgenössischen Musik. Klassik war auch da, aber am Rande. Das Studium war dann klassisch. Der Saxofonist John Surman gefiel mir sehr gut, zumal ich zu der Zeit selber viel Saxofon spielte.

Die englische Szene hat Ihnen mehr zugesagt als die amerikanische?
Ich habe das Gefühl, dass dies tatsächlich so war. Klar – Christian Wolff, ein Amerikaner, aber vor allem auch Cornelius Cardew, ein Engländer. Selbstverständlich habe ich aber vieles gehört. Auch Stockhausen, Boulez, Nono. Aber es gibt ja immer Sachen, die man hört, und Sachen, die einen elektrisieren. Und das waren schon Cardew, das Scratch Orchestra, und Christian Wolff. Ebenfalls sehr beschäftigt hat mich das Album, das die Rockband Deep Purple mit einem Orchester aufnahm. Wie ich mich erinnere fand ich das unglaublich. Vor zwei Jahren habe ich es mir wieder einmal angehört. Es war nicht mehr so interessant, musikalisch. Aber sozial war das sicher ein interessantes Experiment.

Was ging Ihnen durch den Kopf bei der gestrigen Aufführung der beiden Quartette in der St. Paul’s Hall?
Mit dem Ensemble Quatuor Bozzini arbeite ich schon lange zusammen. Isabelle Bozzini, die Cellistin, sagte mir gestern, dass die erste Aufführung von den beiden Stücken im Jahr 2001 stattfand. Seither waren wir immer in Kontakt. Es war sicher eine der besten Aufführungen, die ich erlebt habe von den zwei Stücken, sehr konzentriert. Das andere war das: So ein Saal, mit so vielen Leuten, das ist für mich ungewöhnlich. Es war eine schöne Erfahrung, zu sehen, dass es möglich ist, dass ein ganzer Saal so lange konzentriert bleiben kann. Es war gut zu erfahren, dass die Musik einen Saal trägt über eine ganze Stunde. Das hängt einerseits von der Interpretation ab, aber es ist auch dem Stück zuzuschreiben. Das Stück kann das.

Können Sie den Vorgang des Komponierens beschreiben?
Ich fange mit einer Wolke an, wo noch überhaupt nichts klar ist. Ich schreibe einfach Sachen auf. Der Vorgang des Schreibens ist wichtig, einfach schreiben, ich liebe das. Manchmal sind es Sachen, die sind gar nicht im Stück, das ich schaffen will. Es ist nicht so, dass ich mir sage: Das kommt am Anfang, das in der Mitte, das am Schluss. Ich arbeite viel mit Skizzenbüchern, schreibe und zeichne von Hand. So fliege ich in der Wolke nach oben, bis ich sehe, dass sich an gewissen Orten gewisse Sachen etwas verfestigen, dass dort etwas zu finden sein könnte. Das ist dann der Moment, wo man zwei Stockwerke hinunter geht im Haus und sich ans Klavier setzt. Man weiss aber natürlich schon jetzt, wie es tönen wird. Aber der Kontakt zum Machen des Klanges ist wichtig. Und eigentlich ist es auch gut, etwas Bewegung zu haben zwischenhinein. So ist es dann, wie wenn sich die Wolke zu Material verdichtet.

Wie beim Dichten. Ein Satz fällt ein, ein anderer, ein anderer, plötzlich sieht man einen stimmungsmässigen Zusammenhang und schiebt die Sätze zusammen.
Genau. Das kann man sich so vorstellen. Ein paar Sachen sind intuitive Entscheidungen, aber es gibt auch ganz rationale Entscheidungen.

Das klingt recht spielerisch. Spielt der Zufall eine wichtige Rolle?
Es mag ein bisschen spielerisch klingen, wenn man das so sagt. Aber es ist kein Spiel. Ich arbeite nicht mit Zufall wie es Cage gemacht hat. Man stellt gewisse Fragen, und sucht dann Antworten.

Können Sie beschreiben, wie Sie Stille entdeckt haben?
Schon meine ganz ersten Stücke aus den 70er-Jahren sind sehr ruhig. Es gab nicht eine Entdeckung in dem Sinn. Es gibt ja Kollegen, die machten am Anfang heavy Musik, und sind dann auf einmal leise geworden. Bei mir war es schon am Anfang still, aber dann gab es eine Verschärfung auf die Stille. Das war anfangs der 90er-Jahre. Das hängt auch mit Wandelweiser zusammen. Die Gruppe war damals gerade am Entstehen. Das war die Initialzündung, dass diese Leute zusammenfanden. Es hatte die Radikalisierung der Möglichkeiten zur Folge. Man kann in einem Stück auch mal zehn Minuten still sein! Dies nicht im Sinne von Cage, wo man dann alles andere hört, sondern im Sinne von einer Entscheidung im Stück, wo man einem Block Stille zuschreibt wie einem anderen Block Töne. Es ist nicht eine Pause in dem Sinn. Es ist wie ein Statement. Das Stück ist 30 Minuten, aber man hat zwischen der 12. und der 22. Minute Stille. Ich habe das sehr architektonisch wahrgenommen.

Für mich hat Ihre Musik eine fast körperlich wirkende Ausstrahlung in dem Sinne, dass sie Räume schafft, die das Fliessen von Gedanken geradezu erzwingen. Sie selber reden ja oft von Architektur und Räumlichkeit. Die Stille quasi wie der Innenhof eines Gebäudes? Der Wandelgang?
Das habe ich jetzt grad vorhin genau so gedacht aber nicht gesagt, und nun sagen Sie es. Ich habe oft das Bild von einem Platz, einem Innenhof. Das Wichtige am Platz ist der Ort, wo die Häuser nicht stehen. Diese Vorstellung steckt drin – wie die Stille beeinflusst wird durch das, was vorher war. Bei der Rezeption der Stille kann man nichts kontrollieren. Der eine denkt das, der andere etwas ganz anderes … Und dann plötzlich ist die Musik zurück, und – schwupps – die Konzentration ist wieder da.

Die Beschäftigung mit Stille und Absenz von Tönen, hat das eine sozialkritische Komponente? Ist es der bewusste Versuch, gegen das Chaos der heutigen Informationsbeschallung anzukämpfen?
Das ist ein bisschen ein Nebeneffekt. Es ist nicht mein Antrieb. Ich will nicht sagen: So viel Lärm rundum, wir brauchen wenigstens in der Musik einen ruhenden Pol. Das ist es nicht, was mich interessiert. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich eine Art Gegenwelt kreiere. Chaos und Lärm im Inneren hat nichts damit zu tun, dass es draussen lärmig ist. Es würde mich auch zu stark einengen. Manchmal habe ich den Gedanken gehabt, dass die ganz reduzierte Art meiner Arbeit vielleicht eine Reaktion war in den 90er-Jahren auf die Wirtschaft, auf das Anhäufen von Geld und auf das exzessive «grösser, lauter, höher». Aber auch das war kein bewusster Gedankengang.

Mit den Repetitionen, den langsamen Wechseln, die in Ihrer Musik solche Spannung erzeugen, scheint diese einiges mit der Arbeit von gewissen Musikern gemeinsam zu haben, die im Bereich der elektronischen angesiedelt sind. Hören Sie so etwas, Aphex Twin zum Beispiel?
Ich muss sagen, nein. Brian Eno, ja. Den kenne ich natürlich. Als er in den 80er-Jahren in mein Blickfeld kam, war ich selber noch am Suchen. Aber es ist nicht so, dass ich die Szene genauer verfolge.

Was heisst Composer in Residence in Huddersfield konkret für Sie?
Ich darf über das ganze Festival hinweg hier sein. Ich konnte bestimmen, was von meiner Musik gespielt wird. Ich konnte eine Wunschliste schicken, und viele von den Wünschen sind erfüllt worden, mit den Leuten, mit denen ich es machen wollte. Am Morgen führe ich einen Meisterkurs über Komposition mit ein paar Studenten. Ich konnte die Installationen einrichten. Im Ganzen gab es mir die Möglichkeit, die Essenz meiner Arbeit aus den letzten zehn Jahren zusammenzustellen und ihr einen Fokus zu geben. Das ist ein echtes Privileg.

Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie die Installationsorte ausgesucht?
Vor einem Monat bin ich zwei Tage hergekommen und habe ein Dutzend Orte angeschaut, zusammen mit dem Tontechniker. Etliche Räume sind weggefallen, weil sie zu laut waren. Ich konnte damals entscheiden, welche Räume wir gebrauchen wollten. Zum Beispiel das Museum für die Landschaft mit Wörtern für drei Lautsprecher, Klänge und einzelne Wörter. Für mich ist das einerseits ein Textstück, andererseits auch ein bisschen ein Stillleben – Trauben, Hühner, Dörrfrüchte und jetzt sind es halt Wörter: Stein. Schwarzwasser. Eine andere Installation wurde in der Byron Arcade eingerichtet. Ein altes Gebäude, drei Stockwerke rund um einen Innenhof mit allerhand kleinen Läden und einem Café. Dort sind dann kleine Pfiffe und Piepser zu hören, wie Vogelgeräusche. Das ist dann eher wie eine Komposition. Eine Raumgeschichte. Die einzelnen Piepser sind wie Lichttupfer im ganzen Raum verteilt. Akustisches Licht.

Wie sind Sie damals den Wandelweiserleuten begegnet?
Ich war ja einer der ersten. Die Freundschaft, die schon vorher bestand, war mit Antoine Beuger. Wir haben uns getroffen im Künstlerhaus Boswil in der Schweiz, dort gab es 1991 ein Kompositionsseminar das hiess «Stille Musik». Es war zwar eigentlich keine Stille Musik, aber von dort an hatten wir Kontakt. Dann hat er mit der Wandelweiseridee angefangen. Ich bin 1993 dazu gestossen, es war ein ganz natürlicher Vorgang.

Vorher haben Sie isoliert im stillen Kämmerlein vor sich hin gewirkt?
Das ist richtig, ja.

Frustriert?
Nein, überhaut nicht frustriert. Ich hatte damals die Vorstellung, das ist halt so für einen Komponisten. Ich hatte nicht viele Aufführungen, aber das hat mir überhaupt nichts ausgemacht. Es war ein Bild, das ich mir durchs Lesen über Künstler gemacht hatte. Ich dachte, das ist normal, dass man arbeitet und sich niemand dafür interessiert. Das hat sich ja jetzt geändert.

Wie oft kommt die Wandelweisergruppe zusammen?
In den ersten zehn Jahren häufiger als heute. Das war ja unglaublich spannend damals, plötzlich hat man gemerkt, dass es ein paar andere Leute gab, die auch meinten, sie seien die einzigen, die so radikal stille Sachen machen. So wurde es vor allem eine künstlerische Diskussionsgruppe. Das ist daran eigentlich immer noch das Interessanteste. Ein Stück schreiben, zusammen spielen und besprechen. Wir sind immer in Österreich für eine Woche zusammengekommen. Jeder hat ein, zwei Partituren mitgebracht. Am Montagmorgen sind wir alle um den Tisch gehockt, und haben die Sachen ausgepackt, wie Geschenke. Und man hat geschaut, was gibt es für Möglichkeiten, dass man das alles innert einer Woche zusammenbringt und etwas draus macht. Diese Diskussionen waren für mich einmalig. Diese Freude über die Superstücke, die man vor sich hatte, und es war toll, dass andere sich für deine Sachen interessiert haben. Das haben wir zehn, zwölf Jahre durchgezogen. Ein anderes Beispiel. Bei einem Konzert gab es keine fixe Bestuhlung und wir konnten die Stühle hinstellen wie wir wollten. Daraus entstand dann eine vierstündige Grundsatzdiskussion, die eigentlich eine Diskussion über das Komponieren war. Jetzt sind wir 20 Jahre älter. Die essentiellen künstlerischen Fragen sind geklärt. Mit 60 ist das nicht mehr so dringlich. Von dem her ist es eine normale Entwicklung. Bei der Mitgliedschaft gibt es immer ein bisschen Änderungen. Eine der Schwierigkeiten wenn man älter wird ist die Gefahr des Verkrustens. Nun passiert mit Wandelweiser etwas Schönes, es heisst Wandelweiser und so weiter. Eine neue Generation. Simon Reynell zum Beispiel, er führt das Plattenlabel Another Timbre für frei improvisierte Musik. Er hat gemerkt, dass Wandelweisermusik auch von der improvisierenden Szene gespielt wird. Er hat unseren Katalog durchforstet nach Stücken, welche diese Szene spielen könnte und hat Aufnahmen gemacht, sechs CDs bis jetzt.

Wie sehen Ihre Pläne nach Huddersfield aus?
Ich werde komponieren. Wenn ich wieder dran bin, dann bin ich das jeden Tag, drei, vier Stunden lang. Die Zeit wird einfach frei gestellt dafür, egal, ob ich dann wirklich Zeichen aufs Blatt setze oder ein bisschen lese oder sonst wie herumbäschele. Es ist ein Zeitraum, den ich mir immer gebe, wo alles im Zeichen des Komponierens steht. Das ist ganz wichtig. Eine simple Strategie, die funktioniert.

Gibt es ein konkretes neues Projekt?
Es gilt, ein Chorstück fertigzustellen. Es wird am 2. April in London uraufgeführt werden. Exaudi heisst der Chor, acht Solostimmen sind es.

Die neuesten CDs von Jürg Frey

Quatuor Bozzini, Lee Ferguson, Christian Smith: Jürg Frey – string quartet no.3 unhörbare zeit (Edition Wandelweiser)

Philip Thomas, Piano: Jürg Frey – Circles and Landscapes (Another Timbre).

www.wandelweiser.de
www.anothertimbre.com/index.html

Nachtrag 18. Juli 2023

2022 erhielt Jürg Frey einen Schweizer Musikpreis

https://www.juergfrey.com

Der King des Festivals

Das Huddersfield Contemporary Music Festival gehört zu den wichtigsten Festivals im Bereich der neuen Musik. 1978 wurde es gegründet. Seit zehn Jahren ist der Schotte Graham McKenzie sein Direktor. Anders als bei anderen Festivals bestimmt hier kein Komitee über Konzept, Inhalt und Verlauf des Festivals. Graham McKenzie ist allein verantwortlich für die Programmgestaltung und alle anderen Aspekte der Veranstaltung.

Graham McKenzie am HCMF 2014. Foto: HCMF
Der King des Festivals

Das Huddersfield Contemporary Music Festival gehört zu den wichtigsten Festivals im Bereich der neuen Musik. 1978 wurde es gegründet. Seit zehn Jahren ist der Schotte Graham McKenzie sein Direktor. Anders als bei anderen Festivals bestimmt hier kein Komitee über Konzept, Inhalt und Verlauf des Festivals. Graham McKenzie ist allein verantwortlich für die Programmgestaltung und alle anderen Aspekte der Veranstaltung.

Wie sah Ihre Laufbahn aus, bevor Sie nach Huddersfield kamen?
Graham McKenzie: Ich studierte nie Musik. Mein Berufsleben begann als Sozialarbeiter in London. Daneben war ich ein grosser Jazz-Fan. Einmal im Monat stieg ich am Freitag in den Nachtbus nach Paris, besuchte dort den New Morning Jazz Club und kaufte auf dem Markt neue Platten. Dann nahm ich den Nachtbus nach Amsterdam und ging in zwei, drei andere Klubs. Dank dem Overnight-Bus am Sonntagabend konnte ich am Montag rechtzeitig wieder zur Arbeit erscheinen. Das sprach sich herum, und mit der Zeit wurde ich immer öfter angefragt, ob ich nicht Konzertkritiken und Interviews schreiben wolle.

War die Szene in Paris und Amsterdam so viel besser als in London?
Überall, wo man wohnt, scheint die Szene anderswo besser zu sein.

Aber schon damals gab es in London den Vortex Club und die London Musiciansʼ Coop?
Schon, aber da liefen andere Sachen. Die freien Improvisierer bekamen nie viel Arbeit in London. Sowieso, ich befasste mich auch gern mit Rockmusik. So bekam ich eines Tages den Auftrag, einen Bericht über das Pink Pop-Festival in Holland zu schreiben. Es sollte drei Tage dauern, ich blieb fast zwei Jahre. In dieser Zeit vertiefte ich mein Interesse an experimenteller Musik. Nach neun Jahren gab ich den Job als Sozialarbeiter auf, um zu schreiben – aber nicht Musikjournalismus, sondern Theaterstücke. Eines davon steht immer noch im Lehrprogramm der schottischen Schulen. Dann wurde Glasgow zur «City of Culture» gekürt. Weil ich mich einerseits im Sozialwesen, andererseits im Kulturbetrieb auskannte, wurde ich eingeladen, bei der Konzeptualisierung des Festivals mitzuwirken. Nebenher organisierte ich Konzerte mit Künstlern, die ich gern selber sehen wollte – Linton Kwesi Johnson, John Cooper Clarke, Anthony Braxton, Marilyn Crispell und viele andere. Die letzte Station vor Huddersfield war das Direktorenamt im Centre for Contemporary Arts in Glasgow (CCA).

Beginnt die Planung des Huddersfield Contemporary Music Festival bei einem bestimmten Thema?
Ich hasse Themen! Nur nie ein thematisch ausgerichtetes Programm! Programme sind etwas für faule Programmgestalter. Zudem fügt es der Sache noch eine weitere Schicht Intellektualität hinzu, und das ist nun wirklich das letzte, was diese Musik braucht. All die, die sich eher am Rande für die Musik interessieren, die Neugierigen, sie müssen nun nicht nur versuchen, die Musik zu verstehen, sondern auch noch das Thema. In Huddersfield bin ich in einer wunderbaren, privilegierten Position. Ich brauche mich vor keinem Komponistenkomitee oder sonst einem Gremium zu verantworten. Alles, was hier geschieht, ist mein Fehler.

Was wir also an diesem Festival zu sehen bekommen, ist die Musik, die Sie in den letzten paar Jahren für sich entdeckt haben?
So ist es. Natürlich gibt es Projekte, an denen man jahrelang dran herumtüftelt, und Künstler, mit denen man über lange Zeit arbeitet, oder arbeiten möchte. Als ich hier ankam, hatte ich das Gefühl, das Festival sei ein bisschen gar akademisch geworden in der Ausrichtung. Das Programm drehte sich in immer engeren Kreisen. Es schien mir, man sei mit dem Publikum 25 Jahre älter geworden. Die Relevanz war geschwunden. Das wollte ich ändern.

Wie breit spannen Sie nun den stilistischen Bogen?
Für mich reicht das Spektrum von Noise bis Orchesterwerken, mit allem, was dazwischen steht, Elektronika, Improvisation, Installationen, Sound Art, und so weiter. Ausserdem ist es mir wichtig, dass sich das Publikum von Lokalität zu Lokalität begeben muss, um so die verschiedensten Klangerfahrungen machen zu können. So begannen wir in diesem Jahr mit dem Klangforum Wien, einem fantastischen Kammermusik-Ensemble. Danach ging’s hinüber in die Bates Mill für ein Konzert, das sehr visuell war, mit viel Elektronik und sogar einem Hauch Dubstep. Jemand ging heute frühzeitig aus einem Konzert hinaus und beschwerte sich: «Graham McKenzie, will der unsere Ohren ruinieren?» Für diesen Typus Mensch stelle ich mein Programm nicht zusammen. Wenn der glaubt, heute sei es laut gewesen, hätte er 1974 dabei sein sollen bei Led Zeppelin!

Haben Sie auf diese Art tatsächlich ein jüngeres Publikum anlocken können?
In meinem ersten Jahr waren etwa 3% des Publikums zwischen 17 und 25 Jahre alt. Heute sind es etwa 28%.

Ein sehr durchmischtes Publikum, das ist mir auch aufgefallen.
Viele Festivals für Neue Musik machen sich Sorgen, wie sie ein jüngeres Publikum anziehen könnten. Das Publikum wird jünger, wenn man jüngere Komponisten und Musiker einlädt! Als ich in Glasgow das CCA führte, war es selbstverständlich, dass man sich mit der nächsten Generation von Kunststudenten befasste. Im Bereich der Neuen Musik dagegen wollten die Leute ständig, dass ich irgendwelche 70. und 80. Geburtstage feierte. Selbst bei den Musikverlegern herrschte die Haltung vor, dass ein Komponist nicht wirklich Komponist genannt werden konnte, wenn er nicht mindestens sechzig Jahre alt war. In meinem ersten Jahr in Huddersfield war Yannis Kyriakides composer in residence, ein Zypriote, der in Amsterdam lebt. Er war damals 37 Jahre alt. Bei der Pressekonferenz zur Lancierung des Festivals stand ein Journalist auf und empörte sich sehr: «Wie können Sie diesen jungen Mann zum composer in residence ernennen, wenn es all die grossen, alten, ignorierten Meister gibt?» Meine Antwort darauf war kurz: «Wollen Sie eine weitere Generation von grossen, alten, ignorierten Meistern kreieren?»

Sie sagten vorher, in Amsterdam habe es eine andere Szene gegeben als in London. Können Sie heute noch ähnliche Unterschiede ausmachen?
Die Länder, die mich am meisten interessieren, wo mir die Szene am vitalsten und innovativsten scheint, sind Länder, wo es für einen Musiker möglich ist, in verschiedenen Genres gleichzeitig zu wirken. Es ist seit langer Zeit eine grosse Schwäche in Grossbritannien, dass man in eine Schublade gesteckt wird, aus der man nicht mehr hinausgelassen wird. Szenen, die in den letzten Jahren globale Spuren hinterlassen haben, Norwegen etwa, zeichnen sich dadurch aus, dass man dort kaum eine Aufteilung in Genres kennt. Man kann Komponist sein und gleichzeitig Folkmusiker, Improvisierer, oder gar Installationskünstler. Es schadet der Karriere nicht. Dieses Kategoriendenken in Grossbritannien ist wirklich ungesund. Als ich zum Direktor von Huddersfield ernannt wurde, beschwerte sich ein Kritiker in einer grossen Tageszeitung: «Ein Disaster – KcKenzie ist ein Jazz-Mann, der wird Huddersfield in ein Jazz-Festival verwandeln.» Ein Jazz-Kritiker aus Glasgow antwortete mit einem Leserbrief: «Nur keine Angst, der hat am Glasgow Jazz Festival seit zwanzig Jahren nichts programmiert, was ich als Jazz verstanden hätte.»

Was hat Sie dazu bewogen, sich auf diese 3-jährige Verbindung mit der Schweizer Szene einzulassen?
Wenn ich ausländische Komponisten und Musiker einlade, dann auch mit dem Gedanken im Hintergrund, dass sich ein Austausch mit englischen Musikern entwickeln könnte. Dass man die Möglichkeit schaffen könnte, Synergien auszulösen. Mir geht es um eine fluide, langfristige Zusammenarbeit mit Potenzial für die Zukunft. An Showcases bin ich nicht interessiert. Natürlich habe ich seit längerem das Schaffen von gewissen Schweizer Künstlern verfolgt, Jürg Frey zum Beispiel. Oder Alfred Zimmerlin. Arturo Canales. Ich glaube, Andri Hardmeier von Pro Helvetia war zum Teil ein bisschen überrascht, für welche Komponisten ich mich besonders interessierte. Und auch das macht eine solche Verbindung spannend. Manchmal braucht es den Blick von aussen, um die Sachen herauszuschälen, die auch ausserhalb einer bestimmten Szene besondere Bedeutung haben können.

Wie haben Sie die Standorte für die Klang-Installationen von Jürg Frey ausgewählt?
Jürg kam nach Huddersfield, und wir haben diverse Orte begutachtet und dann die passenden ausgesucht. Ich schreibe den geladenen Komponisten nicht vor, welche Stücke sie uns bringen sollen. Es ist wichtig, ihnen die Möglichkeit zu geben, sich so darzustellen, wie sie sich heute, in diesem Moment, sehen. Es wäre sinnlos, wenn ich das Programm für einen Komponisten oder ein Ensemble zusammenstellen würde, um in England seine Identität aufzubauen – und dann stellt es sich heraus, dass sie inzwischen etwas völlig anderes machen! Mir selber passierte es vor zwei Jahren, dass ich an eine Aufführung von einem meiner Theaterstücken eingeladen wurde. Ich fand das ganz interessant – aber die Person, die das Stück geschrieben hatte, war eine ganz andere als die, die nun dasass und staunte. Bei der Programmierung geht es mir darum, die jetzige Gemütslage eines Künstlers zu zeigen, nicht die, wie ich sie mir vorstelle, nachdem ich am Flohmarkt eine dreissig Jahre alte Platte gefunden habe, die mir gefällt.

Huddersfield liegt ja nicht unbedingt im Zentrum der Welt. Was für ein Publikum kommt während der Woche ans Festival?
An den Wochentagen kommen 40% des Publikums aus dem Umkreis von einer Autofahrstunde. Huddersfield befindet sich jedoch durchaus an einem zentralen Ort – nämlich ungefähr in der Mitte zwischen Leeds und Manchester. Nach Sheffield und York ist es auch nicht weit. Und es ist durchaus möglich, am Abend ein Konzert zu besuchen und mit dem Zug noch zurück nach Liverpool oder Newcastle zu kommen. Aber wir verkaufen auch Tickets in Japan, USA, Kanada und ganz Europa.

Mit dem Huddersfield Contemporary Music Festival verhält es sich also ganz ähnlich wie mit unabhängigen Plattenfirmen klassischen Stils, wo ein, zwei Musikfans über das Programm entscheiden, und man weiss: Vielleicht gefällt einem nicht alles, was da erscheint, aber auf jeden Fall ist alles irgendwie interessant.
So ist es. Es liegt an mir, dazustehen und sagen: «Leute, das ist interessant!» Als Kurator darf man nur sich selber gefallen wollen. Sobald man sich zu überlegen anfängt, ob eine bestimmte Sache einem bestimmten Publikum gefallen könnte, laufen die Dinge gewöhnlich schief. Man muss an die Sache glauben. Umso schöner ist es dann, wenn es klickt. So waren die Reaktionen auf das Werk von Jürg Frey für mich eine regelrechte Offenbarung. Die BBC hat ihn nicht nur auf Radio 3 gefeatured, wo man es noch erwartet hätte, sondern auch auf BBC 6, wo man sonst eher Gitarren und Schlagzeuge hört. Eine Rock-Zeitschrift ist ebenfalls gekommen. Sowas ist natürlich grossartig. Aber ich bin auch arrogant genug, zu glauben, dass wenn mir etwas gefällt und Ihnen nicht, Sie es schlicht noch nicht verstanden haben und es dann schon noch verstehen werden. Andererseits muss ich schon auch zugeben, dass mir nicht unbedingt alles gefällt, was hier gespielt wird. Zum Beispiel bin ich kein Fan von Noise. Dennoch bin ich der Meinung, dass diese Musik hierher gehört. Meine Faustregel ist die: Bei jeder Auflage des Festivals erlaube ich mir fünf Konzerte, die mir entweder zutiefst missfallen oder von denen ich schwer enttäuscht bin. Mehr als fünf, und ich bin im falschen Job. Dann muss ich gehen.

Danke sehr für das Gespräch! Möchten Sie noch etwas hinzufügen?
Irène Schweizer. Ich war der einzige, der Irène Schweizer nach Glasgow gebracht hat. Vor langer Zeit hat sie mal ein Album mit einer Gruppe von indischen Musikern aufgenommen. Seit zwei Jahren bin ich daran, sie zu bearbeiten, dass sie in Huddersfield ein ähnliches Experiment wagen sollte. Ich hoffe wirklich sehr, dass es zustande kommt!

www.hcmf.co.uk

 

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Plakat des Huddersfield Contemporary Music Festival 2015

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