Tartinis Theorie des dritten Tones

Beim Spielen von Zweiklängen auf der Geige erklingt ein dritter Ton. Die Schweizerin Angela Lohri hat sich in ihrer Dissertation anhand von Quellen aus dem 18. und 19. Jahrhundert mit den Kombinations-, Differenz- und Summationstönen beschäftigt.

Foto: Tobias Kunze/pixelio.de

1714 entdeckte der 22-jährige italienische Geiger und Komponist Giuseppe Tartini, dass beim Spielen von Zweiklängen auf seiner Geige ein dritter Ton («terzo suono») erklingt. Ab 1728 machte er dieses Phänomen für die Zöglinge seiner Schule zur fundamentalen Regel für die Einstimmung, was europaweit bekannt wurde. 1754 und 1767 publizierte er seine Forschungen und diskutierte sie u. a. mit Leonhard Euler. Tartini berichtete, schon Platon hätte davon gewusst und es als ein Zeichen der Weltseele gedeutet: «(…) die Harmonie des Universums ist der ganze Baum; die Musik ist davon ein Ast, jedoch notwendigerweise von gleicher Natur und Wurzel, was die der menschlichen Spezies angeborene Musik offensichtlich beweist, da sie allein befähigt ist zur Wissenschaft der Zahl. In diesem Sinne gibt es in der Zahl Wissen und Natur, (…) und in diesem Sinne ergibt sich die Möglichkeit, den Baum über den Ast zu entdecken, das Ganze vom Teil aus (…)»

Diese harmonikale Sicht Tartinis wird in der heutigen Forschung wieder vermehrt beachtet, besonders seit die neurologischen Erkenntnisse über Zusammenhänge zwischen Ohr und Gehirn zugenommen haben. Die ganzzahlige Ordnung der Obertöne, die allen Klängen immanent ist, wird physiologisch als grundlegend bei der alltäglichen Tonerkennung angeschaut. In den letzten 300 Jahren fanden Forscher immer neue Wege, dem oder besser den Kombinations-, Differenz- und Summationstönen auf die Spur zu kommen.

Die Schweizerin Angela Lohri breitet in ihrer Dissertation die Komplexität und Vielschichtigkeit des Phänomens anhand von Primärquellen mit Fokus auf das 18. und 19. Jahrhundert aus und erklärt die Unterschiede. Sie kommt auf Tartinis ganzheitliche Betrachtung zurück: Der dritte Ton sei der Bass des Zweiklangs und ihrer gemeinsamen Obertöne, also die Einheit in der Vielheit; die Obertöne wiederum stellen die Vielheit in der Einheit dar. Um dies zu illustrieren komponierte er 26 zweistimmige Piccole Sonate für Violine, ohne den Bass dazu zu schreiben: der entstehe von selbst. Tartini wehrte sich gegen die Einseitigkeit von zeitgenössischen Gelehrten und Musikern und betonte, seine Theorie gelte physikalisch (die Kombinationstöne entstehen in der Luft), harmonikal (siehe obiges Zitat) und musikalisch-praktisch als Einheit.

Zum musikalischen Aspekt trägt Lohri Wesentliches bei: Auf Saiteninstrumenten ohne Bünde wie der Violine kann man zwei syntonische Töne (mit ganzzahligen Verhältnissen) spielen und mit den Kombinationstönen exakt kontrollieren, da diese auch bei kleinsten Veränderungen des Fingers auf der Saite sehr deutlich reagieren. Z.B. beim Tritonus kann man den harmonischen Kontext (ist der untere oder der obere Ton der Leitton?) verdeutlichen, hat man doch bei subtiler Einstellung zwei verschiedene Kombinationstöne zur Auswahl! Lohri berichtet von ihren Hörexperimenten mit verschiedenen Geigen und Saiten, wie sie bisher Pierre Baillot und Michelangelo Abbado ähnlich durchgeführt haben. Diese Studien führten sie auch nach Stockholm, wo sie mit einer Streichmaschine noch exakter arbeiten konnte. Das Problem mit der temperierten Stimmung wird philosophisch angegangen, indem Hans Kayser und Dieter Kolk zu Worte kommen: Toleranz zwischen Idee und Wirklichkeit sucht sich mit begrenztem Spielraum einen Weg durch «unsere ganzen Natur- und Geistesbetrachtungen».

Meine Empfehlung zum Studium dieses Buches für Musiker, Instrumentenbauer und als Anlass zu weiterführenden Forschungen untermauere ich mit je einem Zitat von Angela Lohri: «Die Bedeutung der Kombinationstöne liegt … in ihrer Wirkung und Eignung als Methode zur Sensibilisierung der Tonvorstellung … Ihre mathematisch-harmonikalen Eigenschaften verraten uns mehr über das tiefere Wesen der Musik.» Und von Gerhard Mantel: «Streicher an Musikhochschulen verwenden 70-90 Prozent ihrer Übungszeit auf die Verbesserung der Intonation.» Das gedruckte Buch ist sehr hilfreich beim Studium, das viel Vor- und Zurückblättern nötig macht. Der fehlende Index wird vorteilhaft ersetzt durch eine perfekte Suchfunktion bei der elektronischen Variante.

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Angela Lohri, Kombinationstöne und Tartinis «terzo suono», 316 S., 94 Abb. und Notenbsp., freier Download, Paperback € 49.99, Hardcover € 55.99 Schott, Mainz 2016,
ISBN 978-3-95983-079-9

 

Luzerner Anerkennungspreis Für Christov Rolla

Die Stadt Luzern ehrt mit ihrem Kunst- und Kulturpreis den Bildenden Künstler Peter Roesch. Anerkennungspreise gehen an die Übersetzerin Ute Birgi-Knellessen sowie den Musiker Christov Rolla.

Cristov Rolla (Bild: zvg)

Der 1977 im luzernischen Seetal geborene Christov Rolla studierte nach dem Erwerb des Primarlehrdiploms am Lehrerseminar Hitzkirch Chorleitung und Musikpädagogik an der Akademie für Schul- und Kirchenmusik Luzern. Rolla ist hauptberuflich als freier Theatermusiker tätig.

Mit dem Johanneschor Kriens und dem A-Cappella-Ensemble Integral ist Rolla auch als Chorleiter tätig. Daneben ist er Pianist und Co-Texter der Chanson-Formation Canaille du jour, festes Mitglied der Lesebühne The Beauties and the Beast (Loge Luzern), und er schreibt regelmässig Kolumnen für 041 – Das Kulturmagazin sowie das Werklehrmagazin Werkspuren. Rolla lebt in Luzern.

Der Luzerner Stadtrat würdigt das Schaffen des Künstlers Peter Roesch mit dem Kunst- und Kulturpreis 2017 der Stadt Luzern. Dieser ist mit 25‘000 Franken dotiert. Die Anerkennungspreise an die Übersetzerin Ute Birgi-Knellessen und an Christov Rolla sind mit je 10’000 Franken dotiert.


 

Der Opernhimmel in neuer Beleuchtung

Eine neue Reihe der Edition Breitkopf bietet Arienalben, die nach Stimmlage und -fach geordnet sind. Kommentare zu dem Stücken sowie sprachliche, methodische und stilistische Tipps vervollständigen die Ausgaben.

Foto: Roland Ster/flickr.com

Die Edition Breitkopf hat sich darangemacht, das Opernsängerrepertoire neu zu ordnen – welch löbliches Unterfangen! Das Besondere: Die Auswahl der Arien erfolgte nach stimmlichen Kriterien, nach Umfang, Tessitur und Rollentyp, und hiermit wird eine grosse Lücke geschlossen. Kaufte man bisher ein Arienalbum hatte man es meist mit Werken über alle Fächergrenzen hinweg zu tun, da passten vielleicht fünf oder sechs Arien zum eigenen Profil …

Das Anliegen der nun hier vorliegenden Repertoiresammlung ist es, gutes Notenmaterial zusammenzustellen, es übersichtlich zu gliedern und benutzerfreundlich zu präsentieren. Das geschieht durch die Ordnung nach Stimmfächern. Was interessant ist einerseits für Hochschulstudierende und -dozierende, andererseits aber auch für schon im Berufsleben stehende Sänger, die ihr Fachrepertoire erweitern wollen, an einen Fachwechsel denken oder sich auf Theatervorsingen vorbereiten. Die Sammlung enthält sowohl gängige Vorsingarien des jeweiligen Stimmfaches, integriert aber auch weniger bekanntes und schwerer zugängliches Material, zum Beispiel der klassischen Moderne.

So sind die ersten beiden von vier Bänden für Sopran erschienen: Band 1: Lyrische Koloratur und Band 2: Lyrisch – untergliedert in lyrisch-leicht und lyrisch-schwer. Es folgen, wie der Verlag verlauten lässt, Ende 2017 noch die Bände Dramatische Koloratur und Dramatischer Sopran.

Wir finden in diesem ersten Band für Koloratursopran eine erfreulich breite und vielfältige Auswahl vor, die von Händels Alcina zu Mozarts Blondchen, über Lakmé, Juliette und Olympia bis hin zu moderneren Rollen wie der straussschen Zerbinetta und Cunegonde aus Candide von Leonard Bernstein reicht. 27 Arien umfasst dieser Band, ergänzt wird er durch eine CD-ROM mit Arientexten in Originalsprache, sowie deutschen und englischen Übersetzungen der Texte.

Ein Anhang enthält des Weiteren Einzelkommentare zu den Arien: Tonumfang und Spieldauer, ihre Positionierung im Handlungskontext der Oper sowie deren Inhaltsangabe, Charakterisierung der Figur und als Sahnehäubchen quasi: methodische Hinweise aus sängerischer Sicht, gesangstechnische und stilistische Tipps (man «hört» in diesen Kommentaren quasi eine erfahrene Gesangslehrerin, wie sie jeder von uns sicher schon mal hatte – und das sogar zweisprachig …).

Die mit den beiden Sopranbänden und drei Baritonbänden begonnene Reihe soll fortgesetzt werden für Alt, Bass, Mezzo und Tenor und 2019 ihren Abschluss finden.

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OperAria. Repertoiresammlung hg. von Peter Anton Ling und Marina Sandel, je € 29.80, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2017

Bisher erschienen:

Sopran:
lyrisch – Koloratur EB 8867
lyrisch EB 8868

Bariton:
lyrisch EB 8877
lyrisch-dramatisch EB 8878
dramatisch 8879;


Tagwacht auf dem Drumset

Claus Hessler forscht nach den Ursprüngen von Trommelsignalen und wie sie in verschiedene Schulen von Rudimental Drumming übernommen wurden.

Claus Hessler. Foto: Florian Alexandru Zorn

Die Aktivitäten in den militärischen Garnisonen wurden durch die Trommeln bestimmt. Spezifische Trommelstücke gaben den Soldaten das Signal zur Tagwacht, zur Versammlung, zu Inspektionen, zum Essenfassen oder zur Nachtruhe. Von den Soldaten wurde erwartet, dass sie sich mit den Trommelsignalen vertraut machten und den Befehlen unverzüglich Folge leisteten. (Freie Übersetzung aus www.warnersregiment.org)

Das Camp & Garrison Duty ist ein Katalog von traditionellen Trommelstücken. Deren Weg von den Anfängen in der britischen Armee bis zum modernen Drumset verfolgt Claus Hessler in seinem jüngsten Werk Camp Duty Update. Er beginnt mit den geschichtlichen Hintergründen und Zusammenhängen europäischer Trommeltradition, von wo der Transfer in die verschiedenen Schulen von Rudimental Drumming weiterverfolgt wird.

Nach einer kurzen Definition des Begriffs «Rudiment» entführt uns der Autor auf eine unterhaltsame Zeitreise in die fantastische Welt des Trommelns. So erfahren wir, dass schon im 14. Jahrhundert erstmals Trommeln, meist in Zusammenhang mit kriegerischen Ereignissen, zur Informationsübermittlung, aber auch zur Einschüchterung des Gegners eingesetzt wurden. Hesslers Horizont umfasst zeitlich mehrere Jahrhunderte bis zur Neuzeit und geografisch praktisch ganz Europa. Sehr aufschlussreich sind die Aussagen zu geografischen und musikalischen Zuordnungen von Rudiments sowie die kurzen Erläuterungen zu «Drag» und «Ruff».

Mit der Air des fifres ou hautbois des französischen Hofmusikers und Komponisten André Danican Philidor geht Hessler im zweiten Drittel seines 90-seitigen Werks zur Praxis über. Sämtliche hier vorgestellten Titel stammen aus dem U. S. Camp & Garrison Duty, der Sammlung, von der Hessler den Titel seines Lehrgangs ableitet. Es finden sich Schmankerln wie The Downfall of Paris oder Yankee Doodle. Stücke wie diese und viele andere sind auf der beigelegten CD mit Piccolo-Flöte eingespielt und stehen auch als Play-alongs zur Verfügung. Hessler präsentiert die Trommelbegleitung in der Originalfassung und in eigenen Bearbeitungen – die für etliche Überraschungen sorgen. Für einige Stücke hat der Autor auch Interpretationshilfen verfasst. Diese sollen dem Spieler anhand von ausgeschriebenen Wirbeln und Verzierungen auf die Sprünge helfen. Alle Notenbeispiele wurden in der Berger-Schrift verfasst, die am Anfang des Buches kurz erläutert wird.

Im Ausblick vertieft Claus Hessler am Beispiel von Another Grenadier die Erkenntnis, dass die Kunst des «Marschtrommelns» durchaus auf das Drumset übertragen werden kann. Eine Tabelle gegen Ende des Buches vergleicht Rudiments und deren Bezeichnungen in den verschiedenen Trommeltraditionen. Ins Auge springt bei den nachfolgenden Übungen die Häufigkeit von Quintolen. Der Autor schreibt dazu im Vorwort: «Dass viele Rudiments vor dem Hintergrund der an Quintolen angelehnten Rhythmik deutlich an Nachvollziehbarkeit und Spielfluss gewinnen, mag für viele Leser ein neuer Aspekt sein.»

Camp Duty Update ist eine erfrischende Abwechslung in der grossen Fülle moderner Schlagzeugliteratur – und sollte gerade deshalb in keiner gut sortierten Sammlung fehlen. Claus Hessler arbeitet als «Clinician» auf internationaler Ebene und schreibt für Magazine wie Modern Drummer. Mit seinen Buchveröffentlichungen und der Doppel-DVD Drumming Kairos setzte er bereits in der Vergangenheit Massstäbe. Er unterrichtet unter anderem an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt.

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Claus Hessler: Camp Duty Update. Vom ursprünglichen Wesen und Sinn der Drum Rudiments, Buch und MP3-CD, 20255G, € 19.95, Alfred Music, Köln 2015, ISBN-13:978-3-943638-93-6

Historisch informiert üben

Anja Thomann hat in ihrem Technikbuch für Traversflöte historische Quellen zu Übungsreihen ausgebaut, die alle wichtigen Aspekte des Spiels berücksichtigen.

Ausschnitt aus dem Titelblatt

Im Ton- und Technikbuch für Traversflöte Back to Basics stellt die Traversflötistin Anja Thomann gezielte Übungen zu den Bereichen Artikulation, Fingertechnik, Intonation und Tongestaltung zusammen. Die meisten Übungen basieren auf historischen Quellen, die jeweils als Faksimile des Originals vorangestellt werden. Die Autorin hat als Quellen methodische Werke von Michel Corette, Charles de Lusse und Johann Joachim Quantz herangezogen. Ausschnitte daraus werden zu kompletten methodischen Übungen erweitert, sodass mit dem Buch grundlegende Ton- und Technikübungen «historisch informiert» geübt werden können.

Kapitel eins beginnt mit kurzen Präludien, die durch alle Tonarten gehen, es folgen im zweiten Kapitel Einspielübungen, die von der Duole ausgehend zu Triolen und Vierergruppen erweitert werden. Von Anfang an einbezogen sind hierbei auch die im Barock geläufigen Artikulationen wie tidi und diri. In Kapitel drei und vier folgen Tonleitern und Arpeggien. In Kapitel fünf werden typisch barocke Figuren wie Wechselnoten in sequenzierender Weise geübt und auch Terzen- und Quartenketten mitberücksichtigt. Anschliessend kommen im sechsten Kapitel Übungen zur Entwicklung des Tons dazu, die Intervalle, Chromatik und Übungen zur Gestaltung langer Töne durch Schwelltöne enthalten. Das ganze siebte Kapitel widmet die Autorin der Artikulationsart did’ll und erweitert es mit eigenen Übeideen durch Singen und Spielen. Im achten Kapitel werden Verzierungen und Triller, die auf einer Tonleiter basieren, sequenziert. Das Buch endet mit einer ausführlichen Grifftabelle und einer Trillertabelle, die mit hilfreichen Tipps zur Intonation ergänzt sind.

Manch einer wird beim Studium dieser weiterentwickelten wertvollen Übungen von Quantz, de Lusse und Corette feststellen, dass diese in ihrem Aufbau schon vorausnehmen, was später Marcel Moyse oder Paul Taffanael in ihren methodischen Heften für die Böhmflöte gebracht haben. Für einen grundlegenden Aufbau von Ton, Technik und Artikulation auf der Traversflöte ist diese übersichtlich gestaltete Publikation eine grosse Bereicherung, da die wesentlichen Aspekte in einem Heft zusammengefasst sind.

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Anja Thomann: Back zu Basics. Ein Technikbuch für die Traversflöte, EW 982, € 19.80, Edition Walhall, Magdeburg 2016

Kodály-Erstausgabe

Zoltán Kodály erstellte von seinem «Ungarischen Rondo» für kleines Orchester auch eine Fassung für Cello und Klavier. Sie liegt nun erstmals gedruckt vor.

Zoltán Kodály 1930. Quelle: Pesti Napló 1850-1930/wikimedia commons

Das 1917 komponierte Ungarische Rondo gehört zu den eingängigsten Kompositionen Zoltán Kodálys: Vier ungarische Volkslieder sowie eine instrumentale Tanzmelodie sind in Rondoform effektvoll zusammengefügt.

Die allgemein bekannte Version für kleines Orchester wurde 1918 in Wien uraufgeführt. Kodály fertigte jedoch noch eine Fassung für Cello und Klavier an, welche 1927 in Budapest erstmals gespielt, aber bis heute nicht veröffentlicht wurde.

Die jetzt bei Editio Musica Budapest erschienene Erstausgabe stellt eine willkommene Bereicherung der Celloliteratur dar. Der Schwierigkeitsgrad des Stückes ist hoch, etwa vergleichbar mit den Drei Stücken für Cello und Klavier von Nadia Boulanger. Der Komponist geizt nicht mit wirkungsvollen Effekten wie Pizzicati der linken Hand, virtuosen Läufen in hoher Lage, Doppelgriffen und sonoren Kantilenen in der Tiefe. Die Behandlung des Celloparts erinnert bisweilen an Kompositionen David Poppers; mit dessen Cellowerken dürfte der selber Cello spielende Kodály vertraut gewesen sein, denn Popper lehrte an der Liszt-Akademie in Budapest.

Die Edition besorgte der ungarische Cellist Miklós Perényi, der das Werk 2003 bei Hungaroton mit Dénes Várjon am Klavier eingespielt hat.

 

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Zoltán Kodály: Ungarisches Rondo für Cello und Klavier, hg. von Miklós Perényi, Erstausgabe, Z. 14990, Fr. 14.70, Editio Musica Budapest 2016

 

Über Kodálys Kammermusik

Ein deutsches Buch über Zoltán Kodály ist ohnehin selten. Hier ist es zudem ganz seiner Kammermusik gewidmet. – Hoffentlich ein Anstoss für das eine oder andere Ensemble, sie auf das Programm zu setzen.

Briefmarke zum 125. Geburtstag von Zoltán Kodály. Ungarische Post/wikimedia commons

Überblickt man die 57 Bände der Reihe Studien zur Wertungsforschung, staunt man über die Vielfalt der Themenbereiche, wundert sich aber oft auch darüber, dass viele der Erkenntnisse kaum über den Tellerrand der Wissenschaften hinaus gelangen, bis zu den Musikern und Konzertgängern, die ja als deren «Konsumenten» angesehen werden könnten. Da es sich jedoch in den meisten Fällen um die gesammelten Vortragsmanuskripte aus Symposien handelt, deren Sprache bisweilen einem Fachjargon entspricht, müssten sie für Laien «übersetzt» werden. Und so ist es ein weiter Weg bis zu den Interpreten und dann zu den Konzerteinführungen.

Im vorliegenden Band zur Kammermusik des ungarischen Komponisten Zoltán Kodály (1882–1967) sind aber alle Texte in einem erfreulich lesbaren Stil verfasst. Ausserdem sind umfangreiche Partiturbeispiele eingefügt, sodass ein «Mitlesen» im Notenbild den Zugang zu den besprochenen Aspekten erleichtert. Die Cellosonate op. 4 wird von Hartmut Schick unter dem Blickwinkel der Quarte betrachtet, deren Behandlung die Schwelle zur Neuen Musik bildet. Roswitha Schlötterer-Traimer zeigt Volksmusikelemente im ersten und zweiten Streichquartett auf, László Vikárius in der Cello-Solosonate op. 8. Bei Michael Kube steht das Streichquartett op. 2 mit der Rezeption und den Druckausgaben im Mittelpunkt, bei Anna Dalos das Streichquartett op. 10, wobei hier die Zeit des Ersten Weltkriegs mit hineinspielt.

Verdienstvoll ist es, dass der Platz Zoltán Kodály allein gehört (ohne den üblichen Bezug auf Bartók) und dass auch die gesellschaftlich-politische Seite der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg – Kodálys Budapest um 1900 – von Ilona Sármány-Parsons ausführlich dargestellt wird. Thomas Kabisch und Klaus Aringer behandeln die beiden ungewöhnlich besetzten Werke Opus 7 (Duo für Violine und Cello) und Opus 12 (Serenade für 2 Violinen und Viola). Somit werden einige Kompositionen vorgestellt, die ganz selten in die Kammermusikprogramme unserer Tage gelangen. Eine solche Publikation könnte bei Musikern den Namen Zoltán Kodálys in Erinnerung rufen und diesem Mangel abhelfen. Deutschsprachige Literatur ist so rar, dass sogar das kleine Buch mit den fünf Gesprächen, die Lutz Besch mit Kodály geführt hat, mehrfach erwähnt wird (Verlag Arche, Zürich 1966).
 

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Zoltán Kodálys Kammermusik, Studien zur Wertungsforschung 57, hg. von Klaus Aringer, 239 S., brosch., € 28.50, Universal Edition, Wien 2015,
ISBN 978-3-7024-7283-2

Sachers Schönberg-Rezeption

Eine Publikation der Paul-Sacher-Stiftung legt Dokumente und Kommentare vor, die aufzeigen, wie sich Komponisten mit Schönbergs Werken auseinandersetzen.

Arnold Schönberg. Zeichnung von Edward Drantler, 2007, wikimedia commons

Durch die Erwerbung vieler Nachlässe von Komponisten, die sich mit der Musik Arnold Schönbergs beschäftigten, kam die Paul-Sacher-Stiftung in Basel in den Besitz zahlreicher Dokumente zu dessen Rezeptionsgeschichte. Als Festgabe zum 70. Geburtstag des Musikwissenschaftlers Hermann Danuser liegen jetzt 59 ausgewählte Dokumente mit Kommentaren von acht Autorinnen und Autoren vor.

Als Dirigent und Mäzen setzte sich Paul Sacher (1906–1999) in erster Linie für Bartók, Honegger, Martin, Strawinsky und für Neoklassizisten wie Martinů und jüngere Komponisten ein. Während sich in Winterthur der Mäzen Werner Reinhart und der Dirigent Hermann Scherchen seit den 1920er-Jahren immer wieder für Berg, Schönberg und Webern stark gemacht hatten, stand mit Schönbergs 2. Streichquartett op.10 in einer Version für Streichorchester erst 1933 ein Werk der Zweiten Wiener Schule auf einem Programm des von Sacher gegründeten und geleiteten Basler Kammerorchesters. In den letzten Lebensjahren sicherte sich Sacher im Hinblick auf seine Stiftung die Handschriften von Schönbergs Fünf Orchesterstücken op. 16 und Kol nidre op. 39. Es kommt einer Ironie des Schicksals gleich, dass der Dirigent, der sich jüdischer Musik gegenüber bis dahin verschlossen gezeigt hatte, damit ausgerechnet eine für Schönbergs Selbstverständnis als Jude zentrale Komposition erwarb.

Die mit Anton Weberns Bearbeitung des Vorspiels zu den Gurre-Liedern für zwei Klaviere zu acht Händen (1909) beginnenden Fallbeispiele spannen einen weiten Bogen bis zu Heinz Holligers Übertragung der Sechs kleinen Klavierstücke für Kammerensemble (2006). Von denselben Stücken werden auch Bearbeitungen durch Wolfgang Rihm und Younghi Pagh-Paan vorgestellt. Unter den frühen kompositorischen Auseinandersetzungen mit Schönbergs Musik ragen Strawinskys Trois poésies de la lyrique japonaise (1912/13) und Milhauds 3. Streichquartett mit Singstimme (1916) hervor. Zu den interessantesten Dokumenten zählen auch Bartóks Beitrag Arnold Schönbergs Musik in Ungarn zur Wiener Avantgardezeitschrift Musikblätter des Anbruch (1920), Schönbergs Klaviersuite op. 25 mit Annotationen von Stefan Wolpe und Klaus Hubers Vortragsmanuskript Versuch über Grösse. Schönbergs Selbstverständnis in seinen Briefen (1974).

Die mit schwarzer und roter Schrift grafisch reizvoll gestaltete Publikation enthält im Anhang eine alphabetische Liste der abgebildeten Dokumente, ein Verzeichnis der auf Schönberg bezogenen Manuskripte und annotierten Druckausgaben in den Sammlungen der Paul-Sacher-Stiftung und ein Namensregister.
 

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«On revient toujours». Dokumente zur Schönberg-Rezeption aus der Paul Sacher Stiftung, Festgabe für Hermann Danuser zum 70. Geburtstag, Hg. Paul Sacher Stiftung, Basel, 192 S., € 35.00, Schott, Mainz 2016,
ISBN 978-3-7957-1202-0

Sozialarchiv übernimmt Gurtenfestival-Dokumente

Die Archive zu den ersten fünf Gurtenfestivals (1977 bis 1983) gehen an das Schweizerische Sozialarchiv in Zürich. Die Gurtenfestival-Pioniere laden dazu ein, weitere Erinnerungsstücke ebenfalls der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

(Foto: Daniel Leutenegger)

Die von Ueli Fricker und Daniel Leutenegger seit über 40 Jahren gesammelten und aufbewahrten Materialien zum Gurtenfestival gehen in den nächsten Monaten ans Schweizerische Sozialarchiv in Zürich. Ergänzt werden sie durch die Akten von Gründungsmitglied Hansruedi Egli, die bislang von Hansueli von Allmens Archiv Cabaret-Chanson-Mundartrock-Mimen in Thun aufbereitet und gesichert worden sind.

Die ersten fünf Gurtenfestivals wurden von einem ehrenamtlich tätigen Organisationskomitee sowie Hunderten von freiwilligen Helferinnen und Helfern durchgeführt und lockten jeweils bis zu 30’000 Menschen auf den Berner Hausberg. Das Gurtenfestival war vollständig werbefrei und wurde ohne jegliches Sponsoring veranstaltet.

Fricker und Leutenegger laden weitere Mitglieder der Organisationskomitees der ersten Jahre, Helferinnen und Helfer, Mitwirkende, Besucherinnen und Besucher, Medienleute und andere damals Involvierte dazu ein, sich ihnen anzuschliessen und ihnen Erinnerungsstücke zu den ersten fünf Gurtenfestivals (Texte, Fotos, Zeichnungen, Videos, Tonaufnahmen, Objekte etc.) anzuvertrauen, die von ihnen gesammelt und dann ans Schweizerische Sozialarchiv weitergeleitet werden.

Für Zustellungen per Post:
Ueli Fricker, Lombachweg 38a, 3006 Bern

Für Zustellungen via E-Mail:
daniel.leutenegger@dreamteam.ch

Musikalischer Quintenzirkel

Ausschnitt aus dem Titelblatt

Ingvar Lidholm

Ingvar Lidholm, einer der grössten schwedischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, starb am 17. Oktober 2017 im Alter von 96 Jahren. Er war nicht nur eine der wichtigen Figuren des schwedischen «Chorwunders», es lassen sich auch Berührungspunkte mit der Schweiz feststellen.

Der Komponist Ingvar Lidholm ist vor allem in Chorkreisen auch hierzulande bekannt. Er gehörte der Montagsgruppe an, die den Weg bereitete für das sogenannten schwedische Chorwunder. Anregungen holte sich die Gruppe auch in Basel.

Ingvar Lidholm, einer der grössten schwedischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, starb am 17. Oktober 2017 im Alter von 96 Jahren. Nach dem Tod von Knut Nystedt (1915-2014) und Einojuhani Rautavaara (1928-2016) geht mit Lidholm ein weiterer, hochbedeutender skandinavischer Komponist des 20. Jahrhunderts.

Lidholm war über 70 Jahre lang eine zentrale Figur im schwedischen Musikleben und schrieb bahnbrechende Werke für Chor, Kammermusik und Orchester. Sein Wirken hat wesentlich zum sogenannten «Schwedischen Chorwunder» beigetragen, der Entstehung und Bewegung von Chören, die sehr schwierige Stücke aufführen können. Zu diesen Stücken gehört auch Laudi, welches Lidholm im Alter von 26 Jahren komponierte, inspiriert von einem Chor, der von seinem Freund Eric Ericson geleitet wurde. «Beinahe unmöglich aufzuführen», urteilten angeblich die Choristen, als sie 1947 die Noten in die Hände bekamen.

Lidholm schrieb A-cappella-Werke, Solowerke für Klarinette, Oboe und Violoncello, aber auch Orchesterwerke wie Kontakion (1978) und Ritornell (1955) und Opern wie Der Holländer, für die er1968 den Preis der Salzburger Oper erhielt, oder Ein Traumspiel (Ett drömspel, 1990). Andere Kompositionen Lidholms sind im Chorwesen inzwischen zu Klassikern geworden, etwa Canto LXXXI (1961), Libera me (1995) und a riveder le stelle (1973).

(Ausführliche Biografie und Verzeichnis der Chorwerke siehe weiter unten.)


Die Montagsgruppe

Einige schwedische Komponisten, Musiker und Musikwissenschaftler taten sich 1944 zusammen und trafen sich bis ca. 1950 regelmässig montags, um über Komposition zu diskutieren. Der informelle Leiter der Gruppe war Karl-Birger Blomdahl (1916-68). In der Wohnung seiner Familie, umsorgt mit Kaffee von seiner Mutter, fanden in der Drottninggatan in Stockholm die Treffen statt.

Da durch den Zweiten Weltkrieg die internationalen Kontakte abgebrochen waren, gab es einen grossen Bedarf, Erfahrungen auszutauschen. Unter anderem diskutierte man Satz- und Formenlehre bei Komponisten wie Hindemith, Bartók, Strawinsky, Schönberg und Berg. Der Kern der Gruppe bestand, neben Blomdahl selbst, Klas-Thure Allgén, Sven-Erik Bäck, Sven-Eric Johansson, Hans Leygraf, Claude Génetay, Eric Ericson und Ingmar Bengtsson und eben auch Ingvar Lidholm.

Im Jahr 1946 reisten mehrere Mitglieder der Gruppe (Sven-Eric Bäck, Eric Ericson und Lars Edlund) nach Basel ans «Lehr- und Forschungsinstitut» für Alte Musik, um bei Ina Lohr zu studieren. Ina Lohr spielte als Assistentin von Paul Sacher beim Aufbau der heute unter dem Namen Schola Cantorum Basiliensis bekannten Institution eine bedeutende Rolle. Ihre ganze Arbeit war getragen von einer tiefen Religiosität. Sie war an der schweizerischen Singbewegung sowie an der Einführung des Probebands des neuen Kirchengesangbuches beteiligt. Gleichzeitig suchte die Bewegung der Alten Musik allmählich grössere Professionalisierung, wollte sich befreien vom Etikett des Dilettantismus, der die Hausmusik substantiell definierte, was unter anderem dazu beitrug, dass Ina Lohrs Name heute kaum mehr bekannt ist.

Als die Montagsgruppe sich dann ab 1947 wieder traf, wurden auch mehrere Teilnehmer neu aufgenommen, darunter Göte Carlid, Magnus Enhörning, Nils L. Wallin und Bo Wallner.

Paradigmenwechsel im Musikleben

Die Ausrichtung der Montagsgruppe war und wurde mit der Zeit immer stärker die radikal modernistische Musik. Das ursprüngliche Ziel war, die eigenen Kompositionen parallel zur Entwicklung der europäischen Kunstmusik zu verbessern. Man wollte aber auch darauf hinwirken, mehr Verständnis für die eigene, oft bespottete Musik zu gewinnen. Man hatte in Schweden gegen das traditionalistische Musik-Establishment zu kämpfen, in dem die Spätromantik und der Neoklassizismus vorherrschende Stilideale waren. Zur Distanzierung gegenüber der Spätromantik gehörte auch das Interesse für Barockmusik und ihrer Aufführungspraxis bei vielen Mitgliedern der Gruppe.

Die Mitglieder der Montagsgruppe beteiligten sich rege an den Debatten über Neue Musik, sie bekamen Schritt für Schritt mehr Aufmerksamkeit und mehr Einfluss. Und so besetzten allmählich (nachdem sich die Gruppe schon aufgelöst hatte) einige ihrer Mitglieder, zuvorderst Blomdahl, Bäck und Lidholm zentrale Positionen innerhalb des schwedischen Musikbetriebs. Die Montagsgruppe ist deshalb von zentraler Bedeutung in der schwedischen Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts und verantwortlich für den deutlichen ästhetischen und stilistischen Paradigmenwechsel im Musikleben während der 1950er- und 1960er-Jahre. Sowohl Blomdahl als auch Lidholm wurden Professoren für Komposition an der Königlichen Musikhochschule in Stockholm. Besonders die Chormusik hat in Schweden nach dem zweiten Weltkrieg entscheidend zur allgemeinen Entwicklung der dortigen Neuen Musik beigetragen.

Die enorme Entwicklung der zeitgenössischen skandinavischen Chormusik selbst, die auch als «schwedisches Chorwunder» bezeichnet wird, ist vor allem mit der Chorleiterlegende Eric Ericson verbunden. Dieser regte nicht nur Komponisten zum Schreiben derartiger neuer Werke an. Er bildete vor allem auch Chorleiter ausbildete, die keine «Angst» mehr vor neuen Klängen und ungewöhnlichen Partituren hatten. Damit setzte er für folgende Generationen einen Kreislauf in Gang, in dem sich leistungsfähige Chöre, hervorragend ausgebildete Chorleiter und Komponisten befruchten konnten.

Dieser Einfluss wird heutzutage als positiv und negativ bewertet. Andere Komponisten, die die Ideale der Gruppe nicht teilten oder auf traditionellere Weise komponierten, wurden weitgehend ausser Acht gelassen bei den Institutionen wie dem schwedischen Radio, geleitet von Mitgliedern der Montagsgruppe oder deren Freunden und «Alliierten». Dies schilderte unter anderem der Komponist Erland von Koch in seinem Buch Musik och Minnen [Musik und Erinnerungen], Stockholm 1989.

 

Biografie und Verzeichnis der Chorwerke

Quelle: Schwedisches Musikinformationszentrum


Ingvar Lidholm (1921–2017)

Geboren in Jönköping, in der südschwedischen Provinz Småland, am 24. Februar 1921. Als Abiturient in Södertälje bekam er Violinunterricht bei Hermann Gramms und Orchestration bei Natanael Berg. Von 1940 bis 1945 studierte er an der Königlichen Musikhochschule Stockholm bei Axel Runnqvist Violine und bei Tor Mann Dirigieren; von 1943 bis 1945 auch Komposition bei Hilding Rosenberg. Er war Viola-Spieler an der Oper in Stockholm von 1943 bis 1947.

Der Preis der Jenny-Lind-Fellowship ermöglichte ihm, seine Studien in Frankreich, der Schweiz und Italien fortzusetzen. Er war Musikdirektor der Stadt Örebro (1947–1956) und der erste Schwede, der bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik Darmstadt im Jahr 1949 teilnahm. 1956 wurde er Programmdirektor für Kammermusik beim schwedischen Radio. Ab 1965 unterrichtete er Komposition an der Königlichen Musikhochschule Stockholm, um 1975 als Planungsdirektor für Neue Musik zum Radio zurückzukehren. Zudem fungierte er ab 1967 als Herausgeber des Journals Neue Musik. Von 1947 bis 1951 und von 1963 bis 1965 war er Vorstandsmitglied der Schwedischen Komponistengesellschaft. Ausserdem war er Vize-Präsident der Königlichen Musikhochschule Stockholm von 1963 bis 69 und Präsidiumsmitglied des Internationalen Schwedischen Komponistenverbandes.

Er bekam 1958 den Christ-Johnson-Preis, 1965 den Internationalen Kussewitzki-Preis. 1968 wurde er mit dem Preis der Salzburger Oper für seine Komposition Der Holländer ausgezeichnet. Er selbst sagte über sein Komponieren: «Ich versuche mir immer im Bewusstsein zu halten, dass es mein Beruf ist, Noten zum Sprechen zu bringen … Lasst uns versuchen, wieder Musik zu formulieren, die den Hörer stark und unmittelbar anspricht, Musik für Menschen unserer Zeit.»

Ingvar Lidholms frühe Werke enthüllen eine subjektive, skandinavische Romantik (Gullberg-Gesänge 1944), noch bevor lange Elemente wie bei Hindemith oder Bartók ins Spiel kommen (Concerto 1945, Music for strings 1952). Die Chorkomposition Laudi kombiniert frühe Vokalpolyfonie mit moderner Harmonie. Lidholms Tonsprache ist reich und vielseitig, die Zahl seiner Werke bemerkenswert und ihr Stil wandlungsfähig.

Der internationale Durchbruch kam mit dem Orchesterstück Ritornell. Von seinen anderen Stücken für Orchester müssen besonders das Ballett Riter (1959), Mutanza und vor allem Poesis (1964 zum 50-jährigen Jubiläum der Stockholmer Philharmoniker) erwähnt werden. Letzteres ist ein unkonventionelles Stück für ein Jubiläum, mit brutalen, unterschiedlich gefärbten Klangblöcken, dynamischen Kulminationspunkten und absurden Solo-Kadenzen für Klavier und Kontrabass. Greetings from an old world wurde 1976 komponiert für die Clarion Musikgesellschaft New York aus Anlass des zweihundertjährigen Jubiläums der Vereinigten Staaten von Amerika.

«Ich mache Gebrauch von der Tradition – mit klar verständlichen Klangmodellen mit gestischem, virtuosem oder melodischem Charakter.» Eine wichtige Zutat des Stückes ist Heinrich Isaacs Wanderlied Innsbruck, ich muss dich lassen. Das dazu passende Schwesterwerk ist Kontakion (1979), das anlässlich einer Sowjetunion-Tournee entstand und orthodoxe Traditionen klanglich verarbeitet. Wahrscheinlich wurde kein Werk von ihm mehr verbreitet als Stamp Music. Er hat es geschrieben im Zusammenhang mit der Erstellung einer Briefmarke zum zweihundertjährigen Jubiläum der Königlichen Musikhochschule Stockholm.


Liste der Chorwerke

Laudi (1947)
Vier Chöre (1953)
Zwei Gesänge (1945-1955): 1. Saga (Männerchor) 2. Jungfrulin (Frauenchor)
Canto LXXXI (1956)
Motto (1959)
Zwei griechische Epigramme (1959). 1. Kort är rosornas tid (3st. Männerchor), 2. Phrasikleia (Sopran-Solo und Frauenchor)
Drei Strindbergweisen (1959): 1. Välkommen åter snälla sol 2. Sommerafton 3. Ballad
Nausikaa allein (1963): Szene für Solosopran, Chor und Orchester
a riveder le stelle (1971)
Die Perser (1978): Dramatische Szene für Rezitation und grossen Männerchor
Skaldens natt (1958/1981): Für Sopransolo, Chor und Orchester
De profundis (1983)
aus der Oper Ett drömspel (Ein Traumspiel): Vindarnas klagan (1981), Troget och milt (1990)
Inbillningens värld für Männerchor (1990/1996)
Libera me (1993–94)
aus der Oper Ett drömspel (Ein Traumspiel): Vokalsymphonie (1997), Zwei Madrigale (1981) beide mit Orchester
Madonnans vaggvisa für Solostimme und gemischten Chor (1943/2001)
Grekisk gravrelief (2003)

Herbert Blomstedt zu Lidholms Poesis
https://www.youtube.com/watch?v=PXJ9V453Zi8
https://www.youtube.com/watch?v=cPwVrjQgoxM

Sibyl Matter im STB-Stiftungsrat

Der Gemeinderat der Stadt Bern hat Sibyl Matter in den siebenköpfigen Stiftungsrat von Konzert Theater Bern (KTB) gewählt. Sie tritt am 1. Januar 2018 die Nachfolge des langjährigen Stiftungsrats Peter Stämpfli an, der per Ende Dezember 2017 aus dem Stiftungsrat zurücktritt.

Sibyl Matter (Foto: Alexander Egger)

Die 53-jährige Sibyl Matter ist Fürsprecherin, Notarin und Mediatorin und Partnerin in der Rechtskanzlei Solvas. Sie engagiert sich unter anderem als Präsidentin des Blinden- und Behindertenzentrums Bern und als Progr-Stiftungsrätin. Im Auftrag der Familie verwaltet Sibyl Matter die Rechte an den Liedern ihres Vaters Mani Matter.

Peter Stämpfli vertrat die Stadt Bern seit Beginn der neu gegründeten Kulturinstitution Konzert Theater Bern, seit Juli 2011, in deren Stiftungsrat. Er habe viel dazu beigetragen, dass die KTB die anspruchsvolle Startphase gut bewältigt und ihren Platz als bedeutendste Kulturinstitution des Kantons und der ganzen Region gefunden hat, schreibt die Stadt Bern.
 

50 Klaviersonaten von Leopold Koželuch

Eigenart, Stil und Bedeutung erläutert an zwei Sonaten.

Bereits sieben früheste handschriftlich erhaltene und deshalb nicht datierbare Sonaten – im Band IV der Neuausgabe Nr. 44–50, wohl vor 1773 – sind eindeutig nicht für Cembalo gedacht, sondern dem sich damals auf dem Siegeszug befindlichen «Fortepiano» auf den Leib geschrieben. Sie können es an Erfindungskraft und Tiefe der Emotionalität mit frühen Haydn-Sonaten aufnehmen. Eine davon in Es-Dur, Nr. 47, weist im ersten Satz, Adagio, noch eine zweiteilige Sonatenhauptsatzform auf (ohne Durchführung) wie in Mozarts Es-Dur Sonate KV 282. Mozart hat sie vermutlich Anfang 1775 in München während der Uraufführung des dort bestellten dramma giocoso La finta giardiniera geschrieben; ein Einfluss von Koželuch ist wohl auszuschliessen. Das ist ein Überbleibsel der Frühklassik.

Zwei ausgereifte, grosse Sonaten der mittleren Schaffensperiode verdienen es, näher beschrieben zu werden. Diejenige in A-Dur op. 35 Nr. 2 von 1791 ist dreisätzig und besteht wie die meisten aus einer Sonatensatzform, einer zusammengesetzten Liedform und einer Rondoform. Das Notenbeispiel 1 zeigt den Vordersatz des Hauptthemas in der Form der Periode; der Nachsatz ist erweitert auf 12 Takte.

Notenbeispiel 1

Nach dem allmählichen Übergang zur Dominanttonart bleibt der Dominantseptimakkord vier Takte lang stehen. Hier (Notenbeispiel 2) auf Takt 35 könnte also der Seitensatz beginnen. Überraschenderweise erscheint in e-Moll statt in E-Dur das Anfangsmotiv des Hauptthemas.

Notenbeispiel 2

Das Notenbeispiel 3 zeigt in Takt 49 einen Trugschluss und den übermässigen Quintsextakkord zur Dominante und im Auftakt zu Takt 53 den Beginn des mit 26 Takten relativ kurzen Seitensatzes. Von einer «Schlussgruppe», die in manchen Formenlehren herumgeistert, kann ohnehin, wenn schon, erst bei Beethoven gesprochen werden. In der Durchführung verarbeitet der Komponist in weitflächigem Quintfall lauter Hauptsatz-Motive. Vier vollständige Takte des Anfangs in D-Dur könnten die Hörer dazu verleiten, einen Reprisenbeginn zu vernehmen.

Notenbeispiel 3

In den Takten 111–117 bewährt sich zur leichten Anreicherung mit polyphonen Verfahren die zweistimmige komplementäre Führung der rechten Hand (Notenbeispiel 4).

Notenbeispiel 4

Statt die Reprise mit längerem Stehenbleiben auf der Dominante vorzubereiten, bedient sich Koželuch eines viel drastischeren Mittels, nämlich einer eintaktigen Generalpause. Den bemerkenswerten Vergleich zwischen Exposition und Reprise mit verkürztem Hauptsatz und verlängertem Nebensatz und zahlreichen Detailunterschieden überlassen wir dem Spürgeist einer geneigten Leserschaft, falls sie sich die Noten beschafft. Es lohnt sich!

Eine kleine Bemerkung verdient der Schluss dieses Satzes: Hier fehlen die Wiederholungszeichen, die sonst in frühklassischen und meist in klassischen Sonaten zur Wiederholung von Durchführung und Reprise üblich waren, auch bei Mozart. Koželuch bricht hier und in allen folgenden Klaviersonaten mit dieser Tradition. Wir kommen darauf zurück. – Leichter wird es fallen, die übrigen zwei Sätze zu beschreiben, beide mit einem Minore-Teil in der Mitte und beide von sprühendem Einfallsreichtum. Das ausdrucksstarke Adagio erschliesst sich, wenn die genau aufgeschriebenen Auszierungen (im 18. Jahrhundert «willkürliche Veränderungen» im Gegensatz zu den «wesentlichen Manieren» genannt) als solche erkannt werden. Das Rondo bietet viel mehr als einfach einen Kehraus. Sein Hauptthema –oder sagen wir sachkundiger: – sein Refrain zeigt sich nur dreimal, das zweite Mal stark abgekürzt, dafür auch als Rahmen des Minore und wirkt deshalb nie abgedroschen. Weil das Allegro des ersten Satzes zeitweise sich einer Alle-breve-Taktierung nähert und das Allegro des Rondos im Zweivierteltakt notiert ist, sollte ersteres zügig und letzteres etwas langsamer genommen werden. So wird die Zuhörerschaft über die blendende Virtuosität einer Darbietung staunen, auch wenn der Schwierigkeitsgrad wegen der handgerechten Schreibweise des Klavierpraktikers für einen gewiegten Amateur durchaus zugänglich ist (etwa Stufe 8-9 gemäss Klaus Wolters).

Fünf Sonaten in den beiden ersten Bänden und sechs in den Bänden III und IV beginnen mit einem Satz in Moll. Das ist zwar – wie bei Mozart – eine kleine Minderheit, die jedoch besondere Beachtung verdient. Koželuch experimentiert in ihnen mit polyphonen Elementen, zum Beispiel am Anfang der Sonate op. 26 Nr. 2 in a-Moll von 1788 (Notenbeispiel 5).

Notenbeispiel 5

Der Seitensatz beginnt ganz normal mit einem zwölftaktigen Thema in der Paralleltonart C-Dur. Doch wenn dasselbe Thema nach fast zweitaktiger Generalpause ohne jede Modulation in Es-Dur erscheint, ist die Überraschung perfekt. Schubert lässt grüssen. Die Generalpause bedingt übrigens ein zügiges Allegrotempo.

Noch interessanter, auch in der ungewöhnlichen Satzfolge, erweist sich die Sonate op. 30 Nr. 3 in c-Moll von 1789. Sie beginnt mit einem umfangreichen langsamen Satzteil, viel zu umfangreich für eine Einleitung, auch wenn er unabgeschlossen auf der Dominante stehen bleibt.

Notenbeispiel 6

Die ersten 8 Takte (Notenbeispiel 6) sehen aus wie der Vordersatz einer Periode. Die punktierten Sechzehntel mit Zweiunddreissigsteln evozieren einen Trauermarsch.

Notenbeispiel 7

Attacca beginnt das Allegro in Sonatensatzform. Auch hier entspricht der Anfang, das heisst das Hauptsatzthema (Notenbeispiel 7) einem Vordersatz. Er ist durch Wiederholungen des Halbschlusses auf 14 Takte verlängert. Statt eines Nachsatzes kommt ein Überleitungsteil zur Durparallele mit nur 16 Takten. Auch der Seitensatz (Notenbeispiel 8) ist mit 36 Takten extrem kurz gegenüber anderen Sonaten von Koželuch und seinen Zeitgenossen.

Notenbeispiel 8

Am Ende der Exposition steht wie üblich das Wiederholungszeichen. Aber wo soll die Wiederholung beginnen, mit dem Largo oder mit dem Allegro? Das gibt der Komponist nicht an, weil selbstverständlich: mit dem Allegro! Die Durchführung wäre mit 32 Takten wieder sehr knapp. Aber beginnt hier wirklich in Takt 142 die Reprise, und zwar in der Tonart g-Moll? Nein, es ist wie in der A-Dur-Sonate eine Scheinreprise. (Notenbeispiel 9).

Notenbeispiel 9

Denkbar kurz mit drei Takten ist die «Korrektur» nach c-Moll (Notenbeispiel 10). Schubert geht ja noch viel weiter: In den beiden fast gleichzeitig entstandenen zwei Klaviersonate in a-Moll und C-Dur («Reliquie») verschleiert er absichtlich völlig den Reprisenbeginn, über den sich die Musiktheoretiker trefflich streiten mögen. Es ist bei Schubert ein Aufbruch zu neuen Ufern. Sollen wir einen solchen auch Koželuch in bescheidenerem Rahmen zugestehen?

Notenbeispiel 10

Mit einer weiteren, oben bereits angesprochenen Tradition bricht Koželuch am Ende der Reprise, nämlich mit der Wiederholung von Durchführung plus Reprise. Sie wäre schon deshalb nicht möglich, weil Allegro und das den Satz abschliessende Largo untrennbar miteinander verzahnt sind. Auf der in der Bärenreiter-Ausgabe wiedergegebenen Faksimileseite des Erstdrucks, also der einzigen Quelle sieht man das besonders eindrücklich: Kein Doppelstrich, nur das neue Taktzeichen 2/4 sind zu sehen. Doch auch ohne Faksimileseite ist die Verzahnung klar ersichtlich: Der Anfangsakkord des Largo bildet den Abschluss der Kadenz am Ende des Allegro. Daraus erwächst die Frage, ob Koželuch durch diese ja zwei Jahre vor der oben besprochenen A-Dur-Sonate entstandene c-Moll-Sonate angeregt worden ist, die zweite Wiederholung einer Sonatenhauptsatzform zu überdenken. Das ist ja in der Aufführungspraxis eine heiss umstrittene Frage. Mozart verzichtet, wenn auch selten, auf die zweite Wiederholung in Sonatensatzformen.

Schweifen wir kurz ab: Bei Mozarts Klaviersonaten betrifft dies nur seine zwei letzten, KV 570 in B-Dur und 576 in D-Dur. Allerdings ist bei der in B-Dur die Quellenlage ungünstig, der Fall ist aber eindeutig. Bei den Sonaten für Klavier und Violine ist es nur eine: KV 481 in Es-Dur, bei den Klaviertrios keines, bei der Streichquartetten eines: KV 575 in D-Dur. Das bedeutet: Mozart setzt sie bewusst ein. Also sind sie dort, wo sie Mozart geschrieben hat, auch wirklich zu spielen. Allerdings bekommt man sie in Klavier- und Kammermusikabenden sowie auf Tonträgern, auch von prominenten Interpreten, leider selten zu hören. Koželuch, im Gegensatz zu Mozart, bleibt ja konsequent bei diesem Entscheid bis an seinem Lebensende.

Wieder attacca beginnt der zweite Satz der nur zweisätzigen Sonate, ein Rondo im befreienden C-Dur. Der Refrain erscheint einmal in G-dur stark verändert und einmal in c-Moll als kurze Erinnerung an den ersten Satz.

Alles in allem: Die Beschäftigung mit Koželuch lohnt sich nicht nur für Pianisten, sondern auch als interessante Beispielsammlung für das Fach Formenlehre, nämlich das Fach, das alle übrigen Fächer der sogenannten Musiktheorie in sich vereinigt und geeignet ist, einen Bogen zwischen Theorie und Interpretationspraxis zu schliessen.

 

Link zur Rezension der Ausgabe von Christopher Hogwood

Die Spur der Wahrheit

Arthur Spirks Dokumentarfilm über den Komponisten Armin Schibler zeigt einen Suchenden, Verletzlichen, den Nonkonformismus hochhaltenden Menschen.

Zu Lebzeiten schon ist mancher Komponist in Vergessenheit geraten, wenn er es sich in seinem Stil zu bequem machte. Von Armin Schibler (1920–1986) liesse sich gerade das nicht sagen: Er blieb unbequem, suchte die Auseinandersetzung mit der Gegenwart, liess sich von den Jungen inspirieren, erweiterte seinen Stil – und doch ist seine Musik in den Hintergrund gerückt. Heute wird sie nur noch gelegentlich gespielt. Vielleicht war sie zu zeitverhaftet. Solche Fragen tauchen auf, wenn man den Dokumentarfilm Wenn das Tönende die Spur der Wahrheit ist … von Arthur Spirk betrachtet. Er folgt nicht nur dem Lebensweg Schiblers, vielmehr zeichnet seine Frau Tatjana ein «Lebensbild». Seine Kinder Gina und Christian kommen ebenfalls zu Wort. Entsprechend persönlich geprägt und bewegt ist der Film. Die Gattin erzählt aus dem Leben, ihrer Zweisamkeit mit Schibler, liest aus ihren Notizen vor. Das künstlerische Credo Schiblers wird deutlich, die Verletzlichkeit und Zerrissenheit eines Komponisten, der seine Musik in diese verwundete Welt setzte: «Mir ist, ich hätte Blumen und Kristalle gezüchtet am Rande eines Waldes, dessen anderer Saum bereits in Brand geraten ist.» Beharrlich sucht er: «Ist es unbescheiden, sich zum Höchsten verpflichtet zu fühlen? Ich bin gewaltig verpflichtet – doch bringt das Ausharren auf dieser Linie das einzig wahre Glück, das dem Menschen beschieden sein kann.» Es ist ein Streben nach Wahrheit, das manchem Hörer damals moralisierend vorkam. Schibler jedenfalls bezog Stellung und wollte auch seine Schüler am Literargymnasium Rämibühl zur Nonkonformität erziehen – die Impulse dieses frühen Vermittlers sind in Zürich immer noch spürbar. Seine umfassende Tätigkeit, das humanistische Engagement, die Musik mit ihren Stärken und Schwächen: All dies wird in diesem Film wieder lebendig.

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Wenn das Tönende die Spur der Wahrheit ist … Ein Dokumentarfilm über Armin Schibler. Konzeption und Realisation Arthur Spirk. Zu sehen und zu beziehen auf:

www.arminschibler.ch/

Bestellung der DVD für Fr. 30.00 incl. Porto

Menschliche und tierische Stimmen

Das Ensemble Perlaro bringt durch Klarheit und Subtilität des musikalischen Vortrags die Texte von Zeitgenossen Dantes und Petrarcas zum Leuchten.

Ensemble Perlaro. Foto: zVg,Lorenzo da Firenze,Giovanni da Firenze,Bartolino da Padova,Landini

«Durch ein grünes Wäldchen folgte ich der Spur eines freundlichen Jagdhündchens. Mit beinahe menschlicher Stimme bellend schien es zu sagen: Folge mir!» Mit dieser höchst stilisierten Jagdszene fängt eine Ballata von Bartolino da Padova an. Davon leitet sich der Titel der zweiten CD ab, die das Ensemble Perlaro unter der Leitung von Lorenza Donadini eingespielt hat: Con voce quasi humana – Vokalmusik des Trecento. In der Tat, waren auf der Debut-CD des Ensembles, aufgenommen 2010, auch Instrumente zu hören (Sotto l’imperio del possente prince, Pan Classics PC 10221), steht hier die Stimme im Zentrum. Wie Mikhail Lopatin im Booklet-Text unterstreicht, wird auf dieser Aufnahme der Begriff «Stimme» gleichsam mehrfach ausgelegt: in seiner Bedeutung als Gesangsstimme (in der reinen Vokalbesetzung), als menschliche und tierische Stimme (in den gesungenen Texten) und als Bezeichnung für unterschiedliche Stile und Gattungen (auf der Ebene der musikalischen Komposition).

Die Interpretationen des Ensembles Perlaro zeichnen sich aus durch die Klarheit der Stimmen und die subtile Art, die Texte der meist anonymen Zeitgenossen Dantes und Petrarcas im musikalischen Vortrag zu spiegeln. Unvergesslich ist die kontrapunktische Imitation der Stimmen in Lorenzo da Firenzes dreistimmiger Caccia A poste messe veltri e gran mastini. Die realistische Nachahmung der Jagdrufe und Trommelgeräusche («Ciof, ciof», «tatim, tatim») verbinden wir heutzutage nicht sogleich mit der Musik des italienischen Mittelalters. Ebenso realistisch, auf emotionaler Ebene, ist der Ausdruck der konsonantischen Lautverbindungen in den Worten «or sono in biscia orribil tramutata» («Jetzt habe ich mich in eine schreckliche Schlange verwandelt») aus dem Madrigal Donna già fu leggiadr’annamorata, von Giovanni da Firenze, auch Giovanni da Cascia genannt.

Die sechs Mitglieder des Ensembles verfügen über klanglich individuell ausgeprägte Stimmen (Lorenza Donadini und Giovanni Cantarini kommen in den zwei einstimmigen Ballate auch einzeln zum Zug). In den mehrstimmigen Stücken verschmelzen sie dennoch zu einer vollkommenen Einheit, was im zauberhaften Einklang mancher Schlusstöne gipfelt. Die Tontechnik unterstreicht die Transparenz der Stimmen und lässt nur einen ganz diskreten Nachhall zu.

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A poste messe veltri e gran mastini
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Donna già fu‘ leggiadr’annamorata
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Per un verde boschetto
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