Illustre Verlagsgeschichte

Die Universal Edition in Wien hat die Rezeptionsgeschichte der musikalischen Moderne vor allem in der Zwischenkriegszeit entscheidend mitgeprägt. Die Chronik von Hans W. Heinsheimer schildert diese Phase aus der Perspektive des Hinterzimmers.

Anteilschein der 1901 gegründeten Universal Edition Actiengesellschaft. Foto: UE

Wer sich an die Menagerie in Fis-Dur von Hans W. Heinsheimer erinnern kann (in den Fünfzigerjahren in Zürich erschienen) und wem das Kürzel UE mehr als nur zwei Buchstaben des Alphabets bedeutet, wird mit Lust und Neugier an diese Chronik des Wiener Musikverlags Universal Edition herangehen. In den ersten siebenunddreissigeinhalb Jahren, von denen Heinsheimer fünfzehn Jahre als Chef der UE-Bühnenabteilung mitgestaltete, wurde erstaunlich vieles von dem, was heute die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts musikalisch verkörpert, dort verlegt: Werke von Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Alban Berg, Paul Hindemith, Kurt Weill, Ernst Krenek, Béla Bartók, Leoš Janáček und anderen – Erfolgswerke wie der Wozzeck, Jonny spielt auf, Die Dreigroschenoper oder Jenůfa.

Die Rezeptionsgeschichte der Moderne, wie sie sich vor allem in der Zwischenkriegszeit abspielte, wird in dieser Verlagsgeschichte aufgefächert. Sie belegt, dass dieser Schwerpunkt dem Wiener Verlag, durch die politische Entwicklung in Deutschland verursacht, unverhofft zufiel. In engster Verbindung mit dem Verlag wurden in den Musikblättern des Anbruch unkonventionelle, progressive und auch provokative Aufsätze, Konzert- oder Werkbesprechungen publiziert, welche neue Trends zu setzen vermochten. Heinsheimer nahm bereits die ersten Texte des 23-jährigen Theodor Wiesengrund-Adorno entgegen, aber auch Ernst Kreneks Kommentar dazu, dass diese Aufsätze «über den Stil seiner Rede hinaus (er sprach wie gedruckt) in jene Region hermetischer Verschlüsselung vorstiessen, die an Manieriertheit grenzt und die Lektüre seines Werkes so reizvoll wie schwierig macht». Heinsheimer porträtierte die Verlagskunden, die bei ihm ein- und ausgingen, treffsicher und mit manchmal süffisant-liebevoller Zuwendung, vermochte der Pingeligkeit Bartóks beim Notendruck Verständnis entgegenzubringen oder konnte die rechthaberische Haltung von Karl Kraus in Sachen Vertrag für seine Offenbach-Bearbeitungen bis in alle Verästelungen mit Lust nacherzählen.

Es ist ein Genuss, bei ihm die Musikgeschichte aus der Perspektive des Hinterzimmers protokolliert zu sehen; dabei wird einem von Neuem bewusst, welch entscheidende Rolle die UE für die Werke der Wiener Schule und für die zeitgenössische Musik gespielt hat, mit der grossen Zahl von Uraufführungen, über die im Anbruch (1919–1937) und in Pult und Taktstock (1924–1930) auch ausgiebig berichtet wurde; allerdings nur solange, bis die Hetze von rechts gegen «entartete Kunst» auch in Wien dominierte und die Publikationen eingestellt werden mussten. Alle Jahrgänge der beiden Zeitschriften sind heute in vollem Umfang digital zugänglich.

Zu erwähnen ist allerdings noch, dass diese Chronik 1975 entstanden ist, aber nicht vollendet und deshalb nicht gedruckt wurde. Auch vierzig Jahre später lohnt es sich noch, sie zu lesen – Heinsheimer ist 1993 in New York im Alter von 93 Jahren verstorben.
 

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Hans W. Heinsheimer: UE – Die ersten 37 ½ Jahre. Eine Chronik des Verlags, 160 S., ill., € 19.95, Universal Edition, Wien 2017, ISBN 978-3-7024-7513-0

Verarbeitung von Musik neu gedeutet

Forscher und Forscherinnen des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik, der Aix-Marseille Université, der New York University und der Universität Genf fordern in einem gemeinsamen Leitartikel die Überarbeitung bisheriger Theorien zu neuronalen Mechanismen der zeitlichen Verarbeitung von Musik und Sprache.

MEG-Scanner. Foto: NIMH (s. unten)/wikimedia commons,SMPV

Das Team stellt einen theoretischen Ansatz vor, der die Interaktion unterschiedlicher Hirnregionen in die bisherigen Verarbeitungsmodelle umfassend integriert. Der Ansatz ermöglicht erstmalig, sowohl periodische als auch aperiodische zeitliche Vorhersagen zu erklären.

Das Erkennen von Zeitstrukturen und die Vorhersage des Zeitpunkts eines Signals sind grundlegende Fähigkeiten des menschlichen Gehirns. Sie sind mehr noch eine wesentliche Voraussetzung für das Verstehen von Sprache oder die Verarbeitung von Musik, die über das reine Hören hinausgehen. Bisherige Forschung hat sich vor allem auf die neuronalen Mechanismen konzentriert, die es uns erlauben, periodische also regelmässig wiederkehrende Signale zu verarbeiten und aufgrund dieser zeitliche Vorhersagen zu treffen. Bisher wurde angenommen, dass dies durch neuronale Schwingungen, sogenannte Oszillationen, die im Gehirn auf ein sich wiederholendes Signal folgen, geschieht.

Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass das menschliche Gehirn auch in der Lage ist, aperiodische, also nicht regelmässige zeitliche Vorhersagen zu treffen. Diese Tatsache kann allein durch die Oszillationstheorie nur unzureichend erklärt werden. Mittels aperiodischer Vorhersagen ist das Gehirn zum Beispiel in der Lage, den Verlauf einer Bewegung abzuschätzen oder die Dynamik eines Gesprächs zu beurteilen. Dies legt nahe, dass aperiodische Prozesse für das Zurechtfinden im Alltag nicht minder entscheidend sind als periodische und deshalb – gestützt durch ein fundiertes theoretisches Modell – gründlich erforscht werden sollten.

Bisherige Modelle basieren auf der Annahme unterschiedlicher Mechanismen für periodische und aperiodische Vorhersagen: Zum einen Stimulus-gesteuert, das heisst durch Oszillationen, welche durch ein Signal hervorgerufen werden, zum anderen einen von unserem Gedächtnis geleiteten Mechanismus. Dagegen zeigt die aktuelle Forschung, dass neuronale Oszillationen im Gehirn von übergeordneten Verarbeitungsstufen beeinflusst werden, die auch aperiodische Prozesse einschliessen. Dabei sind mehrere Hirnareale zugleich aktiv. «Es ist wahrscheinlich, dass ein einheitlicher Mechanismus stattfindet, der auf neuronalen Oszillationen basiert, aber nicht rein Stimulus-gesteuert ist», erklärt Hauptautorin Johanna Rimmele vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik. «Oszillationen scheinen für die Prozesse der neuronalen Verarbeitung nach wie vor eine zentrale Rolle zu spielen – umfassend erklärt werden können zeitliche Vorhersagen aber nur durch eine komplexere Betrachtung mehrerer miteinander korrespondierender Hirnareale», führt die Neurowissenschaftlerin weiter aus.

Der Leitartikel schliesst mit offenen Fragen nach möglichen Forschungsansätzen, die auf das Modell aufbauen. Das Ziel müsse sein, die neuen Erkenntnisse auf theoretischer Ebene weiter zu verfeinern und experimentell zu untermauern.

Originalpublikation:
Rimmele, J. M., Morillon, B., Poeppel, D., & Arnal, L. H. (2018). Proactive sensing of periodic and aperiodic auditory patterns. Trends in Cognitive Sciences. https://doi.org/10.1016/j.tics.2018.08.003

 

Foto: National Institute of Mental Health, National Institutes of Health, Department of Health and Human Services 

 

Berner Klavierstudenten auf Erfolgskurs

Nikita Tonkonogov, Valentin Cotton und Igor Andreev, Studierende von Thomasz Herbut, haben in zahlreichen internationalen Wettbewerben überzeugt. Cotton etwa ist Preisträger des Wettbewerbs der Schenk-Stiftung und wird am 23. November 2018 mit dem Argovia Philharmonic Ravels Klavierkonzert in G-Dur spielen.

Igor Andreev. Foto: zVg

Master-Student Nikita Tonkonogov wurde am 3. Internationalen Klavierwettbewerb in Vigo, Spanien, (März 2018) mit dem Spezialpreis für die beste Interpretation zeitgenössischer Musik ausgezeichnet. Er ging auch als Sieger aus dem 8. Internationalen Siegfried-Weishaupt-Klavierwettbewerb in Deutschland (August 2018) hervor.

Igor Andreev, HKB-Alumnus und Tschumi-Preis-Gewinner 2017, wurde am 2. Brescia Classica International Piano Competition in Brescia (August 2018) mit dem 3. Preis ausgezeichnet. Am International Piano Competition Città di Acquaviva delle Fonti (September 2018) gewann er den 2. Preis und den Publikumspreis (der 1. Preis wurde nicht vergeben). Am International Piano Competition Città di Verona (September 2018) wurde er mit dem 3. Preis sowie mit dem Preis für die beste Interpretation einer klassischen Sonate ausgezeichnet (der 1. Preis wurde nicht vergeben). Und am Finale der 25. Ausgabe des traditionsreichen italienischen Klavierwettbewerbes Rina Sala Gallo in Monza hat die Jury unter der Leitung von Vladimir Ashkenazy ihm den 1. Preis zugesprochen, ausserdem wurde er dort ebenfalls mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.
 

Verleihung des Alberik-Zwyssig-Preises 2018

Am 28. Oktober wurden die preisgekrönten Werke von Cyrill Schürch, Zürich, Markus Fricker, Rupperswil, und David Lang, Mammern, erstmals aufgeführt.

Uraufführung von Cyrill Schürchs «Alle, welche dich suchen»,Fotos: Stiftung Zwyssighaus

Die in Bauen ansässige Stiftung Zwyssighaus hat den Kompositionswettbewerb «Alberik-Zwyssig-Preis» 2018 zum dritten Mal national ausgeschriebenen. Sie will damit einen Beitrag zum musikalischen Leben leisten. Gefragt waren geistliche Kompositionen, die für einen leistungsfähigen Laienchor aufführbar sind und das Potenzial haben, Eingang ins Repertoire von Schweizer Chören zu finden. Xaver Fässler, als OK-Präsident verantwortlich für den Kompositionswettbewerb, und Stiftungsratspräsidentin Irène Philipp übergaben die Preise und würdigten die Komponisten und ihre Werke:

1. Preis: Cyrill Schürch für «Alle, welche dich suchen»
2. Preis: Markus Fricker für «Ich hebe meine Augen auf»
3. Preis: David Lang für «Gebet»

Preisverleihung und Preisträgerkonzert fanden in der St. Johanneskirche in Zug statt. Der Kirchenchor Walchwil, die Sopranistin Rahel Bünter sowie Bertina Adame an Orgel und Klavier interpretierten die Werke unter der Leitung von Peter Wehrlen.

Die Stiftung Zwyssighaus hält das Andenken an Pater Alberik (oder auch Alberich) Zwyssig hoch. Von seinen liturgischen Kompositionen wurde ein Graduale später in überarbeiteter Form zur Grundlage der Schweizer Nationalhymne. Alberik Zwyssig kam 1808 zur Welt, verliess den Ort aber bereits als Kind und trat mit 13 Jahren ins Kloster Wettingen ein.
Sein Geburtshaus in Bauen wird seit 1934 von einer Stiftung verwaltet.

 

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Irène Philipp, Cyrill Schürch, Markus Fricker, David Lang, Xaver Fässler (v.l.)

Anpassungen am Kulturlastenausgleich

Ausgelöst durch ein Postulat des Aargauer Grossen Rats führten die Kantone Aargau, Zürich und Luzern Verhandlungen über eine Senkung der Aargauer Kulturlastenbeiträge. Nun haben sich die Regierungsräte auf eine Reduktion geeinigt.

Foto: Bernd Kasper/pixelio.de

Seit 2010 überweist der Kanton Aargau laut der Medienmitteilung des Kantons jährlich Beiträge an die Kantone Zürich und Luzern für die Leistungen überregionaler Kultureinrichtungen, die auch von Aargauerinnen und Aargauern in Anspruch genommen werden. Diese Zahlungen basieren auf einer bundesrechtlichen Verpflichtung im Rahmen des Finanzausgleichs und der neuen Aufgabenteilung zwischen dem Bund und den Kantonen (NFA). Gegenwärtig belaufen sich die Aargauer Beiträge auf insgesamt 5,6 Millionen Franken pro Jahr (4,7 Millionen Franken an den Kanton Zürich, 0,9 Millionen Franken an den Kanton Luzern). Im November 2016 überwies der Aargauer Grosse Rat ein Postulat, das vom Regierungsrat die Neuverhandlung des Kulturlastenausgleichs mit dem Ziel verlangte, die Beiträge auf jährlich 4,9 Millionen Franken zu senken. Zudem sollten die Beiträge an die zwei Standortkantone nicht mehr alle drei Jahre neu berechnet, sondern als Pauschale festgelegt werden.

Nach mehrmonatigen Verhandlungen konnten sich die Verhandlungspartner nun auf einen Kompromiss einigen: Zürich und Luzern gestehen dem Aargau eine Reduktion zu. Ab 2019 soll der Gesamtbetrag des Kantons Aargau auf rund 5,25 Millionen Franken sinken. Die Entlastung gilt für sechs Jahre von 2019 bis 2024. Hingegen wird auf den vom Aargauer Grossen Rat gewünschten Wechsel zu Pauschalbeiträgen verzichtet. Ein solcher Wechsel lässt sich im Rahmen der geltenden interkantonalen Vereinbarung nicht umsetzen und würde den Austritt des Kantons Aargau aus der Vereinbarung bedingen. Mit dem vorliegenden Kompromiss kommen die Kantone Zürich und Luzern dem Kanton Aargau finanziell entgegen. Mit seinem Verbleib in der Vereinbarung bekennt sich der Kanton Aargau gleichzeitig zur bundesrechtlichen Verpflichtung zum Kulturlastenausgleich.

Vor Inkraftsetzung der Reduktion Anfang 2019 soll der Aargauer Grosse Rat zum Verhandlungsergebnis Stellung nehmen. Dazu unterbreitet der Aargauer Regierungsrat dem Grossen Rat eine Botschaft und beantragt die Abschreibung des hängigen Postulats.

Die angespannte Finanzsituation habe in mehreren Kantonen der Deutschschweiz kritische Diskussionen zum Kulturlastenausgleich ausgelöst und dessen Akzeptanz geschwächt, schreibt der Kanton Aargau weiter. Einzelne Kantone beteiligen sich nicht an der finanziellen Abgeltung von Zentrumslasten, welche Standortkantone von Kultureinrichtungen mit überregionaler Ausstrahlung tragen. Auf Initiative des Kantons Zürich hat die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) den Kulturlastenausgleich auf die Traktandenliste gesetzt, um eine Standortbestimmung vorzunehmen und eine gesamtschweizerische oder zumindest sprachregionale Lösung zu erarbeiten. Neben dem Kanton Zürich unterstützen auch die zuständigen Regierungsräte der Kantone Aargau und Luzern die Bestrebungen der EDK. Mit dem ausgehandelten Kompromiss setzen die drei Kantone im interkantonalen Umfeld ein Zeichen für Kontinuität in der Zusammenarbeit beim Kulturlastenausgleich. Sie unterstützen damit die Suche nach einer zukunftsfähigen, breit abgestützten Lösung auf gesamtschweizerischer Ebene, um so der bundesrechtlichen Verpflichtung zum Lastenausgleich im Bereich der Kultur Nachachtung zu verschaffen.
 

Musikpreise 2018 des Kantons Bern

Die vier mit je 15ʹ000 Franken dotierten Musikpreise 2018 des Kantons Bern gehen an Paed Conca, Christian Kobi, Björn Meyer und Sassy J. Mit dem Coup de cœur 2018, dotiert mit 3000 Franken, wird Milena Patagônia ausgezeichnet.

Björn Meyer. Foto: Fotini Potamia

Der Klarinettist und Bassist Paed Conca arbeitet seit fast 30 Jahren als Musiker und Komponist. Er schreibt Musik für Theater und Tanz, Film und kleine Ensembles oder improvisiert zusammen mit Grössen des Fachs. Sein Schaffen führt ihn regelmässig quer durch Europa und nach Japan, ein Schwerpunkt ist zurzeit auch der Libanon.

Der Saxophonist Christian Kobi ist Mitglied des Saxophon-Ensembles «Konus-Quartett», er tritt aber auch als Solist international auf. Ausserdem hat er in Bern 2004 das Zoom-in-Festival gegründet und damit erneut eine Plattform für improvisierte Musik in Bern geschaffen.

Der Bassist Björn Meyer arbeitete mit der persischen Harfenistin und Sängerin Asita Hamidi, dem tunesischen Oud-Meister Anouar Brahem oder auch mit dem Schweizer Komponisten und Holzbläser Don Li zusammen. Vor einem Jahr erschien sein erstes Solo-Album «Pro-venance» bei ECM.

Sassy J. wurde mit ihrem Auftritt am Worldwide Festival in Sètes 2013 international bekannt. Es folgten ein Mix auf Kassette für das Label The Trilogy Tapes, Auftritte in Barcelona und Amsterdam. Sie erntet damit die Früchte einer Arbeit, die Anfang der Neunziger im Jugendzentrum Graffiti in Bern mit Hip-Hop an zwei Plattenspielern begonnen hat.

Hinter dem Pseudonym Milena Patagônia steckt die 31-jährige Musikerin und Bund-Journalistin Milena Krstic. Nachdem sie lange mit der Rockband The New Cool unterwegs war, hat sie in den letzten Jahren im Duo mit Sarah Elena Müller (Gesang/Keyboard) und vor allem mit ihrem Soloprojekt als Milena Patagônia (Stimme/Elektronik) einen eigenständigen Stil gefunden. Sie gehört zu einer neuen Generation Berner Mundart-Pop.

Die öffentliche Verleihung der Musikpreise 2018 findet am Montag, 19. November 2018, um 19.30 Uhr in der Dampfzentrale Bern statt.

Komplexitäten, digital und primitiv

Wechselbad der Gefühle bei den diesjährigen Donaueschinger Musiktagen.

Zimouns Klanginstallation. Foto: © SWR, Ralf Brunner

Die Uraufführung eines Stücks aus dem Jahr 1965 ist nicht alltäglich – erst recht nicht im Rahmen der Donaueschinger Musiktage, wo man Aktuelles gross schreibt. Auf dem Programm steht diesmal ein Stück von Hermann Meier, diesem Schweizer Unbekannten, dessen Ästhetik weder zur Nachkriegsavantgarde passen wollte noch zu den Vorstellungen eines Festivalmachers in den Sechzigerjahren. Heinrich Strobel, damaliger Leiter der Donaueschinger Musiktage, lehnte Meiers Werke ab. Schlicht resigniert notierte der 1906 in Selzach geborene Komponist auf der letzten Partiturseite des Stücks für grosses Orchester und Klavier vierhändig: «SW-Funk hat mir diese Partitur am 6. 10. 1965 zurückgewiesen».

Seltsam ist er, der Ton dieses «Stücks»: Meier mied nicht nur thematisches Material, er verzichtete auch bewusst auf jegliche Entwicklungen. Von der bildenden Kunst war er stark beeinflusst. Begeistert von der Zürcher Ausstellung Piet Mondrians im Jahr 1955 komponierte er statisch-zeitlose Klangflächen, die er blockartig aneinanderreihte. Dieses hier ist nicht Meiers stärkstes Werk. Über weite Strecken kommen karge Paukenschläge oder hämmernde Klaviercluster. Zu selten setzt er die Streicher ein, obwohl deren liegende Flächen kühlklanglichen Reiz entfalten. Antiexpressiv Monotones, auch Schroffes hat Meier wohl intendiert – bei all dem fehlt aber jenes Wild-Radikale, das viele andere seiner Orchesterstücke auszeichnet. Es ist noch einiges zu entdecken im zu wenig ausgeleuchteten Meier-Kosmos.
 

Vom Misslingen …

22 Uraufführungen gab es diesmal. Qualitative Querstände haben bei den Donaueschinger Musiktagen Tradition, doch selten erreichte das Auf und Ab solche Dimensionen. Isabel Mundry strandet vollends. Sie führte ein Interview mit einem syrischen Studenten und lässt daraus Ausschnitte sprechen von den Sängern des SWR-Vokalensembles. Im offenbar intendierten Alltagsbezug gerät dieses Mouhanad zu einer oberflächlichen, geradezu peinlichen Auseinandersetzung mit einem Thema, das seiner Vielschichtigkeit beraubt wird. Sicher: Man muss nicht immer dekonstruieren oder collagieren. Aber ein künstlerischer Mehrwert entsteht nicht, wenn man allseits bekannte Organisationsprobleme eines Flüchtlings inmitten deutscher Bürokratie redundant referiert. Auch das Orchesterwerk Ricochet des englischen Komponisten Benedict Mason scheitert. Munter spazieren hier die Musiker des SWR-Symphonieorchesters durch die Publikumsreihen, begeben sich auch mal auf Flure oder in Räume der Baar-Sporthalle. Doch schnell erschöpft sich das Geschehen klanglicher Fernwirkungen und einfachster Dialoge verschiedener Orchestergruppen. Tonwiederholungen, simple Achtelrhythmen oder das Intonieren banalster Tonleitern unterforderten Musiker und Publikum.

… und Gelingen

Beeindruckende Überforderung gab es auch. Georges Aperghis bearbeitete in seinem Thinking Things das in Donaueschingen zentrale Thema «Mensch und Maschine». Auf der Bühne befinden sind so etwas wie aneinandergereihte Stellwände mit Guckkästen. Über den Wänden fährt ein sprechender Roboterkopf hin und her, es ragen künstliche, sich bewegende Gliedmassen hervor, die Wandausschnitte geben den Blick frei auf reale Schauspieler, dazu kommen simultan erscheinende Videosequenzen, harsch-zerrissene Computersounds sowie eine Surround-Beschallung. Aperghis spricht von einer «Scherzo-Panik» – in der Tat wirkt sein multimediales «Theater der Verirrungen der Robotik» furchteinflössend. Schliesslich könnte die noch surreale Verselbständigung der Maschine bald real sein. Auf andere Art überzeugte eine Ballata N. 7 für Ensemble des 1973 geborenen Italieners Francesco Filidei. Er hat ein Faible für die Musiktradition und imponiert durch ungeheuren Ideenreichtum kombiniert mit einem Sinn für immanent Musikalisches. Gegen Ende der reichen Ballata N. 7 kommt eine mahlereske Idylle in unverkennbar ironischer Überzeichnung. Danach entfaltet das Umblättern offenbar leerer Partiturseiten leicht pulsierenden Schub. Ist alles gesagt? Nein, auch im Bereich der Ensemblekomposition gibt es noch viele erquickende Ideen – wohlgemerkt auch ohne Video, Elektronik oder grossartige Konzepte im Hintergrund.

Gleiches gilt für Klanginstallationen. 84 kleine Elektromotoren verbindet der 1977 in Bern geborene Klangkünstler Zimoun mit Bällen, die auf gestapelte Umzugskartons schlagen. Es ist auch hier nichts Digitales dabei, kein Computer, kein Microcontroller, keine komplizierte Motorsteuerung. «Primitive Komplexität» nennt Zimoun sein künstlerisches Credo, das dem Zufall Raum gibt und damit polyfon-irregulären Rhythmen, die in ihrem Eigenleben Kraft entfalten.
Ein Resümee eines derart dichten Festivals wie der Donaueschinger Musiktage kann es kaum geben. Ein Plädoyer vielleicht schon: weniger Brimborium tut es auch.
 

Umfrage zur Musik in der Volksschule

Der Verband Schweizer Schulmusik VSSM hat 2017/18 bei allen kantonalen Bildungsdirektionen eine Umfrage zum Fach Musik in der Volksschule lanciert. Nun liegen die Resultate vor.

Foto: Gerardo Madeo/pixelio.de,SMPV

Die Schwerpunkte der Umfrage bildeten die Stundentafel der Zyklen 1,2,3 nach der Einführung des Lehrplans 21, die Musikausbildung der Primarlehrpersonen in der Pädagogischen Hochschulen und die Umsetzung des Verfassungsartikels 67a zur musikalischen Bildung. Die Umfrage beinhaltete sechs konkrete Fragen, unter anderem Sicherstellung des Musikunterrichts an der Volksschule, Sparmassnahmen sowie zum Thema jugend+musik.

Der VSSM hat zu allen Fragen seine Stellungnahme in der Umfrage deklariert; so verlangt er zum Beispiel, dass Musik ein Pflichtfach für die Primarstufenausbildung ist respektive wird. Die Umfrage bildet den aktuellen Stand der Musikbildung in den Volksschulen der Kantone ab und zeigt , dass der Bundesartikel Art. 67a zwar auf dem Weg, aber noch längst nicht den Vorgaben entsprechend umgesetzt ist.

Die ganze Umfrage ist unter www.verbandschweizerschulmusik.ch/umfrage abrufbar.

Rückkehr ins neue alte Haus

Die Genfer Carmen lässt ihre Verführungskünste zurzeit noch in der Opéra des Nations, auf der Ersatzbühne, spielen. Im Februar 2019 soll aber das renovierte Grand Théâtre wiedereröffnet werden.

Arbeiten im Grand Théâtre in Genf. Foto: Nicole Zermatten / Ville de Genève,Foto: GTG / Magali Dougados

Das Genfer Opernhaus betritt man an diesem Septembernachmittag durch eine Absperrung über einen steinigen Baustellenweg. Bei der Führung für die internationale Presse werden Schutzhelme verteilt. Fast drei Jahre dauert die aufwendige Renovation, ehe das renommierte Haus am 12. Februar 2019 mit dem Ring des Nibelungen wiedereröffnet wird. Ab der kommenden Saison übernimmt dann der Zürcher Aviel Cahn, der zurzeit noch die Flämische Oper in Antwerpen/Gent mit grossem Erfolg leitet, in der Nachfolge von Intendant Tobias Richter die Führung des Hauses.
Die Restauratoren haben Zwischendecken entfernt, grossformatige Fresken gereinigt und neue Farbe aufgetragen. Auch wenn noch nicht alles fertig ist – das Ergebnis kann sich jetzt schon sehen lassen. Die Gemälde sind viel intensiver geworden. In der prächtigen Eingangshalle wurden zusätzlich ein Kassenhäuschen und eine Bar eingerichtet, um das Gebäude auch tagsüber zu beleben und zur Stadt hin zu öffnen. Stark verändert hat sich das Atrium. Hier wurde die mit reichem Stuck verzierte Originaldecke freigelegt. Statt der Glastüren führen nun moderne, dunkle Holztüren in die Eingangshalle. Auch die Neonröhren sorgen für einen Hingucker im historisch-dekorativen Umfeld. Selbst eine Brandschutztür ist hier mit Ornamenten geschmückt.

Wer über weit geschwungene Treppen den ersten Stock betritt, wird geradezu überwältigt vom reich verzierten Grand Foyer. Schwere Kristalllüster hängen an den vom Genfer Maler Léon Gaud üppig ausgestalteten Decken. Auch die beiden kleineren Räume – das Foyer Rath und das Foyer Lyrique, das Sponsoren und Mäzenen vorbehalten ist – sind mit viel Liebe zum Detail renoviert worden. Der Backstage-Bereich, den man bei der Führung nicht zu sehen bekommt, wurde ebenfalls modernisiert, so dass sich nicht nur die Besucher, sondern auch die Künstler im erneuerten Haus noch wohler fühlen dürften. Die Künstlergarderoben, die Werkstätten, die Büros, der Küchenbereich – bis auf die Bühne und den Zuschauerraum wurde alles technisch und ästhetisch auf den neuesten Stand gebracht. Zusätzlich konnte man zwei unterirdische Proberäume für den Chor und das Ballett einrichten. Von den 75 Millionen Schweizer Franken, die der Umbau kostete, übernahm die Stadt Genf 70 Millionen. Die restlichen 5 Millionen wurden von Stiftungen finanziert.
 

Reisefreudige Ersatzspielstätte

Während der Umbauzeit mussten die Genfer aber keineswegs auf Opernvorstellungen verzichten. Mithilfe von Sponsorengeldern konnte neben dem UNO-Gelände ein vollständiges, aus Holz gebautes Opernhaus aufgestellt werden, das akustisch hohen Ansprüchen genügt. Diese Opéra des Nations hatte man von der Pariser Comédie-Française gekauft und mit 60 Sattelschleppern nach Genf gefahren. Bei der Carmen-Premiere, die die Spielzeit eröffnet, geniessen die Besucher an diesem Septemberabend einen Aperol Spritz auf dem kleinen Vorplatz. Der rote Teppich ist hier blau. Statt auf Stuck und Fresken blickt man in dem funktionalen Gebäude auf nüchterne Holzwände. Hierher kommt man wegen der Musik – und die kann sich im steil ansteigenden Zuschauerraum hören lassen. Die vom Orchestre de la Suisse Romande unter der Leitung von John Fiore gespielte Ouvertüre klingt federnd und transparent. Regisseurin und Choreografin Reinhild Hoffmann gelingt das Kunststück, mit ganz wenigen Mitteln und einer ausgezeichneten Personenführung die viel gespielte Oper zu einem facettenreichen, packenden Drama zu machen. Sébastien Guèze als Don José klingt anfangs noch etwas nasal. Je länger der sich zuspitzende Abend dauert, desto freier und auch dramatischer wird die Stimme des französischen Tenors. Mit Ekaterina Sergeeva hat er eine Carmen der Extraklasse an seiner Seite, die mit ihrem tief gründenden Mezzo nicht nur vokal auftrumpft, sondern auch über eine grosse Ausstrahlung verfügt. Ildebrando D’Arcangelo ist ein viriler Escamillo mit Charme und dunklem Timbre.

Mit Rossinis Viva la Mamma (Premiere am 21. Dezember) werden sich die Genfer dann von ihrem hölzernen Opernhaus verabschieden.
Intendant Tobias Richter blickt zufrieden zurück auf die zweieinhalb Spielzeiten in der Opéra des Nations: «Wir konnten hier ein ganz anderes künstlerisches Profil zeigen – gerade mit den Barockopern. Der Umzug hat uns auch ermöglicht, ein neues Publikum zu gewinnen, ohne dabei das alte zu verlieren. Das war eine grosse Herausforderung.» Nach dem Umzug wird die Ausweichspielstätte wieder abgebaut und nach China transportiert – dort hat eine private Produktionsfirma das portable Opernhaus gekauft. Und möchte der Intendant in den letzten Monaten seiner Genfer Amtszeit etwas verändern im neuen alten Haus? «Meine Absicht ist es, das Publikum und das künstlerische Team wieder gut und sicher ins Grand Théâtre de Genève zurückzubringen. Für Veränderungen wäre dann mein Nachfolger zuständig.»
 

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Sébastien Guèze (Don José) und Ekaterina Sergeeva (Carmen)

Alternative Fassung des Mozart-Requiems

Der Komponist Pierre-Henri Dutron, ein Absolvent der Schola Cantorum Basilensis, hat eine eigene Vervollständigung von Mozarts Reqiuem vorgelegt. Letztes Jahr wurde sie von René Jacobs eingespielt. Die Partitur ist nun unentgeltlich aus dem Web herunterladbar.

Manuskriptseite von Mozart, kurz bevor die Komposition abbricht. Quelle: wikimedia commons

Für seine Vervollständigung des Reqiuems von Mozart hat sich Dutron eingehend mit Mozarts Autograf auseinandergesetzt. Seine Orchestrierung setzt neue Farbenakzente und die Dramaturgie neue Kontraste, ohne dass die Tonsprache von Mozarts Zeit verlassen würde. Überzeugt hat dies René Jacobs, der die Version 2017 fürs Label Harmonia Mundi  aufgenommen hat. Weitere Aufführung sind unter anderem geplant durch Raphaël Pichon.

Pierre-Henri Dutron ist Komponist, Arrangeur, Geiger und Produzent. Er absolvierte seine Studien in Basel und am Conservatoire National Supérieur de Paris. Aus seiner Feder stammen mittlerweile rund zehn Bühnenwerke, darunter «Et les Hommes se tairont» (2011), «Cecilia da Roma» (2012) und «Les Cordes tendues» (2015). Als Produzent arbeitet er auch mit Pop- und Indie-Bands, so hat er etwa für MTV-Unplugged die Reggae- und Hip-Hop-Band Gentleman begeleitet. Daneben ist er als Filmmusiker und Interpret klassischer Musik aktiv.

Die Partitur kann unter www.pierrehenridutron.com/fullscore.html heruntergeladen werden.

Nachtrag 10. Juni 2022: Dieser Link funktioniert leider nicht mehr – ein aktueller Link war im Netz nicht zu finden. (SMZ/ks)

Oper als Slapstick, in Tram oder Box

Wie könnte Oper jenseits traditioneller Bühnen und Formen funktionieren? Community Oper in Freiburg, «Kindertotenlieder» und «Im Amt für Todesangelegenheiten» in Luzern.

«Kindertotenlieder» in der Luzerner Box. Foto: Ingo Höhn,Foto: Maurice Korbel,Foto: Ingo Höhn

«Oper, das heisst ja für viele: Zwei dicke Menschen schreien sich an. Und am Ende stirbt die Frau», konstatierte Mustafa Akça grinsend auf dem Freiburger Symposium Oper findet Stadt. Community Oper als Schnittstelle zwischen zeitgemässer Musikvermittlung und Kunst, gemeinsam veranstaltet vom Verein Community Oper Freiburg und dem Netzwerk Junge Ohren. Akça versucht an der Komischen Oper Berlin, das Haus auch für neue Kulturkreise zu öffnen. Deshalb packt er seit mehreren Jahren regelmässig einige Musiker und Sänger in sein Operndolmuş (Sammeltaxis heissen in der Türkei Dolmuş – türk. gefüllt) zu einem «Flashmöbchen» und fährt in andere Stadtteile, um dort einige Szenen aus aktuellen Produktionen als sogenannte Pop-Up-Opera in einer Bar zu spielen. «Die subventionierte Oper muss für alle Schichten der Stadtbevölkerung da sein.» Im Bereich Oper seien die aus dem 19. Jahrhundert stammenden, aristokratischen Strukturen besonders verfestigt, klagten die Podiumsteilnehmer. An der Hochschule der Künste Bern möchte Barbara Balba Weber deshalb schon in der Ausbildung das Interesse der Studenten an anderen Gesellschaftsgruppen wecken. Auch in Freiburg will man, wie Dramaturg Veit B. Arlt sagt, «raus aus der Festung des Stadttheaters» und sich andere Räume und ein neues Publikum erschliessen.

Operntram in Freiburg i. B.

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Eine fahrende Strassenbahn ist solch ein Raum. Aber nicht nur innen ist Platz für Bühne und mitfahrende Premierenbesucher, sondern auch von aussen fällt der Blick aufs Geschehen, wenn an den Haltestellen die Wartenden mit erstauntem Blick einige Sekunden der Aufführung mitbekommen. Arlts Stückidee, das Publikum zu Touristen zu machen, die im Jahr 2048 durch einen nachgebauten Breisgau-Erlebnispark fahren, ist brillant. Leider wird die daraus erwachsende theatralische Spannung in der Inszenierung von Thalia Kellmeyer nicht weiter ausgespielt; Freiburg zieht unkommentiert am Fenster vorbei. Dafür mimt ein Laienchor (Leitung: Raffaella Dilles) opernbegeisterte Freiburger, die sich nach dreissig Jahren Gesangsverbot aus ihrem Versteck wagen. Dirigent Jan F. Kurth hat dafür eine stark rhythmisch geprägte Musik geschrieben, die ein wenig an Kurt Weill erinnert. Am Ende biegt die Strassenbahn nach 45 kurzweiligen Minuten wieder in den Betriebshof ein, um in der Halle von tanzenden Menschen begrüsst zu werden. Was genau das nun erreichte Opernhaus der Zukunft ist, bleibt aber ungewiss.

Holzbox in Luzern

Auch der Luzerner Intendant Benedikt von Peter sucht neue Räume. Mit der hölzernen Box direkt neben dem Theater hat er eine permanente Aussenspielstätte installiert, die die Hemmschwelle für das Publikum senken soll. «Es besteht Lebensgefahr», kreischt ein Kind mit Hasenohren (Fionn Berchtold) durch das Megafon. «Es geht um ihre Zukunft!» Dann wird man einzeln und fürsorglich für den einstündigen Musiktheaterabend Kindertotenlieder im Dunkeln an seinen Platz in der Box begleitet. Eine Frau und ein Mann (Sarah Alexandra Hudarew und Jason Cox) haben sich voneinander abgewendet. Der britische Sound-Künstler Matthew Herbert imaginiert mit eingespielten Geräuschen wie Zähneputzen den Alltag dieses Paares. Erst nach zehnminütiger Collage beginnt Sarah Alexandra Hudarew mit Gustav Mahlers erstem Lied Nun will die Sonn’ so hell aufgehn, begleitet von zwölf Mitgliedern des Luzerner Sinfonieorchesters (Leitung: Clemens Heil), die im Raum verteilt sind und immer wieder ihren Platz wechseln. Aufwühlen kann die Produktion aber nicht. Der Schmerz ist mehr behauptet als gefühlt.

Operette und Revue in der U-Bahn

Die sogenannte Slapstickoper Im Amt für Todesangelegenheiten von Klaus von Heydenaber (Regie: Viktor Bodó) beschäftigt sich ebenfalls mit dem Tod – allerdings auf eher komödienhafte Weise. Eine Oper (fast) ohne Text, gespielt vom agilen Luzerner 21st Century Orchestra (Musikalische Leitung: William Kelley) und einem aus Schauspielern und Sängern zusammengesetzten Solistenensemble. Der Abend auf der Hauptbühne des Luzerner Theaters atmet den Geist von Operette und Revue, zumal auch kleine Choreografien eingebaut werden. Im ersten Stock sitzt das klinisch weisse Amt für Todesangelegenheiten, in dem Beamten, einheitlich gekleidet und frisiert Kaffee kochen und Notizblöcke ausfüllen (Bühne: Márton Ágh). Darunter befindet sich eine versiffte U-Bahn-Station, die zu den groovenden, neoklassizistisch gefärbten Klängen aus dem Orchestergraben vorerst noch leer bleibt. Zwischen Fotoautomat, Coiffeursalon und Toilette bewegen sich dann die einsamen Figuren in einer eigenen Welt. Angetrieben von der eingängigen Musik wird ein Beziehungsnetz geknüpft, in dem die Akteure mal mehr, mal weniger zueinander finden. Echte Reibungsflächen entstehen aber nicht. Und auch die Slapstick-Szenen sind überschaubar. Am prägnantesten wird noch die Figur von Diana (Schnürpel) ausgestaltet, die sich von der russischen Putzfrau zur Primadonna im Klopapierkleid (Kostüme: Fruzsina Nagy) entwickelt. Der zweite Teil spielt in einer Leichenkammer, bevor das Amt für Todesangelegenheiten den Reset-Knopf drückt, die Musik rückwärts läuft und die Personen ihre Kostüme und damit ihre Identitäten getauscht haben. Alles könnte nun unter veränderten Vorzeichen von vorne beginnen – aber genau an der Stelle, die Spannung verspricht, bricht die Oper ab.

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Szene aus «Im Amt für Todesangelegenheiten» von Klaus von Heydenaber

Neuer Konzertsaal für Winterthur

Die Halle 53 – eine Industrie-Anlage auf dem ehemaligen Winterthurer Sulzer-Areal – soll in Zukunft Nutzungen beherbergen, die eine überregionale Ausstrahlung haben. Das Herzstück: ein polyvalenter Saal für Musikkonzerte aller Sparten.

Halle 53. Foto: Stadt Winterthur

Nach dem Kauf der Halle 53 durch die Stadt im Sommer 2015 hat das Amt für Städtebau eine zweistufige, öffentliche Ausschreibung durchgeführt. Gewählt wurde ein Team um Beat Rothen Architektur GmbH (Winterthur) und «Denkstatt sàrl» (Basel). Für die Prozessgestaltung hat das Team den ehemaligen Stadtbaumeister Michael Hauser verpflichtet.

Im Kopfbau der Halle sieht das Konzept den Einbau eines polyvalenten Saals mit einem Fassungsvermögen für rund 1200 Personen vor, der für Musikkonzerte aller Sparten – zum Beispiel für Konzerte des Musikkollegiums oder auch für Pop-Konzerte – vorgesehen ist. Es sind aber auch andere Nutzungen wie zum Beispiel Kongresse, Tagungen und Messen möglich. Auf der Plattform neben dem Saal, mit Aussicht in die imposante, dreischiffige Halle, ist eine Bar geplant. In der Halle selbst soll es ein qualitatives und vielfältiges Angebot mit mehreren Kleinküchen geben (Foodcourt) geben.

Auf zwei Plattformen, die längs in die Halle eingebaut werden, befinden sich «Co-Working-Spaces», sowie Kurs- und Seminarräume. Als Mieterinnen und Mieter dieser Räumlichkeiten sind unter anderen die ZHAW und der Technopark denkbar. Angedacht sind zudem Synergien mit dem angrenzenden Veranstaltungssaal. Der offene, flexible Teil der Halle wird als Marktplatz vielfältig temporär bespielt werden können. Er dient als Treffpunkt im Alltag nicht zuletzt für das Quartier. Hier können weiterhin Veranstaltungen wie Afro-Pfingsten, Jungkunst usw. stattfinden.
 

Donaueschingen öffnet mit Schweizer Beitrag

Die Donaueschinger Musiktage sind mit einer Klanginstallationen des Schweizer Künstlers Zimoun und einer Podiumsdiskussion über Mechanismen der Musikbranche eröffnet worden.

Vorläufer der Donaueschinger Installation 2017 in Paris. Foto: Zimoun/wikimedia commons

Am diesjährigen Neue-Musik-Festival in Donaueschingen stehen Experimentelle Musik, technische Versuche und neue Präsentationsformen im Mittelpunkt. Uraufgeführt werden unter anderem Werke von Isabel Mundry, Georges Aperghis, Benedict Mason, Francesco Filidei, Enno Poppe, Marco Stroppa und Agata Zubel. erwartet werden etwa 10’000 Besucher.

Eröffnet worden sind sie mit einer Installation des Schweizer Künstlers Zimoun. Er «verwandelt den Raum mit mechanischen Klangerregern in rhythmisch komplexe Zeitstrukturen.» Das Klangkunstprogramm der Donaueschinger Musiktage präsentiert in diesem Jahr zudem Arbeiten aus Ägypten, Bolivien, Marokko und Taiwan. Im Mittelpunkt stehen dabei Arbeiten, die «einen bedeutsamen Zusammenhang herstellen zwischen Lebenswirklichkeiten, kulturell geprägten Klangvorstellungen und den verwendeten Materialien», darunter bewusst povere Stoffe wie Pappe und Draht, Naturmaterialen wie Ton und Stein.

 

Erneuerte Basler Kulturpartnerschaft

Die beiden Regierungen von Basel-Stadt und Basel-Landschaft haben die Eckwerte für den neuen Kulturvertrag und die Kulturpartnerschaft ab 2022 definiert. Die Abgeltung des Kantons Basel-Landschaft an den Kanton Basel-Stadt für kulturelle Zentrumsleistungen wurde auf 9.6 Millionen Franken pro Jahr festgelegt.

Haus der elektronischen Künste Basel in Münchenstein/BL. Foto: Re probst/wikimedia commons

Eine Entflechtung der Zuständigkeiten gewährleistet laut der Mitteilung der Regierungen, dass das Bestehen aller betroffenen Institutionen gesichert werden kann. Die neu definierten Eckwerte stelle die Grundlage für eine «zukunftsgerichtete und nachhaltige Kulturpartnerschaft zwischen den zwei Kantonen dar».

Wie im bisherigen Kulturvertrag sind die Mittel zweckgebunden für kulturelle Zentrumsleistungen und die Unterstützung privater oder öffentlicher Museen ist ausgeschlossen. Der Kanton Basel-Landschaft entrichtet die Abgeltung künftig an den Kanton Basel-Stadt und nicht mehr an einzelne Institutionen. Die Verteilung der Mittel an die Institutionen erfolgt durch den Kanton Basel-Stadt und aufgrund von objektiven Kriterien, die vertraglich festgelegt werden.

Entflechtung der Zuständigkeiten in der institutionellen Förderung und Stärkung der projektbezogenen partnerschaftlichen Förderung Im Sinne einer Entflechtung der Zuständigkeiten übernimmt der Kanton Basel-Landschaft ab 2022 deutlich mehr Verantwortung für das Haus der elektronischen Künste (HeK), das in Basel-Landschaft domiziliert ist, und überträgt seinen Anteil am Betriebsbeitrag an den RFV Basel (Popförderung und Musiknetzwerk der Region Basel), der im Auftrag der beiden Kantone fördert, ins reguläre Kantonsbudget. Die Förderung der Basler Papiermühle, die seit 2017 im Sinne einer Übergangslösung aus der Kulturvertragspauschale unterstützt wird, fällt künftig ganz in die Verantwortung des Kantons Basel-Stadt.

Im Bereich der partnerschaftlichen Projekt- und Produktionsförderung setzen die beiden Regierungen «ein sichtbares Zeichen für eine starke Förderpartnerschaft», indem die Finanzierung der bikantonalen Fachausschüsse BS/BL ab 2022 vollständig paritätisch ausgestaltet wird. Der Kanton Basel-Landschaft erhöht dazu die Beiträge einseitig bis zur vollen Parität.

Mit den vorliegenden Eckwerten für die künftige Kulturpartnerschaft präsentieren die beiden Regierungen eine Lösung, die das Bestehen der insgesamt 17 aus dem aktuellen Kulturvertrag (Kulturvertragspauschale) unterstützten Institutionen sichert. Sie vollziehen einen Systemwechsel im Sinn einer Entflechtung von Zuständigkeiten in der institutionellen Förderung und stärken die projektorientierte Förderung. Die Regierungen sind überzeugt, dass die neu definierten Eckwerte die Grundlage für eine zukunftsgerichtete und nachhaltige Kulturpartnerschaft darstellen.

Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft strebt zusätzlich ein verstärktes Engagement bezüglich der kulturellen Infrastruktur und eine Stärkung der Projekt- und Produktionsförderung im Kanton Basel-Landschaft an. Hierbei beabsichtigt er insbesondere, gemeinsam mit dem Verband Basellandschaftlicher Gemeinden (VBLG) Strukturen zu erarbeitet, die eine bessere Koordination zwischen dem Kanton und den Gemeinden im Bereich der Kulturförderung ermöglichen.

Der bisherige Kulturvertrag (Kulturvertragspauschale) bleibt unverändert bis Ende 2021 bestehen und wird per Januar 2022 vom neuen Kulturvertrag abgelöst. Die beiden Regierungen werden den neuen Staatsvertrag, den gemeinsamen Bericht und die beiden Parlamentsvorlagen Anfang 2019 in die Vernehmlassung schicken.
 

Musikbibliotheken in Deutschland

1,5 Millionen Schüler allein an kommunalen Musikschulen, 100’000 Teilnehmer an Musikangeboten der Volkshochschulen – aber nur 72 öffentliche Musikbibliotheken. Eine flächendeckende Versorgung mit Medien für die praktische Musikausübung, für das aktive Hören von Musik und für das Lernen über Musik ist in Deutschland vielerorts nicht gewährleistet.

Foto: Michael Lucan/pixelio.de

Dabei seien öffentliche Musikbibliotheken ein unverzichtbarer Bestandteil der musikalischen Bildung, schreibt der Deutsche Musikrat. Mit seinem neuen Online-Angebot «Fokus: Öffentliche Musikbibliotheken» dokumentiert das Deutsche Musikinformationszentrum (MIZ) die aktuelle Infrastruktur öffentlicher Musikbibliotheken.

Die finanziellen Rahmenbedingungen für die öffentlichen Musikbibliotheken seien in der viertstärksten Industrienation der Welt vielerorts desaströs, so der Musikrat weiter. Deshalb seien die Länderparlamente wie Trägereinrichtungen aufgefordert, die bestehenden Einrichtungen adäquat auszustatten und die weissen Flecken durch Neueinrichtungen zu tilgen.

Das neue Online-Angebot des MIZ ist in Kooperation mit der Deutschen Ländergruppe der International Association of Music Libraries, Archives and Documentation Centres entstanden. Über eine interaktive Karte können Informationen zu den einzelnen öffentlichen Musikbibliotheken abgerufen werden. Diese umfassen den physischen und digitalen Bestand der Bibliotheken einschliesslich ihrer Schwerpunkte und Sondersammlungen. Abgerundet wird der neue Fokus mit weiterführenden Informationen sowie Bilderstrecken, die einen Einblick in die Angebote und Ausstattungen öffentlicher Musikbibliotheken geben.

Mehr Infos: https://themen.miz.org/fokus-oeffentliche-musikbibliotheken

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