Stadt Luzern steht zu Subventionsverträgen

Das Förderinstrument der Subventionsverträge habe sich in der Kultur- und in der Sportförderung bewährt, schreibt die Stadt Luzern. Angesichts der guten Erfahrungen werden die Beiträge auch in Zukunft mehrjährig und gestützt auf vertragliche Vereinbarungen ausgerichtet.

Zwischennutzung im Neubad Luzern. Bild: Benjamin Herrmann

Subventionsverträge schaffen laut der Mitteilung der Stadt Verlässlichkeit und Planungssicherheit für die Stadt Luzern und für die Institutionen. Aufgrund der Einführung eines neuen Rechnungsmodells 2019 dauerte die letzte Subventionsperiode von 2016 bis 2018. Ab 1. Januar 2019 werden die Subventionsverträge wieder über vier Jahre abgeschlossen, bis 31. Dezember 2022.

Die Verträge im Kultur- und Sportbereich basieren inhaltlich auf den bisherigen Vereinbarungen. Neu ist der Vertrag mit dem Verein Netzwerk Neubad. Nachdem derzeit absehbar ist, dass diese Zwischennutzung noch mindestens fünf Jahre dauern wird, hat der Stadtrat eine Neubeurteilung vorgenommen. Das Neubad habe sich, schreibt die Stadt weiter, zu einem einzigartigen Kulturzentrum entwickelt, das breite Kreise anspreche und zu einem erfreulich lebendigen Brennpunkt im Neustadtquartier wurde. Um das Angebot für die nächsten fünf Jahre abzusichern, wird künftig ein vertraglich vereinbarter Beitrag ausgerichtet. Gebrauchsleihe und Subventionsvereinbarung werden für diese Zwischennutzung aufeinander abgestimmt und über fünf Jahre abgeschlossen.

Am 17. Oktober 2018 hat der Stadtrat Subventionsverträge mit folgenden Institutionen erneuert: Stiftung Gletschergarten Luzern, Verein Luzerner Ausstellungsraum (Kunsthalle Luzern), Verein Luzerner Blues Session (Blue Balls Festival), Stiftung World Band Festival, Verein Lucerne Blues Festival, Spitzen Leichtathletik Luzern, Lucerne Regatta Association, Verein SwissCityMarathon und Verein Luzerner Stadtlauf.

Die Verträge mit dem Verein Fumetto Luzern, der Stiftung Kleintheater Luzern und dem Verein Netzwerk Neubad liegen, gemäss geltender Praxis, aufgrund der zur Diskussion stehenden Beträge in der Kompetenz des Grossen Stadtrats und werden dem Parlament für die Sitzung vom 20. Dezember 2018 unterbreitet.

Wegen der zurzeit pendenten Veränderungen und der personellen und konzeptionellen Entwicklungen beim Verein Südpol konnten Gebrauchsleihe und Subventionsvereinbarung noch nicht abschliessend verhandelt werden. Der Stadtrat wird dafür zeitnah einen separaten Bericht und Antrag vorlegen.

Beiträge gemäss Budget 2019:
Stiftung Kleintheater Luzern 350‘000 Franken
Verein Fumetto Luzern 210‘000 Franken
Verein Netzwerk Neubad 150’000 Franken
Kunsthalle Luzern (Verein Luzerner Ausstellungsraum) 166’100  Franken
Stiftung Gletschergarten Luzern 150‘000 Franken
Blue Balls Festival (Verein Luzerner Blues Session) 130‘000 Franken
Stiftung World Band Festival 130‘000 Franken
Blues Festival Luzern 110‘000 Franken

 

 

Weitere Promotionen der Graduate School of the Arts

Das Doktoratsprogramm «Graduate School of the Arts GSA», das 2011 begründete Kooperationsprojekt der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern und der Hochschule der Künste Bern HKB, feiert am 27. November fünf weitere Promotionen und den zweiten Band seiner Schriftenreihe.

Pianistin Camilla Köhnken hat zum Klavierspiel «im Geiste Liszts» promoviert. Foto: zVg

Das erste und bislang einzige Schweizer Doktoratsprogramm für Künstlerinnen und Künstler hat sich laut der Medienmitteilung der Berner Hochschule der Künste etabliert: Die GSA feiert einerseits ihre fünf neuen Absolventinnen und zeigt an dieser Veranstaltung die Resultate dieses künstlerisch-wissenschaftlichen Berner Modells – vom Klavierspiel «im Geiste Liszts» über Schnittmengen von Grafik, Komposition und Restaurierung bis zum kultursensiblen Design.

Andererseits erscheint der zweite Band in der Schriftenreihe Beiträge der Graduate School of the Arts mit fünf Aufsätzen, die aus den GSA-Forschungstagen entstanden sind. Das Spektrum reicht von der Strategie des Swiss Design Award über Interpretationsforschung bis zum Reenactment als Analysemethode.

An der GSA sind gegenwärtig knapp 40 internationale Doktorierende aus Design, Tanz, Fotografie, Theater, Spoken Words, Konservierung oder Musik eingeschrieben, welche die künstlerische Praxis und universitäre Wissenschaft vereint. Das Berner Modell findet heute national und international Anerkennung. Die Doktorierenden schätzen insbesondere die Doppelbetreuung durch die Professorinnen und Professoren beider Kooperationspartner sowie die transdisziplinäre Arbeit.
 

Musikvermittlung verbindet Stadt und Land

Die Württembergische Philharmonie Reutlingen (WPR) realisiert ein neuartiges Vermittlungsprojekt: Ein interaktiver Live-Stream direkt aus dem WPR-Studio sendet die Musik des Orchesters aufs Land. Eingeladen sind dazu auch Schweizer Musikvermittelnde.

Württembergische Philharmonie Reutlingen. Foto: © Jürgen Lippert

Ein interaktiver Live-Stream direkt aus dem WPR-Studio sendet die Musik des Orchesters aufs Land, in die Alenberghalle Münsingen. Dort werden Schulklassen den Klangkörper in Echtzeit erleben.

Je eine 5. Klasse treten zudem in einer heiteren Spielshow gegeneinander an und werden interessante und spannende Fragen rund um die gespielte Musik und das Orchester beantworten, so dass die Moderatorin Anuschka Wagner am Ende des Live-Streams die WPR-Trophy überreichen kann. Der Stream geht in beide Richtungen. Die Beteiligten auf dem Land und das Orchester können so direkt in Kontakt treten.

Diese erste Live-Stream-Übertragung ist den beteiligten Schulen sowie Musikvermittelnden aus Deutschland und der Schweiz als evaluierenden Fachkräften vorbehalten. Ab der zweiten Live-Stream-Übertragung im Frühjahr 2019 soll der Live-Stream dann für weiteres Publikum geöffnet werden.

Der Berner Cembalist, Dirigent und Komponist Jörg Ewald Dähler ist, wie die Berner Tageszeitung Der Bund schreibt, laut einer Mitteilung seiner Familie im Alter von 85 Jahren verstorben.

Der in Langnau im Emmental als Pfarrerssohn geborene Jörg Ewald Dähler besuchte das Lehrerseminar Hofwil. Seine musikalische Ausbildung erhielt er am Konservatorium von Bern und an der Musikhochschule Freiburg im Breisgau.

Dähler lehrte Generalbass, Kammermusik und Chorleitung am Konservatorium Bern und an der Schola Cantorum Basiliensis. Zudem wirkte er als Gastdirigent und Solist in Europa und Asien. Bern zeichnete ihn mit dem Kulturpreis des Kantons Bern und mit der Externen Medaille der Burgergemeinde Bern aus. 
 

25 Jahre Mus-e

Vom 28. bis 30. Oktober 2018 wurde im Rahmen einer internationalen Konferenz begleitet von Konzerten die Erfolgsgeschichte von Mus-e gefeiert. Das Berner Projekt hat bislang über eine Million Schulkinder erreicht.

Werner Schmitt, Anna-Magdalena Linder, Marianne Poncelet (s. unten). Fotos: © maust.ch,SMPV

Im abschliessenden, offiziellen Teil der dreitägigen Konferenz überbrachten Franziska Teuscher, Gemeinderätin und Direktorin für Bildung, Soziales und Sport der Stadt Bern, sowie Hans Ulrich Glarner, Vorsteher des Amtes für Kultur des Kantons Bern, Glückwünsche des «Geburtsorts». Mus-e wurde 1993 in der Berner Muesmatt-Schule erstmals erprobt. Initiiert hatte das Programm Yehudi Menuhin, der berühmte Violinvirtuose (1916–1999). Werner Schmitt, Cellist, ehemaliger Direktor des Konservatoriums Bern und Mitbegründer von Mus-e, konnte dem Publikum an dieser Jubiläumsveranstaltung einen kleinen Filmausschnitt zeigen von dem Treffen in Gstaad, als er zusammen mit Menuhin, mit Marianne Poncelet, Ernst W. Weber und weiteren Fachleuten aus zehn Ländern die Richtlinien ausarbeitete.

Die damalige Vision ist heute in zwölf europäischen Ländern und in Israel für Tausende von Schulklassen Wirklichkeit. Mehr als eine Million Schülerinnen und Schüler haben dank Mus-e ihr kreatives Potenzial entwickeln können.

Mus-e bringt die Künste in die Schulen: Während jeweils zwei Jahren sind Kunstschaffende aller Sparten wie Musik, Theater, Video-Kunst oder Tanz in einer Schulklasse präsent, und zwar vorwiegend in Primarschulen mit einem hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund. Zwei Lektionen pro Woche innerhalb des obligatorischen Stundenplans arbeiten professionelle Kunstschaffende gemeinsam mit den zuständigen Lehrpersonen in der Klasse. Alle sechs Monate wechselt die Kunstform.

Ein altes, aber sehr vitales Paar

Jürgen Oelkers, emeritierter Professor für Allgemeine Pädagogik an den Universitäten Bern und Zürich, vertiefte die Feierstunde mit einem Vortrag zum Thema: «Education and Music: An Old Couple». Er legte dar, dass Bildung und Musik in der Antike nicht nur eng verbunden waren, sondern dass der Musik im Bildungskanon eine herausragende Stellung zukam. In der heutigen öffentlichen Schule sei Musik ein Randfach, und es brauche kreative Lösungen, um unter diesen Bedingungen guten Unterricht zu bieten. Sie sei aber unverzichtbar. «Bildung, der Musik fehlt, ist keine. Der Grund ist seit den Griechen bekannt, es ist die Musik, die das innere Gleichgewicht des Menschen bestimmt und so die intellektuellen Kräfte zusammenhält.»

«Musikalische Bildung», führte Oelkers weiter aus, sei «eine lebenslange Herausforderung, die die Schule nicht beschliesst, sondern öffnet.» Den Musikunterricht an öffentlichen Schulen wertete er als «klar unterdotiert» und regte an, in Kooperation mit örtlichen Musikschulen Nachmittage oder Wochenende dem Musizieren zu widmen und alle Kinder daran teilhaben zu lassen. Nichts zu unternehmen bedeute eine «Zunahme des musikalischen Analphabetismus, die vielleicht schlimmste Bildungslücke, die es gibt». 

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Jürgen Oelkers bei seinem Vortrag


Bild oben von links: Werner Schmitt, Mitbegründer Mus-e, Anna-Magdalena Linder, Präsidentin Verein Mus-e Schweiz/Fürstentum Liechtenstein, Marianne Poncelet, Mitbegründerin Muse-e

Anspruchsvolle Fantasien

Die neun kurzen Solostücke für Horn von Theo Wegmann sollen trotz hoher technischer Anforderungen improvisiert klingen.

Foto: sabine schmidt/pixelio.de

Diese Fantasien wurden ursprünglich für Trompete zur Einweihungsfeier einer Plastik des Zürcher Künstlers Ödön Koch komponiert. Theo Wegmann, bekannt als langjähriger Organist an der reformierten Kirche Zürich-Witikon, Konzertpianist und Komponist, verlangt in den Stücken mit dem Titel Le Silence vom Hornisten etwelches technisches Können. Trotzdem sollen sie «wie Improvisationen – direkt und frei, mit grossem Atem, aus dem Moment heraus» klingen, wie der Komponist in einer Fussnote dazu schreibt.
 

Theo Wegmann: Le Silence, 9 kurze Fantasien für Horn in F solo, SME 985, Fr. 20.00, Special Music Edition, Maur 2017
 

Bach à la Leonhardt

Die Arrangements für Cembalo, die Gustav Leonhardt von Streichersuiten,-partiten und -sonaten gemacht hat, sind als Notentext erschienen.

Gustav Leonhardt, Cité de la Musique, Paris, September 2008. Foto: Paul Ruet/wikimeida commons

Anstelle einer Rezension persönliche Erinnerungen: Mitte der 1970er-Jahre spielte Gustav Leonhardt (1928–2012) in Basel einige seiner eigenen Bearbeitungen von Bachs Werken für Streichinstrument. Im Sommer 1977 bat ich ihn um eine Kopie seines Arrangements der Lautensuite in c-Moll für Cembalo, worauf er mich anwies, doch selber eines zu machen. Das war gar nicht so einfach; denn stets hatte man Leonhardts anscheinend perfekte Lösungen im Ohr, die mittlerweile auch auf Schallplatte erschienen waren.

Nun hat Siebe Henstra nicht nur Leonhardts gesammelte Cembalofassungen herausgegeben, sondern dazu sogar einige Seiten von Leonhardts geradezu bachähnlicher Handschrift faksimiliert. Die stilechten Adaptionen nach den Geigensoli und Cellosuiten sowie der a-moll-Flöten-Allemande sind – selbst aus kritischer Distanz – rundum lehrreich, satz- wie grifftechnisch, manchmal auch von stupender Einfachheit. Bei alledem aber beschleicht mich das Gefühl, voyeuristisch in des Meisters cembalistische Intimsphäre einzudringen und mir beim Spielen übergriffig etwas von seiner ureigensten Musikalität und Genialität anzueignen. Authentischer wäre es, seinem damaligen Rat zu folgen und eigenständig auszuprobieren, was schon Bach selbst im Falle der Violinsoli praktiziert hatte: «Ihr Verfasser spielte sie selbst […] und fügte von Harmonie so viel dazu bey, als er für nöthig befand.» (Johann Friedrich Agricola)

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Johann Sebastian Bach: Suiten, Partiten, Sonaten für Cembalo bearbeitet von Gustav Leonhardt, hg. von Siebe Henstra, BA 11820, € 39.95, Bärenreiter, Kassel 2017

René Wohlhauser hat mit «Quamakútsch» ein kontrastreiches Kammermusikwerk für Flöte, Kontrabass und Klavier geschaffen.

Das Trio Quamakútsch für die seltene Besetzung Flöte, Kontrabass und Klavier wurde vom Basler Komponisten René Wohlhauser für das Art Ensemble Berlin komponiert. Quamakútsch ist, wie er schreibt, ein Werktitel, «der keine konkrete Bedeutung hat, aber als Lautpoesie musikalisch auf die Wahrnehmenden wirkt, wie die Musik als nonverbale Ausdrucksweise emotional und unterschwellig auf die Wahrnehmenden wirkt». Gleich am Anfang beginnt das Klavier zu pulsieren und wird bald von den Tremoli in der Flöte und im Kontrabass kontrastiert, die sich bis zur vierten Oktave aufschwingen und dann wieder vom Klavier noch weiter nach oben geführt werden. Für René Wohlhauser symbolisiert dies einen «chaotischen Anfang, gleichsam ein Sinnbild für das Suchen». Geheimnisvoll erklingen zwischen den hohen und lauten Abschnitten immer wiederkehrende, stimmungsvolle «Misterioso»-Intermezzi von Flöte und Kontrabass. Sie sind von mikrotonalen Glissandi durchzogen, welche interessante Klangfärbungen bewirken. Der Komponist setzt die Mikrotonalität bewusst flexibel ein, durchmischt die verschiedenen Systeme. Wohlhauser bezeichnet seine Kompositionsweise als «Horchen in die Tiefe» und will der Oberfläche gehaltvolle Musik entgegensetzen.

Im Anschluss entwickeln sich viele verwobene Figuren und Gesten in den drei Instrumenten, die sich gegenseitig aus sich heraus zu entfalten wie auch zu kommentieren scheinen und immer wieder zu den kurzen, ruhigen Intermezzi zurückkehren. Im Notenbild finden sich auch oft gespiegelte Bewegungen, zunächst als sich entwickelnde Synchrontriller in Flöte und Kontrabass, dann wieder figurativ im Klavier, die fast nahtlos ineinander übergehen. Kontinuierlich kehren die verschiedenen Materialtypen wieder, verlassen Bisheriges und lassen sich auf Neues ein, sodass eine strukturelle Vielfalt entsteht. Quamakútsch klingt durch seine starken Wechsel zwischen dialogischen, meditativen und pulsierenden Abschnitten sehr abwechslungsreich und interessant und ist eine grosse Bereicherung der eher spärlichen Literatur für diese Besetzung.
 

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René Wohlhauser: Quamakútsch für Flöte, Kontrabass und Klavier, Partitur, Edition Wohlhauser Nr. 1785, Ergon 59,
Fr. 42.00, www.renewohlhauser.com/

Überhaupt nicht einseitig

Einfache, dabei musikalisch gehaltvolle, pianistisch lehrreiche zweistimmige Stücke hat Emil Hradecký auf je einer Seite konzentriert.

Ausschnitt aus dem Titelbild

Oft sind wir auf der Suche nach neuer Klavierliteratur, die einfach ist, aber sowohl Lehrerin als auch Schüler aufhorchen lässt. Beim Durchsehen der Zweistimmigen Klavierstücke auf einer Seite habe ich schnell gemerkt, dass diese keinesfalls einseitig sind. Ich empfand immer von Neuem grosses Vergnügen am Einfallsreichtum bei aller Schlichtheit. Federstrichartig gelingt es Emil Hradecký (*1953) verschiedene Stimmungen in einem zweistimmigen Klaviersatz einzufangen und dabei erst noch typisch pianistische Spieltechniken zu berücksichtigen. Schwer-leicht, Öffnen und Schliessen der Hand, Pedalgebrauch, polyfones Spiel, verschiedene Artikulationsweisen, all dies kommt ganz beiläufig zum Zuge, ohne demonstrativ belehrend hervorzutreten. Dazu trägt auch der musikalische Gehalt bei. Die Stücke überzeugen durch klangliche und rhythmische Vielfalt und Klarheit der Idee. Nebst einigen Charakterstücken gibt es viele kleine Tänze von Menuett über Tango bis Cha-Cha-Cha.

Aufgeweckte junge Schülerinnen und Schüler, aber gerade auch jugendliche Anfänger oder Wiedereinsteigerinnen dürften sich gerne mit diesen spielfreudigen Stücken beschäftigen und daran viel Wertvolles lernen und entdecken.
 

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Emil Hradecký: Zweistimmige Klavierstücke auf einer Seite, 16 leichte Stücke für Anfänger, H 8034, € 7.50, Bärenreiter, Prag 2017

Ehrerbietungen eines Lausbuben

In seinem Streichquartett Nr. 1 «Tributes» spielt Hyung-ki Joo hintersinnig und humorvoll mit Versatzstücken, die an Henry Purcell, Samuel Beckett, Ludwig van Beethoven, Edvard Munch, J. S. Bach und Arnold Schönberg erinnern.

Hyung-ki Joo während eines Konzerts in Hainburg 2017. Foto: Florian Simon/wikimedia commons

Der englische Pianist, Komponist und Multitasker südkoreanischer Herkunft, Hyung-ki Joo, ist ein musikalisches Phänomen. Ausgebildet an einer der international renommiertesten Talentschmieden, der Menuhin School in London, bahnten ihm sein grosses musikalisches Talent, sein unstillbarer Wissensdurst und seine umwerfenden dramaturgisch-komödiantischen Fähigkeiten schnell den Weg zu einer bedeutenden Karriere im klassischen Musikbetrieb und weit darüber hinaus. Das Duo Igudesman & Joo ist weltberühmt, ein Youtube-Hit, die beiden füllen mit ihren humoristischen Programmen grosse Hallen. Ihn darauf zu reduzieren, würde aber heissen, ihn zu unterschätzen. Es geht Joo nicht nur um die Parodie, die Hinterfragung tradierter Konzertformen, die Maskerade, sondern auch um eine Neuinszenierung subtiler Inhalte. Seine Arbeiten sind immer von Respekt vor den grossen Meistern gekennzeichnet. Spielend leicht wechselt er von E nach U, bleibt aber immer souverän-glänzender Pianist und Wertevermittler. Von ihm ein «seriöses» Streichquartett zu erwarten, wäre dennoch ein Missverständnis, denn er möchte sich nicht messen lassen am etablierten Kanon, sondern musikalisch auf der Bühne (sicher hier nicht via Aufnahme) unterhalten, zum Nachdenken anregen, inspirieren.

Das vorliegende Quartett entstand noch zu Studienzeiten und nimmt all jene Eigenschaften vorweg, die ihn später als bewunderten Bühnenzauberer kennzeichnen. Die überaus kurze Partitur – fast fühlt man sich an Anton Webern erinnert – fasst sechs unterschiedliche Impulse zusammen, die Joo «Tributes» nennt, also Ehrerbietungen an Vorbilder, Inspiratoren aus Musik, Theater und bildender Kunst. Es sind Henry Purcell und sein Stück Fantasia on One Note, Samuel Becketts Warten auf Godot, Ludwig van Beethovens 5. Sinfonie, Edvard Munchs Der Schrei, J. S. Bachs Französische Suite h-Moll (BWV 841) und schliesslich Arnold Schönbergs Zwölftontechnik. Wer hier eine aufgefächerte, intellektuell anspruchsvolle Hommage an die genannten Grössen erwartet, liegt falsch. Joo zündet einen Bühnenspass, der technisch gekonnt Hintersinn mit Humor verbindet, Bekanntes lausbubenhaft demontiert und wieder zusammenflickt, das Publikum auf falsche Fährten führt, nur um lautstark und mit Aplomb (oder kultiviert mit gespieltem Ernst) Vertrautes zu zitieren, bevor sich neue Fragezeichen auftun, um final aufgelöst oder zerstäubt zu werden. All dies erfordert vor allem eines: Interpreten, die sich auf dieses augenzwinkernde Spiel einlassen und das Stück mit dramaturgischem Verständnis zu Gehör bringen.
 

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Hyung-ki Joo: Streichquartett Nr. 1 «Tributes»;
Partitur, UE 36 966, € 19.95;

Stimmen, UE 36 967, € 24.95;
Universal Edition, Wien 2017

(Zu) wenig bekannte Violinkonzerte

Das Collegium Musicum Basel unter der Leitung von Kevin Griffiths hat mit der Geigerin Maria Solozobova wenig bekannte Konzerte von Hans Huber und Paul Juon aufgenommen.

Foto: Kaupo Kikkas,Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 d-Moll,Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 op. 42, Moderato,Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 op. 42, Romanze, Andante,Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 op. 42, Rondo, Allegretto martellando

Es ist eine alte Weisheit, dass Schweizer Komponisten im eigenen Land wenig gelten. In den letzten Jahren hat aber eine erfrischende Entdeckerfreude eingesetzt, die so manches Juwel zu Tage gefördert hat. So fand die vom Aargauer Sinfonieorchester unter Douglas Bostock eingespielte Sinfonie d-Moll von Hermann Suter international Beachtung. Und vom selben Orchester – nunmehr als argovia philharmonic – ist unter Bostocks Leitung die Herausgabe von Hans Hubers d-Moll-Sinfonie in Arbeit.

Kevin Griffiths eifert mit Erfolg seinem britischen Dirigentenkollegen nach, hat er doch mit dem Collegium Musicum Basel zwei Violinkonzerte von Hans Huber (1852–1921) und Paul Juon (1872–1940) aufgeführt und bei Sony eingespielt. Spiritus Rector dabei war die junge russische Geigerin Maria Solozobova, welche die Werke aufgespürt hatte. Schon in den Konzerten 2014 und 2016 im Casino Basel gefielen sie, zumal die Solistin viel zum Gelingen beitrug. Nun wurde daraus ein Tondokument von Wert.

Hans Hubers einsätziges, rund 18-minütiges Werk ist ganz in spätromantischem Stil gehalten: breit fliessend, musikalische Gedanken aneinanderreihend. Das Collegium Musicum unter der Leitung von Kevin Griffiths begleitet die stilsicher und mit schmelzendem Ton spielende Solistin klangsinnlich, aber nicht sentimental.

Spannender und auch «knorriger» ist das dreisätzige Violinkonzert op. 42 von Paul Juon, dem Enkel eines Zuckerbäckers aus dem bündnerischen Masein, der nach Russland auswanderte. Juons zwischen schwelgender Üppigkeit und herber Direktheit oszillierender Stil prägt auch das 1908/09 entstandene Violinkonzert. Das Werk lebt von einer variablen Metrik, die wie die Melodik ständig umgestaltet wird, sodass der Eindruck zwischen bodenständig und schwebend changiert.

Juons Musik ist am russischen und nordischen Idiom etwa von Sibelius orientiert. Genau das Richtige für Solozobova, die mit warmem Klang und technischer Raffinesse den Solopart interpretiert. Kevin Griffiths, bekannt für seinen geradlinigen Dirigierstil, passt da gut dazu: der rhythmisch heikle erste Satz kantig und herb, die anschliessende Romanze voller Kantilenen und das volksmusikalisch-tänzerische Finale mit wuchtigem Drive.

Zwar sind in der Einspielung kleinere Unebenheiten im Orchester zu vermerken, aber man bekommt anhand der durchschimmernden Akustik des Stadtcasinos Basel, wo die Aufzeichnungen gemacht wurden, Heimweh nach dem hervorragenden Konzertraum, der leider erst 2021 wieder bespielt werden kann. Schade, enthält das Booklet zwar Informationen zu den Komponisten, aber nichts zu den eingespielten Werken.

 

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Bearbeitung von freien Werken

Es lohnt sich, bei musikalischen Bearbeitungen die urheberrechtlichen Fallstricke zu kennen, da ein Straucheln unter Umständen teuer zu stehen kommen kann.

Sich von anderen inspirieren zu lassen, bestehende Werke für andere Besetzungen aufzubereiten oder gar ganze Teile einer bestehenden Komposition in einem neuen Werk zu verwenden, ist eine alte Tradition. Was gilt es aus urheberrechtlicher Sicht bei der Bearbeitung eines freien Werkes zu beachten?

Was ist eine Bearbeitung?

Die Bearbeitung ist gemäss Urheberrechtsgesetz ein «Werk zweiter Hand». Für eine schutzfähige Bearbeitung gelten die gleichen Bedingungen, wie sie beim «Werk» definiert sind: Bearbeitungen eines Werkes, die persönliche geistige Schöpfungen des Bearbeiters sind, werden wie selbständige Werke geschützt. Die schöpferische Leistung entsteht durch die erkennbare Umformung, Veränderung oder Erweiterung der musikalischen Substanz der Vorlage.

Eine Bearbeitung liegt folglich vor, wenn ein neues Musikwerk unter Verwendung eines bestehenden Werkes so geschaffen wird, dass das verwendete Musikwerk in seinem individuellen Charakter erkennbar bleibt. Die neugeschaffenen Elemente müssen jedoch ebenfalls einen individuellen Charakter haben. Typische Beispiele für Bearbeitungen sind Arrangements von Werken für eine andere Besetzung oder die Übersetzung eines Textes in eine andere Sprache.

Nicht alle Veränderungen von Werken gelten als Bearbeitungen. Im Verteilungsreglement der SUISA findet sich ein ganzer Katalog von Arbeiten, die keine schutzfähige Bearbeitung ausmachen. Dazu gehören beispielsweise das Hinzufügen von dynamischen oder agogischen Bezeichnungen, das Übertragen in eine andere Tonart oder Stimmlage (Transpositionen), das Weglassen, Austauschen oder Verdoppeln von Stimmen oder die Zuweisung von bestehenden Stimmen an andere Instrumente (einfache Transkriptionen). Der vollständige Katalog kann im SUISA-Verteilungsreglement unter Ziff 1.1.3.5 nachgesehen werden. In der Praxis hat sich diese Aufstellung vielfach bewährt.

Bearbeitung bei der SUISA anmelden?

Musikalische Werke, die urheberrechtlich frei sind, können ohne Zustimmung bearbeitet und verändert werden. Bei der Anmeldung einer Bearbeitung eines freien Werkes, muss ein Belegexemplar des neuen Werkes sowie die benützte Vorlage eingereicht werden, damit der Musikdienst der SUISA die Schutzfähigkeit beurteilen kann. Das gilt für Werke, deren Urheber vor 70 oder mehr Jahren gestorben oder unbekannt sind, sowie für Werke, die volkstümlich überliefert sind und darum als traditionell gelten.

Der Musikdienst der SUISA prüft bei den eingereichten freien Werken, ob eine urheberechtlich geschützte Bearbeitung vorliegt. Das geschieht immer mittels Vergleich des Originals zur bearbeiteten Fassung. Dabei spielt die inhärente musikalische Qualität des eingereichten Musikstücks oder Satzes keine Rolle.

Welche Arten von Bearbeitungen gibt es?

1. Normale Bearbeitung

Der Normalfall ist das «Arrangement» im engeren Sinn. Eine beliebte Melodie wird durch Zufügen von Stimmen oder Instrumenten für eine bestimmte Besetzung aufbereitet (z. B. für gemischten Chor, Streichquartett, Orchester, Ländlerkapelle, Big Band etc). Die Melodie oder Hauptstimme wird exakt übernommen, die Begleitung wird neu gemacht. Der Anteil des Bearbeiters beträgt in diesem Fall 15% (bei Werken mit Text) oder 20% (bei Werken ohne Text).

2. Mit-Komposition

Die freie Melodie ist nicht zugleich Oberstimme, sondern befindet sich versteckt im Innern des musikalischen Gefüges. Für diesen Spezialfall (z. B. bei Chor- und Orgelmusik) ist die Leistung des Bearbeiters höher zu bewerten, weil er eine eigene Ober- oder Hauptstimme erschaffen muss und die übernommene Melodie meist durch sogenannte kontrapunktische Techniken in die Musik einbetten muss. Der Anteil des Bearbeiters beträgt bei diesen Werken 50% des Komponistenanteils.

3. Rekonstruktion

Ein Originalwerk bricht an einer oder mehreren Stellen ab, ist vom Komponisten (oder durch Verluste der Überlieferung) unvollendet hinterlassen und wird vom Bearbeiter vervollständigt. Der Anteil des Bearbeiters beträgt bei diesen Werken 50% des Komponistenanteils.

4. Komplexere Jazz-Versionen mit wechselnden Solisten

Der Ablauf beginnt mit einer kurzen Vorstellung der freien Originalmelodie. Dann beginnen mehrere Solisten oder «Register» (Saxophone, Posaunen, Klavier, Schlagzeug) nacheinander mit improvisatorischen Umspielungen dieser Melodie, welche den Hauptteil des Werkes ausmachen. Optisch wird das dadurch verdeutlicht, dass die Solisten oder Register beim Solo aufstehen. Als Abschluss wird die Originalmelodie oft gemeinsam wiederholt. Der Anteil des Bearbeiters beträgt bei diesen Werken 50% oder 100% des Komponistenanteils, je nach Umfang und Bedeutung der Soli.

5. Variationszyklen

Variationen über Themen aus der Musikgeschichte (Diabelli-Variationen, Paganini-Variationen, Gershwin Variationen etc.) sind das Paradebeispiel dafür, dass die Originalvorlage gegenüber der variierten Version total zurücktritt. Das Ausgangs-Thema ist nur noch Vorwand für ein völlig neues Werk. Der einzig Berechtigte ist deshalb der Schöpfer der Variationen. Es heisst: «Die Diabelli-Variationen von Beethoven» etc. Der Anteil des Bearbeiters beträgt bei diesen Werken 100% des Komponistenanteils.

Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung des ersten Teils aus einer mehrteiligen Serie zum Thema Bearbeitungen, die auf dem SUISAblog unter der Rubrik «Gut zu wissen» erscheint:

www.suisablog.ch/gut-zu-wissen

www.suisablog.ch/bon-a-savoir

recyceln

Pet, Glas und Alu, aber auch Musik und Instrumente werden wiederverwertet. Geschichten über Musik als Rohstoff, zerstückelt oder am Stück, über reisende Orgeln und ein Gespräch mit Daniel Borel über seine Cigar Box Guitars.

Titelbild: Hubert Neidhart
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Pet, Glas und Alu, aber auch Musik und Instrumente werden wiederverwertet. Geschichten über Musik als Rohstoff, zerstückelt oder am Stück, über reisende Orgeln und ein Gespräch mit Daniel Borel über seine Cigar Box Guitars.

Alle blau markierten Artikel können durch Anklicken direkt auf der Website gelesen werden. Alle andern Inhalte finden sich ausschliesslich in der gedruckten Ausgabe oder im e-paper.

Focus

Wir kreisen in der Nacht!
Kritisch-fragmentarische Gedanken zum kompositorischen Recycling

Du recyclage de la musique

Königinnen auf Wanderschaft
Wie geht Recycling im Orgelbau?
Von Ingenbohl nach Siauliai: ein Beispiel für Orgel-Recycling

Quand une boîte de cigares devient une guitare
Entretien avec Daniel Borel, luthier

… und ausserdem

FINALE


Rätsel
— Dirk Wieschollek sucht


Reihe 9

Seit Januar 2017 setzt sich Michael Kube für uns immer am 9. des Monats in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb.

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Von Ingenbohl nach Siauliai

2017 wurde die Orgel der Pfarrkirche Ingenbohl abgebaut, verpackt, nach Siauliai in Litauen transportiert und in der dortigen Pfarrkirche wieder aufgebaut.

Die Cäcilia-Orgel vor ihrem Abbau in der Pfarrkirche Ingenbohl. Foto: as

Vorgeschichte

Die Pfarrkirche Ingenbohl wurde 1658 bis 1661 gebaut und mit der Renovation 1927 vergrössert. Foto: ks

Am 25. November 2015 hatte die Pfarreiversammlung der römisch-katholischen Kirchgemeinde Ingenbohl-Brunnen (SZ) ohne Gegenstimme beschlossen, die bald 60-jährige Cäcilia-Orgel durch eine neue Metzler-Orgel zu ersetzen.

Was sollte mit der 1958 von der Cäcilia (A. Frey) AG gebauten dreimanualigen Orgel geschehen? Das Instrument mit 37 Registern und Rückpositiv war mehrfach revidiert worden, zuletzt 2003 durch die Firma Orgelbau Erni, Stans. Es war zwar noch spielbar, wurde jedoch den Brandschutz- und Elektrikvorschriften nicht mehr gerecht.

Der hauptamtliche Kirchenmusiker und Organist der Pfarrkirche Ingenbohl, Stefan Albrecht, hier an der «alten» Orgel am «alten» Standort, hat das ganze Orgelbauprojekt begleitet und dokumentiert. Foto: ts

Dank der Osteuropahilfe – das internationale Hilfswerk «Triumph des Herzens» sammelt neben Gebrauchsgegenständen ausdrücklich auch Musikinstrumente – konnte die Ingenbohler Orgel nach Litauen vermittelt werden. In der Pfarrkirche «Mariä Empfängnis» in Siauliai hatte man bis dahin mit einem Instrument auskommen müssen, das der Grösse des Raums nicht gerecht wurde.

Die Pfarrkirche in Siauliai wurde 2009 eingeweiht. Zuvor dienten eine Fabrikhalle und später leer stehende Räumlichkeiten der Kinderklinik als Kirche. Foto: ts

Demontage in Ingenbohl

Nachdem sie das Instrument im Januar 2017 inspiziert hatten, bauten der litauische Orgelbauer Aloyzas Lizdenis und sein Team die Orgel in Ingenbohl Ende April 2017 innerhalb von 10 Tagen komplett ab.

Abbau des Gehäuses, rechts Aloyzas Lizdenis. Foto: as
Abbau des Rückpositivs. Foto: as
Freilegen des doppelten Bodens unter dem Spieltisch. Foto: as

Anschliessend baute die Metzler Orgelbau AG, Dietikon, das neue, zweimanualige Instrument mit 32 Registern in den Ingenbohler Kirchenraum ein. Diese Orgel wurde am 10. September 2017 eingeweiht.

Neue Metzler-Orgel in Ingenbohl ohne Rückpositiv. Foto: ks

Wiederaufbau in Siauliai

In der Zwischenzeit wurde das alte Instrument nach Siauliai transportiert und für den Einbau in die Pfarrkirche «Mariä Empfängnis» vorbereitet. Stefan Albrecht reiste im Sommer 2017 selbst nach Siauliai. Zu diesem Zeitpunkt waren Teile der alten Ingenbohler Orgel noch verpackt.

Eingepackte Orgelteile in der Pfarrkirche von Siauliai. Foto: as

In den folgenden Monaten bauten Aloyzas Lizdenis und sein Team die weitgereisten Einzelteile am neuen Bestimmungsort auf.

Die Einbauarbeiten wurden in der zweiten Jahreshälfte 2017 aufgenommen. Foto: ts
Das Gehäuse ist bald wieder erkennbar. Foto: ts

Der Wiederaufbau in Siauliai wurde mit der Kollaudation am 13. Mai 2018 abgeschlossen.

Das neue «alte» Instrument in Siauliai mit Blumenschmuck an der Orgelweihe. Foto: ts

Bilder zur Orgelweihe in der Pfarrkirche «Mariä Empfängnis» von Siauliai

http://siauliuvyskupija.lt/vargonu-sventinimas-siauliu-svc-m-marijos-nekaltojo-prasidejimo-baznycioje

Die Kosten für Abbau, Transport und Wiederaufbau beliefen sich auf rund 25’000 Schweizer Franken. Die Osteuropahilfe hatte die Gesamtprojektleitung inne und konnte die Ausgaben mit Spendengeldern decken.

www.osteuropahilfe.ch

In den letzten zwanzig Jahren hat die Osteuropahilfe drei Orgelprojekte realisiert. Neben dem oben beschriebenen waren es:

2004/2005 – Orgel des Basler Münsters -> kath. Kathedrale in Moskau https://www.osteuropahilfe.ch/laender/russland/oekumenische-arbeit/eine-orgel-fuer-moskau
Dieses Projekt wird auch im Artikel «Königinnen auf Wanderschaft»von Jürg Erni kurz erwähnt (Schweizer Musikzeitung 11/2018, S. 10/11)

2016/2017 – Orgel der Institutskapelle von Menzingen -> kath Kirche in Resita (Rumänien)

Konfessionell fremdsingen

Claudio Bacciagaluppi hat untersucht, wie sich die Musik in katholischen und reformierten Ständen der Alten Eidgenossenschaft unterschied und wie fern von obrigkeitlichen Standpunkten ein Austausch stattfand.

Foto: wor_woot – fotolia.com

Wie wohl der geistige Austausch in der Alten Eidgenossenschaft funktionierte, die seit der Reformation in zwei konfessionelle Lager zerfiel? Da wurde ja gestritten und auch mal ein Gefecht ausgetragen – was dann jeweils wieder mit einem «Landfrieden» beruhigt wurde. Wie «segregiererisch» verhielten sich die Kantone aber kulturell zueinander? Wie ab- oder aufgeschlossen waren sie musikalisch?

Der Musikwissenschaftler Claudio Bacciagaluppi, aus der Lombardei stammend, in Zürich und Fribourg ausgebildet, sitzt als Mitarbeiter des Schweizer RISM (Répertoire International des Sources Musicales) an der Quelle bzw. den Quellen, so dass er diese Fragen eingehend erforschen konnte. Wie verhalten sich Musik und Konfession in der Schweiz zwischen dem Ende des 30-jährigen Kriegs 1648 und der Gründung der überkonfessionellen und aufklärerischen Helvetischen Gesellschaft 1762 in Schinznach-Bad.

Anzunehmen ist ja, dass sich die Musiken allein der Liturgien wegen deutlich unterschieden. Was aber, wenn ein Zürcher Gefallen am neuartigen italienischen Drive und seiner eingängigen Melodik fand? Offiziell, d. h. auf der Ebene der Repräsentationen, waren die konfessionellen Welten getrennt. Darunter jedoch, zum Beispiel in den aufblühenden städtischen Musikgesellschaften und Collegia Musica, fand ein reger Austausch statt. Die von oben verordnete «rigid morality» wurde im privaten Bereich durch «oases of comparative relaxation» ausgeglichen. Man sang also fremd – über die Konfessionsgrenzen hinweg.

Da gleich von «Artistic Disobedience», von künstlerischem Ungehorsam, zu sprechen, mag etwas übertrieben wirken – so, als habe man in den Collegia musikalischer Subversion gefrönt. Und doch, betont Bacciagaluppi, ist solche Unorthodoxie nicht als eine «quantité négligeable» zu betrachten. Im Untergrund hat die Musik zu einer pragmatischen Verständigung zwischen den Konfessionen und zur religiösen Toleranz beigetragen, wie sie sich dann in Johann Caspar Lavaters Loblied auf Helvetische Eintracht von 1767 formulierte: «Wer Gott liebt und redlich ist, / Mag, wie er nur will, sich nennen; / Bruder ist er, und ein Christ!»

All diese Entwicklungen und Verstrebungen legt der Autor auf umsichtige und kluge Weise dar – englisch leider (bei einem so eminent deutschschweizerischen Thema), aber doch leicht verständlich geschrieben. Illustrationen und eine Sammlung zeitgenössischer (deutschsprachiger) Dokumente ergänzen die Darlegung, so dass man auch sinnlich (wenn auch ohne die Musik) in jene Epoche eintauchen kann.
 

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Claudio Bacciagaluppi: Artistic Disobedience. Music and Confession in Switzerland 1648–1762, St Andrews Studies in Reformation History, 263 S., ill., € 105.00, Brill, Leiden 2017, ISBN 978-90-04-33075-7

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