«Ladies first»

Das 12. Kammermusikfestival «erstKlassik am Sarnersee» steht unter dem Motto «Ladies first» und stellt aus aktuellem Anlass Komponistinnen in den Mittelpunkt.

Konzert «erstKlassik am Sarnersee» in Engelberg 2018. Foto: zVg,SMPV

«erstKlassik am Sarnersee» ist das Kammermusikfestival mit Solistinnen und Solisten des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Musikerinnen und Musiker der Spitzenklasse spielen im Kanton Obwalden und sind mit dem Publikum auf Du und Du. Das neue Format mit musikalischen Begegnungen mit regionalen Künstlerinnen und Künstlern und einer speziellen thematischen Konzerteinführung für Schulkinder wird auch in diesem Jahr weitergeführt.

Das Festival 2019 steht unter dem Motto «Ladies First» und wird aus aktuellem Anlass den Komponistinnen gewidmet; in diesem Jahr wird der 200. Geburtstag der Komponistin Clara Schumann (1819-1896) gefeiert.

Wanderkonzert
Was vor zwei Jahren mit einem Pilgerkonzert seinen Anfang nahm, wird auch dieses Jahr als «Wanderkonzert» weitergeführt: Diesmal führt der Weg nach einem ersten Konzert mit früher Musik von Hildegard von Bingen und J.S. Bach vom Flüeli nach Sachseln ins Museum Bruder Klaus, wo das Oboentrio mit Heinz Holliger ein zweites Konzert spielt.

Eine Region feiert die Zeitlichkeit

Bei den 20 Vorstellungen der Fête des Vignerons 2019 in Vevey machen 6500 Männer, Frauen und Kinder aus der Gegend mit. – Ein verspielter und grossartiger Reigen des Weinbaus und des Lebens.

Foto: Céline Michel/Fête des Vignerons,Foto: Samuel Rubio/Fête des Vignerons,Foto: Samuel Rubio/Fête des Vignerons

Im Zug, der mich nach Hause bringt, erklingt plötzlich wieder der Ranz des Vaches. Ein Mitreisender hat diesen Teil der Aufführung offenbar aufgenommen und schaut oder hört ihn nun nach. Die anderen Passagiere lächeln in ihrer Müdigkeit: Wiedererkennen, Erinnerung. Erinnerung an die eben erlebte Aufführung der Fête des Vignerons, die nur einmal pro Generation stattfindet. Erinnerung auch – die versonnene Aufmerksamkeit der 20’000 Zuschauer und, heutiger, aber ebenso anrührend, die ungezählten hochgehaltenen Handylichter in der Arena haben es eben gezeigt – an etwas, das wir als Eigenes erkennen und das doch fern ist, so dass Sehnsucht aufkommt. Heimweh in gewisser Weise.

Je suis la mémoire

Dass es um Erinnerung, das Weitergeben von Traditionen geht, zeigt sich auch an den Figuren, die in dem über zweieinhalbstündigen Bühnenfest den roten Faden bilden: Das Mädchen Julie ist mit seinem Grossvater im Weinberg und erlebt mit ihm den Lauf der Jahreszeiten, die Entwicklung der Vegetation, die Arbeiten an den Reben, die Ereignisse im Winzerleben. Bald begegnet Julie einer Figur in historischem Gewand. «Je suis la mémoire», stellt sie sich vor. Es ist der Obmann der Cent Suisses, einer Truppe von hundert Söldnern, wie sie in der Zeit um die erste Austragung des Winzerfestes von europäischen Höfen in die Heimat zurückkehrten. Sie gehören, wie das schon erwähnte Hirtenlied, das gewissermassen von den Alpweiden über den Rebbergen heruntertönt, zu den festen Bestandteilen dieser Aufführungen: Erinnerungsstränge durch die Jahrhunderte.

Wir erleben die 12. Austragung des Winzerfestes seit 1797. Rund alle zwanzig Jahre richtet die Confrérie des Vignerons einen solchen Anlass aus, in dessen Zentrum die Krönung der sorgfältigsten Winzer steht. Unter den Tausenden von Mitwirkende sollen etwa dreissig zum vierten Mal dabei sein: Zeiträume, die fraglos eine gewisse Feierlichkeit aufkommen lassen.

Image
Der Obmann der Cents Suisses mit Julie

La vie est éphémère

Die Fête des Vignerons 2019 ist aber kein immer gleiches Abfeiern alter Traditionen, sondern überaus heutig, nicht nur wegen der stupenden Technik, allem voran dem riesigen Bühnenboden aus LED-Komponenten, der die Szenen buchstäblich «untermalt». Im Weinlese-Bild werden Chromstahltanks und Erntekisten aus gelbem Plastik zu Instrumenten in einem grossen Perkussionshappening. Die frühsommerlichen Arbeiten am Laub entwickeln sich zum entfesselten Cancan, dargeboten in einer Spielart der Waadtländer Tracht, die Strohhüte in keckem Rot, die Röcke gefüttert mit knisternden Rüschen: greifbare Energie. Und den Cent Suisses, diesen Hütern der Vergangenheit, wird eine Hundertschaft von Frauen zur Seite gestellt.

5600 Laiendarsteller spielen und tanzen insgesamt am Fest, 900 Mitglieder aus Chören der ganzen Region singen mit, Schulchöre wurden zusammengelegt, ebenso örtliche Blasmusiken. Regie führt der Tessiner Daniele Finzi Pasca, der unter anderem vom Cirque du Soleil bekannt ist; seine Bilder haben denn auch die Verrücktheit und Poesie des Zirkus. Ihre Wirkung wird unterstützt durch die Texte der Waadtländer Autoren Stéphane Blok und Blaise Hofmann: oft eher assoziative Begriffswolken als Handlung. Ganz klar ist trotzdem die Ausrichtung: Im Hier und Jetzt wird gefeiert, was ist, was war und was kommen wird, das «flüchtige Leben» eben, getragen von einer ebenso heutigen, ganzheitlichen Sicht des Weinbaus, der Gesellschaft, der Lebensgrundlagen.

Wie ein gesunder Rebberg ist diese Aufführung bevölkert von Tieren: Ameisen, Heuschrecken, Schmetterlingen, Libellen, Staren. Insbesondere die Musiker treten in Insekten-Kostümen auf. Es sind allerdings nicht sehr viele, die meiste Instrumentalmusik wird eingespielt. Ein grosses Live-Orchester wäre wohl auch unglücklich mit der Akustik, denn trotz grossem Aufwand kommen die Klänge bei schärferen Luftzügen ins Wanken. Die Kompositionen von Maria Bonzanigo, Valentin Villard und Jérôme Berney modellieren die Bühnensituationen mit eingängigen Motiven, spritzigen Taktwechseln, sinnfälligen Wiederholungen. Sie lassen es schwingen und karussellieren, paradieren und sinnieren.

Image
Die Lese im belebten Weinberg als Perkussionshappening

Le vent de la jeunesse

«La vie va trop vite», sagt Raoul Colliard, der älteste der Hirten, bevor der Ranz des Vaches erklingt. Er gehört zu denen, die ihr viertes und damit wohl letztes Winzerfest erleben. Sein Grossvater hatte das Lied bei der Ausgabe von 1927 als Solist gesungen. 2019 sind seine Söhne und Enkel, vielleicht auch Urenkel dabei. Das Leben geht also nicht nur (zu) schnell, es erneuert sich auch. Das ist eine der Einsichten, die hier zu machen sind. Im Bild «J’arrache» zeigen jugendliche Turnerinnen und Turner aus der Gegend Salven von kühnen Sprüngen und daneben formieren sich Behindertensportler zu Pyramiden. Sie alle verweisen mit ihrer Kraft auf den Elan, mit dem immer wieder alte Weinstöcke ausgerissen und neue gepflanzt werden: Platz für die nächste Generation!

Und wenn der Ranz des Vaches auch vom Kinderchor und von Julie allein nachgesungen quasi erlernt wird, dann ist das vielleicht etwas gar didaktisch. Aber letztlich werden Traditionen genau so weitergegeben. Die Trois Docteurs, humoristische Figuren, die immer wieder auftauchen und beispielsweise die emotionale Stimmung nach dem Hirtenlied ins Lachen auflösen, indem sie modernste Putzmaschinen überpingelig zu den Stellen lotsen, wo die Hinterlassenschaften der Kühe liegen, diese drei schwören Mitwirkende und Publikum, vor allem die jungen unter ihnen, am Schluss auf die Zukunft ein, auf das nächste Winzerfest: «Vous y serez, au rendez-vous?» Das wäre wohl nicht einmal nötig. Traditionen, die mit Leben erfüllt sind, verlieren sich nicht.
 

Die Fête des Vignerons dauert noch bis am 11. August:
www.fetedesvignerons.ch/de/
 

get_footer();