Neuenburg hat ein Herz für Vinyl-Freunde

Der beliebte CD- und Schallplatten-Laden «Vinyl» im Zentrums Neuenburgs hat Ende September nach dreissig Jahren der Existenz die Segel gestrichen. Nun entsteht mit Hilfe der Stadt mit dem «Espace 032» eine Alternative.

Foto: Marcos Fernandez/flickr.com

Der «Espace 032» umfasst im Haus an der Rue du Seyon 32 ein Ladenlokal und  kollektive Arbeitsbereiche für Kreative. Der Name lehnt sich sowohl an die Telefon-Vorwahl der Region als auch die Hausnummer an. Im Ladenlokal werden Vinyl-Platten angeboten, der Bürobereich ist offen für Kulturschaffende und unabhängige Kreativunternehmer, die einen Arbeitsplatz in der Stadt suchen. 

Daneben erlauben es die Räumlichkeiten, sogenannte «Pop-ups» – nur kurzzeitig aktive Läden – einzurichten, sowie Vernissagen, akustische Konzerte oder Workshops durchzuführen.

Das Ostfenster öffnen

«Von den Alpen bis zum Kaukasus» heisst ein umfangreiches Austausch- und Förderprojekt, das seit Jahren musikalische Bande zwischen der Schweiz und Georgien knüpft und vertieft. Organisiert wird es von der Pianistin Tamara Kordzadze und dem Verein Vivace.

T. Kordzadze, F. Di Càsola und T. Grossenbacher am Benefizkonzert vom 20. 11. Foto: Ralf Kostgeld

Im November 2016 hat dieses Projekt mit einem Meisterkurs und einem Benefizkonzert an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) seine Fortsetzung gefunden. Von früheren Anlässen in Erinnerung geblieben sind zum Beispiel die Konzerte vom November 2012 in Bern und Zürich, als hochbegabte Kinder aus Georgien zwischen neun und sechzehn Jahren das Publikum begeisterten. Das jüngste Konzert bestritt eine Auswahl an Dozenten und Studierenden der Hochschulen in Tiflis und Zürich.

Der Anlass fand im Rahmen des Kulturaustausches der beiden Länder statt. Die ZHdK nimmt schon seit mittlerweile 15 Jahren Studenten aus Georgien in unterschiedlichen Studiengängen auf – die Palette reicht vom Vorstudium über Bachelor- und Masterstudium bis zum Solistendiplom. Der Austausch, der auch erlaubt, die Begabtenförderung beider Länder zu vergleichen, steht unter dem Patronat des Vereins Vivace, der 2009 von der in der Schweiz wirkenden georgischen Pianistin Tamara Kordzadze gegründet wurde.

Die Pianistin kam einst dank eines Stipendiums der Stiftung Lyra nach Zürich an die Hochschule in die Klasse von Konstantin Scherbakov, wo sie ihre Ausbildung mit dem Solistendiplom abschloss. Meisterkurse führten sie unter anderem zu Rudolf Buchbinder, der jetzt neben Daniel Fueter, Peter Stamm und Manana Doijashwili aus Georgien das illustre Patronatskomitee des Vereins Vivace bildet.

Dank Kordzadzes Anstrengungen ist es seit der Gründung von Vivace gelungen, mit Hilfe von Stiftungen, Benefizkonzerten und Spenden insgesamt 25 Projekte und 70 Studentinnen und Studenten aus Georgien zu unterstützen. «Wegen der unstabilen politischen Entwicklung und dem Rückgang der finanziellen Fördermittel in Georgien ist es für viele junge Talente schwierig oder unmöglich, auf Unterstützung in ihrer Ausbildung und musikalischen Laufbahn zu zählen», erklärt sie.
 

Neue Antworten auf künstlerische Fragen

Unter den involvierten Dozenten des Projektes in Zürich befand sich auch der Erste Solocellist des Tonhalle-Orchesters und Dozent an der Hochschule, Thomas Grossenbacher, der auf die Frage nach den Beweggründen für sein Engagement meinte: «Ich finde es wichtig, in unserem westlichen Elfenbeinturm mal das Ostfenster zu öffnen. So sehen wir, dass von dort zwar viel Inspiration kommt, aber auch materielle Sorgen bestehen, die wir mit dieser Veranstaltung wenigstens ein bisschen lindern können.»

In der Tat ist es nicht nur der finanzielle Aspekt, der bei Von den Alpen bis zum Kaukasus zählt, wichtig sind auch die künstlerische Inspiration und der gegenseitige Austausch. So fanden im Juni 2015 auf Initiative von Vivace zwei internationale Benefizkonzerte in Tiflis statt, bei denen auch vier junge Schweizer Musikerinnen und Musiker teilnahmen und Erfahrungen auf dem Konzertpodium sammeln konnten. Im Herbst wurden dann Meisterkurse und Workshops mit Dozenten der ZHdK im Staatlichen Konservatorium der georgischen Hauptstadt durchgeführt.

Auf welch hohem Niveau gespielt wird, konnte man aus dem Programm der Zürcher Konzerts ersehen: Werke von Prokofjew, Ysaÿe, Dvořák, Widor, Milstein, Beethoven, Martinů, und Skrjabin kamen zur Aufführung. Neben Studierenden waren auch die Berufsmusiker Liana Isakadze (Geige), Thomas Grossenbacher (Cello), Tamara Kordzadze (Klavier) und Fabio Di Càsola (Klarinette) mit dabei. Letzterer erzählt, wie er zu diesem Projekt für Georgien gekommen ist: «Vielleicht war meine sehr gesangliche, nicht so aggressive Art zu spielen ausschlaggebend, dass ich von Tamara Kordzadze angefragt wurde, ob ich mitmachen wolle.» Er sagte denn auch spontan zu. «Ich merke, dass ich älter werde und empfänglicher bin für Projekte wie dieses Benefizkonzert. Gerade wenn ich die Situation im Westen mit derjenigen in Georgien vergleiche, bin ich dankbar, dass ich meine Ausbildung hier absolvieren konnte, und ich möchte deshalb etwas weitergeben an die georgischen Jugendlichen.»

Wie schon in Tiflis waren auch in Zürich Musiker aus beiden Ländern im Einsatz und es fragt sich natürlich auch, was dieser Austausch mit einem anderen Kultur- und Musikkreis pädagogisch bedeutet: «Die Studierenden lernen», sagt Thomas Grossenbacher, «künstlerische Fragen auf einem neuen, bis dahin vielleicht unbekannten Weg zu beantworten. Dieser Austausch ist für sie belebend und inspirierend.»

Geradezu enthusiastisch fällt das Fazit der Organisatorin Tamara Kordzadze aus: «Unser Meisterkurs ist bei den Studenten und Studentinnen sehr gut angekommen. Der Austausch wurde und wird von den Musikern enorm geschätzt und fördert die künstlerische Entwicklung stark. Die 70-jährige Liana Isakadze hat mit ihrer äusserst temperamentvollen Art und ihren präzisen Erklärweisen und Rückmeldungen die Studenten begeistert. Das Benefizkonzert hat viele Musikinteressierte angezogen. Die grossartigen Darbietungen der Musiker im akustisch hervorragenden Konzert-Saal wurde vom Publikum am Ende mit einer Standing Ovation belohnt.»
 

Website des Vereins Vivace
 

www.vivacegeorgia.com

Aus für Orchestra della Svizzera italiana?

Wie die Berner Tageszeitung «Der Bund» berichtet, sollen die Angestellten des Orchestra della Svizzera italiana (OSI) Ende November darüber informiert werden, dass sie per Ende 2017 eine vorsorgliche Kündigung erhalten werden.

Das OSI bei einem Schülerkonzert im LAC. Foto: zvg

Laut «Der Bund» wird die SRG per Ende 2017 ihr Abkommen einer kontinuierlichen Finanzierung mit dem Orchester aufkündigen. Künftig wolle sie nur noch einzelne Leistungen des Orchesters einkaufen. Ab 2018 will sie überdies für den vom OSI genutzten Probesaal im Radiostudio Lugano Besso Miete verlangen.

OSI-Stiftungsratspräsident Pietro Antonini bezeichnet laut «Der Bund» die vorsorglichen Kündigungen aufgrund der Unklarheiten über die künftigen Modalitäten als blosse «Vorsichtsmassnahme».  Ohne neuen Geldgeber dürfte das OSI damit aber vor dem Aus stehen.  Für das Kulturleben im Tessin wäre dies nicht zuletzt deshalb blamabel, weil man mit dem 2015 eröffneten LAC in Lugano doch gerade eben erst einen hochkarätigen Konzertsaal geschaffen hat.

Originalartikel:
www.derbund.ch/kultur/klassik/kein-orchester-mehr-im-tessin/story/26729565

Von Hackathon bis Blockchain

Die Digitalisierung ist noch immer eine der grössten Herausforderungen für das Musikbusiness. Auf der Berliner Konferenz «Most Wanted: Music» diskutierten Spezialisten aus ganz unterschiedlichen Bereichen über Probleme, Chancen und Visionen.

Podiumsdiskussion zum Thema «Blockchain». Foto: Most Wanted: Music

Wie können Künstler Instagram zu Werbezwecken nutzen? Welche Rolle spielen Playlists heute bei der Vermarktung neuer Songs? Wie präsentiert man ein Event online, ohne im digitalen Grundrauschen unterzugehen? Welche neuen Technologien stehen der Branche zur Verfügung – von Apps über neue digitale Devices bis hin zu neuen bargeldlosen Zahlungsmethoden? Und wie steht es eigentlich um die Zukunft des Musikjournalismus?

Um diese und noch viele weitere Fragen ging es am 10. November auf der Konferenz Most Wanted: Music im Haus Ungarn in der Nähe vom Alexanderplatz. Dem fachfremden Besucher gab das Programm auf den ersten Blick einige Rätsel auf. Was heisst die Abkürzung VR? Was ist ein Hackathon? Und dieses Blockchain, von dem alle reden, wofür ist das eigentlich gut?

Die ersten Antworten fanden sich gleich auf dem Flur, denn dort war das diesjährige «Startup village» aufgebaut, in dem junge Unternehmen ihre neuesten technologischen Erfindungen und Apps präsentierten. Der Besucher konnte hier mit speziellen Drumsticks in der Luft Schlagzeug spielen, ganz ohne echtes, analoges Drumkit, oder durch Schütteln und Drehen eines Smartphones Musik remixen. An anderer Stelle liess sich eine 3D-Brille ausprobieren, mit deren Hilfe man in die virtuelle Realität (ach so, dafür steht VR!) eintauchen konnte, um dort den «Live-Auftritt» eines Musikers zu erleben – virtuell hautnah.  

Der Musiker als «user» oder «artist»?

Solche Apps und technologische Entwicklungen entstehen oft im Rahmen von Hackathons, wie Eric Eitel vom Music Pool Berlin in einem unterhaltsamen Kurzvortrag erläuterte. Hackathon ist eine Wortschöpfung aus Hack und Marathon und bezeichnet Veranstaltungen, in denen Teams aus Programmierern, Designern und anderen Kreativen in kurzer, intensiver Zusammenarbeit Software oder Hardware entwickeln. Hackformate für die Musikbranche wie der Music Hack Day oder das Music Tech Fest führen zu ganz unterschiedlichen, spannenden Ergebnissen, von der Promotion App über den Sensorenhandschuh bis zum Drumkostüm.

In einem Panel mit dem klangvollen Titel The Technology Integration Spaceship stellten einige Entwickler ihre Produkte vor und entwarfen Szenarien von neuen Aufführungsformen, in denen die Grenzen zwischen Bühne und Zuschauerraum endgültig aufgehoben sind, indem die Besucher mit Hilfe ihrer Smartphones das klangliche Geschehen im Konzert aktiv mitgestalten.

Mark Moebius vom Startup Nagual Sounds, das interaktive Handy-Musik-Apps entwickelt, forderte Künstler dazu auf, sich solchen neuen Technologien mehr zu öffnen, denn erst dann sei die Kunst auch auf der Höhe der Zeit. Jemand aus dem Publikum stellte die Frage, ob das Musikmachen mit Hilfe von Programmen, Loops und Apps nicht schon viel zu einfach geworden sei. Sei man dann eigentlich noch ein «artist» oder «musician» – oder ein «user»? Für Moebius eine unnötige Unterscheidung. Für ihn gilt: Jeder, der will, kann ein Musiker sein. Umso besser, wenn die Technologie dabei hilft.

Mit Blockchain gegen Bürokratie?

In einer Podiumsdiskussion zum Thema Blockchain waren sich die Experten einig: Die Technologie allein ist nicht die Lösung. Blockchain ist ein dezentrales Protokoll für Transaktionen zwischen verschiedenen Parteien, das jede Veränderung im Datensatz transparent erfasst – ähnlich wie ein digitaler Kontoauszug, der für alle Beteiligten einsichtig ist. Blockchain wurde ursprünglich für die digitale Währung Bitcoin entwickelt, man könnte es aber auch für die Vereinfachung der Rechteverwaltung von Musik bei Download und Streaming einsetzen. So lange die grossen Player der Musikindustrie aber nicht an einer derartigen Lösung interessiert sind, die mehr Diversität im Musikangebot ermöglichen würde, und so lange also die Technologie nicht auf breiter Basis, dezentral und transparent angewendet wird, löst Blockchain die bürokratischen Probleme der Musikindustrie nicht, obwohl es die Möglichkeiten dazu bereitstellen würde.

Lifestyle-Reportage statt Reflexion?

Recht pessimistisch ging es auf dem Panel zum Musikjournalismus zu. Nach dem freien Autor Stefan Szillus würden Klickraten und Statistiken belegen: Was über Musik geschrieben wird, interessiert keine Sau. Musikalische Analysen oder Rezensionen seien nicht mehr angesagt. Die Zukunft sieht Szillus in der Reportage, die dem Künstler nah kommt, genau beobachtet und dabei auf Details wie Schuhmarken (Szillus schreibt u. a. über Hip-Hop) Wert legt. Es fragt sich allerdings, inwiefern sich der Musikjournalist dann noch vom Lifestyle-Reporter unterscheidet.
Weitaus gelassener sahen die Radiomacher in die Zukunft. Das Live-Moment, das Wort, der Mensch – das seien die Qualitäten, mit denen sich das Radio gewiss immer gegen Konkurrenten wie Algorithmen und vorgefertigte Playlists behaupten könne.

Bei aller Begeisterung für neue Technologien: Sich wieder auf den Menschen und auf das Live-Erlebnis zu besinnen, das täte gewiss der gesamten Musikbranche gut.
 

Website der Konferenz

Lehrstuhl für transkulturelle Musikwissenschaft

In Weimar wird der weltweit erste Unesco-Lehrstuhl in der transkulturellen Musikwissenschaft eingerichtet. Lehrstuhlinhaber ist Tiago de Oliveira Pinto.

Tiago de Oliveira Pinto (Foto: Alexander Burzik/zvg),SMPV

Die Unesco hat den Lehrstuhl für Transkulturelle Musikforschung am Gemeinsamen Institut für Musikwissenschaft der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar und der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Unesco Chair on Transcultural Music Studies ausgezeichnet. Er ist der zwölfte Unesco-Lehrstuhl in Deutschland, der in einem weltweiten Netzwerk gemeinsam mit über 700 Lehrstühlen in 124 Ländern an der Umsetzung der Unesco-Ziele und der Globalen Nachhaltigkeitsagenda arbeitet.

Der Unesco-Lehrstuhl mit Hauptsitz in Weimar erforscht musikalische Darbietungen in ihren soziokulturellen, historischen und globalen Kontexten. Die Musiker als Träger der darstellenden Künste stehen dabei im Sinne der Unesco-Konvention zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes im Fokus. Übergreifend untersucht wird, «welche Chancen und Herausforderungen eine Anerkennung von Musiktraditionen als Immaterielles Kulturerbe für die Weitergabe und Inwertsetzung der Ausdrucksformen mit sich bringen».

 

Ein Karrierebeginn

Neben Schule, Üben und Musikunterricht bestreiten hochbegabte Jugendliche auch Wettbewerbe und öffentliche Auftritte. Wie gut ist das Fördersystem in der Schweiz und lässt sich eine Karriere überhaupt planen?

Ein aktuelles Beispiel ist die 17-jährige Geigerin Elea Nick aus Meilen. Wir treffen uns zu einem Gespräch im Au Premier am Hauptbahnhof Zürich, sie ist eine schlichte, sympathisch natürlich wirkende junge Frau und wird von ihrer Mutter und Managerin Cornelia Nick begleitet. Für ihr Tonhalle-Debüt am 1. November hat sie Tschaikowskys Violinkonzert ausgewählt, das sie mit den Zürcher Symphonikern unter der Leitung von Mario Beretta spielt. Eine mutige Stückwahl, handelt es sich dabei doch um eines der schwierigsten Violinkonzerte überhaupt.

Das Russische hat die jugendliche Geigerin über ihren Lehrmeister, den russischen Geiger Zakhar Bron, vermittelt bekommen, bei dem sie seit sechs Jahren studiert. Als jüngste Studentin überhaupt konnte sie an der Zürcher Hochschule der Künste, wo ihr Vater Andreas Nick Theorie lehrt, den Unterricht bei Bron besuchen. Seit seiner Pensionierung 2015 baut Bron in Interlaken eine Musikakademie für Hochbegabte auf, Elea Nick besucht ihn dort regelmässig. Sein Ruf als Geigenpädagoge ist legendär, Stars wie Vadim Repin, Maxim Vengerov, Daniel Hope, Laura Marzadori oder David Garret waren einst unter seinen Fittichen. «Die russische Geigenschule und die Art, wie Bron unterrichtet, liegen mir», meint Elea Nick selbstbewusst. «Er ist extrem genau, jeder Ton hat seine Bedeutung, und er lässt nicht locker, bis man diese gefunden hat.» Tschaikowskys Violinkonzert entspreche ihr, in der Tonhalle wird sie es erstmals öffentlich spielen.

Konzentration auf die Karriere

Schaut man sich die Stationen der noch jungen Karriere Elea Nicks an, so hat sie in der Schweiz auf den üblichen Plattformen auf sich aufmerksam gemacht: Sie gewann mehrmals den Schweizer Jugendmusikwettbewerb, als Geigerin und Kammermusikerin, zudem hat sie 2015 einen Migros-Studienpreis gewonnen. International hat sie bereits an zwei Wettbewerben reüssiert: In Nowosibirsk erreichte sie 2013 den ersten Rang ausgezeichnet, in Lublin beim internationalen Lipinski-Wieniawski-Wettbewerb 2015 mit einem ersten Preis.

So weit so gut. «Doch eine solistische Karriere kann man so wenig planen wie das Glück, auch wenn zu ihrer Erzwingung alles richtig gemacht wird», meint der international gefragte Schweizer Pianist Oliver Schnyder, der die Jury zur Vergabe der Migros-Preise präsidiert. Die Konkurrenz unter den jungen Hochbegabten ist riesig, entscheidend fürs Weiterkommen sind persönliche Kontakte in die Musikwelt, aber auch, ein eigenes künstlerisches Profil zu entwickeln.

Wettbewerbe sind nach wie vor wichtig, um auf sich aufmerksam zu machen. «Zudem ist die Vorbereitung auf einen Wettbewerb sehr intensiv», meint Elea Nick, «man muss sich mit einem Riesenprogramm auseinandersetzen, und das auswendig. Dies ist eine extrem gute Vorbereitung fürs Konzertleben.»

Was die Kommunikation betrifft, so ist Elea Nick auf Facebook präsent, sie postet alle Nachrichten selber. Laut Oliver Schnyder spielt die PR heute zwar eine wichtige Rolle, «aber erst dann, wenn die jungen Künstlerinnen und Künstler sehr genau spüren und wissen, was sie unverwechselbar macht. Entsprechend müssen sie die künstlerischen Projekte verfolgen, die ein Image so definieren und festigen, dass es eine PR-Agentur aufgreifen und verwertet kann. Es muss authentisch, unverwechselbar und charismatisch sein.»

Die Förderstrukturen in der Schweiz brauchen heute, so Schnyder weiter, den internationalen Vergleich nicht mehr zu scheuen. «Früher mussten die Jungen kämpfen wie die Löwen, um sich von den gleichmacherischen Tendenzen des Systems nicht bremsen zu lassen.» Elea Nick hatte das Glück, in Meilen bis zur dritten Sekundarstufe die normale Schule besuchen zu können, man erlaubte ein ermässigtes Schulpensum. Nun macht sie im Akad College im Lehrgang Kunst und Sport die Matura im Selbststudium. Auch im schulischen Bereich scheint man in der Schweiz für Hochbegabte flexibler geworden zu sein.

Im Paradies der Komponisten

Mit vier Uraufführungen ist das Percussion Art Ensemble Bern auf Geburtstagstournee.

Konzert in der Gare du Nord. Foto: pae-bern.ch

Als Yvonne Loriod Olivier Messiaen einst ein erstes seiner Vogelstücke auf dem Klavier vorspielte, meinte er zu ihrer Enttäuschung: Sie habe alles richtig gemacht, aber etwas fehle; am nächsten Morgen führte er sie in die Natur hinaus, wo sie den Vögeln selber lauschen und deren Gesänge verstehen konnte. Dieser vielleicht nur kleine, aber entscheidende Unterschied blieb spürbar, als das Percussion Art Ensemble Bern in der Basler Gare du Nord das Stück Nri/mimicri von Charles Uzor aufführte. Der St. Galler Komponist hat darin Vogelgesänge um acht Oktaven heruntertransponiert und sie damit auf Instrumenten spielbar gemacht. Nun sollten die vier Perkussionisten und die Ondes-Martenot-Spielerin Caroline Ehret diese Gesänge nachahmen. Dieser eigentümliche Klang-Urwald, ein Nebeneinander, ein Durcheinander von Stimmen, durch nichts verbunden ausser durchs Ganze, einen wilden rituellen Raum, tönte stellenweise sehr farbig, aber das Stück könnte noch wunderbarer aufblühen, wenn diese klangliche Imagination bei den Musikern wirklich zum Tragen käme. Hier wirkte es eher gespielt als durchlebt.

Das war bezeichnend für den Abend: Ein letztes Quäntchen Sorgfalt fehlte. Vielleicht sollten die Musiker doch wie Evelyn Glennie barfuss auftreten, denn auch Schuhabsätze werden leicht zu Schlaginstrumenten, wenn auch leider meist unbeabsichtigt. Und in kleinen Geräuschen beim Ablegen von Schlägeln, beim Aufnehmen des Bogens, beim Wechseln von einem Instrument zum anderen wurde zudem hörbar, dass es einfach manchmal an Sensibilität und Einbildungskraft fehlt. Das störte vor allem bei den diffizileren, zerbrechlicheren Stücken des Programms, bei Uzor, dessen Musik aber in sich stark genug ist und dennoch nachvollziehbar bleibt, sowie in Floraison der Belgierin Jacqueline Fontyn, das dadurch noch stärker in Beliebigkeit zerfaserte.

Das Berner Perkussionsensemble mit Simon Forster, Ferdinand Heiniger, Oliver Schär und dem Gründer Daniel Scheidegger feiert im November seinen zwanzigsten Geburtstag mit einer Tournee durch die Schweiz (Uettligen, Basel, Biel, Burgdorf, Bern, St. Gallen). Unter dem Titel «Dialoge» erklingen gleich vier Uraufführungen, das Stück von Uzor war das reichhaltigste und längste darunter. Das Quartett hat sich viele Verdienste um die Neue Musik in der Bundeshauptstadt erworben, hat das Klangrepertoire mit unterschiedlichsten Facetten vorgestellt und dabei wertvolle Vermittlungsarbeit geleistet. Es wurde deshalb 2012 für das Projekt «Alltagsmusik» mit dem Preis für innovative Musikvermittlung des Kantons Bern ausgezeichnet.

Vielleicht braucht das Percussion Art Ensemble schlichtweg etwas robustere Kompositionen, die vor allem rhythmisch geprägt sind und geradeaus gehen. Die beiden anderen Stücke des Abends waren Geburtstagsgeschenke (jene von Uzor und Fontyn entstanden im Auftrag des Quartetts) und kamen den Qualitäten der Musiker weitaus stärker entgegen. Urs Peter Schneiders neues Stück Erhört etwa für fünf zweistimmig spielende Schlagzeuger (mit Karin Jampen am E-Piano) «übersetzt» einen aramäischen Text in Klangprozesse. Die je zwei Vibra- und Marimbafone und das Klavier schreiten konstant in Puls und Lautstärke einher, unangestrengt, doch von Pausen unterbrochen durch die allmählich changierenden Akkorde. Darüber beginnt jedoch «erhörbar» der Spektralbereich zu schwingen – jeweils anders, mit dem Ohr erkundbar. Und da zeigte sich: Perkussionsmusik ist auch heute noch eine Wundertüte, aus der sich zahllose Farbabstufungen hervorzaubern lassen. Ein «Paradies der Komponisten» nennt sie deshalb der Berner Komponist Jean-Luc Darbellay, und er durchstreifte es seinerseits auf suggestive Weise mit seinen Dialogues. Die Musik glitt durch die Minuten, flirrend, schwirrend, mit einigen Überraschungen und Effekten, die klar gesetzt waren, genau richtig für dieses Ensemble. Die markige Rührtrommel wird mir in Erinnerung bleiben.
 

Weitere Konzerte
Sonntag, 20.11.2016, 17.00 Uhr, Museum Franz Gertsch Burgdorf
Donnerstag, 24.11.2016, 20.00 Uhr, Dampfzentrale Bern
Freitag, 25.11.2016, 20.00 Uhr, Lokremise St. Gallen

 

Graubünden revidiert Kulturförderung

Das Kulturförderungsgesetz des Kantons Graubünden wird gemäss Auftrag des Grossen Rates des Kantons total revidiert. Unter anderem sollen die Regionen laut dem Entwurf verpflichtet werden, ein flächendeckendes Angebot an Sing- und Musikschulen zu führen.

Churer Stadttheater. Foto: Roland Zumbühl/picswiss

Die aktuelle Kulturförderung des Kantons Graubünden basiert auf dem Gesetz über die Förderung der Kultur vom 28. September 1997 und der Verordnung zum Gesetz über die Förderung der Kultur vom 12. Januar 1998. Das Kulturförderungsgesetz sowie die darauf basierende Verordnung hätten sich als Grundlagen der kantonalen Kulturförderung bis heute in vielen Bereichen bewährt, schreibt der Kanton. Deshalb seien einige Regelungen im neuen Entwurf übernommen. Auch das totalrevidierte Kulturförderungsgesetz soll gemäss Vorschlag der Regierung schlank ausfallen.

Die Totalrevision des Kulturförderungsgesetzes geht auf einen Auftrag von Grossrat Bruno Claus und Mitunterzeichnende zurück. Im Zuge der Totalrevision des Wirtschaftsentwicklungsgesetzes wurde eine Abgrenzung zwischen der Wirtschaftsentwicklung und der Kulturförderung vorgenommen. Zu klären waren auch mögliche Schwerpunkte der Kulturförderung (professionelle Kultur, Amateurkultur), die Schnittstellen zur Wirtschaftsförderung sowie die Zuständigkeiten und die Wahl der kantonalen Kulturförderungskommission.

Neu wird vorgesehen, die Unterstützung des professionellen Kulturschaffens explizit in die Zielsetzungen des Gesetzes aufzunehmen. Des Weiteren sieht der Entwurf vor, dass die Regionen verpflichtet werden, ein flächendeckendes Angebot an Sing- und Musikschulen zu führen.

Bei der Erarbeitung des nun vorliegenden Entwurfes wurden auch die Ergebnisse des Auftrages Caduff betreffend Zwischenhalt bei der Totalrevision des Wirtschaftsentwicklungsgesetzes und der Auftrag Montalta betreffend Ausarbeitung eines kantonalen Konzeptes zur Förderung und Finanzierung der Regionalmuseen und regionalen Kulturzentren berücksichtigt. Viele Anliegen der 160 Vernehmlassungsteilnehmenden konnten ebenfalls aufgenommen werden. So soll beispielsweise die Regierung zum Erlass eines umfassenden Konzeptes zur Förderung der Kultur im Kanton Graubünden verpflichtet werden.

Deutsche Orgelpredigtdrucke katalogisiert

Am Institut für Musikwissenschaft der Universität Regensburg startet ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt zum Thema «Deutsche Orgelpredigtdrucke zwischen 1600 und 1800 – Katalogisierung, Texterfassung, Auswertung».

Foto: Obere Hälfte des Titelblatts der Orgelpredigt von Conrad Dieterich aus dem Jahr 1624 (zvg),SMPV

Das Team um Katelijne Schiltz, Professur für Musikwissenschaft an der Universität Regensburg, hat sich zum Ziel gesetzt, eine Sammlung von rund 90 deutschsprachigen Predigttexten, die aus dem 17. und 18. Jahrhundert überliefert wurde, wissenschaftlich zu erschliessen. Das Projekt, das eine Laufzeit von drei Jahren hat, beschäftigt sich mit einer bislang wenig erforschten Quellengruppe.

Bei den Texten handelt es sich um geografisch weit verstreute, meist unikale Drucke, die jetzt erstmals bibliographisch erfasst und als Volltexte in einem digitalen Forschungsportal auf der Website des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Regensburg öffentlich verfügbar gemacht werden sollen. Die Musikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler werden die Quellen in den nächsten drei Jahren inhaltlich erschliessen und Steckbriefe der Autoren und Instrumente erstellen.

Katelijne Schiltz stellt das Projekt in einen grösseren Forschungskontext: «Von besonderer Bedeutung ist die Auswertung der Drucke für ein Panorama der protestantischen Orgellandschaft. Zahlreiche Texte thematisieren die Geschichte des geweihten Instruments, bieten Informationen zur Disposition und lassen den kultursoziologischen Hintergrund ihres Baus in bislang wenig bekannten lokalen Kontexten plastisch werden.»

Einen weiteren wissenschaftlichen Schwerpunkt des Projekts wird die Analyse der Texte unter dem Aspekt des Wissenstransfers bilden. Erstmals systematisch untersuchen lässt sich anhand des Materials die Rolle von Theologen für die Verbreitung musikalischen Fachwissens. Von Interesse sind sowohl die personellen Netzwerke, die sich zwischen den Predigtautoren etablieren konnten, als auch der genaue Radius der in dieser Gattung verbindlichen, musiktheoretischen Gelehrsamkeit. Exemplarische Ergebnisse des Projekts sollen 2019 in einem interdisziplinären Workshop zur Diskussion gestellt werden.
 

Facing the future

Das Jahresende ist die Zeit des Zurück- und Nach-vorne-Blickens. Die Schweizer Musikhochschulen bewegen sich in einem auf die Zukunft ausgerichteten Umfeld. So sollen hier Überlegungen und Anregungen aus und über die Musikhochschulen bezüglich der Zukunft der Studierenden zur Sprache gebracht werden.

Daniel Weissberg — Als wir vor 15 Jahren den Studiengang Musik und Medienkunst konzipierten, gehörte der CD-Rom eine angeblich blühende Zukunft, die wir in der Ausbildung zu berücksichtigen hätten. Vom schon seit Jahren blühenden Geschäft mit Musik für Computerspiele ahnten auch Experten damals noch nichts. Was eine CD-Rom ist, wissen heute nur noch wenige.

Facing the Future

Auf Schweizerdeutsch wird die Zukunft mit der Gegenwartsform ausgedrückt. Kaum etwas wird so schnell von der Gegenwart überholt wie Zukunftsvisionen. Facing the future, zu Deutsch: der Zukunft ins Gesicht schauen. Zu den genuinen Merkmalen der Zukunft gehört ihre Gesichtslosigkeit, die sie zur Projektionsfolie für allerlei Wünsche und Befürchtungen macht – und die kommen nicht aus der Zukunft.

Facing the Past

Vielleicht haben Musikhochschulen einst zu lange zu einseitig der Vergangenheit ins Gesicht geschaut. Das Gegenteil von einem Fehler wäre allerdings auch ein Fehler.

Facing the Pres(id)ent

Das einzige, das wir über die Zukunft wissen, ist die Gegenwart. Da hat das Schweizerdeutsch schon Recht.

Daniel Weissberg

… leitet seit 15 Jahren gemeinsam mit Michael Harenberg den Studiengang Musik&Medienkunst im Fachbereich Musik der HKB.

> www.medien-kunst.ch

 

Matthias von Orelli — Wie sehen die Musikhochschulen ihre Zukunft und jene der Studierenden, wie nehmen diese Fragen die Studierenden selber wahr? Anbei die Gedanken eines Studierenden aus Lugano sowie Überlegungen dazu von den Musikhochschulen Bern und Lausanne.

Der nordirische Dirigent Darren Hargan (*1983) absolviert aktuell (obschon er bereits einen Namen als Pianist und Coach hat) den Master of Arts in Music Performance (Ensemble conducting – contemporary repertoire) an der Scuola Universitaria di Musica/Conservatorio della Svizzera italiana in Lugano. Er ist ein junger Musiker, der sich vertieft mit den Fragen der Zukunft des Musikerseins, der Verantwortung und dem Stellenwert der Ausbildungsstätten auseinandersetzt. Im Gespräch betont er, welch enormen Stellenwert die Musik hat.

Er sieht in der Musik ein Fundament unserer Gesellschaft, die nicht nur den Geist anregt, sondern uns auch zu Koordination und Ausdruck befähigt. Nachdem Hargan den Entschluss gefasst hatte, Musik zu studieren, half ihm das Glück hinsichtlich seiner eigenen beruflichen Zukunft. Im Anschluss an die Studien an der Royal Academy of Music in London bekam er eine Festanstellung am Opernhaus Zürich, was ihm den Berufseinstieg erleichterte. Doch, so Hargan, müssten Studierende unbedingt verstehen, dass eine Musikhochschule, so gut sie auch sein mag, sie nicht wirklich auf das tägliche Leben im Musikgeschäft vorbereiten könne. Es gelte für jeden Musiker, für jede Musikerin, täglich zu lernen, um der Zukunft gewachsen zu sein. Umso entscheidender sei es daher auch, dass die verschiedenen, international angesehenen Musikhochschulen in der Schweiz ein jeweils individuelles Profil aufweisen, um talentierte Musikerinnen und Musiker ihren Fähigkeiten entsprechend fördern zu können.

Businessfragen

Auf die Zukunft angesprochen sieht Hargan für die Musikhochschulen besonders dort eine Herausforderung, wo sie den Studierenden helfen können, eine eigene Stimme im immer schneller werdenden Musikmarkt zu finden. Für ihn kann eine Musikhochschule nur dann erfolgreich sein, wenn sie die Möglichkeit hat, eine Verbindung zwischen Ausbildung und Musikerberuf herzustellen und gleichzeitig die Studierenden anhält, ebenso viel Zeit in Businessfragen wie ins Üben ihrer Kunst zu investieren. Hargan erachtet es als aussichtslos, wenn man bloss fähig sei, eine bestimmte Stückauswahl überdurchschnittlich virtuos spielen zu können, ohne sich dabei (ökonomischen) Fragen zur Karriereentwicklung zu stellen. Noch ein anderes Thema beschäftigt ihn sehr: die Kinder. Sie seien unsere Zukunft, und der junge Dirigent bezeichnet es als Schande, dass so viele Kinder nie die Möglichkeit haben werden, in der Schule ein Instrument zu spielen oder ein Konzert besuchen zu können. Zwar erlernten manche Kinder die notwendigen praktischen Fähigkeiten, doch versage das System oft darin, indem diese Kinder ihr schöpferisches Potential nur ungenügend ausschöpfen könnten.

«So haben viele Kinder die grossen musikalischen Errungenschaften der Menschheit nie kennengelernt, etwa Beethovens Musik, die Schriftsteller, Wissenschaftler und Politiker inspiriert hat», unterstreicht Hargan. Dass man nach dem Fall der Berliner Mauer dessen Neunte spielte zeige, dass man darin die einzig richtige Antwort auf eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte des 20. Jahrhunderts sah. «Auch deswegen hat die klassische Musik ihre Existenzberechtigung, und wir alle sind», so Hargan, «verpflichtet, uns dafür einzusetzen, dass alle Teile der Gesellschaft den Wert und die Notwendigkeit sehen, welche die Kunst für das Leben der Kinder hat.» Würden sie von dieser Erfahrung ausgeschlossen bestehe die Gefahr, den Vorteil zu verpassen, der ihnen die Musik hätte bringen können. «Ausser Frage – die Musik muss eine Zukunft haben. Die Welt verändert sich schneller und schneller, und wir hatten noch nie so viele Möglichkeiten, uns mit Menschen auf der ganzen Welt zu vernetzen.» Hargan ergänzt, dass doch gar keine Zeit bleibe, über die Schultern mit nostalgischer Wehmut in die Vergangenheit zu blicken. Als Kind des 21. Jahrhunderts müsse man diese Möglichkeiten mit offenen Armen entgegen nehmen und der uns allen Menschen instinktiver Eigenschaft folgen: Gestalten!

Überlegungen der HEMU

Auf die Rolle der Studierenden der Zukunft angesprochen spielt die Gesellschaft auch aus Sicht der Haute École de Musique de Lausanne (HEMU) eine zentrale Rolle. Studierende sollen ein Bewusstsein für die Stellung und Rolle, welche Musiker und Künstler in der Gesellschaft einnehmen, entwickeln, wobei Neugierde und Offenheit gegenüber anderen Kunstformen und die Absicht, Verbindungen mit diesen zu ermöglichen, besonders betont werden. Genauso wie es Darren Hargan sich wünscht, wird auch aus Sicht der Hochschule das Bewusstsein gefordert, dass zukünftige Studierende nicht nur in der Lage sein müssen, den Anforderungen eines Arbeitsmarkt in ständiger Entwicklung gerecht zu werden, sondern auch Innovationen mittragen sollten, die das Musikgeschäft beeinflussen. Das Verständnis für eine zukünftige Musikkultur bestehe darin, offen gegenüber der Welt aufzutreten, in der aktuellen Zeit zu leben und sich gleichzeitig dem kulturellen Erbe bewusst zu sein sowie die Notwendigkeit zu erkennen, dieses Erbe (ohne nostalgischer Wehmut) lebendig zu machen und in unsere Zeit zu übertragen.

Die Studierenden von morgen seien daher angehalten, so die Überzeugung der HEMU, sich Hilfsmittel anzueignen, um ihre musikalische Praxis weiter zu entwickeln, die eigenen beruflichen Ziele zu definieren, um einen Platz in der Gesellschaft zu finden und diese Werte und Fähigkeiten so breit wie möglich zu teilen. Abschliessend geht der Appell an alle: «Seid Unternehmer; seid genauso in der Improvisation von Jazz-Standards wie bei Mozart zuhause und versucht herauszufinden, wie man sich an der Musikhochschule am besten bedient, indem man sein eigenes Angebot zusammenstellt und aktiv an der Entwicklung des Lehrplans innerhalb der akademischen Anforderungen teilnimmt.»


Beilage in SMZ 12/2016

Unter dem Titel Musik und Migration publiziert die KMHS mit dieser Ausgabe der Schweizer Musikzeitung erstmals ihre jährliche Beilage. Das Ziel der Publikation ist es, die Breite und Fülle der Schweizer Musikhochschulen hinsichtlich einer ausgewählten und brennenden Thematik zu beleuchten. So war es naheliegend, die Thematik Musik und Migration aufzugreifen – spielt sie nicht nur aktuell eine grosse geopolitische Rolle, sondern steht auch im politischen Kontext der Schweiz im Brennpunkt. Sie betrifft damit ebenso die international ausgerichteten Schweizer Musikhochschulen: Studierende und Dozierende, die ihre Heimat verlassen und in einem anderen Land heimisch werden, Musikerinnen und Musiker, die einen grossen Teil ihres Lebens auf Reisen sind und ihre Heimat selten sehen. Dies sind nur zwei Aspekte, die in der Beilage behandelt werden. Wir wünschen viel Vergnügen bei der Lektüre.

Sous le titre Musique et migration, la CHEMS publie avec cette édition de la Revue Musicale Suisse son premier supplément annuel. Le but de cette publication est de mettre en lumière la diversité et la richesse des Hautes Écoles de musique suisses en relation avec une thématique donnée. Le thème Musique et migration s’est imposé comme une évidence au regard du rôle important qu’il joue actuellement non seulement au niveau géopolitique, mais également dans le monde de la musique: il suffit de penser aux étudiants et aux professeurs qui quittent leur patrie pour suivre leur formation et doivent trouver leurs marques dans d’autres contrées et aux musiciens qui passent une grande partie de leur vie à voyager et voient rarement leur pays d’origine. Ce ne sont que deux aspects de cette thématique, que ce supplément se propose d’explorer. Nous vous souhaitons une agréable lecture.

Vom Glücksgefühl im Flow

An ihrem 14. Symposium ist die Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin in Bern den speziellen Bedürfnissen aus reiner Liebhaberei Musizierender nachgegangen.

SMM — Wie grenzt man heute Profis und Amateurmusiker ab? Dass die Grenzen fliessend sind, daran erinnerte im Grossen Saal der Hochschule der Künste in Bern (HKB) der Valenser Neurologe Jürg Kesselring. Musikalische Kompetenz und Anteil am Bestreiten des Lebensunterhalts gehen dabei die vielfältigsten Beziehungen ein. So gibt es den ausgebildeten Profi, der die Musik bloss nebenbei betreibt, genauso wie den technisch eher auf bescheidenem Niveau Agierenden, der seine Existenz dennoch vollständig mit der Musik bestreitet. Tatsächlich, so kristallisierte sich an der Tagung heraus, scheint der markanteste Unterschied in der Haltung der Musik gegenüber zu liegen: «Nur beim Dilettanten», zitierte Kesselring dazu Egon Friedell, «decken sich Mensch und Beruf».

Musik als Freizeitbeschäftigung wird vermehrt zum Sehnsuchtsort. Andreas Cincera, der Studienleiter an der HKB Weiterbildung Musik, zeigte denn auch auf, dass die Nachfrage nach Erwachsenen-Unterricht zunimmt. Bedeutende Rollenvorbilder dürften dabei halbprofessionelle Ensembles bilden, die – vor allem in der zeitgenössischen Volks- und Weltmusik – zur Zeit einen Boom erleben. Die Musikschulen schöpfen das Potential noch nicht aus und beginnen auch erst jetzt so richtig, darüber zu reflektieren, wie die idealen Vermittlungsformen auszusehen hätten. Möglicherweise, so Cincera, sollte für Erwachsene das Erlebnishafte und Niederschwellige gegenüber der intensiven handwerklichen Schulung, wie sie für Heranwachsende wichtig und sinnvoll ist, höher gewichtet werden.

An der HKB wird in Form eines CAS (Certificate of Advanced Studies) an künftige Lehrpersonen das entsprechende Wissen vermittelt: Die Studierenden werden von renommierten Experten und Expertinnen unterrichtet und über Chancen und Grenzen musikalischen Lernens von Erwachsenen bis hin zur Hochaltrigkeit in- formiert.

Ein Privileg der Amateure ist es zweifelssohne, dass sie sich – ganz im Sinne Friedells – dem sogenannten «Flow», einem tranceartigen Zustand des vollkommenen Einsseins mit der Musik, uneingeschränkt hingeben können. Die Theorie dazu lieferte am Symposium der Bremer Musiker und Psychologe Andreas Burzik. Sie geht zurück auf den amerikanischen Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi. Burzik zeigte namentlich die Aspekte des Übens im Flow auf: Der bewusst wahrgenommene Tastsinn schafft den Kontakt zum Ins-trument, das aufmerksame Hören den Kontakt zum Klang und der Bewegungssinn, respektive das Gefühl der Anstrengungslosigkeit den Kontakt zum Körper; das achtsame Herangehen an das Übematerial weckt schliesslich die Lust am Erforschen, Erkunden, Entdecken. Vorbild bleibt dabei die «unbewusste Mühelosig- keit des Kindes».

In Sachen Technik und physischen Belastungen stehen Profis und ambitionierte Amateure durchaus vor gleichen Herausforderungen. Dem trugen am Symposium Beiträge zu Stimme, Haltung und Körperlichkeit Rechnung. Salome Zwicky vom SingStimmZentrum Zürich ging in einem Referat den Grenzen vokaler Belastung nach; die Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin Nicole Martin Rieder widmete sich in einem Workshop der Theorie und Praxis des Atmens und in einem weiteren Workshop beschäftigten sich die Physiotherapeutinnen Marjan Steenbeek und Sibylle Meier Kronawitter dem Zusammenspiel der Körperpartien beim Musizieren.

14. Symposium der SMM, Der Amateurmusiker – Zwischen krankem Ehrgeiz und gesundem Vergnügen, 29. Oktober 2016, Hochschule der Künste Bern, Grosser Saal.

Drohende Abwärtsspirale

Ginge es nach den Plänen der Regierung, soll am Luzerner Sinfonieorchester ab 2018 gespart werden. Die Folgen wären verheerend.

Dankeskonzert vom 13.11. für die Unterstützer der Petition «Ja zum Sinfonieorchester». Foto: Ingo Höhn

Im September dieses Jahres wurde es vom Luzerner Regierungsrat verabschiedet, das «Sparpaket». Der Begriff hat seine euphemistische Note längst eingebüsst. Auch der offizielle Titel des 160-seitigen Dossiers, «Konsolidierungsprogramm 2017 (KP17)», kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses Paket eine gehörige Dosis Sprengstoff enthält. Hinter KP17 steht die Absicht, den Finanzhaushalt des Kantons Luzern mittelfristig ins Lot zu bringen. Für die kommenden drei Jahre ist ein Fehlbetrag von rund 520 Millionen Franken prognostiziert. Die vorgeschlagenen Sparmassnahmen zielen auf viele Bereiche ab. Auch vor Bildung und Kultur machen sie nicht halt. Musikschulen, Hochschulen und grosse Kulturbetriebe, darunter besonders das Luzerner Sinfonieorchester (LSO), wären von ihnen betroffen.
KP17 mag vordergründig die Absicht erkennen lassen, eine Vielzahl von Anforderungen zu einem pragmatischen Heile-Welt-Kompromiss zu bündeln. Doch über diesem hängt das Damoklesschwert, getreu dem Motto: Wehe dem, der es wagt, das vom Regierungsrat geschnürte Paket wieder aufzuschnüren! Als nach der Veröffentlichung des Dossiers am 6. September 2016 der Widerstand in der Bevölkerung wuchs, warnte der parteilose, FDP-nahe Kantonsfinanzdirektor vor allem Gemeinden, Lehrpersonal und Kulturschaffende davor, nur ihre eigenen Interessen zu vertreten, ohne den angeschlagenen Gesamthaushalt im Blick zu haben. Die Warnung verhallte verständlicherweise im Winde. Zum einen geht es nicht primär um eigene Interessen, zum anderen ist das Politsystem für Widerstände geradezu prädestiniert. Mitte Oktober drohten die bürgerlich dominierten Kommunen mit einem Referendum für den Fall, dass der Kantonsrat den Gemeinden die in KP17 vorgesehenen Mehrbelastungen zumuten sollte. Tatsächlich kam das Parlament den Gemeinden in seiner Sitzung vom 7. November mehrheitlich entgegen und nahm 70 Millionen Franken aus dem Sparpaket heraus.

Parteipolitisches Kräftemessen

Die Musikschulen waren ebenfalls in der Novembersession des Kantonsrates dran. Nach eingehender Debatte war die Halbierung des kantonalen Pro-Kopf-Beitrags an die kommunalen Musikschulen beschlossene Sache. 84 Parlamentarier waren dafür und 29 dagegen. Geschlossen abgelehnt wurde die Massnahme ausschliesslich von SP und Grünen. Zudem stimmten 8 von 29 CVP-Abgeordneten gegen die Massnahme. Sie soll den Kantonshaushalt in den kommenden drei Jahren um 3,6 Millionen Franken entlasten. Die Linken hatten vor der Sparübung dahingehend gewarnt, dass der allgemeine Zugang zum Musikunterricht durch höhere Unterrichtsgebühren erschwert würde. Die tonangebende Argumentation aus den Reihen der Liberalen lautete, dass sich Musikunterricht leisten könne, wem er wirklich wichtig sei. Dahinter steht das allseits bekannte Muster: Die Bürgerlichen begrüssen die Sparübungen prinzipiell, während die Linken keine Leistungen reduzieren wollen, sondern die Tiefsteuerpolitik anprangern. Die CVP selbst musste sogar zugeben, dass die Tiefsteuerstrategie ein Verlustgeschäft sei. Die SVP wiederum kämpft vehement gegen höhe Steuern. Wer auch immer in diesem Parteienstreit recht haben mag: Das LSO ist an der finanziellen Schieflage des Kantonshaushalts definitiv nicht schuld.

Mehr Eigenwirtschaftlichkeit geht nicht

Im schweizweiten Vergleich ist der Grad an Eigenwirtschaftlichkeit des LSO rekordverdächtig, was einem ausgeklügelten Zusammenwirken von öffentlichem und privatem Sektor (Public-private-Partnership) zu verdanken ist. In Zahlen drückt sich das so aus: 3,5 Millionen nimmt das LSO im Kartenverkauf ein, nochmals 3,5 Millionen kommen von privater Seite. Für seine zweite Identität als Opernorchester des Luzerner Theaters erhält das LSO 4 Millionen Abgeltung. Der Anteil öffentlicher Gelder an das LSO als Sinfonie- und Residenzorchester des KKL beläuft sich auf 3 Millionen Franken. Betriebswirtschaftlich gesprochen: Mit jedem direkt eingezahlten Steuerfranken erzielt das LSO eine Wertschöpfung von über 330 Prozent, da mit 3 Millionen Grundfinanzierung ein Produkt von 10 Millionen angeboten wird (Dienste am Theater ausgenommen). Diese Wertgrösse ist Indikator eines ausgesprochen ökonomischen Handelns. An den dazu benötigten 3 Millionen Subventionen, dem Fundament gewissermassen, setzte der Regierungsrat den Rotstift an, wenn auch nicht unmittelbar: Sämtliche grosse Kulturbetriebe, darunter neben dem LSO auch Lucerne Festival, das Luzerner Theater, das Kunstmuseum und das Verkehrshaus, erhalten öffentliche Unterstützungsleistungen über einen Zweckverband. KP17 sieht Kürzungen an dem Kantonsbeitrag an den Zweckverband von 1,2 Millionen vor. Peanuts, könnte man meinen. Doch die Kürzung von 1,2 Millionen durch den Kanton würde auch noch eine Reduktion des städtischen Beitrags an den Zweckverband nach sich ziehen. Statt der bisherigen 3 Millionen bekäme das LSO dann nur noch 2,5 Millionen aus öffentlicher Hand. Eine riesige Strapaze. Der Fehlbetrag liesse sich unmöglich durch noch höhere Sponsoreneinnahmen ausgleichen, gibt Numa Bischof Ullmann, Intendant des LSO, zu bedenken. «Selbst die Politik ist sich darin einig, dass die Summe an Privatgeldern, die wir mobilisieren, nicht noch weiter in die Höhe getrieben werden kann.» Ohnehin schon seien die Sponsoren ein gewisser Unsicherheitsfaktor. Zudem würde ein Rückgang der Subventionen auch die privaten Beiträge infrage stellen. Diesen Dominoeffekt beschrieb ein langjähriger enger Freund des Orchesters, Wolfgang Rihm, mit treffenden Worten: «Es herrscht bislang ein gewachsenes subtiles Wechselspiel zwischen öffentlicher und privater Förderung. Private Förderung wird aber erst motiviert, wenn das öffentlich gestützte Fundament gesund ist. Private Förderung würde ins Leere gehen, wenn der zu fördernden kulturellen Einrichtung durch Entzug öffentlicher Mittel die wichtigen Kräfte der Selbsterneuerung dezimiert würden. Konkret: ein öffentliches Kulturorgan wie ein Orchester verkümmert von innen her, wenn Stellen nicht mehr optimal besetzt werden können. Wenn Programme nach und nach immer konventioneller gehalten werden müssen. Wenn nicht mehr die allerbesten Solisten und Gastdirigenten eingeladen werden können. Langsam, schleichend, Schritt für Schritt verschwindet die Attraktivität eines solchen Ensembles. Es wird noch fähig sein, quasi ‹Hausmannskost› herzustellen, aber keine Rolle mehr im überregionalen Bereich spielen.» Hausmannskost, weiss Bischof, schliesst Exzellenzförderung aus. «Unser Finanzierungsansatz setzt eine hohe künstlerische Profilierung voraus.»

Bumerang-Effekt

Die mittelfristige Folge wäre ein Defizit von bis zu 4 Millionen, sollten Gelder von privater Seite ausbleiben. Von der Annahme ausgehend, dass Politik und Bevölkerung das Orchester erhalten möchten, würde das Defizit auf die öffentliche Hand abgewälzt werden. Somit würde die Politik das Gegenteil erreichen von dem, was sie beabsichtigt. Und wenn das LSO sein Konzertangebot zurückfahren würde, um weniger auszugeben? Das wäre kontraproduktiv, meint Bischof, da mit jedem Projekt durch Karteneinnahmen und Sponsorenakquise die überlebensnotwendigen Deckungsbeiträge erwirtschaftet würden. «Noch weniger verdienen heisst für uns schlicht und einfach, Fixkosten nicht decken zu können.» Auch die umgekehrte Variante, mehr Einnahmen durch mehr Angebot, käme nicht infrage. «Wir sind längst an der Kapazitätsgrenze angekommen», so der Intendant. Noch mehr Dienste könne man den Musikerinnen und Musikern nicht aufbürden. Beat Santschi, Präsident des SMV, schätzt das Sparszenario ebenfalls als unzumutbar ein: «Eine weitere Reduktion ist für verantwortungsvolle Arbeitgeber von 70 grossartigen Berufsmusikerinnen und –musikern nicht vertretbar! Im Interesse der künftigen Generationen muss die gesunde Finanzierung des Orchesters langfristig gesichert und nicht abgebaut werden, denn ein totgespartes Orchester kommt nie mehr zurück!»

Die Gefahren lauern noch anderswo: Nachbarkantone könnten sich dazu legitimiert sehen, ihre Ausgleichszahlungen an den Standortkanton zu kürzen. Erst kürzlich forderte die Aargauer FDP den Austritt aus dem interkantonalen Kulturlastenausgleich. Der Aargauer Regierungsrat gab Entwarnung, doch die Gefahr ist damit noch nicht gebannt. Ein hochrangiger CVP-Vertreter gab diesbezüglich zu bedenken: «Als Zuger besuche ich gerne die Konzerte des Luzerner Sinfonieorchesters und das Luzerner Theater. Den Kulturlastenausgleich unterstütze ich deshalb aus Überzeugung. Aber Achtung: Wenn der Standort Luzern die eigene finanzielle Unterstützung kürzt, werden die andern Kantone nachziehen. Eine Schwächung des Kulturplatzes Luzern möchte ich vermeiden.»

Wie geht es weiter?

Am 12. Dezember wird der Kantonsrat über den Sparvorschlag des Regierungsrates abstimmen. Die Chancen, dass er abgewendet wird, stehen nicht schlecht. Gegenwärtig tut das Orchester alles in seiner Macht Stehende, um ins allgemeine Bewusstsein zu rufen, dass es den Steuerzahler von allen Schweizer Berufsorchestern am wenigsten kostet. (Dass es dem LSO keineswegs um einen Unterbietungswettbewerb geht, erklärt sich aus den hier geschilderten Zusammenhängen.) Gleichzeitig verlangt das kompetitive Umfeld des Residenzorchesters des KKL, wo sich die bedeutendsten Klangkörper der Welt die Klinke in die Hand geben, konstante Höchstleistungen. Es dürfte im Interesse aller sein, die tragenden Säulen des Spannungsgefüges von ökonomischer Disziplin und höchsten künstlerischen Ansprüchen vor der Erosion zu schützen.

Will Luzern wirklich ein Orchester? Diese Frage ist für Bischof insofern nicht tabu, als er eine offene und ehrliche Leistungsdiskussion in Gang bringen möchte. In seine Worte mischt sich eine leise Abneigung gegenüber Debatten, in denen es nur noch ums Aufrechterhalten von historisch Gewachsenem um seiner selbst willen geht. Auf die (rhetorische?) Frage, ob Luzern überhaupt ein Orchester haben möchte, folgen für ihn zwei weitere: Was für ein Orchester will die Region? Und wie viel darf es kosten? Auf diese Weise begegnet das LSO dem linearen Spardenken nicht mit dumpfem Protest, sondern mit einer Haltung, die zum inhaltlichen Austausch einlädt. Das Risiko, dass die erste Frage mit Nein beantwortet wird, geht gegen Null. Mehr als vermuten lässt dies das sehr gut besuchte Dankeskonzert des LSO vom 13. November im KKL, das die Musikerinnen und Musiker nicht nur ohne Gage bestritten, sondern auch ohne ihren Chefdirigenten. Sein Terminkalender erlaubte nicht, das kurzfristig anberaumte Konzert zu leiten, so gerne er es wohl getan hätte. Das LSO meisterte die Herausforderung mit Bravour. Möge dieser wunderbare Konzertabend Vorbote eines guten Ausgangs der Abstimmung sein!
 

Link zur online-Petition

 

 

www.ja-zum-sinfonieorchester.ch

Luzerner Gastpreis für Bluegrass-Veranstalter

Die Wettbewerbskommission des Kantons Luzern ehrt Bruno Steffen für seine langjährige ehrenamtliche Arbeit für die Schweizer Bluegrass-Szene und insbesondere für das jährlich stattfindende Bluegrass Festival Willisau mit einem mit 15’000 Franken dotierten Gastpreis.

Bruno Steffen (Bild: zvg)

Was 1997 mit einem Einzelkonzert begann, habe sich seit 2000 zu einem echten Festival entwickelt und sei aus der Schweizer Szene nicht mehr wegzudenken, heisst es im Jurybericht. Das Bluegrass Festival sei eine Erfolgsgeschichte, hinter der 19 Jahre lange, ehrenamtliche Arbeit Bruno Steffens stehe.

Steffen schaffe es, unterstützt durch sein Organisationskomitee aus freiwilligen Helfern, Jahr für Jahr, auf dem Areal des Burgrainmuseums in Alberswil ein Festival zu lancieren, das regionale, nationale und gar europaweite Ausstrahlung habe.

Der Gastpreis wird im Rahmen der Wettbewerbe um die Werkbeiträge jährlich verliehen und ehrt Personen oder Gruppen, die in besonderer Weise zum kulturellen Leben des Kantons Luzern beitragen. Bruno Steffen hat den Preis an der Übergabefeier der Werkbeiträge am Freitag, 11. November 2016 vom Kulturbeauftragten des Kantons Luzern Stefan Sägesser entgegen genommen.

2016 wurde vom Kanton erstmals die selektive Produktionsförderung ausgeschrieben. In der Musik gab es 21 Bewerbungen. Beiträge zugesprochen wurden an Studer Fredy («Solowerk», 30’000 Franken) sowie Blind Butcher, Aregger Christian und Bucher Roland («ALAWALAWA», 20’000 Franken).

 

Gema-Gebühren gehören den Komponisten

Das Berliner Kammergericht hat in einem Berufungsverfahren die Rechte von Musikern/Künstlern gestärkt: Die Gema (das deutsche Pendant der Suisa) ist danach gegenüber den klagenden Künstlern ab dem Jahr 2010 nicht berechtigt, die diesen als Urhebern zustehenden Vergütungsanteile um sogenannte Verlegeranteile zu kürzen.

Foto: Thorben Wengert/pixelio.de

Hintergrund des Rechtsstreits ist die Frage, wie Einnahmen aus Nutzungsrechten für Urheberrechte zu verteilen sind. Der 24. Senat des Kammergerichts hat in seiner Entscheidung die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf die Ausschüttung für Nutzungen von Urheberrechten übertragen und fortgeführt. Danach dürfe die Gema Gelder nur an diejenigen Berechtigten ausschütten, die ihre Rechte wirksam übertragen hätten.

Hätten die Urheber ihre Rechte zuerst aufgrund vertraglicher Vereinbarungen auf die Gema übertragen, so könnten die Verleger keine Ansprüche aus den Urheberrechten der Künstler ableiten. Denn den Verlegern stehe kein eigenes Leistungsschutzrecht zu. Dementsprechend könnten sie auch nicht beanspruchen, an den Einnahmen aus Nutzungsrechten beteiligt zu werden.

Etwas Anderes könne zwar gelten, wenn die Urheber zugunsten der Verleger konkrete Zahlungsanweisungen getroffen oder ihre Ansprüche auf ein Entgelt gegen die Gema an die Verleger (zumindest teilweise) abgetreten hätten. Solche besonderen Vereinbarungen zugunsten der Verleger seien aber weder typisiert erkennbar noch in dem vorliegenden Fall der klagenden Künstler feststellbar.

Das Kammergericht hat ferner die Gema in der heutigen Entscheidung verurteilt, den Klägern Auskunft über die entsprechenden Verlegeranteile zu erteilen und darüber Rechnung zu legen. Über die Frage, ob den Künstlern aufgrund der zu erteilenden Auskünfte auch ein Anspruch auf Zahlung von weiteren Entgelten zustehe, wurde heute noch nicht entschieden. Zunächst muss die Auskunft abgewartet werden, so dass nur ein Teilurteil verkündet wurde.

Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor. Die Revision zum Bundesgerichtshof wurde nicht zugelassen; die Beschwerde beim Bundesgerichtshof gegen die Nichtzulassung der Revision dürfte wäre mangels Erreichen der erforderlichen Beschwerdesumme nicht zulässig sein.
 

Das Auto als rollender Konzertsaal

Vom 17. bis 20. November 2016 stellen die Akustikexperten vom Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT zusammen mit dem SAE Institute Köln und Sound & More Medienproduktionen auf der Deutschen Tonmeistertagung 2016 in Köln das Ergebnis ihres zweiten Forschungsprojekts vor.

In einem AUDI Q7 wurden insgesamt 62 Lautsprecher verbaut (Bild: Fraunhofer IDMT)

2014 starteten die drei Partner ein Pilotprojekt, in dem drei Popsongs für eine objektbasierte Wiedergabe neu produziert und abgemischt wurden. Im Sommer dieses Jahres trafen sie sich wieder – dieses Mal um herauszufinden, welche klanglichen Unterschiede es zwischen einer objektbasierten 3D-Studioumgebung und einer 2D-Umgebung innerhalb eines Fahrzeugs gibt und welche Anforderungen für den Abmischprozess daraus resultieren.

Fünf Musikstücke unterschiedlicher Genres wurden für ein 3D-Studiosystem und einen mit Wellenfeldsynthese-System ausgestatteten Audi Q7 mit Hilfe der Fraunhofer SpatialSound Wave Technologie neu produziert. Auf der Tonmeistertagung können sich die Besucher die Ergebnisse als 2D-Mischung im AUDI Q7 anhören.

Mit der Raumklangtechnologie SpatialSound Wave können aber nicht nur Autos in rollende Konzertsäle verwandelt werden. Mit Hilfe der akustischen Raumsimulation des Fraunhofer IDMT lässt sich auch die Akustik realer Konzerthäuser beeinflussen. Am Beispiel des Opernhauses Zürich wird im Rahmen eines weiteren Fachvortrags des Fraunhofer IDMT erläutert, wie die Klangtechnologie dort zur Ansteuerung von Klangobjekten und zur Anreicherung und Veränderung der Raumreflexionen eingesetzt wird.

Der Vortrag »Hybrid Object-Based Room Simulation« findet am Sonntag, den 20. November um 11.30 Uhr im Raum R4 statt. Referent ist der zuständige Projektleiter Javier Frutos-Bonilla vom Fraunhofer IDMT.
 

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