Müller-Preis für Filmmusik geht an Künstle

Michael Künstle, der an der ZHdK (Zürcher Hochschule der Künste) bei André Bellmont studiert hat, wird mit dem mit 10’000 Euro dotierten Rolf-Hans Müller Preis für Filmmusik 2021 ausgezeichnet.

Michael Künstle wird für seine Filmmusik ausgezeichnet. Foto@swr.de

Michael Künstle schloss sein Studium an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) in Jazz und Komposition mit dem MA mit Schwerpunkt Medienkomposition ab. Er besuchte zusätzliche Studien bei Filmkomponist und Orchestrator David Angel (John Williams) und Filmkomponist Henning Lohner (Hans Zimmer) sowie Meisterkurse bei Filmkomponist Alexandre Desplat und Jazzkomponistin Maria Schneider. Er gewann noch während seines Studiums den Golden Eye Award für die Beste Filmmusik am 1. Internationalen Filmmusik-Wettbewerb des Zürich Film Festival.

Der Rolf-Hans Müller Preis für Filmmusik wird seit 1992 alle zwei Jahre verliehen. 2020 wurde die Verleihung aufgrund der Corona-Pandemie ein Jahr verschoben. Gestiftet wird der vom Südwestrundfunk ausgerichtete Preis von der Rolf-Hans Müller Stiftung Baden-Baden und der MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg. Rolf-Hans Müller war als Dirigent, Komponist und Arrangeur dem früheren SWF (heute SWR) jahrelang eng verbunden.

Deutsch und Sun unterrichten in Basel

An der Hochschule für Musik FHNW Basel unterrichten in der Nachfolge von Jürg Henneberger ab 2022 neu die Sängerin und Performerin Sarah Maria Sun und der E-Gitarrist Yaron Deutsch zeitgenössische Musik.

Sarah Maria Sun lehrt ab Februar 2022 in Basel. Foto Thomas Schloemann

Sun und Deutsch dozieren in den Studienrichtungen Master of Arts in Specialized Performance, Contemporary Music, und dem neu strukturierten Master of Arts in Specialized Performance, Open Creation. Sun beginnt im Februar, Deutsch im September.

Sarah Maria Sun zählt zu den herausragendsten Persönlichkeiten in der zeitgenössischen Musikszene. Ihr Repertoire beinhaltet mehr als 1000 Werke vom 16. bis 21. Jahrhundert, darunter 350 Uraufführungen. Sie ist regelmässig weltweit bei namhaften Festivals, in Opern- und Konzerthäusern zu Gast. So übernahm sie beispielsweise diesen Sommer die Hauptrolle in Luigi Nonos Intolleranza 1960 bei den Salzburger Festspielen. Für ihre Darstellung komplexer Frauenfiguren wie der Doppelfigur Elsa/Lohengrin in Salavatore Sciarrinos Monodram Lohengrin (2017) oder der Gwen in Philip Venables‘ 4.48 Psychose 4.48 (2019) wurde sie als Sängerin des Jahres nominiert.

Der 1978 in Tel Aviv geborene Deutsch ist besonders für seine Arbeit im Bereich der zeitgenössischen Musik bekannt. Er ist Gründer und künstlerischer Leiter des Quartetts Nikel und häufig zu Gast bei den bekanntesten europäischen Ensembles und Orchestern im Bereich der zeitgenössischen Musik. Er spielt regelmässig mit den Ensembles Klangforum Wien und Musikfabrik.

Wegweisende Konzerterlebnisse schaffen

Mit dem neuen Format Lucerne Festival Forward wagt die Intendanz den Schritt ins Unbekannte. Es löst das bisherige Pianofestival ab.

Neue Musik hat unter Intendant Michael Haefliger schon immer eine wichtige Rolle gespielt beim Lucerne Festival, auch im sommerlichen Hauptprogramm. Pierre Boulez war viele Jahre die schillernde Persönlichkeit der Academy, in der sich junge Musikerinnen und Musiker mit der Interpretation neuartiger Stücke auseinandersetzten. Heute obliegt die Künstlerische Leitung der Academy Wolfgang Rihm.

Für diese einzigartige Gemeinschaft an Interpreten und Interessierten der Academy wurde nun also vom 19. bis 21. November das Forward-Festival lanciert, das sich betont «jung» und «zukunftsgerichtet» gibt. Waren zuvor am Pianofestival Klavierstars zu erleben, suchen nun der Leiter der Sparte Contemporary, Felix Heri, und sein Dramaturg Mark Sattler Zuhörerinnen und Zuhörer, die sich nicht auf grosse Namen, sondern auf neue Raumkonzepte, Interaktion und Elektronik einlassen.

Zu diesem mutigen Aufbruch in Richtung Zukunft gehört auch die Gründung des Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LFCO), das sich auf Partituren des 20. und 21. Jahrhunderts fokussiert und neben Konzerten im Sommer auch dieses neue Festival bestreitet. So international das Orchester auch bestückt ist, man sucht beim Lucerne-Festival dennoch den Kontakt zu lokalen Veranstaltern wie dem Forum Neue Musik Luzern und dem Kinderkulturfestival Kultissimo der Regionalstelle Zentralschweiz der Stiftung Pro Juventute.

Für Kinder und Eltern

Ein Kinderkonzert fand am Sonntag um 12 Uhr im Probesaal des KKL statt, für den Zugang versammelte man sich vorab beim Künstlereingang, was nicht allen klar war. Doch schliesslich trafen sich alle Neugierigen am richtigen Ort. Das bereitstehende Instrumentarium sah vielversprechend aus. Ein Flügel, ein Marimbafon und ein Kontrabass, ein Hocker zum Draufsitzen und Trommeln, und vorne am Boden viele farbige Plastikrohre, nach Farben auf Töne gestimmt.

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Kinderkonzert mit Helga Karen, Maggie Hasspacher, Xizi Wang

Die 15 Kinder sassen im Halbrund am Boden, ihre Eltern hinter ihnen auf Stühlen. Alle waren sofort gebannt von den drei dynamischen Musikerinnen Helga Karen, Maggie Hasspacher und Xizi Wang. Was sie an spielerischen Variationen über das Lied Alle Vögel sind schon da hervorzauberten, war toll. Dann wurden die Rohre und Rasseln im Publikum verteilt, alle ahmten den vorgegebenen Bolero-Rhythmus nach, es wurde lauter, aber auch wieder leiser. Eine pfiffige Darbietung musikalischer Kreativität, die auch den Erwachsenen Spass machte.

Improvisationen und Performances

Neue Musik hat vielerorts neue Räume erobert, oft wird sie in Kunsthallen oder draussen auf öffentlichen Plätzen gespielt. Im KKL bietet sich das Kunsthaus geradezu an. So improvisierten Mitglieder des LFCO am Samstag um 16 Uhr zu den luftigen Installationen der argentinisch-schweizerischen Künstlerin Vivian Suter.

Oder dann die Performance-Künstlerin Winnie Huang, die während des ganzen Festivals zu 15-minütigen Eins-zu-Eins-Begegnungen einlud. Ich betrete ihre Box, die mit schwarzen Tüchern verhangen ist, Winnie Huang sitzt auf einem Stuhl, ich als Besucherin ihr vis-à-vis. Es ist unheimlich still und dunkel hier drin, der Scheinwerfer fokussiert ihre Hände, die Finger beginnen sich langsam zu bewegen. Ich folge ihren feinen Bewegungen, ihrem schweifenden Blick, jedes Detail wird überdeutlich wahrgenommen – eine Erfahrung für sich.

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One to One mit Winnie Huang

Ob eine Open-Air-Veranstaltung in einer kalten Novembernacht um 22 Uhr wirklich Sinn macht? Für das Eröffnungskonzert am Freitagabend, das auf der Terrasse des KKL stattfand, waren jedenfalls kaum mehr Leute gekommen. Schade für das originelle Stück Workers Union von Louis Andriessen (1939–2021), das er «für ein beliebiges Ensemble laut klingender Instrumente» geschrieben hat.

Interaktion mit Raum und Publikum

Im Hauptsaal fanden dann die vier «konventionelleren» Konzerte mit dem LFCO statt, geleitet wurde es von Mariano Chiaccharini und Elena Schwarz. In diesen Programmen waren überraschend viele Komponistinnen vertreten, u. a. so renommierte Musikerinnen wie Liza Lim, Pauline Oliveros, Rebecca Sounders und Olga Neuwirth. Neuwirths spektakuläres Filmmusikprojekt Construction in Space für vier Solisten, vier Ensemblegruppen und Live-Elektronik sorgte am Sonntagabend für Furore.

Bei allen präsentierten Kompositionen spielten die Räumlichkeit, also der KKL-Konzertsaal, und das Interagieren mit dem Publikum eine wichtige Rolle, besonders bei den Auftragswerken des Lucerne Festivals, die im 3. Konzert uraufgeführt wurden. So liess etwa Patricia Martinez (geb. 1973) während ihres Ensemblestücks Field das Publikum einen tiefen Ton summen. Und Dahae Boo (geb. 1988) überraschte mit ihrem dramaturgisch dichten Stück D’où à où, bei dem die Solo-Cellistin auf der Bühne mit den sechs im Raum verteilten Instrumentalisten auch gestisch interagierte.

Nicht nur dieses Konzert war abwechslungsreich und originell konzipiert, das Forward-Festival lockte schon bei seiner ersten Ausgabe erstaunliche 1300 Besucherinnen und Besucher an. Mit seinen unterschiedlichen Formaten und spielerischen «Events» befreit es die Neue Musik aus ihrem exklusiven Kreis.

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Ensemble des LFCO unter der Leitung von Mariano Chiacchiarini: «Extinction Events and Dawn Chorus» von Liza Lim

Hammer folgt in Salzburg auf Rabl-Stadler

Das Kuratorium der Salzburger Festspiele hat Kristina Hammer einstimmig als neue
Präsidentin der Salzburger Festspiele bestellt. Die Nachfolgerin von Helga Rabl-Stadler besitzt in Herrliberg einen Marken- und Medienagentur.

Kristina Hammer, Foto: © Christina von Prohaska

Kristina Hammer ist seit 2010 Eigentümerin von Hammer-Solutions und war laut Angaben auf der Website der Firma davor mehr als 15 Jahre international in führender Position im Bereich Marketing und Public Relations tätig. In ihrer frühen Karriere arbeitete sie für Gerngross, der in den 90er-Jahren grössten Kaufhauskette Österreichs. Von 2000 an wirkte sie sieben Jahre in England für die Premier Automotive Group (Aston Martin, Jaguar, Land Rover, Lincoln, Volvo) sowie ab 2006 zusätzlich für den Mutterkonzern Ford.

Von 2007 bis 2009 leitete sie das globale Marketing Communications Team von Mercedes-Benz Personenwagen am Hauptfirmensitz von Daimler in Stuttgart. Am Ende desselben Jahres erfolgte die Gründung ihrer eigenen Beratungsfirma Hammer-Solutions, einer international tätigen Markenberatung mit Sitz in Herrliberg/Zürich. Kristina Hammer ist/war auch Mitglied mehrerer Verwaltungs- und Beiräte, unter anderem der Firma Stöckli Swiss Sports AG, dem grössten Schweizer Skihersteller.

 

Klingende Bäume

Das Notenbuch zu den Baumliedern von Roland Zoss erlaubt die eigene Gestaltung. Einfach zuhören kann man mit den beiden CDs «Bäume des Nordens» und «Bäume des Südens».

Foto: veeterzy/unsplash.com (s. unten)

Der Schweizer Singer-Songwriter Roland Zoss hat sich aufgemacht, Bäume zu vertonen. Ganze 28 Baumlieder hat er geschrieben, jedes auf der Suche nach der klimatischen, mythologischen und morphologischen Eigenheit eines Baumes – und seiner Bedeutung für uns Menschen. Als Erstes kommt der Mammutbaum, denn er ist der älteste von allen. Er wird 3000 Jahre alt und ist bis 120 Meter hoch. Oft treffen ihn Blitze, aber die entstehenden Waldbrände überlebt er dennoch. Den indianischen Ureinwohnern gilt er als heilig.

Wer jetzt, bei so vielen Bäumen, einen hölzernen Sound vermutet, liegt falsch. Die Musik ist rockig, groovig und lädt ein zum Mitsingen oder Selber-Gestalten. Dank dem Notenbuch oder dem Textbuch und den beiden CDs Bäume des Nordens und Bäume des Südens ist das auch möglich. 27 Musiker und Sängerinnen hat Zoss dafür aufgeboten, darunter grosse Namen wie Corin Curschellas oder Markus Flückiger. Die Lieder erklingen, je nach instrumentaler Zusammensetzung, in verschiedenfarbigen Gewändern. Die melancholische Duduk umspielt den Olivenbaum (seit 10 000 Jahren nachweisbar) und das Trümpi leitet das Lied zum Karube-Baum ein. Der Karube ist der Johannisbrotbaum aus Ägypten, und ja, der Name geht auf Johannes den Täufer zurück. Der Baum lieferte das Mass für das Wägen von Gold: 24 Karubensamen wiegen 24 Karat Gold. Heute kommt Karubenmehl als E 410 in Babynahrung und Tabletten vor. Man lernt viel über die Bäume in diesen Liedern.

Zoss ist Baumspezialist. Er umarmt sie, hört ihnen zu und kennt ihre Geschichte. «Du kämpfisch für d Natur, u we der Muet di mal verlaht, chum gang u hol dir d Chraft – us em Karubeboum!» – diese Refrainzeile ist typisch für die Baumlieder. Das Baumliederbuch ist nicht nur eine Ode an die Bäume, sondern Kraftquelle für unseren Kampf für die Natur.

Gehaltvolle Texte, schöne Melodien, farbig begleitet: geglückte CDs! Und ein Notenbuch (als E-Book), das weit über die Wiedergabe der Melodien hinausgeht. Offen bleibt nur der Wunsch nach einer Playback-Version zum Mitsingen.

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Roland Zoss: Baumlieder. Notenband Album 1 & 2: 28 Notenblätter, Songtexte und Infos in Berner Mundart, E-Book, 89 S., Fr. 20.00, ISBN 978-1-09830-676-2; Textbuch: 27 Songtexte & Bauminfos, Fr. 4.00;
CD 1: Bäume des Nordens;
CD 2: Bäume des Südens, je Fr. 20.00;
www.baumlieder.ch

 

Reichhaltige, oft bestohlene Sonaten

Elinor Frey hat die Cellosonaten von Giuseppe Dall’Abaco (1710–1805) erstmals herausgegeben. Bisher sind drei der fünf Bände erhältlich.

Die Herausgeberin Elinor Frey. Foto: Elizabeth Delage

Die Edition Wallhall hat mit der kritischen Herausgabe aller 27 Cellokonzerte von Antonio Vivaldi einen editorischen Meilenstein gesetzt. Nun überrascht der Verlag mit der Gesamtausgabe der 35 überlieferten Cellosonaten von Giuseppe Clemente Dall’Abaco. Die Edition besorgte die kanadische Cellistin Elinor Frey, eine Spezialistin für Musik des 17. und 18. Jahrhunderts.

Der Cellist Dall’Abaco wurde 1710, im selben Jahr wie Wilhelm Friedemann Bach, in Brüssel geboren und verstarb 1805, dem Todesjahr Luigi Boccherinis, im sehr hohen Alter von 95 Jahren in Arbizzano di Valpolicella, Provinz Verona. Dall’Abaco hielt sich 1736–37 in London auf. Dies erklärt, dass die umfangreiche Sammlung in der British Library aufbewahrt wird.

Die im barocken Stil gehaltenen Sonaten zeichnen sich durch kantable Melodien aus, die teilweise volkstümlichen Charakter haben. Die spieltechnische Palette ist reich: gesangliche Passagen bis zum c3, Doppelgriffe (mit häufigen 4-3-Vorhalten, bei deren Ausführung der Daumen eingesetzt wird), virtuose Arpeggien-Sequenzen sowie Batteries. Teilweise experimentiert der Komponist mit dem damals aufkommenden galanten Stil.

Das umfangreiche Vorwort gibt Informationen über Dall’Abacos Leben, seine Wirkungsfelder und sein kulturelles Umfeld. Pikant: Es gibt auch Auskunft über zahlreiche zeitgenössische Entlehnungen aus seinen Werken. Der französische Cellist Martin Berteau (1708–1771) verwendete beispielsweise in seinen viel gespielten sechs Cellosonaten op. 1 vier entliehene Sätze aus Sonaten Dall’Abacos. Und die – wohl durch einen Irrtum des britischen Herausgebers A. Moffat – Giovanni Battista Sammartini zugeschriebene G-Dur-Sonate stammt ursprünglich aus Dall’Abacos Feder.

Ein kleiner Abstrich: Die Ausgabe enthält keine ausgesetzte Continuo-Stimme. Dies dürfte es v. a. Laienmusikerinnen und -musikern erschweren, diese reichhaltige und pädagogisch wertvolle Sammlung zu verwenden. Wer sich mit den Sonaten vertraut machen möchte, dem sei zusätzlich die beim Label Passacaille-Records erschienene CD mit der Herausgeberin Elinor Frey als Solistin empfohlen (PAS 1069).

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Giuseppe Clemente Dall’Abaco: 35 Sonaten für Violoncello und B.c., Erstausgabe in 5 Bänden von Elinor Frey;
bisher erschienen:
Bd. III: 8 Sonaten (ABV 24-31), EW 1154, € 29.80;
Bd. IV: 8 Sonaten (ABV 32-39), EW 1160, € 29.80;
Bd. V: 7 Sonaten (ABV 40-46), EW 1164, € 26.50;

Edition Walhall, Magdeburg

Originell besetzte Weihnachtskantate

Das Werk des Aargauer Frühromantikers Friedrich Theodor Fröhlich überrascht mit sich stark ändernder Besetzung und einer eher dramatischen Anlage.

Brugg um 1810, Aquatinta von Johann Wilhelm Heim (Nachweis s. unten)

Friedrich Theodor Fröhlich (1803–1836) stammt aus dem aargauischen Brugg und gilt heute als bedeutendster Schweizer Komponist der Frühromantik. Seit nunmehr fünf Jahren kümmert sich die Internationale Fröhlich-Gesellschaft in Brugg um die Aufführung und Bekanntmachung seiner Musik. Die Initiantin Barbara Vigfusson organisiert jährlich einen Fröhlich-Tag mit namhaften Interpretinnen und Interpreten, ihr Mann Johannes Vigfusson widmet sich mit grosser Sorgfalt der Edition von dessen Werken.

Nun ist vor rund einem Jahr im Amadeus-Verlag der von Vigfusson betreute Erstdruck von Fröhlichs Weihnacht-Cantate für Soli, Chor und Klavier erschienen. Eigentlich hätte diese Kantate im Oktober 2020 am Fröhlich-Tag auch aufgeführt werden sollen, doch Corona hat dies verunmöglicht.

Die Weihnacht-Cantate ist Fröhlichs Passions-Cantate (Éditions Cantate Domino, Neuchâtel, CD 1193), die 2019 am Fröhlich-Tag gesungen wurde, sehr ähnlich. Formal haben beide eine originelle, variable Besetzung mit verschiedenen Chören und Soli, beide werden von einem Klavier begleitet und bei beiden stammt der Text von Fröhlichs Bruder, dem reformierten Theologen und Dichter Abraham Emanuel Fröhlich. Auch entstanden beide oratorischen Werke kurz nach Fröhlichs Rückkehr aus Berlin, wo er an Zelters Singinstitut studiert hatte, in die Schweiz.

So entstand die Weihnacht-Cantate im November 1830, und zwar «ohne Kompromisse bezüglich der musikalischen Ansprüche», wie Vigfusson in seinem Editionsbericht schreibt. «Sie erweckt den Eindruck einer Demonstration der verschiedenen Möglichkeiten der Chorkunst, worin der Komponist dem Schweizer Publikum auch seine Beherrschung des Kontrapunkts unter Beweis stellt.»

Jeder der acht Teile hat eine andere Besetzung: Das geht vom einfachen Klavierlied über ein Soloquartett, vom Frauen- und Männerchor bis zum achtstimmigen gemischten Chor a cappella. Liedhaft begonnene Abschnitte münden immer wieder in fugierte Steigerungen mit Schlussfuge. Eher überraschend für eine Weihnachtskantate ist die eher dramatische Anlage der Musik, die sich am eindrücklichsten in den solistischen Teilen mit Klavierbegleitung zeigt. Sie wird durch liebliche Kantilenen kontrastiert. Eine abwechslungsreiche und erfrischend vitale Weihnachtsmusik.

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Friedrich Theodor Fröhlich: Weihnacht-Cantate für Soli, Chor und Klavier, Erstdruck der Partitur, hg. von Johannes Vigfusson, BP 2861, € 36.00, Amadeus, Winterthur

 

Kleine Welten und Wunder

Baptiste Kunz schafft in seinen Klavierstücken kleine Welten aus einfachen musikalischen Elementen.

Foto: Alin Andersen/unsplash.com (s. unten)

Wer Baptiste Kunz kennt, findet in ihm das, was wir oft mit «Lebenskünstler» umschreiben. Er versteht die Kunst, sich tiefe Gedanken zu machen, zu geniessen, zu experimentieren, zu produzieren. Ob in der Küche, im Keramikatelier, im Umgang mit Texten oder nicht zuletzt am Akkordeon und Klavier: Die Ideen sprudeln nur so und strahlen eine unmittelbare Freude und Liebe zum Detail aus, die ansteckend wirken. So auch in den beiden Klavierbänden 24 Minikosmen und 24 Mini-Mirakel, die im Frühjahr 2020 entstanden sind.

Die kurzen Charakterstücke durch alle Dur- und Moll-Tonarten bewegen sich stilistisch zwischen unterhaltsamer Klassik, Jazz und Volksmusik. Dem Lehrer und Musiker Baptiste Kunz gelingt es, mit jedem einzelnen Stück eine ganz neue Welt zu schaffen. Und mich überzeugt die Kürze der Stücke und die Einheit der musikalischen und spieltechnischen Ideen. Die klare Gliederung mit ihren einfachen Wiederholungen und kleinen Varianten erlaubt es, im Unterricht mit den Schülerinnen und Schülern verschiedene grundlegende Themen wie Harmonielehre, Rhythmik und Spieltechnik exemplarisch anzusprechen. Viele rhythmische und melodische Motive, wie auch die abwechslungsreichen Begleitfiguren eignen sich durchaus auch als Sprungbrett zu eigenen Improvisationen.

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Baptiste Kunz: 24 Minikosmen. Leichte bis mittelschwere Klavierstücke in allen Tonarten, Fr. 22.00, Eigenverlag

Id.: 24 Mini-Mirakel. Leichte bis mittelschwere Klavierstücke in allen Tonarten

http://www.chez-baptiste.ch/sites/musik.html

 

Geschwister im Geiste

Nach einer Biografie über Pauline Viardot-García hat Beatrix Borchard nun auch deren Briefwechsel mit Julius Rietz herausgegeben, der von 1858 bis 1874 entstand.

Keine Professorin forscht so intensiv nach der Geschichte weiblicher Kreativität im Musikbetrieb des 19. Jahrhunderts wie Beatrix Borchard an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Ihr verdanken wir wertvolle Quellenstudien zu Robert und Clara Schumann, aber auch zu Amalie und Joseph Joachim. Zudem hat sie 2003 die multimediale Forschungsplattform «Mugi» zum Thema Musik/Musikvermittlung und Gender lanciert und diese zu einem wichtigen Nachschlagewerk ausgebaut.

Über ihre Studien zu Clara Schumann stiess Borchard auch auf Pauline Viardot-García (1821–1910), eine enge Freundin der Schumanns. Zu Lebzeiten war Viardot sehr bekannt und einflussreich. Sie wurde in Paris in eine Opernsänger-Familie hineingeboren, ihre 13 Jahre ältere Schwester war die legendäre Maria Malibran.

Pauline Viardot liess sich ursprünglich als Pianistin ausbilden. Doch als mit dem frühen Tod der Malibran – diese starb mit nur 28 Jahren – die Existenz des Familienunternehmens gefährdet war, zwang ihre Mutter sie kurzerhand zum Singen. Und siehe da: Auch sie hatte das unvergleichliche, herbe Timbre des spanischen Vaters in der Stimme, Viardot wurde zu Malibrans ebenbürtiger Nachfolgerin und feierte in ganz Europa triumphale Erfolge.

Borchard war sogleich fasziniert von dieser wahrhaft europäischen Künstlerin und deren vielseitigen Begabungen auch als Komponistin, Gesangspädagogin und Herausgeberin alter französischer Lieder. Nach einer Viardot-Biografie legt sie nun deren 660 Seiten umfassenden Briefwechsel mit Julius Rietz (1812–1877) vor. Rietz, der noch mit Mendelssohn an der Wiederaufführung von Bachs Matthäuspassion mitgewirkt hatte, war ab 1847 in Leipzig Theaterkapellmeister und später Dirigent des Gewandhausorchesters, Viardot trat beiderorts als Sängerin auf.

Dass sich zwischen diesen beiden ganz unterschiedlichen Künstlertypen eine derart heftige Brieffreundschaft entspann, ist nicht einer erotischen Liebe geschuldet, wie Borchard schreibt: «Was war es dann? Beide schreiben von Geschwisterlichkeit, von tiefer Freundschaft. Beide haben das Bedürfnis, sich brieflich vorbehaltlos zu öffnen. Beide bestätigen einander immer wieder, wie lebensnotwendig die Briefe des anderen für sie sind.»

Rietz’ Briefe waren bisher unveröffentlicht geblieben, diejenigen von Viardot sukzessive bekannt und auszugsweise veröffentlicht worden, doch noch nie in dieser Vollständigkeit. Der Briefwechsel stammt aus der Zeit von 1858 bis 1874 und erhellt die Lebensumstände beider Künstlerpersönlichkeiten. Auch erfährt man von Julius Rietz interessante Dinge über berühmte Musiker rund um das Gewandhausorchester. Und beide interessierten sich brennend für die richtige Interpretation alter Musik und unterstützten die Leipziger Bach-Gesellschaft.

Viardot schrieb auf Deutsch und Französisch, die französischen Briefe sind hier parallel zum Original auch in deutscher Übersetzung publiziert. Interessant und gut geschrieben sind auch die vier Essays im Vorspann zum Briefwechsel, die nicht nur Viardot und Rietz in ihrer Eigenart porträtieren, sondern auch – wie es die Mitherausgeberin Miriam-Alexandra Wigbers getan hat – «musikalische Themen ihres Briefwechsels» herausarbeiten. Zudem zeugen die ausführlichen Anmerkungen zu den Briefen von enormem Hintergrundwissen, kommentiert wird klar aus weiblicher Sicht.

Fazit: eine sehr fundierte und spannend kommentierte Quellenedition.

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Pauline Viardot-García – Julius Rietz: Der Briefwechsel 1858–1874, hg. von Beatrix Borchard und Miriam-Alexandra Wigbers, (= Viardot-García-Studien 1), 663 S., € 68.00, Olms, Hildesheim u. a. 2021, ISBN 978-3-487-15981-2

Bieler Kulturpreis 2021 geht an strøm

Der Gemeinderat verleiht den Kulturpreis der Stadt Biel 2021 auf Vorschlag der Kulturkommission an das experimentelle und elektroakustische Musikduo strøm – bestehend aus Gaudenz Badrutt und Christian Müller.

strøm: Gaudenz Badrutt und Christian Müller (Bild: Enrique Muñoz Garcia)

Seit zwei Jahrzehnten ist strøm laut der Medienmitteilung der Stadt Biel «eine der wichtigsten Antriebskräfte der international anerkannten Szene in Biel». Mit der Kombination von Improvisation und Konzeptmusik, Explosionen von Free Jazz und Anspielungen auf zeitgenössischen Pop habe das Duo ein gewagtes und einzigartiges Klanguniversum entwickelt.

Neben der Herausgabe von rund zehn Alben und zahlreichen Bühnenauftritten hat strøm auch Bühnenmusik komponiert, insbesondere für das Stadttheater Bern und das Schauspielhaus Wien, und audiovisuelle Installationen konzipiert, zum Beispiel für die Bieler Fototage oder die Passage Kunsthaus Zürich. Mit der Verleihung des Preises an strøm wolle, so die Mitteilung weiter, der Gemeinderat «eine mustergültige künstlerische Laufbahn auszeichnen und eine ausgesprochen lebendige und wagemutige Musikszene würdigen, die Biel zu einer Hauptstadt der experimentellen Musik» mache.

Der Bieler Gemeinderat verleiht den mit 10’000 Franken dotierten Kulturpreis jedes Jahr auf Antrag der Kulturkommission.

Bachmann folgt im BAK auf Chassot

Der Bundesrat hat Carine Bachmann zur Direktorin des Bundesamtes für Kultur (BAK) ernannt. Sie übernimmt die Nachfolge von Isabelle Chassot. Bachmann tritt ihr Amt am 1. Februar 2022 an. Der stellvertretende Direktor, Yves Fischer, leitet das BAK interimistisch.

Carine Bachmann. Foto: EDI/BAK

Carine Bachmann ist laut der Medienmitteilung des Bundes seit 2011 Leiterin der Abteilung für Kultur und Digitalisierung der Stadt Genf. In dieser Funktion beaufsichtigt sie die Museen, Bibliotheken und die Kulturförderung der Stadt sowie 1400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Carine Bachmann begann ihre berufliche Laufbahn als Programmleiterin des internationalen Film- und Videofestivals VIPER in Luzern sowie als Kommunikationsverantwortliche und Projektleiterin in verschiedenen Nichtregierungsorganisationen. Sie war Mitbegründerin und Leiterin von CIMERA, einer Organisation für Entwicklungszusammenarbeit und Konfliktprävention im Kaukasus und in Zentralasien.

Carine Bachmann ist zweisprachig französisch-deutsch. Sie ist 54-jährig, verheiratet und hat drei Kinder. Carine Bachmann besitzt einen Masterabschluss in Sozialpsychologie, Filmwissenschaft und Völkerrecht der Universität Zürich sowie ein Certificate of Advanced Studies (CAS) in Ökonomie und Regulierungsrecht des Hochschulinstituts für Öffentliche Verwaltung (IDHEAP) der Universität Lausanne.

Der Ohr-an-Ohr-Konflikt

Der Musiker und Konfliktberater Hans-Peter Achberger erhellt das soziale Innenleben klassischer Orchester.

SMM — Nach wie vor ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Orchester offenherzig Auskunft geben über die weniger idyllischen Seiten ihres sozialen und psychologischen Innenlebens. Nur allzu gerne vermitteln sie nach aussen lieber ein schönes Bild gemeinsamen Musizierens in Minne. Gesundheitliche und soziale Irritationen werden in der Regel tabuisiert.

Diesen Vorhang lüftet Hans-Peter Achberger mit einer Arbeit zu Streit- und Konfliktmustern in Kunstkollektiven, die sich bis in die kreativen Schaffensprozesse zurückverfolgen lassen. Achberger ist als Schlagzeuger Mitglied der Philharmonia Zürich, des Orchesters des Zürcher Opernhauses. Das Buch, das er vorlegt, ist eine leicht überarbeitete Version einer Masterarbeit. Er hat sie ursprünglich im Rahmen eines Studiengangs Mediation und Konfliktmanagement der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) verfasst.

Basierend auf zahlreichen Interviews mit seinen Mitmusikerinnen und Mitmusikern der Phiharmonia entwickelt er ein interessantes Modell von Störungsmustern der kreativen und psychologischen Interaktionen im Kollektiv. Den Reibungsflächen legt es übermässige Fokussierungen auf bestimmte Aspekte zugrunde und teilt diese in vier Hauptgruppen: Da spielen erstens Fixierungen auf Einflüsse von aussen eine Rolle. Dies können administrative Prozesse, das Publikum, akustische Gegebenheiten eines Raumes oder die Ensemblegrössen sein. Der zweiten Bereich, den Achberger beleuchtet, ist die Fokussierung von Mitgliedern des Orchesters auf sich selbst. Dazu gehört etwa die Angst vor dem Imageverlust, gerade auch, wenn man einsehen muss, dass die Qualität des eigenen Spiels nicht zuletzt vom Spiel der andern abhängt.

Den dritten Kreis bilden in dem Modell übermässige Aufmerksamkeiten auf die Interaktionen, das heisst auf das Wir. Dazu gehören etwa Auseinandersetzungen um Fragen der Intonation oder der Wahl von Ins-trumenten und Entscheiden über Klang und Interpretation. Der vierte schliesslich beleuchtet die übermässigen Fokussierungen auf das Gegenüber, auf das Du. Sie umfassen unter anderem Erwartungen an die künstlerische Qualität des Andern oder an mögliche Konkurrenz-Konstellationen, etwa wenn es um Fragen der Nachfolge für Stimmführer-Positionen geht.

Das Verdikt ist eindeutig: «Der klassische Orchestermusikerberuf», schliesst der Autor, «generiert eine schillernde Vielzahl berufstypischer sozialer Störungen, die das Zusammenleben und -arbeiten der Gemeinschaft Orchester erschweren und persönliches Leid hervorbringen können.» (Seite 132)

Achberger fragt sich auch, wie man alle diese oftmals subkutanen oder zur Seite geschobenen Konflikte besser aufarbeiten oder regeln könnte. Das Rezept ist im Grunde genommen naheliegend, wenn auch schwieriger zu befolgen, als vermutet. Es bedürfe, so der Autor «einer Kultur des Austausches, der gemeinsamen Rede über all jene störenden Prozesse» (Seite 131). Dazu bedarf es institutionalisierte Räume, in denen «die Sinnhaftigkeit von Konflikten diskutiert und persönliche Störungen mitgeteilt werden können» (a.a.O.). Sinfonieorchester seien aufgrund ihrer Grösse allerdings nicht mehr in der Lage, ohne eine kompetente Vermittlung sach- und zielgerecht zu agieren.

Literaturangabe:

Hans-Peter Achberger: Der Ohr-an-Ohr-Konflikt. Störungsmuster in der musikalischen Interaktion. Band 19 der Viadrina-Schriftenreihe zu Mediation und Konfliktmanagement. Wolfgang Metzner Verlag, Frankfurt am Main, 2020.

Hohes Niveau auf 1800 m.ü.M.

Markus Fleck und Lars Mlekusch leiten je eine Woche der Arosa Music Academy und sind zusammen auch künstlerische Leiter des Arosa Klassik Festival.

Andri Probst — Das Arosa Klassik Festival findet vom 20. bis 26. März 2022 in Arosa statt. Arosa Kultur hat die beiden künstlerischen Leiter überdas Festival und ihre Vision befragt.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Arosa Kultur?

Markus Fleck: Ein Konzert zu Ehren des 100. Geburtstags von Hans Schaeuble im Jahr 2006 war der Auftakt zu einer fruchtbaren, langjährigen Zusammenarbeit. Nach dieser ersten Begegnung fand 2008 das erste Arosa Musik Festival statt, zu dessen Gründung und Federführung lud der damalige Präsident des «Kulturkreis Arosa» Christian Buxhofer das casalQuartett ein, das zum Jubiläum ein Kammermusikkonzert spielte. Zu diesem wunderbaren Auftrag gesellte sich noch die Gründung und Leitung der Arosa Music Academy 2011. Seit der Initiierung dieser beiden wichtigen Herzstücke der Arbeit von Arosa Kultur bin ich mit den engagierten Protagonisten vor Ort eng verbunden.

Lars Mlekusch: Vor über 15 Jahren wurde ich zusammen mit meinem damaligen Duopartner, dem Pianisten See Siang Wong, von Christian Buxhofer für ein Konzert in die evangelische Kirche in Arosa eingeladen. Das war mein erster Besuch in Arosa und ein wunderbares und prägendes Erlebnis. Die anschliessende Anfrage, jährlich einen Saxophonkurs im Rahmen der Musik-Kurswochen Arosa zu leiten, nahm ich sehr gerne an. Die Arosa Music Academy, so heisst der Meisterkurs seit einigen Jahren, unterrichte ich zusammen mit meinen wunderbaren Kollegen Timothy McAllister aus den USA und Christian Wirth aus Frankreich sowie den Pianisten Iren Seleljo (Wien) und Florian von Radowitz (Berlin). Auch die enge Zusammenarbeit mit dem Akkordeonmeisterkurs wurde zu einem Alleinstellungsmerkmal der Arosa Music Academy. Geleitet wird dieser vom Akkordeonisten Grzegorz Stopa (Wien) sowie seit einigen Jahren im Teamteaching mit Stefan Hussong (Würzburg). Wir alle sind seit Jahren sehr gut befreundet und ergänzen uns ideal durch unsere unterschiedlichen künstlerischen Schwerpunkte.

Welche Werte verkörpert die Arosa Music Academy für euch?

MF: Eine Teilnehmerin 2021 formulierte es sehr schön: «An der Arosa Music Academy trifft man StudentInnen aus verschiedenen Ländern, die sich im Gegensatz zu anderen Meisterkursen im Verlauf der Woche nicht zu KokurrentInnen entwickeln, sondern zu FreundInnen. Ein wesentlicher Teil des Geheimnisses ist das kostenlose Angebot, neben dem intensiven Solokurs auch Kammermusik zu belegen. Hierdurch wachsen wir schnell zu einer eingeschworenen Gruppe heran, deren TeilnehmerInnen sich zu Höchstleistungen anspornen. Das atemberaubend landschaftliche Umfeld der Berge in Arosa ist grandios, aber besonders die motivierende und unterstützende Ausstrahlung des fantastischen Professorenteams ist es, die die Teilnahme an der Academy zu einem unvergeslichen Erlebnis macht.» Dieser Eindruck trifft es genau.

LM: In den vergangenen Jahren konnte sich die Arosa Music Academy als ein führender Sommerkurs für klassisches Saxophon und Akkordeon international positionieren. Talente aus der ganzen Welt kommen jedes Jahr für dieses einmalige Erlebnis nach Arosa. Im familiären Rahmen wird einerseits höchst intensiv in individuellem Coachings gearbeitet, andererseits liegt ein grosser Schwerpunkt auf Kammermusik- und Ensemblespiel. Oft entstehen während der Academy jahrelange Freundschaften.

Warum braucht es das Arosa Klassik Festival für die Nachwuchsförderung?

MF: Die meisten Musikfestivals punkten mit glanzvollen Namen und etablierten KünstlerInnen. Arosa setzt bewusst auf Nachwuchskräfte, die nach sorgfältiger Auswahl solche Sprungbretter dringend brauchen, um sich in der Musikwelt zu bewähren und auszuzeichnen. Qualität ist hierbei der wichtigste Massstab. Nur, weil viele noch am Anfang einer beruflichen Perspektive stehen, muss man keine Abstriche an die Ansprüche machen. Die Ausführenden sind oft schon ganz herausragende KönnerInnen ihres Fachs.

LM: Dass sie dabei mit anderen Kammermusik auf hohem Niveau einstudieren, aufführen und dabei von sehr erfahrenen Musikern und Pädagogen begleitet werden, macht das Ganze noch attraktiver.

Das Arosa Klassik Festival bietet den jungen MusikerInnen eine wunderbare Gelegenheit, auch ausserhalb der Hochschulen Auftrittserfahrungen zu sammeln und sich mit Gleichgesinnten vernetzen zu können.

Was ist Deine Vision für die Arosa Music Academy und das Arosa Klassik Festival?

MF: Es ist wirklich erstaunlich, welch hohes Niveau (in mehrerlei Hinsicht!) in Arosa zu erleben ist, trotz, oder gerade wegen seiner Abgeschiedenheit. Hier kommt man an und bleibt. Hektik und rastloser Trubel ist anderswo. So sehr, wie man die majestätische Natur in Arosa bewundern kann, gibt es die menschengemachte Kunst als kreativen Gegenentwurf und Ergänzung zu erleben. Das ist ein sich gegenseitig stärkendes Miteinander. Ich hoffe, dass noch mehr Menschen aus Arosa und auch von auswärts, diese doppelte «Tankstelle» für Körper, Geist und Seele für sich entdecken und davon erzählen, seien sie nun Lehrnende aus aller Welt, oder Besucher, die sich von Arosa und der Kultur dort gefangen nehmen lassen.

LM: Ich wünsche mir, dass auch weiterhin viele junge Talente den Weg in das beschauliche Arosa mit seiner wunderbaren Bergwelt finden und dabei sowohl musikalische und wie auch zwischenmenschliche positive und intensive Erfahrungen machen können.

… ist Geiger und Bratschist. Schwerpunkt seiner Arbeit ist das Konzertieren im casalQuartett und dem Kammermusikkollektiv CHAARTS. Daneben ist er Pädagoge, unter anderem als Leiter der AROSA MUSIC ACADEMY und ab 2021 als Tutor für Projekte an der Musikhochschule Stuttgart.

… ist Dozent für Saxophon und Dirigent. Nach Studien in Basel, Chicago, Amsterdam und Paris wirkte er zunächst international erfolgreich als Saxophonist bevor er sich zunehmend auch als Dirigent zu empfehlen begann. Seit 2015 ist er Professor an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Er gibt weltweit Kurse an renommierten Hochschulen und wirkt als Juror bei internationalen Wettbewerben.

Musikstudium online – Notlösung oder Vision

Der pandemiebedingte Wechsel zum Online-Studium scheint für viele Studierende wenig Probleme verursacht zu haben. Aber auch für Musik-Studierende?

Michael Bühler — Von heute auf Morgen verschob sich für Dozierende und Studierende der Bildungsalltag vom gewohnten Umfeld auf damals noch sehr oft ungewohnte Videokonferenzen oder Breakout-Räume – egal ob man sich davor scheute und technisch eingerichtet war, oder nicht.

Wie Studierende im Allgemeinen mit der neuen Situation umgehen und was diese für sie bedeutet, wurde bereits in zahlreichen Studien erforscht.

Aber inwieweit haben diese Erkenntnisse auch für Musik-Studierende Gültigkeit? Der hier vorliegende Stimmungsbarometer zeigt auf, wie Musik-Studierende der Kalaidos die Pandemie erleben.

Für diejenigen, die zumindest einen Teil des Studiums bereits vor dem ersten Lockdown von zu Hause aus im Online-Unterricht absolvierten und damit auch soziale Interaktion und das private Leben bereits entsprechend eingerichtet hatten, sollte der abrupte Wechsel einfacher gefallen sein – diese Schlussfolgerung erscheint zumindest logisch. Und tatsächlich trifft sie u.a. auch für viele Studierende des Gesundheits- oder Business-Administration-Bereiches zu.

Gemäss internen Erhebungen der Careum Hochschule für Gesundheit1, wie auch des Wirtschafts- Departements der Kalaidos2, gelang der Übergang in die Fernlehre schnell und relativ reibungslos, da diese schon vor Corona auf digitale Tools wie Zoom im Unterricht setzte.

Die Befragten äusserten sich positiv über die Zeit- und Geld-Ersparnis für den entfallenden Weg zum Campus, die verbesserte Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit, die erleichterte Familienbetreuung sowie die Möglichkeit, sich dank Headset während der Präsenzveranstaltungen mehr bewegen zu können. Negativ fielen demgegenüber die fehlenden sozialen Kontakte, das fehlende Bewusstsein, dass man sich im Studium befindet, der Zugang zu Literatur und Bibliotheken, die niederschwellige oder fachliche Auseinandersetzung mit dem Lernstoff in Pausengesprächen aus.

Und wie haben Studierende mit Hauptfach Musik diese Umstellung erlebt? Musik als Gefühlskunst lebt vom unmittelbaren, zwischenmenschlichen Austausch von Gefühlen – sowohl zwischen Interpreten beim gemeinsamen Musizieren, als auch im dynamisch-emotionalen Energie-Austausch zwischen Künstlern und Publikum, was – mikrosoziologisch betrachtet – nicht zuletzt für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft von zentraler Bedeutung ist.

Die folgenden Einschätzungen basieren auf einer qualitativen mündlichen und schriftlichen Umfrage im November 2021 unter Musik-Studierenden der Kalaidos Musikhochschule. Die Umfrage-Ergebnisse sind als Stimmungsbarometer zu verstehen und erheben keinen Anspruch auf Repräsentativität.

Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass eine Mehrheit der Befragten überwiegend gute Erfahrungen mit dem angebotenen Online-Unterricht gemacht hat. Hier scheint sich der Umstand, dass dieser schon vor der Pandemie fester Bestandteil der Lehrtätigkeit war, positiv auf die Bewertung auszuwirken, da insbesondere die Dozierenden im Umgang mit den technischen Mitteln, als auch mit den pädagogischen Herausforderungen des Online-Unterrichts (z.B. anstrengende Bildschirmzeit, Ablenkung im häuslichen Umfeld, oder verkürzte Konzentrations-Spanne) vertraut waren.

Während Studierende in den Bereichen Wirtschaft oder Gesundheit mehrheitlich angaben, das Studium effizienter, also zeit- und kostengünstiger gestalten zu können, da z.B. der Weg in die Uni entfällt, standen bei einer Mehrheit der befragten Musik-Studierenden weniger ökonomische, sondern vielmehr qualitative Überlegungen im Vordergrund.

So wurde u.a. die Möglichkeit, das Studium auf diese Weise besser in den Berufs- oder Familien-Alltag zu integrieren, oder aber auch der eigenen Aufnahme- oder Konzentrationsfähigkeit individuell Rechnung zu tragen, von einer Mehrheit der Befragten positiv verzeichnet.

Wie festgestellt, fiel es jenen Studierenden in den Bereichen Gesundheit oder Wirtschaft leichter, mit der sozialen Isolation umzugehen, welche bereits vor der Pandemie im Online-Unterricht «geübt» waren. Demgegenüber scheint der gesellschaftliche oder soziale Kontakt für Musik-Studierende viel schwieriger durch Online-Angebote substituierbar zu sein. Nicht selten werden in unterschiedlichen Antworten Schwierigkeiten in Ermangelung des sozialen oder gesellschaftlichen Austausches mit Kommilitonen zum Ausdruck gebracht. Die Folgen werden mit fehlender Motivation und Kraft, zu Hause wie üblich 6 bis 8 Stunden zu üben, bis hin zu Frust und Einsamkeit angegeben.

In Bezug auf die technischen Herausforderungen werden für Musik-Studierende typische, qualitative Schwierigkeiten zum Ausdruck gebracht, sodass die Übertragungs-qualität der Musik als mangelhaft empfunden wird, um an interpre-tatorischen Aspekten oder an der Klangfarbe zu arbeiten. Im digitalen Zusammenspiel verunsichert die Zeitverzögerung – auch wenn diese heute nur noch wenige Zehntelsekunden beträgt – nach wie vor eine Mehrheit der Befragten.

Hält man sich diese technischen Schwierigkeiten als auch der fehlende Energie-Austausch zwischen Interpreten und Publikum vor Augen, überrascht es nicht, dass sich die Vorspiel-Tätigkeit quasi zu reinen Übungszwecken auf den engsten Familien- oder Freundes-Kreis reduzierte, oder aber gänzlich zum Erliegen gekommen ist. Und hier macht sich bei einigen ein anderes Problem sichtbar: die fehlende Anerkennung durch das Publikum.

Für einen nächsten Lockdown – den es hoffentlich nie geben wird – wünschen sich die Befragten wenig überraschend mehr Kontakt zu anderen Studierenden z.B. in Online-Seminaren, begleitete Lerngruppen oder interdisziplinäre Arbeitsgruppen.

Die Vorstellungen eines dauerhaften, optimalen Musik-Hybrid-Studium divergieren in dieser Umfrage stark. Gemäss einer leichten Tendenz scheint es aber nach Ansicht der Befragten nicht gänzlich ausgeschlossen, dass sich der Theorie-Unterricht bis 100% und die Hauptfach-Lektionen bis zu 40% im Post-Corona-Zeitalter in die digitale Welt verschieben.

Hoffen wir also, dass Universitäten und Fachhochschulen sich dieser Herausforderung bewusst annehmen und sich die positiven Effekte dieser Herausforderung nachhaltig zunutze machen.

Noten

1. Conrad, C., Frech, M., Käppeli, A. (2021). Digitales Lehren und Lernen im Studium.

2. Willi Kägi, I. (2020). Livestream-Unterricht aus Studierendensicht.

Eine App schult unser Ohr

Mit der Gehörbildungs-App von Daniel Schenker lassen sich das aktive und das passive Hören trainieren. Sie ist vor allem auf Jazz, Pop und improvisierte Musik ausgerichtet, aber längst nicht nur.

Erinnern wir uns an unseren ersten Kontakt mit der Gehörbildung als schulische Disziplin, so denken wir meist an erste Kurse an der Musikhochschule zurück, in denen einzelne absolut, die meisten jedoch noch absolut nichts hörten. Dieser Streuung an Begabungen gerecht zu werden, war im frontal angebotenen Unterricht die grösste Herausforderung für Dozierende. In der an der Zürcher Hochschule der Künste unter der Leitung des Jazztrompeters und IT-Spezialisten Daniel Schenker entwickelten Gehörschulungs-Applikation ET-Ear Trainer nehmen die Benutzenden die individuellen Anpassungen an den jeweiligen Lernstand in den übersichtlichen Grundeinstellungen gleich selber vor. Wird das Kästchen «Easy» aktiviert, so werden etliche Parameter wie Abspieltempo, Referenztonangabe oder Antwortzeit der Aufgaben zu Gunsten der Lernenden verändert.

Zu Beginn der Übesequenz kann eines von 21 Themenfeldern ausgewählt werden. Von der diatonischen Imitation über das Erkennen von Vierklängen über einem Basston inklusive Tensions bis zum Antippen der richtigen Skala bieten die einzelnen Menüs reichlich Stoff und Herausforderung. Genaues Zuhören, Erkennen, Imitieren, Analysieren und Memorieren werden gleichermassen geschult und strukturiert gefördert. Der inhaltliche Umfang der App und die vorausgesetzten Termini machen deutlich, dass nicht einfach im Spielen drauflos trainiert werden kann, sondern dass das Grundwissen vorgängig oder parallel zu erwerben ist. Lediglich das nicht allgemein bekannte «Resolution Game» zur Intervallbestimmung wird mit Notenbeispielen erläutert. Zielpublikum sind in erster Linie Musikstudierende an Fachhochschulen. Für jüngere Schüler oder Amateure sollte das Programm zum Beispiel noch um Tetrachorde oder Fünftonräume ergänzt werden. Auch fehlen harmonische Verbindungen (Kadenzen) mit entsprechenden Stimmführungen oder polyfones Hören noch gänzlich.

Da die App in der vorliegenden Version 1.02 (auf dem iPhone S) nur im Hochformat bedient werden kann, schleichen sich beim Antippen der abgebildeten Tasten immer wieder Fehler ein. Auch lässt das relativ träge reagierende Bildschirm-Keyboard die rhythmisch korrekte Wiedergabe im Memory-Spiel nicht zu. Die zehn interaktiven Übungen, welche über das Mikrofon gesteuert werden, machen daher ungleich mehr Spass. Dieses blinkt zwar etwas zögerlich auf, reagiert jedoch sehr subtil auf das Gespielte, und sowohl Stimme als auch Blas- oder Streichinstrumente und Klavier lösen die korrigierende Reaktion des Geräts bis hin zur Oktavbestimmung zuverlässig aus. Achtung: Im Prüfungsmodus können die drei Sekunden zwischen Frage und Antwortmöglichkeit schummelnd zum raschen Herantasten an die Lösung missbraucht werden, bevor diese bewertet wird. Im anspruchsvollen Modus werden die Skalen sehr rasch abgespielt, wobei die Tonlängen leider nicht dem Tempo angepasst werden. So verschwimmen zwei drei Töne zu einem Cluster, was das Hören zusätzlich erschwert.

Das Design der App kommt sehr schlicht und zielführend übersichtlich daher. Es ist kein Spiel, sondern eine Lernapplikation! Dass schon nach kurzer Zeit etliche Verbesserungen wie die Erklärungstour (inklusive Links zu Youtube-Clips in Deutsch oder Englisch) oder der Replay-Button aufgenommen werden konnten, lässt hoffen, dass die App eine immer breitere Community ansprechen wird. Nicht nur improvisierenden Musikern sei sie wärmstens empfohlen, auch Interpretinnen und Komponierende können durch den Ear Trainer mehr Präzision in Vorstellung und Gedächtnis erlangen.

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ET – Ear Trainer, Professionelle Hörtrainings-App
von Daniel und Elia Schenker,
Apple App Store / Google Play, Fr. 6.00,

https://eliaschenker.com/ET_App/

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