Nach Gedichten von Meinrad Lienert

Die Sopranistin Sybille Diethelm und die Pianistin Fabienne Romer stellen viele vergessene Lieder von (fast) vergessenen Schweizer Komponisten vor.

Sybille Diethelm und Fabienne Romer. Foto: zVg,Friedrich Niggli,Friedrich Niggli,Gottfried Bohnenblust,Hans Jelmoli

Während sie im Konzertsaal immer noch selten erklingen, sind Kunstlieder in Schweizerdeutscher Mundart jetzt vermehrt auf CDs anzutreffen. Mit Kostproben u.a. von Volkmar Andreae, Walter Lang, Irma Levaillant, Friedrich Niggli, Heinrich Pestalozzi und Werner Wehrli vollbrachte der Aarauer Pianist Werner Schmid 2010 mit den Sängerinnen Christina Lang und Margrita Sarbach unter dem Motto Und ’s Meiteli singt (Selbstverlag, Aarau) eine anregende Pioniertat.

Mit der Lienert-Vertonung Plange von Friedrich Niggli, deren Ersteinspielung Regula Mühlemann auf ihrer Produktion Lieder der Heimat 2019 vorgelegt hatte, eröffnen nun die Sopranistin Sybille Diethelm und die Pianistin Fabienne Romer eine CD, die ausschliesslich Gedichten des Schwyzer Schriftstellers gewidmet ist. Die beiden Interpretinnen, die sich mit besonderem Eifer für vergessene Kunstlieder schweizerischer Komponisten einsetzen, bieten unter den 30 Stücken zahlreiche Entdeckungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an.

Dem CD-Titel Plangliedli, Lanzigliedli, Herbstliedli, Heiwehliedli werden sie mit einer Auswahl gerecht, die allein schon ihres musikalischen Gehalts wegen aufhorchen lässt. Die Darstellungen zeugen überall von Begeisterung, einzig bei der Textverständlichkeit bleiben Wünsche offen. Die Pianistin unterstützt die Sängerin in allen Ausdrucksnuancen, ob es sich um humorvolle Wendungen oder melancholische Empfindungen handelt, mit feinstem Fingerspitzengefühl für Meinrad Lienerts bilderreiche Poesie. Volkstümliches Kolorit schimmert erstaunlich selten durch. Als originellste Kompositionen fallen das harmonisch kühne Herbstliedli und das chansonartige Bijou I wett i wär … von Volkmar Andreae auf; mit vielen Chromatismen und Ostinati überrascht ´s häluf Maitli von Walter Schulthess.

Unter den vielen Ersteinspielungen sind solche von Gottfried Bohnenblust, Gustav Haug, Hans Jelmoli, Ferdinand Oscar Leu, Felix Pfirstinger und Heiner Vollenwyder zu nennen. David Schwarb steuerte einen profunden Einführungstext bei. Alle Gedichte sind im Booklet im Original und mit hochdeutschen Übertragungen enthalten.
 

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Plange
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Spinnerliedli
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Überänne
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Musikstudium online – Notlösung oder Vision

Der pandemiebedingte Wechsel zum Online-Studium scheint für viele Studierende wenig Probleme verursacht zu haben. Aber auch für Musik-Studierende?

Michael Bühler — Von heute auf Morgen verschob sich für Dozierende und Studierende der Bildungsalltag vom gewohnten Umfeld auf damals noch sehr oft ungewohnte Videokonferenzen oder Breakout-Räume – egal ob man sich davor scheute und technisch eingerichtet war, oder nicht.

Wie Studierende im Allgemeinen mit der neuen Situation umgehen und was diese für sie bedeutet, wurde bereits in zahlreichen Studien erforscht.

Aber inwieweit haben diese Erkenntnisse auch für Musik-Studierende Gültigkeit? Der hier vorliegende Stimmungsbarometer zeigt auf, wie Musik-Studierende der Kalaidos die Pandemie erleben.

Für diejenigen, die zumindest einen Teil des Studiums bereits vor dem ersten Lockdown von zu Hause aus im Online-Unterricht absolvierten und damit auch soziale Interaktion und das private Leben bereits entsprechend eingerichtet hatten, sollte der abrupte Wechsel einfacher gefallen sein – diese Schlussfolgerung erscheint zumindest logisch. Und tatsächlich trifft sie u.a. auch für viele Studierende des Gesundheits- oder Business-Administration-Bereiches zu.

Gemäss internen Erhebungen der Careum Hochschule für Gesundheit1, wie auch des Wirtschafts- Departements der Kalaidos2, gelang der Übergang in die Fernlehre schnell und relativ reibungslos, da diese schon vor Corona auf digitale Tools wie Zoom im Unterricht setzte.

Die Befragten äusserten sich positiv über die Zeit- und Geld-Ersparnis für den entfallenden Weg zum Campus, die verbesserte Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit, die erleichterte Familienbetreuung sowie die Möglichkeit, sich dank Headset während der Präsenzveranstaltungen mehr bewegen zu können. Negativ fielen demgegenüber die fehlenden sozialen Kontakte, das fehlende Bewusstsein, dass man sich im Studium befindet, der Zugang zu Literatur und Bibliotheken, die niederschwellige oder fachliche Auseinandersetzung mit dem Lernstoff in Pausengesprächen aus.

Und wie haben Studierende mit Hauptfach Musik diese Umstellung erlebt? Musik als Gefühlskunst lebt vom unmittelbaren, zwischenmenschlichen Austausch von Gefühlen – sowohl zwischen Interpreten beim gemeinsamen Musizieren, als auch im dynamisch-emotionalen Energie-Austausch zwischen Künstlern und Publikum, was – mikrosoziologisch betrachtet – nicht zuletzt für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft von zentraler Bedeutung ist.

Die folgenden Einschätzungen basieren auf einer qualitativen mündlichen und schriftlichen Umfrage im November 2021 unter Musik-Studierenden der Kalaidos Musikhochschule. Die Umfrage-Ergebnisse sind als Stimmungsbarometer zu verstehen und erheben keinen Anspruch auf Repräsentativität.

Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass eine Mehrheit der Befragten überwiegend gute Erfahrungen mit dem angebotenen Online-Unterricht gemacht hat. Hier scheint sich der Umstand, dass dieser schon vor der Pandemie fester Bestandteil der Lehrtätigkeit war, positiv auf die Bewertung auszuwirken, da insbesondere die Dozierenden im Umgang mit den technischen Mitteln, als auch mit den pädagogischen Herausforderungen des Online-Unterrichts (z.B. anstrengende Bildschirmzeit, Ablenkung im häuslichen Umfeld, oder verkürzte Konzentrations-Spanne) vertraut waren.

Während Studierende in den Bereichen Wirtschaft oder Gesundheit mehrheitlich angaben, das Studium effizienter, also zeit- und kostengünstiger gestalten zu können, da z.B. der Weg in die Uni entfällt, standen bei einer Mehrheit der befragten Musik-Studierenden weniger ökonomische, sondern vielmehr qualitative Überlegungen im Vordergrund.

So wurde u.a. die Möglichkeit, das Studium auf diese Weise besser in den Berufs- oder Familien-Alltag zu integrieren, oder aber auch der eigenen Aufnahme- oder Konzentrationsfähigkeit individuell Rechnung zu tragen, von einer Mehrheit der Befragten positiv verzeichnet.

Wie festgestellt, fiel es jenen Studierenden in den Bereichen Gesundheit oder Wirtschaft leichter, mit der sozialen Isolation umzugehen, welche bereits vor der Pandemie im Online-Unterricht «geübt» waren. Demgegenüber scheint der gesellschaftliche oder soziale Kontakt für Musik-Studierende viel schwieriger durch Online-Angebote substituierbar zu sein. Nicht selten werden in unterschiedlichen Antworten Schwierigkeiten in Ermangelung des sozialen oder gesellschaftlichen Austausches mit Kommilitonen zum Ausdruck gebracht. Die Folgen werden mit fehlender Motivation und Kraft, zu Hause wie üblich 6 bis 8 Stunden zu üben, bis hin zu Frust und Einsamkeit angegeben.

In Bezug auf die technischen Herausforderungen werden für Musik-Studierende typische, qualitative Schwierigkeiten zum Ausdruck gebracht, sodass die Übertragungs-qualität der Musik als mangelhaft empfunden wird, um an interpre-tatorischen Aspekten oder an der Klangfarbe zu arbeiten. Im digitalen Zusammenspiel verunsichert die Zeitverzögerung – auch wenn diese heute nur noch wenige Zehntelsekunden beträgt – nach wie vor eine Mehrheit der Befragten.

Hält man sich diese technischen Schwierigkeiten als auch der fehlende Energie-Austausch zwischen Interpreten und Publikum vor Augen, überrascht es nicht, dass sich die Vorspiel-Tätigkeit quasi zu reinen Übungszwecken auf den engsten Familien- oder Freundes-Kreis reduzierte, oder aber gänzlich zum Erliegen gekommen ist. Und hier macht sich bei einigen ein anderes Problem sichtbar: die fehlende Anerkennung durch das Publikum.

Für einen nächsten Lockdown – den es hoffentlich nie geben wird – wünschen sich die Befragten wenig überraschend mehr Kontakt zu anderen Studierenden z.B. in Online-Seminaren, begleitete Lerngruppen oder interdisziplinäre Arbeitsgruppen.

Die Vorstellungen eines dauerhaften, optimalen Musik-Hybrid-Studium divergieren in dieser Umfrage stark. Gemäss einer leichten Tendenz scheint es aber nach Ansicht der Befragten nicht gänzlich ausgeschlossen, dass sich der Theorie-Unterricht bis 100% und die Hauptfach-Lektionen bis zu 40% im Post-Corona-Zeitalter in die digitale Welt verschieben.

Hoffen wir also, dass Universitäten und Fachhochschulen sich dieser Herausforderung bewusst annehmen und sich die positiven Effekte dieser Herausforderung nachhaltig zunutze machen.

Noten

1. Conrad, C., Frech, M., Käppeli, A. (2021). Digitales Lehren und Lernen im Studium.

2. Willi Kägi, I. (2020). Livestream-Unterricht aus Studierendensicht.

Originell besetzte Weihnachtskantate

Das Werk des Aargauer Frühromantikers Friedrich Theodor Fröhlich überrascht mit sich stark ändernder Besetzung und einer eher dramatischen Anlage.

Brugg um 1810, Aquatinta von Johann Wilhelm Heim (Nachweis s. unten)

Friedrich Theodor Fröhlich (1803–1836) stammt aus dem aargauischen Brugg und gilt heute als bedeutendster Schweizer Komponist der Frühromantik. Seit nunmehr fünf Jahren kümmert sich die Internationale Fröhlich-Gesellschaft in Brugg um die Aufführung und Bekanntmachung seiner Musik. Die Initiantin Barbara Vigfusson organisiert jährlich einen Fröhlich-Tag mit namhaften Interpretinnen und Interpreten, ihr Mann Johannes Vigfusson widmet sich mit grosser Sorgfalt der Edition von dessen Werken.

Nun ist vor rund einem Jahr im Amadeus-Verlag der von Vigfusson betreute Erstdruck von Fröhlichs Weihnacht-Cantate für Soli, Chor und Klavier erschienen. Eigentlich hätte diese Kantate im Oktober 2020 am Fröhlich-Tag auch aufgeführt werden sollen, doch Corona hat dies verunmöglicht.

Die Weihnacht-Cantate ist Fröhlichs Passions-Cantate (Éditions Cantate Domino, Neuchâtel, CD 1193), die 2019 am Fröhlich-Tag gesungen wurde, sehr ähnlich. Formal haben beide eine originelle, variable Besetzung mit verschiedenen Chören und Soli, beide werden von einem Klavier begleitet und bei beiden stammt der Text von Fröhlichs Bruder, dem reformierten Theologen und Dichter Abraham Emanuel Fröhlich. Auch entstanden beide oratorischen Werke kurz nach Fröhlichs Rückkehr aus Berlin, wo er an Zelters Singinstitut studiert hatte, in die Schweiz.

So entstand die Weihnacht-Cantate im November 1830, und zwar «ohne Kompromisse bezüglich der musikalischen Ansprüche», wie Vigfusson in seinem Editionsbericht schreibt. «Sie erweckt den Eindruck einer Demonstration der verschiedenen Möglichkeiten der Chorkunst, worin der Komponist dem Schweizer Publikum auch seine Beherrschung des Kontrapunkts unter Beweis stellt.»

Jeder der acht Teile hat eine andere Besetzung: Das geht vom einfachen Klavierlied über ein Soloquartett, vom Frauen- und Männerchor bis zum achtstimmigen gemischten Chor a cappella. Liedhaft begonnene Abschnitte münden immer wieder in fugierte Steigerungen mit Schlussfuge. Eher überraschend für eine Weihnachtskantate ist die eher dramatische Anlage der Musik, die sich am eindrücklichsten in den solistischen Teilen mit Klavierbegleitung zeigt. Sie wird durch liebliche Kantilenen kontrastiert. Eine abwechslungsreiche und erfrischend vitale Weihnachtsmusik.

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Friedrich Theodor Fröhlich: Weihnacht-Cantate für Soli, Chor und Klavier, Erstdruck der Partitur, hg. von Johannes Vigfusson, BP 2861, € 36.00, Amadeus, Winterthur

 

Der Ohr-an-Ohr-Konflikt

Der Musiker und Konfliktberater Hans-Peter Achberger erhellt das soziale Innenleben klassischer Orchester.

SMM — Nach wie vor ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Orchester offenherzig Auskunft geben über die weniger idyllischen Seiten ihres sozialen und psychologischen Innenlebens. Nur allzu gerne vermitteln sie nach aussen lieber ein schönes Bild gemeinsamen Musizierens in Minne. Gesundheitliche und soziale Irritationen werden in der Regel tabuisiert.

Diesen Vorhang lüftet Hans-Peter Achberger mit einer Arbeit zu Streit- und Konfliktmustern in Kunstkollektiven, die sich bis in die kreativen Schaffensprozesse zurückverfolgen lassen. Achberger ist als Schlagzeuger Mitglied der Philharmonia Zürich, des Orchesters des Zürcher Opernhauses. Das Buch, das er vorlegt, ist eine leicht überarbeitete Version einer Masterarbeit. Er hat sie ursprünglich im Rahmen eines Studiengangs Mediation und Konfliktmanagement der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) verfasst.

Basierend auf zahlreichen Interviews mit seinen Mitmusikerinnen und Mitmusikern der Phiharmonia entwickelt er ein interessantes Modell von Störungsmustern der kreativen und psychologischen Interaktionen im Kollektiv. Den Reibungsflächen legt es übermässige Fokussierungen auf bestimmte Aspekte zugrunde und teilt diese in vier Hauptgruppen: Da spielen erstens Fixierungen auf Einflüsse von aussen eine Rolle. Dies können administrative Prozesse, das Publikum, akustische Gegebenheiten eines Raumes oder die Ensemblegrössen sein. Der zweiten Bereich, den Achberger beleuchtet, ist die Fokussierung von Mitgliedern des Orchesters auf sich selbst. Dazu gehört etwa die Angst vor dem Imageverlust, gerade auch, wenn man einsehen muss, dass die Qualität des eigenen Spiels nicht zuletzt vom Spiel der andern abhängt.

Den dritten Kreis bilden in dem Modell übermässige Aufmerksamkeiten auf die Interaktionen, das heisst auf das Wir. Dazu gehören etwa Auseinandersetzungen um Fragen der Intonation oder der Wahl von Ins-trumenten und Entscheiden über Klang und Interpretation. Der vierte schliesslich beleuchtet die übermässigen Fokussierungen auf das Gegenüber, auf das Du. Sie umfassen unter anderem Erwartungen an die künstlerische Qualität des Andern oder an mögliche Konkurrenz-Konstellationen, etwa wenn es um Fragen der Nachfolge für Stimmführer-Positionen geht.

Das Verdikt ist eindeutig: «Der klassische Orchestermusikerberuf», schliesst der Autor, «generiert eine schillernde Vielzahl berufstypischer sozialer Störungen, die das Zusammenleben und -arbeiten der Gemeinschaft Orchester erschweren und persönliches Leid hervorbringen können.» (Seite 132)

Achberger fragt sich auch, wie man alle diese oftmals subkutanen oder zur Seite geschobenen Konflikte besser aufarbeiten oder regeln könnte. Das Rezept ist im Grunde genommen naheliegend, wenn auch schwieriger zu befolgen, als vermutet. Es bedürfe, so der Autor «einer Kultur des Austausches, der gemeinsamen Rede über all jene störenden Prozesse» (Seite 131). Dazu bedarf es institutionalisierte Räume, in denen «die Sinnhaftigkeit von Konflikten diskutiert und persönliche Störungen mitgeteilt werden können» (a.a.O.). Sinfonieorchester seien aufgrund ihrer Grösse allerdings nicht mehr in der Lage, ohne eine kompetente Vermittlung sach- und zielgerecht zu agieren.

Literaturangabe:

Hans-Peter Achberger: Der Ohr-an-Ohr-Konflikt. Störungsmuster in der musikalischen Interaktion. Band 19 der Viadrina-Schriftenreihe zu Mediation und Konfliktmanagement. Wolfgang Metzner Verlag, Frankfurt am Main, 2020.

Solosonate des jungen Schneeberger

Meilensteine der Sololiteratur für Geige und eine Neuentdeckung bietet der junge Dmitry Smirnov, indem er sich Schneebergers Spielmaximen zu Herzen nimmt.

Dmitry Smirnov. Foto: Daniil Rabovsky,Hansheinz Schneeberger

Diese CD erzählt von einer einzigartigen Begegnung zweier Geiger: von Dmitry Smirnov einerseits, der 1994 in Sankt Petersburg zur Welt kam und unlängst am ARD-Wettbewerb in München zweiter Preisträger wurde, vom eminenten Schweizer Meistergeiger Hansheinz Schneeberger (1926–2019) andererseits, der sein Leben lang komponierte, wovon nur wenige Freunde wussten. Kurz vor Schneebergers Tod studierte Smirnov Solosonaten von Béla Bartók und Sándor Veress mit ihm ein; er half später auch, den kompositorischen Nachlass Schneebergers zu sichten. Ein einzigartiger Fund war die Sonate für Solo-Violine des zur Zeit der Niederschrift 16-jährigen Geiger-Komponisten, zu dessen Mentoren Walter Kägi (ihm ist die Sonate auch gewidmet, s. unten) und Willy Burkhard zählten. In unbändiger Spiellust und rastloser Bewegung kostet das viertelstündige Werk zahllose geigerische Raffinessen aus. Smirnov interpretiert es in dieser Ersteinspielung kongenial, in nachschöpferischem Geiste – er hat Schneebergers Musizieren, vor allem seine Kunst der Bogenführung, in kürzester Zeit verinnerlicht.

Dazu enthält diese CD zwei Meilensteine der Solo-Violinliteratur, die Dmitry Smirnov unerschrocken anpackt. Der kühne Zuschnitt der späten Sonate von Béla Bartók (Sz 117) liegt dem jungen Interpreten sehr. Gewiss gelingen ihm die koboldhaften, grotesken Elemente und die halsbrecherischen Sprünge dieser Komposition besser als die lyrischen Stellen. Seine Ausdeutungen der Mikrotonalität und der Zeitmasse, die Bartók nicht schlüssig definiert hat, klingen hingegen glaubwürdig. In Johann Sebastian Bachs 2. Partita in d-Moll (BWV 1004) überwiegt in Smirnovs Spiel der tänzerische Duktus, was Hansheinz Schneeberger bekanntlich ein Herzensanliegen war. Die Entscheidung, die einzelnen Sätze quasi attacca zu spielen, und die sehr frischen Tempi der Courante und der Chaconne mögen wohl nicht allen Zuhörenden behagen; sie nehmen Smirnovs Interpretation aber nicht ihre grosse Überzeugungskraft.
 

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Sonate für Solo-Violine, 1. Satz (Ausschnitt)
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Sonate für Solo-Violine, 2. Satz (Ausschnitt)
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Sonate für Solo-Violine, 3. Satz (Ausschnitt 1)
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Helen Gebhart — Im Digital and Cognitive Musicology Lab der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) werden mathematische Modelle benutzt, um musikalische Phänomene zu erklären. Wie lassen sich Mathematik und Musikforschung verbinden? Daniel Harasim, Postdoctoral Researcher in Lausanne, hat Mathematik studiert und konnte schon in seiner Dissertation die Mathematik mit seiner persönlichen Vorliebe für den Jazz verknüpfen. In seiner Arbeit mit dem Titel The Learnability of the Grammar of Jazz: Bayesian Inference of Hierarchical Structures in Harmony erstellte er eine Computersimulation, die den Prozess des Erlernens von Jazzmusik veranschaulicht. Ausschlaggebend sind für seine Forschung die Fragen: Wie kann man musikwissenschaftliche Hypothesen, musikanalytische Theorien und musikkognitive Phänomene durch mathematische Modelle erforschen? Im Folgenden spricht er über die Chancen und Herausforderungen der Digital Musicology.

Daniel Harasim, was ist die Digital Musicology?

Da die Digital Musicology sehr neu ist, ist das schwierig zu definieren. Es können aber vier Teilbereiche klar aufgezählt werden.

Ein erster Bereich umfasst die Digitalisierung von Originalen in Archiven, aber auch Projekte wie die Music Encoding Initiative mit der Music Encoding Conference. Ein weiterer eher praktisch ausgerichteter Bereich befasst sich mit Fragen zur künstlichen Intelligenz und deren Anwendung beim automatisierten Analysieren, Komponieren und der Interaktion von Musikmaschinen und Menschen.

Ein drittes Feld der Digital Musicology ist die interkulturelle Forschung. Da erhofft man sich, dass durch die Objektivität der Daten, objektivere Vergleiche gezogen werden können. Jedoch kann datenbasierte Forschung auch problematisch sein, denn nur weil Daten verwendet werden, ist es nicht automatisch objektiv. Es kommt auf die Interpretation der Daten an und insbesondere auch darauf, welche Daten überhaupt betrachtet werden. Durch die digi-talen Daten besteht aber grosses Potential. Um dieses auszuschöpfen, müssen neue Modelle entwickelt werden, so dass mit ethnomusikalischen Daten zeitgemäss umgegangen werden kann.

Als vierter grosser Teil ist die Digitalisierung musikalischer Analysen zu nennen. Wenn man als Beispiel alle Beethoven Streichquartette digitalisiert hat und die Harmonik und Modulationsstruktur analysieren will, muss man dies so in einer digitalen Form beschreiben, dass es ein Computer einfach lesen kann. Das ist dann die Schnittstelle zur Computermodellierung und auch zu tiefer-liegenden Fragen, wie Musik funk-tioniert. Das Vorhandensein der digitalen Daten ist somit eine Voraussetzung für die Erstellung von Computermodellen.

Für die Computermodellierung gibt es verschiedene Motivationen. Im Digital and Cognitive Musicology Lab, welches von Martin Rohrmeier geleitet wird, geht es uns bei Computermodellierung um die Repräsentation von kognitiven Vorgängen und dies auch in engen Kontakt zur Psychologie. Wir leiten Thesen aus der Musiktheorie ab und versuchen diese in ein klares mathematisches Modell zu fassen und dieses dann wiederum in psychologischen Experimenten zu überprüfen.

Wie funktionieren diese mathematischen Modelle?

Eine ganze Klasse von Modellen, die ich gerne benutze, sind so genannte generative Modelle. Diese Modelle erzeugen etwas. Man kann sich vorstellen, dass ein Komponist Daten «komponiert» hat. Diese Daten können nun analysiert werden, in dem der Generationsprozess im Computermodell nachgestellt wird. Die Analyse geschieht durch diesen Versuch der Nacherzeugung. Ein Musikstück so nachzubauen ist schwierig, aber wenn es funktioniert, kann man durch diesen generativen Prozess Einsichten in die Prinzipien gewinnen, die der Musik zugrundeliegen.

In unserer Studie Exploring the Foundations of Tonality: Statistical Cognitive Modeling of Modes in the History of Western Classical Music (2021) haben wir einen generativen Algorithmus benutzt und versucht die Tonalitäten von verschiedenen Jahrhunderten zu erzeugen. Die Daten dafür bestehen aus über 13 000 Musikstücken in Form von MIDI Files bei denen nur die vorkommenden Töne (bzw. Pitch Classes) gezählt wurden. Alle anderen Aspekte der Musik wurden ausgeklammert, sogar die zeitliche Abfolge der Töne. Dieser Beobachtungsgegenstand reichte aus, um durch das Computermodell ein Konzept von Dur und Moll herauszubekommen. Der Computer wusste vorher gar nichts über Dur und Moll, sondern fand das basierend auf den Daten heraus. Im Gegensatz zur traditionellen Musikwissenschaft, wo eher ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt wird, wird hier mit einem einfachen Modell nur ein einzelner Aspekt betrachtet, dafür aber 1000 Komponisten im Vergleich analysiert. So lassen sich musikwissenschaftliche Fragen quantitativ untersuchen. Man muss aber sehr vorsichtig sein, dass man keine falschen Annahmen trifft. Den musikwissenschaftlichen Ansatz und den musikhistorischen Kontext zu kennen ist essenziell, um zu sehen, ob ein Modell überhaupt sinnvoll interpretiert werden kann.

Die Daten für diese Studie stammen von Classical Archives, einem Portal, wo jede Person Musikstücke eingeben kann. Ergibt sich durch diesen benutzer-generier-ten Datensatz nicht ein verzerrtes Bild von Musikge-schichte, das eher den heutigen musikalischen Kanon reflektiert?

Das ist eine schwierige Frage, die noch keine definitive Antwort hat. Es hängt davon ab, welche Frage man an den Datensatz stellt. Wir wollten in unserer Studie die Einfachheit der Methode zeigen, zu zählen wie viele Töne vorkommen, damit das Computermodell lernen kann, welche Modi es gibt. Die Zusammenstellung des Datensatzes ist in der Tat eine Schwachstelle und es gibt auch Fehler in diesem Datensatz. Aber da wir 13 000 Stücke darin haben, fällt das statistisch dann nicht mehr ins Gewicht. Wir arbeiten auch mit sehr kontrollierten und qualitativ hochwertige Datensätzen, wie dem Annotated Beethoven Corpus (ABC), der harmonische Analysen von sämtlichen Beethoven Streichquartetten enthält. Meine Kollegen veröffentlichten vor kurzem einen Korpus zu Mozarts Klaviersonaten. Diese kleineren Datensätze lassen sich ebenfalls mit den Grösseren mischen, um ein umfassendes Bild von Musik zu bekommen.

Konkurrenzverbote für Musiklehrpersonen

Aus der Rechtsberatungspraxis des Schweizerischen Musikpädagogischen Verbandes SMPV: Dr. iur. Yvette Kovacs, Rechtsberaterin des SMPV und Rechtsanwältin in Zürich, antwortet auf Fragen von SMPV-Mitgliedern.

Frage eines SMPV-Mitgliedes: Meine Musikschule bietet neuerdings Erwachsenenunterricht an. Sie hat allen Lehrpersonen die Kündigung geschickt und darum gebeten, einen neuen Vertrag zu unterschreiben, in dem der Lehrperson der Privatmusikunterricht im Einzugsgebiet der Musikschule nicht mehr gestattet sei. Ausnahmsweise werde dieses Konkurrenzverbot aufgehoben, sofern die Musiklehrperson die betreffenden Studenten der Musikschule meldet und dafür die Genehmigung einholt.

Frage eines anderen SMPV-Mitgliedes: Eine Musiklehrperson kündigte an einer Musikschule und bekam darauf vom Schulleiter einen Brief, worin stand, dass ihre Schüler an der Musikschule zu verbleiben hätten. Dies habe die Musiklehrperson unterschriftlich zu bestätigen und den Brief so an den Schulleiter zurück zu senden.

Das Konkurrenzverbot während laufendem Arbeitsverhältnis

Grundlagen: Während laufendem Arbeitsverhältnis unterliegt der Arbeitnehmer der Sorgfalts- und Treuepflicht in Anwendung von Art. 321 a OR (Schweizerisches Obligationenrecht). Insbesondere wird dort festgehalten, dass während der Dauer des Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmer keine Arbeit gegen Entgelt für einen Dritten leisten darf, soweit er dadurch seine Treuepflicht verletzt, insbesondere den Arbeitgeber konkurrenziert. Eine Konkurrenzierung liegt vor, wenn gleichwertige Leistungen angeboten werden, welche dasselbe Kundenbedürfnis befriedigen und einen mindestens teilweise überschneidenden Kundenkreis betreffen. Dies gilt vollumfänglich für Vollzeitbeschäftigte. Teilzeitmitarbeitende sind oftmals finanziell darauf angewiesen, einer weiteren Tätigkeit nachgehen zu können. Mit der Vereinbarung eines Teilzeitpensums gehen daher Arbeitgeber und -nehmer stillschweigend davon aus, dass der Arbeitnehmer zusätzlichen Nebentätigkeiten, insbesondere auch im angestammten Tätigkeitsbereich nachgehen wird und auf das Verbot einer Konkurrenzierung verzichtet wird. Diese Vermutung einer stillschweigenden Genehmigung durch den Arbeitgeber gilt jedoch nur dann, wenn keine Interessenkonflikte der verschiedenen Teilzeitarbeiten entstehen und dadurch die arbeitsrechtliche Treuepflicht gewahrt bleibt. Zudem können die Parteien ausdrücklich vereinbaren, dass eine konkurrenzierende Nebentätigkeit verboten sein soll. Anstelle eines vollständigen Verbotes von anderen Teilzeitarbeiten sind in der Praxis Regelungen, wonach konkurrenzierende andere Teilzeitstellen nur mit dem vorgängigen schriftlichen Einverständnis des Arbeitgebers ausgeübt werden dürfen, häufig.

Beantwortung der ersten Frage

Grundsätzlich ist es rechtmässig, wenn ein Arbeitgeber Verträge nur unter der Bedingung abschliesst, dass Lehrpersonen keine konkurrenzierenden Tätigkeiten ausüben, sei es privat oder bei anderen Musikschulen. Es ist den Musikschulen auch unbenommen, eine sogenannte Änderungskündigung auszusprechen, indem formell und terminlich richtig gekündigt wird und darum gebeten wird, einen neuen Vertrag mit einem derartigen Konkurrenzverbot abzuschliessen. Es ist den Musikschulen rechtlich auch nicht verboten, anstelle eines kompletten Verbotes eine Melde- und Genehmigungspflicht für derartige konkurrenzierende Tätigkeiten einzuführen. Das Vorgehen der Musikschule ist daher rechtlich korrekt.

Für Arbeitnehmer, die vom Arbeit-geber ein solches Angebot erhalten, ist folgendes zu klären:

– Sachlich: Handelt es sich überhaupt um konkurrenzierende Tätigkeiten?

Wenn an der Musikschule nur Kinder/Jugendliche oder nur Erwachsene unterrichtet werden, so ist ein Privatunterricht oder ein Unterricht an einer anderen Schule nicht konkurrenzierend, wenn nicht diesel-ben Schülergruppen angesprochen werden.

– Örtlich: Liegt die konkurrenzierende Tätigkeit einer Lehrperson überhaupt im Einzugsgebiet der Musikschule?

Die Lehrperson konkurrenziert die Musikschule nur, wenn dieselben Schülergruppen angesprochen werden, das heisst, die von der Lehrperson unterrichteten Schüler ohne deren Tätigkeit an die Musikschule gelangt wären. Daher ist das Einzugsgebiet der Musikschule in derartigen Regelungen konkret einzugrenzen und eine Privattätigkeit etwas ausserhalb auszuführen.

– Inhaltlich: Wird das spezielle Instrument oder Fach der Musiklehrperson an der Musikschule unterrichtet?

Wenn eine Musiklehrperson privat andere Instrumente oder Fächer unterrichtet als diejenigen, die an der Musikschule angeboten werden, so konkurrenziert sie die Schule nicht und kann ohne Weiteres unterrichten.

Jedenfalls ist die Missachtung der arbeitsvertraglichen Treuepflicht, insbesondere des Konkurrenzverbotes gefährlich, da dies in der Gerichtspraxis immer wieder zu fristlosen Entlassungen geführt hat.

Das Konkurrenzverbot nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Grundlagen: Das von Gesetzes wegen geltende Konkurrenzverbot von Art. 321 a. OR endet mit der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses. Damit kann ein Arbeitnehmer grundsätzlich unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsvertrages eine neue Beschäftigung privat oder bei einem Arbeitgeber in Konkurrenz zum früheren Arbeitgeber aufnehmen. Dabei spielt es keine Rolle, dass der austretende Arbeitnehmer unter Umständen wesentliche Erkenntnisse aus seiner früheren Tätigkeit mitnimmt und nun im Dienste des neuen Arbeitgebers oder für sich privat gewinnbringend einsetzt.

Diese Situation kann nur dadurch verhindert werden, dass Arbeitgeber und -nehmer ein Konkurrenzverbot auch für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbaren (Art. 340 ff. OR). Ein derartiges Konkurrenzverbot ist aber nur in engen Schranken verbindlich. Insbesondere muss im Arbeitsverhältnis dem Arbeitnehmer Einblick in den Kundenkreis oder in Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisse gewährt worden sein und die Verwendung dieser Kenntnisse den Arbeitgeber erheblich schädigen können. Zudem muss ein nachvertragliches Konkurrenzverbot schriftlich vereinbart sein, ansonsten es ungültig ist. Mündliche Abreden oder Abreden per Mail genügen nicht. Weiter ist das Konkurrenzverbot nach Ort, Zeit und Gegenstand angemessen zu begrenzen und es darf nur unter ganz besonderen Umständen drei Jahre überschreiten. Übermässige Konkurrenzverbote sind gerichtlich nicht durchsetzbar, sondern werden vom Richter entsprechend eingeschränkt oder aufgehoben. Für die Musiklehrperson gilt daher Folgendes:

– Ein nachvertragliches Konkurrenzverbot gilt nicht automatisch.

– Die Musiklehrperson kann nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses frei entscheiden, ob sie bei anderen Musikschulen und/oder als Privatlehrperson tätig sein will.

– Es gibt keinen Zwang zum Abschluss eines Konkurrenzverbotes.

– Ein Konkurrenzverbot ist nur schriftlich gültig, das heisst eigenhändig unterschrieben oder mit zertifizierter Signatur.

– Ein Konkurrenzverbot ist örtlich klar und eng zu begrenzen, zeitlich unter 3 Jahre gültig und nur auf die an der Musikschule ausgeübte Tätigkeit zu begrenzen.

Auch wenn all diese Vorgaben bei der Vereinbarung eines Konkurrenzverbotes eingehalten sind, hat der Arbeitnehmer gute Chancen, dass ein nachvertragliches Konkurrenzverbot durch ein Gericht als unwirksam eingestuft wird. Dies aus folgenden Gründen:

Das Konkurrenzverbot ist nur verbindlich, wenn das Arbeitsverhältnis dem Arbeitnehmer Einblick in den Kundenkreis oder in Fabrikations- und Geschäftsgeheimnisse gewährt und die Verwendung dieser Kenntnisse den Arbeitgeber erheblich schädigen könnte (Art. 340 Abs. 2 OR). Gemäss konstanter Lehre und Rechtsprechung besteht dann kein Raum für ein Konkurrenzverbot, wenn die Bindung zu Kunden vorwiegend auf den besonderen Fähigkeiten des Arbeitnehmers basiert, auf seiner persönlichen Geschicklichkeit beruht und wenn die Beziehung zwischen ihm und den Kunden vorwiegend persönlicher Natur sind. Diesfalls folgen die Kunden dem Arbeitnehmer nicht wegen den beim Arbeitgeber erworbenen Kenntnissen, sondern wegen dessen besonderen, persönlichen Eigenschaften und wegen seiner Tüchtigkeit. Der Arbeitnehmer verwendet dabei nachvertraglich nicht Fähigkeiten, die er beim Arbeitgeber erworben hat, sondern seine persönlichen Charaktereigenschaften, deren Verwertung ihm durch ein Konkurrenzverbot nicht verboten werden kann. Dies wurde beispielsweise durch die Gerichtspraxis bejaht für Turn- und Tanzlehrpersonen, einen Damencoiffeur, einen Reitlehrer und im Kanton Genf für einen Klavierlehrer. Bei all diesen Berufen hängt die Leistung und der Erfolg des Arbeitnehmers nicht vorwiegend vom Wissen und von den Angeboten des Arbeitgebers, sondern von den persönlichen Eigenschaften ab. Diese allein sind für den allfälligen Wechsel der Kundschaft massgebend, und je kreativer und freier der Arbeitnehmer handeln kann, desto eher ist dies anzunehmen (Urteil des Obergerichts Zürich vom 4.3.2008, BGE 130III353 ff. und BGE 138III67 ff.). Es bestehen daher gute Chancen, dass selbst ein gültig erscheinendes nachvertragliches Konkurrenzverbot auf dieser Basis von einem Gericht nicht geschützt würde und der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsvertrages privat oder angestellt frei oder konkurrenzierend zum früheren Arbeitgeber arbeiten kann.

Das Konkurrenzverbot fällt dahin, wenn der Arbeitnehmer einen der folgenden Tatbestände nachweisen kann:

– Wenn der Arbeitgeber kein erhebliches Interesse an der Aufrechterhaltung hat (er stellt den Betrieb ein oder führt das entsprechende Fach nicht mehr im Angebot).

– Wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis kündigt, ohne dass der Arbeitnehmer ihm dazu begründeten Anlass gegeben hat.

– Wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis aus einem begründeten, vom Arbeitgeber zu verantwortenden Anlass auflöst.

Es ist wichtig, immer die Gültigkeit eines Konkurrenzverbotes zu klären, zumal schwerwiegende Folgen bei Übertretung eines gültigen Konkurrenzverbotes eintreten können: Zum einen kann der Arbeitgeber die Einstellung der konkurrenzierenden Tätigkeit fordern, zum anderen Schadenersatz (z.B. Gewinnherausgabe) und falls abgemacht Konventionalstrafen.

Beantwortung der zweiten Frage

Die Musiklehrperson muss einen derartigen Brief des Schulleiters nicht unterschreiben. Ohne diese Unterschrift gilt kein nachvertragliches Konkurrenzverbot (es sei denn, dass ein solches schon im Arbeitsvertrag oder sonst abgeschlossen worden wäre). Die Musiklehrperson kann daher insbesondere ihre an die Musikschule mitgebrachten Schülerinnen und Schüler nach Abschluss des Arbeitsverhältnisses durchaus übernehmen, wenn diese möchten. Selbst wenn aber schon vorher oder auf diesen Brief hin ein schriftliches Konkurrenzverbot vereinbart worden wäre, hätte die Musiklehrperson gute Chancen, dass dieses aus den oben genannten Gründen von einem Gericht für ungültig erklärt würde. Es lohnt sich daher, in diesen Fällen die Lage genau abzuklären und sich nicht in der Gestaltung des nachvertraglichen Berufslebens einschränken zu lassen. Dabei ist wichtig, dass die Musiklehrperson dem Schulleiter mitteilt, dass ein nachvertragliches Konkurrenzverbot bei Musiklehrpersonen rechtlich kaum durchsetzbar sein wird. Ein höchstrichterliches Urteil dazu besteht nicht, nur kantonale Urteile sind vorhanden. Das bedeutet, dass schlussendlich vor dem Vorliegen eines Bundesgerichtsurteils ein gewisses Restrisiko nicht ausgeschlossen werden kann. Es lohnt sich jedoch, sich zu wehren, sowohl gegen die Unterschrift, wie auch gegen die Durchsetzung eines derartigen Konkurrenzverbotes.

Hohes Niveau auf 1800 m.ü.M.

Markus Fleck und Lars Mlekusch leiten je eine Woche der Arosa Music Academy und sind zusammen auch künstlerische Leiter des Arosa Klassik Festival.

Andri Probst — Das Arosa Klassik Festival findet vom 20. bis 26. März 2022 in Arosa statt. Arosa Kultur hat die beiden künstlerischen Leiter überdas Festival und ihre Vision befragt.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Arosa Kultur?

Markus Fleck: Ein Konzert zu Ehren des 100. Geburtstags von Hans Schaeuble im Jahr 2006 war der Auftakt zu einer fruchtbaren, langjährigen Zusammenarbeit. Nach dieser ersten Begegnung fand 2008 das erste Arosa Musik Festival statt, zu dessen Gründung und Federführung lud der damalige Präsident des «Kulturkreis Arosa» Christian Buxhofer das casalQuartett ein, das zum Jubiläum ein Kammermusikkonzert spielte. Zu diesem wunderbaren Auftrag gesellte sich noch die Gründung und Leitung der Arosa Music Academy 2011. Seit der Initiierung dieser beiden wichtigen Herzstücke der Arbeit von Arosa Kultur bin ich mit den engagierten Protagonisten vor Ort eng verbunden.

Lars Mlekusch: Vor über 15 Jahren wurde ich zusammen mit meinem damaligen Duopartner, dem Pianisten See Siang Wong, von Christian Buxhofer für ein Konzert in die evangelische Kirche in Arosa eingeladen. Das war mein erster Besuch in Arosa und ein wunderbares und prägendes Erlebnis. Die anschliessende Anfrage, jährlich einen Saxophonkurs im Rahmen der Musik-Kurswochen Arosa zu leiten, nahm ich sehr gerne an. Die Arosa Music Academy, so heisst der Meisterkurs seit einigen Jahren, unterrichte ich zusammen mit meinen wunderbaren Kollegen Timothy McAllister aus den USA und Christian Wirth aus Frankreich sowie den Pianisten Iren Seleljo (Wien) und Florian von Radowitz (Berlin). Auch die enge Zusammenarbeit mit dem Akkordeonmeisterkurs wurde zu einem Alleinstellungsmerkmal der Arosa Music Academy. Geleitet wird dieser vom Akkordeonisten Grzegorz Stopa (Wien) sowie seit einigen Jahren im Teamteaching mit Stefan Hussong (Würzburg). Wir alle sind seit Jahren sehr gut befreundet und ergänzen uns ideal durch unsere unterschiedlichen künstlerischen Schwerpunkte.

Welche Werte verkörpert die Arosa Music Academy für euch?

MF: Eine Teilnehmerin 2021 formulierte es sehr schön: «An der Arosa Music Academy trifft man StudentInnen aus verschiedenen Ländern, die sich im Gegensatz zu anderen Meisterkursen im Verlauf der Woche nicht zu KokurrentInnen entwickeln, sondern zu FreundInnen. Ein wesentlicher Teil des Geheimnisses ist das kostenlose Angebot, neben dem intensiven Solokurs auch Kammermusik zu belegen. Hierdurch wachsen wir schnell zu einer eingeschworenen Gruppe heran, deren TeilnehmerInnen sich zu Höchstleistungen anspornen. Das atemberaubend landschaftliche Umfeld der Berge in Arosa ist grandios, aber besonders die motivierende und unterstützende Ausstrahlung des fantastischen Professorenteams ist es, die die Teilnahme an der Academy zu einem unvergeslichen Erlebnis macht.» Dieser Eindruck trifft es genau.

LM: In den vergangenen Jahren konnte sich die Arosa Music Academy als ein führender Sommerkurs für klassisches Saxophon und Akkordeon international positionieren. Talente aus der ganzen Welt kommen jedes Jahr für dieses einmalige Erlebnis nach Arosa. Im familiären Rahmen wird einerseits höchst intensiv in individuellem Coachings gearbeitet, andererseits liegt ein grosser Schwerpunkt auf Kammermusik- und Ensemblespiel. Oft entstehen während der Academy jahrelange Freundschaften.

Warum braucht es das Arosa Klassik Festival für die Nachwuchsförderung?

MF: Die meisten Musikfestivals punkten mit glanzvollen Namen und etablierten KünstlerInnen. Arosa setzt bewusst auf Nachwuchskräfte, die nach sorgfältiger Auswahl solche Sprungbretter dringend brauchen, um sich in der Musikwelt zu bewähren und auszuzeichnen. Qualität ist hierbei der wichtigste Massstab. Nur, weil viele noch am Anfang einer beruflichen Perspektive stehen, muss man keine Abstriche an die Ansprüche machen. Die Ausführenden sind oft schon ganz herausragende KönnerInnen ihres Fachs.

LM: Dass sie dabei mit anderen Kammermusik auf hohem Niveau einstudieren, aufführen und dabei von sehr erfahrenen Musikern und Pädagogen begleitet werden, macht das Ganze noch attraktiver.

Das Arosa Klassik Festival bietet den jungen MusikerInnen eine wunderbare Gelegenheit, auch ausserhalb der Hochschulen Auftrittserfahrungen zu sammeln und sich mit Gleichgesinnten vernetzen zu können.

Was ist Deine Vision für die Arosa Music Academy und das Arosa Klassik Festival?

MF: Es ist wirklich erstaunlich, welch hohes Niveau (in mehrerlei Hinsicht!) in Arosa zu erleben ist, trotz, oder gerade wegen seiner Abgeschiedenheit. Hier kommt man an und bleibt. Hektik und rastloser Trubel ist anderswo. So sehr, wie man die majestätische Natur in Arosa bewundern kann, gibt es die menschengemachte Kunst als kreativen Gegenentwurf und Ergänzung zu erleben. Das ist ein sich gegenseitig stärkendes Miteinander. Ich hoffe, dass noch mehr Menschen aus Arosa und auch von auswärts, diese doppelte «Tankstelle» für Körper, Geist und Seele für sich entdecken und davon erzählen, seien sie nun Lehrnende aus aller Welt, oder Besucher, die sich von Arosa und der Kultur dort gefangen nehmen lassen.

LM: Ich wünsche mir, dass auch weiterhin viele junge Talente den Weg in das beschauliche Arosa mit seiner wunderbaren Bergwelt finden und dabei sowohl musikalische und wie auch zwischenmenschliche positive und intensive Erfahrungen machen können.

… ist Geiger und Bratschist. Schwerpunkt seiner Arbeit ist das Konzertieren im casalQuartett und dem Kammermusikkollektiv CHAARTS. Daneben ist er Pädagoge, unter anderem als Leiter der AROSA MUSIC ACADEMY und ab 2021 als Tutor für Projekte an der Musikhochschule Stuttgart.

… ist Dozent für Saxophon und Dirigent. Nach Studien in Basel, Chicago, Amsterdam und Paris wirkte er zunächst international erfolgreich als Saxophonist bevor er sich zunehmend auch als Dirigent zu empfehlen begann. Seit 2015 ist er Professor an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Er gibt weltweit Kurse an renommierten Hochschulen und wirkt als Juror bei internationalen Wettbewerben.

Klingende Bäume

Das Notenbuch zu den Baumliedern von Roland Zoss erlaubt die eigene Gestaltung. Einfach zuhören kann man mit den beiden CDs «Bäume des Nordens» und «Bäume des Südens».

Foto: veeterzy/unsplash.com (s. unten)

Der Schweizer Singer-Songwriter Roland Zoss hat sich aufgemacht, Bäume zu vertonen. Ganze 28 Baumlieder hat er geschrieben, jedes auf der Suche nach der klimatischen, mythologischen und morphologischen Eigenheit eines Baumes – und seiner Bedeutung für uns Menschen. Als Erstes kommt der Mammutbaum, denn er ist der älteste von allen. Er wird 3000 Jahre alt und ist bis 120 Meter hoch. Oft treffen ihn Blitze, aber die entstehenden Waldbrände überlebt er dennoch. Den indianischen Ureinwohnern gilt er als heilig.

Wer jetzt, bei so vielen Bäumen, einen hölzernen Sound vermutet, liegt falsch. Die Musik ist rockig, groovig und lädt ein zum Mitsingen oder Selber-Gestalten. Dank dem Notenbuch oder dem Textbuch und den beiden CDs Bäume des Nordens und Bäume des Südens ist das auch möglich. 27 Musiker und Sängerinnen hat Zoss dafür aufgeboten, darunter grosse Namen wie Corin Curschellas oder Markus Flückiger. Die Lieder erklingen, je nach instrumentaler Zusammensetzung, in verschiedenfarbigen Gewändern. Die melancholische Duduk umspielt den Olivenbaum (seit 10 000 Jahren nachweisbar) und das Trümpi leitet das Lied zum Karube-Baum ein. Der Karube ist der Johannisbrotbaum aus Ägypten, und ja, der Name geht auf Johannes den Täufer zurück. Der Baum lieferte das Mass für das Wägen von Gold: 24 Karubensamen wiegen 24 Karat Gold. Heute kommt Karubenmehl als E 410 in Babynahrung und Tabletten vor. Man lernt viel über die Bäume in diesen Liedern.

Zoss ist Baumspezialist. Er umarmt sie, hört ihnen zu und kennt ihre Geschichte. «Du kämpfisch für d Natur, u we der Muet di mal verlaht, chum gang u hol dir d Chraft – us em Karubeboum!» – diese Refrainzeile ist typisch für die Baumlieder. Das Baumliederbuch ist nicht nur eine Ode an die Bäume, sondern Kraftquelle für unseren Kampf für die Natur.

Gehaltvolle Texte, schöne Melodien, farbig begleitet: geglückte CDs! Und ein Notenbuch (als E-Book), das weit über die Wiedergabe der Melodien hinausgeht. Offen bleibt nur der Wunsch nach einer Playback-Version zum Mitsingen.

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Roland Zoss: Baumlieder. Notenband Album 1 & 2: 28 Notenblätter, Songtexte und Infos in Berner Mundart, E-Book, 89 S., Fr. 20.00, ISBN 978-1-09830-676-2; Textbuch: 27 Songtexte & Bauminfos, Fr. 4.00;
CD 1: Bäume des Nordens;
CD 2: Bäume des Südens, je Fr. 20.00;
www.baumlieder.ch

 

Bachmann folgt im BAK auf Chassot

Der Bundesrat hat Carine Bachmann zur Direktorin des Bundesamtes für Kultur (BAK) ernannt. Sie übernimmt die Nachfolge von Isabelle Chassot. Bachmann tritt ihr Amt am 1. Februar 2022 an. Der stellvertretende Direktor, Yves Fischer, leitet das BAK interimistisch.

Carine Bachmann. Foto: EDI/BAK

Carine Bachmann ist laut der Medienmitteilung des Bundes seit 2011 Leiterin der Abteilung für Kultur und Digitalisierung der Stadt Genf. In dieser Funktion beaufsichtigt sie die Museen, Bibliotheken und die Kulturförderung der Stadt sowie 1400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Carine Bachmann begann ihre berufliche Laufbahn als Programmleiterin des internationalen Film- und Videofestivals VIPER in Luzern sowie als Kommunikationsverantwortliche und Projektleiterin in verschiedenen Nichtregierungsorganisationen. Sie war Mitbegründerin und Leiterin von CIMERA, einer Organisation für Entwicklungszusammenarbeit und Konfliktprävention im Kaukasus und in Zentralasien.

Carine Bachmann ist zweisprachig französisch-deutsch. Sie ist 54-jährig, verheiratet und hat drei Kinder. Carine Bachmann besitzt einen Masterabschluss in Sozialpsychologie, Filmwissenschaft und Völkerrecht der Universität Zürich sowie ein Certificate of Advanced Studies (CAS) in Ökonomie und Regulierungsrecht des Hochschulinstituts für Öffentliche Verwaltung (IDHEAP) der Universität Lausanne.

Reichhaltige, oft bestohlene Sonaten

Elinor Frey hat die Cellosonaten von Giuseppe Dall’Abaco (1710–1805) erstmals herausgegeben. Bisher sind drei der fünf Bände erhältlich.

Die Herausgeberin Elinor Frey. Foto: Elizabeth Delage

Die Edition Wallhall hat mit der kritischen Herausgabe aller 27 Cellokonzerte von Antonio Vivaldi einen editorischen Meilenstein gesetzt. Nun überrascht der Verlag mit der Gesamtausgabe der 35 überlieferten Cellosonaten von Giuseppe Clemente Dall’Abaco. Die Edition besorgte die kanadische Cellistin Elinor Frey, eine Spezialistin für Musik des 17. und 18. Jahrhunderts.

Der Cellist Dall’Abaco wurde 1710, im selben Jahr wie Wilhelm Friedemann Bach, in Brüssel geboren und verstarb 1805, dem Todesjahr Luigi Boccherinis, im sehr hohen Alter von 95 Jahren in Arbizzano di Valpolicella, Provinz Verona. Dall’Abaco hielt sich 1736–37 in London auf. Dies erklärt, dass die umfangreiche Sammlung in der British Library aufbewahrt wird.

Die im barocken Stil gehaltenen Sonaten zeichnen sich durch kantable Melodien aus, die teilweise volkstümlichen Charakter haben. Die spieltechnische Palette ist reich: gesangliche Passagen bis zum c3, Doppelgriffe (mit häufigen 4-3-Vorhalten, bei deren Ausführung der Daumen eingesetzt wird), virtuose Arpeggien-Sequenzen sowie Batteries. Teilweise experimentiert der Komponist mit dem damals aufkommenden galanten Stil.

Das umfangreiche Vorwort gibt Informationen über Dall’Abacos Leben, seine Wirkungsfelder und sein kulturelles Umfeld. Pikant: Es gibt auch Auskunft über zahlreiche zeitgenössische Entlehnungen aus seinen Werken. Der französische Cellist Martin Berteau (1708–1771) verwendete beispielsweise in seinen viel gespielten sechs Cellosonaten op. 1 vier entliehene Sätze aus Sonaten Dall’Abacos. Und die – wohl durch einen Irrtum des britischen Herausgebers A. Moffat – Giovanni Battista Sammartini zugeschriebene G-Dur-Sonate stammt ursprünglich aus Dall’Abacos Feder.

Ein kleiner Abstrich: Die Ausgabe enthält keine ausgesetzte Continuo-Stimme. Dies dürfte es v. a. Laienmusikerinnen und -musikern erschweren, diese reichhaltige und pädagogisch wertvolle Sammlung zu verwenden. Wer sich mit den Sonaten vertraut machen möchte, dem sei zusätzlich die beim Label Passacaille-Records erschienene CD mit der Herausgeberin Elinor Frey als Solistin empfohlen (PAS 1069).

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Giuseppe Clemente Dall’Abaco: 35 Sonaten für Violoncello und B.c., Erstausgabe in 5 Bänden von Elinor Frey;
bisher erschienen:
Bd. III: 8 Sonaten (ABV 24-31), EW 1154, € 29.80;
Bd. IV: 8 Sonaten (ABV 32-39), EW 1160, € 29.80;
Bd. V: 7 Sonaten (ABV 40-46), EW 1164, € 26.50;

Edition Walhall, Magdeburg

Bieler Kulturpreis 2021 geht an strøm

Der Gemeinderat verleiht den Kulturpreis der Stadt Biel 2021 auf Vorschlag der Kulturkommission an das experimentelle und elektroakustische Musikduo strøm – bestehend aus Gaudenz Badrutt und Christian Müller.

strøm: Gaudenz Badrutt und Christian Müller (Bild: Enrique Muñoz Garcia)

Seit zwei Jahrzehnten ist strøm laut der Medienmitteilung der Stadt Biel «eine der wichtigsten Antriebskräfte der international anerkannten Szene in Biel». Mit der Kombination von Improvisation und Konzeptmusik, Explosionen von Free Jazz und Anspielungen auf zeitgenössischen Pop habe das Duo ein gewagtes und einzigartiges Klanguniversum entwickelt.

Neben der Herausgabe von rund zehn Alben und zahlreichen Bühnenauftritten hat strøm auch Bühnenmusik komponiert, insbesondere für das Stadttheater Bern und das Schauspielhaus Wien, und audiovisuelle Installationen konzipiert, zum Beispiel für die Bieler Fototage oder die Passage Kunsthaus Zürich. Mit der Verleihung des Preises an strøm wolle, so die Mitteilung weiter, der Gemeinderat «eine mustergültige künstlerische Laufbahn auszeichnen und eine ausgesprochen lebendige und wagemutige Musikszene würdigen, die Biel zu einer Hauptstadt der experimentellen Musik» mache.

Der Bieler Gemeinderat verleiht den mit 10’000 Franken dotierten Kulturpreis jedes Jahr auf Antrag der Kulturkommission.

Geschwister im Geiste

Nach einer Biografie über Pauline Viardot-García hat Beatrix Borchard nun auch deren Briefwechsel mit Julius Rietz herausgegeben, der von 1858 bis 1874 entstand.

Keine Professorin forscht so intensiv nach der Geschichte weiblicher Kreativität im Musikbetrieb des 19. Jahrhunderts wie Beatrix Borchard an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Ihr verdanken wir wertvolle Quellenstudien zu Robert und Clara Schumann, aber auch zu Amalie und Joseph Joachim. Zudem hat sie 2003 die multimediale Forschungsplattform «Mugi» zum Thema Musik/Musikvermittlung und Gender lanciert und diese zu einem wichtigen Nachschlagewerk ausgebaut.

Über ihre Studien zu Clara Schumann stiess Borchard auch auf Pauline Viardot-García (1821–1910), eine enge Freundin der Schumanns. Zu Lebzeiten war Viardot sehr bekannt und einflussreich. Sie wurde in Paris in eine Opernsänger-Familie hineingeboren, ihre 13 Jahre ältere Schwester war die legendäre Maria Malibran.

Pauline Viardot liess sich ursprünglich als Pianistin ausbilden. Doch als mit dem frühen Tod der Malibran – diese starb mit nur 28 Jahren – die Existenz des Familienunternehmens gefährdet war, zwang ihre Mutter sie kurzerhand zum Singen. Und siehe da: Auch sie hatte das unvergleichliche, herbe Timbre des spanischen Vaters in der Stimme, Viardot wurde zu Malibrans ebenbürtiger Nachfolgerin und feierte in ganz Europa triumphale Erfolge.

Borchard war sogleich fasziniert von dieser wahrhaft europäischen Künstlerin und deren vielseitigen Begabungen auch als Komponistin, Gesangspädagogin und Herausgeberin alter französischer Lieder. Nach einer Viardot-Biografie legt sie nun deren 660 Seiten umfassenden Briefwechsel mit Julius Rietz (1812–1877) vor. Rietz, der noch mit Mendelssohn an der Wiederaufführung von Bachs Matthäuspassion mitgewirkt hatte, war ab 1847 in Leipzig Theaterkapellmeister und später Dirigent des Gewandhausorchesters, Viardot trat beiderorts als Sängerin auf.

Dass sich zwischen diesen beiden ganz unterschiedlichen Künstlertypen eine derart heftige Brieffreundschaft entspann, ist nicht einer erotischen Liebe geschuldet, wie Borchard schreibt: «Was war es dann? Beide schreiben von Geschwisterlichkeit, von tiefer Freundschaft. Beide haben das Bedürfnis, sich brieflich vorbehaltlos zu öffnen. Beide bestätigen einander immer wieder, wie lebensnotwendig die Briefe des anderen für sie sind.»

Rietz’ Briefe waren bisher unveröffentlicht geblieben, diejenigen von Viardot sukzessive bekannt und auszugsweise veröffentlicht worden, doch noch nie in dieser Vollständigkeit. Der Briefwechsel stammt aus der Zeit von 1858 bis 1874 und erhellt die Lebensumstände beider Künstlerpersönlichkeiten. Auch erfährt man von Julius Rietz interessante Dinge über berühmte Musiker rund um das Gewandhausorchester. Und beide interessierten sich brennend für die richtige Interpretation alter Musik und unterstützten die Leipziger Bach-Gesellschaft.

Viardot schrieb auf Deutsch und Französisch, die französischen Briefe sind hier parallel zum Original auch in deutscher Übersetzung publiziert. Interessant und gut geschrieben sind auch die vier Essays im Vorspann zum Briefwechsel, die nicht nur Viardot und Rietz in ihrer Eigenart porträtieren, sondern auch – wie es die Mitherausgeberin Miriam-Alexandra Wigbers getan hat – «musikalische Themen ihres Briefwechsels» herausarbeiten. Zudem zeugen die ausführlichen Anmerkungen zu den Briefen von enormem Hintergrundwissen, kommentiert wird klar aus weiblicher Sicht.

Fazit: eine sehr fundierte und spannend kommentierte Quellenedition.

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Pauline Viardot-García – Julius Rietz: Der Briefwechsel 1858–1874, hg. von Beatrix Borchard und Miriam-Alexandra Wigbers, (= Viardot-García-Studien 1), 663 S., € 68.00, Olms, Hildesheim u. a. 2021, ISBN 978-3-487-15981-2

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