Karriere

Aufsteigen, umsteigen aussteigen … Wir fragen Menschen am Anfang, in der Mitte und gegen Ende ihres Musikerlebens, was Karriere für sie bedeutet. Wie wird man Leiter eines Jazzfestivals? Und was lernt man an der Graduate School of the Arts?

derbildermann – Fotolia.com
Karriere

Aufsteigen, umsteigen aussteigen … Wir fragen Menschen am Anfang, in der Mitte und gegen Ende ihres Musikerlebens, was Karriere für sie bedeutet. Wie wird man Leiter eines Jazzfestivals? Und was lernt man an der Graduate School of the Arts?

Focus

Einsteigen, aufsteigen, umsteigen
Musikerinnen und Musiker blicken auf ihre Laufbahn.
Ausführliche Interviews

An der Spitze eines grossen Orchesters
Porträt der Dirigentin Marin Alsop  
Online-Reportage: Orquestra Sinfônica do Estado de Sao Paulo

Une carrière de directeurs de festival
Serge et Francine Wintsch
Deutsche Zusammenfassung

«Gesangskarrieren haben eigene Gesetze»
Die Künstleragentin Rita Schütz im Interview

Ein Hybrid zwischen Wissenschaft und Kunst
Doktorieren an der Graduate School of the Arts in Bern

… und ausserdem

CAMPUS

La formation Willems rejoint les HEM

Un stage aux archives musicales
Le fonds Clara Haskil à la BCUL

Rezensionen Unterrichtsliteratur

FINALE

Rätsel Pia Schwab sucht …

Kategorien

Besser nicht
zu Tränen gerührt

Emotionen wie Weinen, Wut oder Zorn, aber auch Staub, Wind, kalte Luft, Reizgase und so weiter bringen die ­Augen zum Tränen. Das kann insbesondere beim Musizieren zu Problemen führen.


Georg von Arx — Oft treten wässerige oder gar tränende Augen nur in speziellen Situationen auf. Bei anspruchsvollen visuellen Tätigkeiten wie zum Beispiel Lesen, Arbeit am PC oder beim Musizieren, können schon leicht wässerige Augen zu einer erheblichen Leistungsverminderung führen. Häufige Gründe für tränende Augen sind Bindehautentzündungen, trockene Augen, Lidfehlstellungen, Abflussbehinderungen in den ableitenden Tränenwegen und vieles anderes mehr. Auf diese Ursachen soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.


Für Musiker und Musikerinnen sind funktionelle Störungen, die keine offensichtliche Ursache zu haben scheinen, wichtiger, da sie schwer zu kontrollieren sind. Im Zusammenspiel von lokalen und zentralen Steuerungsfaktoren bei visuell anspruchsvoller Tätigkeit verursacht eine zentral, das heisst durch das Hirn und Nervensystem gesteuerte Verminderung der Lidschlagfrequenz eine vermehrte Verdunstung des Tränenfilms und somit ein relativ trockenes Auge.


Je mehr wir uns auf unsere visuelle Aufgabe konzentrieren, desto seltener wird der Lidschlag. Der Tränenfilm wird instabil, bricht auf und verursacht einen «Trockenheits-Reiz» der Hornhaut, der seinerseits nun über einen Reflexbogen eine vermehrte, teils überschiessende Tränensekretion auslöst. Dies kann insbesondere bei ungenügender Beleuchtung (zum Beispiel im Orchestergraben) noch verstärkt werden, da wir dann reflektorisch die Augen noch mehr «aufreissen» und noch weniger häufig blinzeln. Die optimale Beleuchtung des Notenpultes (ohne Blendeffekte!) ist daher auch in dieser Hinsicht wichtig.


Ein Lidschlag oder Blinzeln ist ein schnelles, meist unwillkürliches und unbemerkt ablaufendes Schliessen und Öffnen der Augenlider (Lidschlussreflex), das in erster Linie der Aufrechterhaltung des Tränenfilms und somit der optimalen optischen Qualität des visuellen Systems dient. Pro Minute blinzeln wir normalerweise etwa 12 bis 15 Mal, also alle 4 bis 6 Sekunden, wobei dies über eine Zeitspanne von durchschnittlich 300 bis 400 Millisekunden geschieht. Die durch den Lidschluss bedingte Dunkelphase wird nicht bewusst wahrgenommen, da die visuelle Wahrnehmung in den zuständigen Bereichen des Gehirns kurz vor dem Blinzeln unterdrückt wird.


Monotone visuelle Arbeit, insbesondere wie bereits erwähnt bei zusätzlich mangelhafter Beleuchtung des Arbeitsfeldes und Arbeiten mit hohen visuellen Anforderungen führen zum Starren auf das Arbeitsfeld mit Abnahme der Lidschlagfrequenz um mehr als 50 Prozent. Häufige, aber kurze Unterbrechungen der Arbeit für einige Minuten können die Befeuchtung der Hornhaut ausreichend verbessern, so dass keine vermehrte reflektorische Tränensekretion und somit kein wässeriges Auge entsteht.


Vernetztes «Tränenzentrum»


Weinen kann Ausdruck ausgeprägter Emotionen sein wie Schmerz, Trauer, Hilflosigkeit, Angst, Gefühl tiefer Kränkung und Ungerechtigkeit. Diese emotional verursachten Tränen spielen bei professionell Musizierenden insofern keine Rolle, als sie in Ausübung ihres Dienstes die Emotionen zu kontrollieren gelernt haben. Das «Tränenzentrum» ist nämlich mit verschiedenen Hirnregionen wie zum Beispiel dem limbischen System («Gefühlszentrum»), aber auch mit dem Frontalhirn vernetzt. Die Funktionen des Frontalhirns betreffen die Aufnahme und Verarbeitung (Kontrolle) von sensorischen Informationen für Wahrnehmung, Denken, Sprache, motorische Operationen, Aktivitäts-, Bewegungs- und Handlungssteuerung, Willkürbewegungen und -handlungen, Bewusstsein, höhere intellektuelle Prozesse sowie emotionell-affektive Aspekte des Verhaltens.


Trotzdem kann ein besonders «rührendes» Musikstück schon einmal die entsprechende emotionale «Taste» berühren und uns zum Weinen bringen, was dann die klare Sicht auf das Notenblatt trüben kann. Nicht ganz selten kommt es auch zu wässerigen oder gar tränenden Augen durch eine schlecht korrigierte Fehlsichtigkeit. Denn das Auge muss sich dann viel mehr anstrengen, um gut sehen zu können. Auf die beruflichen Bedürfnisse individuell und optimal angepasste Sehhilfen können Abhilfe schaffen.


Dr. med. Georg von Arx


Augenarzt FMH


Admedico Augenzentrum


Fährweg, 4600 Olten


> info@admedico.ch

Blick in Faurés Werkstatt

Rezension: Eine neue Ausgabe der Violinsonate op. 13 ermöglicht eigene Entscheidungen bezüglich Bindung und Dynamik.

Gabriel Fauré, Ölbild von Ernest Joseph Laurent, wikimedia commons

Zu Recht hat der eine halbe Generation ältere Camille Saint-Saëns die1877 erschienene erste Violinsonate von Fauré überschwänglich gelobt: «… und über allem schwebt ein Zauber, … der die Masse der gewöhnlichen Zuhörer dazu bringt, die wildesten Kühnheiten als ganz normale Sache zu akzeptieren …» Sie steht ganz vorne im Repertoire der Konzertierenden. Fauré war 1774 zum Sekretär der Société nationale de musique berufen worden, die sich dem «renouveau» des französischen Musiklebens verschrieben hatte im Wettstreit zur deutschen Instrumentalmusik. Dies steht unter Anderem im interessanten Vorwort dieser Neuausgabe. Der Urtext von Henle vergleicht den Erstdruck von Breitkopf & Härtel mit den autografen Skizzen und zeigt Differenzen in Bindebogen und Dynamik auf, die beim Erarbeiten des Werkes zu erwägen sind; es ist ein Blick in Faurés Werkstatt. Neben der Urtext-Violinstimme steht eine Einrichtung von Igor Ozim zur Verfügung. Ozim sucht die richtigen Farben der Saiten auf und passt die Bogenstriche der Dynamik an. Manchmal verwendet er vorsichtige Saitenwechsel für spannende Intervalle, die expressiver auf einer Saite wirken würden.

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Gabriel Fauré
Sonate Nr. 1 A-Dur op. 13
Urtext hg. von Fabian Kolb
mit zusätzlicher bezeichneter Violinstimme von Igor Ozim
Partitur und Stimmen
HN 980, € 21.00
G. Henle Verlag, München 2012

 

Sogar Liszt hatte zuwenige Finger dafür

Rezension: Gabriel Faurés überaus komplexe «Ballade» op. 19 ist in der grossformatigen Ausgabe von Christoph Grabowski deutlich besser lesbar.

Foto: WavebreakmediaMicro – Fotolia.com

«Sa complexité formelle, sa densité d’écriture, sa richesse harmonique, sa variété émotionnelle et ses difficultés techniques considérables placent cette composition parmi les plus difficiles du répertoire pianistique du 19e siècle.» Dieses Urteil Philipp Faurés über die Ballade op.19 seines Vaters mag heutzutage etwas übertrieben klingen. Tatsache ist, dass sie zu Gabriel Faurés repräsentativsten und ambitioniertesten Klavierwerken gehört.

Was die pianistischen Schwierigkeiten anbetrifft, hat kein geringerer als Franz Liszt dem Komponisten mit dem ihm eigenen Charme geklagt, mehr Finger habe er nicht. Liszt war es vermutlich auch, der zu einer Umarbeitung riet. Fauré nahm sich diesen Rat offenbar zu Herzen, und so kennt man das Werk heute eher in der Fassung für Klavier und Orchester.
Der Bärenreiter-Verlag hat gut daran getan, die Originalfassung im Grossformat herauszubringen. Faurés komlpex versponnener Klaviersatz ist so doch viel angenehmer zu lesen. Christophe Grabowski hat als Herausgeber nicht nur ein lesenswertes Vorwort, sondern auch anregende Interpretationshinweise aus der Feder von Philipp Fauré und der Pianistin Marguerite Long beigefügt.
 

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Gabriel Fauré
Ballade op. 19
Urtext hg. von Christophe Grabowski
BA 10841, € 12.95,

Bärenreiter, Kassel 2012

Ein Hauch von chopinscher Wehmut

Rezension: Die Klavierwerke von Franz Xaver Mozart weisen in die Frühromantik. Karsten Nottelmann hat sie in zwei Bänden im Henle-Verlag neu herausgegeben.

Franz Xaver Wolfgang Mozart (1791–1844) war ein beachtlicher Pianist und Komponist. Ausgebildet unter anderem bei Johann Nepomuk Hummel und Antonio Salieri, verliess er seine Geburtsstadt Wien bereits 1808 in Richtung Galizien, wo er sich in Lemberg (heute Lwiw in der Ukraine) niederliess. Immer schon als «W. A. Mozarts Sohn» gefeiert, setzte er sich auch kompositorisch mit dem Erbe des Vaters auseinander. Dabei sind wohl weniger seine Don-Giovanni-Variationen von Interesse, bei welchen der erst 14-Jährige dem Menuett aus der Oper viel leeres Tastengeklingel zumutet, als vielmehr die Kadenzen und Auszierungen, die er zu einigen Klavierkonzerten seines Vaters schrieb. Harmonik und pianistische Schreibweise sind hier zum Teil bereits sehr von der Frühromantik geprägt.

Musikalisch am überzeugensten ist F. X. Mozart dann (wen wunderts?), wenn er sich nicht an die Musik seines Vaters anlehnt und sich beispielsweise von der Folklore seiner galizischen Umgebung inspirieren lässt. So geschehen in den Polonaises mélancholiques op. 17 und 22. Da weht schon ein Hauch von chopinscher Eleganz und Wehmut…

All diese Werke und vieles mehr (darunter auch zwei «Diabellivariationen») hat der G. Henle-Verlag nun in zwei schön gestalteten und sehr handlichen Bänden herausgebracht.

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Franz Xaver Mozart
Sämtliche Klavierwerke
Urtext hg. von Karsten Nottelman
Fingersatz von Rolf Koenen
Band 1, HN 958
Band 2, HN 959
je € 22.00
G. Henle, München 2011/12

Requiem mit Variationen

Wie setzen Komponisten in verschiedenen Zeiten ihre Beschäftigung mit Tod und Sterben in Musik um? Ein gewichtiges Buch blickt in die Tiefe und bleibt dabei sehr nah an den Partituren.

Foto: alf loidl – pixelio.de

Urs Stäubles gerade erst erschienener Band Auf dass wir klug werden ist in mancher Hinsicht ein ungewöhnliches Buch. Das beginnt schon mit dem Titel, dessen Sinn sich erst erschliesst, wenn man den ganzen Satz kennt, aus dem hier zitiert wird: «Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf das wir klug werden.»

Dieser Vers aus dem 90. Psalm, den Johann Sebastian Bach in seinem Actus tragicus vertont hat, bringt den Leser nun auf die richtige Spur. Ausgehend vom gregorianischen Requiem bespricht Urs Stäuble auf seinem Gang durch die Musikgeschichte acht Werke, die sich mit dem Tod auseinandersetzen. Nebst Bachs eben erwähnter Kantate sind dies die Musikalischen Exequien von Heinrich Schütz, die Requiem-Vertonungen von Mozart, Verdi, Brahms, Dvořák und Fauré sowie die Nr. VIII aus Le Laudi von Hermann Suter.

Ungewöhnlich auch die formale Anlage des Buches: Die einzelnen Beiträge sind als «Thema und acht Variationen» gruppiert, wobei in einem kurzen Epilog noch einmal die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Vertonungen quasi verdichtet aufgezeigt werden. Die Analysen der einzelnen Werke – erläutert anhand zahlreicher Notenbeispiele – verraten einen Autor, der diese Musik nicht nur vom Hören, sondern auch vom eigenen Musizieren kennt. In der Fülle des Materials finden sich immer auch ganz persönliche und originelle Einsichten, wie sie wohl nur einem ausübenden Musiker vergönnt sind.

Die einzelnen Kapitel bzw. Variationen beginnen jeweils mit einer biografischen Skizze, die das Leben des Komponisten bis zur Entstehung des besprochenen Werkes beleuchtet. Bei Mozart betrifft das logischerweise sein ganzes Leben. Im ersten Moment stutzt man. Wozu soll das gut sein? Diese Skizzen sind jedoch sehr gelungene Einstimmungen, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
Ungewöhnlich an Urs Stäubles Buch ist natürlich auch der Umfang. Die 560 Seiten sind nicht zum einmaligen Durchlesen geeignet. Der Band ist eine reiche Schatztruhe und lädt immer wieder zumVerweilen und Vergleichen ein – auf dass wir klug werden …

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Urs Stäuble,
Auf dass wir klug werden
Ein Thema und acht Variationen
568 S., geb., Fr. 129.00
Books on Demand, Norderstedt
ISBN 978-3-9522448-1-4

Lehrreicher Urtext

Rezension: Vivaldis Violinsonaten op. 2 – von Venedig aus europaweit verbreitet. Von Bernhard Moosbauer neu herausgegeben als Wiener Urtext.

Antonio Vivaldi, Karikatur von Pier Leone Ghezzi, wikimedia commons

Vivaldis Sonaten op. 2 – das seit Corelli übliche Einstandswerk eines jungen aufstrebenden Musikers – standen lange Zeit ganz im Schatten seiner Violinkonzerte, obschon sie aus den vergleichbaren Werken der Zeitgenossen herausragen. Diese sonate da camera mit deutlich dialogisch mitwirkendem Basso könnten sogar als Duette mit Cello verwendet werden. Es scheint, dass Vivaldi viele der darin vorkommenden, virtuos wirkenden, doch nicht zu schwierigen schnellen Sätze geschrieben hat, um sie im Unterricht mit seinen Schülerinnen im Pio Ospedale della Pietà zu verwenden. Er hat den 1709 bei Bortoli in Venedig erschienenen Erstdruck dem damals in dieser Stadt weilenden König von Dänemark und Schweden gewidmet, so europaweite Verbreitung anstrengend. Auch die Bestellung des Nachdrucks bei Rogers in Amsterdam entsprach diesem Bestreben: Er ist in Kupferstichtechnik hergestellt – leserlicher als der venezianische Typendruck (von Letzterem ein Faksimile in der Partitur Seite 47) – und enthielt neu eine Bezifferung des Basses, was der Verwendung durch adelige Amateure im Norden entgegenkam. In Italien, wo nur ausgebildete Musiker spielten, war das nicht nötig.

Bereits Adolf Buschs bei Breitkopf & Härtel Leipzig erschienene gute Bearbeitung der Sonata II mit schön verziertem Adagio und der «Urtext op. 5» bei Nagels (Walter Upmeier) – von Vivaldi im Titel als zweiter Teil aus op. 2 bezeichnet – beweisen die Wertschätzung im letzten Jahrhundert. Im vorliegenden, ausgezeichneten Urtext mit leicht auszuführender Generalbassaussetzung von Joachim Reutter bestechen das ausführliche und hilfreiche Vorwort und die Kritischen Anmerkungen. Sie geben viele wertvolle Hinweise zu einer stilvollen Interpretation.

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Antonio Vivaldi
Sonaten für Violine und B.c. op. 2
herausgegeben von Bernhard Moosbauer
Partitur mit Generalbassaussetzung von Jochen Reutter
Violin- und Bassstimme

UT 50176, € 29.95
Wiener Urtext Edition (Schott/Universal Edition)
Wien 2012

 

Bedeutender Erstdruck des «Lohengrin» restauriert

Aus dem Nachlass des 2010 verstorbenen Dirigenten Theodor Hlouschek gelangte eines der wenigen Exemplare des «Lohengrin»-Erstdrucks ins Hochschularchiv / Thüringische Landesmusikarchiv nach Weimar, den Ort der Uraufführung der Oper. Dort musste es allerdings zuerst vor dem Zerfall gerettet werden.

Foto: Rike / pixelio.de,SMPV

Ursprünglich sollte Richard Wagners Oper in Dresden uraufgeführt werden, doch der steckbrieflich gesuchte Komponist musste 1849 aus der Stadt fliehen. Sein Freund Franz Liszt, Hofkapellmeister in Weimar, sprang ein: Vor 163 Jahren, am 28. August 1850, ging die romantische Oper im Hoftheater erstmals über die Bühne. Nur zwei Jahre später wurde die dreibändige Partitur in kleiner Auflage gedruckt: bis heute besitzt sie Seltenheitswert.

Auf Antrag der neuen Weimarer Musikwissenschaftsprofessorin Christiane Wiesenfeldt erklärten sich die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen und die Sparkassenstiftung Weimar-Weimarer Land bereit, die Restaurierung der Partitur mit insgesamt 4800 Euro zu ermöglichen. Zudem unterstützte der Vorsitzende des Weimarer Wagner-Verbandes, Eberhard Lüdde, das Projekt mit einer Spende. Anlässlich der Lohengrin-Premiere am 7. September 2013 im Deutschen Nationaltheater Weimar wird die restaurierte Partitur erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.

Das Landesmusikarchiv kaufte zusätzlich eine handschriftliche Klaviertranskription des Lohengrin «für Clavier allein» von Conrad Götze an, der ab 1826 grossherzoglicher Musikdirektor in Weimar war. Dieses Autograph weist grosse Ähnlichkeit mit einem Lohengrin-Klavierauszug auf, der kurz nach der Uraufführung der Oper in Weimar allerdings unter dem Namen Theodor Uhligs publiziert wurde,

RhB-Lokomotive als Instrument

Im Bahnmuseum Albula in Bergün findet bis zum 28. Februar 2014 die Sonderausstellung «My first sonic Lok» satt. Der St. Galler Klangkünstler Andy Guhl nutzt eine Lokomotive der Rhätischen Bahn als Musikinstrument.

OTS.Bild/Bahnmuseum Albula AG,SMPV

Aus den unhörbaren elektromagnetischen Schwingungen einer 65 Tonnen schweren und 2400 PS starken Maschine macht Guhl hör- und sichtbare Klang- und Lichtwellen und komponiert daraus ein Hör- und Seherlebnis. Verschiedene Motive sind wahrnehmbar, wie die Kraft beim Anfahren, verschiedene Zustände des Motors oder der Zustand der Schienen. Im Raum für Wechselausstellugen des Museums hat Guhl eine 5-Kanal-Video-Arbeit installiert. Mit den Aufnahmen nimmt er die Betrachter mit auf eine Reise von Samedan nach Landquart. Technik und Natur erscheinen in poetischen, ungewohnten Bildern und Geräuschen – mal rasant und mal gemächlich ziehen die Landschaften vorbei.

Spätestens seit Arthur Honeggers (1892–1955) Komposition Pacific 231, in der die Eisenbahnfahrt mit einer Pacific-Dampflokomotive in Form einer Tondichtung musikalisch umgesetzt wird, ist die Lokomotive ein faszinierendes Motiv in der klassischen Musik. Die Maschine, die rhythmische Kraft, die Fahrt zur Höchstgeschwindigkeit – diese Eigenart hat Honegger in seiner Komposition bildhaft und eindrücklich umgesetzt. Das Werk entstand 1923 und wurde am 8. Mai 1924 in der Pariser Oper uraufgeführt.

Andy Guhl (*1952) hat sich mit dem Duo Voice Crack einen Namen gemacht. 2001 waren sie an der Biennale Venedig, wo sie mit den Klängen des Canale Grande die Kirche San Staë bespielten. Luigi Russolos Manifest der Geräuschmusik (1913) ist wegbereitend für die Entstehung der experimentellen elektronischen Musik, wie sie Voice Crack u. a. zusammen mit Poire Z, Borbetomagus (US), Otomo Yoshihide (Japan), Phil Minton (UK), Erik M (FR) und Jim O’Rourke (US) spielten.

www.bahnmuseum-albula.ch

Das «Unabgegoltene im Vergangenen»

Ein Zürcher Symposiumsband gewährt umfassenden Einblick in Klaus Hubers Werk.

Komponisten, die mit historischer und aussereuropäischer Musik operieren, gibt es heute wie Sand am Meer. Wirklich spannende Ergebnisse kommen nicht immer dabei heraus. Klaus Huber jedoch war einer der ersten, der fern weltmusikalischer Moden und postmoderner Oberflächlichkeiten Anregungen aus anderen Kulturkreisen auf substanzielle Weise produktiv machte. Auch deshalb heisst diese instruktive Einführung in seine Arbeit Transformationen, «ein konzeptuelles Leitmotiv von Hubers kompositorischen Strategien», wie die Herausgeber Jörn Peter Hiekel und Patrick Müller erläutern.

Dieser Band, der zurückgeht auf ein Symposium der Zürcher Hochschule der Künste im März 2010, war überfällig! Denn im Falle des frisch gebackenen Trägers des Musikautorenpreises herrscht doch ein seltsames Missverhältnis zwischen der fraglosen Relevanz seines Œuvres und dessen wissenschaftlicher Rezeption; ganz zu schweigen von der Bedeutung Klaus Hubers als Lehrer, der zahlreiche Protagonisten der neuen Musik entscheidend prägte (einer der wenigen Aspekte im Übrigen, den diese Publikation nicht berücksichtigt).

Jörn Peter Hiekel setzt einleitend die ästhetischen Wegmarken unter der «Idee des Transformativen», die auf Überwindung eines eindimensional eurozentrischen Denkens angelegt ist. Im Folgenden werden die bei Huber eng miteinander verflochtenen Spannungsfelder des Politischen, Spirituellen, Transkulturellen und Geschichtsbezogenen umfassend beleuchtet.
Zwei langjährige Begleiter des huberschen Schaffens sorgen zu Beginn für gespannte Aufmerksamkeit: Während Max Nyffeler in der kenntnisreichen Erörterung nationaler Befindlichkeiten das schweizerische Profil Hubers schärft, hält Claus-Steffen Mahnkopf in seinem Beitrag «Die Wahrheit von Klaus Hubers Musik» ein leidenschaftliches Plädoyer für einen in Verruf geratenen Kunstbegriff. Für Mahnkopf ist Huber ein Musterbeispiel künstlerischer Integrität. Dass Hubers Musik Bekenntnismusik auf allerhöchstem Niveau ist, macht Thomas Gartmann in seinen Ausführungen zur «Geistlichen Musik» evident und markiert das Spirituelle als künstlerischen Widerstand mit utopisch-sozialen Potentialen. Dieser Aspekt wird auch von Susanne Kogler betont, die Hubers Klang-Sprache als ausgesprochen kommunikativen Ort der (Selbst-)Erfahrung betrachtet. Dass die Solostücke hier nicht aussen vor bleiben, ist Heidy Zimmermann zu verdanken, die im Modus instrumentaler Monodie (Ein Hauch von Unzeit, Transpositio ad infinitum, …Plainte …) die humane Dimension der Einzelstimme aufdeckt.

Eine Idee, die sich wie ein roter Faden durch diese Veröffentlichung zieht, ist das von Huber bei Ernst Bloch gefundene «Unabgegoltene im Vergangenen». Will heissen: ein kreatives Weiterdenken von ästhetischen Phänomenen, die zu ihrer Zeit ihr ganzes Potential noch nicht entfalten konnten. Hierauf hebt Martin Zencks ertragreiche Untersuchung Zur transepochalen Affinität des späten 20. Jahrhunderts zum Manierismus des frühen 17. Jahrhunderts ab, das geistige Herzstück dieses Buches. Dabei streicht er nicht nur die Bedeutung der Musik Gesualdos für Hubers Werk anhand ausgewählter Skizzenanalysen der Lamentationes sacrae et profanae ad responsoria lesualdi heraus, sondern damit exemplarisch eine wesentliche Funktion alter Musik in der neuen Musik der letzten Jahrzehnte. Wie sich das «Unabgegoltene» und dessen Strategien auch auf Hubers eigene Stücke bezieht, veranschaulicht Sibylle Kayser anhand ausgewählter «Re-Kompositionen».

Einen streng analytischen Ansatz verfolgt Christian Utz, der in seiner Untersuchung Morphologie und Bedeutung der Klänge in Klaus Hubers «Miserere hominibus» tief in die Klangmaterie abtaucht – Physis statt Semantik, Objektivismus versus autorzentrierte Deutung. Auf der Suche nach einer «inhärent-musikalischen Narrativität» exemplifiziert Utz raumgreifend eine Deckungsgleichheit von struktureller Klangorganisation und «morphologischer Präsenz». Das sollte doch aber bei jedem halbwegs vernünftigen Werk zu finden sein. Die «gestischen Topoi», die er in Miserere entdeckt, wären auch in zahlreichen Stücken anderer Komponisten dingfest zu machen.

Ganz zentral im Schaffen von Klaus Huber ist, insbesondere ab 1990, die Arbeit mit Stimmungen und Tonsystemen jenseits der europäischen Zwölfteilung der Oktave. Diesem wesentlichen Aspekt widmet sich Till Knipper in differenzierter Veranschaulichung der vielfältigen Ausprägungen und Kombinationen von «Mikrotonalität» (ein Begriff, den Huber nicht mehr gelten lässt) zwischen Naturintervallen, Vierteltönigkeit, Drittel- und Sechsteltönen und der Verwendung arabischer Maquams und nimmt dabei nicht zuletzt ihre semantische Funktion im Werkkontext in den Blick. Alles andere wäre bei Huber wohl Erbsenzählerei …

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Transformationen, Zum Werk von Klaus Huber, hg. von Jörn Peter Hiekel und Patrick Müller, Edition Neue Zeitschrift für Musik, 232 S., € 22.95, Schott, Mainz 2013, ISBN: 978-3-7957-0823-8

Aus königlicher Hand

Mary Oleskiewicz präsentiert vier Sonaten des Flöte spielenden Friedrich II. als Erstveröffentlichungen.

Friedrich II. porträtiert von Johann Georg Ziesenis dem Jüngeren, wikimedia commons

Der Preussenkönig Friedrich II. (1712–1786) hat zahlreiche Kompositionen für sein Instrument veröffentlicht. Seiner Schwester Wilhelmine schrieb er mit Begeisterung und Humor über seine Werke, auch geht aus dem Briefwechsel hervor, dass Friedrich manchmal die Hilfe von Hofkomponisten wie Carl Heinrich Graun, Johann Joachim Quantz und Johann Friedrich Agricola erhalten habe. Zu Friedrichs Lebzeiten wurden seine Werke systematisch von höfischen Kopisten erfasst, die meisten Abschriften gingen jedoch verloren. Im Jahr 1889 brachte der Bach-Kopist Philipp Spitta eine Ausgabe mit 25 Sonaten des Preussenkönigs heraus, von denen beinahe die Hälfte zu dessen spätesten Werken zählten.

Meistens sind Friedrichs Sonaten viersätzig in der Reihenfolge langsam-schnell-langsam-schnell angelegt, wie es auch bei den meisten anderen Berliner Hofkomponisten wie Quantz, Benda und Carl Philipp Emanuel Bach üblich war. Die langsamen Kopfsätze sind meist von einschmeichelnder Natur, reich verziert, oft lyrisch und mit rhetorischer Sprechweise. In der sehr früh komponierten Flötensonate a-Moll Sp. 21 findet sich im ersten Satz ein instrumentales Rezitativ. Mit dem cantablen ersten Satz der C-Dur-Sonate hatte Friedrich möglicherweise eine Huldigung an seinen Lehrer Johann Joachim Quantz im Sinne, der den Kopfsatz seiner eignen C-Dur-Sonate in ähnlicher Weise gestaltet hatte. Die Sonate B-Dur Sp. 76 beginnt sogar mit einem ausladenden Largo in b-Moll, bevor in der zweiten Hälfte des Stückes B-Dur erreicht wird. Im langsamen Eingangssatz der h-Moll-Sonate Sp.83 ist auch der empfindsame Stil, wie ihn beispielsweise C. Ph. E. Bach komponierte, spürbar. In Friedrichs Kompositionen ist die Tendenz ablesbar, die Sonaten immer länger und technisch anspruchsvoller zu machen. Dass der König, der ein Repertoire von ca. 290 Konzerten und 150 Sonaten von Quantz auf der Traversflöte spielte, selbst über äusserst virtuose Fähigkeiten verfügt haben muss, belegt die Sonate h-Moll Sp. 83, welche beispielsweise im zweiten Satz Allegretto sehr schnelle Passagen mit Sprüngen bis zum dreigestrichenen e und fis, in 32-teln notiert, enthält. Auch das Allegro assai überzeugt durch seine spielerischen Triolenkonfigurationen.

Bei diesen vier Sonaten handelt es sich um ansprechende Kompositionen, in denen Erfindungskraft, Stilempfinden und Können des Preussenkönigs sicht- und hörbar werden.

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Friedrich II. der Grosse
Vier Sonaten für Flöte und Basso continuo
Erstdruck hg . von Mary Oleskiewicz
Partitur und Stimme
MR 2266, € 29.50
Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2012

Duo, Trio, Villanelle

Kammermusikwerke mit Horn in neuen, spannend dokumentierten Ausgaben.

Foto: Sabine Schmidt / pixelio.de

Von drei Urtextausgaben in exzellenter Aufmachung ist zu berichten. Auffallend und erfreulich in allen dreien ist eine mit Akribie betriebene Quellenforschung mit den daraus resultierenden, spannend zu lesenden Begleittexten. Es handelt sich um Perlen des Kammermusikrepertoires mit Horn: das Trio für Violine, Horn und Klavier op. 40 von Johannes Brahms, die Villanelle für Horn und Klavier von Paul Dukas und Adagio und Allegro für Horn und Klavier op. 70 von Robert Schumann. Brahms’ Trio wurde ursprünglich für Naturhorn geschrieben, Dukas’ Villanelle für Naturhorn in Kombination mit Ventilhorn, Schumanns Werk gilt als das erste Stück, in dem das chromatische Horn verwendet wurde.

Dominik Rahmers Vorwort zur Villanelle liest sich beinahe wie ein Kriminalroman und gibt ausserdem Aufschluss über die Geschichte des Horns im Wandel vom Natur- zum Ventilhorn in Paris um die Wende zum 20. Jahrhundert. Christopher Hogwood hat das Brahms-Trio auch in der vom Komponisten autorisierten Fassung für Violine, Violoncello und Klavier ediert, mit Wissen und Sorgfalt. Die vier Instrumente, Violine, Violoncello, Klavier und Horn, waren übrigens jene, die Brahms selbst spielte. Im Anhang finden sich nebst einigen Faksimileseiten ein Albumblatt von 1853, also zwölf Jahre vor Entstehung von Opus 40, mit dem Thema des Trios aus dem 3. Satz des später entstehenden Horntrios. Von Schumanns Adagio und Allegro ist gleichzeitig die Urtextausgabe einer Fassung für Violine und Klavier erschienen (HN 1025).

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Paul Dukas
Villanelle für Horn und Klavier

Urtext hg.Dominik Rahmer
HN 1170, € 13.00
G. Henle, München, 2012

 

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Johannes Brahms
Trio für Violine, Horn und Klavier Es-Dur op.40

Urtext hg.von Christopher Hogwood
BA 9435, € 26.95
Bärenreiter, Kassel 2011

 

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Robert Schumann
Adagio und Allegro für Horn und Klavier As-Dur op.70
Urtext hg.von Ernst Herttrich
HN 1023, €13.00
G. Henle, München 2012

 

Schöpferin gegen alle Widerstände

In ihrer Suite für Violine und Klavier verarbeitete Mel Bonis ländliche Impressionen. Ihr gesamtes, umfangreiches Werk lohnt eine Wiederentdeckung.

Mel Bonis porträtiert von Charles-Auguste Corbineau, wikimedia commons

Mélanie Bonis’ Klavierimprovisationen empfanden ihre kleinbürgerlichen Pariser Eltern als Plage, doch – gefördert von César Franck – durfte sie das Conservatoire Supérieur besuchen, musste ihre erfolgreichen Studien aber vor dem Ende abbrechen, weil eine Liebschaft zu dem Mitstudenten Amédée Hettich den Eltern nicht genehm war. In eine Ehe mit dem 25 Jahre älteren reichen Witwer Albert Domange mit fünf Söhnen gesteckt, dem sie weitere vier Kinder schenkte, blieb ihr wenig Zeit für die Musik. Trotzdem konnte sie unter dem Pseudonym Mel Bonis (komponierende Frauen wurden damals nicht ernst genommen; einige Editionen musste sie selber finanzieren) bei Leduc und Eschig einige Werke veröffentlichen. Hettich förderte sie gegen die Jahrhundertwende wieder zu intensivem, sogar preisgekröntem Musikschaffen (sie wurde sogar Sekretärin der Société des Compositeurs). Eine gemeinsame Tochter konnte sie bis 1914 geheim halten. Im ersten Weltkrieg engagierte sie sich für Waisenkinder und Kriegsgefangene. Trotz Depressionen komponierte sie unermüdlich bis zu ihrem Lebensende. Ihre 300 Werke für Klavier, Orgel, Kammerensemble, Gesang, Orchester können sich am Format von Fauré und Chausson messen, aber fielen zu Unrecht dem Vergessen zum Opfer.

Für die dreisätzige Suite von 1926, deren Manuskript im Familienarchiv aufgefunden wurde, liess sich die Komponistin von ihrem Leben auf dem Land inspirieren: I Jour de fête überrascht mit prickelnden, synkopierten Auftaktmotiven, in denen sich die beiden Instrumente folgen. Ein gesanglicheres Intermezzo wird beendet von einem Galopp. II Sous la ramée ist eine ausgedehnte Träumerei, souverän zwischen den Tonarten schwebend. III Cortège champêtre kehrt zum C-Dur von I zurück mit vielen fantasievollen Modulationen, an einen leichtfüssigen Umzug von Majoretten erinnernd. Musikalisch anspruchsvoll schenkt diese Suite den Interpretinnen und Interpreten viel Freude.

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Mel Bonis, Suite pour violon et piano op. 114,
hg. von Eberhard Mayer und Ingrid Mayer,
Erstveröffentlichung, fue 4390, € 22.00,
Furore-Edition, Kassel 2012

Lehrreicher Urtext

Rezension: Vivaldis Violinsonaten op. 2 – von Venedig aus europaweit verbreitet. Von Bernhard Moosbauer neu herausgegeben als Wiener Urtext.

Antonio Vivaldi, Karikatur von Pier Leone Ghezzi, wikimedia commons

Vivaldis Sonaten op. 2 – das seit Corelli übliche Einstandswerk eines jungen aufstrebenden Musikers – standen lange Zeit ganz im Schatten seiner Violinkonzerte, obschon sie aus den vergleichbaren Werken der Zeitgenossen herausragen. Diese sonate da camera mit deutlich dialogisch mitwirkendem Basso könnten sogar als Duette mit Cello verwendet werden. Es scheint, dass Vivaldi viele der darin vorkommenden, virtuos wirkenden, doch nicht zu schwierigen schnellen Sätze geschrieben hat, um sie im Unterricht mit seinen Schülerinnen im Pio Ospedale della Pietà zu verwenden. Er hat den 1709 bei Bortoli in Venedig erschienenen Erstdruck dem damals in dieser Stadt weilenden König von Dänemark und Schweden gewidmet, so europaweite Verbreitung anstrengend. Auch die Bestellung des Nachdrucks bei Rogers in Amsterdam entsprach diesem Bestreben: Er ist in Kupferstichtechnik hergestellt – leserlicher als der venezianische Typendruck (von Letzterem ein Faksimile in der Partitur Seite 47) – und enthielt neu eine Bezifferung des Basses, was der Verwendung durch adelige Amateure im Norden entgegenkam. In Italien, wo nur ausgebildete Musiker spielten, war das nicht nötig.

Bereits Adolf Buschs bei Breitkopf & Härtel Leipzig erschienene gute Bearbeitung der Sonata II mit schön verziertem Adagio und der «Urtext op. 5» bei Nagels (Walter Upmeier) – von Vivaldi im Titel als zweiter Teil aus op. 2 bezeichnet – beweisen die Wertschätzung im letzten Jahrhundert. Im vorliegenden, ausgezeichneten Urtext mit leicht auszuführender Generalbassaussetzung von Joachim Reutter bestechen das ausführliche und hilfreiche Vorwort und die Kritischen Anmerkungen. Sie geben viele wertvolle Hinweise zu einer stilvollen Interpretation.

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Antonio Vivaldi
Sonaten für Violine und B.c. op. 2
herausgegeben von Bernhard Moosbauer
Partitur mit Generalbassaussetzung von Jochen Reutter
Violin- und Bassstimme

UT 50176, € 29.95
Wiener Urtext Edition (Schott/Universal Edition)
Wien 2012

 

«Ein wahrgewordener Traum für Brasilien»

Das Orquestra Sinfônica do Estado de São Paulo, kurz OSESP, hat Grosses vor: Gehört es heute zu den führenden Orchestern Lateinamerikas, möchte es sich unter die Besten der Welt spielen. Mit der seit 2012 amtierenden amerikanischen Chefdirigentin Marin Alsop könnte dies gelingen. Ein Besuch bei einem Orchester mit Visionen.

Fotos: Rebekka Meyer
«Ein wahrgewordener Traum für Brasilien»

Das Orquestra Sinfônica do Estado de São Paulo, kurz OSESP, hat Grosses vor: Gehört es heute zu den führenden Orchestern Lateinamerikas, möchte es sich unter die Besten der Welt spielen. Mit der seit 2012 amtierenden amerikanischen Chefdirigentin Marin Alsop könnte dies gelingen. Ein Besuch bei einem Orchester mit Visionen.

São Paulo kann man nicht entrinnen. Es ist eine heftige Stadt, Wolkenkratzer ragen mächtig in den Himmel, überall und ständig herrscht Gedränge und Stau. Und in São Paulo ist es niemals still. Vor den Rotlichtern heulen die Motoren auf, die Motorräder überholen hupend und in rasendem Tempo, auf der Rua 25 de Março preisen schreiende Händler ihre Waren an. Und dann ist da noch die Musik. Viel Musik. Auf der Praça da Sé tanzen Obdachlose zu Popmusik in schlechter Qualität, in einem geschäftigen Gässchen gibt ein Mann mit der Gitarre brasilianische Popsongs zum Besten. Doch gibt es auch noch ganz andere Klänge. Wie zum Beispiel die des Sinfonieorchesters.

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Foyer des Konzerthauses

Ein Bahnhof als Konzerthaus

Mitten im Gewühl, in einem schönen, alten Bahnhofsgebäude an der Praça Julio Prestes, liegt das Konzerthaus des OSESP. Es ist ein Ruhepol in «Zombieland», wie die Umgebung der Halle von den Einwohnern São Paulos, den Paulistas, genannt wird – dies wegen der vielen Drogensüchtigen, die in der Nähe des Gebäudes lungern. Dazwischen hasten Leute nach Hause, Autos hupen und ein ausgemergelter Mann schiebt einen Einkaufswagen gefüllt mit Ananas und riesigen Wassermelonen vorbei. Verweilen, das tut hier niemand. Im Innern jedoch ist die Stimmung ganz anders, hier hat man Platz und Ruhe zum Atmen. Und zum Musizieren. Im Wintergarten des einstigen Bahnhofes wurde eine Konzerthalle mit hervorragender Akustik gestaltet – dies dank einer zu hundert Prozent beweglichen Decke. Publikum, Orchester und die Chefdirigentin Alsop sind begeistert vom Konzertsaal, der 1999 als «Sala São Paulo» eröffnet wurde und dem Orchester eine Heimat gab.
 

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Marin Alsop

Hohe Ziele für ein junges Orchester

Dieses gab es damals schon länger. 1954 gegründet, erfuhr es in den letzten Jahren grundlegende Veränderungen. Der langjährige, angeblich tyrannische, doch für das Orchester auch sehr wertvolle Chefdirigent John Neschling wurde entlassen und einiges umstrukturiert. Nach einer Übergangsphase konnte schliesslich die Amerikanerin Marin Alsop für das OSESP gewonnen werden, die gleichzeitig als Chefdirigentin beim Baltimore Symphony Orchestra fungiert. Den Umbruch in eine neue Richtung verdankt das Orchester neben Alsop vor allem zwei Herren: dem künstlerischen Leiter Arthur Nestrovski und dem Exekutivdirektor Marcelo Lopes. Mit viel brasilianischem Herzblut und innovativer Energie sind die beiden ursprünglich als Musiker ausgebildeten Direktoren am Werk. Und sie haben Grosses vor: «Ich denke, die Hoffnung ist nicht unangemessen, dass das Sinfonieorchester von São Paulo irgendwann jedem einfallen wird, der an die führenden und aufregendsten Orchester der Welt denkt.» Dass dies nicht völlig grössenwahnsinnig erscheint, liegt auch an Arthur Nestrovskis eloquenter und bescheidener Art. Er ist sich durchaus bewusst, dass bis zu dem Tag viel Zeit und Energie notwendig sein werden, doch sieht er die Grundvoraussetzungen als gegeben: «Das Orchester spielt durchwegs – und durchwegs ist hier das wichtigste Wort – auf einem sehr hohen Niveau.» 

Enthusiasmus und Optimismus

Das Potenzial zum Wachsen ist also da, doch gibt es noch viel zu tun – die Hoffnungen, die auf Marin Alsop liegen, sind dementsprechend hoch. Gut, dass auch sie selbst vom Orchester begeistert ist: «Das Orchester wächst musikalisch und ist so enthusiastisch. Ich empfinde es als Orchester mit echter Tiefe und Temperament und darauf versuche ich aufzubauen.» Dieser Enthusiasmus seitens der Orchestermusiker, die Lust zu spielen und sich zu verbessern, waren denn auch die Hauptgründe für Alsop, nach São Paulo zu kommen. Sowieso mag sie die brasilianische Mentalität, die sich auch in der Arbeit mit dem Orchester niederschlägt: «Es geht hier um die Zukunft, um Möglichkeiten. Die Mentalität ist sehr optimistisch und warm.» Das spürt man bei den Proben und im Konzert zweifellos. Vor allem mit dem Stück Der gerettete Alberich für Solo-Perkussion und Orchester von Christopher Rouse beweisen alle Beteiligten ihr Können: Alsop mit ihrem gestisch weiten, doch pointierten Dirigierstil, der Solist Colin Currie mit vollem Körpereinsatz und einem rhythmisch präzisen perkussionistischen Feuerwerk und das Orchester mit seinem Wechselspiel von romantisch-üppiger Hingabe und zurückhaltend-magischer Begleitung.

Verwurzelung in der Gesellschaft

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120 000 Kinder besuchen jährlich die Vermittlungsprogramme

Europa als Chance, Brasilien im Rücken
Im Herbst wird das OSESP seinen Enthusiasmus auch in Europa zeigen können – ein wichtiger Schritt, um sich international zu profilieren. Der Exekutivdirektor Lopes sieht die fünfte Europatournee des OSESP gar als «Wendepunkt, ja Meilenstein, was die internationale Ausstrahlung angeht.» Mit der Salle Pleyel in Paris, dem Wiener Konzerthaus und der Berliner Philharmonie stehen prestigeträchtige Häuser auf dem Programm, Häuser, in denen vorher noch nie ein professionelles lateinamerikanisches Orchester zu Gast war. Was heute für das Orchester möglich ist, wäre vor 10 Jahren noch undenkbar gewesen: «Wir sind ein Traum, der für das Land wahr geworden ist», sagt Lopes. Gerade deswegen ist es beiden Direktoren auch ein Anliegen, für kulturelle Institutionen in Brasilien sowohl Vorbild als auch Motivator zu sein. Um aufzuzeigen, was in diesem Land eigentlich alles möglich ist.
Denn vor der internationalen Anerkennung kommt erst einmal die nationale. Das allernächste Ziel ist, das Orchester in ganz Brasilien bekannt zu machen: «Wir möchten ein Teil von dem sein, was Brasilien ist.» Diese Verwurzelung in der Gesellschaft sei deshalb so wichtig, weil man sich erst dann um die internationale Ebene kümmern könne, wenn die gesellschaftliche Relevanz im eigenen Land gegeben sei, wie Marcelo Lopes sagt: «Ein kulturelles Projekt muss für die Gesellschaft relevant sein.»
 

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Beliebter als Fussball?
Für Brasilien relevant zu sein heisst, für die Bevölkerung da zu sein, denn 52% des Budgets wird von öffentlicher Hand getragen, vom Bundesstaat São Paulo. «Wir müssen auf dem höchstmöglichen Level arbeiten und dürfen gleichzeitig den Kontakt mit der Gesellschaft, aus der wir kommen, nicht verlieren», lautet Nestrovskis Credo. Damit verschwinde nach und nach der elitäre Charakter, der der klassischen Musik vor 20 Jahren noch anhaftete. Auch die Zuhörerschaft hat sich in diesen 20 Jahren geändert, sowohl was das Alter als auch was die Schicht betrifft – und in diesen Wandel soll weiter investiert werden. Die Kapazitäten der digitalen Konzertübertragung werden gerade ausgebaut, jeden Sonntag finden Gratiskonzerte statt, und das Orchester geht immer wieder zu den Leuten hin. So spielte es etwa am Strand von Santos in der Nähe von São Paulo ein Konzert vor 10 000 Zuhörern: «Es ist eine andere Art der Einbindung der Gesellschaft», sagt Nestrovski. Dazu gehören auch die Vermittlungsprogramme: Mehr als 120 000 Kinder und Teenager, vor allem aus den in Brasilien verpönten öffentlichen Schulen, besuchen das Konzerthaus jedes Jahr. Dann füllt sich die so stoisch anmutende Halle mit viel Lärm, fröhlichem Gelächter und leuchtenden Gesichtern. Lopes vermutet, dass das Orchester aus diesen Gründen nie den Protesten der Bevölkerung ausgesetzt war, wie sie in letzter Zeit zum Beispiel die Fussball-WM trafen.

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Clarice Assad

Clarice Assad – schon mal gehört?

Das mag erstaunen, scheint der Fussball in Brasilien doch fast heilig zu sein. Offenbar lieben die Brasilianerinnen und Brasilianer das Orchester wirklich. Und sie sind an zeitgenössischer Musik interessiert: «Wir haben den Vorteil und den Nachteil, dass wir keine so grosse Tradition haben wie die europäischen Länder. So sind die Leute offener für Klänge, an die sie nicht gewohnt sind.» Blättert man im Saisonprogramm des OSESP, findet man denn auch viele zeitgenössische brasilianische Komponisten, die in Europa oder Nordamerika häufig völlig unbekannt sind – die klassische Musik des eigenen Landes wird intensiv gefördert. Pro Saison vergibt das Orchester mindestens sechs Kompositionsaufträge an brasilianische Komponisten. Nestrovski sagt: «Wenn wir verbunden sein wollen mit der Welt, in der wir leben, mit der Gesellschaft, mit Brasilien, müssen wir eine Verbindung haben mit der Musik, die hier geschrieben wird. Wir sind nicht bloss ein Museum.» Und ganz pragmatisch fügt er an: «Wenn wir es nicht spielen, wer wird es dann spielen?» Durch den hauseigenen Verlag werden diese sechs Auftragswerke, aber auch ältere brasilianische Musik oder Neuausgaben von Villa-Lobos‘ Kompositionen ausserdem verlegt – mit dem Ziel, dass klassische brasilianische Musik allen Orchestern der Welt zugänglich ist und damit auch gespielt wird. Eine schöne Utopie oder ein realistisches Ziel? Chefdirigentin Marin Alsop ist jedenfalls bezaubert – die auch für sie zumeist unbekannte brasilianische Musik dirigiert sie liebend gerne: «Es macht wirklich Spass, eine ganz neue musikalische Welt zu entdecken.» Einen Höreindruck wird das europäische Publikum im Herbst bekommen, wenn neben Beethoven und Mahler ein Stück der jungen brasilianischen Komponistin Clarice Assad auf dem Programm steht. Ob sie die Herzen der Schweizerinnen und Schweizer auch im Sturm erobern wird? Fortsetzung folgt!
 


Rebekka Meyer weilte auf Einladung des Orchesters Ende August in São Paulo. In der Schweiz wird das OSESP unter der Leitung von Marin Alsop und mit dem Pianisten Nelson Freire am 12. Oktober 2013 in der Victoria Hall in Genf und am 13. Oktober 2013 in der Zürcher Tonhalle zu hören sein.

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