Grocks Akkordeon

Der legendäre Clown spielte 15 Instrumente und schrieb die Musik für seine Auftritte selbst. Hier liegen seine schönsten Akkordeonstücke vor.

Ausschnitt aus dem Titelbild

Dieses wunderbare Heft mit Werken des Clowns Grock (Charles Adrien Wettach), neu arrangiert für Akkordeon-Solo und -Duo von Andreas Hermeyer und Thomas Svechla, enthält auch eine spannende Kurzbiografie des berühmten Künstlers, erstellt von seinem Grossneffen Raymond Naef. Ausgeschmückt ist dieser Teil des Heftes mit eindrücklichen Fotos und Plakaten, die die überzeugende Lebendigkeit noch unterstreichen.
Der Textteil besteht zudem aus der interessanten Schrift von Thomas Eickhoff zu Grocks Bezug zum Akkordeon und seiner Arbeit als Komponist.

Der «praktische» Teil beinhaltet 14 inspirierende und klanglich sehr ansprechende Kompositionen von Grock. Sieben dieser Stücke wurden mit einer 2. Stimme ergänzt und können also in Duo-Besetzung genossen werden, die zweite Stimme ist eingelegt. Die Arrangements sind harmonisch sehr interessant und lassen viel Raum für die eigene Interpretation (keine Dynamik- und keine Artikulationsangaben). Ich empfinde dieses Heft als sehr gelungen (über den einen oder anderen Druckfehler sieht man gerne hinweg) und empfehle es all denen, die gerne in diese verträumten, schwungvollen bis zu übermütigen Melodien abtauchen und sich dabei vor technischen Herausforderungen, speziell auch für die linke Hand (Standardbass), nicht scheuen.

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Grock, Akkordeonwerke des berühmten Clowns, hg. von Thomas Eickhoff, MH 15122, € 18.99, Matthias-Hohner-Verlag (Schott), Mainz 2014

Ausgetretene Pfade

Eine hervorragende Einspielung von Cellosonaten aus der Sowjetunion. In dieser Sparte wäre allerdings noch viel zu entdecken.

Reliefstein vor dem Grab Alfred Schnittkes. Foto: Wwwrathert, wikimedia commons,Sonate in C-Dur op. 119, Andante grave,Sonate in d-Moll op. 40, IV Allegro,1. Sonate, Presto (Ausschnitt)

Zwischen der Sonate d-Moll op. 40 von Dmitrij Schostakowitsch und der 1. Sonate (1978) von Alfred Schnittke liegen nur wenig mehr als vier Jahrzehnte. Die ästhetischen Positionen und die formalen Unterschiede könnten jedoch nicht grösser sein. Widerspiegelt Schostakowitschs Sonate einen hohen Grad an Klassizität, so zeugt Schnittkes experimentierfreudiger Gattungsbeitrag von einer weitaus grösseren, kulturpolitisch begründeten Freiheit. Überraschungen gibt es bei Schostakowitsch keine, bei Schnittke umso mehr. Das von den raffiniert barockisierenden Largo-Ecksätzen umrahmte Presto präsentiert sich als dämonisches Scherzo mit Perpetuum-mobile-Charakter von aufwühlender Ausdruckskraft.

Schon in der zeitlich dazwischen liegenden, 1949 entstandenen Sonate op. 119 von Sergej Prokofjew fällt die berückend schöne Kantabilität des Cellisten Mattia Zappa auf. Bei genauem Hinhören zeigt sich aber, dass er die Phrasierung insofern auf die Spitze treibt, als er einen Bindebogen an den andern reiht und dadurch eine fast endlose, unstrukturierte melodische Linie entwickelt. Mehr Profil und rhythmische Schärfe weist der solistisch ebenso stark geforderte Pianist Massimiliano Mainolfi auf. Ihm gelingt in Schnittkes Presto das Kunststück, ffff e martellatissimo zu spielen, ohne metallische Härte zu erzeugen.

Diese drei Werke bilden eine in vielen Einspielungen zementierte Trias. Sie ragen aus einem Eisberg von spielenswerten Sonaten für Cello und Klavier hervor, die es aus der Sowjetzeit zu erkunden gäbe, etwa bei Alexander und Boris Tschaikowskij, bei Alexandrow, Bogdanow-Beresowskij, Brumberg, Eiges, Feldman, Finkelstein, Goedike, Golubew, Jewsejew, Kirkor, Kossenko, Kotschurow, Mjaskowsky, Nikolajew, Roslavetz, Scharonow … Der grösste Teil dieser Sonaten wurde entweder Mstislav Rostropowitsch oder Daniel Schafran gewidmet und wartet auf eine Wiederentdeckung.

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Sergej Prokofjew
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Dmitri Schostakowitsch
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Alfred Schnittke
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A Russian Album (Sonaten von Prokofjew, Schostakowitsch, Schnittke). Mattia Zappa, Violoncello; Massimiliano Mainolfi, Klavier. Claves 50-1504

> www.claves.ch

Groove entwickeln

Eine neue Sammlung bietet variationsreiche Spirituals und Gospels für den Gesangsunterricht in zwei Varianten.

Foto: Geoffrey Froment, flickr commons

Das Genre des Spirituals und Gospels ist beeinflusst von unterschiedlichen modernen Stilarten wie Jazz, Blues, Pop und Rock. Bernd Frank hat für den Schott-Verlag eine Zusammenstellung von Gospels und Spirituals herausgegeben, die sich für den Gesangsunterricht mit Anfängern und Laiensängern eignen, aber auch für die Arbeit mit Schul- oder Kirchenmusikern, die sich vielleicht auf eine Aufnahmeprüfung vorbereiten und über den Rand des klassischen Repertoires hinausschauen wollen .

Den Schwierigkeitsgrad der vorliegenden Ausgabe würde ich bei leicht bis mittel ansetzten. Die Songs sind aber durchaus auch für Vortragssituationen geeignet, z. B. als Soloergänzung eines Gospelchorprogramms, in Musikschulvortragsübungen oder als Bereicherung des herkömmlichen kirchenmusikalischen Repertoires .

Während des Entstehungsprozesses wurde die Sammlung in einem Workshop von den Schulmusikstudierenden der Mainzer Musikhochschule mit Ideen ergänzt und auf ihre Praxistauglichkeit überprüft.

Die Ausgabe bietet durch interessante Klavierbegleitungen vielfältige Aufführungsvarianten an: sowohl in Klavier- als auch Gesangsstimme können improvisatorische «Fill-ins» eingebaut werden. Viele Songs bieten sich an, als Duo oder als «Call & Response» auch zweistimmig gesungen zu werden.

Mehrere Strophen können frei improvisierend über den zugrunde liegenden «Changes» gestaltet werden. Spezifische Gesangstechniken der Gospelmusik wie z. B. das Anschleifen der Töne verlangen stilistische Vielfalt und Flexibilität. Gospelsongs sind rhythmische Lieder , die auch dem Gesangsanfänger sofort erlauben, sein Gefühl für «Groove» zu entwickeln und zu schulen.

Die Sammlung erscheint in zwei Ausgaben, für hohe Stimme und für mittlere oder tiefe Stimme, wobei die letztere wirklich tief ist und die höhere nicht wirklich hoch. Die Bände umfassen je 33 Songs, und die Titelliste enthält neben Bekanntem wie Amazing grace, Sometimes I feel like a motherless child auch weniger Verbreitetes wie Calvary oder Chilly water.

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Spirituals & Gospels im Unterricht, 33 Songs
für Stimme und Klavier, hg. von Bernd Frank;
Ausgabe für hohe Stimme, ED 21712;
Ausgabe für mittlere oder tiefe Stimme, ED 21713;
je € 19.50, Schott, Mainz

 

Polonaise oder Bluegrass?

Diese drei Sammlungen mit Cello-Duetten lassen stilistisch kaum Wünsche offen.

Ausschnitt aus dem Titelbild der «Duo-Schatzkiste»

Duospielen von Schüler und Lehrer ist ein wesentliches Element im Musikunterricht. Die Interaktion im gemeinsamen Musizieren hilft sowohl elementare intonatorische wie auch technische Probleme leichter zu erkennen und zu lösen. Die folgenden Sammlungen gehen stilistisch ganz unterschiedliche Wege. Sie können etwa ab dem zweiten Unterrichtsjahr verwendet werden.

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Elmar Preusser hat seine Duo-Schatzkiste in eher traditioneller Weise gepackt. Die Originalkompositionen und Bearbeitungen überzeugen durch ihr breites stilistisches Spektrum von der Renaissance bis zur Moderne und ihren konsequent systematischen technischen Aufbau von der 1. bis zur 4. Lage.

 

 

 

 

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Pop-Hits für Cello enthält Evergreens aus dem Film und Hits aus der Popmusik. Zusätzlich zur 2. Cellostimme wird eine CD mit funkigen Begleitungen in einer Komplettfassung und einer Play-along-Version mitgeliefert. Die technische Stufe von Heft 1 bewegt noch ausschliesslich in der 1. Lage mit engem Griff. Sinnvollerweise wurden die meisten Song-Texte in der Partitur abgedruckt.

 

 

 

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Mit der Groovestrich-Schule bietet die kalifornische Cellistin Susanne Paul eine originelle Einführung in die Welt der lateinamerikanischen Musik. 15 kurze Duo-Stücke demonstrieren den «Groovestrich», eine Strichart, die in Samba, Bossa Nova, Salsa, Jazz, Rock oder Bluegrass verwendet wird. Für die linke Hand sind die Stücke eher einfach zu bewältigen. Die spezielle Bogentechnik setzt jedoch eine fortgeschrittene Stufe bei der Koordination der linken und rechten Hand voraus, damit die rhythmischen Finessen zur Geltung kommen können. Auf der Website www.groovecello.de sind alle 15 Stücke in einer Sound-Cloud abhörbar. Auch Lehrpersonen ist diese Sammlung sehr zu empfehlen!

 

Duo-Schatzkiste, hg. von Elmar Preusser, ED 21386, € 14.00, Schott, Mainz

Pop For Cello 1, hg. von Michael Zlanabitnig, ED 21134, mit CD, € 18.50, Schott, Mainz

Susanne Paul, Die Groovestrich-Schule, PON 1012, € 19.95, Ponticello-Edition, Mainz
 

Musikgeschichte der Schweiz

Mit der umfassenden Neuerscheinung von Angelo Garovi – Historiker, Musikologe und Organist – wurde eine Lücke geschlossen.

Kathedrale/Stiftskirche, St. Gallen. Foto: Zairon

Angelo Garovi – Organist, Historiker, Musikologe, langjähriger Radioredaktor, Staatsarchivar und Universitätsprofessor – bedauerte jahrelang das Fehlen einer neueren Musikgeschichte der Schweiz, bis er sich selber ans Schreiben machte. Vorerst plante er einen Sammelband ähnlich dem Schweizer Musikbuch, das Willi Schuh 1939 zusammen mit zwölf Mitarbeitern herausgegeben hatte. Je mehr der Autor sich aber mit dem Thema in seiner ganzen Breite von der spätrömischen Wasserorgel in Avenches bis zu Mathias Spohrs eben erschienener Anthologie Schweizer Filmmusik beschäftigte, desto klarer wurde die Absicht, das Manuskript nach dem Vorbild von Antoine-Elisée Cherbuliez‘ Standardwerk Die Schweiz in der deutschen Musikgeschichte (1932) als Einzelpublikation zu verfassen. Die Einladung der nordostdeutschen Universität Greifswald zu zwei Gastsemestern erlaubte es Garovi, sein Konzept zu einer Musikgeschichte der Schweiz zu erproben und den Vorlesungstext anschliessend für das vom Verlag verlangte Taschenbuch zu verdichten.

Vor kurzem konnte ein 160-seitiges Büchlein erscheinen, das in 30 knappen Kapiteln über den verblüffend vielseitigen Musikbeitrag der Schweiz informiert. Ein Anhang listet rund dreihundert Namen von Musikschaffenden auf – unter ihnen bisher kaum bekannte komponierende Klosterfrauen und ausländische Komponisten, die sich durch Motive aus der schweizerischen Volksmusik oder Aufenthalte in der Schweiz zu Tonwerken haben anregen lassen. In diesem Zusammenhang dürfte ergänzt werden, dass Bohuslav Martinů seine drei letzten Lebensjahre in der Schweiz verbracht und in Liestal die Oper Die griechische Passion geschrieben hat.

Die Selektion der weiterführenden Literatur zeugt von der Belesenheit und Originalität des Autors. So werden die zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Einzelpublikationen und Aufsätze von Arnold Geering ins rechte Licht gerückt, während man Max Peter Baumanns massgebende Dissertation Musikfolklore und Musikfolklorismus, die erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Jodelkultur, vermisst. Diese Makel, zu denen auch kleine, ganz vereinzelte Ungenauigkeiten zählen – der St. Galler Komponist und Erneuerer der Alphorntradition Ferdinand Fürchtegott Huber wird zum Beispiel als Johann Fürchtegott angeführt – lassen sich in einer weiteren Auflage dieses leicht lesbaren und nützlichen Buches beheben und schmälern weder Dankbarkeit noch Anerkennung für eine Publikation, die ihresgleichen sucht.

Man kann ihr entnehmen, dass im Kloster St. Gallen des 10. Jahrhunderts mit Sequenz (einstimmige Vertonung des Alleluia-Verses) und Tropus (syllabische Textgestaltung melismatischer Gesänge) neue Formen der vokalen Kirchenmusik gepflegt und gefördert wurden. Die Wichtigkeit des Konzils von Basel für die mehrstimmige A-cappella-Musik wird dem aufmerksamen Leser bewusst, führte man damals, im 15. Jahrhundert, doch Werke von Dunstable, Dufay und anderen noch lebenden Komponisten auf. Der Autor, ein quellenkundiger Historiker, kann aus Luzerner Rechnungsbüchern des 14. und 15. Jahrhunderts die Musik alltäglicher Bürger auffächern, während sich die Militärmusik jener Zeit in den Bilderchroniken der alten Eidgenossen spiegelt. Ebenfalls der Hinweis auf den Franzosen Antoine Brumel, Musiker aus Ferrara und von 1486-1490 Organist in Genf, überrascht. Erstmals lässt sich zudem die Erfolgsgeschichte des von verschiedenen Kirchenmusikern vertonten und 1573 auf Deutsch übersetzten Genfer Psalters erahnen, diente dieses erste Gesangbuch der Reformierten doch bis ins 19. Jahrhundert als verbreitetes Hausbuch, das heute noch bei konservativen Old Order Amish in im mittleren westen Nordamerikas verwendet wird.

Unter den Barockkomponisten verdienen Nicolaus Scherrer, der von Händel bewunderte Genfer Geiger Gaspard Fritz und der Luzerner Chorherr Franz Joseph Leonti Meyer von Schauensee, dessen Werke Leopold Mozart in Salzburg aufführte, mehr Beachtung. Als schweizerische Musikgattung des 19. und 20. Jahrhunderts wird das Festspiel bis hin zu Arthur Honegger, Frank Martin und die von Mal zu Mal neu geschaffenen Kompositionen der Fête des vignerons in Vevey erwähnt.

Garovi, der Sohn eines der Zwölftonmusik verpflichteten Komponisten, war von Haus aus vertraut mit der zeitgenössischen Musik und vertiefte seine Kenntnis auch als Radioredaktor dieser Sparte. So gelten denn die Kapitel zur Musik des 20. und 21. Jahrhunderts – sie machen ein Viertel der Publikation aus – als besonders informativ und dokumentieren, dass die Schweiz mit weltberühmten Komponisten wie Klaus Huber, Heinz Holliger, aber auch mit Jürg Wyttenbach, Roland Moser, Hans Ulrich Lehmann, Alfred Schweizer, Balz Trümpy , Beat Furrer u. a. m. einen wichtigen Beitrag zur Musik unserer Zeit leistet.

Angelo Garovis Musikgeschichte der Schweiz verdient grosse Verbreitung und würde sich, auf Englisch übersetzt, als Pflichtlektüre für die zahlreichen ausländischen Musikstudierenden an schweizerischen Musikhochschulen eignen.

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Angelo Garovi, Musikgeschichte der Schweiz,
160 S., Fr. 19.90, Stämpfli, Bern 2015,
ISBN 978-3-7272-1448-6

Endspurt im «Jahr der Klarinette»

Die Musikschule Alato möchte einen Rekord aufstellen und die Musikschule der Region Burgdorf bringt eine Rarität zur Aufführung.

Richard von Lenzano / pixelio.de,SMPV

Der Schweizer Blasmusikverband hat das Jahr 2015 zum «Jahr der Klarinette» erklärt (wir haben berichtet). Damit will er den musikalischen Nachwuchs motivieren, das Klarinettenspiel zu erlernen. Viele Organisationen haben sich mit zahlreichen Aktionen daran beteiligt, eine Aufstellung findet sich auf der entsprechenden Website www.jdk-adlc.ch.

«Der längste Klarinettenton»
Wer gerne Rekorde aufstellt, melde sich sofort bei der Musikschule Alato, um am 21. November in Dietlikon bei der Aktion «Der längste Klarinettenton» mitzumachen. Wer sich zutraut, einen konstanten Ton auf einer Klarinette während möglichst langer Zeit hervorzubringen, ist herzlich eingeladen, sich am Stafetten-Ton zu beteiligen.
Eine Anmeldung bis 17. November ist erforderlich. Informationen unter:
Telefon 052 354 23 30 oder klarinettenton@ms-alato.ch
ms-alato.ch/aktuell.html

Die ersten Mendelssohntage in Aarau

Im Herbst 2015 bereichert ein neues Festival die Schweizer Musiklandschaft, das Felix Mendelssohn Bartholdy und seinem Schaffen gewidmet ist. Initiator ist der Sänger und Dirigent Dieter Wagner.

Stadtkirche Aarau. Foto: Roland Zumbühl, picswiss

Einen neuen Blick auf Mendelssohns musikalisches Schaffen und seine Zeit in der Schweiz (überliefert sind vier Aufenthalte 1822, 1831, 1842 und nach dem Tod seiner Schwester Fanny 1847) eröffnen die Mendelssohntage, die vom 30. Oktober bis 1. November 2015 erstmals in Aarau stattfinden werden.

Die Mendelssohntage Aarau werden vom Orchester argovia philharmonic in Zusammenarbeit mit der Reformierten Landeskirche Aargau, der Reformierten Kirchgemeinde Aarau und der Reformierten Kirchgemeinde Frick organisiert.

Die Zusammenarbeit vom Intendanten des argovia philharmonic, Christian Weidmann, mit Dieter Wagner, Initiator der Mendelssohntage hat ein Festival entstehen lassen, das unter anderem einen musikalischen Stadtspaziergang, ein Kirchenmusik-Symposium, eine Ausstellung im neuen Stadtmuseum und einen Internationalen Orgelwettbewerb umfasst.

Mehr Infos: www.mendelssohntage.ch

Musik zum Sehen

Eine Anthologie in drei CDs, einer DVD und einem Buch bietet umfassende Einblicke in die Geschichte und das Wesen der Schweizer Filmmusik.

Foto: Rainer Sturm/pixelio.de

Schon komisch mit der Filmmusik. Wer direkt nach dem Kinobesuch nach der Musik gefragt wird, wei in der Regel nicht, was er gehört hat. Andererseits, und nun stelle man stelle sich kurz Spiel mir das Lied vom Tod vor, kommen bei manchen Klängen sofort Bilder in den Kopf, die man Jahre, manchmal Jahrzehnte zuvor gesehen hat. Die tiefgreifende Ambivalenz von Filmmusik zeigt sich auch in anderen Bereichen: Weder zu billig oder kitschig sollten Klänge zu Bildern sein, noch zu eigenständig. Thomas Meyer berichtet im fast 400-seitigen Buch der Anthologie Schweizer Filmmusik 1923–2012 von Arthur Honeggers Musik zu den Filmen Rapt (1934), Der Dämon des Himalaya (1935) und Farinet (1938). Meyers Resümee fällt für den Musikliebhaber ernüchternd aus: «Vielleicht war Honeggers Musik auch schlicht zu originell für den Schweizer Film. Originalität ist eine schwierige Qualität. Sie führt zu einem ästhetischen Problem, das bei diesen drei Filmen immer wieder auffällt: Die Musik ist über dem Bild – und nicht im Bild. Sie trägt ‹drüber weg›, entführt die Aufmerksamkeit, schafft Distanz, gibt den Blick auf eine intelligente Betrachtung frei, sie lässt den Zuschauer durchaus schaudern, aber sie lädt nicht zur Identifikation ein und schleust ihn nicht in die Gefühle der Handelnden ein.» (S. 89)

Honeggers erfolglose Griffe in die Trickkiste der hohen Kompositionskunst waren gewiss nicht die einzigen Beiträge zu einer Schweizer Filmmusik. Auf drei CDs und einer DVD dokumentiert die Anthologie, die von der Fondation Suisa ermöglicht wurde, eine reiche Auswahl diverser Richtungen. Da wären die Komponistenkollegen Honeggers, zum Beispiel Bruno Spoerri, der gleich sechs Mal auf der DVD präsentiert ist. Zu La Maggia, einem 1970 entstandenen Experimentalfilm von Kurt Aeschbacher, der diverse Wasseraufnahmen zeigt, steuerte Spoerri eine elektronische Musik bei, die Tropfgeräusche akustisch verdoppelt, aber auch energetische Wasserzustände wie Flieen oder Stillstand widerspiegelt. Mathias Spohr, Herausgeber der umfassenden Anthologie, legt Wert auf die Vielfalt, den «vielstimmigen Chor» der Schweizer Filmmusik. Tatsächlich beachtlich ist die Breite und die besondere Entwicklung, die von der Instrumentalmusik der frühen 1920er-Jahre über die ersten elektrischen Klangerzeuger (Ondes Martenot, Trautonium) bis hin zu modernen Sounddesigns reicht. Als besonders ergiebig erweisen sich die kulturhistorischen Hintergründe, die Bruno Spoerri lebendig und eindrücklich beschreibt. Dazu gehört das Aufkommen des Tonfilms, der vielen Schweizer Musikern die Arbeitslosigkeit bescherte. Und dazu gehören auch Einblicke ins Zürcher Kinowesen der 20er- und 30er-Jahre. Etwas fragwürdig sind so einige Werbespots von Orange oder Migros, die weder inhaltlich noch musikalisch überzeugen. Aber gut, das sind Kleinigkeiten. Die äuerst gründlich lektorierte Anthologie bleibt nicht nur für die seltene Spezies der Filmmusikforscher von grossem Wert.

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Mathias Spohr, Anthologie Schweizer Filmmusik 1923–2012, Box mit drei Audio-CDs, einer DVD und
einem Buch (396 S.), hg. von Mathias Spohr, in deutscher, französischer, italienischer und englischer Sprache, gebunden, Fr. 69.00, Chronos Verlag, Zürich 2015,
ISBN 978-3-0340-1265-2

Jenseits des Ästehtischen?

Max E. Keller hat vier Hörstücke aus den Siebzigerjahren wieder oder erstmals auf CD herausgebracht

Foto: Kai Stachowiak/pixelio.de

Natürlich sind Max E. Kellers Werke für Tonband politische Musik, radikale sogar. Deutlich insistierende Sprechstimmen in Sicher sein beziehen sich auf Schweizer Banken, die schon Mitte der 70er-Jahre ihre Gewinne maximierten, während die Arbeitslosigkeit rapide zunahm. In den 1979 entstandenen Hymnen ist ein authentischer Bericht eines gefolterten Chilenen zu hören. Konterkariert wird die Grausamkeit von Phrasen, die aus einem Tourismusprospekt stammen könnten, während im Hintergrund die selbstbewussten Hymnen verschiedener Länder laufen. Die Marsellaise drängt sich in den Vordergrund, Gleichheit und Brüderlichkeit – zeitgleich ist von elektrischen Schlägen, Tritten, Blutlachen und Verbluteten die Rede.

Solch direkte Weltspiegelung ist und war schon immer ein ästhetisches Problem. Was sollen Betrachtungen über Zeitdauern, Tonhöhen-Organisation oder kompositorische Qualität, wenn ganz bewusst realitätsnah von Folter, Tod und Unterdrückung berichtet wird? Sicher sind das Fragen, die auch Arnold Schönbergs Ein Überlebender aus Warschau betreffen. Bei diesen vier Hörstücken drängt sich die Frage wieder auf. Leider auch die Einsicht, dass vieles seit den 70ern, aus denen alle Werke stammen, kaum besser geworden ist – mit dem Unterschied, dass es nur noch wenige so kritisieren, wie Keller es schon vor 40 Jahren tat.

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Max E. Keller: Vier politische Kompositionen für Tonband, Tochnit Aleph TA 134 

Musikbeispiel Hymnen

 

Wie lernen
 Senioren?

Mechanismen der
Hirnplastizität beim
Musikunterricht im Alter.


Musik machen und Musik hören gehören zu den wichtigsten Freizeitaktivitäten. Musikalische Aktivitäten sind dabei schon lange nicht mehr auf das Kindes- und Jugendalter beschränkt, sondern eine steigende Anzahl von älteren Erwachsenen will erstmals ein Instrument erlernen. Deren Anteil stabilisiert sich schon seit vielen Jahren bei etwa 10 Prozent der Schülerbelegungen der Musikschulen.


Musizieren ist eine der anspruchsvollsten Leistungen des menschlichen Zentralnervensystems. Die koordinierte Aktivierung zahlreicher Muskelgruppen muss mit höchster zeitlicher und räumlicher Präzision und häufig mit sehr hoher Geschwindigkeit geschehen. Dabei unterliegen die Bewegungen einer ständigen Kontrolle durch das Gehör, durch den Gesichtssinn und durch die Körpereigenwahrnehmung. Darüberhinaus werden Gedächtnissysteme und Emotionsnetzwerke aktiviert.


Es ist unbestritten, dass Musizieren die Entwicklung des Nervensystems in allen Lebensaltern, also auch im hohen Erwachsenenalter fördert. So findet man bei älteren Berufsmusikern zahlreiche Anpassungen, die Zeichen der «Hirnplastizität» sind: Das Broca’sche Sprachzentrum in der linken Stirnhirnregion ist vergrössert – was erklärbar ist, da Musiker in Klängen «sprechen». Das Kleinhirn, zuständig für feinmotorische Koordination, ist grösser, und die Hörrinde im oberen Anteil des Schläfenlappens weist ebenfalls eine grössere neuronale Dichte auf. Übungsabhängige neuroplastische Anpassungen der Nervenfasern betreffen neben dem Balken auch andere Faserstrukturen: Die sogenannte Pyramidenbahn, die von den motorischen Hirnrindenanschnitten zu den motorischen Nervenzentren im Rückenmark zieht, ist bei Pianisten stärker ausgeprägt als bei nicht musizierenden Kontrollen.


Auch bei älteren musikalischen Laien ist der Einfluss musikalisch-sensomotorischen Lernens auf die neuronalen Netzwerke der Grosshirnrinde schon vor über zehn Jahren beim Erlernen des Klavierspiels nachgewiesen worden. Überraschend war hier die zeitlichen Dynamik: Bereits nach 20 Minuten Klavierüben entstand bei erwachsenen Anfängern eine funktionelle Kopplung mit gleichzeitiger Aktivierung der Nervenzellverbände in den Hörrinden und in den sensomotorischen Arealen. Diese schnelle Änderung kann nur durch Zunahme der Vernetzung erklärt werden. Nach fünf Wochen Training am Klavier waren diese zunächst nur vorübergehenden Änderungen der neuronalen Vernetzung stabil und es kam zu einer Zunahme des neuronalen Austausches und der neuronalen Leitgeschwindigkeit zwischen den Hör- und Bewegungsregionen. Diese Veränderungen können bereits mit einer verstärkten Bemarkung der Nervenfasern, die Hör- und Bewegungsverarbeitung verbinden, erklärt werden. Aber nutzt das auch etwas für die allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit?


Die bislang wohl aussagekräftigste Studie, in der mit psychologischen Methoden Transferleistungen musikalischer Aktivität auf andere Denkfertigkeiten älterer Menschen untersucht wurde, stammt von Bugos und Kollegen. Die Autoren erteilten 16 Senioren im Alter zwischen 60 und 85 Jahren über sechs Monate Klavierunterricht und verglichen die kognitiven Leistungen mit einer Kontrollgruppe von 15 gleich alten Probanden vor und nach dem sechs Monate anhaltenden Klavierunterricht. Drei Monate nach Abschluss des Trainings wurde eine letzte Testung der kognitiven Fertigkeiten durchgeführt. Die Klaviergruppe hatte nach dem Unterricht eine Verbesserung von Leistungen, die Arbeitsgedächtnis und exekutive Funktionen, wie Planung und Strategiebildungen mit einschlossen. Diese Leistungsverbesserungen waren allerdings eher schwach ausgeprägt und teilweise drei Monate nach Beendigung des Unterrichts nicht mehr nachweisbar. Dennoch ist hier ein erster Nachweis der oben aufgeführten Veränderungen durch musikalisches Training gelungen.


Schlingensiefs Operndorf soll weiterleben

Christoph Schlingensief wird posthum mit dem Konrad-Wolf-Preis geehrt. Die Auszeichnung ist nach einem Filmregisseur und langjährigen Präsidenten der Akademie der Künste der DDR benannt.

Im Operndorf 2014. Foto: Thierry K. Oueda

Konrad Wolf sei ein politischer Filmemacher gewesen, heisst es in der Begründung. Für ihn sei es nicht nur wichtig gewesen, was Filme zeigten, sondern auch, was sie bewirkten. Daher solle der Preis «in seiner geistigen Dimension an einen Filmkünstler gehen, der sich seinen autobiographischen Eigensinn und seine politische Unabhängigkeit nie austreiben liess».

Das Preisgeld geht an das Operndorf in Burkina Faso und zwar «an die dort projektierte Unterstützung für Jugendliche, sich das Cineastische als Ausdrucksmittel anzueignen». Den Preis nimmt denn auch Aino Laberenz, die Geschäftsführerin des Operndorfes Afrika entgegen.

Das Projekt Operndorf Afrika ist von Schlingensief in Burkina Faso anfangs 2010 als Ort internationaler Begegnung ins Leben gerufen worden. Die Regierung von Burkina Faso hat dazu 20 Hektar Land in der Nähe der Hauptstadt Ouagadougou zur Verfügung gestellt. Das vom burkinischen Architekten Francis Kéréhat realisierte Dorf grenzt an einen seit gut 25 Jahren bestehenden Skulpturenpark.

Friedenskonzerte in der Schweiz

Die Jesuiten weltweit organisieren seit 2006 Konzerte mit jungen Musikerinnen und Musikern aus vier Kontinenten. Am Mittwoch, 21. Oktober, und am Donnerstag, 22. Oktober, macht das Jugendorchester Station in Sursee und Zürich.

Dirigent Max Röber mit dem Jugendorchester auf der Tournee 2013. Foto: zVg

Ziel des Projektes, das zum sechsten Mal durchgeführt wird, ist Kulturaustausch in der Sprache, die die ganze Welt versteht – der Musik. Angesichts der vielen Konflikte will die diesjährige Tournee ein Zeichen für den Frieden setzen. Den Rahmen des Konzertes bildet deshalb die Aufführung des Werks The Armed Man – A Mass For Peace für Chor und Orchester von Karl Jenkins. Ergänzt wird das Programm mit Musik aus aller Welt. Die musikalische Leitung liegt beim Dresdner Dirigent Max Röber.

Wie die Organisatoren mitteilen, kommen die jungen Musiktalente aus den ärmsten Vierteln der Welt. Ende September sind rund 30 junge Erwachsene aus Sozial- und Bildungsprojekten der Jesuiten aus vier Kontinenten in Nürnberg zusammengekommen, wo sie sich auf die Europatournee vorbereiteten. Aus der Schweiz sind eine virtuose Violinistin aus Gossau und ein junger Sänger von der Kantonsschule Sursee mit dabei.

Auf der Tournee vom 16. bis 24. Oktober macht das Nationenorchester einen kurzen Aufenthalt in der Schweiz. Am Konzert vom 21. Oktober um 19.30 Uhr in der Stadtkirche St. Georg in Sursee wird auch Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga teilnehmen. Das Konzert wird am 22. Oktober in der Pfarrei Herz Jesu Wiedikon um 19 Uhr wiederholt. Eine CD wird ab Dezember erhältlich sein.

Weitere Informationen:

www.jesuiten-weltweit.ch/weltweite-klaenge-2015 html

Alten-Kulturstiftung zeichnet Maki Wiederkehr aus

Die Solothurner Pianistin Maki Wiederkehr erhält den mit 20’000 Franken dotierten Förderpreis der Solothurner Kulturstiftung Kurt und Barbara Alten 2015.

Foto: Andreas Zihler

Maki Wiederkehr verdiene den Preis als besondere Anerkennung ihrer hervorragenden Leistungen am Klavier, schreibt die Stiftung. Er solle dazu beitragen, dass die junge Künstlerin ihr hoch entwickeltes Spiel weiter verfeinern und neue Pläne realisieren könne.

Maki Wiederkehr studierte bei Hiroko Matsumoto in Nagoya (Japan), danach in der Schweiz bei Taeko Szedlak an der Musikschule Konservatorium Bern, an der Kantonsschule Solothurn bei Adalbert Roetschi und an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK).

Das Studium in der Solistenklasse an der ZHdK (ab 2003) schloss sie im Winter 2008/2009 mit dem Konzert- und Lehrdiplom bei Homero Francesch ab. Von 2010 bis 2014 unterrichtete sie Klavier an der Musik-Akademie Basel. Sie ist nun an der Musikschule Konservatorium Zürich tätig. Zudem ist sie die Pianistin des mehrfach international ausgezeichneten Klaviertrios Trio Rafale.

Die Schweizer Kulturstiftung Kurt und Barbara Alten vergibt seit 2003 alle zwei Jahre Förder- sowie Anerkennungspreise an Kunstschaffende mit engem Bezug zum Kanton Solothurn.

Donaueschingen kämpft gegen Männerdominanz

Björn Gottstein, der neue künstlerische Leiter der Donaueschinger Musiktage, will aktiv dafür sorgen, dass komponierende Frauen mehr Gehör erhalten. Ihr Anteil an der aktuellen Musikproduktion ist seiner Überzeugung nach noch immer viel zu gering. Das diesjährige Programm der Musiktage gibt ihm recht.

Wenig Frauen im Programm. Das enseble mosaik tritt am diesjährigen Festival auf. Foto: Distruktur

«Die Donaueschinger Musiktage sind seit ihrer Gründung geprägt von männlichen Komponisten, der Frauenanteil ist verschwindend gering», zitiert die Deutsche Presseagentur Gottstein, der das Amt vom verstorbenen Armin Köhler übernommen hat. Es gebe nun konkrete Planungen, um dem populären Neue-Musik-Treffen eine weiblichere Note zu verleihen.

In der aktuellen Ausgabe des Festivals – sie geht am 16. bis 18. Oktober über die Bühne und ist faktisch bereits ausverkauft – ist als Komponistin gerademal Olga Neuwirth vertreten. Sie hat die Klangräume des Markusdom in Venedig im elektronischen Studio analysiert und musikalisch anverwandelt.

Die Donaueschinger Musiktage 2015 beleuchten vom 16. bis 18. Oktober die Neue Musik mit 18 Uraufführungen und vier Klanginstallationen in ihrem Spannungsverhältnis zur klassischen Tradition.

 

 

 

«In den Hallen der Gehirnstadt»

Eine Art Musiktheater zwischen Lyrik, Bild und improvisierter Musik mit Jeannine Hirzel, Peter K Frey und Daniel Studer. Bericht von der Uraufführung am 25. September im Kunstraum Walcheturm Zürich.

Foto: Dominic Büttner

Ein Duo von Kontrabässen, in der Tiefe ansetzend und sich allmählich ausbreitend, im Lauf des Abends über etliche Klang- und Geräuschregister, wie sie zwei so exzellente Improvisatoren wie Daniel Studer und Peter K Frey draufhaben. Hinzu kommen über die Lautsprecher bald einmal erste Einstreusel aus einem traumartigen, halbschläfrigen Text des Lyrikers Kurt Aebli – und bald auch Geräusche. Woher? Ist es wichtig, das zu wissen? Das Programmheft verrät uns: aus einer Zürcher Tramwerkstatt. Hätten wir das herausgefunden? Was sagt uns dieser Ort des stillstehenden urbanen Verkehrs und der Wartung? Bewegen wir uns traumwandlerisch durch eine imaginäre Stadt? Später werden auf dem Monitor erste einzelne Bilder erscheinen, Bilder einer Landschaft, einer städtischen Umgebung.

Schliesslich ein Schnitt: Die Sängerin Jeannine Hirzel tritt auf, sie spielt keine Rolle, sie setzt sich, singt erste sinnfreie Laute, rezitiert dann sprechsingend Texte, es sind die bereits gehörten, die nun auch zuweilen antifonal aus den Lautsprechern zurücktönen. Die einzelnen Bilder fügen sich zu einem Film aus Stopps zusammen – einem Film mit unscharfer, etwas traumhafter Patina. Er stammt aus Super-8-Aufnahmen, die der Architekt Ernst Studer drehte, als er von 1975 bis 1977 an der ETH mit Wachsfiguren utopische Städte entwickelte.

Musik, Text, Laut, Gesang und Film also treffen aufeinander, und daraus wächst langsam das musiktheatrale Stück heran, das Peter Schweiger in Szene gesetzt hat. In den Hallen der Gehirnstadt, so der Titel nach einer Aebli-Passage: «ich war besessen von der Idee Wörter die sich durch die Hallen meiner Gehirnstadt bewegten ein Strom fremder Menschen ich liess ihnen ihr Leben ihre hässliche Gestalt vielmehr Gruppierungen von Buchstaben und Silben die mir mein Gehör wiedergaben die mir meine Augen wiedergaben die mir mein Herz meine Seele meinen Körper strenggenommen» …
Buchstaben, Silben, Wörter gruppieren – und ihnen über die Sinne und die Seele einen Sinn geben, so liesse sich auf simple Weise paraphrasieren, was in diesem Stück geschah. Denn erst die Wahrnehmung schuf bald aus den multimedialen Konstellationen Zusammenhänge. Pareidolisch bildete sie Grammatiken und Strukturen, stellte Beziehungen her und fragte sich zugleich selbstreflexiv: Sind überhaupt Beziehungen in der Heterogenität dieser Ereignisse vorhanden? Geht es nicht auch um die Selbstwahrnehmung des Wahrnehmenden? Wie im Text Aeblis – und auf der Bühne. Plötzlich nämlich blicken wir auf dem Bildschirm – via Kamera – ins Gesicht der Sängerin. Später beobachten wir die beiden Bassisten in ihrem Spiel. So betrachtete sich das Stück selber. Nun ja: Warum diese Selbstbespiegelung, die immer ein Moment des Peinlichen in sich hat? Ist solche vergrössernde und verdoppelnde Selbstbespiegelung nicht blind geworden? Ein schönes Accessoire aus den Zeiten der Reflexivität – vielleicht etwas zu viel und unnötig. Aber es gehörte wohl zu diesem «Versuch, das ständig reflektierte Verlangen nach Vollendung und dessen momentanes Scheitern oder Gelingen im bildmächtigen Entwurf einer Stadt der Zukunft erlebbar zu machen». So der Programmhefttext.

War’s das? Das formulierte Ansinnen wurde mir persönlich zu wenig klar. Insgesamt aber war die halbwache Geruhsamkeit der Konstellation eindrücklich, die angestrebte «ungefätterlige» Intensität, ein grosser Ernst. Ein in sich stimmiges Stück entstand so, wenn auch kaum fulminant oder spritzig, ja man mochte sich fragen, ob es nicht auch ein bisschen zufrieden war mit seiner verqueren, gehirnwindigen Stimmigkeit. Jedenfalls sprang es nicht auf, machte keine Salti, schon gar nicht mortali – musste, wollte es vielleicht auch nicht …

War’s nicht eklatant, so vielleicht doch wegweisend. Den Schlüssel liefert dafür der unscheinbare Untertitel: «Eine Spielanordnung». Die «Anordnung» verweist uns darauf, dass hier etwas vorgeordnet ist – wie man das ja eigentlich bei frei improvisierter Musik meist nicht macht. Es ist aber im Sinn einer Auslegeordnung, eine Dramaturgie zu ermöglichen und dennoch Raum zur freien Ausgestaltung zu geben. Das scheint nicht sonderlich neu zu sein, ist aber doch zentral, wenn es darum geht Gesang und Text einzubeziehen: Denn das ist immer noch keine Selbstverständlichkeit in diesem Genre, sondern eine Herausforderung, die eine lineare Fixierung voraussetzt. In dieser Richtung führten schon einige frühere Projekte wie jene etwa des Improvisationstrios Karl ein Karl, dem ja auch Peter K Frey angehört. Mit der musiktheatralen Anordnung und der freien Improvisation bzw. ihrem Zusammenspiel entsteht etwas Eigentümliches, eine Konstellation, die ich fast als essayistisches Musiktheatermachen bezeichnen möchte.

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