Kontinuität in der Schweizer Kulturpolitik

An seiner heutigen Sitzung hat der Bundesrat die Vernehmlassung zur Botschaft über die Förderung der Kultur für die Periode 2021-2024 eröffnet. Bis am 20. September kann man zur neuen Kulturbotschaft Stellung nehmen.

Der Bundesrat fasst in seiner heutigen Medienmitteilung die wichtigsten Punkte aus der neuen Kulturbotschaft zusammen: Die drei «Handlungsachsen – kulturelle Teilhabe, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Kreation und Innovation – werden für die Periode 2021-2024 beibehalten.» Für die Umsetzung des zur Vernehmlassung vorgelegten Entwurfs seien 942,8 Millionen Franken vorgesehen, was einer Mittelaufstockung von 35.4 Millionen Franken entspreche.

Im Bereich «kulturelle Teilhabe» solle das Programm «Jugend und Musik» konsolidiert werden. In Zusammenarbeit mit den Kantonen und mit Musikorganisationen werde der Bundesrat eine musikalische Begabtenförderung einführen. Im Bereich «gesellschaftlicher Zusammenhalt» würden die schulischen Austauschaktivitäten zwischen den Sprachgemeinschaften verstärkt und ein Austauschprogramm für Lehrpersonen eingerichtet. Im Bereich «Kreation und Innovation» solle schliesslich die Kooperation zwischen Kultur und Wirtschaft fortgesetzt werden.

Zudem setze der Bundesrat neben der Kontinuität einen besonderen Schwerpunkt auf die Digitalisierung. Der digitale Wandel beeinflusse sämtliche Bereiche und Institutionen der Kultur in Bezug auf Produktion, Vermittlung und Erhaltung.

In der Förderperiode 2021-2024 solle die Zusammenarbeit mit den Kantonen, Städten und Gemeinden im Rahmen des Nationalen Kulturdialogs fortgeführt werden. Der Bund wolle sich zudem für die Gleichstellung von Frauen und Männern im Kulturbereich und für eine angemessene Entlöhnung der Kulturschaffenden einsetzen.

Die Vernehmlassung dauert bis am 20. September 2019. Der Entwurf der Kulturbotschaft wird am Treffen der Parlamentarischen Gruppe Musik vom 5. Juni in Bern vorgestellt.
 

Link zur Kulturbotschaft 2021-2024

Die Botschaft kann von dieser Seite heruntergeladen werden:

https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-75271.html

 

Es ist ein Zeit-Ding!

Michael Egger, der Sänger der Band Jeans for Jesus, ertappt sich beim Warten ständig am Handy. Seine Texte und Melodien brauchten aber Zeit, sagt er, und manchmal Druck. Auf Tour und in ihrer Arbeitsweise ist Warten Alltag für die Band.

Michael Egger, Sänger der Band Jeans for Jesus. Foto: Éric Bolliger
Es ist ein Zeit-Ding!

Michael Egger, der Sänger der Band Jeans for Jesus, ertappt sich beim Warten ständig am Handy. Seine Texte und Melodien brauchten aber Zeit, sagt er, und manchmal Druck. Auf Tour und in ihrer Arbeitsweise ist Warten Alltag für die Band.

Die Berner Band Jeans for Jesus publizierte 2014 ihr erstes Album, nachdem sie mit Estavayeah – auch für sie selbst unerwartet – den Schweizer Sommerhit des Jahres 2013 gelandet hatte. Sie macht zeitgenössisch digitale, sphärisch elektronische Musik mit berndeutschen Texten. Die Mitglieder, Michael Egger (Mike), Philippe Gertsch (Phil), Demian Jakob (Demi) und Marcel Kägi (KG), kennen sich seit der Schulzeit; Jeans for Jesus entstand aus einer Schülerband. Auch das zweite Album «P R O» von 2017, das sie zusammen mit einem Parfum herausbrachten, war ein Erfolg. Im Moment warten die Fans auf das dritte, das Ende dieses Jahres herauskommen soll.

Bereits auf eurem ersten Album singt ihr: «Au di huärä Apps heimer ds Wartä vrlehrt.» Könnt ihr, kannst du noch warten? Ohne Smartphone?
Apps werden ja so programmiert, dass wir möglichst viel Zeit damit verbringen. So kommen die Hersteller an möglichst viele Daten heran und können Werbung schalten. Dagegen kann ich mich natürlich auch nicht wehren und ertappe mich häufig dabei. Nein: Warten kann ich kaum noch ohne Smartphone.

Aber das ist nicht, weil du Jeans for Jesus in den sozialen Medien repräsentieren musst?
Nein, wir sind als Band nicht so aktiv auf diesen Kanälen. Ich lese oft Zeitungen, schaue manchmal Videos. Aber es ist trotzdem viel stumpfsinniges Zeug dabei.

Denkst du, dass mit dem Warten etwas verloren geht?
Ich beschwöre ungern die guten alten Zeiten herauf, deshalb: eher nicht. Nur die Aufmerksamkeit ist ein Problem. Lehrer, die ich kenne, meinen, es sei für die Schüler schwieriger geworden, einen Text zu lesen, sich eine Viertelstunde zu konzentrieren. Man kann diese Entwicklung natürlich nicht abschliessend beurteilen, und ich selbst war schon früher leicht abzulenken, wenn mich etwas nur bedingt interessierte. Ich finde einzig, die Langeweile sollte nicht verloren gehen.

Warten und Langeweile sind also etwas Wichtiges?
Genau, um sich in Geduld zu üben – oder, vor allem bei mir, der eher ungeduldig ist, um Einfälle zu haben. Und es ist auch etwas Schönes.

Nicht nur das Warten haben die Smartphones verändert. Streaming hat auch die Musikwelt auf den Kopf gestellt: Musik kann nahezu gratis abgespielt werden. Auf euren beiden Alben setzt ihr euch kritisch mit Konsum auseinander. Wie stehst du zu diesem neuen Musikkonsum?
Wir haben nie zu einer Zeit Musik gemacht, als man damit noch Geld verdienen konnte in der Schweiz. Deshalb hat der Wandel andere härter getroffen. Wir kennen Musikerinnen und Musiker, die noch Alben mit sechsstelligem Budget produzierten. Damals hat man mit zehntausend verkauften CDs hunderttausend Franken eingenommen. Wir sind nicht weit weg von diesem Bereich, aber verdienen quasi nichts. Doch man kann das nicht aufhalten, schon gar nicht als Einzelner. Ausserdem ist die Produktion grundsätzlich billiger geworden. Musikmachen ist damit viel breiteren Schichten zugänglich und ein Stück weit demokratisiert worden. Man braucht eigentlich nur noch einen PC und im Idealfall etwas Talent. Zudem ist Streaming eine Riesenchance, um anderes zu entdecken – und bekannter zu werden.

Was mich an der Schweizer Situation eher betrübt bezüglich Konsum ist, dass man unbedingt ein, zwei Songs schreiben muss, die vom Radio gespielt werden. Wenn man das nicht macht, ist man als Popband schnell unter dem Radar. Das führt zu vielen Kompromissen, die man auch bei uns hört. Estavayeah oder auch Wosch no chli blibä haben viel weniger Ecken und Kanten als andere Songs. Und bei Spotify wird dieser Effekt verstärkt. Mich erstaunt, wie viele Musiker mittlerweile sehr unauffällige Musik kreieren, die im Hintergrund gespielt werden kann.

Eine Veränderung in Richtung Quantität. Hat das Einfluss auf die Qualität?
Ich glaube, bei uns kaum; wir haben versucht, uns nicht gross darauf einzulassen. Aber natürlich ist der Einfluss spürbar. Hier kommt auch ein Stadt-Land-Graben ins Spiel: Viele Musiker, wie wir als Popband, die zeitgenössische, international geprägte Musik machen wollen, haben fast nur Erfolg in den Städten. Um in der ganzen Schweiz bekannt zu sein, gehen andere sehr viele Kompromisse ein und biedern sich an. Man hört, dass die Musik für eine breite Masse gemacht worden ist.

Auf internationaler Ebene passiert das Gleiche: Im Hinblick auf Streaming-Konsumenten haben Stars wie Drake oder Migos in den letzten Jahren ellenlange Alben mit durchschnittlich 25 Songs publiziert.
Genau, das passiert bei sehr vielen Musikern, die wir auch gerne hören. Und kurze Songs sind auch immer stärker verbreitet.

Auf eurem letzten Album «P R O» sind aber ebenfalls satte 18 Tracks zu hören.
Ja, das stimmt, aber das war kein Kalkül. Dieses Denken funktioniert bei unserer Grösse sowieso nicht, weil Streaming da finanziell unbedeutend ist. Wir wollten einfach keinen mehr streichen. Dafür hatten wir zu wenig Zeit vor dem Release. Eigentlich sollte man einen Monat Zeit haben, um etwas Abstand zu bekommen und danach noch drei, vier Songs zu streichen. Beim neuen Album wird es dafür aber auch nicht reichen.

Die Zeit drängt. Trotzdem habt ihr euch drei Jahre Zeit gelassen zwischen dem ersten und dem zweiten Album. War es ein bewusstes Warten?
Die Faustregel besagt eigentlich: zwei Jahre. Es gibt Bands, die bringen alle zwei Jahre ein Album heraus, weil sie davon leben wollen. Das wäre der ideale Zyklus mit Konzerten usw. Bei uns entsprechen die drei Jahre einem fast natürlichen Prozess. Wir sind alle voll berufstätig und unsere Art Musik braucht auch Zeit …

Was meinst du damit?
Unsere Musik ist insofern zeitgenössisch, als dass wir Instrumente und Stimmen am Computer extrem bearbeiten, Analoges und Digitales verschmelzen, bis wir mit der Klangästhetik zufrieden sind. Das dauert. Und die Sounds so auf die Bühne zu bringen, ist technisch relativ anspruchsvoll. Für unser letztes Live-Set haben wir z. B. das Licht über ein Computerprogramm mit der Musik gekoppelt, was komplizierte und zeitaufwendige Programmierprozesse nötig machte.

Und nun kommt euer drittes Album nach ebenfalls drei Jahren?
Ja! Wenn alles klappt, können wir im Herbst mit den Konzerten anfangen. In dieser Phase sind wir dann an den Weekends ein, zwei Abende weg, vielleicht noch eine Probe, dann ist die Zeit, die wir für Musik zur Verfügung haben, schon wieder weg. Das heisst: Erst nach einem Jahr Touren fängt man langsam wieder an, neue Musik zu machen.

Ihr habt also nicht gewartet, sondern braucht einfach diese Zeit.
Genau, es ist ein Zeit-Ding! Nur wenn die Musik dein Beruf ist, kannst du während der Tour bereits ein neues Album einspielen. Oder du gibst die ganze Freizeit weg.

Von der Musik leben, könnt ihr aber nicht?
Das können nur extrem wenige in der Schweiz und von denen, die es könnten, haben viele einen Job. Bei uns steht es nicht einmal zur Debatte. Ich verdiene vielleicht 10 000 Franken im Jahr, optimistisch gerechnet.

Es ist also mehr ein Hobby als ein Job?
Es ist keins von beiden. Es ist eine Leidenschaft. Wenn wir uns untereinander fragen, «Ist es für dich eigentlich nur ein Hobby?», ist das eher als Witz gemeint.

Wann seid ihr als Band sonst am Warten?
Auf Touren wartet man extrem viel. Meistens muss man bereits am Nachmittag im Club sein, man baut auf, dann wartet man und wartet und isst und wartet wieder.

Wir warten aber auch wegen unserer Arbeitsteilung viel aufeinander. Du machst etwas an der Musik oder am Text, schickst es an die anderen und wartest auf ein Feedback oder dass ein anderer daran weiterarbeitet.

Ist es das, was ihr als Dropbox-Band bezeichnet?
Genau, wir haben einfach etwa fünf Chats, in denen konstant Ideen und Musik hin- und hergeschickt werden. Da drehen Leute, die viel mit uns zu tun haben, fast durch. Alles andere wäre für uns aber nicht sinnvoll. Eine Rockband geht ins Studio und jammt. Bei uns hingegen macht in der Regel Phil eine Skizze, dann kommt der Song meist zu Demi und mir, wir schreiben Melodien mit einem Fantasietext, produzieren weiter. Dann geht der Song zurück,, hin und her. Meist werden zahlreiche Versionen und Skizzen erstellt, zum Teil sind weitere Musikerinnen und Musiker involviert. Die anderen arbeiten von überall an der Musik, Demi und ich von überall an den Texten. Wenn jemand etwas Neues gemacht hat, kann man das unterwegs hören und Feedback geben. Das ist sehr praktisch. Wir haben es immer sehr lustig im Chat. Bis KG alles zu einem Song giessen muss, was weniger lustig ist für ihn.

Dann seht ihr euch als Band gar nicht so oft?
Zu viert? Nein, nur etwa alle zwei, drei Wochen. Demi und ich sehen uns aber im Moment sehr oft, da wir zusammen die Texte schreiben. Und KG und Phil sehen sich wohl auch öfter.

Aber ihr habt schon ein Bandgefühl?
Ja, sehr. Wir gehen immer wieder zusammen weg. «P R O» entstand grösstenteils in Atlanta und Ende Juni sind wir ein paar Tage in Italien. Das sind die besten Momente.

Das klingt extrem locker. Verläuft auch eure Karriere so?
Nur beim ersten Album, denn es gab keinen Druck damals. Damit haben wir vielleicht 2010 oder 2011 angefangen, über Monate passierte manchmal nichts. Aber als «Estavayeah» ein solcher Hype wurde, mussten wir möglichst schnell das Album fertig machen – das war eine Hauruckübung – und auftreten. Wir waren überhaupt nicht darauf eingestellt, eine Band zu sein. Jeder war um die 25 Jahre alt und hatte viel privates Zeug los. Ich hatte damals gerade in der Wissenschaft Fuss gefasst. Erst im Verlauf der Tour haben wir richtig mitbekommen, was passiert war. Und für das zweite Album standen wir dann extrem unter Druck – gefühlt zumindest.

Auch Druck vom Label? Ihr seid ja bei Universal, keinem kleinen Label.
Nein, gar nicht, das sind nur Vorstellungen, die herumgeistern. Der Druck kommt eher von der positiven Presse, vom Feedback, den Erwartungen. Wenn du so gehyped wirst, musst du etwas Gutes machen, etwas Besseres. Wir finden, das zweite Album sei besser als das erste, aber es war viel schwieriger.

Je besser eure Musik wird, desto weniger könnt ihr abwarten und schauen, wie sich die Sache weiterentwickelt?
Das kommende Album wird recht viel entscheiden, zeigen, wie es weitergehen könnte. Es kann sein, dass wir ein, zwei Sachen im Ausland oder in der Westschweiz machen können, das wäre natürlich cool. Auf «P R O» sind ja bereits zwei Songs auf Französisch und wir haben Lust, mit der Sprache zu spielen. Wenn es aber im Rahmen der letzten Tour bleibt, nehmen wir uns vielleicht mehr Zeit und verlassen den bisherigen Zyklus, um etwas Anspruchsvolleres, Merkwürdigeres zu produzieren, wer weiss …

Zeit haben ist also trotz allem wichtig für die Qualität?
Extrem! Gleichzeitig schafft man manchmal nur unter Druck gutes Zeug. «Wosch no chli blibä» haben wir in drei Tagen gemacht. Kurz vor der Veröffentlichung von «P R O» hatten wir Krisensitzung. «Es ist kein einziger Song drauf, der am Radio laufen wird», sagte ich. «Dann müssen wir halt jetzt noch einen machen», meinte KG. Phil ging nach Hause und hat in einem Tag einen Beat produziert, Demi und ich in einem Tag einen Text … Zuviel Zeit ist auch nicht immer gut.

Schnell seid ihr auch im Aufgreifen technischer Entwicklungen.
Ja, wir finden das spannend. Etwa die Perspektive, dass Songs zusammen mit künstlicher Intelligenz (KI) geschrieben werden könnten. Es gibt aber auch eine grosse Retro-Bewegung, gerade im Feuilleton, die finden alte Geräte, Gitarren, 80er-Synthesizer gut. Einige Journalisten haben uns sogar angekreidet: soviel Digital-Bearbeitung …

Ihr wurdet aber auch sehr gelobt, mit Frank Ocean oder Kanye West verglichen.
Beides, ja. In der Musik sieht man wirklich, dass die Leute Angst haben oder sagen wir: ein Unbehagen der Technik gegenüber. Wir haben einmal am Geburtstag meiner Mutter gespielt. Die Leute dieser Generation mögen Rockbands. Es war mir nicht möglich, ihnen zu erklären, dass es im Grunde dasselbe ist wie Klavierspielen, wenn ich auf ein Pad schlage und dadurch vorprogrammierte Sounds auslöse. Es ist wohl ein Wahrnehmungsproblem. Die Unterscheidung von analogem und digitalem Klang ist schwierig. Vom Moment an, wo man auf eine Taste drückt, gibt es eigentlich keinen «natürlichen» Klang mehr.

Mit KI kommt aber trotzdem die Frage auf, ob es in Zukunft überhaupt noch einen Künstler oder eine Band wie euch braucht?
Es ist doch die Frage, wie man sie künstlerisch wertvoll einsetzt. Wir sind sehr fortschrittsoptimistisch und technikaffin, aber man muss natürlich beobachten, was die Programme leisten. Kanye West arbeitet schon heute vergleichbar: Seit Jahren lässt er von jedem Lied zig Versionen machen, von den Produzenten, die gerade am angesagtesten sind. Aber schliesslich muss jemand entscheiden: Das ist gut und das nicht. Bis KI das kann, wird es in meinen Augen noch recht lange gehen.

Vielleicht wird man das auch dann lieber selber tun, weil es Spass macht?
Ja, das wird superinteressant. Aber was auch sein kann, das sagt Demi immer, dass die Musik an Stellenwert verlieren wird. Die Kids hören heutzutage viel breiter Musik; offenbar geht die Identität nun eher über Videos und Games. Für uns gilt doch: Was man hört, das ist man. Als ich 15 war, bestand ein grosser Graben: Die einen hörten Rap, die anderen Rock. Das ist heute anders – finde ich eigentlich auch besser so.

 

Autoren
Éric und Yann Bolliger studieren an der ETH Lausanne Mikrotechnik resp. Informatik und sind grosse Fans der Band.

 

Website von Jeans for Jesus

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Frische und Farbe

Im vergangenen Jahr hat der Grandseigneur des Schweizer Jazz, Franco Ambrosetti, nicht nur seine Autobiografie, sondern auch eine weitere CD veröffentlicht: Jazzmusiker treffen auf ein klassisches Orchester.

Franco Ambrosetti. Foto: zVg

Von seinem Vater hat Franco Ambrosetti nicht zuletzt zwei Dinge geerbt: Die Liebe zum Jazz und ein familieneigenes Unternehmen mit mehreren Hundert Angestellten. Dieses leitete der Trompeter und Flügelhornist während 27 Jahren – bis er die Firma 2000 verkaufte, um sich ganz der Musik zu widmen. Davon erzählt Ambrosetti in seiner lesenswerten, im letzten Jahr erschienenen Autobiografie Zwei Karrieren – ein Klang. Auf diese hat er mittlerweile auch eine neue CD, The Nearness Of You, folgen lassen.

Deren Musik geht auf ein Projekt für das Sanremo-Jazzfestival 2016 zurück: Der Tessiner wurde gebeten, einen Konzertabend mit dem Sanremo Symphony Orchestra unter der Leitung von Massimo Nunzi zu entwickeln; zwei Jahre später fand man im Studio wieder zusammen, um die zehn Stücke für die Nachwelt festzuhalten. Im Fokus stand das Aufeinandertreffen klassischer Musiker mit Jazzsolisten.

Ambrosetti, inzwischen 77-jährig, beweist in dem Album sein Flair für einen möglichst warmen Sound. Faszinierend ist auch, wie gut ihm die Balance zwischen Jazz und Orchestralem gelingt. Die Arrangements sind breit und doch differenziert angelegt und zeigen sich überaus agil. Davon zeugen etwa das subtile Un Uomo Disabitato oder das sanft melancholische My Ship aus der Feder von Kurt Weill und Ira Gershwin. Das Album, das mitunter wie der Soundtrack zu einem opulenten Hollywood-Film aus den 1950er-Jahren anmutet, entfaltet sich mit viel Leichtigkeit. Und sorgt auch für Spannung, indem Ambrosetti Gin And Pentatonic oder A Bix Within A Wheel mit abstrakten Passagen anreichert. Das ist unbequem, sorgt aber für Frische und Farbe. Die CD endet mit Haden, einem Mini-Requiem für den 2014 verstorbenen Kontrabassisten Charlie Haden. Es ist der würdige Abschluss eines Werkes, das von A bis Z zu gefallen weiss.

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Silli In The Sky
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Franco Ambrosetti: The Nearness Of You. Symphonic Orchestra and Jazz Band. Werke von Hubbard, Nunzi, Leonard, Weill, Ambrosetti, Jobim, Carmichael, arr. Massimo Nunzi und Gianni Ferrio. Unit Records 4889

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Nicht von Pausen und Fermaten in der Musik, sondern vom Warten darum herum oder Musik zum Warten: von Vorgruppen über Muzak bis zur beruflichen Vorsorge.

Titelbild: www.neidhart-grafik.ch
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Nicht von Pausen und Fermaten in der Musik, sondern vom Warten darum herum oder Musik zum Warten: von Vorgruppen über Muzak bis zur beruflichen Vorsorge.

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Focus

Es ist ein Zeit-Ding!
Für Michael Egger, Sänger der Band Jeans for Jesus, und seine Kollegen ist Warten auf Tour und in ihrer Arbeitsweise Alltag. Interview

Sur scène pour faire attendre
L’expérience (parfois douloureuse) de jouer en première partie
Deutsche Übersetzung: Auftreten, um warten zu lassen
Über die (manchmal schmerzhafte) Erfahrung, als Vorgruppe aufzutreten

Abwarten ist ein schlechter Ratgeber
Bei der Pensionierung erhalten viele Musikschaffende nur kleine Renten

La musique qu’on entend mais qu’on n’écoute pas
La «musique de salle d’attente», créée pour nous faire passer le temps

Wie ein Sack Flöhe
Wie mit Kindern und Jugendlichen auf ihren Konzertauftritt warten?

… und ausserdem

RESONANCE


Lockere Souveränitä
t — 51. Wittener Tage für Neue Kammermusik

Musik aus dem Bernbiet — Urs Peter Schneider, Heinz Marti, Hans Eugen Frischknecht, und Heinz Holliger

Taghi Akhbari : « de coeur à coeur»

Max plays Miles — Max Jendly fonde un grand orchestre permanent

Wenn Frau will, steht alles still — Schweizer Frauenstreik am 14. Juni

Reise durch ein Meer von Möglichkeiten — Abschluss des Projekts «Looping Journey» an der Gare du Nord

Carte blanche per Zeno Gabaglio
dt. Übersetzung

 

CAMPUS

L’esprit du quatuor à cordes — la Swiss Chamber Academy

 

FINALE


Rätsel
— Dirk Wieschollek sucht


Reihe 9

Seit Januar 2017 setzt sich Michael Kube für uns immer am 9. des Monats in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb.

Link zur Reihe 9


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Walliser Förderpreis für Andreas Zurbriggen

Die Schauspielerin Annelore Sarbach wird mit dem Kulturpreis 2019 des Kantons Wallis ausgezeichnet. Die Förderpreise (je 10’000 Franken) gehen an drei junge Nachwuchstalente: die Historikerin Jasmina Cornut, den Tänzer Simon Crettol und den Musiker Andreas Zurbriggen.

Andreas Zurbriggen. Foto: Andrea Soltermann

Der 1986 geborene Andreas Zurbriggen ist klassischer Komponist und Musikjournalist. Der in Saas-Fee geborene und dort wohnhafte Künstler hat bei Daniel Glaus an der Hochschule der Künste Bern klassische Komposition und an der Universität Bern Musikwissenschaft, Geschichte und Kunstgeschichte studiert. Andreas Zurbriggens Musiksprache wurzelt in der Tradition, er integriert diese jedoch in einen aktuellen Kontext.

Zurbriggen komponiert Musik für verschiedenste Besetzungen: Vom Klaviersolostück bis zur Komposition für Orchester und Chor. Seine Werke wurden bereits an mehreren Festivals gespielt (Forum Wallis, Musikfestivals von Bern, Davos und Shanghai) und von renommierten Ensembles interpretiert (Ensemble Phoenix Basel, Ensemble Mondrian Basel, Flötenquartett Tétraflûtes, Russische Kammerphilharmonie St. Petersburg).

Stadt Luzern zeichnet Isa Wiss aus

Die Stadt Luzern vergibt ihren Kunst- und Kulturpreis 2019 (25’000 Franken) an die Autorin und Übersetzerin Christina Viragh. Die Sängerin Isa Wiss und der Schauspieler Patric Gehrig erhalten Anerkennungspreise (je 10’000 Franken).

Isa Wiss. Foto: André Brugger

Isa Wiss überzeuge als «ausserordentliche Stimmkünstlerin und Performerin», schreibt die Stadt. In ihrem vielseitigen künstlerischen Schaffen komme «die Vielseitigkeit ihrer Stimme, wie auch ihre Virtuosität, Kreativität und Neugier zum Ausdruck». Von Oper über Jazz und Volksmusik bis zu geräuschvollen Improvisationen sei sie in allen Genres eine überzeugende Performerin.

In den letzten Jahren hat Isa Wiss mehrere aufwändige Kinder-Musiktheater-Produktionen konzipiert und realisiert. Das aktuellste Projekt «Die Wörterfabrik» ist eine Zusammenarbeit mit den Musikern Vera Kappeler, Peter Conradin Zumthor und Luca Sisera. In der «Wörterfabrik» verbindet Isa Wiss ihre verspielte Musikalität mit ihrem virtuosen Umgang mit Sprache. Isa Wiss geniesst sowohl mit ihren eigenen Projekten wie auch als gefragte Gastmusikerin nationale Resonanz.

Dem guten Stadtklang auf der Spur

Expertinnen und Experten der Hochschule Luzern, darunter der Klangforscher und Klangkünstler Andres Bosshard, haben die Klangqualitäten von Innenhöfen verschiedener Überbauungen untersucht. Ziel war herauszufinden, wie die Qualität des Stadtklangs effizient verbessert werden kann.

Foto: Camilo Montes / Unsplash (s. unten),SMPV

Um den «Stadtklang» einer Überbauung zu erforschen, müssen zwei Fragen geklärt werden: Was hört man, wenn man sich im Hof aufhält? Und welche Wirkung haben die Gebäude darauf? Dabei beeinflussen drei «Raumschalen» das, was eine Person hört: Erstens die Umgebung ausserhalb der Überbauung – die umgebenden Strassen und deren (Verkehrs-)lärm. Zweitens der Raum zwischen den Häusern mit den Aktivitäten im Innenhof. Und drittens der Nahraum im Umkreis von fünf Metern rund um eine Person oder Gruppe und deren Gespräche.

Um das Zusammenspiel dieser drei Raumschalen zu untersuchen, führte das Projektteam, darunter Klangforscher und Klangkünstler Andres Bosshard, in verschiedenen Innenhöfen Expertenbegehungen mit Tonaufnahmen durch und wertete diese systematisch aus. Dabei ging es unter anderem darum, die Geräusche genau zu erfassen. Durch die Variation von Bauteilen konnten deren Auswirkungen auf die Akustik des Hofs untersucht werden.

Eine wichtige Erkenntnis daraus ist: Leiser ist nicht immer besser, denn neben Ruhe ist auch Diskretion ein Anspruch, den Bewohnerinnen und Bewohner an einen Innenhof stellen. Das Ziel der akustischen Hofgestaltung ist eine ausgewogene Klangkombination aus allen drei Raumschalen.

Publikation zur Forschung: Sturm, Ulrike, Bürgin, Matthias und Schubert, Axel (Hrsg.): Stadtklang. Wege zu einer hörenswerten Stadt, Band 2: Klangraumgestaltung von Aussenräumen, vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich, www.vdf.ethz.ch, 112 Seiten, ISBN 978-3-7281-3939-9
 

Reise durch ein Meer von Möglichkeiten

Nach «Chorlabor», das Laienchöre mit den zeitgenössischen Komponisten Matthias Heep, Leo Dick und Sylwia Zytynska zusammenführte, lancierte die Basler Gare du Nord ein Folgeprojekt. Abschliessend präsentierten Mitte Mai drei Chöre ihre aus der Improvisation entwickelten Musikstücke.

A. Schaerer, I. Wiss, Ch. Zehnder mit den Chören ATempo!, bâlcanto, Kultur und Volk. Foto: Ute Schendel,Foto: Ute Schendel,Foto: Ute Schendel,Foto: Ute Schendel

Kann ein Laienchor aus «nichts» einen ganzen Konzertabend gestalten? Dieser Herausforderung haben sich die Basler Chöre Kultur und Volk sowie bâlcanto und der Jugendchor ATempo! der Musikschule Basel improvisierend gestellt. Das Resultat der langen und teilweise auch mühsamen «Reise» war eine einstündige Performance: Sie wirkte berührend und witzig, manchmal aber auch etwas ratlos lassend.

Gemäss dem Konzept von Projektleiterin Johanna Schweizer erhielten die drei Chöre von der Gare du Nord und dem Kunstmuseum Basel einen «Freipass», in der Ausstellung Basel Short Stories. Von Erasmus bis Iris von Roten Inspirationen für ein zu entwickelndes Werk zu sammeln. In verschiedenen Etappen, sogenannten «Looping Journeys», wurden seit April 2018 drei neue Musikstücke kreiert. Dieser Prozess erforderte eine gehörige Portion Mut, wenn man etwa im Rhein schwimmend Sännelä hojahoo singen musste.

Unterstützung bei diesen Abenteuern erhielten die Chormitglieder von drei Cracks der improvisierenden Musikszene, den Stimmperformern Christian Zehnder und Andreas Schaerer und der Sängerin Isa Wiss. Sie führten die Choristinnen und Choristen durch ein schier endloses Meer von Geräuschen und Gestaltungsmöglichkeiten. «Für viele Teilnehmende war die improvisatorische Freiheit eine grosse Herausforderung, in der sich vor allem am Anfang einige von ihnen verloren fühlten», erläuterte Schweizer.

Zudem sollten die Chöre einen Weg finden, die neu entwickelte Musik auf Papier festzuhalten – eine Annäherung an grafische Notationen also. Das Resultat gestaltete sich dann aber anders, denn den Leitfaden des Abends bildeten Videosequenzen von Paula Reissig, die unaufgeregt und gewieft Takt und Inhalt vorgaben – Improvisation und Struktur sollten sich so ergänzen, zumal Texte fehlten, was dem Publikum das Verständnis etwas erschwerte.
 

Drehende Bewegungen auf dem Eis

Die gewählten Themen spiegelten in auffallender Weise den Charakter des jeweiligen Chors, der seine Stärken so in die Performance einbrachte. Der Abend begann mit dem Chor Kultur und Volk, der zum Film Frick und Frack über das Basler Eisläufer-Duo Werner Groebli und Hansruedi Mauch improvisierte. Passend dazu amtete als Coach der auf neue alpine Musik spezialisierte Christian Zehnder.

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Chor Kultur und Volk mit Christian Zehnder

In Reissigs Video waren weniger die Kapriolen der Eiskunstlaufhelden zu sehen, als das sie umjubelnde Publikum. Stimmige, in sich drehende, manchmal etwas langatmige Sequenzen, die der Chor mit spielerischen Bewegungen und Tonfragmenten untermalte: In drei Gruppen eingeteilt, wurde geklatscht, geraunt und im Rhythmus «gesungen». Es war eine durch Bilder initiierte Abfolge, die in einem Jodellied, dem «Zuger», gipfelte.

Improvisierend ins Delirium

Etwas schwieriger gestaltete sich die Wahl des Jugendchors ATempo!, der sich unter der Leitung von Andreas Schaerer mit dem Erfinder des LSD, Albert Hofmann, auseinandersetzte. Liegende, an der Minimal Music orientierte Gesangslinien begleiteten und untermalten Videoeinspielungen, die abstrakte Frequenzkurven zeigten oder Laboransichten mit einer sich drehenden Metalltonne. Wenig Entwicklung also, Längen waren eigentlich vorprogrammiert.

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Andreas Schaerer und der Jugendchor ATempo! der Musikschule Basel

Zur Einstimmung auf ihr Projekt hatten die Jugendlichen Verkehrsgeräusche am Wettsteinplatz erforscht oder im Badischen Bahnhof zu «Rausch und Delirium» improvisiert. Als Folge äusserten zwei junge Chorsänger, sie würden nun mutiger singen, «egal, was die anderen denken». Gemeinsam gelang es dem Chor, die inneren Vorgänge in Bewegung zu bringen, etwa durch das kreuzweise aneinander Vorbeilaufen mit an- und abschwellenden Gesangskurven, mit Dissonanzen und Konsonanzen.

Stimmcollage als Friedenssuche

In eine ganz andere Welt entführte unter der Führung von Isa Wiss bâlcanto, ein international zusammengesetzter Chor. Er wählte den zivilreligiösen Aspekt des Basler Friedenskongresses 1912. Ein abstraktes Thema also, zu dem Fotos zur Verfügung standen, aber keine «laufenden Bilder». Trotzdem wurde die Performance dank einer choreografierten Bewegungsabfolge und den neuen Videosequenzen zu einer gelungenen «Demonstration».

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bâlcanto

Aus dem Nichts stapften die Akteure auf das Podium, begannen leise und dann immer lauter zu nuscheln, einzelne Wortfetzen wie «Gerechtigkeit» oder «Volk» schwirrten durch die Luft und im Tohuwabohu begann eine Frau laut zu krächzen. Dazwischen entwickelte sich ein berührender Choral. Das Stück schloss mit einer Glockenimprovisation, zu der sich nach und nach alle Beteiligten auf die Bühne begaben.

Es folgte eine Schlussimprovisation, bei der man die rahmengebenden Videoeinspielungen leicht vermisste. Für die Teilnehmenden aber war wohl gerade dieser Schluss wichtig, wie es eine Chorsängerin formulierte: «Das Zusammentreffen der Chöre! What an inter-generation project!»
 

Link zur Website des Projekts

Efrat Alony ist Best Foreign Artist

Efrat Alony wurde vom Artemis Women in Action Film Festival 2019 in Los Angeles für ihren Song «Hear Me» vom Album «Dismantling Dreams» mit dem Preis Best Foreign Artist ausgezeichnet. Alony ist Dozentin an der Hochschule der Künste Bern.

Efrat Alony (Bild: Carola Schmidt)

Alony wurde als Tochter irakischer Einwanderer in Haifa geboren, wuchs in Israel auf. Dort begann sie ihr Studium in Komposition und Gesang, das sie später in den USA, am Berklee College of Music in Boston, fortsetzte und in Berlin an der Hochschule für Musik Hanns Eisler abschloss.

Als Feature-Vokalistin und Komponistin trat Efrat Alony auf beim Sunday Night Orchestra, mit dem Ed Partyka Jazz Orchestra, mit dem Jazz Orchestra Concertgebouw, Amsterdam und mit der Bigband des Hessischen Rundfunks. An der HKB unterrichtet Efrat Alony Gesang und Ensembles.

Das Artemis Women in Action Film Festival feiert «Frauen, die kulturellen Wandel herbeiführen und andere Menschen inspirieren».

 

Musik und Wort poetisch vereinigt

Die Initiantin des Briger Rhonefestivals, die Sopranistin Franziska Heinzen, hat unter anderen Rachel Harnisch eingeladen und setzt einen Schwerpunkt zum 200. Geburtstag von Clara Schumann.

zVg,SMPV

Ein Liedrezital ist mehr als ein Konzert, denn es vereint Musik und Wort auf poetischste Weise: Die Festival-Initiantin und Sopranistin Franziska Heinzen hat sich zum Ziel gesetzt, das Kunstlied in ihrer Heimat Brig durch verschiedene Konzertformate zu fördern. Nach einer erfolgreichen ersten Edition im Mai 2018, u. a. mit dem Schweizer Bariton Äneas Humm und Hartmut Höll, Klavier, geht das Rhonefestival für Liedkunst vom 30. Mai bis 2. Juni zum zweiten Mal über die Bühne.

Eröffnet wird es unkonventionell mit einem Abend im Bistro des Zeughauses Kultur Brig: Dabei trifft Poetry Slam (Phibi Reichling, Kilian Ziegler und Felicia Brembeck alias Fee) auf die vermeintlich «eherne» Liedkunst. Dieses Konzept der Pianistin Marlene Heiss gewann am Grazer Lied-Wettbewerb «Schubert und die Moderne» den Audience-Engagement-Preis 2018.

Höhepunkt des Festivals bildet der Liederabend der ebenfalls aus Brig stammenden international renommierten Sopranistin Rachel Harnisch und ihrem Klavierpartner Jan Philip Schulze mit Werken von Franz Schubert bis George Crumb.

Anlässlich des 200. Geburtstages der Pianistin und Komponistin Clara Schumann liegt der Festival-Themenschwerpunkt auf Kompositionen von Frauen: Der Liederabend «Komponistinnen: Zierde oder Meisterin?» mit Franziska Heinzen, Sopran und Benjamin Mead, Klavier, beleuchtet Werke von 20 Komponistinnen von Clara Schumann bis Isabel Mundry. Ausserdem liest Barbara Terpoorten aus den Lebensschicksalen von Clara Schumann, Alma Mahler und Fanny Hensel-Mendelssohn. Der Schwerpunkt wird im Kino Capitol mit dem preisgekrönten Dokumentarfilm Komponistinnen von Kyra Steckeweh und Tim van Beveren abgerundet, der über die Noten hinaus die nicht immer einfache Position der Komponistin in den letzten 200 Jahren beleuchtet.

Als Schweizer Festival möchte das Rhonefestival künftig die – mehrheitlich unbekannten – Schweizer Komponisten und Dichter mit einem eigenen Konzert fördern. Da mehr Swissness als am Schweizer Nationalfeiertag nicht möglich ist, findet dieses Konzert jeweils ausserhalb der regulären Festivalzeit rund um den 1. August statt, dieses Jahr unter dem Titel «Alte Weisen, neu entdeckt: Hommage an Gottfried Keller» am 31. Juli im Stockalperschloss in Brig.
 

Weitere Informationen zu allen Veranstaltungen unter

www.rhonefestival.ch

Winterthur unterstützt Esse-Musicbar

Ende August 2019 wird die Liegenschaft der «Esse-Musicbar» an der Winterthurer Rudolfstrasse abgerissen. Neu wird der Jazz-Verein Esse Winterthur sein Konzertlokal im Zeughaus 1 betreiben. Für die Finanzierung des Um- und Ausbaus gewährt die Stadt einen Standortbeitrag von 80’000 Franken und ein zinsloses Darlehen von 100’000 Franken.

Foto: Chris Bair / unsplash

Der Jazz-Verein Esse Winterthur betreibt seit 2005 ein Jazz-Lokal beim Bahnhof Winterthur. Aufgrund der Umnutzung durch die SBB wird die Liegenschaft der Esse-Musicbar per Ende August 2019 abgerissen. Der Kulturverein will sein musikalisches Angebot erhalten und hat im Zeughaus 1 an der Zeughausstrasse 52 einen neuen Standort für sein Konzertlokal gefunden.

Seit 2017 wird der Betrieb der Esse-Musicbar von der Stadt Winterthur mit einem jährlichen Subventionsbeitrag von 25’000 Franken unterstützt. Für die Finanzierung der Investitionen in den Um- und Ausbau der neuen Lokalität akquiriert der Verein Gelder von Stiftungen und Privaten und ersucht den Lotteriefonds des Kantons Zürich um einen Beitrag. Bedingung für einen Beitrag des Lotteriefonds ist aber eine Zusage der Standortgemeinde. Die Stadt Winterthur leistet darum einen Standortbeitrag von 80’000 Franken und gewährt dem Verein zudem ein zinsloses Darlehen von 100’000 Franken.

Mit jährlich bis zu 170 Konzerten und Veranstaltungen leistet die Esse-Musicbar einen wichtigen Beitrag zu Winterthurs Attraktivität als Musikstadt. 2008 erhielt das Konzertlokal den Kulturpreis der Kulturstiftung Winterthur. Mit dem Standortbeitrag und dem Darlehen unterstützt die Stadt Winterthur den Jazz-Verein Esse Winterthur bei seinem Vorhaben und ermöglicht eine Wiedereröffnung des Konzertlokals ab September 2019.
 

Basel-Landschaft zeichnet Mischa Cheung aus

Der Kanton Basel-Landschaft zeichnet den Pianisten Mischa Cheung mit einem mit 20’000 Franken dotierten Kulturpreis aus, Die Künstlerin Kitty Schaertlin wird ebenfalls mit einem Spartenpreis geehrt, das FahrAwaY Zirkusspektakel mit dem Förderpreis Nouveau Cirque. Ein Jubiläumspreis geht an die Chorleitungen der Gymnasien Liestal und Muttenz.

Mischa Cheung. Foto: Mona Neubauer

Mischa Cheung studierte Klavier bei Konstantin Scherbakov an der Zürcher Hochschule der Künste. Er ist Mitglied des Gershwin Piano Quartet, welches Werke für vier Konzertflügel aufführt, und war von 2011 bis 2015 Pianist bei der klassischen Band Spark. Seit 2014 tritt er als Solist bei den Symphonic Game Music Concerts der Merregnon Studios auf. Seit 2009 ist er an der Zürcher Hochschule der Künste als Assistent der Meisterklasse von Konstantin Scherbakov und als Dozent für Klavier und Improvisation tätig.

Die Chorleiterinnen und Chorleiter Lucia Germann und Michael Zumbrunn (Gymnasium Liestal) sowie Christoph Huldi, Jürg Siegrist und Christine Boog (Gymnasium Muttenz) verantworten laut dem Kanton «seit Jahrzehnten mit grossem persönlichem Engagement qualitativ hochstehende und erfolgreiche Chorprojekte». Den vorerst letzten Höhepunkt bildete im Oktober 2018 das Oratorienkonzert «Elias» von Mendelssohn mit den Chören aus Muttenz und Liestal sowie dem Sinfonieorchester Basel im Musical Theater Basel. Der Jubiläumspreis 50 Jahre Kulturpreise Baselland 1969–2019 ist mit 25‘000 Franken dotiert. Das Preisgeld ist zweckgebunden für weitere Projekte mit Gymnasialchören aus dem Kanton.

 

 

 

Einheimischer Ersatz für Tropenhölzer

Ingenieure der Technischen Universität (TU) Dresden haben für die Gitarrenmanufaktur Hanika ein Verfahren entwickelt, das Fichte, Ahorn oder Kirsche für den Bau von Gitarren nutzbar macht. Die heimischen Hölzer zeigen damit mindestens die gleichen akustischen Eigenschaften wie Tropenholz.

Anzupftest einer Gitarre an der TU Dresden (Foto: Krüger/TUD),SMPV

Bisher werden Konzertgitarren aus einer Kombination lang gelagerter tropischer Holzarten wie westindische Zedrele für den Hals, ostindischer Palisander für Zarge und Boden und Ebenholz für das Griffbrett hergestellt. Seit Anfang 2017 gelten für den Handel mit bedrohten Hölzern aus den Tropen jedoch strengere Bestimmungen, so dass Musikinstrumentenbauer auf Alternativen angewiesen sind.

Mit dem Behandlungsverfahren der TU Dresden werden einheimische Hölzer mit einer bestimmten Temperatur und einem bestimmten Druck für eine gewisse Zeit thermisch behandelt um die notwendigen Alterungsprozesse des Holzes zu beschleunigen. Im Ergebnis können die thermisch modifizierten einheimischen Hölzer nach nur einem Jahr zu hochwertigen Musikinstrumenten weiterverarbeitet werden.

Mittlerweile produziert Hanika vier neue, vollständig tropenholzfreie Gitarrenmodelle (Basis-, Mittel-, Ober- und Meisterklasse) aus thermisch behandelten einheimischen Hölzern. Dafür wurde die Gitarrenmanufaktur auf dem Innovationstag Mittelstand des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) in Berlin als «ZIM-Handwerksprojekt des Jahres» ausgezeichnet.

 

Lockere Souveränität

Zum 51. Mal bieten die Wittener Tage für Neue Kammermusik Einblicke in zeitgenössisches Komponieren. Mit dabei ist Barblina Meierhans aus Burgau.

Barblina Meierhans‘ Station in der Kegelbahn. Foto: © WDR/Claus Langer

Mit einer «kleinen Prise Humor» blickt Meierhans auf eine spezielle Kultur: Nebst Fussball wird das Kegeln gross geschrieben im Ruhrgebiet. Ist die Arbeit getan, trifft man sich, trinkt Bier und Schnaps, redet – und zwischendrin wirft man Kugeln auf Kegel. Längst verlassen wirkt die Kneipe mit Kegelbahnen an der Wittener Ruhrstrasse. Putz blättert von den Wänden, das Mobiliar ist abgenutzt, gedeckte Farben erinnern an die Fünfzigerjahre. «Ohne Nostalgie» wollte Meierhans sich auf den Ort beziehen, freundlich auf die Absurditäten von «Vereinstätigkeiten» blicken. Dazu postiert die 1981 in Burgau/SG Geborene in der Nähe des einstigen Bierausschanks eine Schlagwerkerin. Direkt an den Bahnen spielen eine Viola, eine Posaune oder ein Saxofon; unterstützt ist das klangliche Ambiente von Sprach-Einspielungen per Lautsprecher.

Mit Fug und Recht komponierte Meierhans keine stringenten Werke. Eher sind es gelockerte Ton- oder Klangfolgen oder so etwas wie kleine Rhythmus-Studien, die da zu Gehör kommen. Das lässt gedankliche, auch sportive Freiräume. Zwischendrin darf der Festivalbesucher selbst eine Kugel werfen, kann sinnieren über vergangene Zeiten, sich Atmosphären überlassen, die letzten Endes hübsch, letztlich aber auch zu zaghaft-reserviert wirken. Nun denn: Es mag verschiedenen Mentalitäten geschuldet sein. Hier das kernige, meist männerdominierte Westfalenkegeln, dort eine reflektierte, aber auch zurückhaltende Künstlerin aus der Schweiz – so etwas ist keine einfache Konstellation.
 

Spiel mit Innen und Aussen

Barblina Meierhans’ Station Diese Zeiten sind vorbei … ist nicht die einzige. Alternative Orte abseits der Konzertsäle haben in Witten mittlerweile Tradition. Mal ging es – ganz à la Festival Rümlingen – mit einer Klangwanderung in die Natur, mal spielen Stücke auf einer Fähre oder in einer Strassenbahn, mal bestellt der Festivalleiter Harry Vogt Klanginstallationen für Kellergewölbe. Geht es um ortsbezogene Kunst, ist man beim Komponisten und Multimedia-Spezialisten Manos Tsangaris an der richtigen Adresse. Tsangaris’ immer wieder bewährtes Rezept ist das Spiel mit dem Innen und Aussen. In diesem Wittener Jahr sieht es so aus: Innen, in einem fast rundherum verglasten Kiosk aus den Fünfzigerjahren, sitzt das Publikum, das beschallt wird von ein paar Instrumentalisten und Lautsprechern. Draussen bewegen sich in der Nähe einer Strassenkreuzung normale Passanten nebst obskuren Gestalten, die echt sein mögen oder aber – wer weiss es schon? – von Tsangaris bestellt. Als «Kammerspiel» bezeichnet er seine Station, die auch «Hörkino» heissen könnte.

Auf alle Fälle aus der Kunstsphäre kommen eine Sprecherin und ein Interviewer, deren Worte per Funk in den vollbelegten Kiosk gelangen. Feine Antennen hat Tsangaris. Die Musik darf – wie bei Meierhans – nicht zu sehr im Vordergrund stehen. So sind es eher kleine atmosphärische Beigaben, die die Musiker spielen. Jene draussen flanierende Sprecherin sinniert währenddessen über das Thema Fortschritt, während der Interviewer recht aufdringlich Wittener Passanten nach ihrem Musikgeschmack befragt. Rolling Stones sind eine «Macht», sagt ein Passant. Karlheinz Stockhausen kennt er nicht.
 

Ein Konzert wie ein Rausch

Was drinnen in den Konzertsälen passiert, bleibt den Wittenern wohl auch verborgen. Schade drum! Denn was in diesem Jahr tönt, ist alles hörenswert, teils sensationell gut. Herausragend das Konzert mit Werken von Mikel Urquiza, von Sasha J. Blondeau und von Sara Glojnarić, alle etwa dreissigjährig. Urquiza vertont dänische Texte von Inger Christensen, indem er die Sopranistin in bezaubernd intime Dialoge verwickelt entweder mit gestopfter Trompete, mit Klarinette oder mit Schlagwerk. Sasha J. Blondeau, 1986 im französischen Briançon geboren, entscheidet sich für eine körnig aufgeraute Klangstudie, während der Ansatz der Kroatin Glojnarić eher rhythmischer Natur ist. In witziger Manier bezieht sie sich zwar nicht auf die «Macht» Rolling Stones, dafür aber auf Schlagzeug-Intros der Rock-Gruppen The Police, Nirvana oder U2. Dass dieses etwa 50-minütige Konzert derart gut funktioniert, liegt zum einen an der kurzweiligen Heterogenität und der frappanten Kompositionsqualität der Werke, zum anderen aber auch an den Interpreten. Sarah Maria Sun (Sopran), Marco Blaauw (Trompeten), Carl Rosman (Klarinetten) und Dirk Rothbrust (Schlagzeug) spielen atemberaubend. Begriffe wie «Variabilität», «Perfektion» oder «Klangsensibilität» werden der unglaublichen Musikalität dieses Quartetts kaum gerecht.

Die Wittener Tage für Neue Kammermusik sind offenbar auf einem guten Weg. Nach Jahren verspannt-sophistischer Komplexität und zwanghafter Suche nach neuen Klangwelten kommt offenbar wieder mehr Lockerheit ins Spiel – kein bloss unkonzentriertes Laissez faire, sondern erfreulich gekonnte Souveränität. Drei Tage voll nachhaltiger Erlebnisse. Was will man mehr?
 

Thurgau zeichnet Jossi Wieler aus

Der diesjährige Kulturpreis des Kantons Thurgau geht an den Theater- und Opernregisseur Jossi Wieler. Mit dem Preis, der mit 20’000 Franken dotiert ist, würdigt der Regierungsrat das Schaffen des aus dem Thurgau stammenden Preisträgers.

Jossi Wieler (Bild: Webseite Kt. Thurgau)

Jossi Wieler ist 1951 in Kreuzlingen aufgewachsen. Bis 1972 war er im Thurgau wohnhaft und zog dann für sein Regiestudium nach Tel Aviv, Israel. Danach sammelte er erste Bühnenerfahrungen am Habimah Nationaltheater sowie ab 1980 am Düsseldorfer Schauspielhaus. Als Schauspielregisseur arbeitete er anschliessend in Heidelberg, Bonn, Stuttgart, Hamburg, München und Berlin. Am Theater Basel war er von 1988 bis 1993 als Hausregisseur tätig. Danach arbeitete er als freier Regisseur, er war unter anderem an den Münchner Kammerspielen sowie wiederholt bei den Salzburger Festspielen engagiert.

Seit 1994 inszeniert er gemeinsam mit Sergio Morabito auch Opern. Wieler und Morabito wurden 2002 und 2012 zum Regieteam des Jahres gewählt und erhielten in den Jahren 2006 («Doktor Faust») und 2012 («Die glückliche Hand/Schicksal») den Deutschen Theaterpreis Der Faust in der Kategorie «Beste Opernregie». 2015 wurde Jossi Wieler mit dem Kulturpreis Baden-Württemberg ausgezeichnet; 2016 erhielt er den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg.

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