Musizieren und Singen unter erschwerten Bedingungen

Der Verband Musikschulen Schweiz hat zusammen mit weiteren Partnern den Tag der musikalischen Bildung CH lanciert. Am 7. November sollen Aktionen vor Ort sowie eine Kampagne in den sozialen Medien bewusst machen, dass musikalische Bildung zu den tragenden Stützpfeilern des Gesellschaftsgebäudes gehört.

psousa5/stock.adobe.com

Die Musikschulen der Schweiz und die Laienorganisationen wie Jugendmusikvereine, Blasmusiken, Chöre und Laienorchester sind die wesentlichen Träger der musikalischen Bildung von Kindern und Jugendlichen wie auch von Erwachsenen. Sie fördern das Musizieren und Singen und tragen wesentlich zur Verankerung der Musik in der Bevölkerung bei.

Die öffentlichen Musikschulen in der Schweiz erfüllen als Teil des Bildungssystems, als Kulturinstitutionen und als vorbereitende Ausbildungsstätten für ein Studium an einer Musikhochschule bedeutende Bildungsaufgaben in unserer Gesellschaft. Jugendmusikvereine engagieren sich als Bildungsplattformen in der musikalischen Nachwuchsförderung und tragen zusammen mit den Blasmusiken zum nationalen Zusammenhalt bei. Chöre und Laienorchester fördern das gemeinsame Musizieren im Ensemble und machen Musik an Konzerten einem breiten Publikum zugänglich. Musikschulen und Laienorganisationen ermöglichen Menschen aller Altersgruppen musikalische Bildung und leisten damit einen entscheidenden Beitrag zur Teilhabe der Bevölkerung am Kulturerbe, zu dessen Pflege und Weiterentwicklung.

Die Coronavirus-Pandemie als grosse Herausforderung

Auch nach Wiederaufnahme des Präsenzbetriebs an den Musikschulen und des Proben- und Orchesterbetriebs bei den Laienorganisationen sind die Folgen der Coronavirus-Pandemie im Bereich der musikalischen Bildung noch lange spürbar – zur Zeit verschärfen sich die Bedingungen wieder rasant und die kurze fragile «neue Normalität» ist bereits wieder in Frage gestellt.

In den rund 400 im Verband Musikschulen Schweiz (VMS) eingebundenen Musikschulen können Instrumentenvorstellungen aktuell nicht regulär durchgeführt und damit Kinder und Jugendliche nicht im üblichen Ausmass für die musikalische Bildung begeistert werden. Ensemble- und Orchesterproben sowie Konzerte der Musikschulen, Laienmusikvereine und Chöre können aufgrund der Schutzmassnahmen nur unter erschwerten Bedingungen stattfinden. Viele Konzerte und Wettbewerbe mussten abgesagt werden und sind vermutlich auf längere Zeit nicht im gewohnten Umfang möglich.
 

Musikalische Bildung in Gefahr

Die Coronavirus-Pandemie dürfte aufgrund der in vielen Branchen angespannten wirtschaftlichen Lage Auswirkungen auf die finanziellen Verhältnisse vieler Familien haben. Es ist fraglich, ob in der Folge alle Eltern ihre Kinder und Jugendlichen weiterhin zu den aktuell geltenden Elternbeiträgen in den Musikunterricht schicken können. Erste Rückmeldungen aus den Musikschulen deuten darauf hin, dass mit einem Rückgang der Anzahl Schülerinnen und Schüler zu rechnen ist. Bei den Musikvereinen und Laienorchestern wie auch den Chören drohen Rückgänge bei den aktiven Mitgliedern, da Konzertauftritte kaum möglich sind und der Probenbetrieb nur unter starken Einschränkungen stattfinden kann. Damit wird der Zugang zu Musikschulen und Laienmusikvereinen nachhaltig erschwert und in der Folge die Chancengerechtigkeit im Bereich der musikalischen Bildung noch weniger gewährleistet.

Innovative Lösungen auch weiterhin gefragt

Musikschulen und Laienorganisationen haben schnell und mit grossem Engagement auf die Herausforderungen der aktuellen Krise reagiert. Es wurden alternative Unterrichts- und Probenformen wie auch Online Plattformen für Auftritte entwickelt und verbreitet umgesetzt. Damit konnten die unmittelbaren Folgen des Lockdowns zumindest teilweise abgefedert werden. Um die nachhaltigen Auswirkungen bewältigen zu können, sind weitergehende Massnahmen notwendig.

Die Musikschulen setzen nun alles daran, mit innovativen Lösungen wie flexiblen Anmeldefristen bzw. Eintrittsmöglichkeiten sowie speziellen Schnupperkursen oder wo nötig mit Fernangeboten dem Rückgang der Schülerzahlen entgegen zu wirken. Laienvereine und Chöre müssen geeignete Räumlichkeiten für Proben und Konzerte finden und sie sind gefordert, neue Konzepte zur Gewinnung von Mitgliedern und für Auftritte zu entwickeln.

Damit Singen und Musizieren weiterhin zu den häufigsten Freizeitaktivitäten der Schweizer Bevölkerung zählt und eine umfassende musikalische Bildung ohne Hürden allen offen steht, braucht es das kreative Engagement und den Willen aller Beteiligten.
 

Tag der musikalischen Bildung CH am 7. November 2020

Der Verband Musikschulen Schweiz und verschiedene Laienmusikverbände proklamieren am 7. November 2020 den Tag der musikalischen Bildung CH. Die Angebote der Musikschulen sowie der Laienmusikvereine und Chöre werden in Erinnerung gerufen und es wird auf die grosse Bedeutung der musikalischen Bildung hingewiesen. Einzelne Musikschulen und Laienmusikvereine machen am Aktionstag mit musikalischen Aktivitäten auf ihre Angebote aufmerksam. Eine Übersicht der geplanten Veranstaltungen ist auf der Aktionswebsite publiziert.

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Signet Tag der musikalischen Bildung CH

Ein Geiger schreibt für Klavier

Die stark an Max Reger erinnernde Klaviersonate op. 25 von Adolf Busch liegt in einer übersichtlichen und hilfreichen Neuausgabe von Jakob Fichert vor.

Adolf Busch (2. v. re) mit Frau und Tochter und Arturo Toscanini. Bild: Deutsches Bundesarchiv (s. unten)

Adolf Busch (1891–1952) gilt vielen in erster Linie als einer der bedeutendsten Geiger des 20. Jahrhunderts. Weniger bekannt dürfte sein, dass er auch ein ambitionierter Komponist war. Busch schrieb zahlreiche Kammermusik- und Orgelwerke, Lieder, aber auch Sinfonisches. Dass er zudem ein virtuoses Klavierkonzert und eine gross angelegte Klaviersonate verfasste, mag auf den ersten Blick überraschen. Anregung dazu holte er sich wohl bei seinem jungen Klavierpartner Rudolf Serkin, der später ja auch sein Schwiegersohn wurde. Serkin war es auch, der die Klaviersonate op. 25 1922 in Berlin zur Uraufführung brachte. Die Presse reagierte vorerst eher negativ. Das Werk sei «unlogisch und uninteressant», hiess es beispielsweise. Andere jedoch waren von der Qualität überzeugt und setzten sich dafür ein, nicht zuletzt natürlich auch Serkin selbst.

Die Sonate besteht aus drei Sätzen: einem Allegro moderato con passione, einem weit ausladenden Variationensatz und einer abschliessenden Fuge mit Introduktion, welche schlussendlich die Themen der vorangehenden Sätze kunstvoll miteinander verbindet. Von «unlogisch» kann also nicht die Rede sein. Anspruchsvoll für den Hörer ist aber sicher die sich ständig verändernde Harmonik. Ähnlich wie bei Max Reger, dem diese Musik sehr nahesteht, gibt es auch hier eine Unmenge von Modulationen auf engstem Raum, welche zunächst das Verständnis für die formalen Abläufe erschweren. Am zugänglichsten ist wohl der 2. Satz, dessen Variationen sich an ein schlichtes Thema in der Art eines Streichquartetts anlehnen.
A propos Reger: Einige Stellen in Buschs Klaviersonate könnten geradezu als Hommage an das grosse Vorbild gelten. Man vergleiche nur einmal das Adagio im 2. Satz mit der neunten aus Regers monumentalen Bach-Variationen …

Pianistisch ist Buschs Sonate zwar sehr anspruchsvoll, der Klaviersatz liegt aber meist ganz gut in den Fingern. Und wo dies nicht der Fall ist (wie bei den zahlreichen Trillern in der Fuge), hat Jakob Fichert, der die neue Ausgabe bei Breitkopf & Härtel betreut hat, praktikable Lösungen parat.

Fichert hat das Werk 2016 sogar auf CD aufgenommen (Toccata Classics 0245) und kennt es somit aus eigener Anschauung. In seinem Spiel bemüht er sich um grösstmögliche Klarheit, was vielleicht etwas auf Kosten der Expressivität geht. Aber seine profunde Kenntnis dieser Musik beeindruckt: Die Korrekturen gegenüber der Erstausgabe und des Autografs sind gut nachvollziehbar und die Fingersätze sehr hilfreich. Das Notenbild ist – soweit es diese Musik zulässt – übersichtlich und klar. Wer sich also intensiver mit Adolf Buschs Klaviersonate op. 25 befassen möchte, ist mit dieser Neuausgabe sehr gut gerüstet.

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Adolf Busch: Sonate c-Moll für Klavier op. 25, hg. von Jakob Fichert, EB 8996, € 24.90, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden

Foto oben: Arturo Toscanini und Adolf Busch kehren im Januar 1932 nach erfolgreicher Amerika-Turnee auf dem Dampfer «Albert Ballin» nach Europa zurück.
Von links nach rechts: Irene Busch (1935 Heirat mit Rudolf Serkin), Arturo Toscanini, Adolf Busch, Frieda Busch

Quelle: Wikimedia commons / Deutsches Bundesarchiv, Bild 102-12890, CC BY-SA 3.0 DE

 

Neu gestartet

Aus dem Onlinemagazin Norient ist eine Plattform geworden, die aktuelle, vor allem urbane musikalische Phänomene aus allen Kontinenten vorstellt und reflektiert.

Norient kommt das Verdienst zu, die journalistische Aufarbeitung dessen, was man als Weltmusik oder «World Music» bezeichnet, aus der Ecke des Orchideenfachs Ethnomusikologie geholt zu haben. Das Onlinemagazin war bei seiner Gründung vor rund zwanzig Jahren ein notwendiges Statement dagegen, die Folkloren der Welt propagandistisch-nationalistischen Kreisen zu überlassen. Am mitgelieferten Themenraster des Neuauftrittes lässt sich ablesen, dass links-urbane Präferenzen nun noch stärker in den Vordergrund rücken: Der Stichwortkatalog reicht von Aktivismus über Kolonialismus, Gegenkulturen, Ethik, Geschlechterrollen, Queer bis zu Technologie und Klimawandel.

Das Ziel ist laut der Eigendefinition der Plattform «die Unterstützung (sub-)kultureller Diversität, die Ausweitung des Horizonts und die Anregung des Dialoges zwischen Menschen, Kontinenten und Fachrichtungen». Dabei tappt die Plattform allerdings in die Falle der aktivistischen Vermischung von Form und Inhalt: Die Art der Präsentation ist nicht so werttolerant, dass sie die Hoffnung auf Horizontausweitung befördern würde. Die Gestaltung der Seite folgt typisch urban-ideologischen Gestaltungstrends. Das wirkt für Aussenstehende zwar originell, aber verwirrlich, ja chaotisch. Man fühlt sich als Nichteingeweihter ausgeschlossen. Schade, viele Beiträge wären auch für Andersdenkende anregend.

Man kann den Neustart der Seite als Symptom einer globalen Verschiebung der kulturellen Grenzen sehen: weg von einer Kategorisierung in erste und dritte Welt respektive industrialisierte und unterentwickelte Länder, hin zu einem grösser werdenden Graben zwischen traditionellen und grossstädtischen Lebenswelten. Dabei besteht die Gefahr, dass statt der behaupteten Vielfalt wiederum Konformität erzeugt wird. Das Ergebnis ist eine trendig-urbane Ästhetik und Ethik, welche die Kulturszenen der Metropolen überall auf dem Globus austauschbar macht, das demokratische Potenzial der gemächlichen und hoch partizipativen Erneuerungsprozesse lokaler Volkskulturen hingegen mehr und mehr als Hemmschuh betrachtet.

Norient – The Now in Sound

Dankbares mittelschweres Konzertstück

Der «Polnische Tanz» von Edmund Severn ist ein klangvolles Vortragsstück mit osteuropäischem Charakter.

Foto: Joel Wyncott/unsplash.com (s. unten)

Die schwungvolle Mazurka des amerikanischen Komponisten Edmund Severn (1862–1942) erfreut schon seit Jahrzehnten die Mittelstufenschüler und -schülerinnen der USA; jetzt ist auch eine europäische Ausgabe erschienen. Das Rondo vereint Akkordspiel, Linke- und Rechte-Hand-Pizzicato, Flageolett, tänzerische Abschnitte und melodische Linien, ohne die dritte Lage zu überschreiten

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Edmund Severn: Polnischer Tanz für Violine und Klavier, Bärenreiter’s Concert Pieces, hg. von Kurt Sassmannshaus, BA 10750, € 9.95, Bärenreiter, Kassel

 

 

Tod einer Waadtländer Musicallegende

Wie der Kanton Waadt mitteilt, ist Jean-Claude Pasche, der Gründer und Leiter des Théâtre Barnabé in Servion, im Alter von 80 Jahren verstorben.

Barnabé 2019. Foto: ©Sarkis Ohanessian

Der 1940 geborene Barnabé, mit bürgerlichem Namen Jean-Claude Pasche, studierte am Lausanner Konservatorium Gesang und war zunächst  in Lausanne aktiv, wo er für das Stadttheater Revues produzierte. In er Folge gründete er in der Familienscheune in Servion sein eigenes Theater, das nach einem Brand 1994 umgebaut werden musste. Es umfasst einen Proberaum, eine Bühnenwerkstatt und einen riesigen Bestand von über 7000 Kostümen.

Das Theater beherbergt überdies die grösste Kinotheater-Orgel Europas sowie zahlreiche mechanische Orgeln. Barnabé war der erste, der die legendäre Show «La cage aux folles» nach Europa brachte. Selber stand er auch dieses Jahr noch noch auf der Bühne.  Seit 2005 verwaltet eine Stiftung das Theater.

Taskforce Culture ist alarmiert

Die Taskforce Culture fordert, dass aktuelle staatliche Einschränkungen der wirtschaftlichen Tätigkeiten mit rascher und unbürokratischer finanzieller Hilfe abgefedert werden.

Foto: Katarzyna Kos/unsplash.com (s. unten)

Der Kultursektor könne nachvollziehen, dass zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie einschneidende Massnahmen notwendig sind, schreibt Suisseculture. Diese würden aber viele Kulturschaffende und Kulturunternehmen endgültig existenziell gefährden.

Die Taskforce Culture verlagt deshalb, dass schweizweit einheitliche Regelungen für Kulturveranstaltungen formuliert und die Kulturverbände bei der Ausgestaltung der gesamtwirtschaftlichen Massnahmen (Kurzarbeit, Corona-Erwerbsersatz) einbezogen werden. Zudem verlangt er frühzeitige Information der Kulturverbände über Pandemiemassnahmen und Einbezug bei der konkreten Umsetzung sowie rasche und unbürokratische Leistung der versprochenen finanziellen Unterstützung. 

Auch der Kultursektor wolle keine überfüllten Intensivstationen und keine Überlastung der Gesundheitsfachpersonen. Die Schweizer Kulturbranche habe seit dem ersten Lockdown die Massnahmen des Bundes engagiert umgesetzt, funktionierende Schutzkonzepte erarbeitet und konsequent angewendet. Nur selten steckten sich Menschen bei Kulturanlässen an.

Für die Kulturschaffenden (dazu gehören auch Fachpersonen im Bereich Veranstaltungstechnik), die Kulturunternehmen (zum Beispiel Veranstaltende), aber auch Zulieferer (etwa Catering-Services) werden ein erneuter Lockdown oder weitere Einschränkungen von Veranstaltungen existenziell bedrohlich.

Ganzer Text:
https://www.musikrat.ch/fileadmin/user_upload/20201024_MM_TFC.pdf

«Kreutzersonate»

Jeden Freitag gibts Beethoven: Zu seinem 250. Geburtstag blicken wir wöchentlich auf eines seiner Werke. Heute auf die Sonate für Violine und Klavier Nr. 9 A-Dur «Kreutzer».

Ausschnitt aus dem Beethoven-Porträt von Joseph Karl Stieler, ca. 1820

Welche musikalischen Möglichkeiten die Sonate für Violine und Klavier am Beginn des 19. Jahrhunderts noch immer eröffnete, wie wenig verbindlich die Behandlung der Instrumente war, geht aus dem Titelblatt zu Beethovens 1805 erschienener Sonate op. 47 hervor, der wegen ihrer Widmung sogenannten «Kreutzersonate»: Es sei eine Sonata per il Piano-forte ed un Violino obligato, scritta in un stile molto concertante, quasi come d’un concerto – eine Sonate für Klavier und obligate Violine, geschrieben in einem sehr konzertanten Stil, quasi wie ein Konzert. Bei so viel Variabilität ist es kaum ein Zufall, dass sich während des gesamten 19. Jahrhunderts (nicht nur auf die Violine bezogen) keine eigenständige Ästhetik der Sonate für Klavier und Melodieinstrument herausbildete.

Beethoven widmete die Komposition dem französischen Geigenvirtuosen Rodolphe Kreutzer, der sie allerdings nach Auskunft von Hector Berlioz nie gespielt haben soll und gar als «outrageusement inintelligible» (als «absolut unverständlich») bezeichnete. Doch auch bei den deutschsprachigen Zeitgenossen fand Beethoven nur wenig Verständnis. Vielmehr wurde ihm geradeheraus vorgeworfen, er wolle nur anders sein als die anderen: In einer Rezension der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung wird von einem «ästhetischen oder artistischen Terrorismus» gesprochen – vielleicht nachvollziehbar angesichts eines Kopfsatzes mit nicht weniger als 599 Takten. Auch der spieltechnische Anspruch wurde als sehr hoch empfunden, die Sonate selbst gar nur für bestimmte Gelegenheiten empfohlen: «wenn zwey Virtuosen, denen nichts mehr schwer ist, die dabey so viel Geist und Kenntnisse besitzen, dass sie, wenn die Uebung hinzukäme, allenfalls selbst dergleichen Werke schreiben könnten, und die eben wegen dieses oben über dem Ganzen schwebenden Geistes durch die wunderlichsten Auswüchse im Einzelnen nicht gestört werden –: wenn sich diese zusammenfinden, sich in das Werk einstudieren, (denn das müssten auch sie;) wenn sie nun die Stunde abwarten, wo man auch das Groteskeste geniessen kann und mag, vorausgesetzt, dass es mit Geist gemacht ist, und wenn sie es nun in dieser Stunde vortragen: so werden sie einen vollen, reichen Genuss davon haben.»

Die Vorstellung einer solchen musikalisch intimeren Stunde verweist unmittelbar voraus auf Leo Tolstois 1889 erschienene, Die Kreutzersonate überschriebene Novelle, in der Beethovens Komposition als Gefühls-Katalysator wirkt und die Liebe des Protagonisten in machtbesessene Eifersucht verwandelt. Ein psychologisierendes Drama über die unterdrückten emotionalen Tiefen im Bürgertum jener Zeit. Im 21. Kapitel heisst es: «Wenn sich zwei Menschen der edelsten Kunst, der Musik, widmen, muss ein bestimmtes inniges Verstehen vorhanden sein; eine solche Annäherung hat nichts Anstössiges, und nur ein dummer, eifersüchtiger Mann kann darin etwas Anfechtbares sehen. Trotzdem wissen aber alle recht gut, dass namentlich mit Hilfe dieser Beschäftigungen, besonders der Musik, ein grosser Teil Ehebrüche in unserer Gesellschaft zustande kommt.»


Link zum Artikel «Neue Möglichkeiten, neue Sinneseindrücke» von Simon Loosli

Der Geiger Simon Loosli beschreibt, wie vertraut Beethoven mit den neusten Entwicklungen des Violinspiels war und wie sehr er diese für die Steigerung des Ausdrucks einsetzte.


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Engeli leitet Sachsens Landesjugendorchester

Der Schweizer Dirigent Tobias Engeli übernimt die Leitung des Landesjugendorchesters Sachsen (LJO). Er folgt in dem Amt im Herbst 2021 auf Milko Kersten. Der Vertrag läuft zunächst über zwei Jahre, mit der Option auf Verlängerung.

Tobias Engeli (Bild: Ulrike von Loeper)

Engeli absolvierte nach dem Cellostudium in Winterthur und Hamburg eine Dirigentenausbildung an der Hochschule für Musik Hamburg. Er amtet heute als Kapellmeister an der Leipziger Oper und dirigiert regelmässig das Gewandhausorchester zu Leipzig und das Orchester der Musikalischen Komödie.

Das Landesjugendorchester Sachsen ist seit 1992 die Anlaufstelle für den ambitionierten Orchesternachwuchs aus Sachsen. In zwei Probephasen im Jahr werden abwechselnd mit dem künstlerischen Leiter und ständig wechselnden Gastdirigenten auf professionellem Niveau Programme einstudiert, die alle stilistischen Bereiche abdecken.

Die einzelnen Stimmgruppen arbeiten dabei mit Dozenten aus renommierten sächsischen Orchestern zusammen, wie der Sächsischen Staatskapelle Dresden, dem Gewandhausorchester Leipzig oder der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz.

 

St. Gallen fördert Transformationen

St. Galler Kulturunternehmen können neu zusätzlich zu Ausfallentschädigungen auch Beiträge für Transformationsprojekte erhalten. Das hat die Regierung basierend auf dem eidgenössischen Covid-Gesetz entschieden.

Foto: Luis Quintero/unsplash.com (s. unten)

Seit Frühjahr 2020 und bis Ende 2021 stehen insgesamt rund 22,8 Millionen Franken für diese Unterstützungsmassnahmen im Kulturbereich zur Verfügung. Künftig sind in St. Gallen nun auch Buch- und Musikverlage sowie Vermittlungs- und Veranstaltungsprojekte von Buchhandlungen und Galerien anspruchsberechtigt.

Vorgesehen sind im Einklang mit den bundesrechtlichen Vorgaben nichtrückzahlbare Finanzhilfen in Form von Ausfallentschädigungen und neu auch von Beiträgen an Transformationsprojekte. Kulturunternehmen können für den finanziellen Schaden, der aus der Absage, Verschiebung oder eingeschränkten Durchführung von Veranstaltungen und Projekten oder aufgrund betrieblicher Einschränkungen infolge staatlicher Massnahmen entsteht, eine Ausfallentschädigung beantragen. Ebenso können sie für die Kosten, die für Transformationsprojekte entstehen, Beiträge beantragen. Damit werden Projekte unterstützt, mit denen Kulturunternehmen eine Anpassung an die veränderten Verhältnisse bezwecken und mit denen sie eine strukturelle Neuausrichtung oder Publikumsgewinnung erreichen wollen.

Kulturunternehmen können zudem Kurzarbeitsentschädigung beantragen. Kurzarbeit ist in der Regel wirtschaftlich bedingt. Als Kurzarbeit gelten auch Arbeitsausfälle, die auf behördliche Massnahmen oder andere, vom Willen des Arbeitgebers unabhängige Umstände zurückzuführen sind. Da die Ausfallentschädigungen für Kulturunternehmen subsidiär zu den Kurzarbeitsentschädigungen sind, sind Betroffene in einem ersten Schritt aufgefordert, nach Möglichkeit Kurzarbeitsentschädigung zu beantragen.

Aktuelle Informationen sind auf der Website www.sg.ch/coronavirus unter «Kultur» zu finden. Ab dem 1. November 2020 stehen die entsprechenden Gesuchsformulbare zur Verfügung.
 

Kosmos Musik Thurgau prämiert Projekte

Im Januar 2020 hat das Kulturamt Thurgau die Ausschreibung KosmosMusik-Thurgau zur Förderung von innovativen, partizipativen und genreübergreifenden Musikprojekten im Kanton Thurgau lanciert. Eine fünfköpfige Fachjury hat zwei Projekte ausgewählt.

Symbolbild: aidea.pl/stock.adobe.com

Ausgezeichnet wurde das Musiktheaterprojekt «Chronik eines Aussterbens oder der innere Klang» von Micha Stuhlmann und Beat Keller sowie die Konzertreihe «NOEISE» für zeitgenössische Musik des Trompeters Christoph Luchsinger.

Das interdisziplinäre Projekt «Chronik eines Aussterbens oder der innere Klang» wird als Freilichtspiel mit Beteiligung eines Thurgauer Chors im Frühling 2022 im Schreckenmoos in Kreuzlingen aufgeführt. In einer Performance verbinden Micha Stuhlmann und Beat Keller Musik, Theater und Tanz. Das Projekt wird zudem filmisch festgehalten. Christoph Luchsinger konzipiert eine innovative Konzertreihe, die zeitgenössische Musik einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen will und an unkonventionellen Orten stattfindet. Geplant sind bisher drei Programme, die in der Saison 2021/22 zur Aufführung gelangen.

KosmosMusikThurgau wurde im Rahmen des Förderschwerpunkts Impulse für die Thurgauer Musikszene des Kulturkonzepts 2019-2022 ausgeschrieben und richtete sich an Musikschaffende, die in Zusammenarbeit mit thurgauischen Gruppierungen aller Musikrichtungen Musikprojekte umsetzen, die einen innovativen, eigenständigen Ansatz verfolgen und die Vernetzung und Kooperation fördern.

Ausgeschrieben wurde der Wettbewerb im Januar 2020, die Eingabefrist wurde aufgrund der aussergewöhnlichen Situation wegen der Coronapandemie um zwei Monate verlängert. Bis am 30. Juni 2020 sind acht Projekte eingegangen, welche von einer Fachjury beurteilt wurden.
 

Johanna Malangré nach Amiens berufen

Laut France Musique wird Johanna Malangré, eine Studentin von Johannes Schlaefli in Zürich, 2022 Künstlerische Leiterin des Orchestre National de Picardie. Sie folgt in dem Amt auf den Niederländer Arie Van Beek.

Johanna Malangré (Bild: zVg)

Malangré ist damit nach Debora Waldman, die seit September 2020 das Orchestre Régional Avignon-Provence dirigiert, die zweite musikalische Leiterin eines ständigen Orchesters in Frankreich.

Johanna Malangré ist Absolventin der Dirigierklasse von Johannes Schläfli in Zürich. sie absolvierte überdies Meisterkurse unter anderem bei Bernard Haitink, Paavo Jarvi, Reinhard Goebel und Nicolas Pasquet. 2017 war sie Conducting Fellow der Lucerne Festival Academy, in deren Rahmen sie mit Künstlern wie Heinz Holliger und Patricia Kopatchinskaja arbeitete. Sie erhielt eine Wiedereinladung als Assistant Conductor für die Roche Young Comissions und das Academy Orchestra für 2020 und 2021.

 

Sinfonie Nr. 3 «Eroica»

Jeden Freitag gibts Beethoven: Zu seinem 250. Geburtstag blicken wir wöchentlich auf eines seiner Werke. Heute auf die Sinfonie Nr. 3 Es-Dur «Eroica».

Ausschnitt aus dem Beethoven-Porträt von Joseph Karl Stieler, ca. 1820

Längst hatte Beethoven erkannt, dass die ursprünglich nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit strebende und gegen den feudalen Ständestaat gerichtete französische Revolution an ihr Ende gekommen war, als ihm ein Leipziger Verleger einen unzeitgemässen Vorschlag machte. Für eine (ungenannte) Auftraggeberin sollte er eine die Ereignisse möglicherweise programmatisch darstellende, zumindest aber reflektierende «Revolutionssonate» schreiben. Seine Ablehnung vom 8. April 1802 strotzt denn auch vor Entrüstung: «Reit euch den der Teufel insgesammt meine Herrn? – mir Vorzuschlagen eine Solche Sonate zu machen – zur Zeit des Revoluzionsfieber’s nun da – wäre das so was gewesen, aber jezt, da sich alles wieder in’s alte Gleiß zu schieben sucht, buonaparte mit dem Pabste das Concordat geschlossen – so eine Sonate? – wär’s noch eine Missa pro sancta maria a tre vocis oder eine Vesper etc – nun da wollt ich gleich den Pinsel in die hand nehmen – und mit großen Pfundnoten ein Credo in unum hinschreiben – aber du lieber Gott eine Solche Sonate – zu diesen neuangehenden christlichen Zeiten – hoho – da laßt mich aus – da wird nichts draus»

Wie sich Beethoven zu den politischen Umständen seiner Zeit konkret stellte, ob er gar mit den republikanischen Ideen sympathisierte, ist nicht eindeutig zu bestimmen. Er komponierte, offenbar ratlos gegenüber der französischen Expansionspolitik, anlässlich der österreichischen Generalmobilmachung von 1797 einen Abschiedsgesang an Wiens Bürger WoO 121 (gemeint ist das Corps der Wiener Freiwilligen), gefolgt von einem Kriegslied der Österreicher WoO 122 (1797). Nur wenige Jahre später wiederum erfuhr Napoleon als Erster Konsul in Wien grösste Wertschätzung: Beethoven begeisterte sich vor allem für dessen staatsmännische Weitsicht und den Aufbau einer Zivilgesellschaft mit bürgerlichem Recht (u. a. mit dem in weiten Teilen bis heute gültigen Code civil). Schliesslich erwog er gar eine Übersiedlung nach Paris.

Nachdem in Wien publik geworden war, dass sich Napoleon am 2. Dezember 1804 in Paris selbst zum Kaiser gekrönt hatte, verwarf Beethoven diese idealistischen Pläne allerdings vollständig. In diesem Zusammenhang steht auch die Umwidmung der Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55, wie sie der befreundete Ferdinand Ries in einer (keineswegs sicher belegbaren) Anekdote überliefert: «Bei dieser Symphonie hatte Beethoven sich Buonaparte gedacht, aber diesen, als er noch erster Consul war.Sowohl ich, als Mehrere seiner näheren Freunde haben diese Symphonie, schon in Partitur abgeschrieben, auf seinem Tische liegen gesehen, wo ganz oben auf dem Titelblatte das Wort ‹Buonaparte› und ganz unten ‹Luigi van Beethoven› stand, aber kein Wort mehr.Ich war der erste, der ihm die Nachricht brachte, Buonaparte habe sich zum Kaiser erklärt, worauf er in Wuth gerieth und ausrief: ‹Ist der auch nichts anders wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize fröhnen; er wird sich nun höher, wie alle Andern stellen, ein Tyrann werden!› Beethoven ging an den Tisch, faßte das Titelblatt oben an, riß es ganz durch und warf es auf die Erde. Die erste Seite wurde neu geschrieben, und nun erst erhielt die Symphonie den Titel: ‹Sinfonia eroica›.»

Dass Beethoven mit dieser Einschätzung richtig lag, zeigen die weiteren historischen Ereignisse. Denn nachdem Wien am 13. November 1805 von Napoleon kampflos besetzt worden war, erfolgte eine neuerliche Einnahme der Stadt erst nach schwerem Artilleriebeschuss in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai 1809. Beethoven verbrachte diese Stunden im Keller seines Bruders Kaspar Karl (1774–1815); um sein schwindendes Gehör zu schützen, soll er sich mit Kissen die Ohren zugehalten haben.
 


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Winterthur regt Corona-Kulturprojekte an

Die Stadt Winterthur unterstützt kulturelle Projekte, die durch die Herausforderungen der Covid19-Pandemie angestossen wurden, mit insgesamt 100′ 000 Franken. Darunter das Projekt «ChorOnline / CaféOnline / ConcertOnline».

Bild: Screenshot der Website des Projekts «ChorOnline / CaféOnline / ConcertOnline»

Mit der Ausschreibung unterstützt die Stadt Initiativen und Projekte, die sich «mit den aktuellen Herausforderungen im Kulturbereich auf vielfältige, innovative und nachhaltige Art und Weise auseinandersetzen». Insgesamt wurden im Rahmen der Ausschreibung 34 Bewerbungen eingereicht. Für die Unterstützung von ausgewählten Projekten stand ein Budget von 100’000 Franken zur Verfügung. Die Ausschreibung wurde unterstützt durch die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG).

Folgende Projekte hat die Jury ausgewählt: Videoprojekt «Shared Set of Concerns», Sarah Hablützel und Marko Mijatovic (5000 Franken), Projekt «Kunstpost», Luca Harlacher (5000 Franken), «Kunstprojekt mit Messina», Messina (5000 Franken), Projekt «ChorOnline / CaféOnline / ConcertOnline», Franziska Welti und Lea Hagmann (10’000 Franken), Projekt «Tanz-Trail-Spiel», Astrid Künzler (10’000 Franken), Ausstellungsprojekt «System Reset. Werkzeuge für eine bessere Arbeitswelt», Museum Schaffen (20’000 Franken), Projekt «Interactive Experiences in Arts & Culture in Times of Crisis & Opportunities», Artsnext (20’000 Franken), Audiowalk «Sag mir wo die Kinder sind…», Cornelia Truninger und Liliane Weber (25’000 Franken).

 

Frölichs «missaverde» in Lviv

Seit zehn Jahren leitet Fortunat Frölich seinen «choR inteR kultuR». Zum Jubiläum wird seine «missaverde» im Herbst 2021 in der Schweiz und in der Ukraine aufgeführt. Sängerinnen und Sänger können sich jetzt für das Projekt anmelden.

Der Chor reist ans Contrasts International Contemporary Music Festival 2021 in Lviv. Foto: s. Link unten,SMPV

Der Name ist Programm: Der Chor erarbeitet unter der Leitung seines Gründers Fortunat Frölich immer Projekte mit einem Partnerchor aus einem anderen Kulturkreis. Aus Anlass seines 10-jährigen Bestehens wird Frölichs metaspirituelle «missaverde» zu radikalpoetischen Texten von Beat Brechbühl einstudiert. Das Werk für Chor, Soli und Sinfonieorchester habe nichts an Aktualität eingebüsst, schreiben die Veranstalter in ihrer Mitteilung. Es wird 2021 an das Contrasts International Contemporary Music Festival in Lemberg (Lviv/Ukraine) eingeladen und dort zusammen mit ukrainischen Ensembles zur Aufführung gebracht.

Es sei ein anspruchsvolles Werk für die Teilnehmenden, wird in der Mitteilung präzisiert. Belohnt würden Teilnehmenden durch die bereichernden Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik, mit musikalischen Freiräumen und der Reise in ein unbekanntes Land, wo sie vom Lviv National Philharmonic Symphony Orchestra begleitet werden.

Zum Mitsingen und Mitreisen sind alle eingeladen, für junge Erwachsene bis 26 Jahre ist die Teilnahme kostenlos.

Einige Termine:
Zürich: 24. und 25. Oktober 2020 (Projektbeginn)
Chur: 14. und 15. November 2020 (Registerproben)
Lviv: 2. bis 10. Oktober 2021 (Proben und Konzerte in Lviv)
15. bis 19. November 2021 (Proben und Konzerte in Zürich und Chur)

Orgel im Konzertsaal – ja!

Die neue Metzler-Orgel im Musiksaal des Basler Stadtcasinos hat den Stresstest ihrer öffentlichen Ingebrauchnahme glänzend bestanden.

Iveta Apkalna spielt die neue Orgel am Einweihungskonzert. Foto: Friedel Ammann

An den zweimal drei Tagen des ersten Orgelfestivals im Casino wurde das Instrument im Rahmen unterschiedlicher Veranstaltungsformate vorgestellt. Anlässlich der Neubauten im Basler Musiksaal und in der Zürcher Tonhalle wurde viel über die Anforderungen an eine Konzertsaalorgel nachgedacht: Gefragt sind hier dynamische Flexibilität und raumfüllende Gesamtwirkung. Die Notwendigkeit einer differenzierten Palette von Registern der Normallage (Acht-Fuss-Lage) sowie eines lückenlosen Aufbaus vom leisesten Einzelregister bis zur Vereinigung fast aller Register führt zu Anleihen beim englischen, französischen und deutschen Orgelbau des späten 19. Jahrhunderts. Mit einer kühl klingenden neoklassischen Orgel, wie sie zuvor im Casino vorhanden war, bzw. mit einer Reihung heterogener Soloeffekte, wie sie jüngst aus der Tonhalle entfernt wurde, kann der für den Konzertsaal komponierten Literatur und den vielfältigen Begleitaufgaben kaum entsprochen werden.

Solistisch, mit Orchester und vom Nachwuchs gespielt

Die von Orgelbau Metzler unter Mitwirkung der Basler Firma Klahre erbaute Orgel wurde am 4. September mit einer stringenten Programmfolge erstmals vorgestellt: Auf die noch eher konventionellen Klangmischungen im Programm von Iveta Apkalna (Hamburg) – Werke von Widor, Bach und Kalniņš (letzteres pathetische Hochromantik aus der lettischen Heimat der Organistin) – folgten eine Auswahl ungewohnter Effekte in subtilen Improvisationen von Vincent Dubois (Paris) und der satte, opulente Wohlklang einer englischen Saalorgel in den Beiträgen von Thomas Trotter (London, Birmingham). Zu den innovativen Besonderheiten des Basler Instruments gehört das sogenannte winddynamische Werk, das einen flexiblen Zugriff auf Ansprache, Intensität und Klang einiger Register erlaubt.

Der 5. September wurde als Orgeltag mit Beiträgen von Basler Organistinnen und Organisten gestaltet. Zu hören waren überaus zahlreiche Bearbeitungen (vor allem von Orchesterwerken des 18. und 19. Jahrhunderts), daneben auch Improvisationen und neue Musik. Wie bei vielen kirchenmusikalischen Veranstaltungen neuerer Zeit wurde versucht, das traditionelle kirchliche Sonntagsgesicht der Orgel weitestgehend auszublenden – dies führte dazu, dass das neue Instrument ausgerechnet im Beitrag mit Musik jüdischer Komponisten am meisten nach «Kirche» klang.

Der dritte Festivaltag brachte zunächst den abwechslungsreichen Familiennachmittag: Auf ein Orgelmärchen folgten die Präsentation für Kinder, bei der mutige Teilnehmende selbst in die Tasten greifen durften, und das Preisträgerkonzert des Wettbewerbs «Orgelkompositionen für Kinder», der vom Verein «Kinder an die Orgel» und der Musik-Akademie Basel ausgerichtet worden war. Die abwechslungsreiche Folge neuer Stücke wurde von Nachwuchskräften im Alter von 8 bis 15 Jahren souverän vorgestellt.
Das Konzert des Basler Sinfonieorchesters am Abend begann ohne Orchester: Martin Sander (Basel, Detmold) spielte eine Bearbeitung der Ouvertüre zum Fliegenden Holländer; seine virtuose Tat vor den noch leeren Stühlen des Podiums erregte Bewunderung, führte aber auch zur ironischen Betrachtung, hier sei eine wahrhaft «Corona-taugliche» Version des Orchesterwerks gefunden worden. Es folgten als Uraufführung das süffige Concerto da Requiem von Guillaume Connesson, in dem die Klänge der Orgel raffiniert mit jenen des Orchesters verwoben werden, schliesslich die populäre Orgelsinfonie von Camille Saint-Saëns. Das engagiert und differenziert agierende Orchester wurde von Ivor Bolton geleitet. In einem Grusswort versicherte Orchesterdirektor Franziskus Theurillat, dass die künftige Nutzung der Orgel auch ein Anliegen des Orchesters sei. Dies liess aufhorchen angesichts der Situation in manchen anderen Städten, wo wertvolle Konzertsaalorgeln zwar vorhanden, aber nur selten zu hören sind. In die Konzerte des ersten und dritten Festivaltags waren Ehrungen integriert: Ein Preis der Europäischen Kulturstiftung Pro Europa ging an Jacqueline Albrecht (für ihren grossartigen Einsatz bei der Sammlung der für den Orgelbau nötigen Summe) sowie an die Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron. Allerdings führte die Reihung von Einführung, Laudatio, Preisübergabe und Ansprache der Frischgeehrten zu unerwarteten Längen.
 

Vielfarbige Klänge, mit Bedacht zu ziehende Register

Nach zwölf Tagen Wartezeit wurde das Festival mit drei weiteren musikalischen Ereignissen fortgesetzt: Am 18. September liess sich das Kammerorchester Basel unter der Leitung von Pierre Bleuse klangfreudig und liebevoll mit Musik aus Frankreich hören. Für das Orgelkonzert von Francis Poulenc hatte der Solist Olivier Latry eine von aller Routine freie, überlegene Klangregie gefunden, die unnötige Schärfen vermied und die farbenreiche Orgel von ihren besten Seiten zeigte. Der Konzertabend Orgel trifft Tango, Jazz und Balkanmusik führte drei Ensembles, die unter Nutzung der Orgel in den genannten Stilen zu Hause sind, und drei Tanzformationen zusammen. Die Performances lösten grosse Begeisterung aus und bestätigten nebenbei die Vielseitigkeit der Orgel. Das Abschlusskonzert sollte über 200 Sängerinnen und Sänger aus sieben Chören vereinen. Aus den allseits bekannten Gründen musste das Singen in dieser grossen Formation auf das Jahr 2021 verschoben werden. Der Abend wurde nun von den Basler Madrigalisten unter Leitung von Raphael Immoos gemeinsam mit den Organistinnen Babette Mondry und Iveta Apkalna gestaltet. Auch auf diese Weise war ein kontrastreiches Programm möglich – von Louis Viernes Carillon de Westminster und dem affirmativen Hymnus für Orgel solo von Peteris Vasks bis zur witzigen Cantata Rejoice in the Lamb von Benjamin Britten, bei der zur Überraschung des Publikums auch eine Auswahl von Mitgliedern der anderen vorgesehenen Chöre kurz zu hören war.

In Basel steht nun also eine Orgel zur Verfügung, die den spezifischen Anforderungen eines Konzertsaals vielfarbig und inspirierend zu genügen vermag. Allerdings setzt diese Orgel eine überlegte Nutzung voraus. Die unhinterfragte Übernahme von ererbten «Rezepten» für die Auswahl der Register kann zu unvorteilhaften Schärfen führen. Das aus England importierte Tuba-Register auf hohem Winddruck ist ein imponierender klanglicher Spezialeffekt für Krönungen oder Papstbesuche – Anlässe, die im Casino selten sind. Eine Verwendung für allfällige Meisterfeiern des FCB könnte in Betracht gezogen werden. Dass dieses Soloregister jedoch nicht in das Tutti der Orgel hineingemixt werden sollte, dürfte klar geworden sein. Und sogar beim Gebrauch der neobarock-strahlenden Mixtur des Hauptwerks der Orgel empfiehlt sich grosse Vorsicht – wie bei tausend anderen Orgeln des Landes auch.
 

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