Lautmalerisches Trio

René Wohlhauser hat mit «Quamakútsch» ein kontrastreiches Kammermusikwerk für Flöte, Kontrabass und Klavier geschaffen.

René Wohlhauser. Foto: Martin Spiess

Das Trio Quamakútsch für die seltene Besetzung Flöte, Kontrabass und Klavier wurde vom Basler Komponisten René Wohlhauser für das Art Ensemble Berlin komponiert. Quamakútsch ist, wie er schreibt, ein Werktitel, «der keine konkrete Bedeutung hat, aber als Lautpoesie musikalisch auf die Wahrnehmenden wirkt, wie die Musik als nonverbale Ausdrucksweise emotional und unterschwellig auf die Wahrnehmenden wirkt». Gleich am Anfang beginnt das Klavier zu pulsieren und wird bald von den Tremoli in der Flöte und im Kontrabass kontrastiert, die sich bis zur vierten Oktave aufschwingen und dann wieder vom Klavier noch weiter nach oben geführt werden. Für René Wohlhauser symbolisiert dies einen «chaotischen Anfang, gleichsam ein Sinnbild für das Suchen». Geheimnisvoll erklingen zwischen den hohen und lauten Abschnitten immer wiederkehrende, stimmungsvolle «Misterioso»-Intermezzi von Flöte und Kontrabass. Sie sind von mikrotonalen Glissandi durchzogen, welche interessante Klangfärbungen bewirken. Der Komponist setzt die Mikrotonalität bewusst flexibel ein, durchmischt die verschiedenen Systeme. Wohlhauser bezeichnet seine Kompositionsweise als «Horchen in die Tiefe» und will der Oberfläche gehaltvolle Musik entgegensetzen.

Im Anschluss entwickeln sich viele verwobene Figuren und Gesten in den drei Instrumenten, die sich gegenseitig aus sich heraus zu entfalten wie auch zu kommentieren scheinen und immer wieder zu den kurzen, ruhigen Intermezzi zurückkehren. Im Notenbild finden sich auch oft gespiegelte Bewegungen, zunächst als sich entwickelnde Synchrontriller in Flöte und Kontrabass, dann wieder figurativ im Klavier, die fast nahtlos ineinander übergehen. Kontinuierlich kehren die verschiedenen Materialtypen wieder, verlassen Bisheriges und lassen sich auf Neues ein, sodass eine strukturelle Vielfalt entsteht. Quamakútsch klingt durch seine starken Wechsel zwischen dialogischen, meditativen und pulsierenden Abschnitten sehr abwechslungsreich und interessant und ist eine grosse Bereicherung der eher spärlichen Literatur für diese Besetzung.

Image

René Wohlhauser: Quamakútsch für Flöte, Kontrabass und Klavier, Partitur, Edition Wohlhauser Nr. 1785, Ergon 59, Fr. 42.00, www.renewohlhauser.com/

Überhaupt nicht einseitig

Einfache, dabei musikalisch gehaltvolle, pianistisch lehrreiche zweistimmige Stücke hat Emil Hradecký auf je einer Seite konzentriert.

Ausschnitt aus dem Titelbild

Oft sind wir auf der Suche nach neuer Klavierliteratur, die einfach ist, aber sowohl Lehrerin als auch Schüler aufhorchen lässt. Beim Durchsehen der Zweistimmigen Klavierstücke auf einer Seite habe ich schnell gemerkt, dass diese keinesfalls einseitig sind. Ich empfand immer von Neuem grosses Vergnügen am Einfallsreichtum bei aller Schlichtheit. Federstrichartig gelingt es Emil Hradecký (*1953) verschiedene Stimmungen in einem zweistimmigen Klaviersatz einzufangen und dabei erst noch typisch pianistische Spieltechniken zu berücksichtigen. Schwer-leicht, Öffnen und Schliessen der Hand, Pedalgebrauch, polyfones Spiel, verschiedene Artikulationsweisen, all dies kommt ganz beiläufig zum Zuge, ohne demonstrativ belehrend hervorzutreten. Dazu trägt auch der musikalische Gehalt bei. Die Stücke überzeugen durch klangliche und rhythmische Vielfalt und Klarheit der Idee. Nebst einigen Charakterstücken gibt es viele kleine Tänze von Menuett über Tango bis Cha-Cha-Cha.

Aufgeweckte junge Schülerinnen und Schüler, aber gerade auch jugendliche Anfänger oder Wiedereinsteigerinnen dürften sich gerne mit diesen spielfreudigen Stücken beschäftigen und daran viel Wertvolles lernen und entdecken.

Image

Emil Hradecký: Zweistimmige Klavierstücke auf einer Seite, 16 leichte Stücke für Anfänger, H 8034, € 7.50, Bärenreiter, Prag 2017

Ehrerbietungen eines Lausbuben

In seinem Streichquartett Nr. 1 «Tributes» spielt Hyung-ki Joo hintersinnig und humorvoll mit Versatzstücken, die an Henry Purcell, Samuel Beckett, Ludwig van Beethoven, Edvard Munch, J. S. Bach und Arnold Schönberg erinnern.

Hyung-ki Joo während eines Konzerts in Hainburg 2017. Foto: Florian Simon/wikimedia commons

Der englische Pianist, Komponist und Multitasker südkoreanischer Herkunft, Hyung-ki Joo, ist ein musikalisches Phänomen. Ausgebildet an einer der international renommiertesten Talentschmieden, der Menuhin School in London, bahnten ihm sein grosses musikalisches Talent, sein unstillbarer Wissensdurst und seine umwerfenden dramaturgisch-komödiantischen Fähigkeiten schnell den Weg zu einer bedeutenden Karriere im klassischen Musikbetrieb und weit darüber hinaus. Das Duo Igudesman & Joo ist weltberühmt, ein Youtube-Hit, die beiden füllen mit ihren humoristischen Programmen grosse Hallen. Ihn darauf zu reduzieren, würde aber heissen, ihn zu unterschätzen. Es geht Joo nicht nur um die Parodie, die Hinterfragung tradierter Konzertformen, die Maskerade, sondern auch um eine Neuinszenierung subtiler Inhalte. Seine Arbeiten sind immer von Respekt vor den grossen Meistern gekennzeichnet. Spielend leicht wechselt er von E nach U, bleibt aber immer souverän-glänzender Pianist und Wertevermittler. Von ihm ein «seriöses» Streichquartett zu erwarten, wäre dennoch ein Missverständnis, denn er möchte sich nicht messen lassen am etablierten Kanon, sondern musikalisch auf der Bühne (sicher hier nicht via Aufnahme) unterhalten, zum Nachdenken anregen, inspirieren.

Das vorliegende Quartett entstand noch zu Studienzeiten und nimmt all jene Eigenschaften vorweg, die ihn später als bewunderten Bühnenzauberer kennzeichnen. Die überaus kurze Partitur – fast fühlt man sich an Anton Webern erinnert – fasst sechs unterschiedliche Impulse zusammen, die Joo «Tributes» nennt, also Ehrerbietungen an Vorbilder, Inspiratoren aus Musik, Theater und bildender Kunst. Es sind Henry Purcell und sein Stück Fantasia on One Note, Samuel Becketts Warten auf Godot, Ludwig van Beethovens 5. Sinfonie, Edvard Munchs Der Schrei, J. S. Bachs Französische Suite h-Moll (BWV 841) und schliesslich Arnold Schönbergs Zwölftontechnik. Wer hier eine aufgefächerte, intellektuell anspruchsvolle Hommage an die genannten Grössen erwartet, liegt falsch. Joo zündet einen Bühnenspass, der technisch gekonnt Hintersinn mit Humor verbindet, Bekanntes lausbubenhaft demontiert und wieder zusammenflickt, das Publikum auf falsche Fährten führt, nur um lautstark und mit Aplomb (oder kultiviert mit gespieltem Ernst) Vertrautes zu zitieren, bevor sich neue Fragezeichen auftun, um final aufgelöst oder zerstäubt zu werden. All dies erfordert vor allem eines: Interpreten, die sich auf dieses augenzwinkernde Spiel einlassen und das Stück mit dramaturgischem Verständnis zu Gehör bringen.

Image

Hyung-ki Joo: Streichquartett Nr. 1 «Tributes»; Partitur, UE 36 966, € 19.95; Stimmen, UE 36 967, € 24.95; Universal Edition, Wien 2017

(Zu) wenig bekannte Violinkonzerte

Das Collegium Musicum Basel unter der Leitung von Kevin Griffiths hat mit der Geigerin Maria Solozobova wenig bekannte Konzerte von Hans Huber und Paul Juon aufgenommen.

Maria Solozobova. Foto: Kaupo Kikkas

Es ist eine alte Weisheit, dass Schweizer Komponisten im eigenen Land wenig gelten. In den letzten Jahren hat aber eine erfrischende Entdeckerfreude eingesetzt, die so manches Juwel zu Tage gefördert hat. So fand die vom Aargauer Sinfonieorchester unter Douglas Bostock eingespielte Sinfonie d-Moll von Hermann Suter international Beachtung. Und vom selben Orchester – nunmehr als argovia philharmonic – ist unter Bostocks Leitung die Herausgabe von Hans Hubers d-Moll-Sinfonie in Arbeit.

Kevin Griffiths eifert mit Erfolg seinem britischen Dirigentenkollegen nach, hat er doch mit dem Collegium Musicum Basel zwei Violinkonzerte von Hans Huber (1852–1921) und Paul Juon (1872–1940) aufgeführt und bei Sony eingespielt. Spiritus Rector dabei war die junge russische Geigerin Maria Solozobova, welche die Werke aufgespürt hatte. Schon in den Konzerten 2014 und 2016 im Casino Basel gefielen sie, zumal die Solistin viel zum Gelingen beitrug. Nun wurde daraus ein Tondokument von Wert.

Hans Hubers einsätziges, rund 18-minütiges Werk ist ganz in spätromantischem Stil gehalten: breit fliessend, musikalische Gedanken aneinanderreihend. Das Collegium Musicum unter der Leitung von Kevin Griffiths begleitet die stilsicher und mit schmelzendem Ton spielende Solistin klangsinnlich, aber nicht sentimental.

Spannender und auch «knorriger» ist das dreisätzige Violinkonzert op. 42 von Paul Juon, dem Enkel eines Zuckerbäckers aus dem bündnerischen Masein, der nach Russland auswanderte. Juons zwischen schwelgender Üppigkeit und herber Direktheit oszillierender Stil prägt auch das 1908/09 entstandene Violinkonzert. Das Werk lebt von einer variablen Metrik, die wie die Melodik ständig umgestaltet wird, sodass der Eindruck zwischen bodenständig und schwebend changiert.

Juons Musik ist am russischen und nordischen Idiom etwa von Sibelius orientiert. Genau das Richtige für Solozobova, die mit warmem Klang und technischer Raffinesse den Solopart interpretiert. Kevin Griffiths, bekannt für seinen geradlinigen Dirigierstil, passt da gut dazu: der rhythmisch heikle erste Satz kantig und herb, die anschliessende Romanze voller Kantilenen und das volksmusikalisch-tänzerische Finale mit wuchtigem Drive.

Zwar sind in der Einspielung kleinere Unebenheiten im Orchester zu vermerken, aber man bekommt anhand der durchschimmernden Akustik des Stadtcasinos Basel, wo die Aufzeichnungen gemacht wurden, Heimweh nach dem hervorragenden Konzertraum, der leider erst 2021 wieder bespielt werden kann. Schade, enthält das Booklet zwar Informationen zu den Komponisten, aber nichts zu den eingespielten Werken.

Image

Une Révélation: Violinkonzerte von Huber und Juon. Maria Solozobova, Violine; Collegium Musicum Basel, Leitung Kevin Griffiths. Sony 80358 118320

Bearbeitung von freien Werken

Es lohnt sich, bei musikalischen Bearbeitungen die urheberrechtlichen Fallstricke zu kennen, da ein Straucheln unter Umständen teuer zu stehen kommen kann.

Sich von anderen inspirieren zu lassen, bestehende Werke für andere Besetzungen aufzubereiten oder gar ganze Teile einer bestehenden Komposition in einem neuen Werk zu verwenden, ist eine alte Tradition. Was gilt es aus urheberrechtlicher Sicht bei der Bearbeitung eines freien Werkes zu beachten?

Was ist eine Bearbeitung?

Die Bearbeitung ist gemäss Urheberrechtsgesetz ein «Werk zweiter Hand». Für eine schutzfähige Bearbeitung gelten die gleichen Bedingungen, wie sie beim «Werk» definiert sind: Bearbeitungen eines Werkes, die persönliche geistige Schöpfungen des Bearbeiters sind, werden wie selbständige Werke geschützt. Die schöpferische Leistung entsteht durch die erkennbare Umformung, Veränderung oder Erweiterung der musikalischen Substanz der Vorlage.

Eine Bearbeitung liegt folglich vor, wenn ein neues Musikwerk unter Verwendung eines bestehenden Werkes so geschaffen wird, dass das verwendete Musikwerk in seinem individuellen Charakter erkennbar bleibt. Die neugeschaffenen Elemente müssen jedoch ebenfalls einen individuellen Charakter haben. Typische Beispiele für Bearbeitungen sind Arrangements von Werken für eine andere Besetzung oder die Übersetzung eines Textes in eine andere Sprache.

Nicht alle Veränderungen von Werken gelten als Bearbeitungen. Im Verteilungsreglement der SUISA findet sich ein ganzer Katalog von Arbeiten, die keine schutzfähige Bearbeitung ausmachen. Dazu gehören beispielsweise das Hinzufügen von dynamischen oder agogischen Bezeichnungen, das Übertragen in eine andere Tonart oder Stimmlage (Transpositionen), das Weglassen, Austauschen oder Verdoppeln von Stimmen oder die Zuweisung von bestehenden Stimmen an andere Instrumente (einfache Transkriptionen). Der vollständige Katalog kann im SUISA-Verteilungsreglement unter Ziff 1.1.3.5 nachgesehen werden. In der Praxis hat sich diese Aufstellung vielfach bewährt.

Bearbeitung bei der SUISA anmelden?

Musikalische Werke, die urheberrechtlich frei sind, können ohne Zustimmung bearbeitet und verändert werden. Bei der Anmeldung einer Bearbeitung eines freien Werkes, muss ein Belegexemplar des neuen Werkes sowie die benützte Vorlage eingereicht werden, damit der Musikdienst der SUISA die Schutzfähigkeit beurteilen kann. Das gilt für Werke, deren Urheber vor 70 oder mehr Jahren gestorben oder unbekannt sind, sowie für Werke, die volkstümlich überliefert sind und darum als traditionell gelten.

Der Musikdienst der SUISA prüft bei den eingereichten freien Werken, ob eine urheberechtlich geschützte Bearbeitung vorliegt. Das geschieht immer mittels Vergleich des Originals zur bearbeiteten Fassung. Dabei spielt die inhärente musikalische Qualität des eingereichten Musikstücks oder Satzes keine Rolle.

Welche Arten von Bearbeitungen gibt es?

1. Normale Bearbeitung

Der Normalfall ist das «Arrangement» im engeren Sinn. Eine beliebte Melodie wird durch Zufügen von Stimmen oder Instrumenten für eine bestimmte Besetzung aufbereitet (z. B. für gemischten Chor, Streichquartett, Orchester, Ländlerkapelle, Big Band etc). Die Melodie oder Hauptstimme wird exakt übernommen, die Begleitung wird neu gemacht. Der Anteil des Bearbeiters beträgt in diesem Fall 15% (bei Werken mit Text) oder 20% (bei Werken ohne Text).

2. Mit-Komposition

Die freie Melodie ist nicht zugleich Oberstimme, sondern befindet sich versteckt im Innern des musikalischen Gefüges. Für diesen Spezialfall (z. B. bei Chor- und Orgelmusik) ist die Leistung des Bearbeiters höher zu bewerten, weil er eine eigene Ober- oder Hauptstimme erschaffen muss und die übernommene Melodie meist durch sogenannte kontrapunktische Techniken in die Musik einbetten muss. Der Anteil des Bearbeiters beträgt bei diesen Werken 50% des Komponistenanteils.

3. Rekonstruktion

Ein Originalwerk bricht an einer oder mehreren Stellen ab, ist vom Komponisten (oder durch Verluste der Überlieferung) unvollendet hinterlassen und wird vom Bearbeiter vervollständigt. Der Anteil des Bearbeiters beträgt bei diesen Werken 50% des Komponistenanteils.

4. Komplexere Jazz-Versionen mit wechselnden Solisten

Der Ablauf beginnt mit einer kurzen Vorstellung der freien Originalmelodie. Dann beginnen mehrere Solisten oder «Register» (Saxophone, Posaunen, Klavier, Schlagzeug) nacheinander mit improvisatorischen Umspielungen dieser Melodie, welche den Hauptteil des Werkes ausmachen. Optisch wird das dadurch verdeutlicht, dass die Solisten oder Register beim Solo aufstehen. Als Abschluss wird die Originalmelodie oft gemeinsam wiederholt. Der Anteil des Bearbeiters beträgt bei diesen Werken 50% oder 100% des Komponistenanteils, je nach Umfang und Bedeutung der Soli.

5. Variationszyklen

Variationen über Themen aus der Musikgeschichte (Diabelli-Variationen, Paganini-Variationen, Gershwin Variationen etc.) sind das Paradebeispiel dafür, dass die Originalvorlage gegenüber der variierten Version total zurücktritt. Das Ausgangs-Thema ist nur noch Vorwand für ein völlig neues Werk. Der einzig Berechtigte ist deshalb der Schöpfer der Variationen. Es heisst: «Die Diabelli-Variationen von Beethoven» etc. Der Anteil des Bearbeiters beträgt bei diesen Werken 100% des Komponistenanteils.

Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung des ersten Teils aus einer mehrteiligen Serie zum Thema Bearbeitungen, die auf dem SUISAblog unter der Rubrik «Gut zu wissen» erscheint:

www.suisablog.ch/gut-zu-wissen

www.suisablog.ch/bon-a-savoir

recyceln

Pet, Glas und Alu, aber auch Musik und Instrumente werden wiederverwertet. Geschichten über Musik als Rohstoff, zerstückelt oder am Stück, über reisende Orgeln und ein Gespräch mit Daniel Borel über seine Cigar Box Guitars.

Titelbild: Hubert Neidhart
recyceln

Pet, Glas und Alu, aber auch Musik und Instrumente werden wiederverwertet. Geschichten über Musik als Rohstoff, zerstückelt oder am Stück, über reisende Orgeln und ein Gespräch mit Daniel Borel über seine Cigar Box Guitars.

Alle blau markierten Artikel können durch Anklicken direkt auf der Website gelesen werden. Alle andern Inhalte finden sich ausschliesslich in der gedruckten Ausgabe oder im e-paper.

Focus

Wir kreisen in der Nacht!
Kritisch-fragmentarische Gedanken zum kompositorischen Recycling

Du recyclage de la musique

Königinnen auf Wanderschaft
Wie geht Recycling im Orgelbau?
Von Ingenbohl nach Siauliai: ein Beispiel für Orgel-Recycling

Quand une boîte de cigares devient une guitare
Entretien avec Daniel Borel, luthier

… und ausserdem

FINALE


Rätsel
— Dirk Wieschollek sucht


Reihe 9

Seit Januar 2017 setzt sich Michael Kube für uns immer am 9. des Monats in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb.

Link zur Reihe 9


Download der aktuellen Print-Ausgabe

Hier können Sie die aktuelle Ausgabe herunterladen. Bitte geben Sie im Printarchiv den Suchbegriff «e-paper» ein.
Für Abonnentinnen und Abonnenten ist der Download kostenlos.

Allen andern Interessentinnen und Interessenten wird das PDF der aktuellen Ausgabe (oder einer früheren Ausgabe) gerne per E-Mail zugestellt. Kosten: Fr. 8.-.
Hier geht es weiter zur Bestellung des e-papers.

Wir verschicken gerne auch die gedruckte Ausgabe. Kosten: Fr. 10.-
Hier geht es weiter zur Bestellung der gedruckten Ausgabe.

Kategorien

Von Ingenbohl nach Siauliai

2017 wurde die Orgel der Pfarrkirche Ingenbohl abgebaut, verpackt, nach Siauliai in Litauen transportiert und in der dortigen Pfarrkirche wieder aufgebaut.

Die Cäcilia-Orgel vor ihrem Abbau in der Pfarrkirche Ingenbohl. Foto: as

Vorgeschichte

Die Pfarrkirche Ingenbohl wurde 1658 bis 1661 gebaut und mit der Renovation 1927 vergrössert. Foto: ks

Am 25. November 2015 hatte die Pfarreiversammlung der römisch-katholischen Kirchgemeinde Ingenbohl-Brunnen (SZ) ohne Gegenstimme beschlossen, die bald 60-jährige Cäcilia-Orgel durch eine neue Metzler-Orgel zu ersetzen.

Was sollte mit der 1958 von der Cäcilia (A. Frey) AG gebauten dreimanualigen Orgel geschehen? Das Instrument mit 37 Registern und Rückpositiv war mehrfach revidiert worden, zuletzt 2003 durch die Firma Orgelbau Erni, Stans. Es war zwar noch spielbar, wurde jedoch den Brandschutz- und Elektrikvorschriften nicht mehr gerecht.

Der hauptamtliche Kirchenmusiker und Organist der Pfarrkirche Ingenbohl, Stefan Albrecht, hier an der «alten» Orgel am «alten» Standort, hat das ganze Orgelbauprojekt begleitet und dokumentiert. Foto: ts

Dank der Osteuropahilfe – das internationale Hilfswerk «Triumph des Herzens» sammelt neben Gebrauchsgegenständen ausdrücklich auch Musikinstrumente – konnte die Ingenbohler Orgel nach Litauen vermittelt werden. In der Pfarrkirche «Mariä Empfängnis» in Siauliai hatte man bis dahin mit einem Instrument auskommen müssen, das der Grösse des Raums nicht gerecht wurde.

Die Pfarrkirche in Siauliai wurde 2009 eingeweiht. Zuvor dienten eine Fabrikhalle und später leer stehende Räumlichkeiten der Kinderklinik als Kirche. Foto: ts

Demontage in Ingenbohl

Nachdem sie das Instrument im Januar 2017 inspiziert hatten, bauten der litauische Orgelbauer Aloyzas Lizdenis und sein Team die Orgel in Ingenbohl Ende April 2017 innerhalb von 10 Tagen komplett ab.

Abbau des Gehäuses, rechts Aloyzas Lizdenis. Foto: as
Abbau des Rückpositivs. Foto: as
Freilegen des doppelten Bodens unter dem Spieltisch. Foto: as

Anschliessend baute die Metzler Orgelbau AG, Dietikon, das neue, zweimanualige Instrument mit 32 Registern in den Ingenbohler Kirchenraum ein. Diese Orgel wurde am 10. September 2017 eingeweiht.

Neue Metzler-Orgel in Ingenbohl ohne Rückpositiv. Foto: ks

Wiederaufbau in Siauliai

In der Zwischenzeit wurde das alte Instrument nach Siauliai transportiert und für den Einbau in die Pfarrkirche «Mariä Empfängnis» vorbereitet. Stefan Albrecht reiste im Sommer 2017 selbst nach Siauliai. Zu diesem Zeitpunkt waren Teile der alten Ingenbohler Orgel noch verpackt.

Eingepackte Orgelteile in der Pfarrkirche von Siauliai. Foto: as

In den folgenden Monaten bauten Aloyzas Lizdenis und sein Team die weitgereisten Einzelteile am neuen Bestimmungsort auf.

Die Einbauarbeiten wurden in der zweiten Jahreshälfte 2017 aufgenommen. Foto: ts
Das Gehäuse ist bald wieder erkennbar. Foto: ts

Der Wiederaufbau in Siauliai wurde mit der Kollaudation am 13. Mai 2018 abgeschlossen.

Das neue «alte» Instrument in Siauliai mit Blumenschmuck an der Orgelweihe. Foto: ts

Bilder zur Orgelweihe in der Pfarrkirche «Mariä Empfängnis» von Siauliai

http://siauliuvyskupija.lt/vargonu-sventinimas-siauliu-svc-m-marijos-nekaltojo-prasidejimo-baznycioje

Die Kosten für Abbau, Transport und Wiederaufbau beliefen sich auf rund 25’000 Schweizer Franken. Die Osteuropahilfe hatte die Gesamtprojektleitung inne und konnte die Ausgaben mit Spendengeldern decken.

www.osteuropahilfe.ch

In den letzten zwanzig Jahren hat die Osteuropahilfe drei Orgelprojekte realisiert. Neben dem oben beschriebenen waren es:

2004/2005 – Orgel des Basler Münsters -> kath. Kathedrale in Moskau https://www.osteuropahilfe.ch/laender/russland/oekumenische-arbeit/eine-orgel-fuer-moskau
Dieses Projekt wird auch im Artikel «Königinnen auf Wanderschaft»von Jürg Erni kurz erwähnt (Schweizer Musikzeitung 11/2018, S. 10/11)

2016/2017 – Orgel der Institutskapelle von Menzingen -> kath Kirche in Resita (Rumänien)

Verarbeitung von Musik neu gedeutet

Forscher und Forscherinnen des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik, der Aix-Marseille Université, der New York University und der Universität Genf fordern in einem gemeinsamen Leitartikel die Überarbeitung bisheriger Theorien zu neuronalen Mechanismen der zeitlichen Verarbeitung von Musik und Sprache.

MEG-Scanner. Foto: NIMH (s. unten)/wikimedia commons,SMPV

Das Team stellt einen theoretischen Ansatz vor, der die Interaktion unterschiedlicher Hirnregionen in die bisherigen Verarbeitungsmodelle umfassend integriert. Der Ansatz ermöglicht erstmalig, sowohl periodische als auch aperiodische zeitliche Vorhersagen zu erklären.

Das Erkennen von Zeitstrukturen und die Vorhersage des Zeitpunkts eines Signals sind grundlegende Fähigkeiten des menschlichen Gehirns. Sie sind mehr noch eine wesentliche Voraussetzung für das Verstehen von Sprache oder die Verarbeitung von Musik, die über das reine Hören hinausgehen. Bisherige Forschung hat sich vor allem auf die neuronalen Mechanismen konzentriert, die es uns erlauben, periodische also regelmässig wiederkehrende Signale zu verarbeiten und aufgrund dieser zeitliche Vorhersagen zu treffen. Bisher wurde angenommen, dass dies durch neuronale Schwingungen, sogenannte Oszillationen, die im Gehirn auf ein sich wiederholendes Signal folgen, geschieht.

Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass das menschliche Gehirn auch in der Lage ist, aperiodische, also nicht regelmässige zeitliche Vorhersagen zu treffen. Diese Tatsache kann allein durch die Oszillationstheorie nur unzureichend erklärt werden. Mittels aperiodischer Vorhersagen ist das Gehirn zum Beispiel in der Lage, den Verlauf einer Bewegung abzuschätzen oder die Dynamik eines Gesprächs zu beurteilen. Dies legt nahe, dass aperiodische Prozesse für das Zurechtfinden im Alltag nicht minder entscheidend sind als periodische und deshalb – gestützt durch ein fundiertes theoretisches Modell – gründlich erforscht werden sollten.

Bisherige Modelle basieren auf der Annahme unterschiedlicher Mechanismen für periodische und aperiodische Vorhersagen: Zum einen Stimulus-gesteuert, das heisst durch Oszillationen, welche durch ein Signal hervorgerufen werden, zum anderen einen von unserem Gedächtnis geleiteten Mechanismus. Dagegen zeigt die aktuelle Forschung, dass neuronale Oszillationen im Gehirn von übergeordneten Verarbeitungsstufen beeinflusst werden, die auch aperiodische Prozesse einschliessen. Dabei sind mehrere Hirnareale zugleich aktiv. «Es ist wahrscheinlich, dass ein einheitlicher Mechanismus stattfindet, der auf neuronalen Oszillationen basiert, aber nicht rein Stimulus-gesteuert ist», erklärt Hauptautorin Johanna Rimmele vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik. «Oszillationen scheinen für die Prozesse der neuronalen Verarbeitung nach wie vor eine zentrale Rolle zu spielen – umfassend erklärt werden können zeitliche Vorhersagen aber nur durch eine komplexere Betrachtung mehrerer miteinander korrespondierender Hirnareale», führt die Neurowissenschaftlerin weiter aus.

Der Leitartikel schliesst mit offenen Fragen nach möglichen Forschungsansätzen, die auf das Modell aufbauen. Das Ziel müsse sein, die neuen Erkenntnisse auf theoretischer Ebene weiter zu verfeinern und experimentell zu untermauern.

Originalpublikation:
Rimmele, J. M., Morillon, B., Poeppel, D., & Arnal, L. H. (2018). Proactive sensing of periodic and aperiodic auditory patterns. Trends in Cognitive Sciences. https://doi.org/10.1016/j.tics.2018.08.003

 

Foto: National Institute of Mental Health, National Institutes of Health, Department of Health and Human Services 

 

Illustre Verlagsgeschichte

Die Universal Edition in Wien hat die Rezeptionsgeschichte der musikalischen Moderne vor allem in der Zwischenkriegszeit entscheidend mitgeprägt. Die Chronik von Hans W. Heinsheimer schildert diese Phase aus der Perspektive des Hinterzimmers.

Anteilschein der 1901 gegründeten Universal Edition Actiengesellschaft. Foto: UE

Wer sich an die Menagerie in Fis-Dur von Hans W. Heinsheimer erinnern kann (in den Fünfzigerjahren in Zürich erschienen) und wem das Kürzel UE mehr als nur zwei Buchstaben des Alphabets bedeutet, wird mit Lust und Neugier an diese Chronik des Wiener Musikverlags Universal Edition herangehen. In den ersten siebenunddreissigeinhalb Jahren, von denen Heinsheimer fünfzehn Jahre als Chef der UE-Bühnenabteilung mitgestaltete, wurde erstaunlich vieles von dem, was heute die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts musikalisch verkörpert, dort verlegt: Werke von Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Alban Berg, Paul Hindemith, Kurt Weill, Ernst Krenek, Béla Bartók, Leoš Janáček und anderen – Erfolgswerke wie der Wozzeck, Jonny spielt auf, Die Dreigroschenoper oder Jenůfa.

Die Rezeptionsgeschichte der Moderne, wie sie sich vor allem in der Zwischenkriegszeit abspielte, wird in dieser Verlagsgeschichte aufgefächert. Sie belegt, dass dieser Schwerpunkt dem Wiener Verlag, durch die politische Entwicklung in Deutschland verursacht, unverhofft zufiel. In engster Verbindung mit dem Verlag wurden in den Musikblättern des Anbruch unkonventionelle, progressive und auch provokative Aufsätze, Konzert- oder Werkbesprechungen publiziert, welche neue Trends zu setzen vermochten. Heinsheimer nahm bereits die ersten Texte des 23-jährigen Theodor Wiesengrund-Adorno entgegen, aber auch Ernst Kreneks Kommentar dazu, dass diese Aufsätze «über den Stil seiner Rede hinaus (er sprach wie gedruckt) in jene Region hermetischer Verschlüsselung vorstiessen, die an Manieriertheit grenzt und die Lektüre seines Werkes so reizvoll wie schwierig macht». Heinsheimer porträtierte die Verlagskunden, die bei ihm ein- und ausgingen, treffsicher und mit manchmal süffisant-liebevoller Zuwendung, vermochte der Pingeligkeit Bartóks beim Notendruck Verständnis entgegenzubringen oder konnte die rechthaberische Haltung von Karl Kraus in Sachen Vertrag für seine Offenbach-Bearbeitungen bis in alle Verästelungen mit Lust nacherzählen.

Es ist ein Genuss, bei ihm die Musikgeschichte aus der Perspektive des Hinterzimmers protokolliert zu sehen; dabei wird einem von Neuem bewusst, welch entscheidende Rolle die UE für die Werke der Wiener Schule und für die zeitgenössische Musik gespielt hat, mit der grossen Zahl von Uraufführungen, über die im Anbruch (1919–1937) und in Pult und Taktstock (1924–1930) auch ausgiebig berichtet wurde; allerdings nur solange, bis die Hetze von rechts gegen «entartete Kunst» auch in Wien dominierte und die Publikationen eingestellt werden mussten. Alle Jahrgänge der beiden Zeitschriften sind heute in vollem Umfang digital zugänglich.

Zu erwähnen ist allerdings noch, dass diese Chronik 1975 entstanden ist, aber nicht vollendet und deshalb nicht gedruckt wurde. Auch vierzig Jahre später lohnt es sich noch, sie zu lesen – Heinsheimer ist 1993 in New York im Alter von 93 Jahren verstorben.

Image

Hans W. Heinsheimer: UE – Die ersten 37 ½ Jahre. Eine Chronik des Verlags, 160 S., ill., € 19.95, Universal Edition, Wien 2017, ISBN 978-3-7024-7513-0

Verleihung des Alberik-Zwyssig-Preises 2018

Am 28. Oktober wurden die preisgekrönten Werke von Cyrill Schürch, Zürich, Markus Fricker, Rupperswil, und David Lang, Mammern, erstmals aufgeführt.

Uraufführung von Cyrill Schürchs «Alle, welche dich suchen»,Fotos: Stiftung Zwyssighaus

Die in Bauen ansässige Stiftung Zwyssighaus hat den Kompositionswettbewerb «Alberik-Zwyssig-Preis» 2018 zum dritten Mal national ausgeschriebenen. Sie will damit einen Beitrag zum musikalischen Leben leisten. Gefragt waren geistliche Kompositionen, die für einen leistungsfähigen Laienchor aufführbar sind und das Potenzial haben, Eingang ins Repertoire von Schweizer Chören zu finden. Xaver Fässler, als OK-Präsident verantwortlich für den Kompositionswettbewerb, und Stiftungsratspräsidentin Irène Philipp übergaben die Preise und würdigten die Komponisten und ihre Werke:

1. Preis: Cyrill Schürch für «Alle, welche dich suchen»
2. Preis: Markus Fricker für «Ich hebe meine Augen auf»
3. Preis: David Lang für «Gebet»

Preisverleihung und Preisträgerkonzert fanden in der St. Johanneskirche in Zug statt. Der Kirchenchor Walchwil, die Sopranistin Rahel Bünter sowie Bertina Adame an Orgel und Klavier interpretierten die Werke unter der Leitung von Peter Wehrlen.

Die Stiftung Zwyssighaus hält das Andenken an Pater Alberik (oder auch Alberich) Zwyssig hoch. Von seinen liturgischen Kompositionen wurde ein Graduale später in überarbeiteter Form zur Grundlage der Schweizer Nationalhymne. Alberik Zwyssig kam 1808 zur Welt, verliess den Ort aber bereits als Kind und trat mit 13 Jahren ins Kloster Wettingen ein.
Sein Geburtshaus in Bauen wird seit 1934 von einer Stiftung verwaltet.

 

Image
Irène Philipp, Cyrill Schürch, Markus Fricker, David Lang, Xaver Fässler (v.l.)

Berner Klavierstudenten auf Erfolgskurs

Nikita Tonkonogov, Valentin Cotton und Igor Andreev, Studierende von Thomasz Herbut, haben in zahlreichen internationalen Wettbewerben überzeugt. Cotton etwa ist Preisträger des Wettbewerbs der Schenk-Stiftung und wird am 23. November 2018 mit dem Argovia Philharmonic Ravels Klavierkonzert in G-Dur spielen.

Igor Andreev. Foto: zVg

Master-Student Nikita Tonkonogov wurde am 3. Internationalen Klavierwettbewerb in Vigo, Spanien, (März 2018) mit dem Spezialpreis für die beste Interpretation zeitgenössischer Musik ausgezeichnet. Er ging auch als Sieger aus dem 8. Internationalen Siegfried-Weishaupt-Klavierwettbewerb in Deutschland (August 2018) hervor.

Igor Andreev, HKB-Alumnus und Tschumi-Preis-Gewinner 2017, wurde am 2. Brescia Classica International Piano Competition in Brescia (August 2018) mit dem 3. Preis ausgezeichnet. Am International Piano Competition Città di Acquaviva delle Fonti (September 2018) gewann er den 2. Preis und den Publikumspreis (der 1. Preis wurde nicht vergeben). Am International Piano Competition Città di Verona (September 2018) wurde er mit dem 3. Preis sowie mit dem Preis für die beste Interpretation einer klassischen Sonate ausgezeichnet (der 1. Preis wurde nicht vergeben). Und am Finale der 25. Ausgabe des traditionsreichen italienischen Klavierwettbewerbes Rina Sala Gallo in Monza hat die Jury unter der Leitung von Vladimir Ashkenazy ihm den 1. Preis zugesprochen, ausserdem wurde er dort ebenfalls mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.
 

Anpassungen am Kulturlastenausgleich

Ausgelöst durch ein Postulat des Aargauer Grossen Rats führten die Kantone Aargau, Zürich und Luzern Verhandlungen über eine Senkung der Aargauer Kulturlastenbeiträge. Nun haben sich die Regierungsräte auf eine Reduktion geeinigt.

Foto: Bernd Kasper/pixelio.de

Seit 2010 überweist der Kanton Aargau laut der Medienmitteilung des Kantons jährlich Beiträge an die Kantone Zürich und Luzern für die Leistungen überregionaler Kultureinrichtungen, die auch von Aargauerinnen und Aargauern in Anspruch genommen werden. Diese Zahlungen basieren auf einer bundesrechtlichen Verpflichtung im Rahmen des Finanzausgleichs und der neuen Aufgabenteilung zwischen dem Bund und den Kantonen (NFA). Gegenwärtig belaufen sich die Aargauer Beiträge auf insgesamt 5,6 Millionen Franken pro Jahr (4,7 Millionen Franken an den Kanton Zürich, 0,9 Millionen Franken an den Kanton Luzern). Im November 2016 überwies der Aargauer Grosse Rat ein Postulat, das vom Regierungsrat die Neuverhandlung des Kulturlastenausgleichs mit dem Ziel verlangte, die Beiträge auf jährlich 4,9 Millionen Franken zu senken. Zudem sollten die Beiträge an die zwei Standortkantone nicht mehr alle drei Jahre neu berechnet, sondern als Pauschale festgelegt werden.

Nach mehrmonatigen Verhandlungen konnten sich die Verhandlungspartner nun auf einen Kompromiss einigen: Zürich und Luzern gestehen dem Aargau eine Reduktion zu. Ab 2019 soll der Gesamtbetrag des Kantons Aargau auf rund 5,25 Millionen Franken sinken. Die Entlastung gilt für sechs Jahre von 2019 bis 2024. Hingegen wird auf den vom Aargauer Grossen Rat gewünschten Wechsel zu Pauschalbeiträgen verzichtet. Ein solcher Wechsel lässt sich im Rahmen der geltenden interkantonalen Vereinbarung nicht umsetzen und würde den Austritt des Kantons Aargau aus der Vereinbarung bedingen. Mit dem vorliegenden Kompromiss kommen die Kantone Zürich und Luzern dem Kanton Aargau finanziell entgegen. Mit seinem Verbleib in der Vereinbarung bekennt sich der Kanton Aargau gleichzeitig zur bundesrechtlichen Verpflichtung zum Kulturlastenausgleich.

Vor Inkraftsetzung der Reduktion Anfang 2019 soll der Aargauer Grosse Rat zum Verhandlungsergebnis Stellung nehmen. Dazu unterbreitet der Aargauer Regierungsrat dem Grossen Rat eine Botschaft und beantragt die Abschreibung des hängigen Postulats.

Die angespannte Finanzsituation habe in mehreren Kantonen der Deutschschweiz kritische Diskussionen zum Kulturlastenausgleich ausgelöst und dessen Akzeptanz geschwächt, schreibt der Kanton Aargau weiter. Einzelne Kantone beteiligen sich nicht an der finanziellen Abgeltung von Zentrumslasten, welche Standortkantone von Kultureinrichtungen mit überregionaler Ausstrahlung tragen. Auf Initiative des Kantons Zürich hat die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) den Kulturlastenausgleich auf die Traktandenliste gesetzt, um eine Standortbestimmung vorzunehmen und eine gesamtschweizerische oder zumindest sprachregionale Lösung zu erarbeiten. Neben dem Kanton Zürich unterstützen auch die zuständigen Regierungsräte der Kantone Aargau und Luzern die Bestrebungen der EDK. Mit dem ausgehandelten Kompromiss setzen die drei Kantone im interkantonalen Umfeld ein Zeichen für Kontinuität in der Zusammenarbeit beim Kulturlastenausgleich. Sie unterstützen damit die Suche nach einer zukunftsfähigen, breit abgestützten Lösung auf gesamtschweizerischer Ebene, um so der bundesrechtlichen Verpflichtung zum Lastenausgleich im Bereich der Kultur Nachachtung zu verschaffen.
 

Musikpreise 2018 des Kantons Bern

Die vier mit je 15ʹ000 Franken dotierten Musikpreise 2018 des Kantons Bern gehen an Paed Conca, Christian Kobi, Björn Meyer und Sassy J. Mit dem Coup de cœur 2018, dotiert mit 3000 Franken, wird Milena Patagônia ausgezeichnet.

Björn Meyer. Foto: Fotini Potamia

Der Klarinettist und Bassist Paed Conca arbeitet seit fast 30 Jahren als Musiker und Komponist. Er schreibt Musik für Theater und Tanz, Film und kleine Ensembles oder improvisiert zusammen mit Grössen des Fachs. Sein Schaffen führt ihn regelmässig quer durch Europa und nach Japan, ein Schwerpunkt ist zurzeit auch der Libanon.

Der Saxophonist Christian Kobi ist Mitglied des Saxophon-Ensembles «Konus-Quartett», er tritt aber auch als Solist international auf. Ausserdem hat er in Bern 2004 das Zoom-in-Festival gegründet und damit erneut eine Plattform für improvisierte Musik in Bern geschaffen.

Der Bassist Björn Meyer arbeitete mit der persischen Harfenistin und Sängerin Asita Hamidi, dem tunesischen Oud-Meister Anouar Brahem oder auch mit dem Schweizer Komponisten und Holzbläser Don Li zusammen. Vor einem Jahr erschien sein erstes Solo-Album «Pro-venance» bei ECM.

Sassy J. wurde mit ihrem Auftritt am Worldwide Festival in Sètes 2013 international bekannt. Es folgten ein Mix auf Kassette für das Label The Trilogy Tapes, Auftritte in Barcelona und Amsterdam. Sie erntet damit die Früchte einer Arbeit, die Anfang der Neunziger im Jugendzentrum Graffiti in Bern mit Hip-Hop an zwei Plattenspielern begonnen hat.

Hinter dem Pseudonym Milena Patagônia steckt die 31-jährige Musikerin und Bund-Journalistin Milena Krstic. Nachdem sie lange mit der Rockband The New Cool unterwegs war, hat sie in den letzten Jahren im Duo mit Sarah Elena Müller (Gesang/Keyboard) und vor allem mit ihrem Soloprojekt als Milena Patagônia (Stimme/Elektronik) einen eigenständigen Stil gefunden. Sie gehört zu einer neuen Generation Berner Mundart-Pop.

Die öffentliche Verleihung der Musikpreise 2018 findet am Montag, 19. November 2018, um 19.30 Uhr in der Dampfzentrale Bern statt.

Umfrage zur Musik in der Volksschule

Der Verband Schweizer Schulmusik VSSM hat 2017/18 bei allen kantonalen Bildungsdirektionen eine Umfrage zum Fach Musik in der Volksschule lanciert. Nun liegen die Resultate vor.

Foto: Gerardo Madeo/pixelio.de,SMPV

Die Schwerpunkte der Umfrage bildeten die Stundentafel der Zyklen 1,2,3 nach der Einführung des Lehrplans 21, die Musikausbildung der Primarlehrpersonen in der Pädagogischen Hochschulen und die Umsetzung des Verfassungsartikels 67a zur musikalischen Bildung. Die Umfrage beinhaltete sechs konkrete Fragen, unter anderem Sicherstellung des Musikunterrichts an der Volksschule, Sparmassnahmen sowie zum Thema jugend+musik.

Der VSSM hat zu allen Fragen seine Stellungnahme in der Umfrage deklariert; so verlangt er zum Beispiel, dass Musik ein Pflichtfach für die Primarstufenausbildung ist respektive wird. Die Umfrage bildet den aktuellen Stand der Musikbildung in den Volksschulen der Kantone ab und zeigt , dass der Bundesartikel Art. 67a zwar auf dem Weg, aber noch längst nicht den Vorgaben entsprechend umgesetzt ist.

Die ganze Umfrage ist unter www.verbandschweizerschulmusik.ch/umfrage abrufbar.

Komplexitäten, digital und primitiv

Wechselbad der Gefühle bei den diesjährigen Donaueschinger Musiktagen.

Zimouns Klanginstallation. Foto: © SWR, Ralf Brunner

Die Uraufführung eines Stücks aus dem Jahr 1965 ist nicht alltäglich – erst recht nicht im Rahmen der Donaueschinger Musiktage, wo man Aktuelles gross schreibt. Auf dem Programm steht diesmal ein Stück von Hermann Meier, diesem Schweizer Unbekannten, dessen Ästhetik weder zur Nachkriegsavantgarde passen wollte noch zu den Vorstellungen eines Festivalmachers in den Sechzigerjahren. Heinrich Strobel, damaliger Leiter der Donaueschinger Musiktage, lehnte Meiers Werke ab. Schlicht resigniert notierte der 1906 in Selzach geborene Komponist auf der letzten Partiturseite des Stücks für grosses Orchester und Klavier vierhändig: «SW-Funk hat mir diese Partitur am 6. 10. 1965 zurückgewiesen».

Seltsam ist er, der Ton dieses «Stücks»: Meier mied nicht nur thematisches Material, er verzichtete auch bewusst auf jegliche Entwicklungen. Von der bildenden Kunst war er stark beeinflusst. Begeistert von der Zürcher Ausstellung Piet Mondrians im Jahr 1955 komponierte er statisch-zeitlose Klangflächen, die er blockartig aneinanderreihte. Dieses hier ist nicht Meiers stärkstes Werk. Über weite Strecken kommen karge Paukenschläge oder hämmernde Klaviercluster. Zu selten setzt er die Streicher ein, obwohl deren liegende Flächen kühlklanglichen Reiz entfalten. Antiexpressiv Monotones, auch Schroffes hat Meier wohl intendiert – bei all dem fehlt aber jenes Wild-Radikale, das viele andere seiner Orchesterstücke auszeichnet. Es ist noch einiges zu entdecken im zu wenig ausgeleuchteten Meier-Kosmos.

Vom Misslingen …

22 Uraufführungen gab es diesmal. Qualitative Querstände haben bei den Donaueschinger Musiktagen Tradition, doch selten erreichte das Auf und Ab solche Dimensionen. Isabel Mundry strandet vollends. Sie führte ein Interview mit einem syrischen Studenten und lässt daraus Ausschnitte sprechen von den Sängern des SWR-Vokalensembles. Im offenbar intendierten Alltagsbezug gerät dieses Mouhanad zu einer oberflächlichen, geradezu peinlichen Auseinandersetzung mit einem Thema, das seiner Vielschichtigkeit beraubt wird. Sicher: Man muss nicht immer dekonstruieren oder collagieren. Aber ein künstlerischer Mehrwert entsteht nicht, wenn man allseits bekannte Organisationsprobleme eines Flüchtlings inmitten deutscher Bürokratie redundant referiert. Auch das Orchesterwerk Ricochet des englischen Komponisten Benedict Mason scheitert. Munter spazieren hier die Musiker des SWR-Symphonieorchesters durch die Publikumsreihen, begeben sich auch mal auf Flure oder in Räume der Baar-Sporthalle. Doch schnell erschöpft sich das Geschehen klanglicher Fernwirkungen und einfachster Dialoge verschiedener Orchestergruppen. Tonwiederholungen, simple Achtelrhythmen oder das Intonieren banalster Tonleitern unterforderten Musiker und Publikum.

… und Gelingen

Beeindruckende Überforderung gab es auch. Georges Aperghis bearbeitete in seinem Thinking Things das in Donaueschingen zentrale Thema «Mensch und Maschine». Auf der Bühne befinden sind so etwas wie aneinandergereihte Stellwände mit Guckkästen. Über den Wänden fährt ein sprechender Roboterkopf hin und her, es ragen künstliche, sich bewegende Gliedmassen hervor, die Wandausschnitte geben den Blick frei auf reale Schauspieler, dazu kommen simultan erscheinende Videosequenzen, harsch-zerrissene Computersounds sowie eine Surround-Beschallung. Aperghis spricht von einer «Scherzo-Panik» – in der Tat wirkt sein multimediales «Theater der Verirrungen der Robotik» furchteinflössend. Schliesslich könnte die noch surreale Verselbständigung der Maschine bald real sein. Auf andere Art überzeugte eine Ballata N. 7 für Ensemble des 1973 geborenen Italieners Francesco Filidei. Er hat ein Faible für die Musiktradition und imponiert durch ungeheuren Ideenreichtum kombiniert mit einem Sinn für immanent Musikalisches. Gegen Ende der reichen Ballata N. 7 kommt eine mahlereske Idylle in unverkennbar ironischer Überzeichnung. Danach entfaltet das Umblättern offenbar leerer Partiturseiten leicht pulsierenden Schub. Ist alles gesagt? Nein, auch im Bereich der Ensemblekomposition gibt es noch viele erquickende Ideen – wohlgemerkt auch ohne Video, Elektronik oder grossartige Konzepte im Hintergrund.

Gleiches gilt für Klanginstallationen. 84 kleine Elektromotoren verbindet der 1977 in Bern geborene Klangkünstler Zimoun mit Bällen, die auf gestapelte Umzugskartons schlagen. Es ist auch hier nichts Digitales dabei, kein Computer, kein Microcontroller, keine komplizierte Motorsteuerung. «Primitive Komplexität» nennt Zimoun sein künstlerisches Credo, das dem Zufall Raum gibt und damit polyfon-irregulären Rhythmen, die in ihrem Eigenleben Kraft entfalten.
Ein Resümee eines derart dichten Festivals wie der Donaueschinger Musiktage kann es kaum geben. Ein Plädoyer vielleicht schon: weniger Brimborium tut es auch.

get_footer();