Ab Januar 2018 leiten Sonja Kuhn und Katrin Grögel im Rahmen eines Topsharing-Konzepts gemeinsam die baselstädtische Kulturabteilung. Das Leitungskonzept wird in der Verwaltung des Kantons erstmalig umgesetzt.
Musikzeitung-Redaktion
- 23. Nov. 2017
Sonja Kuhn (links) und Katrin Grögel (Bild: zVg)
Sonja Kuhn und Katrin Grögel decken laut der Mitteilung des Kantons das Profil für die Leitung der Abteilung Kultur aufgrund ihres jeweiligen beruflichen Hintergrundes und ihrer breiten Erfahrungen ab. Sonja Kuhn war bisher stellvertretende Leiterin der Abteilung Kultur und Katrin Grögel Beauftragte für Kulturprojekte in der Abteilung Kultur.
Das Präsidialdepartement reagiert mit dem Topsharing-Modell «auf gesellschaftspolitische Veränderungen und auf die Ansprüche von hochqualifizierten Arbeitnehmenden, die Verantwortung in Leitungsfunktionen im Rahmen einer Teilzeitanstellung wahrzunehmen». Sonja Kuhn und Katrin Grögel werden mit einem Beschäftigungsgrad von je 70 Stellenprozent angestellt sein. Für alle Leitungsentscheide und Geschäfte der Abteilung Kultur zeichnen sie gemeinsam verantwortlich. Im Modell integriert ist auch die gegenseitige Stellvertretung.
Berufliche Vorsorge von Kulturschaffenden
Stadt und Kanton Zürich organisieren die berufliche Vorsorge von Kunst- und Kulturschaffenden differenzierter. Ab 1. Januar 2018 gilt eine neue Regelung. Zur Finanzierung werden die zur Verfügung stehenden Fördergelder entsprechend gekürzt.
Musikzeitung-Redaktion
- 22. Nov. 2017
Foto: Bärbel Gast/pixelio.de
Für Kulturschaffende, die von Stadt oder Kanton Zürich einen Unterstützungsbeitrag erhalten und nachweisen, dass sie 6 Prozent des Unterstützungsbeitrages in die gebundene Vorsorge einzahlen, leisten die Förderstellen zusätzlich zum Unterstützungsbeitrag einen Beitrag in gleicher Höhe. Diese Regelung gilt für Werkjahre, Werkbeiträge, Werkstipendien und Freiraumbeiträge. Sie gilt ab einem Unterstützungsbeitrag von mindestens 10’000 Franken pro Jahr, Förderstelle und Kunstschaffenden.
Stadt und Kanton Zürich wirken überdies bei den von ihnen unterstützten Kulturinstitutionen darauf hin, dass den beschäftigten Kunst- und Kulturschaffenden eine Vorsorgelösung ab dem ersten Tag und Franken angeboten wird. Bei der Erneuerung von Verfügungen, Vereinbarungen oder Subventionsverträgen fliesst die Aufforderung, eine verbindliche Vorsorgeregelung in ihren Betrieben und Projekten zu etablieren, ein. Projektleitungen sind eingeladen, unter den Personalkosten neben den Sozialkosten Beiträge an die gebundene Vorsorge vorzusehen.
Die Beiträge für die Kulturförderung werden insgesamt allerdings nicht erhöht. Es stehen also entsprechend weniger Mittel für die direkte Unterstützung von Kulturschaffenden und Kulturprojekten zur Verfügung. Das sei auf den ersten Blick schmerzlich, schreiben Stadt und Kanton. Wenn es aber gelinge, «Kulturschaffende für das Thema zu sensibilisieren und sie damit vor der Fürsorgeabhängigkeit im Alter zu bewahren», dann zahlten sich diese Investitionen langfristig aus.
Puerta Sur für BMW Welt Jazz Award 2018 nominiert
Das Trio Puerta Sur ist für den BMW Welt Jazz Award 2018 nominiert worden. Es tritt am 18. März 2018 in München mit seinen eigenen Adaptionen von Trouvaillen des Tango Nuevo und argentinischen Volksliedern an.
Musikzeitung-Redaktion
- 21. Nov. 2017
Marcela Arroyo (Bild: zVg)
Das Trio Puerta Sur besteht aus Marcela Arroyo (Gesang), Andreas Engler (Violine) und Daniel Schläppi (Bass). Thomas Schläppi ist auch Mitbetreiber des Labels Catwalk, auf dem das Ensemble seine Tonträger veröffentlicht. Die aktuelleste ist «Tres Mil Uno», die orchestrale Weltmusik aus Argentinien auf Kammermusikformat reduziert.
Der BMW Welt Jazz Award wird seit 2009 in München vergeben. Der erste Preis ist mit 10’000 Euro dotiert, der zweite mit 5000 Euro. Zudem wird ein Publikumspreis vergeben. Sechs Ensembles bestreiten zwischen Januar und März Wettbewerbskonzerte. 2014 gewann das Schweizer Ensemble Hildegard lernt fliegen den ersten Preis.
«Music as expression»
Ein Symposium der Berner Hochschule der Künste gab Einblick in die heutige Interpretationsforschung. Im Zentrum standen Werke Beethovens und ihre künstlerische Wiedergabe.
Musikzeitung-Redaktion
- 17. Nov. 2017
Beethoven in seinem Arbeitszimmer. Bild: Carl Schloesser, 1823?
«Rund um Beethoven» bewegte sich das Berner Symposium vom 13. bis zum 16. September 2017. Dabei bildeten nicht nur der etablierte Forschungsschwerpunkt Interpretation an der Hochschule der Künste Bern (HKB), sondern insbesondere drei aktuelle, vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte Projekte Anlass und Rahmen für das viertägige Forum: Während im Projekt «Vom Vortrag zur Interpretation» die Wandlung der Interpretationspraxis am Beispiel der Solo-Klavierwerke Beethovens untersucht wird, stehen bei «Annotated Scores» die mit Notizen versehenen Dirigierpartituren und Orchestermaterialien jener Werke im Fokus, die für Richard Wagner in seiner Perspektive auf den Dirigenten wichtig waren. Ein drittes Forschungsprojekt, «Verkörperte Traditionen romantischer Musikpraxis», setzt sich mit instruktiven Notenausgaben des 19. Jahrhunderts in ihrer Beschreibung musikpraktischer Details auseinander und versucht diese mittels der «Embodiment»-Methode in die Gegenwart zu transferieren. Basierend auf diesem thematisch weitangelegten Feld standen Beethovens Werke und ihre interpretatorische Umsetzung zwar immer wieder im Mittelpunkt, zugleich wurden grundsätzliche Begrifflichkeiten und Methoden geklärt sowie Aspekte der Bearbeitung als Interpretation, organologische Fragen und nicht zuletzt musiktheatralische Elementen betrachtet. Insgesamt fünfundvierzig Vorträge bildeten so ein aufschlussreiches Ganzes – ergänzt von Concert Lectures und filmischen Dokumentationen, welche sich hervorragend in das Programm einfügten und zugleich darüber hinauswiesen.
«Die wahre Reproduktion ist die Röntgenfotografie des Werkes. Ihre Aufgabe ist es, alle Relationen, Momente des Zusammenhangs, Kontrasts, der Konstruktion, die unter der Oberfläche des sinnlichen Klanges verborgen liegen, sichtbar zu machen – und zwar vermöge der Artikulation eben der sinnlichen Erscheinung.» – Mit diesen Worten Theodor W. Adornos begrüsste Thomas Gartmann, Leiter der Forschungsabteilung der HKB sowie der Berner Graduate School of the Arts die Musikwissenschaftler, die Musiker und Zuhörer im Konzertsaal der Hochschule.
Interpretation und Tradition
Ganz im Zeichen der Klaviermusik des 19. Jahrhunderts stand sodann die Folge der ersten fünf Vorträge – gemeinsam mit der Frage: «Was heisst Interpretation, was kann Interpretation leisten?» Dass sich Interpretation nicht nur im Spannungsfeld zwischen Notentext und Aufführung bewegt, sondern auch «kreatives» Aufführen von Musik vom reinen Interpretieren unterschieden werden sollte, zeigte John Rink (Cambridge) u. a. anhand von notationsspezifischen Eigenheiten bei Chopins Klavierwerken. Denn trotz dieser hochspezifischen, ja zum Teil idiosynkratischen Notationsweise sollte der Chopin-Interpret, so Rink, seinen eigenen Einfallsreichtum nicht zu kurz kommen lassen – nur so kämen interessante, aber auch fragliche und damit diskussionswürdige Interpretationen zustande. Dem musikalischen Ausdruck jenseits des Notentextes widmeten sich auch die beiden folgenden Präsentationen von Carolina Estrada Bascunana (Tokio) und Manuel Bärtsch (Bern). Sowohl im Falle der Schülerschaft Enrique Granados‘ als auch bei verschiedenen Interpretationen von Beethovens op. 111 erwies sich quellenkritische Arbeit mit verschiedenen Editionen, pädagogischen Handleitungen und Aufzeichnungssystemen wie den Welte-Klavierrollen als unabdingbar, um dem individuellen Interpreten nahe zu kommen und seine Spielweise in eine eventuelle Tradition stellen zu können. Beiden Vorträgen gemeinsam war die kritische Perspektive auf den «heiligen Interpreten, welcher sich in einem auratischen, metaphysischen Kontext bewege» (Bärtsch) – eine Auffassung, die revidiert werden solle. Während sich Georges Starobinski (Basel) u. a. ebenfalls der letzten Sonate op. 111 widmete und sich in einer feinen und detaillierten Darstellung mit der Vortragsbezeichnung «semplice» bei Beethoven auseinandersetzte, standen bei Kai Köpp (Bern) die methodischen Ansätze zur Interpretationsforschung im Zentrum. Die vielfältigen Quellengattungen (user interfaces aus der Organologie, Instruktionen, Tondokumente und Bewegte Bilder), die in den unterschiedlichen Forschungsprojekten der HKB untersucht wurden, boten hierbei reiches Anschauungsmaterial für eine Verortung der Historischen Interpretationsforschung zwischen historischer und systematischer Musikwissenschaft.
Wende zur Moderne
Den Schritt ins 20. Jahrhundert wagte László Stachó (Budapest), indem er Aufnahmen von in der Liszt-Tradition stehenden Pianisten wie Eugen d’Albert, Béla Bartók und Ernő Dohnányi mit solchen von Igor Strawinsky verglich und ihre Interpretationen zwischen sprachgebundener und eher metrisch-strukturalistischer Herangehensweise positionierte. Dass Igor Strawinsky dieser objektiven, gerade für die Zeit zwischen den Kriegen charakteristischen Musizierhaltung am ehesten entsprach, liess sich den Tondokumenten deutlich entnehmen. Stachó beliess seine Ausführungen jedoch nicht bei blosser Analyse der Interpretationen, er zog zudem die Verbindung von der beobachteten modernistischen Ästhetik zur «Musik als einem räumlich ausgedehnten Gegenstand»: Dem Interpreten obliege es, zwischen Zeit und Raum zu vermitteln und sich für ein weit oder enger strukturiertes Spiel zu entscheiden. Nach einem weiteren Beitrag, welcher die Musik Anton Weberns aus der Sicht von Tempogestaltung und Intonationsfragen beleuchtete, durfte man der Concert Lecture Robert Levins (Boston) als einem der Höhepunkte des Symposiums beiwohnen. Unter dem Titel «Wende zur Moderne. Beethoven als Vollstrecker C. Ph. E. Bachs» zeigte sich der weltbekannte Pianist und Musikwissenschaftler in musikalischem wie sprachlichem Vortrag eloquent, intensiv und unmittelbar. Ausgehend von der Aufführung einiger Klavier-Fantasien von Carl Philipp Emanuel Bach demonstrierte er deren Einfluss auf Komponisten wie Haydn, Mozart und Beethoven. Allein die von Levin gelebte Synthese aus Praxis und Reflexion war hierbei höchst eindrücklich. Ganz wörtlich nahm der Künstler aber die «Wende zur Moderne», als er sich, explizit an die jungen Teilnehmer und Zuhörer gewandt, für ein Engagement im Bereich der Neuen Musik aussprach. Denn sich als Interpret für die Aufführung von neuem Repertoire einzusetzen, bedeute, an der Musikgeschichtsschreibung Anteil zu nehmen.
Notation und Aufführung
Sich den komplexen Beziehungen zwischen Werk, Komponist und Interpret zu nähern, insbesondere wenn die Werkentstehung Jahrzehnte zurückliegt, bedarf selbstverständlich gewissenhafter methodischer Arbeit. So stand auch am zweiten Tag des Symposiums vorerst die Vielfalt dieser Methoden im Mittelpunkt. Clive Brown (Leeds) thematisierte die Kluft zwischen einer praxisorientierten Forschung und dem professionellen Musizieren: Viele der heutigen kommerziellen Tonaufnahmen würden von wenig Verständnis für das Verhältnis zwischen Notation und Aufführung zeugen, wie dieses im 18. und 19. Jahrhundert von Komponist und Interpret gesehen wurde. Ausgehend von einem seiner Spezialgebiete, Interpretationsforschung im Bereich der Streichinstrumente, zeigte Brown, wie er sich die Überbrückung dieser Kluft mittels historisch informierter Editionen sowie Vermittlung historischer Spieltechniken vorstellte. Wie informativ dabei ein Vergleich zwischen einer überlieferten Tonaufnahme und der Edition des eingespielten Werkes sein kann, demonstrierte auch Neal Peres da Costa (Sydney) – ausgiebig – am Klavier innerhalb seines Vortrages. Seine Methode des Nachahmens historischer Klangdokumente vermochte gerade improvisatorische Elemente und rhythmische Freiheiten deutlich zu machen, die Teil von Carl Reineckes oder Jan Ladislav Dusseks Spiel waren – freilich, ohne dass damals etwas davon im Notentext zu lesen gewesen wäre. Erneut um die wissenschaftliche und ästhetische Bedeutung von Klavierrollen ging es in der Präsentation von Sebastian Bausch (Bern), allerdings unter dem speziellen Gesichtspunkt der Oral History, der Befragung von Spezialisten im Bereich der Reproduktionsklaviere und deren angemessener Regulierung. Abgerundet wurde dieses grosse Kapitel durch einen Vortrag von Olivier Senn, welcher eine neue Methode der computergestützten Messung von Agogik vorstellte – und sich damit mit einem feinen interpretatorischen Detail auseinandersetzte, das jedoch epochen- und stilübergeifend relevant war und ist. Wie sich eine Tempoverlaufskurve aus musikalisch expressiver Zeitgestaltung ableiten lässt, demonstrierte er am Beispiel von Debussys Aufnahme der Danseuses de Delphes aus dem Jahr 1912.
Sprechende Bearbeitungen
«Ich habe eine einzige Sonate von mir in ein Quartett für Geigeninstrumente verwandelt […], und ich weiss gewiss, das macht mir nicht so leicht ein andrer nach.» Mit Beethovens eigenen Worten wurde der Block «Bearbeitung als Interpretation» eingeleitet. Thomas Gartmann widmete Beethovens eigener Quartettbearbeitung seiner Klaviersonate op. 14 Nr. 1 eine detaillierte Analyse von Stimmführung, Dynamik und Artikulation und wies auf den wissenschaftlichen Wert dieser Bearbeitung hin. Auf ein zentrales, aber bis jetzt wenig erforschtes Verbreitungsmedium des 18. bis 20. Jahrhunderts machte Michael Lehner (Bern) aufmerksam. Die Kulturtechnik des Partiturspiels wurde als eine «Interpretation durch Reduktion» untersucht, insbesondere anhand der Einspielungen, die Gustav Mahler und Richard Strauss von ihren eigenen Orchesterwerken vornahmen. Welche Rückschlüsse können aus Phrasierung, Tempogestaltung und Rhythmik im Hinblick auf die Orchesterversion gezogen werden?
Hieran schloss sich hervorragend die Concert Lecture von Ivo Haag und Adrienne Soós (Luzern) an: Wie die Klavierauszüge waren auch die vierhändigen Bearbeitungen von Orchesterwerken ein probates Mittel, die eigenen Kompositionen publik zu machen. Das Klavierduo stellte an diesem Nachmittag die Arrangements von Brahms‘ Sinfonien in den Mittelpunkt von aufführungspraktischen Fragen. Nachdem an diesem Abend das Forum für den forschungsinteressierten Nachwuchs in kleinen Präsentationen zu verschiedensten Themen geöffnet wurde, hielt man gar einen kleinen Meisterkurs ab: Die Spezialisten der Interpretationsforschung nahmen sich des Cellisten David Eggert (Bern) und der Pianistin Gili Loftus (Montréal) an, welche – selbstverständlich bei einem Beethoven-Symposium – Werke des Komponisten spielten, jedoch im Spiegel der Zeit um Clara Schumann und der damals herrschenden Aufführungspraxis.
Am thematischen Randbereich und doch viel näher an unserer Zeit befand sich der dritte Tag des Symposiums. Die Referenten um Leo Dick (Bern) präsentierten die Ergebnisse ihrer Forschungen im musiktheatralischen, choreografisch-tänzerischen und literaturwissenschaftlichen Bereich. Der daraus entstehende Perspektivwechsel auf Werk und Person Beethovens erwies sich dabei als genauso spannend und informativ wie der übergeordnete Begriff der «Mise en scène als Interpretation» in ihrer verschiedenartigen und transdisziplinären Ausformung.
Die Rolle der Instrumente
Verschiedene Experten auf dem Gebiet der Organologie, der Instrumentenkunde, führten die Teilnehmer wieder zurück in Beethovens Zeit und zu den Errungenschaften des damaligen Klavierbaus. Einen Überblick über die Bautraditionen in den Zentren Wien, Paris und London lieferte hierbei Giovanni Paolo Di Stefano (Amsterdam). Ein nicht direkt mit Beethoven assoziiertes Instrument, die Orgel, brachte Stefano Molardi (Lugano) ins Spiel. Den frühen, organistischen Ausbildungsjahren des Komponisten spürte er durch Analysen späterer Werke nach – die pianistische Imitation beispielsweise des Fauxbourdon oder der Imitatio Tremula Organi stellen laut Molardi wichtige Indizien dar. Auf ein instrumentenbauliches und zugleich musikalisches Detail verwies Martin Skamletz (Bern): In den Jahren nach 1800 erweiterte sich der ursprünglich fünf Oktaven fassende Umfang der Klaviere, was sich natürlich auf die Disposition der komponierten Werke auswirkte. Diese gegenseitige Relation illustrierte Skamletz mit einer Vielzahl an Notenbeispielen und stellte sie in den Kontext des Zeitgeschehens. Ebenfalls differenzierte Quellenarbeit leistete Patrick Jüdt (Bern) im Kontext des Streichquartetts op. 18/6. In einem anschaulichen Vortrag, in welchem die vier jungen Musiker des Quatuor Ernest genauso wie die Zuhörerschaft an die Hand genommen wurden, erarbeitete er Dynamik und Intensität beethovenscher Sforzati im Scherzo aus op. 18/6. «Mitspracherecht» erhielten dabei Musiktheoretiker des 18. und 19. Jahrhunderts in ihren Äusserungen zu metrischem und melodischem Akzent.
Schreibprozesse und Ergebnisse der Verschriftlichung wurden am letzten Tag, dem 16. September, behandelt. Federica Rovelli (Bonn) berichtete von den Hindernissen, welche die Edition beethovenscher Skizzenbücher beeinflussen können: Neben dem meist fragmentarischen Zustand der Skizzen ist es vordergründig die Zeitlichkeit des Schreibens, die Chronologie des Schreibprozesses, welche in einer einfachen Transkription nicht darzustellen sei; sehr wohl kann Geschriebenes dargestellt werden, nicht jedoch das Schreiben selbst. In Auseinandersetzung mit diesem Problem stellte Rovelli eine im Beethoven-Haus in Bonn verwendete Software vor, die verschiedene Schreibschichten eines Faksimiles offenlegt. Durch die Transparenz und visuelle Erfassbarkeit wird dieses grafische Programm von einem internationalen Kreis für wissenschaftliche Zwecke zu nutzen sein.
Aufführungspraxis und Werktreue
Einmal nicht im Dienste der Textkritik, sondern zur Nachzeichnung einer aufführungspraktischen Entwicklungsgeschichte standen bei Johannes Gebauer (Bern) editionsphilologische Untersuchungen. In detailgenauer Arbeit verglich er unterschiedliche Ausgaben u. a. der Capricen von Pierre Rode, deren Eigenheiten, Zusätze und Änderungen nicht nur Hinweise auf bestimmte Spieltraditionen geben, sondern uns auch den Herausgebern der jeweiligen Editionen näherbringen können.
Das Berner Forschungsprojekt «Annotated Scores», Richard Wagners Perspektive auf Eigenheiten in Werken seiner Zeit, bestimmte die letzten Präsentationen des Symposiums. Chris Walton (Bern) beleuchtete Wagners Aufführung von Beethovens Neunter Sinfonie im Jahr 1846 und die zahlreichen Änderungsvorschläge, die von ihm gemacht wurden. Dass, wie aktuellsten Forschungen in Bern zeigen, Wagner diesen eigenen Änderungen selbst nicht zur Gänze umsetzte, hinderte viele spätere Dirigenten nicht daran, Wagners Angaben als Massstab zu sehen. Ein ganz vergleichbares Phänomen in der Beethoven-Rezeption behandelte Lena-Lisa Wüstendörfer (Basel): 1904 führte Gustav Mahler Fidelio, die einzige vollendete Oper Beethovens auf – in einer von ihm umgestalteten Version, welche vom Wiener Publikum auch dann noch als die wahre gesehen wurde, als Felix Weingartner die Nachfolge Mahlers antrat und sich für mehr Werktreue bei Fidelio einsetzte.
Einen runden Abschluss erfuhr das viertägige Symposium durch Roger Allen (Oxford), der über Wagners Interpretation von Beethovens Klaviersonate op. 101 referierte. Den ersten Satz dieser Sonate charakterisierte Wagner als ein perfektes Beispiel für den von ihm geprägten Ausdruck der «Unendlichen Melodie», auch im Hinblick auf die fehlenden stark kadenzierenden Einschnitte. Betont spekulativ zog Allen Querverbindungen von Beethovens Werk zu Wagners Vorspiel zu Tristan und Isolde und deckte vergleichend mögliche kompositorische Einflüsse aus der Klaviersonate auf. Auch den Bogen zu den vergangenen Tagen spannte Allen, wenn er Wagner zu Beethoven zitierte: Jener habe in dieser Sonate «dem ureigensten Wesen der Musik» nachgespürt. In Allens eigenen Worten: Es gehe, auch während des Berner Symposiums, um «Music as expression», um Musik in ihrem Vermögen, auszudrücken und Eindruck zu hinterlassen.
Musik wie ein Bild von Mondrian
Das Kunstmuseum Solothurn zeigt bis am 4. Februar 2018 die grafischen Partituren Hermann Meiers. Am 2. Dezember sind einige Werke zu hören.
«Ich muss Ihnen gestehen, dass ich dieses Konzerts wegen schlecht zweg bin. Ich zittere davor. Hab Angstträume. Leberbeschwerden. Kann nicht mal Wein trinken. Fürchterlich. Dieses Konzert wird sicher mein letztes sein.» So schrieb der Solothurner Komponist Hermann Meier (1906–2002) am 31. Januar 1984 an den Pianisten Urs Peter Schneider, der sich immer wieder und als einer der ersten für sein Œuvre einsetzte.
Wie wäre es Meier wohl ergangen, wenn er gewusst hätte, dass sich die Leute bei der Vernissage in der Eingangshalle eines Kunstmuseums drängen würden, um seine Partituren, Skizzen, Zeichnungen und Pläne zu betrachten? Und dass das Sinfonie Orchester Biel Solothurn unter Kaspar Zehnder in einem anschliessenden Konzert in der Solothurner Franziskanerkirche sein Orchesterstück Nr. 6 von 1957 aufführen würde, mitten hineingesetzt zwischen die Sätze von Beethovens Vierter? Wie wäre er sich vorgekommen, der sich selber – in einem wahrscheinlich nie abgeschickten Gruss an den Lehrer Wladimir Vogel – als «das kleine Hänschen» bezeichnete?
Hermann Meier mag all jenen als Beweis gelten, die schon immer wussten, dass die wahre Kunst fernab der Zentren und ihrer Betriebsamkeit entsteht. Die Schweiz hat einige von dieser Spezies aufzuweisen, man denke nur an den Zofinger Alfred Wälchli oder die Künstler der Art brut. Meier ist ja immer noch nahezu unbekannt, dieser «Schönberg aus dem Schwarzbubenland», wobei man ihn mit Schönberg ein wenig in die falsche Ecke drängt. Gewiss entdeckte er früh die Atonalität für sich, und gewiss hat er sich bei Vogel in die Zwölftontechnik eingearbeitet, aber so gern und streng angewandt hat er sie offenbar nicht, und wenn man seine Kompositionen hört, versteht man auch warum. Diese Musik ist eher auf klangliche Massen ausgerichtet, die sich herb nebeneinanderstellen, mit vielen Pausen, sehr eigen und kompromisslos. Eher ist er ein helvetischer Ustwolski, ein erratischer Block, im Hauptberuf Primarlehrer in Zullwil.
Ein Aussenseiter mit Gespür für fundamentale Strömungen
Ein schwarzer Bube zumindest in der Musik, schroff oft und kantig, mit vielen Abgründen – und wohl auch nicht fürs Kompromisslerische geeignet. Lang tüftelte er an seinen Stücken, wie seine Skizzen und Pläne andeuten. Sie bilden das Zentrum der Solothurner Ausstellung Mondrian-Musik, die vergleichsweise wenig Musik bereithält, sondern diesen ausstellbaren Aspekt betont. Zu Recht. Denn diese «graphischen Welten des Komponisten Hermann Meier», wie der Untertitel lautet, weisen jenseits der Musik noch in ganz andere Richtungen. Es sind, ähnlich wie beim Basler Robert Strübin (1897–1965), einer weiteren Aussenseiterfigur, Augen-Musiken oder Ohren-Grafiken – und in ihrer Eigenwilligkeit und konstruktiven Strenge irgendwie typisch helvetisch: visueller Serialismus, verwandt mit den Zürcher Konkreten, mit Max Bill und Richard Paul Lohse. 1936 sprach Bill erstmals von «Konkreter Kunst», Ende der 40er-Jahre wurde Meier darauf aufmerksam. Eine tiefe Anregung waren dabei auch die Bilder Piet Mondrians. Und so schuf er zu einer Zeit in der Provinz grafische Partituren, als auch die berühmten Partituren etwa von Earle Brown, Morton Feldman und Iannis Xenakis entstanden, die längst ihren Platz in der Musikgeschichte gefunden haben. Die Paul-Sacher-Stiftung, wo der Meier-Nachlass liegt, hat zum Vergleich einige dieser Partituren beigesteuert. Ein Fund: Brown benutzte für sein epochales December 1952 ebenso wie Meier Millimeterpapier.
Vor allem dienten ihm diese Grafiken – «Grundrisse», wie Meier sie nannte – als Vorlagen für elektronische Musik, mit der er sich von 1973 bis 1983 intensiv befasste. Auch damit war er ähnlich wie Benno Ammann oder Oscar Wiggli ein in der Schweiz einsamer Pionier. Tatsächlich könnte man das jetzt alles auf den Millimeter genau zumindest in der Grafik studieren, denn leider blieben ausser den Klangschichten alle Projekte unrealisiert: Es ist Musik im imaginären Raum. Erst heute werden die Aufzeichnungen nach und nach zu Klang gebracht. Am «Konzerttag» (2. Dezember) sind einige Versionen zu hören.
Aber gerade diese Imagination fördert die Ausstellung auch. Der visuelle Gesamteindruck allein ist repräsentativ und äusserst lohnenswert. Der reichhaltige Katalog stützt sich auf Vorträge des Meier-Symposiums Das Auge komponiert letzten Januar an der Hochschule der Künste Bern (siehe Bericht von Azra Ramić auf musikzeitung.ch/de/berichte/tagungen). Der Kuratorin Michelle Ziegler ist zusammen mit den Musikwissenschaftlern Roman Brotbeck (HKB) und Heidy Zimmermann (Sacher-Stiftung) hier ein Meier-Kompendium gelungen, das hoffentlich dazu beiträgt, diese Musik bekannter zu machen.
Ziegler arbeitet zurzeit an einer Dissertation über das Klavierwerk Meiers; weitere Projekte sind am Laufen. Demnächst soll eine neue Aufnahme seiner Klaviermusik mit Dominik Blum erscheinen, und vielleicht taucht Hermann Meier denn auch gelegentlich in einem grösseren Konzert auf. Was er wohl dazu sagen würde?
Katalog
Heidy Zimmermann, Michelle Ziegler, Roman Brotbeck: Mondrian-Musik. Die graphischen Welten des Komponisten Hermann Meier; 223 S. mit zahlreichen Illustrationen; Zürich, Chronos Verlag, 2017.
Diapason d’Or für Schabernack
Das französische Fachmagazin Diapason hat die CD «Schabernack» von Les Passions de l’Ame mit dem Diapason d’Or ausgezeichnet. Der Preis ist eine der bedeutendsten unabhängigen europäischen Anerkennungen für klassische Musik.
Musikzeitung-Redaktion
- 16. Nov. 2017
Les Passions de l’Ame (Foto: Guillaume Perret)
Der Diapason d’Or wird monatlich vergeben und ist neben dem Preis der deutschen Schallplattenkritik und den englischen Gramophone Awards einer der gewichtigsten Preise der Branche. Vor kurzem erhielt Meret Lüthi, die künstlerische Leiterin von Les Passions de l’Ame, auch den Musikpreis des Kantons Bern für ihre «herausragende und langjährige musikalische Tätigkeit».
Bereits die CD «Spicy» (2013) des Ensembles ist mit dem Diapason d’Or ausgezeichnet worden, «Bewitched» (2014), mit dem Supersonic Award. Die drei CD sind beim Label Sony Music Switzerland erschienen. Der Name des Orchesters verweist auf einen Aufsatz von René Descartes aus dem Jahre 1649. Darin spricht der Philosoph von der Leidenschaft, die zwischen Körper und Seele vermittelt.
Pro Helvetia mit neuen Stiftungsrätinnen
Der Bundesrat hat für die Kulturstiftung Pro Helvetia zwei neue Stiftungsrätinnen gewählt: Françoise Simone König Gerny ersetzt Felix Uhlmann und Marie-Thérèse Bonadonna ersetzt Anne-Catherine Sutermeister.
Musikzeitung-Redaktion
- 16. Nov. 2017
Pro Helvetia Hauptsitz. Foto: zVg
Die bisherigen Stiftungsräte Anne-Catherine Sutermeister (Fachbereich Kunst- und Kulturwissenschaft) und Felix Uhlmann (Fachbereich Recht) erreichen das Ende ihres Mandats. Der Fachbereich Recht wird ab 1. Januar 2018 von Françoise Simone König Gerny vertreten. Sie ist Co-Leiterin des Rechtsdiensts im Generalsekretariat des Departements für Wirtschaft, Soziales und Umwelt, Basel-Stadt. Den Fachbereich Kunst- und Kulturwissenschaft übernimmt ebenfalls per 1. Januar 2018 Marie-Thérèse Bonadonna, Kulturdelegierte des Club 44 in La-Chaux-de-Fonds.
Die derzeitige Amtsperiode dauert bis 2019. Die weiteren Stiftungsräte sind Susanna Fanzun, Marco Franciolli, Guillaume Juppin de Fondaumière, Johannes Schmid-Kunz, Nicole Seiler und Peter Siegenthaler.
Der neunköpfige Stiftungsrat der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia ist das strategische Organ der Stiftung. Er repräsentiert die unterschiedlichen Fachbereiche des kulturellen Lebens und die vier Sprachregionen der Schweiz. Der ehemalige Genfer Staatsrat Charles Beer wurde vom Bundesrat in seinem Amt als Präsident der Stiftung bestätigt und wird seine zweite Amtszeit am 1. Januar 2018 antreten.
Prekäre Lehrtätigkeiten für Komponisten in Bayern
Die Fachgruppe E-Musik (FEM) des DKV und der Landesverband Bayern des Deutschen Komponistenverbands (DKV) solidarisieren sich mit den streikenden Lehrbeauftragten der staatlichen bayerischen Musikhochschulen.
Musikzeitung-Redaktion
- 15. Nov. 2017
Der Protest formiert sich in der Aula der Musikhochschule München. Foto: Juan Martin Koch
Ohne die vielen Lehrbeauftragten an den staatlichen Musikhochschulen in München, Nürnberg und Würzburg wäre deren reichhaltiges Bildungsangebot nicht aufrechtzuerhalten, schreibt der DKV. Die Lehrbeauftragten seien ein tragender Pfeiler der akademischen Musikausbildung in Bayern. Wie ihre festangestellten Kolleginnen und Kollegen leisteten sie vielfach die gleiche Arbeit. Dafür würden sie aber nur mit einem Bruchteil dessen honoriert, was das festangestellte Personal erhält.
Wie dieses erteilen die Lehrbeauftragten Einzelunterricht, geben Seminare und halten Vorlesungen in fast allen Abteilungen und Fächern. Besonders in den Fächern Musiktheorie, Gehörbildung und Komposition unterrichten auch viele Komponistinnen und Komponisten. Das machen sie zum Teil bereits seit Jahrzehnten und müssen laut DKV dennoch jedes Semester um die Verlängerung ihres Lehrauftrags bangen, müssen sich im Gegensatz zu den festangestellten Kolleginnen und Kollegen selbst krankenversichern und selbst für ihre schmale Alterssicherung vorsorgen, ohne Honorarfortzahlung im Krankheitsfall.
Die Lehrbeauftragten sind deshalb für zwei Wochen in den Streik getreten. Sie verlangen unter anderem eine angemessene Honorierung, eine «würdige Alterssicherung», eine für den Lebensunterhalt genügende Wochenstundenzahl, um nicht in Existenznot zu geraten, Mitgestaltungsrecht in den Gremien der Hochschule und Honorarfortzahlung im Krankheitsfall.
Die Stadt Luzern ehrt mit ihrem Kunst- und Kulturpreis den Bildenden Künstler Peter Roesch. Anerkennungspreise gehen an die Übersetzerin Ute Birgi-Knellessen sowie den Musiker Christov Rolla.
Musikzeitung-Redaktion
- 14. Nov. 2017
Cristov Rolla (Bild: zvg)
Der 1977 im luzernischen Seetal geborene Christov Rolla studierte nach dem Erwerb des Primarlehrdiploms am Lehrerseminar Hitzkirch Chorleitung und Musikpädagogik an der Akademie für Schul- und Kirchenmusik Luzern. Rolla ist hauptberuflich als freier Theatermusiker tätig.
Mit dem Johanneschor Kriens und dem A-Cappella-Ensemble Integral ist Rolla auch als Chorleiter tätig. Daneben ist er Pianist und Co-Texter der Chanson-Formation Canaille du jour, festes Mitglied der Lesebühne The Beauties and the Beast (Loge Luzern), und er schreibt regelmässig Kolumnen für 041 – Das Kulturmagazin sowie das Werklehrmagazin Werkspuren. Rolla lebt in Luzern.
Der Luzerner Stadtrat würdigt das Schaffen des Künstlers Peter Roesch mit dem Kunst- und Kulturpreis 2017 der Stadt Luzern. Dieser ist mit 25‘000 Franken dotiert. Die Anerkennungspreise an die Übersetzerin Ute Birgi-Knellessen und an Christov Rolla sind mit je 10’000 Franken dotiert.
Tartinis Theorie des dritten Tones
Beim Spielen von Zweiklängen auf der Geige erklingt ein dritter Ton. Die Schweizerin Angela Lohri hat sich in ihrer Dissertation anhand von Quellen aus dem 18. und 19. Jahrhundert mit den Kombinations-, Differenz- und Summationstönen beschäftigt.
Walter Amadeus Ammann
- 14. Nov. 2017
Foto: Tobias Kunze/pixelio.de
1714 entdeckte der 22-jährige italienische Geiger und Komponist Giuseppe Tartini, dass beim Spielen von Zweiklängen auf seiner Geige ein dritter Ton («terzo suono») erklingt. Ab 1728 machte er dieses Phänomen für die Zöglinge seiner Schule zur fundamentalen Regel für die Einstimmung, was europaweit bekannt wurde. 1754 und 1767 publizierte er seine Forschungen und diskutierte sie u. a. mit Leonhard Euler. Tartini berichtete, schon Platon hätte davon gewusst und es als ein Zeichen der Weltseele gedeutet: «(…) die Harmonie des Universums ist der ganze Baum; die Musik ist davon ein Ast, jedoch notwendigerweise von gleicher Natur und Wurzel, was die der menschlichen Spezies angeborene Musik offensichtlich beweist, da sie allein befähigt ist zur Wissenschaft der Zahl. In diesem Sinne gibt es in der Zahl Wissen und Natur, (…) und in diesem Sinne ergibt sich die Möglichkeit, den Baum über den Ast zu entdecken, das Ganze vom Teil aus (…)»
Diese harmonikale Sicht Tartinis wird in der heutigen Forschung wieder vermehrt beachtet, besonders seit die neurologischen Erkenntnisse über Zusammenhänge zwischen Ohr und Gehirn zugenommen haben. Die ganzzahlige Ordnung der Obertöne, die allen Klängen immanent ist, wird physiologisch als grundlegend bei der alltäglichen Tonerkennung angeschaut. In den letzten 300 Jahren fanden Forscher immer neue Wege, dem oder besser den Kombinations-, Differenz- und Summationstönen auf die Spur zu kommen.
Die Schweizerin Angela Lohri breitet in ihrer Dissertation die Komplexität und Vielschichtigkeit des Phänomens anhand von Primärquellen mit Fokus auf das 18. und 19. Jahrhundert aus und erklärt die Unterschiede. Sie kommt auf Tartinis ganzheitliche Betrachtung zurück: Der dritte Ton sei der Bass des Zweiklangs und ihrer gemeinsamen Obertöne, also die Einheit in der Vielheit; die Obertöne wiederum stellen die Vielheit in der Einheit dar. Um dies zu illustrieren komponierte er 26 zweistimmige Piccole Sonate für Violine, ohne den Bass dazu zu schreiben: der entstehe von selbst. Tartini wehrte sich gegen die Einseitigkeit von zeitgenössischen Gelehrten und Musikern und betonte, seine Theorie gelte physikalisch (die Kombinationstöne entstehen in der Luft), harmonikal (siehe obiges Zitat) und musikalisch-praktisch als Einheit.
Zum musikalischen Aspekt trägt Lohri Wesentliches bei: Auf Saiteninstrumenten ohne Bünde wie der Violine kann man zwei syntonische Töne (mit ganzzahligen Verhältnissen) spielen und mit den Kombinationstönen exakt kontrollieren, da diese auch bei kleinsten Veränderungen des Fingers auf der Saite sehr deutlich reagieren. Z.B. beim Tritonus kann man den harmonischen Kontext (ist der untere oder der obere Ton der Leitton?) verdeutlichen, hat man doch bei subtiler Einstellung zwei verschiedene Kombinationstöne zur Auswahl! Lohri berichtet von ihren Hörexperimenten mit verschiedenen Geigen und Saiten, wie sie bisher Pierre Baillot und Michelangelo Abbado ähnlich durchgeführt haben. Diese Studien führten sie auch nach Stockholm, wo sie mit einer Streichmaschine noch exakter arbeiten konnte. Das Problem mit der temperierten Stimmung wird philosophisch angegangen, indem Hans Kayser und Dieter Kolk zu Worte kommen: Toleranz zwischen Idee und Wirklichkeit sucht sich mit begrenztem Spielraum einen Weg durch «unsere ganzen Natur- und Geistesbetrachtungen».
Meine Empfehlung zum Studium dieses Buches für Musiker, Instrumentenbauer und als Anlass zu weiterführenden Forschungen untermauere ich mit je einem Zitat von Angela Lohri: «Die Bedeutung der Kombinationstöne liegt … in ihrer Wirkung und Eignung als Methode zur Sensibilisierung der Tonvorstellung … Ihre mathematisch-harmonikalen Eigenschaften verraten uns mehr über das tiefere Wesen der Musik.» Und von Gerhard Mantel: «Streicher an Musikhochschulen verwenden 70-90 Prozent ihrer Übungszeit auf die Verbesserung der Intonation.» Das gedruckte Buch ist sehr hilfreich beim Studium, das viel Vor- und Zurückblättern nötig macht. Der fehlende Index wird vorteilhaft ersetzt durch eine perfekte Suchfunktion bei der elektronischen Variante.
Angela Lohri, Kombinationstöne und Tartinis «terzo suono», 316 S., 94 Abb. und Notenbsp., freier Download, Paperback € 49.99, Hardcover € 55.99 Schott, Mainz 2016, ISBN 978-3-95983-079-9
Der Opernhimmel in neuer Beleuchtung
Eine neue Reihe der Edition Breitkopf bietet Arienalben, die nach Stimmlage und -fach geordnet sind. Kommentare zu dem Stücken sowie sprachliche, methodische und stilistische Tipps vervollständigen die Ausgaben.
Dorothee Labusch
- 14. Nov. 2017
Foto: Roland Ster/flickr.com
Die Edition Breitkopf hat sich darangemacht, das Opernsängerrepertoire neu zu ordnen – welch löbliches Unterfangen! Das Besondere: Die Auswahl der Arien erfolgte nach stimmlichen Kriterien, nach Umfang, Tessitur und Rollentyp, und hiermit wird eine grosse Lücke geschlossen. Kaufte man bisher ein Arienalbum hatte man es meist mit Werken über alle Fächergrenzen hinweg zu tun, da passten vielleicht fünf oder sechs Arien zum eigenen Profil …
Das Anliegen der nun hier vorliegenden Repertoiresammlung ist es, gutes Notenmaterial zusammenzustellen, es übersichtlich zu gliedern und benutzerfreundlich zu präsentieren. Das geschieht durch die Ordnung nach Stimmfächern. Was interessant ist einerseits für Hochschulstudierende und -dozierende, andererseits aber auch für schon im Berufsleben stehende Sänger, die ihr Fachrepertoire erweitern wollen, an einen Fachwechsel denken oder sich auf Theatervorsingen vorbereiten. Die Sammlung enthält sowohl gängige Vorsingarien des jeweiligen Stimmfaches, integriert aber auch weniger bekanntes und schwerer zugängliches Material, zum Beispiel der klassischen Moderne.
So sind die ersten beiden von vier Bänden für Sopran erschienen: Band 1: Lyrische Koloratur und Band 2: Lyrisch – untergliedert in lyrisch-leicht und lyrisch-schwer. Es folgen, wie der Verlag verlauten lässt, Ende 2017 noch die Bände Dramatische Koloratur und Dramatischer Sopran.
Wir finden in diesem ersten Band für Koloratursopran eine erfreulich breite und vielfältige Auswahl vor, die von Händels Alcina zu Mozarts Blondchen, über Lakmé, Juliette und Olympia bis hin zu moderneren Rollen wie der straussschen Zerbinetta und Cunegonde aus Candide von Leonard Bernstein reicht. 27 Arien umfasst dieser Band, ergänzt wird er durch eine CD-ROM mit Arientexten in Originalsprache, sowie deutschen und englischen Übersetzungen der Texte.
Ein Anhang enthält des Weiteren Einzelkommentare zu den Arien: Tonumfang und Spieldauer, ihre Positionierung im Handlungskontext der Oper sowie deren Inhaltsangabe, Charakterisierung der Figur und als Sahnehäubchen quasi: methodische Hinweise aus sängerischer Sicht, gesangstechnische und stilistische Tipps (man «hört» in diesen Kommentaren quasi eine erfahrene Gesangslehrerin, wie sie jeder von uns sicher schon mal hatte – und das sogar zweisprachig …).
Die mit den beiden Sopranbänden und drei Baritonbänden begonnene Reihe soll fortgesetzt werden für Alt, Bass, Mezzo und Tenor und 2019 ihren Abschluss finden.
OperAria. Repertoiresammlung hg. von Peter Anton Ling und Marina Sandel, je € 29.80, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2017
Ein deutsches Buch über Zoltán Kodály ist ohnehin selten. Hier ist es zudem ganz seiner Kammermusik gewidmet. – Hoffentlich ein Anstoss für das eine oder andere Ensemble, sie auf das Programm zu setzen.
Jakob Knaus
- 13. Nov. 2017
Briefmarke zum 125. Geburtstag von Zoltán Kodály. Ungarische Post/wikimedia commons
Überblickt man die 57 Bände der Reihe Studien zur Wertungsforschung, staunt man über die Vielfalt der Themenbereiche, wundert sich aber oft auch darüber, dass viele der Erkenntnisse kaum über den Tellerrand der Wissenschaften hinaus gelangen, bis zu den Musikern und Konzertgängern, die ja als deren «Konsumenten» angesehen werden könnten. Da es sich jedoch in den meisten Fällen um die gesammelten Vortragsmanuskripte aus Symposien handelt, deren Sprache bisweilen einem Fachjargon entspricht, müssten sie für Laien «übersetzt» werden. Und so ist es ein weiter Weg bis zu den Interpreten und dann zu den Konzerteinführungen.
Im vorliegenden Band zur Kammermusik des ungarischen Komponisten Zoltán Kodály (1882–1967) sind aber alle Texte in einem erfreulich lesbaren Stil verfasst. Ausserdem sind umfangreiche Partiturbeispiele eingefügt, sodass ein «Mitlesen» im Notenbild den Zugang zu den besprochenen Aspekten erleichtert. Die Cellosonate op. 4 wird von Hartmut Schick unter dem Blickwinkel der Quarte betrachtet, deren Behandlung die Schwelle zur Neuen Musik bildet. Roswitha Schlötterer-Traimer zeigt Volksmusikelemente im ersten und zweiten Streichquartett auf, László Vikárius in der Cello-Solosonate op. 8. Bei Michael Kube steht das Streichquartett op. 2 mit der Rezeption und den Druckausgaben im Mittelpunkt, bei Anna Dalos das Streichquartett op. 10, wobei hier die Zeit des Ersten Weltkriegs mit hineinspielt.
Verdienstvoll ist es, dass der Platz Zoltán Kodály allein gehört (ohne den üblichen Bezug auf Bartók) und dass auch die gesellschaftlich-politische Seite der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg – Kodálys Budapest um 1900 – von Ilona Sármány-Parsons ausführlich dargestellt wird. Thomas Kabisch und Klaus Aringer behandeln die beiden ungewöhnlich besetzten Werke Opus 7 (Duo für Violine und Cello) und Opus 12 (Serenade für 2 Violinen und Viola). Somit werden einige Kompositionen vorgestellt, die ganz selten in die Kammermusikprogramme unserer Tage gelangen. Eine solche Publikation könnte bei Musikern den Namen Zoltán Kodálys in Erinnerung rufen und diesem Mangel abhelfen. Deutschsprachige Literatur ist so rar, dass sogar das kleine Buch mit den fünf Gesprächen, die Lutz Besch mit Kodály geführt hat, mehrfach erwähnt wird (Verlag Arche, Zürich 1966).
Zoltán Kodálys Kammermusik, Studien zur Wertungsforschung 57, hg. von Klaus Aringer, 239 S., brosch., € 28.50, Universal Edition, Wien 2015, ISBN 978-3-7024-7283-2
Kodály-Erstausgabe
Zoltán Kodály erstellte von seinem «Ungarischen Rondo» für kleines Orchester auch eine Fassung für Cello und Klavier. Sie liegt nun erstmals gedruckt vor.
Lehel Donath
- 13. Nov. 2017
Zoltán Kodály 1930. Quelle: Pesti Napló 1850-1930/wikimedia commons
Das 1917 komponierte Ungarische Rondo gehört zu den eingängigsten Kompositionen Zoltán Kodálys: Vier ungarische Volkslieder sowie eine instrumentale Tanzmelodie sind in Rondoform effektvoll zusammengefügt.
Die allgemein bekannte Version für kleines Orchester wurde 1918 in Wien uraufgeführt. Kodály fertigte jedoch noch eine Fassung für Cello und Klavier an, welche 1927 in Budapest erstmals gespielt, aber bis heute nicht veröffentlicht wurde.
Die jetzt bei Editio Musica Budapest erschienene Erstausgabe stellt eine willkommene Bereicherung der Celloliteratur dar. Der Schwierigkeitsgrad des Stückes ist hoch, etwa vergleichbar mit den Drei Stücken für Cello und Klavier von Nadia Boulanger. Der Komponist geizt nicht mit wirkungsvollen Effekten wie Pizzicati der linken Hand, virtuosen Läufen in hoher Lage, Doppelgriffen und sonoren Kantilenen in der Tiefe. Die Behandlung des Celloparts erinnert bisweilen an Kompositionen David Poppers; mit dessen Cellowerken dürfte der selber Cello spielende Kodály vertraut gewesen sein, denn Popper lehrte an der Liszt-Akademie in Budapest.
Die Edition besorgte der ungarische Cellist Miklós Perényi, der das Werk 2003 bei Hungaroton mit Dénes Várjon am Klavier eingespielt hat.
Zoltán Kodály: Ungarisches Rondo für Cello und Klavier, hg. von Miklós Perényi, Erstausgabe, Z. 14990, Fr. 14.70, Editio Musica Budapest 2016
Musikalischer Quintenzirkel
Der in Aarau wirkende Violinpädagoge Markus Joho hat mit Violin Circle einen Rundumschlag vollendet, indem er den Quintenzirkel als Thema für eine ganz andere Violinschule wählte.
Walter Amadeus Ammann
- 13. Nov. 2017
Ausschnitt aus dem Titelblatt
Die Ohrwürmer berühmter Komponisten und viele selber geschaffene Stücke führen die Lernenden unterhaltsam durch alle Tonarten und liefern unzählige wichtige theoretische und technische Grundlagen für solides Violinspiel. Ich kann mir dieses Heft gut vorstellen als Lehrmittel für erwachsene Anfängerinnen oder Wiedereinsteiger. Für aufgeweckte Kinder kann der Circle als Ergänzung zu einem anderen Lehrgang nützlich sein.
Von den 136 Nummern sind zwei Drittel attraktive Lieder und Kompositionen, mehrheitlich als ausgezeichnete Violinduette gesetzt. Dank übersichtlicher Darstellung mit Stichwörtern neben den Seitenzahlen, blau hinterlegten technischen Angaben und einem alphabetischen Inhaltsverzeichnis wird auswählendes Vorgehen erleichtert. Erklärungen könnten einfacher formuliert und einführende Übungen grafisch attraktiver gestaltet sein. Das Lagenspiel spielt eine nebensächliche Rolle; in einigen Stücken wären alternative Fingersätze ein Gewinn. Wertvoll sind die Behandlung von chromatischen, Ganz-, Blues- und Zigeunertonleitern ebenso die Anregungen zum Improvisieren, Transponieren und Komponieren.
Markus Joho: Violin Circle, Ein vergnügliches Spiel- und Übungsheft rund um die Tonarten und Techniken der Geige, PE 1003, Fr. 29.80, Edition Pelikan/Hug Musikverlage, Zürich 2016
Historisch informiert üben
Anja Thomann hat in ihrem Technikbuch für Traversflöte historische Quellen zu Übungsreihen ausgebaut, die alle wichtigen Aspekte des Spiels berücksichtigen.
Claudia Weissbarth
- 13. Nov. 2017
Ausschnitt aus dem Titelblatt
Im Ton- und Technikbuch für Traversflöte Back to Basics stellt die Traversflötistin Anja Thomann gezielte Übungen zu den Bereichen Artikulation, Fingertechnik, Intonation und Tongestaltung zusammen. Die meisten Übungen basieren auf historischen Quellen, die jeweils als Faksimile des Originals vorangestellt werden. Die Autorin hat als Quellen methodische Werke von Michel Corette, Charles de Lusse und Johann Joachim Quantz herangezogen. Ausschnitte daraus werden zu kompletten methodischen Übungen erweitert, sodass mit dem Buch grundlegende Ton- und Technikübungen «historisch informiert» geübt werden können.
Kapitel eins beginnt mit kurzen Präludien, die durch alle Tonarten gehen, es folgen im zweiten Kapitel Einspielübungen, die von der Duole ausgehend zu Triolen und Vierergruppen erweitert werden. Von Anfang an einbezogen sind hierbei auch die im Barock geläufigen Artikulationen wie tidi und diri. In Kapitel drei und vier folgen Tonleitern und Arpeggien. In Kapitel fünf werden typisch barocke Figuren wie Wechselnoten in sequenzierender Weise geübt und auch Terzen- und Quartenketten mitberücksichtigt. Anschliessend kommen im sechsten Kapitel Übungen zur Entwicklung des Tons dazu, die Intervalle, Chromatik und Übungen zur Gestaltung langer Töne durch Schwelltöne enthalten. Das ganze siebte Kapitel widmet die Autorin der Artikulationsart did’ll und erweitert es mit eigenen Übeideen durch Singen und Spielen. Im achten Kapitel werden Verzierungen und Triller, die auf einer Tonleiter basieren, sequenziert. Das Buch endet mit einer ausführlichen Grifftabelle und einer Trillertabelle, die mit hilfreichen Tipps zur Intonation ergänzt sind.
Manch einer wird beim Studium dieser weiterentwickelten wertvollen Übungen von Quantz, de Lusse und Corette feststellen, dass diese in ihrem Aufbau schon vorausnehmen, was später Marcel Moyse oder Paul Taffanael in ihren methodischen Heften für die Böhmflöte gebracht haben. Für einen grundlegenden Aufbau von Ton, Technik und Artikulation auf der Traversflöte ist diese übersichtlich gestaltete Publikation eine grosse Bereicherung, da die wesentlichen Aspekte in einem Heft zusammengefasst sind.
Anja Thomann: Back zu Basics. Ein Technikbuch für die Traversflöte, EW 982, € 19.80, Edition Walhall, Magdeburg 2016