Ursula Bagdasarjanz spielt Schoeck

Aus Anlass des Othmar Schoeck-Festivals in Brunnen (1. bis 11. September 2016) hat die Schweizer Violinistin Ursula Bagdasarjanz eine Videoproduktion mit historischen Aufnahmen ins Netz gestellt.

Ursula Bagdasarjanz um 1960. Foto: Ursula Bagdasarjanz, Herrliberg/Zürich (wikimedia commons),Foto: Zur Verfügung gestellt von Ursula Bagdasarjanz,SMPV

Die Schweizer Geigerin Ursula Bagdasarjanz (*1934 in Winterthur) hat im Verlaufe ihrer Karriere das gesamte Violinwerk von Othmar Schoeck in zahlreichen Konzerten und an Radiostationen im In- und Ausland aufgeführt. Als besondere Rarität gelten die drei Sonaten, die Ursula Bagdasarjanz stets mit Gisela Schoeck, der Tochter des Komponisten, am Klavier aufgeführt hat. Auf den untenstehenden CD-Einspielungen und im folgenden Video mit dem Allegretto aus Schoecks Violinkonzert in B-Dur op. 21 sind die hochstehenden Interpretationen auch heute lebendig und greifbar. 

Ursula Bagdasarjanz wurde 2013 für ihre Wiedergabe fremder und eigener Werke, so auch für ihre Interpretation des Violinkonzertes von Othmar Schoeck, mit einem «Special Tribute Treasury Show» der kalifornischen Stanford University geehrt.

www.ursula-bagdasarjanz.com
 


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Othmar Schoeck: Variations Sonata for Violin & Piano
in D Major WoO 22 – Sonata No. 1 for Violin & Piano
in D Major op. 16 – Sonata No. 2 for Violin & Piano
in E Major op. 46.
Ursula Bagdasarjanz, Violin – Gisela Schoeck, Piano.
VDE-Gallo 1249

 

 

 

Auf Anregung von Christian Busslinger (siehe Kommentar unten) publizieren wir hier gerne ein Foto, das die beiden Interpretinnen Gisela Schoeck (links) und Ursula Bagdasarjanz in Berlin zeigt. Das Bild entstand 1961 anlässlich von Radioaufnahmen. Es stammt aus dem Archiv von Ursula Bagdasarjanz. Die Redaktion der SMZ dankt ihr herzlich für die Publikationserlaubnis.

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Gisela Schoeck (links) und Ursula Bagdasarjanz 1961 in Berlin

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Othmar Schoeck: Violin Concerto «Quasi Una Fantasia»
for Violin & Orchestra in B-Flat Major op. 21
Francesco d’Avalos, dir.

Alexander Glasunov: Violin Concerto in A Minor op. 82
Ursula Bagdasarjanz, Violin – Lugano Radio Orchestra,
Leopoldo Casella, dir..
 

Projekt «Nationaloper» in Berlin

Ausgerechnet am Tag des Brexit-Referendums stand das Thema Nationalgefühl im Mittelpunkt eines experimentellen Musiktheaterabends im Berliner Radialsystem.

«Schweizerpsalm» der Zürcher Theatergruppe kraut_produktion. Foto: kraut_produktion

Drei Künstlergruppen aus Deutschland, Ungarn und aus der Schweiz beschäftigten sich mit einem jeweils für das Land repräsentative Opernwerk – sofern es denn eines gibt. Von den Schweizern wurde in Ermangelung eines solchen stattdessen der Schweizerpsalm, der Bundesbrief und das Schweizer-Sein an sich in einer recht derb-körperlichen Art theatral umgesetzt. Doch der Reihe nach.

Distanziert mit «Freischütz»

Die Berliner Opernkompanie Novoflot widmete sich im ersten Teil der «ersten deutschen Nationaloper», dem Freischütz von Carl Maria von Weber (1786–1826). Die romantisch-düstere Geschichte um den Erbförster Kuno, die Försterstochter Agathe und den Jägersburschen Max wird der Frage gemäss inszeniert: Wer von ihnen macht wohl das Rennen? Drei kleine Mädchen machen sich Notizen auf Wettzetteln. Ein Posaunenchor spielt Geräuschhaftes unter Einsatz der Dämpfer. Ein Sprecher kommentiert das sportliche Geschehen, während die Sänger loslaufen, ihre Arien singen, stolpern und tot hinfallen.

Später nehmen sie die Position von Punktrichtern ein, die die sportliche Leistung bewerten. Ein eleganter junger Mann mit Zopf, vielleicht der junge Karl Lagerfeld, baut derweil das typisch deutsche Bühnenbild auf. Ein ausgestopfter Adler. Eine Dartscheibe mit nordischem Schiffsmotiv. Ein Wäscheständer, ein leerer Kühlschrank, eine Telefonzelle von der Telekom.

In reduzierter Form, zwischen Operngesang und Schauspielerstimmen changierend, werden die Gassenhauer des Freischütz hier geboten, was während eines Moments mit der ungewöhnlichen Kombination von Bassklarinette und Melodica besonders mitreissend gelingt. Ein grosser Augenblick ist der Auftritt des Kinderchors, wenn sich der ganze Bühnenraum plötzlich mit dieser Vielzahl von Mädchenkörpern und mit ihren zarten Stimmen füllt. Und doch gerät dieser Freischütz etwas zu lang, zu statisch und häufig zu ungenau in Timing und Artikulation. Während Ännchen und Agathe geschäftig von einer Seite der Bühne zur anderen eilen, in Kühltaschen wühlen und dabei Unverständliches singen, fühlt man sich gar zu sehr an die üblichen Operninszenierungen erinnert und merkt nichts mehr davon, dass man sich hier in einem besonderen Musiktheaterexperiment befinden soll. Und was war das jetzt eigentlich mit der Nationalität? Die Frage bleibt bei diesem Freischütz seltsam unberührt.

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«Freischütz» der Berliner Opernkompanie Novoflot. Foto: Falko Siewert

Ratlos mit Heidi

Und nun also der Schweizerpsalm der Zürcher Theatergruppe kraut_produktion. Auf der Bühne Bierbänke, darauf grüne und rote Abstimmungskarten. Blumentöpfe mit Heckengewächsen verstellen den Blick. Irgendwo sind Tombolapreise aufgebaut, an einem anderen Tisch sitzen die Darsteller und trinken. Schweizer sprechen schlechtes Englisch auf Unternehmenssitzungen, erfährt man, und sie schämen sich dafür, dass es ihnen so gut geht, deswegen versuchen sie möglichst nicht aufzufallen. Auf der Leinwand laufen Werbefilme für die Schweiz und für Parteien oder Menschen, die man wählen könnte.

Das Mitmach-Theater beginnt, mit Losverkauf und Damenwahl. Die beiden Frauen Wändy und Sändy spielen alberne Schenkelkrachersketche. Die viel zu laut eingestellte Anlage plärrt einem ins Ohr, und die Energie dieses halb improvisierten Aktionstheaters will sich nicht so recht übertragen. Irgendwann pissen alle Darsteller in eine Zinkrinne auf der Bühne. Penetrant plärrt eine Darstellerin, sie sei die Heidi und käme jetzt zurück aus Frankfurt zum Grossvater. Sie lässt sich mit einer Melkmaschine melken, die gewonnene Muttermilch wird zu Butter gemacht, die sich die Darsteller gegenseitig ins Gesicht schmieren. Irgendwie geht es auch um die Verantwortung des Einzelnen für die Gemeinschaft, vielleicht auch für diese Theatersituation. In all diesen Schweizer Klischees zwischen Heidi, Pisse und Milch ist von einem Gemeinschaftsgefühl jedenfalls nicht viel zu spüren, das hat eher den Anstrich von Wut und Selbstverachtung. Das Berliner Publikum bleibt da etwas ratlos zurück.

Gemeinsam berührt von «Bánk bán»

Ganz anders die Inszenierung der ungarischen Gruppe Krétakör. Auf der Bühne steht ein Grenzzaun der gleich zu Beginn fällt, von den Darstellern gemeinsam niedergerissen.
Die vielen jungen Menschen von Krétakör, die sich selbst als «Aktivisten» und nicht als Theaterkünstler bezeichnen, setzen sich in ihrem Stück mit der Oper Bánk bán* des Komponisten Ferenc Erkel (1810–1893) auseinander, die in drei Akten die Geschichte von der Ermordung der Königin Gertrud durch ungarische Adlige erzählt. Für ihre Annäherung (und Distanzierung) brauchen die Darsteller nicht viel. Auf der Bühne ist ein Pianist mit einem E-Piano, der die Musik aus der Oper in reduzierter Fassung zum Besten gibt. Die Darsteller spielen die Szenen der Oper nach, indem sie einfache Konstellationen und Posen einnehmen und in Kurzfassung die Texte wiedergeben. Für das deutsche Publikum wird das Wichtigste auf Englisch zusammengefasst. Im Hintergrund ist eine Videoleinwand, auf der historische Fotos, Bilder mit aktuellen Bezügen und Filmausschnitte zu sehen sind.

Ausgehend von der Opernhandlung ziehen die Aktivisten Parallelen zu aktuellen Ereignissen in Ungarn, von gedeckten Vergewaltigungen an der Universität über die Ungleichbehandlung von Frauen bis hin zur Ausgrenzung von Fremden, dem Misstrauen gegenüber Europa als Fremdherrschaft und dem Schüren von Hass durch die Stärkung des althergebrachten Nationalgefühls. Eine sehr viel schönere Fassung einer Nationaloper entwirft Krétakör, indem zu einer auf fünf Minuten komprimierten Klavierfassung von Bánk bán ein Film läuft, der die Gesichter ganz verschiedenerr Menschen unterschiedlichen Alters aus dem heutigen Ungarn zeigt. Ein einfaches Mittel, das seine berührende und verbindende Wirkung jedoch nicht verfehlt.

Schliesslich stellen die Aktivisten Fragen an das Publikum, und obwohl es im Raum heiss ist und der Abend schon weit fortgeschritten, beginnen die Zuschauer allmählich, sich diesen jungen Menschen zu öffnen und die Fragen zu beantworten. Was man tun würde, wenn man der Bürgermeister dieser Stadt wäre. Ob Künstler eigentlich wichtig für die Gesellschaft sind. Wenn es eine geheime Zutat für Gemeinschaften gibt, welche das ist. Respektvoll, verletzlich und ernsthaft stellen die Aktivisten von Krétakör ihre Fragen und lassen so eine Atmosphäre entstehen, in der etwas von der gesuchten Gemeinschaft spürbar wird – und von der Verantwortung des Einzelnen. Als zartes Pflänzchen, als mögliche Utopie, ganz abseits von jedem Nationalgefühl.

 

* Der deutsche Titel der Oper lautet: Banus Bánk. Banus ist die Bezeichnung für einen reichen Herrn. Der Stellvertreter des ungarischen Königs heisst in der Oper Bánk.

Bern revidiert Kulturabteilung

Der Gemeinderat der Stadt Bern hat die gesetzlichen Grundlagen für die Tätigkeit der städtischen Kulturabteilung revidiert. Aus der Abteilung Kulturelles wird «Kultur Stadt Bern».

Foto: Martin Abegglen/flickr commons

Am 2. Berner Kulturforum sind die Ziele und Massnahmen der künftigen gesamtstädtischen Kulturstrategie mit 180 Teilnehmenden aus der Berner Kulturszene diskutiert worden. Gestützt auf die Resultate des Forums soll die ausformulierte Strategie dem Gemeinderat im Herbst zur Genehmigung vorgelegt werden.

Die Themenfelder Zwischennutzung und Räume, Bewilligungen und Förderstrukturen beschäftigen die Teilnehmenden laut der Mitteilung der Stadt am meisten. In der Diskussion habe sich weiter herauskristallisiert, dass der prominente Platz, den die Kinder- und Jugendkultur im Massnahmenkatalog einnehme, allgemein begrüsst wird. Lücken wurden in den Bereichen Laienkultur, Baukultur sowie Dialog, Zusammenarbeit und Koordination identifiziert. Die Teilnehmenden debattierten zudem das Selbstverständnis der Kultur-Stadt Bern.

Bei der Revision der Gesetzesgrundlagen geht es im Wesentlichen um die Anpassung der Formulierungen an die heutige Praxis sowie eine definitive Regelung der Finanzkompetenzen der Abteilung. Die geänderten Bestimmungen treten ab 1. August 2016 in Kraft. Die Abteilung zieht zudem Anfang Juli um – in das Verwaltungsgebäude Effingerstrasse 21.

Regers Musikdenken

Die imposante Studie von Hans-Peter Retzmann liefert viele anregende Ansätze und prägt Begriffe, um diesen musikalischen Kosmos zu fassen, erscheint aber unfertig.

Max Reger an seinem Schreibtisch, 1908. Foto: Max-Reger-Institut, Karlsruhe

Max Regers Musik ist nicht einfach zu verstehen. Sie bewegt sich zwischen den Zeiten und ästhetischen Richtungen. Ihr Rang ist auch hundert Jahre nach seinem Tod umstritten. Umso dankbarer ist man, wenn ein intimer Kenner – auch der spieltechnischen Schwierigkeiten der Werke – sich anschickt, die besondere Bedeutung des Phänomens Reger zu erschliessen. Der Organist und Theologe Hans-Peter Retzmann hat Eine Studie zu Regers Musikdenken vorgelegt, in der er die wesentlichen Eigenarten von Regers Komponieren und dessen musikalische «Haltung» erkundet. Dabei stützt er sich auf Selbstaussagen des Komponisten, die in einer Vielzahl von Briefen überliefert sind, vor allem aber auf die (Orgel-)Werke selbst. Ausgehend von Regers eigenem Begriff der «harmonischen Melodie» prägt Retzmann weitere Vokabeln, mit denen Regers kompositorische Verfahren und ästhetischen Zielsetzungen zu fassen sind: emanzipierte Linie, expressive Felder, Miniaturisierung, emotionale Innen-Anbindung, musikalische Chiffrierung, Mosaik-Zellentechnik, Werk-Entgrenzung. Ob sich diese Begriffe im künftigen Diskurs behaupten werden, muss die weitere Forschung weisen. Besonders erhellend sind die Bemerkungen zu Regers Bach-Rezeption, zu seiner alternativen Position in den damaligen Auseinandersetzungen zwischen Programm- und absoluter Musik wie auch zur grundsätzlichen Offenheit von Regers ausdrucksstarker, aber eben nicht inhaltlich gebundener Musiksprache.

Angesichts der Komplexität des Gegenstandes besteht die Gefahr, begriffliche Setzungen nicht restlos abzusichern und die einmal gewonnenen Vokabeln eher durcheinanderzuwirbeln, als sie stringent zueinander in Beziehung zu setzen. Dieser Gefahr ist auch Retzmann nicht entgangen, denn für ihn wichtige Begriffe wie «disparat» (ab S. 51), «parametrische Zelle» (ab S. 112), «transgressives Verhalten» und «Valenzen» (ab S. 294) sowie «integrale Transformation» (ab S. 311) werden nicht genügend fundiert bzw. sind nicht völlig treffsicher gewählt. Möglicherweise wollte der Autor auch zu viel: Seine zusätzlichen Bemerkungen zur Rezeption von Regers Musik, zu Albert Schweitzers Überlegungen zu orgel-stilistischen Fragen wie schliesslich auch zur Interpretation der Orgelwerke sprengen den Rahmen seines Vorhabens und vernebeln seine zentralen Erkenntnisse und Postulate. Was dem Buch fehlt, ist ein kritisches Lektorat, das den Autor sowohl in der Anordnung der Gedanken wie auch in der Behebung sprachlicher Mängel beraten hätte. Zahlreiche Druck-, Formatierungs- und Formulierungsfehler vermitteln den Eindruck, dass die imposante und durchaus anregende Studie letztlich Entwurf geblieben ist.

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Hans-Peter Retzmann, Max Regers Musik. Eine Studie zu Regers Musikdenken, (=Quellen und Studien zur Musikgeschichte von der Antike bis in die Gegenwart, hg. von Michael von Albrecht und Eliott Antokoletz, Band 44), 364 S., Fr. 76.00, Peter Lang, Bern u.a. 2015

Das Who’s who der Violine

David Schoenbaums Kulturgechichte widmet sich auf 730 Seiten den Herstellern, Händlern und Spielern des «vielseitigsten Instruments».

Foto: Wolfgang Hartwig/pixelio.de

Dieses schwere Buch habe ich während 14 Tagen gestemmt und mit viel Spannung gelesen. Es schlägt mit seinen 2066 Anmerkungen und einem sehr nützlichen Register mit 2400 Namen alle bisher erschienenen Geschichtsbücher über die Violine. David Schoenbaum (geboren 1935 in Milwaukee, USA) hat sich als Historiker einen Namen gemacht mit der Weiterbearbeitung seiner in Oxford entstandenen Dissertation Die braune Revolution: eine Sozialgeschichte des Dritten Reiches, englisch 1966, deutsch 1968/1999. Bis 2008 war er Professor für Geschichte an der Universität von Iowa. Am vorliegenden Buch schrieb der Amateurgeiger 20 Jahre.

Die Kapitel über den Geigenbau, lesen sich wie ein Roman. Man vernimmt erstaunliche Neuigkeiten über den Ursprung der Geige (wobei China und Indien unerwähnt bleiben), die Verbindung über die Alpenpässe und die politischen Einflüsse. Wahres und Legendenhaftes über die Familien Amati, Stradivari und Guarneri wird entwirrt. Der Aufstieg und die gewerkschaftlichen Hintergründe von Mirecourt, die lange Erfolgsgeschichte von Vuillaume, der wegen explodierender Nachfrage den Markt als erster mit günstigen «Stradivari» aus seiner eigenen Werkstatt überschwemmte, die Geschichte des deutschen Geigenbaus von Stainer bis zu den Manufakturen von Markneukirchen werden ausführlich beschrieben, ebenso diejenige von Japan und China. Die Entwicklung des Bogens und dessen berühmteste Bauer sind nur kurz abgehandelt.

Ein 100-seitiger Teil dreht sich um den Geigenhandel: interessante europageschichtliche Hintergründe, die enge Verbindung von Geigenbauer und -händler, der Aufstieg der grossen Handelsimperien Hill, Herrmann und der Auktionshäuser Christie’s und Sotheby’s mit weltweit herumreisenden Experten, die rasenden Preisanstiege (ehemals dienten Handwerkerlöhne, später Herrschaftsvillen als Vergleich), Monografien über Bildupp, Fushi & Bein, Machold, auch über die zwei Händlerinnen Felicity Foresight und Claire Givens, die unglaubliche Anzahl von «Strads» und deren unvorstellbare Irrwege, Verbrechen, Erbschaftsquerelen, Prozesse, auch der wegen Expertenstreit verworren gebliebene «Stradi»-Werro-Prozess, Fortschritte bei der Echtheitsfindung alter Instrumente dank Röntgen-, Pigmentanalyse und Dendrochronologie, die zu Wessels Frage führte, ob sich die Auktionshäuser für etwas erwärmen würden, das «das Bewusstsein dafür schärft, wie viele Fälschungen sie wohl verkauft hatten».

Die 250 Seiten über das Geigenspiel beginnen mit der Aufzählung vieler geigender Berühmtheiten – man staune! Ursprünglich vererbte sich das Geigenspiel vom Vater zum Sohn, wie andere Handwerke auch. In den italienischen Ospedali lernten die Waisenkinder musizieren, um an den vielen kirchlichen und weltlichen Festen ihren Unterhalt mitverdienen zu können. Der Unterricht entwickelte sich von der Geheimlehre von Virtuosen über die Waisenhäuser (= Konservatorien!) zu den staatlichen und berühmten privat gestifteten Instituten weltweit. Lange dauerte der Wandel vom vogelfreien Spielmann über den Hofangestellten zum freien hochverdienenden Künstler. Über Paganini, Viotti, Auer, Stern und viele andere vernimmt man viel Neues. Wettbewerbe sind auch politisch! Die verwirrenden Geschichten der Orchestergründungen sind höchst spannend, darunter die erstaunlichen Erfolge von Jugendorchestern in unterprivilegierten Gegenden. Verlage und Plattenfirmen lechzten nach grossen Interpreten und umgekehrt!

Über die Pädagogik ist nicht viel zu lesen, nur über viele erfolgreiche Hochschullehrende. Gruppenunterricht beginnt 1839 bei Birkbeck in England. Ausführlich wird über Shinichi Suzuki und Roberta Guaspari berichtet, aber von den ebenso grossen Verdiensten Paul Rollands und Sheila Nelsons und von den einflussreichen Vereinen ASTA und ESTA (American resp. European String Teachers Association) steht kein Wort. Von vielen erfolgreichen, schweren und tragischen Künstlerschicksalen wird berichtet; die Vollständigkeit rechtfertigt hier die Bezeichnung «Who’s who». Die späte aber heute gleichberechtigte Einbeziehung der Frauen im Orchester- und Solospiel ist ein wichtiges Kapitel. Die Aufzählungen über die Geige als Allroundinstrument in allen Musikstilen, in bildender Kunst, Poesie, Literatur und Film sind ausufernd, können aber nicht vollständig sein (darf ich ergänzen: Jean Diwo, Les violons du roi; Jaume Cabré, Das Schweigen des Sammlers; Mechtild Borrmann, Der Geiger). Das Buch wäre als Nachschlagewerk noch besser geeignet, wenn im Inhaltsverzeichnis und in den einzelnen Teilenmehr Untertitel stünden.

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David Schoenbaum Die Violine: eine Kulturgeschichte des vielseitigsten Instruments der Welt, aus dem Amerikanischen von Angelika Legde, 730 S., Fr. 67.00, Bärenreiter Kassel & Metzler Stuttgart 2015, ISBN 978-3-476-02558-6

Faurés Mélodies neu geordnet

Bei der Edition Peters erscheint eine Kritische Ausgabe aller Liedkompositionen.

Gabriel Fauré, 1905. Foto: Dornac (1858-1941), Bibliothèque nationale de France/wikimedia commons

Gabriel Fauré, einer der bekanntesten französischen Komponisten des Fin de Siècle, schrieb vor allem Vokal-, Klavier- und Kammermusik. Und er war ein Meister der «Mélodie française».
Die Kritische Urtextausgabe, die zurzeit im Peters-Verlag erscheint, hat sich zum Ziel gesetzt, die Lieder des Komponisten möglichst zuverlässig zu ordnen, Zyklen, Sammlungen und Gruppierungen zu berücksichtigen und schlüssige stilistische Entwicklungen innerhalb der Lieder deutlich zu machen – was sich auf Grund der Fülle und Qualität der vorhandenen Quellen offenbar als editorische Herausforderung erweist.

Dabei herausgekommen ist eine in jeder Hinsicht ansprechende Ausgabe: Erschienen sind bisher ein Band mit Vokalisen (2013, EP11385), die Fauré in seiner Zeit als Direktor des Pariser Conservatoire für seine Studierenden als Blattsingübungen, aber auch als «grundlegende Stimmbildungsübungen für eine flexible Stimme» komponierte. 45 Vokalisen entstanden in der Zeit zwischen 1906 und 1916. Zwar ist ihnen ihr praktischer Zweck anzumerken, jedoch ahnt man in Melodik und Harmonik häufig die Feder des Komponisten, wenngleich die meisten Stücke meiner Meinung nach doch zurückbleiben hinter den eleganten, souveränen und mitreissenden Liedkompositionen Faurés.

In Band 1 der Complete Songs, 2014 erschienen, sind 34 frühe Lieder Faurés veröffentlicht. Die Sammlung umfasst Kompositionen der Jahre 1861 bis 1882 und enthält einige der bekanntesten Lieder wie Au bord de l’eau und Après un rêve. Band 3 erschien 2015 mit 17 Liedern nach Texten von Verlaine; und Band 2 ist für Herbst 2016 geplant. Unter Vorbehalt spricht man auch schon von einem 4. Band 2017.

Allen Bänden gemeinsam ist ein ausführliches Vorwort (dreisprachig fr/dt/en) mit Informationen über Quellen und editorisches Vorgehen sowie Hinweise zur Ausgabe und Aufführung und Details zur Entstehungsgeschichte der einzelnen Werke. Die Liedtexte sind in französischer Sprache, englischer und deutscher Übersetzung den Mélodies vorangestellt. Das Notenbild selbst lädt ein zum Lesen, Spielen, Singen: Es ist gut lesbar und benutzerfreundlich, ein Kritischer Kommentar, diesmal nur auf Englisch, findet sich am Schluss des Heftes.

Alle Bände sind für hohe und für mittlere/tiefe Stimme erhältlich. Zudem sind Begleittracks online verfügbar – eine zeitgemässe und sehr dienliche Ergänzung. Mein Tipp: eine lohnende Anschaffung!

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Gabriel Fauré, Sämtliche Lieder 1: 1861-1882. 34 Lieder für Stimme und Klavier, hg. von Roy Howat und Emily Kilpatrick; hohe Stimme, EP 11391a ; mittlere Stimme, EP 11391b ; je Fr. 33.30, Edition Peters, Leipzig u.a. 2014

id., Sämtliche Lieder 3: Verlaine-Vertonungen; hohe Stimme, EP 11393a; mittlere Stimme, EP 11393b; je Fr. 25.90, 2015

Bigband Drumming

Schlagzeuger, Bandleader und Arrangeure etwa einer Schul-Bigband werden in diesem Lehrgang und den dazugehörigen Videos angeleitet.

Big Band «Red Hot 100». Foto: Gisella Klein/flickr commons

Mitte der 1920er-Jahre entwickelten sich aus den Formationen des New Orleans Jazz allmählich Bigbands, die das Publikum mit ihrem wuchtigen Sound in ihren Bann zu ziehen vermochten und deren reichhaltige Klangfacetten bis in die heutige Zeit begeistern. Für viele Schlagzeuger, damals wie heute, stellt Bigband Drumming die Königsdisziplin des Drumset-Spielens dar. Protagonisten wie Gene Krupa, Buddy Rich oder Louie Bellson – um nur einige zu nennen – prägten dieses Genre nachhaltig.

Das Lehrmittel Bigband Drumming von Stephan Genze soll dem Schlagzeuger die Arbeit in einer Bigband in Theorie und Praxis näherbringen. Im Theorieteil erklärt der Autor die verschiedenen Komponenten eines Drumcharts ebenso wie die musikalischen Grundbegriffe und gängigen Bezeichnungen. Eine wichtige Rolle in der Routine eines Drummers spielt die Vorbereitung und Interpretation eines Kicks. Wie diese Aufgabe angegangen wird, erläutert Genze in einem speziellen Kapitel anhand von ausnotierten Beispiel-Fills. Der Autor verzichtet übrigens auf eine Legende der Schlagzeug-Notation. Den Theorieteil rundet er mit einer kleinen, bebilderten Bigband-Geschichte ab.

Für die praktische Anwendung des Gelernten stehen sechs Songs zur Verfügung: Medium Swing, Latin, Fast Swing, Swing Ballad, Shuffle-Blues und Funk. Jedem Drumchart wird eine maximal dreiseitige Einführung vorangestellt. Sie enthält jeweils die Basis-Grooves und Lernsequenzen für die einzelnen Songabschnitte, die auch auf der mitgelieferten DVD erläutert werden. Die Drumcharts geben nur das Wesentliche vor, wodurch dem Spieler genügend Raum für Interpretationen bleibt. Die Schlagzeugstimmen sind höchstens drei Seiten lang und sehr gut lesbar. Einzig im Stück «Funkissimo» fallen zahlreiche aneinandergereihte Sechzehntelnoten mit Fähnchen zwischen gleichnamigen Pausen aus dem sonst rundum ordentlichen Rahmen.

Die Songs sind Originale von Stephan Genze, die er in bester Qualität mit seinem Jazz-Orchester eingespielt hat. Sie stehen auf der Audio-CD in einer Vollversion sowie als Minus-Drums zur Verfügung.

Der Praxislehrgang Bigband Drumming für Anfänger und Mittelstufe ist sowohl für das Selbststudium als auch für den Unterricht geeignet. Er wurde mit dem Deutschen Bildungsmedienpreis «digita 2016» in der Kategorie «Privates Lernen, über 16 Jahre» ausgezeichnet.

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Stephan Genze, Bigband Drumming, Ein Praxis-Lehrgang mit Video-Tutorial für Schlagzeuger, Bandleader und Arrangeure, Heft inkl. DVD und Audio-CD, HI-S7151, Fr. 47.90, Helbling, Innsbruck/Esslingen/Bern 2015

Geheimnisvolle Klavierklänge

«Piano Misterioso» entführt den Mittelstufenschüler in eine zauberische Phantasiewelt.

Foto: Maurice Von Mosel/flickr commons

«Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle.» Dieses Zitat von Albert Einstein stellt Barbara Arens über ihren 2015 erschienenen Band Piano Misterioso. Tatsächlich lässt sie mit ihren Kompositionen den Spieler ahnen, dass hinter den Tönen eine andere Welt auf ihn wartet. Lateinische Titel wie Ruine Gothicae oder Obscura luce führen ihn in ferne Zeiten und Kulturen und wir blicken gleichsam durch die Töne hindurch in unsere innere Fantasiewelt, in der noch immer die Vergangenheit präsent ist und Figuren aus Sagen und Märchen ganz real existieren. – Bei aller Poetik ist es der Komponistin aber gelungen, durchaus auf dem (pianistischen) Boden zu bleiben und die Zielgruppe nicht aus den Augen zu verlieren. Sie versucht bewusst, spieltechnisch unkompliziert zu komponieren, arbeitet dabei aber dennoch sehr vielfältig grundlegende pianistische und musikalische Gestalten in ihre Stücke ein. Die Stücke sind von der Struktur her gut fassbar und eine willkommene Bereicherung der Mittelstufenliteratur.

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Barbara Arens, Piano Misterioso, 28 magisch leichte Stücke, EB 8883, € 15.90, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2015

Bachs Orgelwerke aus Übersee

Die ersten Bände einer Gesamtausgabe unter der Leitung des amerikanischen Bach-Spezialisten George B. Stauffer sind erschienen.

Orgelbüchlein 1. Seite, «Der Tag der ist so freudenreich», vor 1713. Quelle: wikimedia commons

Parallel zur neuesten Gesamtausgabe der Bachschen Orgelwerke bei Breitkopf und Härtel (bisher 7 von 10 Bänden erschienen) und zu den aktualisierten Editionen der Neuen Bach-Ausgabe (NBA) bei Bärenreiter erscheint in den USA eine weitere Ausgabe des Orgelschaffens des Thomaskantors. Sie wird herausgegeben von George B. Stauffer, Musikwissenschafts-Professor an der Rutgers University und einer der führenden Bach-Forscher Amerikas, als General Editor und Christoph Wolff als Consulting Editor. Nachdem man in den älteren Ausgaben das Fehlen eines kritischen Berichts (Peters) bzw. dessen Publikation in separaten Bänden (NBA) bedauern mochte, ist es umso erfreulicher, dass alle diese Neuausgaben nun über umfassende Kommentare verfügen, die den Spielenden wertvolle Hintergrundinformationen zu den Werken und ihrem Kontext direkt vermitteln und editorische Entscheide transparenter machen. Breitkopf liefert zudem diverse Incerta auf einer beigelegten CD-ROM.

Die drei vorliegenden Bände aus den USA – 15 sind geplant – zeichnen sich ganz in diesem Sinne durch ein äusserst umfangreiches und detailliertes (leider nur englischsprachiges) Vorwort aus, das die Entstehungsgeschichte der Werke und ihr Umfeld gemäss neustem Forschungsstand schildert; sie verfügen aber auch über zahlreiche, zum Teil farbige Faksimile-Seiten sowie einen kompletten Kritischen Bericht im Nachwort, der die aktuelle Quellenlage präzis aufschlüsselt und die diversesten Lesarten erläutert.

Band 1 umfasst mit den Acht Kleinen Präludien und Fugen BWV 553–560, dem Pedal-Exercitium sowie den Chorälen des Orgelbüchleins die «pädagogischen» Werke Bachs. Er ist in zwei verschiedenen Ausgaben erhältlich: 1A eher mit historisch-wissenschaftlichem Schwerpunkt (z. B. mit Varianten zu einigen Chorälen), 1B als praktische Ausgabe mit Verzierungstabellen, vierstimmigen Choralsätzen oder «unverzierter» Darstellung der kolorierten Sopran-Melodien, was wohl nicht nur in Amerika, sondern auch hierzulande mehr und mehr nötig sein dürfte, da die verwendeten Choräle aus der liturgischen Praxis und dem Bewusstsein der Spielenden zu verschwinden drohen. Band 7 enthält neben den Triosonaten weitere Trio-Sätze (bei Breitkopf zum Teil nur auf der beiliegenden CD-ROM enthalten) und ein ganz besonders detailliertes Vorwort, Band 8 den 3. Teil der Clavier-Übung.

Der Notentext selbst ist übersichtlich und klar, auch mit guten Wendestellen, allerdings in den beiden leicht grösseren deutschen Ausgaben etwas «luftiger» und weiter gedruckt bei ähnlicher Seitenzahl. Im Detailvergleich lassen sich diverse kleine Abweichungen zu älteren Ausgaben finden, die allerdings in den drei Neuausgaben grösstenteils übereinstimmen (es liegen ja auch dieselben Quellen zugrunde) oder zumindest in den Kommentaren erläutert sind, falls sich die Herausgeber für unterschiedliche Lesarten entschieden haben. Die in älteren Bach-Ausgaben fehlende, auch für die linke Hand notierte Doppelt-Cadence mit Mordent auf der Penultima der Es-Dur-Fuge BWV 552, deren Herkunft Stauffer direkt auf ein handschriftlich korrigiertes Druckexemplar Bachs zurückführt und die er als erster Notenherausgeber berücksichtigt hat, ist in der – später erschienenen – aktualisierten NBA-Fassung nun beispielsweise ebenfalls zu finden, fehlt allerdings bei Breitkopf. Interessant der Unterschied bei BWV 675: von Christoph Wolff für die NBA neu auf drei Systemen notiert (mit 4’-Cantus firmus im Pedal), während Stauffer die Manualiter-Lesart vertritt. Für die noch nicht erschienenen Folgebände darf man gespannt darauf sein, wie die Herausgeber mit Werken unklarer Zuschreibung umgehen, zum Beispiel im Bezug auf etliche einzeln überlieferte Choralvorspiele, für die Stauffer nicht weniger als fünf Bände geplant zu haben scheint, was darauf schliessen lässt, dass wohl viele dieser Incerta im Druck enthalten sein dürften. Fazit: Die amerikanische Bach-Gesamtausgabe ergänzt das Panorama der neuesten Bach-Editionen mit einer überzeugenden Variante. Und da es immer wieder zu Entdeckungen neuer Quellen kommt, ist das Kapitel Bach wohl noch längst nicht abgeschlossen!

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Johann Sebastian Bach, The Complete Organ Works, Hg. George B. Stauffer; Vol. 1 A/B: Pedagogical Works; Vol. 7: Six Trio Sonatas and Micellaneous; Vol. 8: Clavier-Übung III; Wayne Leupold Edition, USA, 48 $ (Vol. 1, 7), 58 $ (Vol. 8).

Vergleichsausgaben bei Breitkopf & Härtel (Sämtliche Orgelwerke, EB 8801 ff.) bzw. Bärenreiter (Neue Bach-Ausgabe, zum Teil revidiert)

Witz, Energie und kühne Kurven

Der Pianist Yves Theiler hat mit Luca Sisera und Lukas Mantel ein zweites Trio-Album eingespielt. Eine neue Wärme durchscheint die ebenso subtile wie komplexe Musik.

Yves Theiler. Foto: zvg

Vor vier Jahren erschien das Debut-Album des Yves-Theiler-Trios und wurde von der SRF2-Kulturredaktion gleich zum Trio-Album des Jahres gekürt. Eigentlich hätte er schon früher nachdoppeln wollen, sagt der 28-jährige Pianist aus Zürich, aber ein Personal- beziehungsweise Instrumentenwechsel hatte eine Verzögerung zur Folge. Statt dem Fretless-E-Bass von Valentin Dietrich ist nun der Kontrabass von Luca Sisera zu hören, mit dem Theiler auch in der Band Roofer zusammenspielt.

Der Klang dieses Instruments zusammen mit Siseras fluid-melodischem Stil verleihen dem rhythmisch explosiven und doch kristallklar präzisen Sound des Trios eine geradezu sonnige, neue Wärme. So viel wird bereits im ersten Stück des von Radio SRF2 koproduzierten Zweitlings Dance In A Triangle klar. Es heisst For Bass und beginnt mit einer fast zweiminütigen Einleitung, wo eine fein gesponnene Bassmelodie von einer insistenten, einzelnen Pianonote und Perkussion vorwärtsgetrieben wird, ehe Theiler einen druckvollen Groove und eine labyrinthartige Melodie ins Geschehen einführt, die irgendwo zwischen Afrika und Erik Satie angesiedelt ist.

Mit dem Perkussionisten Lukas Mantel arbeitet der Pianist seit zehn Jahren zusammen. Das daraus resultierende telepathische Verständnis erlaubt es dem Trio, die überaus subtile Komplexität von Theilers Kompositionen – sie beginnen zumeist mit einer Improvisation allein am Klavier – mit einer rhythmischen Dynamik auszuleuchten, die der atemberaubenden Virtuosität des Gebotenen einen starken, emotionellen Rückhalt gibt. Mit jugendlicher Verspieltheit jongliert Theiler mit Techniken und Stilen aus der ganzen Welt von Eritrea, Ahmad Jamal bis Post-Rock. Dennoch tritt nie das Gefühl auf, man habe es mit einer Elster zu tun, denn jeder Musiker hat seine eigene Stimme und schreckt nicht davor zurück, sie laut und deutlich einzusetzen. Ein Album voller Witz, Energie und kühner Kurven.

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Yves Theiler Trio: Dance In A Triangle. Musiques suisses MGB Jazz 18

Leise Dialoge der Geschichte

Historisch informiert erweitern Stefan Müller und Martin Pirktl den Kosmos Johann Sebastian Bachs.

Martin Pirktl und Stefan Müller. Foto: zvg

Für Johann Sebastian Bach galt lange Zeit das, was fürs Bier bis heute gilt: das Deutsche Reinheitsgebot. Stefan Müller (Tasteninstrumente) und Martin Pirktl (Gitarren) kümmern sich wenig darum. Ebenso wenig wie einige Komponisten, die bachsche Werke schon vor etwa 200 Jahren bereicherten. Ignaz Moscheles (1794–1870) liess zwar die Fugen unberührt, fügte aber manch eigene Passage in ausgewählte Präludien des Wohltemperierten Klaviers. Müller und Pirktl erweitern die Dialoge der Geschichte, indem sie Moscheles’ «mit einer concertierenden Solostimme versehene» Stücke ins Jetzt übertragen. Beide sind historisch informierte Interpreten und haben sich viele Gedanken gemacht sowohl zu älteren Stimmungen wie auch im Hinblick auf Tempofragen.

Ignaz Moscheles’ Bach-Stückchen wirken trotz aparter Instrumente – einer Biedermeier-Gitarre und eines Hammerflügels aus dem frühen 19. Jahrhundert – eher wie eine abwegige musikhistorische Skurrilität. Ungleich einprägsamer sind da schon die Kanonischen Veränderungen aus den Goldbergvariationen in der behutsamen Bearbeitung von Josef Rheinberger (1839–1901). Im Grunde handelt es sich um eine Instrumentierung, da Rheinberger die originalen Variationen im Wesentlichen auf zwei Klaviere übertrug und nur an manchen Stellen chromatische Füllstimmen einfügte oder Oktavverdopplungen. Max Reger schätzte die von Rheinberger so bezeichnete «pietätvolle Bearbeitung»« er gab die rheinbergersche Sammlung nahezu unverändert neu heraus.

Wenn das ein und andere Werk auch seltsam anmutet – besonderen klanglichen Reiz hat die CD jederzeit. Der wundersam dezente Ton der alten Instrumente, der ausgesprochene Klangsinn und die Souveränität der klugen Interpreten machen Bach – ganz leise zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz nicht weniger Hochglanz-Produktionen, die im übrigen wohl auch nicht ganz im Sinne Bachs sind.

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Bach – ganz leise. Stefan Müller, Tasteninstrumente; Martin Pirktl, Gitarren. www.contrapunctus.ch

Blick auf Luthers antijüdische Schriften

Eine neu eröffnete Ausstellung im Bachhaus Eisenach beschäftigt sich mit Luthers antijüdischen Schriften, der Frage des Antijudaismus in Bachs Passionen und der Wiederentdeckung von Bachs Musik in Kreisen des jüdischen Bürgertums in der Aufklärung und Romantik.

Bachhaus mit Anbau. Foto: Bachhaus.eisenach/wikimedia

In einem ersten Teil der Ausstellung geht es laut der Mitteilung des Bachhauses um Luthers Judenfeindlichkeit und dessen Nachwirken im Luthertum. Thematisiert wird Bachs Interesse an jüdischer Geschichte und dem (Anti-)Judaismus und die immer wiederkehrende Frage, ob Bachs Passionen judenfeindlich sind.

Ein zweiter Teil widmet sich am Beispiel der Itzig- und der Mendelssohn-Familie sowie von Persönlichkeiten wie Joseph Joachim der Bach-Pflege im jüdischen Bürgertum des 19. Jahrhunderts und ihrer Bedeutung für die Bach-Renaissance. Die Ausstellung liefert zugleich einen Nachtrag zum Themenjahr 2013 der Reformations-Dekade «Reformation und Toleranz».

Infos:
«Luther, Bach – und die Juden»: Sonderausstellung vom 24.06. – 06.11.2016. Bachhaus Eisenach, Frauenplan 21, 99817 Eisenach.
 

Helfricht Kapellmeister am Theater St. Gallen

Hermes Helfricht wird ab der Spielzeit 2016/2017 neuer Kapellmeister am Theater St.Gallen. Der 1992 geborene deutsche Dirigent war zuletzt als Kapellmeister an der Oper Erfurt engagiert.

Foto: Jürgen Helfricht

Der 1992 in Radebeul bei Dresden geborene Hermes Helfricht ist Stipendiat im Dirigentenforum des Deutschen Musikrats. Er sang neun Jahre im Dresdner Kreuzchor und assistierte von 2008 bis 2010 als Chorpräfekt Kreuzkantor Roderich Kreile. An der Universität der Künste Berlin studierte er Orchesterdirigieren bei Lutz Köhler und Steven Sloane.

Hermes Helfricht hat schon mit einer Vielzahl europäischer Orchester konzertiert und verfügt über ein Repertoire, das vom Barock bis zur Gegenwart reicht. In der Schweiz stand er bei einer Produktion der Schlossoper Haldenstein (Fledermaus) am Pult der Kammerphilharmonie Graubünden. Am Theater St. Gallen debütierte er im Februar 2016 mit «Eugen Onegin».

Seit 2014 ist Hermes Helfricht Assistenz-Dirigent des Joven Orquesta Nacional de España. 2015 leitete er das «Orchester 1770» der Musikakademie Rheinsberg. In der Saison 2015/2016 war er als Kapellmeister am Theater Erfurt engagiert.

Internationales Netzwerk der Telemann-Städte

Die deutschen Städte Magdeburg, Clausthal-Zellerfeld, Hildesheim, Leipzig, Eisenach, Frankfurt am Main, Hamburg sowie in Polen Żary und Pszczyna und in Frankreich Paris haben sich mit Blick auf das Telemannjahr 2017 zu einem Telemannstädte-Netzwerk zusammengeschlossen.

Georg-Philipp-Telemann-Konservatorium, Magdeburg. Foto: Eltharion/wikimedia commons

Unter dem Markenzeichen «Telemann 2017» wollen die Städte den musikalischen Kosmopoliten Georg Philipp Telemann mit verschiedenen Veranstaltungsformaten ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit rücken. Dabei soll auch ein Brückenschlag zum Reformationsjubiläum 2017 geschlagen werden, denn es war Telemann, der die protestantische Kirchenmusik des 18. Jahrhunderts nachhaltig reformierte.

Am 25. Juni 2017 jährt sich Telemanns Todestag zum 250. Mal. Telemann prägte das musikalische Repertoire des Spätbarock und der frühen Aufklärung. Er verstand es, die vielen unterschiedlichen Musikstile seiner Zeit zu adaptieren und zu vermischen sowie daraus seinen Personalstil zu entwickeln. Als Konzertunternehmer etablierte er an seinen Wirkungsorten Leipzig, Frankfurt am Main und Hamburg ein bürgerliches Musikleben, dessen Folgen bis heute spürbar sind. Auch verlegerisch war er tätig und betrieb einen Selbstverlag.

Mehr Infos: www.telemann2017.eu

Kulturabteilung der Stadt Basel wieder komplett

Die Musiktheater- und Literaturwissenschaftlerin Dominika Hens sowie der Musikwissenschaftler und Dramaturg Christoph Gaiser komplettieren das Team der Projektförderung der Abteilung Kultur Basel-Stadt.

Hens und Gaiser bewegen künftig Basels Kulturprojekte mit. Foto: Andreina Schoeberlein/flickr.com

Dominika Hens (*1986), wohnhaft in Basel-Stadt, obliegt als Beauftragte für Kulturprojekte die Verantwortung für die Förderbereiche Literatur, Musik und Vermittlung. Sie hat Einsitz im Fachausschuss Literatur BS/BL und im Fachausschuss Musik BS/BL. Dominika Hens war zuletzt als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Nationalen Forschungsschwerpunkt Bildkritik der Universität Basel (eikones) tätig. Sie lehrte zudem regelmässig am Deutschen Seminar. Zuvor arbeitete sie an diversen Dreispartenhäusern, mit Schwerpunkten in der Vermittlungsarbeit.

Christoph Gaiser (*1975), derzeit in Bern und ab Herbst in Basel-Stadt wohnhaft, obliegt als Beauftragter für Kulturprojekte die Verantwortung für die Förderbereiche Tanz und Theater, sowie Jugendkultur. Er hat Einsitz im Fachausschuss Tanz und Theater BS/BL und verantwortet die Jugendkulturpauschale. Christoph Gaiser war zuletzt am Konzert Theater Bern als Dramaturg und Produktionsleiter für Tanz tätig. Zuvor arbeitete als Dramaturg für Oper, Konzert und Ballett am Saarländischen Staatstheater, Staatstheater Darmstadt und Badischen Staatstheater Karlsruhe.
 

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