Der Kanton Luzern schreibt im Rahmen des Systemwechsels bei der Kulturförderung erstmals die selektive Produktionsförderung aus. Die Ausschreibungen erfolgen in den Sparten «Musik» und «Theater/Tanz» sowie für Beiträge an Kunst- und Fotografiepublikationen. Insgesamt können 230’000 Franken vergeben werden.
Musikzeitung-Redaktion
- 24. Juni 2016
Foto: Ilse Dunkel (ille)/pixelio.de
Zur Ausschreibung im Bereich Musik zugelassen ist das aktuelle Schaffen von Musikerinnen und Musikern in sämtlichen Bereichen der Sparte Musik. Die Beiträge dieser Ausschreibung dienen der Veröffentlichung sowie den damit verbundenen Aufwänden für Promotion und Distribution. Total steht eine Beitragssumme von 60’000 Franken zur Verfügung.
Die Beiträge der Ausschreibung im Bereich Theater/Tanz von insgesamt 120’000 Franken können für Produktionen von professionellen Theater- und Tanzschaffenden, die erstmals 2017 aufgeführt werden, vergeben werden.
Abgabetermin der Dossiers für die Teilnahme an der selektiven Förderung ist der 30. September 2016. Für die Beurteilung der eingereichten Arbeiten wird eine vierköpfige Fachjury eingesetzt. Die Wettbewerbsergebnisse und gesprochenen Beiträge werden im Rahmen der öffentlichen Übergabefeier der Werkbeiträge am 11. November 2016 im Kulturzentrum Braui in Hochdorf bekanntgegeben.
Ab dem Jahr 2017 plant der Kanton halbjährliche Ausschreibungen, jeweils per Ende Januar und Ende Juni. In den Sparten Musik und Theater Tanz werden Produktionsbeiträge, in der Sparte Freie und Angewandte Kunst Werkbeiträge ausgeschrieben. Das neue Förderinstrument hat seine Grundlage in dem vom Kantonsrat im Jahr 2014 verabschiedeten Planungsbericht über die Kulturförderung des Kantons Luzern.
Stadt und Kanton Schaffhausen unterstützen ein Kenia-Projekt der Musikerin Joana Aderi mit 17’500 Franken und die Realisierung einer CD von Jörg Odermatts Band Papst & Abstinenzler mit 15’000 Franken.
Musikzeitung-Redaktion
- 23. Juni 2016
Papst & Abstinenzler. Foto: buerobureau
Insgesamt reichten 24 Bewerberinnen und Bewerber Dossiers für die Förderbeiträge ein. Das Kuratorium sprach 7 Beiträge. Ziel der Förderbeiträge von Kanton und Stadt Schaffhausen ist eine substantielle Förderung der überzeugendsten Bewerbungen. Das Kuratorium entscheidet unabhängig über die Höhe der Unterstützung; der Mindestbetrag beträgt 15’000 Franken.
Die Musikerin Joana Aderi (*1977) erhält einen Förderbeitrag in der Höhe von 17’500 Franken zur Umsetzung eines Musikprojekts im Austausch mit Kenia.
Die Schriftstellerin Ursula Fricker erhält einen Förderbeitrag in der Höhe von 17’500 Franken zur Fertigstellung eines neuen Romanmanuskripts.
Der Musiker Jörg Odermatt (*1962) erhält einen Förderbeitrag in der Höhe von 15’000 Franken zur Produktion eines Studioalbums mit seiner Band Papst & Abstinenzler.
Die Künstlerin Rebekka Gnädinger (*1982) erhält einen Förderbeitrag in der Höhe von 15’000 Franken zur Unterstützung der künstlerischen Arbeit als Artist in Residence in St. Louis in Senegal.
Der Regisseur und Drehbuchautor Felix Tissi (*1955) erhält einen Förderbeitrag in der Höhe von 15’000 Franken zur Realisierung eines Drehbuchs zu einem geplanten Film.
Das Künstlerduo Rubén Fructuoso (*1987) und Beat Wipf (*1982) erhält einen Förderbeitrag in der Höhe von 15’000 Franken zur Realisierung eines Projekts, das die Aktualität religiösen Wahns installativ thematisiert.
Das Künstlerduo Ralf Schlatter (*1971) und Anna-Katharina Rickert (*1973) alias schön & gut erhält einen Förderbeitrag in der Höhe von 15’000 Franken zur Erarbeitung eines neuen Programms.
Die beiden Atelierstipendien (6 Monate in Berlin) gehen an die Künstlerin Judith Kakon (*1988) und den Künstler Andreas Dal Cero (*1964).
Kanton und Stadt Schaffhausen verleihen seit 15 Jahren Förderbeiträge an Schaffhauser Kulturschaffende. Der Gesamtbetrag, der zur Vergabe zur Verfügung steht, beläuft sich auf 110’000 Franken.
Die Bewerbungen werden von einem unabhängigen Fachkuratorium beurteilt und juriert. Dieses bestand heuer neben den Behördenvertretern Cristina Baumgartner-Spahn, Jens Lampater, Marion Preuss und Roland E. Hofer aus den Experten Beatrice Stoll (Vorsitz, Literatur), Moritz Müllenbach (Musik), Caroline Minjolle (Tanz und Theater) sowie Alexandra Blättler (Kunst).
Marchand komplettiert Leitung des Verbier Festivals
Laurence Marchand, die seit 17 Jahren als Leiterin der Produktion und der künstlerischen Koordination am Théâtre du Châtelet in Paris amtet, wird Mitglied der Leitung des Verbier Festivals. Gemeinsam mit Gründer und Geschäftsführer Martin T:son Engstroem wird sie ab Herbst 2016 die Entwicklung des Festivals vorantreiben.
Musikzeitung-Redaktion
- 22. Juni 2016
Foto: Verbier Festival
Gestärkt durch ein internationales Netzwerk künstlerischer und institutioneller Kontakte habe Laurence Marchand in Paris auf kreative Art und Weise ein musikalisches und choreografisches Programm mit zahlreichen Koproduktionen geleitet, schreibt das Verbier Festival.
Zuvor entwickelte sie als Verwalterin der internationalen Künstleragentur IMG Artists Produktionen für das Mariinsky Theater/Valery Gergiev, das Monteverdi Orchestra/John Eliot Gardiner, die Choreografin Sylvie Guillem und zahlreiche sinfonische Ensembles auf der ganzen Welt.
Laurence Marchand tritt ihren Posten beim Verbier Festival im Herbst 2016 an und löst damit Kim Gaynor ab, die mehr als elf Jahre lang Administrative Geschäftsführerin des Festivals war. Kim Gaynor übernimmt im September die Generaldirektion der Vancouver Opera, des zweitgrössten Opernhauses in Kanada.
Historisches zur Schwyzer Volksmusik
Ein «Schwyzer Heft» der Kantonalen Kulturkommission Schwyz zur Geschichte der Volksmusik im inneren Kantonsteil ist auf überraschend hohes Interesse gestossen. Nun hat es der Kanton nachgedruckt.
Musikzeitung-Redaktion
- 21. Juni 2016
Muotathaler Musikanten (s. unten). Foto: Bert Schnüriger, Seewen
Das in einer Auflage von 900 Stück gedruckte Heft zur Entstehung und Geschichte der Innerschwyzer Ländlermusik war laut einer Mitteilung des Kantons innert drei Wochen restlos ausverkauft. Nun ist es in einer zweiten Auflage erschienen und ab sofort wieder erhältlich.
Die instrumentale Volksmusik hat im Kanton Schwyz, insbesondere im inneren Kantonsteil, seit jeher einen hohen Stellenwert. Zahlreiche schweizweit bekannte Musikanten stammen aus dieser Gegend. Nebst bestbekannten Namen wie Kasi Geisser, Piitschä-Wysel, Toni Bürgler und weiteren haben in den letzten rund 100 Jahren in den Schwyzer Dörfern von Küssnacht über Goldau, im Schwyzer Talkessel, Muotathal, Illgau, Gersau, aber auch im Berggebiet von Sattel und Rothenthurm zahlreiche weitere Musikanten zum Tanz und zur Unterhaltung aufgespielt, deren Namen heute nur noch wenigen bekannt sind. All diesen bekannten und unbekannten Volksmusikanten ist das neue, 204 Seiten starke Heft, gewidmet.
Erhältlich ist das Schwyzer Heft bei der Kantonalen Kulturkommission Schwyz zum Preis von 25 Franken plus Porto und Verpackung. Erreichbar während den Bürozeiten unter 041 819 20 88 oder per Mail kulturfoerderung.afk@sz.ch.
Foto oben (von links): Franz Föhn sen., Franz Schmidig jun., Franz Schmidig sen., sowie Franz Föhn jun.
Musik, Kunst und Philosophie im Dialog
Was Kunstwissenschaftler, Musikwissenschaftler und Philosophen dazu veranlasst, gemeinsam ein Wochenende einem Symposium zu widmen, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Es gibt jedoch einige Überschneidungspunkte, und einer davon ist der Berner Maler Paul Klee.
Jasmine Kammermann
- 21. Juni 2016
Paul Klee, «Die Zwitscher-Maschine», 1922 (Detail)
Am 21. und 22. Mai setzten sich Akademikerinnen und Akademiker aus aller Welt im Zentrum Paul Klee mit Themen wie den Identitätsbedingungen eines musikalischen Werkes, der perfekten Aufführung oder den Zusammenhängen zwischen Boulezʼ und Paul Klees Schaffen auseinander. Der interdisziplinäre Austausch war von einer familiären Atmosphäre geprägt.
Nach einer kurzen Ansprache von Dale Jacquette (Universität Bern), einem Mitglied des Organisationsteams, begann das Symposium mit einer Präsentation des amerikanischen Philosophen Peter Kivy (Rutgers University). Er hat seine Studien hauptsächlich der Ästhetik und der Philosophie der Musik gewidmet. Mit seinem Buch The Corded Shell: Reflections on Musical Representation hat er 1980 den Grundstein für das Wiederaufleben der Philosophie der Musik gelegt, obwohl er heute von seinem noch häufig zitierten Werk nicht mehr überzeugt ist. Weshalb Musik zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus dem Blickfeld der Philosophie geraten war, erörterte er im Referat On the recent remarriage of Music to Philosophy. Die Dominanz der absoluten Musik im späten 19. Jahrhundert führte dazu, dass sich die Philosophie auf eine Definition von Musik als formal organisierte Klangstrukturen fokussierte und sich den Inhalten von Musik, dem Vermittelten, nicht näher widmete. Kivy jedoch wagte den Versuch, erneut eine Brücke von der Musik zu den Emotionen zu schlagen und löste damit eine ganze Welle von Texten aus, die sich der Musik wieder aus der philosophischen Perspektive widmeten.
Marcello Ruta und Annabel Colas (beide Universität Bern) präsentierten anschliessend Fragen der Ontologie der Musik. Ruta argumentierte, dass die hermeneutische Herangehensweise durchaus auch performative Aspekte von Musikwerken fassen könne. Die Doktorandin Colas erläuterte die (Un-)Möglichkeit der perfekten Aufführung. Den frühen Nachmittag bestritten Thomas Gartmann (Hochschule der Künste Bern) und Alessandro Arbo (Universität Strassburg). Gartmann sprach darüber, was alles in der Partitur eines Werkes zu finden ist und wonach man vergeblich sucht. Arbo erörterte, was wir genau meinen, wenn wir sagen, etwas als ein bestimmtes Werk zu erkennen.
Klee und Interdisziplinarität
Paul Klee war in Jim Dickinsons (Bath Spa University) Referat zum ersten Mal Thema der Diskussion. Dickinson analysierte eines der am häufigsten vertonten Werke Klees, Zwitscher-Maschine (1922). Er zeigte eine mögliche Übersetzung dieses Bildes in Musik an Birtwistles Komposition Carmen Arcadiae Mechanicae Perpetuum (1977) auf. Die Musiker Paulo de Assis (Orpheus Institute Ghent) und Albert Frantz (Wien) rundeten den Tag aus praktischer Perspektive ab.
Die Präsentationen des zweiten Tages drehten sich grösstenteils um den Namensgeber des Veranstaltungsortes. Paul Klee hat nicht nur viele philosophische Ansätze in seinen Skizzen und Bildern verarbeitet, sondern war auch Amateurviolinist. Er erregt somit sowohl das Interesse von Kunstinteressierten wie von Musikern, Musikwissenschaftlern und Philosophen. Damit ist er ein ideales Thema für interdisziplinarische Forschung, wie sie in diesem Symposium gefördert wurde. Auch Pierre Boulez hatte eine ganz besondere Beziehung zu Paul Klees Schaffen, wie Ulrich Mosch (Universität Genf) in seinem Referat aufzeigte.
Christian Berger (Universität Freiburg) und Walter Kreyszig (University of Saskatchewan) hatte die Verbindungslinien von Johann Sebastian Bach zu Klee im Fokus. Klee versuchte immer wieder, Abstraktes visuell darzustellen und so wurden auch bachsche Kompositionen mit ihrer hohen Strukturiertheit zu Ausgangpunkten für seine Werke.
Am Nachmittag folgte eine Führung durch das Zentrum Paul Klee mit Kurator Michael Baumgartner. Anschliessend erläuterte dieser in einer Präsentation die zentrale Rolle der Natur in Klees Werken. Weitere Analysen wurden vorgetragen von Linn Buchert (Friedrich-Schiller-Universität Jena); sie beschäftigt sich in ihrer Dissertation mit der Rolle der Atemmetapher in visueller Kunst.
Kompositionsstudentinnen und -studenten der Hochschule der Künste Bern und das Vertigo-Ensemble bereicherten das Symposium mit einem abschliessenden Konzert. Gespielt wurden Stücke, die inspiriert waren von Boulezʼ Structures I, einem Werk, das Boulez 1951 ursprünglich An der Grenze des Fruchtlandes nennen wollte, in Anlehnung an Klees Bild Monument an der Grenze des Fruchtlandes. Wie die Eindrücke aus dem zweitägigen Symposium die Perzeption beeinflussen, das konnten die Teilnehmenden beim Anhören dieser Uraufführungen direkt erleben.
SRF2 Kultur legt Jazz- und Weltmusikformate zusammen
SRF2 Kultur speckt in Sachen Spartenprogrammen ab: Das «Klangfenster» gibt es künftig nur noch am Wochenende. «Parlando» als eigenständige Sendung entfällt ganz. Der Sender berücksichtigt damit nach eigenen Aussagen «den Wunsch des Publikums nach mehr Musik».
Musikzeitung-Redaktion
- 20. Juni 2016
Laut der offiziellen Mitteilung des öffentlich-rechtlichen Kultursenders werden die Musikthemen von «Parlando» ab dem 4. Juli 2016 in die Sendungen «Kontext» und «Passagen» integriert. «Jazz aktuell» und «Musik der Welt» werden zum neuen Format «Jazz & World aktuell» zusammengelegt. Vertiefende Themen dieser beiden Musikgenres sollen künftig ebenfalls in «Kontext» und «Passage» behandelt werden.
Das Nachmittagsprogramm von SRF2 Kultur stehe von Montag bis Freitag künftig ganz im Zeichen der klassischen Musik, schreibt der Sender. Nach dem «Klassiktelefon» und «Concerto» folge bis um 16 Uhr ein leichtes Klassikprogramm. Das «Klangfenster» ist weiterhin samstags und neu sonntags im Programm, die werktäglichen Ausstrahlungen entfallen.
Der Abend wird nach den 22-Uhr-Nachrichten noch musiklastiger: Die bisherigen Genres von alter Musik bis Jazz bleiben, doch wird der Musikanteil erhöht. Die Konzertübertragungen bleiben unverändert. Von den Veränderungen ausgenommen sind die Flagschiffe «Diskothek», «Jazz Collection» und «Musik unserer Zeit».
Wie der Sender seine Programmleiterin Barbara Gysi zitiert, strebe man «mit diesen Veränderungen eine klarere Programmstruktur an». Zudem ermögliche die angepasste Programmstruktur, «die beliebtesten Sendungen als Wiederholung auszustrahlen.»
Helvetisches Feuer in Meiningen
Der Schweizer Philippe Bach leitet seit 2010 als Generalmusikdirektor die geschichtsträchtige Hofkapelle. In seinen Programmen baut er mit vielen Schweizer Interpreten und Werken Brücken von einem Land ins andere.
Hanspeter Renggli
- 20. Juni 2016
Philippe Bach in Meiningen. Foto: Michael Reichel
Von Bach zu Bach. So liesse sich verkürzt die Geschichte der gut 325-jährigen Hofkapelle von Meiningen beschreiben. Es war Johann Ludwig Bach, ein ferner Verwandter des grossen J. S., der, gefolgt von weiteren Mitgliedern der weitverzweigten Familie, im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts mit der Hofkapelle die Residenzstadt Sachsen-Meiningen zu einem bedeutenden Musikzentrum formte. Seit sechs Jahren steht nun ein ganz anderer Bach, nämlich ein Schweizer Bach, als Generalmusikdirektor an der Spitze der Meininger Musikkultur: Philippe Bach, der in Bern, Genf, Zürich und Manchester Horn und Dirigieren studiert hatte, übernahm 2010 eines der geschichtsträchtigsten deutschen Orchester.
Stolze Geschichte
Meiningen ist eine ruhige und schmucke südthüringische Kleinstadt zwischen Rhön und Thüringer Wald, die von der Unbill der jüngeren deutschen Geschichte einigermassen verschont geblieben ist. Meiningen ist jedoch auch ein einzigartiges kulturelles Zentrum. Da ist eben zunächst die Hofkapelle, ein gut sechzigköpfiges Sinfonieorchester, dessen kometenhafter Aufstieg vor und um 1900 mit Namen wie Franz Liszt, Johannes Brahms, Hans von Bülow, Richard Strauss und Max Reger oder demjenigen des Geiger Alexander Ritter und des Klarinettisten Richard Mühlfeld verbunden ist. Es war die Meininger Hofkapelle, die nicht bloss der räumlichen Nähe wegen, sondern aufgrund ihrer hervorragenden Qualitäten während Jahren das Bayreuther Festspielorchester prägte.
Da ist das Meininger Theater, in dem – ebenfalls Ende des 19. Jahrhunderts und wohl erstmalig in der Geschichte – eine Frühform des Regietheaters und ein konsequent naturalistisches Regie- und Bildkonzept entwickelt wurde, das unter dem Stichwort «Meininger Prinzipien» Geschichte gemacht hat. Während Jahren tourte das Meininger Theater auf den neugebauten Bahnstrecken durch Europa, immer die detailfreudigen und voluminösen Bühnenbilder des Coburger Theatermalers Max Brückner in bis zu 20 Bahnwaggons dabei. Kein Wunder, verehren die Meininger Herzog Georg II. noch heute wie einen Stadtvater. Der sogenannte «Theaterherzog» hatte ab 1866 über ein halbes Jahrhundert Orchester und Theater nicht allein gefördert, er hatte Regie geführt und Bühnenprospekte skizziert, und nicht zuletzt als sozialliberal denkender Politiker dem wilhelminischen Kaiserreich die Stirn geboten.
Da sind heute zudem die auf experimentelle Stücke ausgerichteten Kammerspiele, das Puppentheater oder die Kleinkunst- und Tanzhäuser … Meiningen ist eine ausserordentliche Kunststadt und mit seinen gut 20 000 Einwohnern nur gut halb so gross wie Thun oder so gross wie Aarau.
Mutige Gegenwart
Wer Meiningens offizielle Seite im Netz anklickt, blickt zu allererst ins goldene Gewölbe des Theaters, ein Haus im Empirestil. Hier geht Philippe Bach ein und aus, dirigiert Konzerte und Opern, wie momentan gerade Straussʼ Capriccio oder Adèsʼ Powder Her Face. Es sei denn, der Generalmusikdirektor (GMD) sei mit seiner Hofkapelle unterwegs, beispielsweise im Dampflokwerk im Norden der Stadt oder immer wieder im grossen Saal auf der Wartburg bei Eisenach, wo jeweils Wagners Tannhäuser gewissermassen am «Originalschauplatz» gespielt wird – ein touristischer Anlass der besonderen Art.
2015/16 war für die Meininger Hofkapelle, die auch die Orchesterkonzerte im Theater spielt, ein Jubiläum angesagt. Das Orchester, das seit 2006 wieder seinen alten Namen trägt, feierte sein 325-jähriges Bestehen. Indes, um Mahlers vielzitiertes Wort zu paraphrasieren, Philippe Bach ist weit davon entfernt, die Asche vergangener Hochzeiten anzubeten, sondern entfachte seit seinem Amtsantritt gleich mehrere Feuer, helvetische nota bene. Sicher, da mögen Brahms, Strauss und Reger eine gewisse Vorzugsstellung geniessen, aber ein Interpret, der sein Handwerk bei Persönlichkeiten wie Peter Eötvös verfeinert hat, kennt die Gegenwart und blickt in die Zukunft. Dass dabei eine Art Schweizer Konstante seine Programme bereichert, ist erfreulich und vor allem nicht selbstverständlich.
Fruchtbarer Austausch
Philippe Bach lud beispielsweise von Anfang an regelmässig Schweizer Interpreten wie den Pianisten Adrian Oetiker, den Hornisten Olivier Darbellay oder den Dirigenten Kaspar Zehnder nach Meiningen ein. Kompositionen von Honegger, Martin oder Rudolf Moser dürfte das Meininger Publikum in einer Weise verinnerlicht haben, von der man hierzulande nur träumen kann. Wen wundert es da, dass sich Bach auch nicht zurückhielt, in der Jubiläumssaison mit Heinz Holliger und Mario Venzago zwei Schweizer Interpreten einzuladen. Umrahmt von frühen Werken von Richard Strauss, präsentierte Holliger fünf seiner Solo- und Duo-Kompositionen mit dem klangart-Ensemble dem begeisterten thüringischen Publikum. Daraus entwickelte sich ein vielperspektivisches meiningisch-schweizerisches Programm.
Konzertprogramme sprechen dann eine besondere Sprache, wenn sich die Stücke gegenseitig anschauen, sich ergänzen und in ihrer Konstellation über sich hinausweisen. Mario Venzago wagte mit der Verbindung von Arthur Honeggers Fünfter (di tre re) und Paul Juons A-Dur-Sinfonie gar ein rein schweizerisches Programm. Juons Sinfonie, die dem Komponisten zu Lebzeiten den ehrenden Titel eines «russischen Brahms» eintrug, war 1903 durch die Meininger Hofkapelle uraufgeführt worden. In der kommenden Saison präsentiert Philippe Bach in Meiningen mit dem Fagottisten Andrea Cellacchi, den Pianisten Adrian Oetiker und Teo Gheorgiu sowie dem Flötisten Matthias Ziegler erneut ein erstaunliches Schweizer Gastpaket. Gleichsam im Gegenzug wird im November Philippe Bach im Konzert des Berner Sinfonieorchesters Max Regers Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart dirigieren, ein Werk, das der Komponist 1914 in Meiningen schrieb.
Da ist zwischen republikanisch-helvetischer Zurückhaltung und höfisch-thüringischer Geschichtsträchtigkeit eine ganz besondere musikalische Achse entstanden.
Kinderkonzert mit Philippe Bach in Meiningen. Foto: Michael Reichel
Der Tschumi-Preis geht an Michael Buchanan
Zwei Solistinnen und drei Solisten haben letzten Freitag am Solistenkonzert ihren Master of Arts in Specialized Music Performance, die höchste Stufe der klassischen Schweizer Musikausbildung, erfolgreich abgeschlossen Michael Buchanan wurde mit dem Eduard-Tschumi-Preis 2016 für die beste Solistenprüfung ausgezeichnet.
Musikzeitung-Redaktion
- 19. Juni 2016
Michael Buchanan. Foto: zVg
Die Studierenden der Hochschule der Künste Bern (HKB), die ihren Master of Arts in Specialized Music Performance Klassik abschliessen, treten jedes Jahr am Solistenkonzert im Kultur Casino Bern auf. Im Anschluss an das Konzert wird jeweils der Eduard-Tschumi-Preis verliehen, der die Solistin oder den Solisten mit der besten Gesamtbewertung der ganzen dreiteiligen Masterprüfung auszeichnet. Am 17. Juni ging der mit 12 000 Franken dotierte Preis an den Posaunisten Michael Buchanan.
Der englische Posaunist Michael Buchanan, Student bei Ian Bousfield, hat als Orchestermusiker schon Erfahrungen bei zahlreichen Orchestern sammeln können, u.a. bei den Wiener Philharmonikern, an der Wiener Staatsoper, beim Philharmonia Orchestra London und beim Royal Philharmonic Orchestra. Beim 64. Internationalen Musikwettbewerb der ARD 2015 wurde Michael Buchanan mit einem ersten Preis sowie dem Publikumspreis ausgezeichnet. In den Spielzeiten 2015/16 und 16/17 trat er als Solist mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin und dem Orkiestra Aukso in Polen auf.
Angélique Boudeville (Gesang), Lucas Perez Bruno (Oboe), Laura Schmid (Blockflöte) und Dmitry Serebrennikov (Violine) haben ihr Masterstudium in Specialized Music Performance Klassik ebenfalls erfolgreich abgeschlossen Die Solistenkonzerte wurden vom Berner Symphonieorchester unter der Leitung des Dirigenten Ekkehard Klemm begleitet.
Deutschland senkt Künstlersozialabgabesatz
Auf Beginn des kommenden Jahres soll in Deutschland der Abgabesatz für die Künstlersozialabgabe von 5,2 auf 4,8 Prozent gesenkt werden. Damit würden Künstler und beitragspflichtige Unternehmen entlastet.
Musikzeitung-Redaktion
- 17. Juni 2016
Foto: sigrid rossmann/pixelio.de
Unter den freien Künstlern sind auch viele Musiker. Allein durch die zunehmende Digitalisierung sind Teile ihres Einkommens laut der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) aus der Wahrnehmung von Leistungsschutzrechten bislang ersatzlos weggebrochen. Unter diesen Umständen sei ihre soziale Absicherung wichtiger denn je. Das gelte auch im Hinblick auf die Vermeidung von Altersarmut.
In der Deutschen Künstlersozialversicherung (zu der es in der Schweiz kein direktes Pendant gibt) sind über 180’000 freie Künstler pflichtversichert, darunter mehr als 51’000 im Bereich Musik. Damit geniessen sie trotz Selbständigkeit den Schutz der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung.
Versicherte tragen wie andere pflichtversicherte Arbeitnehmer die Hälfte ihrer Beiträge. Die andere Hälfte übernehmen der Bund (20 Prozent) und Unternehmen, die Aufträge an freiberufliche Künstler und Publizisten vergeben (30 Prozent). Die Künstlersozialabgabe wird als Umlage erhoben. Der Abgabesatz wird jährlich für das jeweils folgende Kalenderjahr festgelegt. Bemessungsgrundlage sind die im Vorjahr gezahlten Honorare.
Zürcher Stadttaler für Weibel und Weingarten
Peter F. Weibel und Elmar Weingarten ist mit Blick auf ihr grosses Engagement für die Festspiele Zürich von Corinne Mauch der «Stadttaler», die Ehrenmedaille der Stadt Zürich, überreicht worden.
Musikzeitung-Redaktion
- 17. Juni 2016
Elmar Weingarten an der Dada-Soiree I der diesjährigen Festspiele. Foto: Markus Bauer
Die Stadtpräsidentin überreichte die Anerkennung im Rahmen eines Dada-Poetry-Slam-Abends im Schauspielhaus Zürich. Mit der Verleihung der Ehrenmedaille der Stadt Zürich dankten Stadt und Kanton, vertreten von Regierungsrätin Jacqueline Fehr, den beiden für ihren langjährigen, bedeutenden Einsatz für die Kulturstadt Zürich: Elmar Weingarten war von 2007 bis 2014 Intendant des Tonhalle-Orchesters Zürich und leitet seit 2011 als Geschäftsführer und künstlerischer Leiter die Festspiele Zürich. Peter F. Weibel ist seit 2003 Präsident der Zürcher Festspielstiftung.
Mit der laufenden Ausgabe der Festspiele beenden Elmar Weingarten und Peter F. Weibel ihre Tätigkeit für das gemeinsam von Zürcher Kulturinstitutionen getragene Festival, dessen Entwicklung sie über Jahre geprägt haben. Die Festspiele Zürich 2016 mit dem Titel «Dada – Zwischen Wahnsinn und Unsinn» dauern noch bis zum 26. Juni.
Viele Schwellen überschritten
Daniel Ott und Manos Tsangaris führten die Münchner Biennale für neues Musiktheater mit Schwung in eine neue Ära. In Symposium und Aufführungen setzten sie einige Schweizer Akzente und prägten mit «OmU» einen neuen Begriff für Musiktheater.
Eine Fussgängerzone in der Münchner Innenstadt. Zwei Passanten beugen sich aufmerksam über einen Mülleimer. Gibt es etwas zu beobachten, etwas zu hören oder riechen? Weitere gehen achtlos daran vorbei, andere kommen hinzu, während die ersten sich entfernen, ohne Worte zu wechseln.
Die Videodokumentation als integraler Teil des Stücks Staring at the Bin («Einen Mülleimer anstarren», Komposition und Konzept Meriel Price) steht symptomatisch für einen Musiktheaterbegriff, der die Münchener Biennale (28. Mai bis 9. Juni 2016) unter der neuen Intendanz des Komponistenduos Daniel Ott und Manos Tsangaris prägt. Denn das Einbinden von Stadt und Alltag sowie die Öffnung zu Interaktion, fremdartigen Begebenheiten und veränderter Klangwahrnehmung stehen im Fokus des Interesses. Mit klanglich performativen Interventionen im Stadtraum, der zeitlichen Bündelung des Festivals und einer Verdoppelung der Uraufführungen auf nunmehr 15 in 13 Tagen sollten nach den Worten der beiden künstlerischen Leiter «Schwellenüberschreiter» angelockt und die Biennale geöffnet werden. Unter Einbezug von einzelnen neuen Spielorten abseits der grossen Häuser wich das Intendantenteam ganz bewusst von den Programmen ihrer Vorgänger Hans-Werner Henze und Peter Ruzicka ab.
Ott und Tsangaris scheinen sich ideal zu ergänzen, bringt doch der in seiner Wahlheimat Berlin verankerte Schweizer Daniel Ott langjährige Erfahrung als Leiter des Festivals für Neue Musik Rümlingen mit, das auf musikalische Zwiesprache mit der Umgebung spezialisiert ist (siehe Interview in der Schweizer Musikzeitung 6/2016, S. 6 ff.). Der in Dresden lehrende Tsangaris widmet sich dagegen seit seinen ersten Musiktheaterminiaturen in den Siebzigerjahren mit radikalen Statements den Weltbezügen, neuen Parametern von theatralen Aktionen, der Suche nach Klängen und der Begegnung mit dem Publikum.
Der radikale Bruch mit der Münchner Tradition überrascht dennoch und zeugt von echter Leidenschaft für die Sache. Die Wahl des Biennaletitels OmU – Original mit Untertiteln, im Kino der entscheidende Hinweis für eine unverfälschte Vorführung, lehnt sich dabei bewusst an filmische Verfahren an. Er evoziert zahlreiche Möglichkeiten, wie eine Vorlage mit ihrer Über- oder Umsetzung, aber auch Fragmentierung, Verfremdung oder Dokumentation zusammenhängen kann. Gleichzeitig spielt er auf die Variante «OmÜ» – Original mit Übertitelung – der gängigen Praxis in der Oper an.
Symposium mit Schweizer Akzenten
Was bedeutet der Begriff «Original» und wie sehen neue Formate und Strategien im heutigen Musiktheater aus? Ist der Begriff «Musiktheater» überhaupt noch zeitgemäss und in welcher Beziehung könnte dieses Musiktheater zu andern Feldern der Gegenwartskunst stehen?
Im Blick auf Produktionen der Biennale, aber auch anhand von grundsätzlichen und weiterführenden Überlegungen lud ein von Jörn Peter Hiekel (Dresden/Zürich) und David Roesner (München) konzipiertes dichtes Symposium unter dem Titel OmU – Echoräume und Suchbewegungen im heutigen Musiktheater zum Diskurs ein. Dass die Schweiz offenbar ein fruchtbarer Nährboden für den musiktheatralen Umgang mit Vorlagen verschiedenster Art ist, zeigte sich gerade bei diesem Anlass.
Spielerisch stimmten hier die beiden künstlerischen Leiter auf das Thema Original, Autorschaft oder auch Hierarchien ein, um sich anschliessend gegenseitig untertitelnd und ermunternd, in fliessendem Übergang zwischen Wort und Klang, mit «red ruhig weiter» resp. «spiel ruhig weiter» an Instrumenten zu schaffen zu machen – Ott am mit Blindnieten präparierten Klavier und Tsangaris an Waldteufel und Flummiball.
Roman Brotbeck (Bern/Basel) zeigte einen Umgang mit dem Original an Vertonungen von Texten Robert Walsers auf. Erst in den letzten zwanzig Jahren wurde Walser, besonderes im Théâtre musical, oftmals vertont, was Brotbeck mit dem Interesse an biografischen Topoi begründete. Die aufgezeigte Verwandtschaft der Machart von Walsers Texten mit Verfahren des Théâtre musical exemplifizierte er an Arbeiten von Mischa Käser, Georges Aperghis, Helmut Oehring, Johannes Harneit, Ruedi Häusermann und Heinz Holliger.
David Roesner (München) stellte Christoph Marthalers The Unanswered Question (Basel 1997) als Schlüsselwerk für den Umgang mit Vorlagen vor. Es verwendet Charles Ivesʼ epochales, gleichnamiges Stück (1908), das Grundfragen der Musik thematisiert. Ruedi Häusermanns Musiktheater Vielzahl Leiser Pfiffe (Zürich 2011), das nach einem musikalisierten Gang durch die Werkstätten des Zürcher Schiffbaus zu einem inszenierten Konzert in der Box führte, wurde von Leo Dick (Bern) als «komponierte Erinnerungsarbeit» gelesen (s. Dicks gleichnamigen Beitrag in: Übergänge: Neues Musiktheater – Stimmkunst – Inszenierte Musik, Stuttgarter Musikwissenschaftliche Schriften 4, hg. von Andreas Meyer und Christina Richter-Ibáñez, Mainz 2016).
Phone Call to Hades. Foto: Münchener Biennale, Franz Kimmel
Plattformen und Kollaborationen
Die neue Münchener Biennale versteht sich zu einem nicht unerheblichen Teil als Nachwuchsforum. An internationalen Plattformen, die zunächst 2013 in München, später mit Partnern in Bern, Rotterdam, Buenos Aires und Beijing stattfanden, wurden mit ausgewählten jungen Kunstschaffenden neue Teams gebildet und eigene Wege der Zusammenarbeit gesucht. Es entstand eine Vielzahl an kollaborativen Projekten und Formaten, von denen hier beispielhaft Arbeiten mit Beteiligung von Schweizer Kunstschaffenden vorgestellt werden.
In Phone Call to Hades mit Musik der in Zürich lebenden Komponistin Cathy van Eck (Isabelle Kranabetter, Dramaturgie; Blanka Radoczy, Regie; Claudia Irro, Kostüm) stand die menschliche Stimme im Zentrum. In einem etwas gruseligen, geführten Parcours entlang lauschiger Isarauen zu spät nächtlicher (und regnerischer) Stunde folgte man den Pfaden von drei klassisch geschulten Sängerinnen und Sängern. Während ihr Kostüm Mythos und Sagenwelt evozierte, huschten sie zuerst durch Waldabschnitte, um sich später zu bizarren musikalischen Dialogminiaturen zu begegnen, in denen vogelstimmähnliche Gesangsmotive, technische Transformation und eingespielte Stimmsamples sich verschränkten. Spielte das Stück auf die unsichere Verortung von Stimmen zwischen Dies- und Jenseits an, die der Phonograph im 19. Jahrhundert auslöste, so verwischten sich tatsächlich die Grenzen zwischen Original und Verfremdung zunehmend, verstärkt durch die visuelle Verunklarung im nächtlichen Dunkel.
Einen etwa einstündigen klingenden Gang durch sieben verschachtelte unterirdische Räume konnte man in Mnemo/scene: Echos (Stephanie Haensler, Komposition; Pauline Beaulieu, Regie; Ariel Farace, Text; Yvonne Leinfelder, Bühne) unternehmen. Erinnerungsträchtige Installationen, die an arte povera (Kieselsteinhaufen, vergängliche Sandschriften), Fragmente von Figuren Dubuffets oder futuristischen Bauten erinnerten, wurden mit musikalischen Miniaturen (als Vor-Erinnerungsfetzen) verschränkt, mit Textfragmenten beschallt oder durch eine Tänzerin in Bewegung versetzt. Bewegten sich Musiker und Performerinnen nach einem nicht einsichtigen Schema, so entschied der Zuschauer selbst, wo er sich aufhielt. Ungefähr in zeitlicher Mitte sammelten sich alle Beteiligten zu einer etwa zwanzigminütigen Konzertsituation. Während in der Musik der Schweizer Komponistin Stephanie Hänsler ihrerseits die Reminiszenz eines Klavierstückes (op. 28/2) von Robert Schumann erklang, verdichtete sich bei jedem Anwesenden eine individuelle Wahrnehmung und später Erinnerung.
Einen Schritt weiter im Umgang mit dem Original ging The Navidson Records – ein Musiktheater als Installation, unter der künstlerischen Leitung von Tassilo Tesche und Till Wyler von Ballmoos (Ole Hübner, Rosalba Quindici, Benedikt Schiefer: Komposition; Kristian Hverring: Sounddesign). Die sechsstündige Performance spielte in einem verschachtelten Labyrinth mit sphärischen Sounds, Lichtstimmungen und sich selbst beobachtenden Videoinstallationen. Die Zuschauer, die so lange bleiben konnten, wie sie wollten, wurden von Beginn an ins Geschehen eingebunden. Aufgeteilt in kleine Gruppen hatte das Publikum den Eingang selbst zu finden – und dafür eine Wand zu zertrümmern, hinter der in sandfarbene barocke Unterwäsche gekleidete Putten-Performer als Reaktion auf die Eindringlinge kreischend in alle Himmelsrichtungen flohen.
Derweil alle Mitwirkenden dadaistisch verortete repetitive Handlungen vollzogen (da klimperte z. B. Wyler von Ballmoos ab und an scheinbar wahllos am Klavier, da wurden laufend Trennwände hoch- und runtergezogen oder hielt Leo Dick ein fiktives Interview), wurde man aufgefordert, sich mit Getränken zu bedienen, sich an einem Puzzle zu beteiligen oder blickte ein überdimensionierter rosa Stoffhase der Zuschauerin über die Schulter. Das Eintauchen in eine befremdende (Alb-)Traumwelt verband sich mit einem Charakter des Unfertigen und liess Realität und Fiktion verschwimmen. Als Koproduktion mit der Hochschule der Künste Bern wird das Stück in Bern nochmals aufgenommen.
The Navidson Records. Foto: Münchener Biennale, Franz Kimmel
Kino im Kopf
Im Doppelabend Sez Ner und Pub – Reklamen übertrug jeweils ein Akteur oder eine Akteurin eine Vorlage in ein imaginäres Musiktheater im Kleinformat: Arno Camenisch beeindruckte als Performer seines in Rätoromanisch und Deutsch verfassen Debütromans Sez Ner durch geräuschhaft melodiöse Sprachgewalt, die er bild- und rauschhaft sprudelnd in Gestik, Mimik und Körpersprache in einem Guss vortrug, während Donatienne Michel-Dansac in George Aperghis‘ neuem Stück Pub – Reklamen durch ihren fein ziselierten schalkhaften Vortrag verführte. Die skurrilen, von schwarzem Humor strotzenden, das raue Leben in den Schweizer Bergen schildernden Texte Camenischs den Absurditäten der Wünsche einer eleganten städtischen Konsumgesellschaft vorangestellt, ergaben ein hochamüsantes, dennoch zum Nachdenken anregendes Panorama heutiger Lebenswelten. Zwischen notiertem Original, bildmächtiger Interpretation und imaginativem Kino im Kopf entstand ein vielschichtiges Gewebe.
Der durch Konzentration, Komplexität, Reduktion, Humor und Leichtigkeit geprägte (zumal auf klassischer Guckkastenbühne im Gasteig abgehaltene) Abend geriet zu einem Höhepunkt der ganz anderen Art innerhalb des Festivals. Und mit dieser nur mit zwei Personen aufwartenden Produktion entzieht sich das Intendantenteam mit einem Augenzwinkern insgesamt der Festlegung von heutigem Musiktheater auf ein spezifisches Format.
Was bleibt von OmU?
Den meisten bei der Biennale gezeigten Produktionen gemeinsam ist ein experimenteller Charakter, zu dem die komplette Verschmelzung der Ebenen sowie das Überwinden von Hierarchien der beteiligten Autorinnen und «Sparten» gehören, zum Teil auch Ansätze zur Einbindung des Publikums.
Das neue Biennale-Konzept von Ott/Tsangaris schien, zumindest was das anwesende Publikum anging, aufzugehen, waren doch zahlreiche der Aufführungen, auch in den ungewohnten Spielstätten, restlos ausverkauft. Die «Schwellenüberschreiter» waren da, und sie waren neugierig und kommunikativ.
Im Rückblick erscheint das zunächst etwas überraschende Motto OmU sogar als geradezu zentral für das heutige Musik- und Kunstschaffen schlechthin. Der Blick auf unsere Realität wie auch die Wahrnehmung von Produktionen haben sich verändert zu einem Geflecht an weiteren Untertiteln, Übertitelungen, Fragmenten, Zitaten, Notaten …
Basels Orchesterförderung nimmt Gestalt an
Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt hat auf Empfehlung einer international besetzten Fachjury erstmals Beiträge aus der Programmförderung Orchester gesprochen. Vier von acht Gesuchen wurde entsprochen.
Musikzeitung-Redaktion
- 16. Juni 2016
Kammerorchester Basel. Foto: Heike Kandalowski
Die kantonale Abteilung Kultur hat ein Konzept für eine neue Orchesterförderpolitik entwickelt, das mit Grossratsbeschluss vom 16. Dezember 2015 in Kraft getreten ist. Es sieht neu eine mehrjährige Programmförderung an professionelle Basler Orchester und grössere Instrumentalensembles wie auch eine Strukturförderung vor. Für die Jahre 2016 bis 2019 stehen dafür 5‘576‘000 Franken zur Verfügung. Das Jahr 2016 wird als Überbrückungsjahr genutzt und die bestehenden Staatsbeiträge in Höhe von insgesamt 1‘094‘000 Franken um ein Jahr verlängert.
Für die Förderperiode 2017-2019 erhalten folgende Orchester und Instrumentalensembles aus der Programmförderung Orchester einen mehrjährigen Förderbeitrag in Höhe von insgesamt 4‘035‘000 Franken:
Die Jury bestand aus Valerio Benz (SRF2 Kultur), Michael Breugst (WDR 3), Christine Lemke-Matwey (DIE ZEIT), Roman Brotbeck, Björn Gottstein (Künstlerischer Leiter der Donaueschinger Musiktage), Regula Rapp (Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart) und Alexander Steinbeis (Deutsches Symphonie-Orchester Berlin), sowie ex officio die Behördenvertreter Caroline Specht und Philippe Bischof.
Preis für zeitgenössische Musikpublizistik
Die SRF-Kulturjournalistin Theresa Beyer wird mit dem Reinhard Schulz-Preis für zeitgenössische Musikpublizistik 2016 ausgezeichnet. Der Kritikerpreis wird während der Darmstädter Ferienkurse verliehen.
Musikzeitung-Redaktion
- 15. Juni 2016
Matthias Willi/SRF
Theresa Beyer
Theresa Beyer wurde 1986 in Leipzig geboren, lebt heute in Bern und arbeitet seit 2014 als Musik- und Kulturjournalistin beim Schweizerischen Radio SRF 2 Kultur. Darüber hinaus ist die ausgebildete Musikwissenschaftlerin beim Berner Network for Local and Global Sounds and Media Culture, Norient, tätig und als freie Musikautorin und Kuratorin aktiv.
Die Jury – bestehend aus Lydia Jeschke (SWR / D), Christine Lemke-Matwey (DIE ZEIT / D), Elisabeth Schwind (Südkurier / D), Stefan Fricke (Hessischer Rundfunk / D) und Peter Hagmann (Neue Zürcher Zeitung / CH / Juryvorsitz) – haben in ihrer Sitzung am 8. Juni 2016 vor allem auch jene Beiträge überzeugt, die Theresa Beyer für die Sendung «Musik unserer Zeit» auf SRF 2 gestaltet hat.
Angela Fiore mit Handschin-Preis 2016 geehrt
Die Schweizerische Musikforschende Gesellschaft (SMG) zeichnet Angela Fiore mit dem mit 10’000 Franken dotierten Handschin-Preis 2016 aus. Die Musikwissenschaftlerin ist an der Universität Fribourg mit der Arbeit «Musica nelle istituzioni religiose femminili a Napoli 1650-1750» promoviert worden.
Musikzeitung-Redaktion
- 14. Juni 2016
Angela Fiore (Foto: SMG),SMPV
Mit ihrer Arbeit erweitert Angela Fiore gemäss dem Gutachter unsere Kenntnisse über die Rolle der Musik in den kulturellen Praktiken in Neapel zur Zeit des Absolutismus.
Die Preisträgerin ist Violinistin und Musikwissenschaftlerin. Ihr Geigenstudium schloss sie in Cremona (Civica Scuola di Musica) ab. Sie studierte Musikwissenschaft an der Universität Pavia (Standort Cremona) und arbeitete schliesslich in einem Forschungsprojekt der Stiftung Pergolesi Spontini (Jesi). Ihr Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der kirchlichen Barockmusik in Neapel.
Der zum vierten Mal vergebene Jacques-Handschin-Preis ist nach dem in Moskau geborenen Schweizer Musikwissenschaftler und Organisten Jacques Handschin (1886–1955) benannt. Er wird alle zwei Jahre verliehen. Insgesamt haben sich heuer zehn frisch Promovierte aus Basel, Bern, Fribourg, Genf, Luzern, Zürich und Leicester (UK) um den Preis beworben.
Alternative zu Tropenholz im Instrumentenbau
Robert König ist Professor für die Technologie des Musikinstrumentenbaus an der Westsächsischen Hochschule Zwickau (WHZ). Für eine neuartige Materialkombination zur Herstellung von Griffbrettern von Streichinstrumenten ist er mit dem Umweltpreis der Handwerkskammer Chemnitz ausgezeichnet worden.
Musikzeitung-Redaktion
- 13. Juni 2016
Robert König (Bild: Westsächsische Hochschule Zwickau)
Das neu entwickelte Griffbrettmaterial wird aus recyceltem Papier, Fichte und Naturharzen hergestellt. Das von der Handwerkskammer Chemnitz prämierte Projekt stellt laut der Medienmitteilung der WHZ «einen substantiellen Beitrag zur ökologischen Qualifizierung des traditionellen Instrumentenbaus dar».
Durch die Verwendung moderner Ersatzmaterialien sollen seltene Tropenhölzer, vor allem Ebenholz, ersetzt werden. Wichtige Sorten von Ebenholz dürfen gegenwärtig nicht mehr ohne Zertifikat gehandelt werden. Besonders der Export nach den USA unterliegt sehr strengen Regeln. Ein weiterer Aspekt der Forschungsarbeit war die Frage nach Kompensationsmöglichkeiten für natürliche Schwankungen der Materialeigenschaften von Hölzern.