Prächtig, leicht, humorvoll

Leichtfüssig spielt das Musikkollegium Winterthur unter der Leitung von Roberto González-Monjas Mozarts Haffner-Serenade. In Othmar Schoecks Opus 1 lässt es Schalk aufblitzen.

Musikkollegium Winterthur. Foto: Paolo Dutto

Er ist der Komet am Winterthurer Klassikhimmel: Roberto González-Monjas, seit der Saison 2013/2014 Konzertmeister des dortigen Musikkollegiums, der auch als Dirigent auftritt. Daneben ist er in gleicher Funktion in Rom beim Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia und als Professor im Fach Violine an der Guildhall School of Music and Drama in London tätig. Ein Hansdampf in allen Gassen, der seit seinem Amtsantritt in der allzu oft im Schatten Zürichs stehenden Eulachstadt das Konzertleben gehörig aufmischt.

Nun legt er mit dem Musikkollegium beim Schweizer Label Claves eine CD vor, die vor Elan und Leichtigkeit nur so sprüht. Eingespielt sind die berühmte Haffner-Serenade KV 250 von Mozart und die Serenade op. 1 von Othmar Schoeck, wobei González-Monjas sowohl als Dirigent als auch als Sologeiger fungiert. Erstaunlich, wie leicht und akzentsicher das Orchester, das unter dem ehemaligen Chefdirigenten Douglas Boyd zuweilen recht behäbig wirkte, nun zu spielen vermag.

Die achtsätzige Haffner-Serenade ist Meisterwerk und Abschluss von Mozarts Serenadenschaffen zugleich. Prächtig in der Besetzung (mit dem gesamten Bläserregister) und damit in der Farbigkeit verbindet es den sinfonischen Anspruch mit der unterhaltenden Leichtigkeit dieser Gattung. Als raffinierte Besonderheit hat Mozart die Sätze zwei bis vier als veritables Geigenkonzert voller Liedhaftigkeit und Virtuosität gestaltet, ein «gefundenes Fressen» für den Violinkünstler González-Monjas. Mit seiner filigranen Art und seinem wunderbar singenden Geigenklang dominiert er die Serenade denn auch über weite Strecken, wobei Tonmeister Andreas Werner seine Kunst noch mehr herausstellt. Das ist etwas schade, denn das Orchester hat sehr viel zu bieten, wie die witzige Schoeck-Serenade zeigt. Einst als Abschlussarbeit in Zürich komponiert und in Leipzig überarbeitet, gefällt das Werk durch handwerkliches Geschick, Humor und Klangsinnlichkeit: vom tänzerischen Anfang bis zum prächtigen Mittelteil ein überzeugendes Plädoyer für dieses gut achtminütige Kleinod.

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Mozart & Schoeck: Serenaden. Musikkollegium Winterthur, Leitung Roberto González-Monjas. Claves 50-1710

Ein Meister, meisterlich gespielt

Els Biesemans (Fortepiano) und Meret Lüthi (Violine) machen mit ihren subtilen Interpretationen deutlich, wie erfindungsreich und ausgefeilt die Kammermusik von Franz Xaver Sterkel ist.

Franz Xaver Sterkel, Radierung von Heinrich Eduard Winter 1816. Quelle: Source gallica.bnf.fr / BnF

Auch noch 14 Jahre nach der Gründung des Labels Ramée ist jede CD ein Fest für Auge und Ohr. Spezialisiert auf Alte Musik (in diesem Fall definiert als bis knapp über die Wende zum 19. Jahrhundert) setzt Ramée nicht auf Masse, sondern fördert in durchwegs herausragenden Interpretationen vielfach Rares aus den Tiefen der Musikgeschichte zu Tage, das man dann mit anhaltender Begeisterung wieder und wieder auflegt.

Zu diesen Schätzen gehört auch die Kammermusik von Franz Xaver Sterkel (1750–1817) – einem Komponisten, der zu Lebzeiten als Pianist weithin bekannt war, mit seinen zahlreichen Sonaten und Klaviertrios bei Liebhabern hoch im Ansehen stand und doch (wie so viele seiner Generation) mit dem Aufkommen der musikalischen Romantik viel zu rasch vergessen wurde. Neben einer Kunstreise durch Italien waren freilich nicht Wien, Berlin, Paris oder London die Stationen seines Wirkens, sondern vielmehr Mainz, Regensburg, Aschaffenburg und Würzburg – Orte, an denen Sterkel massgeblich an der Etablierung eines regen Musiklebens Anteil hatte, wo er sich aber auch über den stilistischen Wandel hinweg, den er sehr wohl wahrnahm, treu blieb: So verachtete Sterkel die vermeintlich «unwürdigen Künsteleien», suchte vielmehr «edle Simplicität», «reinen Rhythmus» sowie «Harmonie und Melodie» (1808).

Dass ihm dies in einer bemerkenswert eigenen Sprache auch gelang, davon zeugt die vorliegende Auswahl von Sonaten, die zwischen 1785 und 1817 im Druck erschienen. Sie vereinen erfrischende Erfindungsgabe mit einem ausgeprägten Sinn für kammermusikalische Dramaturgie (klanglich wie harmonisch). Wie gross dabei der gestalterische Spielraum ist, zeigen Els Biesemans (Fortepiano) und Meret Lüthi (Violine) in ihrer vollendet ausgehörten Interpretation. Sie machen auf faszinierende Weise deutlich, was in Sterkels Werken wirklich steckt.

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Johann Franz Xaver Sterkel: Sonatas for Fortepiano and Violin. Els Biesemans (Fortepiano), Meret Lüthi (Violine). Ramée RAM 1701

In Musik gefasste Nachdenklichkeit

Obschon Lisette Spinnler bereits seit vier Jahren mit ihrer aktuellen Formation unterwegs ist, kam es nie zu einem Album. Jetzt ist dieses Manko behoben worden, endlich.

Lisette Spinnler. Foto: Anne Day

Der Titel von Lisette Spinnlers aktueller CD, Sounds Between Falling Leaves, scheint eine klare Reminiszenz an den Herbst zu sein. Wozu auch die melancholische Grundstimmung der sieben Songs passen würde. In einem Interview mit der Badischen Zeitung hat die Jazzsängerin allerdings durchblicken lassen, dass sich der Plattentitel auf anderes beziehe – auf eine Periode des Suchens und des In-die-Stille-Gehens: «Eigentlich ist der Albumtitel eine Metapher für die Zeit, in der ich dieses geschrieben habe», erklärte sie.

Wer sich durch die CD hört, begegnet dem bislang introvertiertesten Werk der Baselbieterin. Die Lieder klingen wie in Musik gefasste Nachdenklichkeit, entpuppen sich zum Teil aber auch als Naturbetrachtungen. Dies gilt nicht zuletzt für The Sun Has Set, basierend auf einem Gedicht von Emily Brontë (1818–1848), bei dem etwa vom verträumt im Abendwind wiegenden Gras die Rede ist. Die 41-Jährige nutzt diese Vorlage, um ihre Stimme zwar nur sparsam, dafür sehr effektiv einzusetzen. Sie zerdehnt ihre Gesangspartien, tendiert zum Wispern und versteht es, den Worten mit ihrer Nuancierung zusätzliches Gewicht zu verleihen.

Auch Stücke wie The Night Is Darkening Around Me oder Silent Dream wirken gefasst, fast durchwegs sanft und still. Nur das aus der Feder von Mongo Santamaria stammende Afro Blue, das einzige Cover der Platte, ritzt mit fein gesponnenen Rhythmen aus dem Latin Jazz an der vorherrschenden Besinnlichkeit. Die verspielten Melodien, eines von Spinnlers Markenzeichen, zeigen sich denn auch nicht mehr ganz so dominant wie früher. Stattdessen frönen die Musikerin und ihre drei Begleiter an Piano, Bass und Schlagzeug jetzt einem Sound, der darauf abzielt, virtuos und ausgewogen zu sein. Das gelingt und macht, dass sich Sounds Between Falling Leaves nicht bloss improvisationsfreudig, sondern geradezu kunstvoll präsentiert.

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Lisette Spinnler: Sounds Between Falling Leaves. Stefan Aeby, Klavier; Patrice Moret, Bass; Michi Stulz, Schlagzeug. Neuklang NCD4171

Die Stimme – physiologisch betrachtet

Filmische Annäherungen an zahlreiche physiologische Vorgänge, die mit der Stimmproduktion verbunden sind.

Foto: S. Hofschlaeger/pixelio.de

Das Freiburger Institut für Musikmedizin hat eine äusserst informative DVD-ROM herausgegeben. Nicht nur der eigentliche Stimmapparat wird in anschaulichen und gut gegliederten Kurzpräsentationen unter die Lupe genommen, sondern viele damit verbundene Details werden übersichtlich in kurzen Filmsequenzen dargestellt. Die Vorgänge beim Atmen, Singen und Sprechen filmisch dargestellt zu sehen, ist um Vieles anschaulicher und leichter verständlich als das Studieren physiologischer Zeichnungen und Abbildungen, die das komplexe, weil dreidimensionale Modell des Atem- und Kehlraums nur begrenzt und vor allem nicht in seiner Funktion darstellen können.

Die DVD-ROM ist im Wesentlichen in drei Grossabschnitte gegliedert: Der Erste beschäftigt sich mit dem «Instrument Stimme». Hier gibt es Unterabschnitte über die Atmung, den Kehlkopf, den Vokaltrakt. Jeder dieser Abschnitte ist wieder in mehrere Unterkapitel aufgeteilt. Mit kernspintomografischen Aufnahmen und animierten 3-D-Modellen werden alle relevanten Vorgänge detailliert und anschaulich dargestellt. So können wir Sänger beim Singen beobachten, während begleitend verschiedene Aspekte kommentiert und erläutert werden, wir erfahren Details über Konsonanten- und Vokalbildung wie auch deren Schallausbreitung im Raum. Auch werden Informationen über Sprech-und Singatmung, messa die voce, subglottischen Druck und viele weitere interessante Details, die mit der Stimmproduktion verbunden sind, realitätsnah vermittelt.

Ein nächstes Kapitel widmet sich «stimmlichen Ausdrucksformen». Hier erfahren wir Näheres über die Prosodie (die musikalischen Elemente der Sprache), verschiedene Stimmgattungen und unterschiedliche Gesangsstile von Jodel über Kunstlied bis Pop und Musicalgesang. Wir finden Unterkapitel über Kinder- und Chorgesang, wie auch über Stimmäusserungen beim Lachen oder Weinen.
In einem letzten Kapitel kommt die Stimmwissenschaft zu Wort: Es stellt Untersuchungsmethoden, Vorgänge bei der Stimmmessung und Computerprogramme vor.

Für interessierte Sänger und Laien wie auch Gesangslehrer und Fachdidaktikstudierende ist diese DVD-ROM ein hilfreiches Tool, das wahlweise auf Deutsch oder Englisch in 160 Minuten umfassend und übersichtlich informiert!

Die Stimme. Einblicke in die physiologischen Vorgänge beim Singen und Sprechen, Freiburger Institut für Musikermedizin (Bernhard Richter, Matthias Echternach, Louisa Traser, Michael Burdumy, Claudia Spahn), DVD-ROM, 160 Min., Fr. 45.40, Helbling, Esslingen, ISBN 978-3-86227-258-7

Was zum Kuckuck ist «altfrentsch»?

Eine Notensammlung aus dem 18. Jahrhundert und Tonaufnahmen von Alpstubeten lieferten die Vorlagen für diese Tänze, gespielt von der Landstreichmusik.

Landstreichmusik. Foto: zVg

Der Begriff «altfrentsch» bezeichnet eine volksmusikalische Besetzung: das Trio von Violine, Hackbrett und Bassett (Streichinstrument zwischen Cello und Kontrabass). Der Berner Kleinkünstler Franz Niklaus König hat dieses Ensemble 1826 als Vignette in der «Sammlung von Schweizer=Kühreihen und Volksliedern» dargestellt. In derselben Sammlung finden sich auch zwei Appenzeller Tänze für eben diese Besetzung. «Altfrentsch» bedeutet sinngemäss «altmodisch» und stammt wörtlich vom Ausdruck «altfränkisch».

In Gonten (Appenzell Innerrhoden) wurde 1998 eine Handschrift mit 54 Tänzen aus dem späten 18. Jahrhundert entdeckt, die das Zentrum für Appenzeller und Toggenburger Volksmusik 2008 unter dem Titel Altfrentsch publizierte. Diese mittlerweile durch eine Neuausgabe zugängliche Tanzsammlung enthält auch ausländische Melodien, die zweifellos von Wandergeigern und andern fahrenden Musikanten eingebracht worden sind.

Auf dem neuen Album Altfrentsch unterwegs haben die sechs Musikanten der Landstreichmusik unter der Leitung des Geigers Matthias Lincke nur die Hälfte der 16 eingespielten Tanzmelodien aus der erwähnten Handschrift gewählt. Die übrigen Stücke sind Tonaufzeichnungen von Alpstubeten abgehört, die auf Schellackplatten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhalten geblieben sind. Dabei wurden nicht nur alte Stücke, sondern auch die historischen Spielweisen (Besetzung, Tempi, Stimmführung, Tongebung, Phrasierung und Schlusswendungen) übernommen. Das Resultat wirkt verblüffend vital und unterscheidet sich von einstimmig vorliegenden, eigens mehrstimmig arrangierten älteren Schweizer Volkstänzen, wie sie in der Neuen Volksmusik Mode geworden sind.

Man hört dem empfehlenswerten Tonträger aber auch gerne zu, weil Dide Marfurt die Melodien mit der Maultrommel und anderen historische Musikinstrumenten aufmischt, Christine Lauterburg Geigenspiel und Stimme einbringt und der österreichische Volksmusikant Matthias Härtel (Kontrabass), Elias Menzl (Hackbrett) und Simon Dettwiler (Schwyzerörgeli) zur Atmosphäre beitragen.

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Landstreichmusik. Altfrentsch unterwegs, Musiques suisses MGB-NV 34

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Altfrentsch. Tanzmusik aus dem Appenzellerland. Spätes 18. Jahrhundert, Schriftenreihe der Stiftung Roothuus Gonten 001.1, Fr. 30.00, Zentrum für Appenzeller und Toggenburger Volksmusik, Gonten 2017 (Neuausgabe)

Jüdisches Sonatenneuland

Bedeutenden Repertoirezuwachs erfährt die Bratschenliteratur durch lauter Ersteinspielungen von Werken jüdischer Komponisten.

Hana Gubenko. Foto: zvg

Dem bekanntermassen entdeckungsfreudigen Schweizer Pianisten Timon Altwegg und der in Moskau geborenen Bratschistin Hana Gubenko ist eine Neuerscheinung zu verdanken, die ausschliesslich mit unbekannten Werken jüdischer Komponisten überrascht. Vom undatierten Sephardic Poem von Aaron Yalom (1918–2002) abgesehen, sind sie alle in dem geringen Zeitraum von 1972 bis 2012 entstanden und auf sehr unterschiedliche Weise der Sonatenform verpflichtet.

Die jüngsten beiden Kompositionen, die 2. Sonate von Frank Ezra Levy (geboren 1930) und die Sonata ebraica von Graham Waterhouse (geboren 1962), tragen Widmungen an die beiden Interpreten, denen nachzurühmen ist, dass sie sich für alle Stücke mit derselben Hingabe und Überzeugungskraft einsetzen.

Schon das in diesem Jahr von der Edition Kunzelmann veröffentlichte Eröffnungsstück der CD, Sephardic Poem von Yalom, hat grosses Überraschungspotential. Der Komponist, der als Sohn polnisch-jüdischer Immigranten in der Nähe von Genf geboren wurde und in New York starb, schuf damit ein auf einem lyrischen Thema basierendes, mit viel pianistischer Brillanz angereichertes Bravourstück von starker Eigenart. Eine solche weist auch die klanglich herbe 1. Bratschensonate des aus Basel stammenden Komponisten, Pianisten und Pädagogen Ernst Levy auf, fehlen doch verbale Tempoangaben und Vortragsbezeichnungen in allen vier Sätzen.

In der Sonata ebraica von Waterhouse, die der CD den Namen gibt, stellt das im kaddischartigen Mittelsatz zitierte jiddische Volkslied Oyfn Pripetshik den am deutlichsten hörbaren jüdischen Bezug zum Werktitel her.

Als besonders dankbare Repertoirebereicherungen erweisen sich die beiden Kompositionen von Ernst Levys Sohn Frank Ezra. Von der einsätzigen Sonata Ricercare mit ihrem häufigen Taktwechsel unterscheidet sich die 2. Sonate durch eine französisch anmutende Eleganz, geschmeidigen Fluss der eingänglicheren Melodik und grössere Kontraste: Sonore Orgelpunkte und unerbittliche Martellato-Attacken wechseln mit wunderbar zarten Tonrepetitionen der Bratsche und mit witzig eingeblendeten Jazzrhythmen effektvoll ab.

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Sonata ebraica (Kompositionen von Aaron Yalom, Ernst Levy, Frank Levy, Graham Waterhouse). Hana Gubenko, Viola; Timon Altwegg, Klavier. Guild GMCD 7419

Ein Vielkönner

Der Basler Komponist Martin Jaggi mit Orchester- und Ensemblewerken auf einer Porträt-CD der Grammont-Reihe.

Martin Jaggi. Foto: © Christoph Bösch

Kaum auf einen Nenner bringen lässt sich diese Musik. Martin Jaggi komponiert impulsiv, ja manisch bis explosiv, dann wieder dezent, meditativ-introvertiert. Der Vielfältigkeit entspricht ein ungeheurer Reichtum der Mittel. Jaggi nimmt, was hilft und nützt – seien es harmonisch-tonale Klänge, sei es das dissonant-komplexe Vokabular des 20. und 21. Jahrhunderts, sei es die Wiederholung, die der 1978 in Basel Geborene aus dem Minimalismus oder vom Rock und Pop her kennt.

Die chamäleonartige Verwandlung verträgt sich schlecht mit den Forderungen nach einem markanten Personalstil. Aber wer kann das noch fordern? Heute, wo die Welt ähnlich komplex ist wie dieses Girga, das Jaggi 2014 für das Luzerner Sinfonieorchester schrieb. Dominant ist das Schlagzeug, während sich die rauen Blechbläser verquirlen mit den Streicherattacken. Immer wieder kommen abgrundtiefe Zäsuren – just an jenen Punkten, wo das Material nicht mehr viel hergibt. Kein Zweifel: Jaggi hat Sinn für Form.

Sechs Werke gibt es auf dieser aussergewöhnlich kurzweiligen Porträt-CD aus dem Hause Musiques Suisses. Neben zwei fulminanten Orchesterwerken zeigt Jaggi seine kammermusikalische Seite in vier Ensemblestücken, die zwischen 2006 und 2013 entstanden. Plod on für Violine, Viola, Cello und Klavier (2007) präsentiert das Mondrian Ensemble, in dem Jaggi als Cellist selbst spielt. Wie Michael Kunkel im Booklet beschreibt, gibt es einen «melancholischen Grundtonus». Tatsächlich scheint das Verlöschen Thema zu sein. Immer wieder bündelt die Musik Kräfte, nur um resignativ in sich zusammenzufallen. Jaggi zeigt sich wieder als Verwandlungskünstler, durchaus auch als musikalischer Vielkönner. Zum Düsteren, Rabiaten, Brutalen wie Dezenten kommt noch etwas: das Virtuose – seitens der Interpreten wie des Komponisten.

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Porträt Martin Jaggi; Musiques Suisses (Grammont Portrait), CTS-M 146

Urformen

Quellen der Alphornmelodik, zuerst in Buchform veröffentlicht, sind nun auch als Videodokument erlebbar.

Foto: Alphornvereinigung Pilatus/flickr commons

Hans-Jürg Sommer unterrichtete rund vierzig Jahre lang als professioneller Musikpädagoge Gitarre, ist aber als Alphornbläser, Komponist von über 500 Werken für Alphorn – unter ihnen der berühmte Moos-Ruef –, Kursleiter und Musikschriftsteller bekannt. 2002 wurde er für seine musikalischen Verdienste mit dem Goldenen Violinschlüssel, 2006 für seine kulturelle Leistung mit dem Musikpreis des Kantons Solothurn ausgezeichnet.

2010 publizierte Sommer ein 154 Seiten umfassende Dokumentation unter dem Titel Eine Auswertung und Interpretation historischer Quellen zur Alphornmelodik (Eigenverlag Oensingen). Es ging ihm darum, alte Stücke nicht aus der Sicht eines Ethnomusikologen, sondern als Spieler auf der Suche nach traditionellen Melodien zu edieren. Er sammelte alte Notationen von Kühreihen aus der Reiseliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts, wie sie bereits in Alfred Leonz Gassmanns Alphornbüechli von 1938 und in anderen Publikationen vorliegen, ergänzte sie aber durch alte Tonaufnahmen, die seit den 1930er-Jahren greifbar und nun transkribiert sind.

Der Autor erreichte mit diesem wichtigen Sammelwerk aber lange nicht alle der rund 5000 Alphornbläser der Schweiz, weil sich viele unter ihnen Melodien nur durchs Gehör aneignen können. Diese Erkenntnis brachte Hans-Jürg Sommer und einen seinen Alphornpartner, Thomas Juchli, auf die Idee, die Kühreihen-Melodien aus der vorliegenden Sammlung einzuspielen und in sorgfältig ausgewählten Berglandschaften der Schweiz anzusiedeln. Dabei ging es dem Musikpädagogen nicht einfach darum, den bekannten Zusammenhang von Landschaft, Musik und Milchwirtschaft im Film zu visualisieren, sondern einzelne Teile von sechs immer wiederkehrenden Kühreihen aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert in ihrer ursprünglichen Funktion darzustellen. Vorerst sind die Invokationsmotive in aufsteigenden Melodien zu hören. Nach diesen Einleitungen zeigen Lock- und Reihenteile, dass ihnen noch heute auf Alpen weidende Kühe in althergebrachter Selbstverständlichkeit folgen. Die Diskussion um die Bedeutung des Begriffs Kühreihen wird durch dieses natürliche Phänomen abgeschlossen: wenn das Alphorn oder auch andere Musik erklingt, stellen sich die Kühe eine nach der anderen in einer langen Reihe ein. Jedermann erkennt in weiteren Sequenzen, die Sommer Zäsuren nennt, ruhige Musikpassagen, während denen der Alphirte vor dem Stall auf die Kühe zu warten pflegte. Nach weitern Lock- und Reihenteilen enden die Kühreihen mit der Wiederholung der Einleitung und einem Jauchzer.

Was in einem verblüffend einfachen Kommentar, wahlweise auf Deutsch, Französisch oder Englisch, leicht verständlich scheint und sich zudem auch sehr schön präsentiert, ist das Resultat einer jahrelangen, aufwändigen Arbeit, die ein allgemeines Publikum und vor allem auch Schulkinder erreichen möge.

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Hans-Jürg Sommer und Thomas Juchli, Die Mundart des Alphorns (dt/frz/eng), DVD Nr. 802, alphornmusik.ch

Mehr als nur lose Blätter

Rund 140 Jahre nach seinem Tod erscheint erstmals eine Gesamteinspielung der Klaviersolowerke von Hermann Goetz.

Hermann Goetz. Undatiertes Foto. Wikimedia commons

An der hauptsächlich aus Deutschland importierten Romantik in der Schweiz scheinen einheimische Interpreten nicht sehr interessiert zu sein, ebenso wie am Schaffen der hier geborenen Spätromantiker. Theodor Kirchners Klavierwerke aus der Schweizer Zeit wurden von Irene Barbuceanu eingespielt; für den in Lachen (SZ) geborenen Sinfoniker Joachim Raff setzten sich die Bamberger Symphoniker ein. Die orchestralen Hauptwerke von Hans Huber wurden von den Stuttgarter Philharmonikern aufgenommen, diejenigen von Fritz Brun liegen in Einspielungen mit dem Moskauer Sinfonieorchester vor. Die erste Gesamteinspielung der drei Streichquartette von Hermann Suter ist dem in Bonn gegründeten Beethoven-Quartett zu verdanken. Wen wundert es da, dass es ein deutscher Pianist war, Christof Keymer, der mit der ersten Gesamteinspielung der mehrheitlich in Winterthur und Zürich entstandenen Klaviersolowerke von Hermann Goetz (1840-1876) hervortrat?

Beim deutschen Label cpo sind seine Interpretationen umso besser aufgehoben, als sie gut in das oft ausgefallene Repertoire dieses entdeckungsfreudigen Produzenten passen. Es handelt sich tatsächlich um Entdeckungen, finden sich doch neben den Losen Blättern op. 7 und den beiden Sonatinen op. 8, die gelegentlich an Vortragsübungen erklingen, gleich mehrere Raritäten auf den beiden CDs. Die Notenausgaben von vier Stücken aus dem Nachlass hatte Christof Keymer schon 2013 im Erstdruck beim Amadeus-Verlag in Winterthur vorgelegt: die frühe Alwinen-Polka aus der Königsberger Studienzeit, eine stürmische Fantasie in d-Moll, ein mit Staccati gespicktes Scherzo in F-Dur und das in Sonatensatzform stehende Waldmärchen in h-Moll (BP 1497).

Besonderes Interesse verdient das dreiteilige Scherzo. Das noch während des Studiums bei Hans von Bülow 1862 in Berlin komponierte Stück lässt die Vermutung aufkommen, Goetz habe die nur einen Ton tiefer notierte Etüde aus den Vingt exercices et préludes der polnischen Chopin-Vorläuferin Maria Szymanowska-Wołowska (1789–1831) gekannt.

Alle diese Werke, einen Sonatensatz in G-Dur und kleinere Stücke gestaltet Keymer mit viel Liebe zu klanglichen Details, um in den lyrischen Partien der Losen Blätter mit warmem Espressivo und wunderbarer Gelassenheit besonders zu beeindrucken.

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Hermann Goetz: Complete Piano Works. Christof Keymer, Klavier. cpo 777 879-2 (2 CDs)

Frisch-freche Ehrung

Das mit einem Schlagzeuger erweiterte Saxofonquintett klapparat zollt dem Erfinder des Instruments mit einem quirligen Album Tribut.

klapparat. Foto: Reto Andreoli

Hommagen enden oft in steifem Respekt. Nicht so das Album A Tribute To Adolphe Sax der Gruppe klapparat, wie schon deren Name vermuten lässt. Mit Humor, Stilvielfalt und mitreissendem Zusammenspiel ehrt das 2011 gegründete und seit 2012 mit einem Schlagzeuger erweiterte Saxofonquintett den vor 200 Jahren geborenen Erfinder des Saxofons. Die sechs Musiker, die auch in bekannten Bands wie Picason, Traktorkestar und Hildegard lernt fliegen spielen, zeigen mit verschiedenen Varianten bis zum Subkontrabass-Saxofon Tubax die vielen Ausdrucksmöglichkeiten dieses Instruments auf. Im Interesse der musikalischen Zugänglichkeit sind sie aber nicht stur und setzen neben dem Schlagzeug vereinzelt auch noch Flöte, Klarinette und Xylofon ein.

Die stilistische Vielfalt des Albums widerspiegelt den Hintergrund der Musiker von Jazz und klassischer Musik bis zu Folklore, Rock und kubanischen Stilen wie Rumba. Damit wird klapparat auch der modernen Geschichte des 1840 erfundenen Instruments gerecht. So wagt die Band eine Kurzversion von Maurice Ravels Boléro aus dem Jahr 1928, der zwar schon im Original Variationen mit Saxofon enthält, seine Spannung aber eigentlich zu einem guten Teil aus der wechselnden Instrumentierung erhält; umso mehr beeindruckt das kurzweilige und klanglich spannungsvolle Arrangement von Daniel Zumofen. Mit einer Interpretation von Sidney Bechets Petite Fleur unterstreicht klapparat auch, dass das Saxofon mit dem Aufkommen des Jazz zum unentbehrlichen Instrument dieses Genres wurde und es bis heute prägt.

Mit zwei Kompositionen des kubanischen Komponisten und Pianisten Ernesto Burgos macht klapparat nicht nur auf die Bedeutung des Saxofons in afro-karibischen Stilen aufmerksam, sondern weist auf die Anfänge der Band zurück, als diese vor allem Stücke von Burgos und Marcos A. Fer­nandez spielte. Die beiden Stücke Arrabiata und Blubber sind Kompositionen von Mitgliedern der Band und deuten mit ungewohnten Ansätzen einiges Potential für eine eigenständige Weiterentwicklung auf.

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klapparat: A Tribute To Adolphe Sax. ­Erwin Brünisholz, Michel Duc, Ivo Prato, Matthias Wenger und Daniel Zumofen, ­Saxofone; Philippe Ducommun, Schlagzeug. www.klapparat.ch

Musikalisches Erleben im hohen Alter

Das Carl-Orff-Institut Salzburg hat während neun Jahren die musikalisch-tänzerische Bildungsarbeit mit Bewohnern eines Seniorenheimes filmisch begleitet.

Fotos: W. Minder, zVg

Der Schwerpunkt der ersten DVD ist – nach einem Überblick über die Elementare Musik- und Tanzpädagogik EMTP – der Reflexion gewidmet in Form einer themenzentrierten Zusammenfassung von Interviews mit Experten und Gesprächsrunden mit Heimbewohnern, einer Pflegerin und Studierenden des Carl-Orff-Institutes. Den Abschluss bilden Einblicke in das Leben zweier Bewohner, die jahrelang an dem wöchentlich stattfindenden musikalischen Angebot teilnahmen.

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Ausführlich, sorgfältig und ästhetisch gestaltet wird die Auseinandersetzung über die Fragestellungen «Warum Musik? Was ist der Eigenwert von Musik?» entwickelt, immer in Bezug zu wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem Stellenwert der Emotionalität. Die Verbindung von Musik und Langzeitgedächtnis («bekannte Lieder sind sogar mit mehreren Strophen gespeichert bis ins hohe Alter») wird ebenso angesprochen wie die psychosomatische Wirkung von Musik, d. h. die Fragestellungen: «Welche Bedeutung hatte die Musik im früheren Leben, welche Wirkung hat die Musik heute?». Es wird aufgezeigt, wie sich die EMPT auf die Lebensgeschichte des Menschen einstellt und daraus Schlüsse für die Praxis zieht. Aussagen von Senioren erläutern die Praxisrelevanz: «Musik ist für jeden zugänglich. Musik hebt die Stimmung. Man spürt, dass man lebt. Jeder ist dabei so, wie er ist.» Musik gehört in dem Sinn zur Biografiearbeit, gehört dazu, die eigene Geschichte noch einmal neu zu schreiben. Aber es geht auch darum, Neues zu lernen und gefordert zu werden.

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Der starke Bezug auf die Bedeutung von Musik im Leben legt Fundamente für die Aus- und Weiterbildung am Carl-Orff-Institut im Bereich Musikgeragogik und definiert den Unterschied zur Elementaren Musikpädagogik ganz dezidiert: Nicht Erziehung ist gefragt, sondern Bildung unter Berücksichtigung der Biografie, ohne eine Infantilisierung der Musik zu inszenieren.

Die DVD 2 ist der Praxis gewidmet und zeigt nach einer Einführung viele Beispiele, untergliedert in drei Kernbereiche mit weiterer Aufteilung in 15 Themenkreise. Die Praxisbeispiele sind ästhetisch profund gestaltet, die Auswahl der Lieder und Musikstücke ist vielfältig, diejenige der Materialien ausgeglichen. Die Dozentin Christine Schönherr sowie die mitwirkenden Studierenden überzeugen mit ihrer performativen und professionellen Musikalität. Diese künstlerische Grundqualität, geprägt von ästhetischer Gestaltung, Respekt und theoretischem Verständnis, gibt für alle Beteiligten eine einmalige Basis fürs Mitmachen.

«Ich bin wieder jung geworden» – Musik, Sprache, Bewegung, Künstlerisch-pädagogische Angebote für Menschen in hohem Alter, Konzept & Realisation Christine Schönherr / Coloman Kallós, Doppel-DVD, € 30.00, Universität Mozarteum und Carl Orff-Institut für Elementare Musik- und Tanzpädagogik, Salzburg 2013, ISBN 978-3-9502713-4

Weiter neuere Werke zur Orff-Pädagogik:

Manuela Widmer, Die Pädagogik des Orff-Instituts, Entwicklung und Bedeutung einer einzigartigen kunstpädagogischen Ausbildung, 540 S., € 59.95, Schott, Mainz 2011, ISBN 3-7957-0748-4

Studientexte zu Theorie und Praxis des Orff-Schulwerks, Band 1: Basistexte aus den Jahren 1932–2010, Schriftenreihe des Orff-Schulwerk Forums Salzburg, hg. von Barbara Haselbach,
Mitarbeit: Esther Bacher, 350 S., dt./eng., € 11.99, Schott, Mainz 2011,
ISBN 3-7957-0756-9

 

Qualität, aber günstig

Studienpartituren von wichtigen Werken Tschaikowskys. – Und einige Überlegungen zum Wert einer Notenausgabe.

Tschaikowskys letzter Schreibtisch in Klin. Foto: SiefkinDR / wikimedia commons

Wer genau hinschaut, erkennt auf den ersten Blick die nicht gerade gering zu schätzenden Unterschiede zwischen dem raschen (oft auch legalen) Download von Partituren aus dem Internet und den beim Musikalienhändler erworbenen Neuausgaben: Auf der einen Seite stehen die alten, teilweise noch aus dem 19. Jahrhundert stammenden gemeinfreien Ausgaben mit all ihren grafischen Unzulänglichkeiten und unkorrigierten Fehlern, auf der anderen Seite die anhand der Quellen editorisch neu aufgearbeiteten und bestens lektorierten Ausgaben, die dann auch mit den über Jahrzehnte munter fortgeschriebenen Fehlern aufräumen. Und wenn gegenüber den eigenen flatterigen und vergänglichen «Printouts» die auf gutes Papier gedruckten Ausgaben (noch dazu mit einem rundum informativen Vorwort) auch zu einem fairen Preis zu haben sind – wie die hier vorliegenden Studienpartituren –, dann dürfte die an Qualität orientierte Entscheidung eine leichte sein.

Mit seinen Urtext-Studienpartituren setzt der Verlag Breitkopf nicht nur auf eine bewährte Tradition, sondern blickt offenbar auch guten Mutes in die Zukunft. Neben Beethoven, Brahms, Schumann und anderen ist nun auch Tschaikowsky neu im Katalog vertreten – mit zweien seiner wichtigsten und meistgespielten Werke, dem Capriccio italien und dem Violinkonzert. Und gerade am vertrauten, leichtfüssig daher kommenden Capriccio zeigt sich im Detail, was solch eine Ausgabe zu leisten vermag. Denn im Gegensatz zum dicht gedrängten Erstdruck vom November 1880 (den man so noch in der gelben Eulenburg-Ausgabe reproduziert findet), ist der im Seitenumbruch identische Neustich graphisch viel weiträumiger und entspannter, ferner wurden fehlende Zeichen ergänzt und falsche Noten berichtigt (etwa Takt 590, Fl. III). Auch das Violinkonzert wird in dem für Breitkopf so charakteristischen Stichbild viel lesbarer und gewinnt schon rein optisch an Stringenz. Die gleichermassen für den schmalen Geldbeutel wie für das neugierige Selbststudium bestimmte Reihe wird hoffentlich bald fortgesetzt!

Peter Tschaikowsky, Capriccio italien op. 45, hg. von Polina Vajdman, Studienpartitur, PB 5515, € 10.50, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2006

id., Konzert für Violine und Orchester op. 35, hg. von Ernst Herrtrich, Studienpartitur, PB 15116, € 11.50, 2011

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