Der Don-Juan-Taumel

Russische Pianisten – Gendern nicht nötig – und die Paraphrasen über Mozart-Opern von Liszt

Frank-Thomas Mitschke — Von je her Virtuosenfutter reinsten Wassers – oder besser Champagners – sind die Réminiscences de Don Juan von Franz Liszt, ebenso seine weniger bekannte, von Busoni beendete Fantasie über Die Hochzeit des Figaro. Ein kleiner Interpretationsvergleich unter Pianisten der Russischen Schule zeigt unterschiedliche Ansätze. Wundern muss man sich darüber, wie wenig Pianisten dieser Provenienz sich mit diesen beiden Werken befasst haben.

Auf Teufel komm raus spielt den Don Juan der junge Nikolai Demidenko, von Anna Kantor am Gnessin-Institut sowie von Dmitri Bashkirov am Moskauer Konservatorium ausgebildet. Von der ersten Note an ist alles auf den wahnsinnigen Champagner-Taumel des Schlussteils ausgerichtet, den er in höllischem Tempo und unter Verzicht auf Punkt und Komma durchrast, als hinge sein Leben davon ab. Dass dabei der untote Komtur ebenso auf der Strecke bleibt wie eine zur Handreichung aufgeforderte Zerlina ist verständlich – der moussierende Champagner in Einheit mit dem siegesbewussten Auftritt des Titelhelden spricht eben einen jungen Pianisten in seiner Sturm-und-Drang-Phase stärker an als Liebesgeflüster mit einer Bäuerin.

Demidenko bleibt hier ein wenig in der Tradition eines Simon Barere, von Anna Essipowa und Felix Blumenfeld in St. Petersburg ausgebildet, der viele Jahre vorher in ähnlicher Disposition des Stückes durch den champagnerisierten Höllenschlund der technischen Herausforderungen tobte und sich vergleichsweise wenig um feinziselierte musikalische Gestaltung kümmerte.

Anders geht der große Grigori Ginsburg die Aufgabe an. Ohne der Schlussstretta im mindesten einen Hauch an Virtuosität schuldig zu bleiben, findet er Raum und Zeit, um aus jeder noch so stereotypen technischen Tücke Musik zu machen. Sich abwechselnde, über die gesamte Tastatur geschüttelte Oktaven sind nie eine lärmende Zurschaustellung eines Pianisten, der zeigen will, dass er die Technik beherrscht – es gibt auch in solchen Passagen immer einen Aufbau, ein Ziel, eine musikalische Vorstellung. Und – das Unglaublichste an der Geschichte um diese Einspielung, aber sein früherer Student und späterer Professor am Moskauer Konservatorium Gleb Axelrod hat mir im Gespräch diese Geschichte bestätigt: Ginsburg hat das gesamte Stück ohne Unterbrechung im Aufnahmestudio durchgespielt und das Studio mit dem Kommentar an den Aufnahmeleiter «Könnt Ihr so nehmen!» verlassen, ohne sich die Aufnahme noch einmal anzuhören! Ginsburg war Schüler von Alexander Goldenweiser und einer der vielseitigsten und besten Vertreter der sogenannten Russischen Schule. Er spielte Liszt und virtuose Transkriptionen von Tausig oder Grünfeld genauso brillant und elegant wie Mozart oder – sehr selten von russischen Pianisten aus jener Zeit zu hören – die 3 Préludes von Gershwin oder Kammermusik gemeinsam mit dem Geiger Leonid Kogan.

Vladimir Selivokhin wäre zu nennen, der von allen Genannten auf jeden Fall die pedalärmste Variante auf den Plattenteller bringt – was keineswegs mit Trockenheit gleichzusetzen ist! Klug aufgebaut und mit sehr differenziertem Anschlag, das Duett Don Juan/Zerlina wunderbar an den Gesangsstimmen ausgerichtet und phrasiert (hier merkt man: Der Pianist, von Lev Oborin ausgebildet, kennt nicht nur Liszt, sondern auch Mozart!), in der Stretta die dreimalige Wiederholung der Champagnerthemas jedes Mal im Tempo steigernd – eine beeindruckende Interpretation! Leider hat er sich entschlossen, die Busoni-Fassung zu spielen, die im Unterschied zum Lisztschen Original immer wieder Haltepunkte in den Schlussteil einbringt, so dass der ganz große Schwung – den der Pianist durchaus entwickeln kann – dann am Schluss doch ein wenig abgebremst wird. Dennoch: höchst beeindruckend!

Der Reigen der Don-Juan-Spieler (die auf LP verewigt sind) schliesst sich mit dem bei Yakov Zak ausgebildeten Nikolai Petrov, der – ohnehin an „Virtuousenfutter“ sehr interessiert – dem technischen Aspekt dieser Pianistenprüfung nichts schuldig bleibt. Der Komtur hat nirgendwo sonst solch steinerne Wucht, die Terzenläufe perlen nie virtuoser, die vollgriffigen Akkordketten werden nie mit mehr Kraft in die Tastatur gemeisselt als in dieser 1987 entstandenen Aufnahme.

Von der jüngeren Generation wäre der bei Barbara Szczepanska ausgebildete Nikolai Tokarew, musikalisch, hochvirtuos, im Vergleich zu den anderen Interpreten gelegentlich etwas freier im Tempo. So spielt er die dritte Wiederholung des Champagner-Themas rasend schnell, um dann das Tempo sehr zu verlangsamen und am Schluss, wie aus dem Nichts auftauchend, die Akkorde eher zu buchstabieren als zu spielen, das Tempo so stark reduzierend, dass aller Schwung des dritten Teils verpufft ist und der ganze Don Juan stehen bleibt wie ein Auto mit Motorschaden. Insgesamt eine beeindruckende Aufnahme, wenn auch nicht an allen Stellen ganz schlüssig und mit einem aus meiner Sicht nicht gelungenen Schluss.

Die andere von Liszt einer Paraphrase für würdig befundene Mozart-Oper ist «Die Hochzeit des Figaro». Nicht ganz so vollgriffig und mächtig, etwas eleganter, aber nichtsdestotrotz mit den gleichen, Pianisten quälenden technischen Tücken wie Akkordketten, Terzenläufen, Übergriffen im schnellen Tempo etc. gespickt.

Wieder ist es Grigori Ginsburg mit seiner unerreichten clarté, seiner Eleganz und seiner unerhörten technischen Fähigkeiten, der das Interpretenfeld anführt – große Pianistik in jedem einzelnen Takt! Die Schlussstretta mit ihren gegeneinander springenden Terzen und Akkorden so zu spielen wie er – so, dass sie nicht nach Verzweiflung, sondern nach Selbstverständlichkeit klingt – das allein ist schon eine große Leistung!

Ihm dicht gefolgt ist der ebenfalls aus der Goldenweiser-Schule stammende Arnold Kaplan. Einen Hauch weniger Selbstverständlichkeit und Eleganz versprühend, aber dennoch höchst beeindruckend, ist er fast nur Freunden alter Melodiya-Schallplatten bekannt, die das Glück haben, eine LP mit seiner Interpretation zu besitzen.

Emil Gilels spielte dieses Werk als junger Mann und hinterließ eine Schallplatte mit seiner Version. Wer diese Aufnahme nicht kennt, weiß nicht, wie Gilels als junger Pianist gespielt hat. Er prescht durch die Höllenschwere in einem Tempo, das den Eindruck vermittelt, das Stück sei eigentlich viel zu leicht für ihn, vielleicht eine Art Einspielübung. Am Schluss scheint Figaro förmlich zu explodieren. Es raubt einem den Atem, allerdings wünschte man sich gelegentlich doch an der einen oder anderen Stelle einen stärkeren Bezug zum Gesangsoriginal, denn in der Raserei – die seinerzeit schon die Jury des Tschaikowksky-Wettbewerbs zum Staunen mit offenen Mündern veranlasst haben soll – bleibt schon das eine oder andere interpretatorische Komma auf der Strecke.

Last not least spielte Boris Bloch diese Fantasie für die DGG ein. Zügig, mit singendem, runden Klavierton und der Virtuosität nicht im Geringsten etwas schuldig bleibend, präsentiert er eine Einspielung fernab von jedem Extrem, eng am Mozartschen Original orientiert und mit mitreißendem Schwung. Leider springt er am Schluss direkt in die letzten Takte und bringt uns so um den Genuss der Sprünge in Gegenrichtung – aber ganz sicher nicht deshalb, weil er diese Stelle nicht spielen kann.

Tiere

Zum Verhältnis zwischen Tier und Mensch im Bezug auf die Musik.

Titelbild: neidhart-grafik.ch
Tiere

Zum Verhältnis zwischen Tier und Mensch im Bezug auf die Musik.

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Focus

Singt dieser Esel?
Musikmachen scheint nicht dem Menschen vorbehalten. Interview mit der Kulturanthropologin Britta Sweers

Bestiaire musical
Comment les compositeurs mettent-ils les animaux en musique

Coole Katzen, üble Hunde
Tiere müssen ihren Kopf oft für gesungene Metaphern herhalten

Les animaux mélomanes
Entre trucages et anthropomorphisme
Musikliebende Tiere — zwischen Trick und Anthropomorphismus (Übersetzung)

Der singende Dr. Dolittle
Roland Zoss und seine Tierlieder

 

Wer sich für Vögel und Musik interessiert, findet in der Ausgabe 4/2016 zum Thema «zwitschern» Lesestoff.

La RMS parle du sujet de ce numéro à la radio :
Espace 2, Pavillon Suisse, mardi 25 mai 2021, de 20h à 22h30

ab 2:03:30

 

… und ausserdem

RESONANCE

Radio Francesco — le coeur / das Herz

Clavardons… — au sujet de la Cité de la musique de Genève

A vos partitions ! — le Festival International de Musiques Sacrées Fribourg et son concours de composition

Zeitgemässe Melancholie — Wittener Tage für neue Kammermusik

Carte blanche für Wolfgang Böhler

CAMPUS


Ehrendoktorwürden für Harald Strebel und Rudolf Lutz
 

FINALE


Rätsel
— Torsten Möller sucht


Reihe 9

Seit Januar 2017 setzt sich Michael Kube für uns immer am 9. des Monats in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb.

Link zur Reihe 9


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Mädchen darf nicht in Berliner Knabenchor

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat die Berufung eines Mädchens zurückgewiesen, das die Aufnahme in den nur mit Knaben besetzten Konzertchor des Staats- und Domchors Berlin begehrte.

Foto: Guillaume Piron / unsplash.com (s. unten)

Der Staats- und Domchor Berlin ist Teil der Universität der Künste Berlin und widmet sich der Pflege der vielhundertjährigen Tradition des Knabenchorgesangs. Die Klägerin, die die Ausbildungschöre des Chores nicht besucht hatte, bewarb sich im Alter von neun Jahren um Aufnahme in den Konzertchor. Der Chorleiter lehnte sie ab, weil sie das für den Konzertchor vorausgesetzte Niveau nicht erreiche und sich mit ihrer Stimme nicht in das Klangbild eines Knabenchores einfüge.

Nach dem Urteil des 5. Senats lässt die Auswahlentscheidung des Chorleiters laut der Medienmitteilung des Gerichts Beurteilungsfehler nicht erkennen. Insbesondere deren Orientierung daran, ob die Bewerberinnen und Bewerber zusätzlich zum hohen Ausbildungsstand stimmlich zum Klang eines Knabenchores passen, sei «nicht zu beanstanden».

Der in der Berliner Landesverfassung verankerte Anspruch auf Teilhabe an staatlichen Bildungseinrichtungen stehe dem nicht entgegen, denn dieser richte sich nach der Widmung der jeweiligen Einrichtung. Dem Land Berlin sei es durch die Landesverfassung erlaubt, «zum Schutz des kulturellen Lebens die aus der christlichen Sakralmusik entstandene Tradition der Knabenchöre zu pflegen».

Das berechtigt dem Gericht zufolge den Chorleiter dazu, Mädchen auszuschliessen, wenn sie bei allem Talent mit ihrer Stimme nicht dem Klangbild eines solchen Chores entsprechen. Diese politische Entscheidung ist von den Gerichten nicht zu beanstanden, wenn es im Land Berlin auch Mädchen möglich ist, eine hochwertige musische Bildung zu erhalten. Es bestehen insoweit ausreichende Angebote an Mädchenchören und gemischten Kinderchören. Eine Revision des Urteils ist nicht mehr möglich.

Musikliebende Tiere

Videos von Klavier spielenden Hunden oder Melodien miauenden Katzen werden auf Youtube millionenfach angeschaut. Aber jenseits von Manipulation und der Übertragung menschlicher Betrachtungsweisen ist anzunehmen, dass die Tierwelt wohl wenig musikliebend ist.

Paul Barton spielt Beethoven für die Elefanten. Haben sie etwas davon? Foto: P. Barton
Musikliebende Tiere

Videos von Klavier spielenden Hunden oder Melodien miauenden Katzen werden auf Youtube millionenfach angeschaut. Aber jenseits von Manipulation und der Übertragung menschlicher Betrachtungsweisen ist anzunehmen, dass die Tierwelt wohl wenig musikliebend ist.

Wenn Sie auf dem Klavier ein C spielen gefolgt von einem D, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass das anschliessende Miauen Ihrer Katze genau der Höhe eines E entspricht, etwa so gross, wie dass ein rotes Auto vorbeifährt, nachdem Sie bereits ein blaues und ein weisses gesehen haben. Wenn man aber in Betrachtung zieht, dass es viel weniger Autofarben gibt als mögliche Frequenzen von Katzenmiauen, dann ist es weit unwahrscheinlicher, dass Ihr Haustier die Tonleiter weiterführt, als dass eine Autokolonne die Farben der Trikolore vervollständigt. Um Katzen dazu zu bringen, die traditionellen Tonschritte der menschlichen Musik einzuhalten, könnte man für das Lernen von Terz oder Quinte pawlowsche Dressurmethoden einsetzen. Die am häufigsten eingesetzte Methode bleibt aber heutzutage die Videomanipulation. Das ist ethisch eher vertretbar, stützt aber das Vorurteil, Tiere seien in Sachen Musik grundsätzlich irrelevant. Einige Youtuber haben Videos hochgeladen mit dem Titel «cat perfect pitch» und darauf gewartet, dass ihre Katze ein C von sich gibt. Dieses montierten sie dann als Schlusspunkt nach der gespielten Reihe C-D-E-F-G-A-H. Oder sie passten das Miauen elektronisch der gespielten Tonleiter an. Was diese Filmchen, auch wenn sie gefälscht sind, so faszinierend macht: Sie nähren die Illusion – und unterstreichen damit die Unmöglichkeit – dass Katzen eine Vorstellung von harmonischer Richtigkeit haben könnten. Es sei denn, sie würden immer auf dieser Tonhöhe miauen oder seien ausreichend trainiert. Unter der Annahme anderer «Pfotenflüsterer»-Hypothesen könnte man die Diskussion unaufrichtig und mehr oder weniger parodistisch noch etwas weiterführen: Vielleicht miauen Katzen nicht auf der richtigen Tonhöhe, weil sie ein gänzlich anderes musikalisches Sensorium haben als wir. Oder: Sie wollen uns auf keinen Fall merken lassen, dass sie ein Faible für Puccini-Opern haben. Oder sogar: Sie sind zum Glück nicht so dumm wie die Menschen, die das absolute Gehör für ein Geschenk der Natur halten.

Autotune und Singvögel

Videos, die das sanfte Heulen eines Hundes über Autotune abspielen, legen nahe, dass Hundegesang nur mit technischer Unterstützung perfekt sein kann. Die Musikalität der Tiere hinge also von Spezialeffekten ab. Die Kombination Tier-Plug-in ist eine Spielart 2.0 des Anthropomorphismus, der sich gerne einschränkt, um zu überdauern. Die Vögel, die am besten singen, sind bei denen, die es weniger gut können, nicht unbedingt am beliebtesten (um der Hypothese zu entsprechen, wonach «sich die Natur weniger ihr Recht zurücknimmt, als dass sie ihre Aufgaben neu erfindet, soweit, dass sie uns verpflichtet, den Vögeln zuzuhören, die, überdeckt von den Schreihälsen, weniger deutlich singen».) {Anmerkung 1} Die Auswahl, welches denn die Singvögel seien, stützt sich jedenfalls offensichtlich auf Kriterien menschlicher Musik. François-Bernard Mâche versetzt sie in menschliche Massstäbe: «Von den rund 8700 Vogelarten sind 4000 bis 5000 Singvögel. Davon haben 200 bis 300 so variierte Gesänge, dass sie musikalisch interessant sind. Das ist übrigens ein 50 bis 100 Mal höherer Prozentsatz, als es Profimusiker im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung Frankreichs gibt.»{Anmerkung 2} Wie die Versuche der Youtuber, die ihre Katzen und Hunde auf Pavarotti trimmen, gehören auch die Bemühungen von François-Bernard Mâche, mit der Musikalität der Vogelgesänge zu spielen, in die Kategorie der technischen Manipulation. Beispielsweise wenn er eine mehr oder weniger repräsentative Auswahl an Vogelstimmen über eine Cembalo-Partitur anordnet.

Beethoven für Elefanten

Wenn man auf Youtube einen Hund ans Klavier treten sieht, ohne Manipulation, ist man verblüfft, nicht nur amüsiert. Mag dieser Hund das Klavier oder, genauer, hält er sich für einen Menschen? Ist es ein dressierter Hund oder einer der sich spontan musikalisch betätigen möchte? Auch ohne einen direkten Befehl seines Herrchens ist sein Verhalten den musikalischen Menschen, mit denen er lebt, abgeschaut. Videos mit Tieren, die musikalische Situationen zu lieben scheinen, sind extrem beliebt. Die Kameraeinstellungen werden also so gewählt, dass sie die Musikalität der Tiere zu bestätigen scheinen. Aber bei aller Rührung über ein Filmchen, das Elefanten um ein Klavier versammelt zeigt, auf dem ihnen Paul Barton die Pastorale vorspielt, kann sich auch jeder fragen, ob die Elefanten wirklich Beethoven lieben oder nicht eher die Äpfel, die um das Klavier herum liegen. Vielleicht sind es Elefanten, die jenseits von Bartons Klavierkünsten, den Austausch zwischen verschiedenen Tierarten mögen. Wenn hier Anthropomorphismus vorliegt, wenn die Fixierung auf den Menschen die Deutung der Situation verfälscht, dann beweisen diese Freiluftkonzerte vielleicht weniger die Musikaffinität der Tiere als die Empathie des Pianisten für die Elefanten. Jemandem Beethoven vorzuspielen, ist ein Zeichen der Sympathie und wird als solches wahrgenommen. Die offiziellen Geschichten über diese Videos mit Hunderttausenden von Klicks werden von einer Logik der Fürsorge genährt. Es handelt sich um geschundene Tiere, die in einem Park in der thailändischen Provinz Kanchanaburi aufgepäppelt werden. Paul Bartons Rezitals sind eine Therapie, um «ihre körperliche Gesundheit und ihre Seele wieder aufzubauen».{Anmerkung 3} Der Glaube an die wohltuende Wirkung der Musik auf die Tiere ist bestimmt ein entscheidendes Element bei der Bindung, die der Pianist mit den Elefanten zu knüpfen vermag, auch ohne den Beweis, dass Beethoven oder Chopin eine sichtlich heilende Kraft auf die Tiere ausübt. Immerhin sind diese Konzerte musikalische Darbietungen eines Menschen, der sich von anderen Menschen löst und lieber den Dickhäutern etwas vorspielt als seinen musikliebenden Mitmenschen.

{Anmerkungen}

1 Cora Novirus, «Oiseaux et drones», Multitudes n° 80, Herbst 2020, S. 150
2 François-Bernard Mâche, Musique – Mythe – Nature, Éditions Aedam Musicae, 2015, S. 116
3 Paul Barton, cité par Philippe Gault, «Les singes affamé en Thaïlande, apaisés par Beethoven grâce au pianiste Paul Barton», www.radioclassique.fr


 David Christoffel

… ist Poet und Komponist, Radiomacher und Forscher. Er widmet sich der Poesie und der Musik in spezifischen Umfeldern.

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Antike hörbar gemacht

Schauen, hören, lesen: Eine multimediale Ausstellung im Antikenmuseum Basel lässt die Klänge des Altertums wieder aufleben.

Wie hat eine Leier im alten Ägypten geklungen oder eine Kithara und ein Aulos im klassischen Griechenland? Tonbeispiele können leider nicht einfach hergestreamt werden, und doch ist die Musikforschung heute imstande, den Klang dieser Instrumente durch Nachbauten originalgetreu zu rekonstruieren. In der reich bebilderten Begleitpublikation zur Ausstellung finden sich spannende Informationen zu den wissenschaftlichen Grundlagen. Auch ohne dieses Hintergrundwissen lässt sich die Ausstellung geniessen. Rund 30 Tonbeispiele verschiedener Instrumente können über die Museums-App angehört werden. Das Smartphone mit Kopfhörern müssen die Besucher selbst mitbringen.

Das Instrumentarium des Vorderen Orients, Ägyptens und des alten Griechenlands umfasst im Wesentlichen Saiten-, Blas-, Geräusch- und Rhythmusinstrumente sowie den Gesang. Aufgrund von Fundstücken und Abbildungen auf vielen Gefässen, vor allem aus der griechischen Antike, wurden Nachbauten gefertigt. Diese Instrumente sind grösstenteils Leihgaben des Martin-von-Wagner-Museums der Universität Würzburg. Sie wurden auf dem Album Sappho and her time von Conrad Steinmanns Ensemble Melpomen zu neuem Leben erweckt und bilden den auditiven Teil der Ausstellung. Es handelt sich um musikalische Nachschöpfungen für Gesang und instrumentale Begleitung, welche sich einerseits am Klang der rekonstruierten Instrumente und anderseits am Versmass der Lyrik Sapphos orientieren.

Die übrigen Exponate, darunter Gefässe, Skulpturen und Reliefs, sind grösstenteils aus Privatkollektionen, dem Kunstmuseum und dem Historischen Museum in Basel. Vieles kommt aus der «eigenen» Skulpturenhalle des Antikenmuseums.

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Einblick in die Ausstellung

Der menschliche Körper als Ausgangspunkt

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Auf dem Aulos spielende Kurtisane
Nebenseite des sog. Ludovisischen Throns. Grossgriechisches Werk um 470 v. Chr. Gipsabguss nach dem Original im Palazzo Altemps in Rom.

Aus dem Vorderen Orient des 4. Jahrtausends v. Chr. oder später aus Ägypten gibt es nur wenige Zeugnisse zur Musik und zum Musizieren. Das wenige, was erhalten ist, deutet aber darauf hin, dass es ab Mitte des 4. Jahrtausends bereits Niederschriften von Melodien sowie eine Art Notationssystem gegeben haben muss. Die alten Griechen lernten dieses vorderorientalische System wohl auf mündlichem Weg kennen und entwickelten es zu einer regelrechten Musiktheorie weiter. Philolaos (ca. 470 bis 399 v. Chr.) und Platon (ca. 427 bis 347 v. Chr.) sind hier die zentralen Figuren. Theorie heisst eigentlich «Betrachtung» und beschreibt zunächst das Vorhandene. Beim Aulos handelt es sich zum Beispiel um ein Doppelrohr-Blasinstrument aus Holz oder Knochen, das mit aufschlagender Zunge gespielt wird. Auf dem linken und dem rechten Rohr sind jeweils vier bis fünf Töne spielbar. Steinmann schreibt dazu: «Die Anordnung der Grifflöcher folgt in natürlicher Weise den Möglichkeiten der menschlichen Hand. Die beim Blasen entstehenden Töne folgen also physiologischen Gegebenheiten. … Sie sind die Grundlage eines Musiksystems und damit auch eines Musikempfindens.» (Katalog, S.45)

Aus den Nachbauten klingt die damalige Welt

Der Titel «Von Harmonie und Ekstase» deutet darauf hin: Die verschiedenen Instrumente wurden in der Antike gegensätzlichen Prinzipien zugeordnet. Die Saiteninstrumente wurden dem apollinischen Prinzip der Harmonie (Leben, Ordnung, Geist) zugeteilt, während die Blas-, Geräusch- und Rhythmusinstrumente mit Ekstase, Tod, Chaos und Körper assoziiert wurden. Die Kithara beispielsweise war im antiken Griechenland das Instrument der Berufsmusiker und ist in der Mythologie das Erkennungszeichen des Apollon, während der etwas schrill klingende Aulos zur Welt von Dionysos und den Naturdämonen gehört.

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Silbernes Bügelsistrum mit dem Haupt der Göttin Hathor
Ägypten, 22. Dynastie, 945 – 720 v. Chr.

Ein bemerkenswertes Tonbeispiel lässt eine nachgebaute Bogenharfe aus dem Ägypten des 13. Jahrhunderts v. Chr. hören. Die Harfe galt als vornehm und war entsprechend selten anzutreffen. Auch relativ selten war die etwas jüngere Laute. Sie verfügte über ein Griffbrett, einen langen Stab, über den drei Saiten aus Schafdarm gespannt waren. Wesentlich mehr Verbreitung fand die Lyra (Leier). Sie ist eine ägyptische Erfindung aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. In Griechenland wurde sie oft zur Begleitung von Gedichten eingesetzt (daher die Wortverwandtschaft Lyra > Lyrik). Das Beispiel dokumentiert ein rhythmisches Schlagen der Saiten, das am ehesten an die heutige Ukulele erinnert.

Die Rasseln und Glocken wurden zur Besänftigung bzw. Abwehr von Dämonen und im Totenkult eingesetzt. Zur Familie der Rhythmusgeräte gehören unter anderem das Tympanon (Tamburin), die Krotala (Handklappern) und die Kymbala (Zimbeln). Sie wurden nach der Mythologie meist von Mänaden und tanzenden Nymphen betätigt, während die Satyrn auf den Auloi spielten. Singende wurden auf ägyptischen und griechischen Gefässen in typischen Sängerposen, meist in Ekstase, dargestellt.

Unter den Hörbeispielen finden sich einige sehr schöne Beiträge, die allerdings kaum das Kriterium der historischen Authentizität erfüllen wollen.

Die Ausstellung «Von Harmonie und Ekstase» ist noch bis zum 24. Oktober 2021 im Antikenmuseum Basel zu besuchen.

Es gibt eine Konzertreihe dazu.

Die Begleitpublikation zur Ausstellung kann online eingesehen werden.


http://www.antikenmuseumbasel.ch/de/ausstellungen.html

Beginn einer Trilogie

Die Klaviersonaten Nr. 13 und 14, die Klavierfantasie op. 77 und die Chorfantasie op. 80 sind die Bestandteile der ersten CD von See Siang Wongs Beethoven-Trilogie.

Er ist schon mit einigen ungewöhnlichen Projekten aufgefallen: der in der Schweiz lebende und in Zürich an der Hochschule der Künste dozierende Pianist See Siang Wong. So hat er etwa ein «Kompendium der neuen Schweizer Klaviermusik» angeregt, oder er hat Kammermusikversionen von Konzerten Chopins und Beethovens aufgenommen. Beethoven widmet er nun auch eine ganze Trilogie, die sich vornehmlich unbekannteren Werken des Bonner Meisters annehmen soll. Die erste CD trägt den Titel «Fantasia». Eingespielt hat er dazu die Fantasie op. 80 in c-Moll für Klavier, Chor und Orchester – mit dem Radio-Symphonieorchester Wien (Dirigent: Leo Hussain) und dem Wiener Singverein. Daneben finden sich auf der Scheibe die Klaviersonate Nr. 13 Es-Dur «Quasi una fantasia» und zum Auftakt die alles andere als unbekannte Klaviersonate Nr. 14 cis-Moll. Sie hat vom Dichter Ludwig Rellstab nach einer Bootsfahrt auf dem Vierwaldstättersee einst den Beinamen «Mondscheinsonate» verpasst bekommen.

Damit steht am Anfang der Trilogie, die eigentlich den Raritäten gewidmet sein soll, zunächst einmal ein Beitrag zur epischen Diskussion, wie die berühmt-berüchtigte, alleinstehende Pedalanweisung Beethovens zu Beginn der Mondscheinsonate zu deuten sei. András Schiff plädiert immer mal wieder für ein zügiges Alla-breve-Tempo, aber konsequent gehaltenes Pedal; er betrachtet dies als Intention Beethovens. See Siang Wong sieht in dem Adagio einen Bezug zur Szene nach dem Tod des Komturs aus Mozarts Don Giovanni. Auch er hält das Pedal nun durchwegs gedrückt, wählt aber das sehr langsame Tempo, das sich in den meisten Interpretationen mittlerweile eingebürgert hat. Dabei entsteht auf dem D-274-Konzertflügel von Steinway eine delikate, impressionistische Klanglandschaft, die stimmiger wirkt als Schiffs etwas ruppig ineinander zerfliessende Harmonien.

Aufgenommen worden sind die Chorfantasie im April 2019 im Grossen Sendesaal des Radio Kulturhauses Wien und die Sonaten im Januar 2020 im SRF Radiostudio, Zürich. ORF und SRF zeichnen auch als Koproduzenten.

Beethoven Trilogie 1: Fantasia (Klaviersonaten Nr. 14 und 13, Klavierfantasie op. 77, Chorfantasie op. 80) See Siang Wong, Klavier; RF Vienna Radio Symphony Orchestra, Wiener Singverein, Leitung Leo Hussain. Sony Music RCA Red Seal 19439800512

Tod des Komponisten Cristóbal Halffter

Der spanische Komponist Cristóbal Halffter, der in den 1980er-Jahren auch am Berner Konservatorum unterrichtete – zu seinen Schülern gehören unter anderem Christian Henking, Jean-Luc Darbellay und David Philipp Hefti – ist im Alter von 91 Jahren in Ponferrada verstorben.

Foto: © Universal Edition/Eric Marinitsch.

Halffter wurde 1930 in Madrid geboren und verbrachte einen Teil seiner Kindheit in Deutschland. Von 1939 bis 1951 lernte er in Madrid Klavier, Musiklehre, Harmonielehre und Kompositionslehre. 1961 wurde er Lehrer für Komposition und Formenlehre an das Real Conservatorio Superior de Música de Madrid. Von 1964 bis 1966 war er Direktor des Instituts.

Ab 1970 begann er als Dozent an der Universität von Navarra zu unterrichten und auch zu dirigieren. 1976 war er Dozent der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt, nachdem er in den sechziger Jahren mehrfach mit Komponisten wie Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und Luciano Berio gearbeitet hatte, und wurde 1979 Leiter des Studios für elektronische Musik der Heinrich-Strobel-Stiftung in Freiburg im Breisgau.

2009 erhielt er den mit 400’000 Euro dotierten Preis «Grenzen des Wissens» der spanischen Fundacion-BBVA in der Sparte Musik der Gegenwart. 2014 wurde er mit dem Kulturpreis der Stadt Kiel ausgezeichnet.

Krivenko Soloflötist im Konzerthausorchester Berlin

Andrei Krivenko studierte an der FHNW in der Flötenklasse von Felix Renggli und ist seit zwei Jahren Teil der Orchesterakademie der Wiener Philharmoniker. Nun hat er die Stelle als Soloflötist im Konzerthausorchester Berlin gewonnen.

Foto: zVg

Der aus Russland stammende Andrei Krivenko erhielt seinen ersten Flötenunterricht im Alter von 6 Jahren. Er ist Absolvent der Musikakademie Basel in der Klasse von Felix Renggli. Krivenko ist Stipendiat der Kurt Redel Foundation und Gewinner zahlreicher renommierter internationaler Wettbewerbe.

Als Solist trat er bereits in Schweden, Frankreich, Deutschland, Italien, Russland sowie mit dem Festival Orchester von Zakhar Bron (Schweiz) und dem Jugend Symphonie Orchester Russland unter der Leitung von Yuri Bashmet auf. Weitere wichtige künstlerische Impulse erhielt er in Meisterkursen, unter anderem bei Vincent Lucas (Paris), Andrea Lieberknecht (München), Philip Bernold (Paris), William Bennett (London), Peter Lukas Graf (Basel) und Denis Bouriakov (Los Angeles).

Grand Prix Musik für Stephan Eicher

Auf Empfehlung der Eidgenössischen Jury für Musik vergibt das Bundesamt für Kultur den Schweizer Grand Prix Musik 2021 an Stephan Eicher. 14 weitere Musikerinnen und Musiker werden mit einem Schweizer Musikpreis ausgezeichnet.

Stephan Eicher 2012. Foto: Eddy Berthier (s. unten)

Die 14 Preisträgerinnen und Preisträger von 2021 sind: Alexandre Babel (Genf), Chiara Banchini (Lugano, TI), Yilian Cañizares, (Havanna, Kuba und Lausanne, VD), Viviane Chassot (Zürich, ZH), Tom Gabriel Fischer (Zürich, ZH), Jürg Frey (Aarau, AG), Lionel Friedli (Moutier, BE), Louis Jucker (La Chaux-de-Fonds, NE), Christine Lauterburg (Bern), Roland Moser (Bern), Roli Mosimann (Weinfelden, TG), Conrad Steinmann (Rapperswil, SG), Manuel Troller (Luzern), Nils Wogram (Braunschweig, D und Zürich).

Stephan Eicher wird 1960 in Münchenbuchsee geboren. Erste Erfahrungen sammelt in einer Electropunk-Band, den Noise Boys. 1981 werden er und seine Band Grauzone mit dem Song «Eisbär» im deutschsprachigen Raum bekannt. Mit dem Album «Les Chansons Bleues» (1983) beginnt sein Erfolg in Frankreich. In seiner Karriere hat Stephan Eicher bisher rund zwanzig Alben veröffentlicht, zuletzt «Homeless Songs» von 2019. 2021 stellt er in einer Tournee sein Projekt «Das Floss der Unnötigen» vor.

Das BAK mandatiert jährlich rund zehn Expertinnen und Experten aus dem Bereich Musik. Diese schlagen Kandidatinnen und Kandidaten aus allen Regionen der Schweiz und aus sämtlichen Musiksparten vor. Ihre Auswahl wird anschliessend der Eidgenössischen Jury für Musik unterbreitet. Im Januar 2021 haben die sieben Mitglieder der Jury den Preisträger des Schweizer Grand Prix Musik sowie die 14 Preisträgerinnen und Preisträger der Schweizer Musikpreise bestimmt. Der Schweizer Grand Prix Musik ist mit 100 000 Franken dotiert, die Schweizer Musikpreise mit je 25 000 Franken.

Fotonachweis: Eddy Berthier, Brüssel / wikimedia commons CC0 1.0

Basel-Landschaft ehrt Michael Zisman

Michael Zisman wird mit dem Spartenpreis Musik 2021 des Kantons Basel-Landschaft ausgezeichnet. Der Preis ist mit 20’000 Franken dotiert. Der Bandeonist tritt als Solist und in verschiedensten Formationen auf und hat bereits Projekte mit zahlreichen renommierten Künstlern realisiert.

Foto: Matthias Willi / Kanton BL

Michael Zisman ist argentinisch-schweizerischer Doppelbürger und gelte als «eines der grossen Talente auf seinem Instrument, dem Bandoneon», schreibt der Kanton. In Argentinien spezialisierte er sich in der Tango-Musik. Dabei entwickelte er eine aussergewöhnliche Brillanz, sein Spiel sei «natürlich und unangestrengt, warm und aufregend».

In seiner Kindheit erlernte Zisman die Musik vor allem von seinem Vater, dem Geiger, Bandleader und Komponisten Daniel Zisman. Nachdem er das Instrument – zusammen mit seinem langjährigen Kollegen Peter Gneist – weitgehend auf autodidaktische Weise erlernt hatte, studierte er im Alter von 13 Jahren in Buenos Aires bei Nestor Marconi und Juan C. Cirigliano, dem ehemaligen Pianisten von Astor Piazzolla.

2007 erhielt Michael den ersten Preis in der Kategorie Bandoneon Solo an der International Accordeon Competition Klingenthal (Deutschland).
 

Tod des Jazztrompeters Hans Kennel

Der Schweizer Jazztrompeter Hans Kennel, der auch immer wieder Brücken zwischen Jazz und Volksmusik schlug, ist laut einer Todesanzeige in der NZZ im Alter von 82 Jahren in Zug gestorben.

Hans Kennel (Bild: www.hanskennel.com)

In Schwyz geboren, spielte der Trompeter Hans Kennel laut den Angaben auf seiner Webseite zuerst für kurze Zeit Klassik, dann viele Jahre Jazz und andere experimetelle Musik, bis er im Familienalbum zufällig ein Bild von 1932 erblickte, auf dem sein Vater, zusammen mit dessen Bruder und dem Grossvater spielen. Er gründete die Gruppen Alpine Jazz Herd (zusammen mit Jürg Solothurnmann), Alpine Experience und das Alphornquartett Mytha das auch Interesse bei jüngeren Musikern weckte.

1998 wurde Hans Kennel für seine engagierte und pionierhafte Auseinandersetzung mit Elementen alpiner Musik in den Grenzbereichen zwischen Volksmusik, Jazz und Klassik mit dem Innerschweizer Kulturpreis geehrt worden. 2014 wurde er für den ersten Schweizer Musikpreis (Schweizer Grand Prix Musik) des Bundesamts für Kultur (BAK) nomininiert.

Il povero Fiammingo

Das Vokalensemble Voces Suaves bringt auf seiner Schweizer Tournee vom28. Mai bis 1. Juni Madrigale und Canzonette des Renaissance-Komponisten Giaches de Wert zu Gehör.

2012 von Tobias Wicky gegründet, arbeitet das Ensemble heute ohne feste Leitung. Foto: Markus Räber,SMPV

Das neue Programm des Ensemble Voces Suaves präsentiert einige der expressivsten Madrigale von Giaches de Wert (1535-1596) im Kontext seiner Biografie, insbesondere seiner Beziehung zur Musikerin und Intellektuellen Tarquinia Molza (1542-1617). Die beiden lernten sich am Hof der Este in Ferrara kennen, der sich durch Musik, aber auch durch Intrigen auszeichnete, und wurden enge Freunde, und vermutlich Liebhaber. Das Programm folgt ihrem gemeinsamen Weg, in erster Linie durch die Madrigale von Wert und seinen Zeitgenossen, aber auch durch Auszüge aus historischen Briefen und Gedichten.

Einen besonderen Platz im Programm nehmen zwei musikalische Publikationen von Wert aus der Zeit seiner Beziehung zu Molza ein: das neunte Madrigalbuch und der Band mit Canzonette. Diese Bände enthalten Madrigale mit kontrastierenden Charakteren: wunderschön ausdrucksstarke und komplexe Vertonungen einiger der traurigsten Gedichte aus Petrarcas Canzoniere, neben leichten, kurzen, verspielten und geistreichen Canzonette. Diese kontrastierenden Stücke zeigen die Tiefe von de Werts Oeuvre und wie seine Musik das ganze Spektrum menschlicher Emotionen anschaulich darstellt.

Fritz-Gerber-Award 2021

Den diesjährigen Fritz-Gerber-Award erhalten die Klarinettistin Daniela Braun, die Geigerin Anastasiia Subrakova und der Saxophonist Luis Homedes López. Die Auszeichnung umfasst ein Stipendium zur Teilnahme an der Lucerne Festival Academy im Wert von 10’000 Franken und zusätzlich ein Preisgeld von 10’000 Franken.

Daniela Braun. Foto: Calm Vidal Photography

Die Geigerin Anastasiia Subrakova, 1994 in Akaban, Russland geboren, lernte ihr Instrument zunächst am Konservatorium in St. Petersburg bei Ilya Ioff. Anschliessend absolvierte sie an der HEMU – Haute Ecole de Musique et Conservatoire de Lausanne bei Sergiu Schwartz das Bachelorstudium und bei Svetlana Makarova den Master «Music Performance». Von 2018 bis 2020 widmete sich Subrakova dem Master in der Vertiefung Solist bei Ilya Gringolts an der Zürcher Hochschule der Künste. 2019 gewann sie den zweiten Preis des Kiwani-Wettbewerbs.

Der spanische Saxophonist Luis Homedes López, 1994 in Madrid geboren, wurde in Madrid unter anderen von Angel Luis de la Rosa unterrichtet. Ab 2014 studierte er bei Marcus Weiss in Basel an der Hochschule für Musik, bei dem er nicht nur den Bachelor, sondern auch den Master in Musical Performance abschloss. 2019 war er Stipendiat des Rahn Kulturfonds. Er nahm bei den Darmstädter Ferienkursen oder dem Kurtág-Ligeti Workshop in Budapest teil und spezialisiert sich derzeit in einem weiteren Master auf Zeitgenössische Musik.

Die ebenfalls 1994 geborene Schweizerin Daniela Braun studierte Klarinette bei Paolo Beltramini an der Hochschule Luzern – Musik und schloss, ebenfalls in Luzern, 2018 einen Master der Musikpädagogik ab. Derzeit befindet sie sich im Masterstudium bei Björn Nyman an der Norwegian Academy of Music in Oslo. Von 2016 bis 2018 war sie Mitglied des zeitgenössischen Ensemble HELIX der Hochschule Luzern und besuchte unter anderem Meisterkurse bei Yehuda Gilad oder die Zermatt Festival Academy.

Der «Fritz-Gerber-Award» schreibt Auszeichnungen offen aus, darüber hinaus werden Empfehlungen von Hochschulen und bekannten Persönlichkeiten aus der Kunst entgegen­genommen. Die Jury bestand dieses Jahr aus Michael Haefliger, Intendant von Lucerne Festival, Komponist und Dirigent Heinz Holliger sowie Felix Heri, Leiter von Lucerne Festival Contemporary.

 

Hunderte Kinder und Jugendliche sangen füreinander

Vom 12. bis 15. Mai fand in Basel das 12. Europäische Jugendchor Festival Basel (EJCF) statt. Über 700 Kinder und Jugendliche aus Schweizer Chören erlebten ein ausserordentliches und erfolgreiches Festival – jedoch ohne Publikum vor Ort. Die Corona-Vorschriften wurden konsequent umgesetzt.

Kein Publikum dieses Jahr – eine Fotoausstellung von Guido Schärli erinnert an das EJCF 2018. Foto: SMZ

Das diesjährige Festival hatte zwar wenig mit den bisherigen EJCFs zu tun, man könne aber trotzdem von einem grossen Erfolg sprechen, bilanziert die Festivalleitung. Da kein Publikum vor Ort zugelassen war, wurden einige Veranstaltungen gestreamt. Bis zum Festivalende sind ungefähr 6000 Downloads registriert worden.

Der internationale Choraustausch fiel den Corona-Vorschriften letztlich ganz zum Opfer. Es waren schliesslich alles Schweizer Chöre, die nach Basel reisten, im Hotel Ibis untergebracht und in Hallen der Messe Basel Corona-konform verpflegt wurden. Alle Sängerinnen und Sänger mussten sich jeden Morgen testen lassen und über 12-Jährige eine Maske tragen. Bislang wurden keine Ansteckungen bekannt. Die über 700 Kinder und Jugendlichen unter 20 Jahren befolgten die strengen Sicherheitsregeln auch beim gemeinsamen Singen in verschiedenen Veranstaltungen. Darunter waren Workshops, die von in der europäischen Chorszene bestens bekannten Fachpersonen geleitet wurden: Sanna Valvanne aus Finnland, Basilio Astùlez Duque aus Spanien, RoxorLoops aus Belgien sowie Patrick Secchiari und Dominique Tille aus der Schweiz. Zudem wurde an Chorbegegnungen gesungen, aber auch auf dem akustischen Spaziergang, auf Schiffen oder dem Rösslitram.

Über 70 Chorleitende aus der ganzen Schweiz setzten sich am 10. Schweizerischen Chorleiter- und Chorleiterinnen-Treffen mit Themen wie Stilkunde, Jodeln, Beatboxen unplugged oder Popkanons für Chöre auseinander.

Trotz all der Einschränkungen kam unter den anwesenden Chören und den freiwilligen Helferinnen und Helfern immer wieder das typische Festival-Feeling auf. Dies rapportierte Festivalleiterin Kathrin Renggli im konzentrierten einstündigen Rückblick am Ende des Festivals im Hans-Huber-Saal des Stadtcasinos Basel. Sie hat mit ihrem Team beispielhaft gezeigt, wie man Unvorhergesehenes pragmatisch und Einschränkungen kreativ angehen kann, um daraus Neues zu schöpfen.

All die vielen Fans, die dieses Jahr nicht auf die Rechnung kamen – üblicherweise besuchen rund 30 000 Personen über 40 Veranstaltungen – können sich auf das 13. Europäische Jugendchor Festival über die Auffahrtstage in zwei Jahren freuen.
 

Covid-19-Kulturmassnahmen gut umgesetzt

Der Nationale Kulturdialog hat sich an seiner Sitzung vom 10. Mai 2021 zur Umsetzung der Covid-Unterstützungsmassnahmen im Kulturbereich ausgetauscht und den guten Arbeitsfortschritt bei der Behandlung der Gesuche festgehalten.

Foto: missmushroom / unsplash.com (s. unten)

Der Nationale Kulturdialog stellt laut der Medienmitteilung des Bundes fest, dass aktuell bereits mehr als 60 Prozent der seit Herbst 2020 eingereichten Covid-Unterstützungsgesuche entschieden wurden. Des Weiteren wurden Ende April 2021 Vereinfachungen bei der Schadensberechnung für die Ausfallentschädigung an Kulturschaffende vorgenommen. Für Covid-Kulturmassnahmen sind im Bundesbudget für 2021 bisher 130 Millionen Franken vorgesehen. Der Nationale Kulturdialog begrüsst, dass das Parlament in der Sommersession über einen Zusatzkredit von 148 Millionen Franken beraten wird.

Der Nationale Kulturdialog hat zudem zwei Empfehlungen gutgeheissen: In der Tanzförderung soll unter anderem die Verbreitung von Produktionen freier Tanzgruppen gestärkt werden. Im Bereich der sozialen Sicherheit der Kulturschaffenden soll ein Unterstützungsangebot geschaffen werden, damit zusätzliche Kantone, Städte und Gemeinden die im 2016 beschlossenen Massnahmen zur Stärkung der beruflichen Vorsorge der Kulturschaffenden umsetzen. Mit diesen Empfehlungen wurde das Arbeitsprogramm 2016–2020 des Nationalen Kulturdialogs abgeschlossen.

Der Nationale Kulturdialog wurde 2011 ins Leben gerufen und vereinigt Vertreter der politischen Instanzen und der Kulturbeauftragten der Kantone, Städte, Gemeinden und des Bundes. Seine Arbeit basiert auf einer Vereinbarung aus dem Jahr 2011 und dem im April 2016 verabschiedeten Arbeitsprogramm 2016-2020. Die politischen Instanzen bilden das strategische Steuerungsorgan des Nationalen Kulturdialogs mit dem Vorsteher des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI), Vertretern der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), des Schweizerischen Städteverbands (SSV) und des Schweizerischen Gemeindeverbands (SGV).

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