Aus für Kulturpreis der Bernburger

Er war mit 100’000 Franken einer der höchstdotierten Kulturpreise weit über die Schweiz hinaus. Nun ist laut einer Meldung der «Berner Zeitung» aber Schluss damit. Das Geld soll anders verteilt werden.

Wappen der bernischen Gesellschaften 1796, Zeichnung von Franz Niklaus König (Nachweis s. unten)

Die Strategieänderung geht laut der Zeitung auf Patrizia Crivelli zurück, die seit einem Jahr im Amt befindliche Leiterin der Fachstelle Kultur und Gesellschaft der Burgergemeinde. Das Amt wurde als «burgerliches Pendant zur städtischen Kultursekretärin» (Berner Zeitung) neu geschaffen. Die beiden Amtsinhaberinnen von Burgergemeinde und Stadt, Crivelli und Franziska Burkhardt, kennen sich. Sie waren beide früher für das Bundesamt für Kultur tätig.

Der mit 100’000 Franken dotierte Kultupreis der Burgergemeinde Bern wurde im Juni 2018 zum 30. und letzten Mal verliehen und ging an das Kleinkunsttheater «La Cappella», eine renommierte Berner Bühne für Kabarett, Chanson und Kleinkunst. Frühere Preisträger waren unter anderen die Camerata Bern, die Geigenbauschule Brienz, das Swiss Jazz Orchestra und das Konzertlokal Mühle Hunziken.

 

Wappen der bernischen Gesellschaften 1796, Zeichnung von Franz Niklaus König
Quelle:
Collection Gugelmann/wikimedia commons
 

Die Lage bessert sich – nicht überall

Das m4music-Festival tat sich bei seiner 22. Ausgabe einmal mehr als Konzertort und Branchentreff hervor. Während die Musik positive Zeichen setzte, gaben sowohl der Musikjournalismus als auch das Konzertgeschäft Anlass zur Sorge.

Die Zahlen waren einmal mehr beeindruckend: Nicht nur rund 1000 Vertreter der Musikbranche, sondern auch an die 6000 Fans besuchten die 22. Ausgabe des dreitägigen Popmusikfestivals m4music in Lausanne und Zürich. Während namentlich die Zürcher Folkband Black Sea Dahu und das zwischen Rock, Rap, Pop und Noise agierende Winterhurer Duo Ikan Hyu für musikalische Höhepunkte besorgt waren, wurde an den gut dreissig Veranstaltungen des Konferenzteils über so unterschiedliche Themen wie Auftrittsmöglichkeiten in Europa, das (Über-)Leben als Songwriterin oder die aktuellen Absatzahlen im Musikbusiness diskutiert.

Streaming auf dem Vormarsch

Im Panel «Der Musikmarkt 2018, 2019 und darüber hinaus» lautete die Erkenntnis: Die Lage bessert sich. Wachstumsmotor sind nicht mehr die CD-Verkäufe oder die Downloads, sondern das Streaming-Geschäft. Im vergangenen Jahr hat der Schweizer Tonträgermarkt einen Umsatz von rund 170 Millionen Franken getätigt – das sind 3,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Laut Ivo Sacchi, dem Managing Director von Universal Music Schweiz, gibt es Musikgattungen, die bis zu 95 Prozent ihrer Tonträgereinnahmen aufgrund von Streaming erzielen. «Das gilt insbesondere für Urban, Deutsch-Rap und Hip Hop.» Ein etwas anderes Bild zeichnete Marc Lynn, Bassist der Rocktruppe Gotthard: «Rockfans wollen nach wie vor das physische Produkt in den Händen halten können.» Er schätzte, dass sich rund 70 Prozent der Fans die Musik von Gotthard immer noch auf Vinyl oder CD zulegen würden. Das unterscheide sich jedoch von Kontinent zu Kontinent. «In Südamerika wird fast nur noch gestreamt.» Universal-Vertreter Sacchi zweifelt nicht daran, dass sich der Trend zum Streaming fortsetzen werde, auch in der Schweiz: «Das Potenzial ist bei Weitem noch nicht ausgeschöpft.» Dafür spricht alleine schon die Tatsache, dass wöchentlich 15 000 Songs auf Streaming-Portale wie Spotify hochgeladen werden.

Musikjournalismus im Krebsgang

Weniger erfreulich präsentierte sich hingegen die Situation im Musikjournalismus. Beim Panel zum Thema kristallisierte sich vor allem eine gewisse Ratlosigkeit heraus. Linus Volkmann, der bis letztes Jahr für das nun eingestellte Musikmagazin Intro tätig war, erklärte: «Der Musikjournalismus hat seine Gatekeeper-Funktion eingebüsst. Dementsprechend kommen die jungen Zielgruppen von heute ohne Printprodukte aus.» Dennoch oder gerade deshalb zeigte sich Ane Hebeisen, Pop-Redaktor bei der Tageszeitung Der Bund, überzeugt, Musikjournalismus sei nach wie vor nötig – und zwar mehr denn je. «Es braucht Schreiberinnen und Schreiber, die Vertiefung schaffen und die Türe zu anderen Musikwelten aufstossen.» Tatsache ist aber, dass etwa der Tages-Anzeiger seit vergangenem Jahr kein Budget mehr für freie Musikjournalisten hat. Volkmann, der auch als Buchautor tätig ist, vermochte dem Niedergang des Musikjournalismus allerdings auch Positives abzugewinnen: «Wer Bock hat, über Musik zu publizieren, kann das jetzt einfach machen.» Etwa mittels eines Youtube-Kanals oder eines Blogs.

Clubs vom Aussterben bedroht

In seiner Keynote «Monopoly im globalen Konzertgeschäft» beschäftigte sich der unabhängige Konzertagent Berthold Seliger aus Berlin mit seiner Branche, die noch vor wenigen Jahren als Goldgrube gepriesen wurde. Seit 2012 würden nun allerdings Grosskonzerne auf diesem Gebiet laufend an Einfluss gewinnen. Während kleine Clubbetreiber versuchten, Künstlerinnen und Künstler nachhaltig aufzubauen, seien Riesenplayer wie Live Nation nur am Geschäft interessiert. Und das mit gutem Grund: «Ein Prozent aller Künstler generiert 60 Prozent aller Konzerteinnahmen», wusste Seliger. Eine Tatsache, die ihn eine staatlich verordnete Solidaritätsabgabe für unabhängige Clubs und Veranstalter fordern liess. «Und zwar für jedes Ticket, das mehr als 50 Euro kostet.» Das sei eigentlich unausweichlich, weil die örtlichen Clubs und Veranstalter zunehmend eine aussterbende Gattung darstellten. Dass sich die Situation von selbst bessert, glaubte Seliger nicht.

Stadt-Land-Graben

Und wie bewertete Festivalleiter Philipp Schnyder von Wartensee die 22. Ausgabe dieser Veranstaltung des Migros-Kulturprozents? «Es waren drei lebendige, intensive Tage mit tollen Entdeckungen von Schweizer Talenten», gab er zu Protokoll. Aufgefallen sei ihm insbesondere, wie offen viele der rund 1000 Vertreter der nationalen und internationalen Musikbranche aufeinander zugegangen seien. «Man begegnet sich je länger je stärker nicht als Konkurrenten, sondern sieht in erster Linie vielfältige Möglichkeiten zur Zusammenarbeit.» Kritischer sah er hingegen eine andere Entwicklung: Zwar gebe es keinen Graben mehr zwischen Musikern aus der Deutschschweiz und der Romandie, dafür scheine der Austausch zwischen Künstlern aus der Stadt und solchen vom Land immer mehr zu harzen. Schnyder zog jedoch eine positive Gesamtbilanz: «Seit je ist es die Philosophie von m4music, jüngere und ältere Musikschaffende an unserem Festival zusammenzubringen. Und das läuft.»

Auszeichnung für Volksschule Kriens

Zum neunten Mal werden im Kanton Luzern Anerkennungspreise zur Förderung von innovativen und fortschrittlichen Volksschulen verliehen. Prämiert wird auch ein Musikprojekt der vier Krienser Zentrumsschulhäuser.

Kriens/LU. Foto: chrisaliv/wikimedia commons,SMPV

In den vier Krienser Zentrumsschulhäusern lernen zurzeit rund 300 Kinder aus 58 Nationen. Sie unterscheiden sich in Kultur, Sprache, familiären Rahmenbedingungen und sozialer Schicht. Das Lehrerteam hat in diesem Umfeld im Herbst 2016 das Projekt «Kultur im Zentrum», kurz KiZ ins Leben gerufen. Im Sommer 2017 starteten 18 Klassen (vom Kindergarten bis zur 6. Klasse) ins erste Projektjahr.

Während die Erst- und Zweitklässler klassenübergreifende Kulturprojekte mit Musik, Tanz und Spiel durchführten, hatten die Dritt- und Viertklässler die Möglichkeit, Ateliers in Tanz, Theater, Chor und Musik zu besuchen. In der 5. und 6. Klasse erlernten die Schülerinnen und Schüler ein Instrument ihrer Wahl und probten im gemeinsamen Orchester.

Die Jury lobte, wie in dem Projekt Kultur ein Element für soziale Integration und Vielfalt wird und wie Schule und die Musikschule durch die Zusammenarbeit näher zusammenrücken.

Bildnachweis: chrisaliv / wikimedia commons

«Schloss Dürande» wieder auf der Bühne

Othmar Schoecks letzte Oper wurde in der Fassung Micieli/Venzago am Meininger Staatstheater erstmals szenisch aufgeführt.

Kaum vorstellbar, dass eine Oper, von der man sagt, sie sei das Hauptwerk eines der bedeutendsten Schweizer Komponisten des 20. Jahrhunderts, nach ihrer Uraufführung an der Berliner Staatsoper und einem Zürcher Fiasko für 76 Jahren aus dem Repertoire verschwindet. Nur wer genauer hinsieht, sich die Umstände vergegenwärtigt und das originale Libretto aufmerksam durchgeht, wird rasch einen Eindruck davon bekommen, was geschah und warum es geschah. Trotz zahlreicher, vielfach vergeblicher Interventionen ging Othmar Schoeck als Komponist mit einem von Hermann Burte geschaffenen Textbuch allzu sorglos um: die Möglichkeit einer exponierten Inszenierung vor Augen und vermutlich auch bar jeder zeitgeschichtlichen Realitätseinschätzung. Der gesamte Schloss-Dürande-Text wird (mal deutlich, mal subkutan) von Burtes völkischer Gesinnung durchzogen, aber mehr noch ist er qualitativ unglaublich dürftig. Selbst Hermann Göring zeigte sich per Telegramm verwundert darüber, wie die am 1. April 1943 uraufgeführte Oper bzw. das ihr zugrunde liegende, als «aufgelegten Bockmist» bezeichnete Libretto von der Intendanz angenommen werden konnte.

Mit der Aufführung im braunen Berlin war die Oper freilich nach dem Zweiten Weltkrieg verbannt, obwohl schon nach der ersten Vorstellung klar war, dass es sich musikalisch um eine bedeutende Partitur handelte. Eine Entnazifizierung konnte indes nicht gelingen; die Tatsachen standen dem Werk ebenso nachhaltig entgegen wie die ungelenken Versuche, Gutgläubigkeit des Komponisten für dessen sträfliche Bedenkenlosigkeit ins Feld zu führen. Umso erstaunlicher ist, dass Schoecks Schloss Dürande in der gängigen Literatur zwar vernichtend besprochen wird, aber immer auch eine gewisse Neugier an der Musik bestehen bleibt. Zu Recht, wie nun am Meininger Staatstheater zu hören war. Auf den Pulten lag dabei eine Partitur mit einem von Francesco Micieli neu eingerichteten und von Mario Venzago in den Gesangslinien vorsichtig eingearbeiteten Text. Wissenschaftlich aufgearbeitet und begleitet in zwei vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Publikationen ist so aus der Problemoper eine geschichtlich verspätete Grand opéra geworden: Im Zentrum steht das Schicksal des von falscher Bruderliebe geleiteten Renald Dubois (zunächst noch als um die Schwester besorgter gräflicher Jäger, später glühender Revolutionär in eigener Sache), der das tragische Ende aller bestimmt. Vier unterschiedliche Akte sind zu hören, von filmmusikalischen Adaptionen und erstaunlich retrospektiven Momenten über wagnersches Wehen bis hin zum Jazz der 1920er- und 1930er-Jahre. Schoeck fasst damit ein wahrlich «langes» 19. Jahrhundert zusammen und geht darüber hinaus – ohne Eklektizismus, wohl aber in der Vorstellung der breitestmöglichen Verfügbarkeit.

Was zunächst verwundert, gewinnt indes an Zusammenhang und eigenständiger, ja, eigenwilliger Konsistenz. Doch Fragen bleiben offen. So hat Micieli mit seiner Neufassung zwar das auf einer Eichendorff-Novelle beruhende Libretto trefflich gerettet. Freilich konnte er nicht dort bereinigen, wo schon im Original der Text retardiert und Schoeck ihm in der Partitur (zu) lange folgt. An der musikalisch-dramatischen Substanz aber wollte diesmal niemand den Rotstift ansetzen. So blieb etwa auf dem Finale ein leichter Schatten, wenn Renald vom sterbenden Diener Nicolas die Wahrheit über seine Schwester erfährt. Hier wird bei zukünftigen Inszenierungen die Regie (möglicherweise multimedial?) Lösungen finden müssen. Apropos Zukunft: Das Schloss Dürande hat in dieser neutralisierten, gelegentlich noch immer zu reimfreudigen Form eine Chance verdient, sich auch auf anderen Bühnen zu bewähren. Schon Brahms hatte das kleine, aber feine Meiningen für seine 4. Sinfonie zur Uraufführung gewählt, um sorgsam zu prüfen. Ein Repertoire-Stück wird Schoecks letzte Oper wohl aber dennoch nicht werden. Sie resümiert allein schon bei der Wahl des Sujets zu retrospektiv, zumal in einer Zeit, in der die Welt in Flammen stand. Der Premieren-Erfolg der Produktion (Regie: Intendant Ansgar Haag, musikalische Leitung: GMD Philippe Bach) war jedenfalls vollauf gerechtfertigt mit einer solide begleitenden, jedoch kaum interpretierenden Inszenierung, einer in sich respektablen Ensembleleistung und einer hervorragend disponierten Hofkapelle.

Weitere Vorstellungen
29. März, 28. April, 8. und 17. Mai, 27. und 30. Juni, 6. Juli 2019
meininger-staatstheater.de

Musikrat unterstützt Rahmenabkommen

Der Schweizer Musikrat SMR hat Vor- und Nachteile des Institutionellen Abkommens zwischen der Schweiz und der EU geprüft. Er kommt zum Schluss, dass die Vorteile auch für die Musikszene klar überwiegen.

Foto: Rainer Sturm/pixelio.de

Der SMR ist der Auffassung, dass «mit dem vorliegenden Entwurf ein gutes Verhandlungsergebnis erzielt wurde, welches geeignet ist, die Interessen der Schweiz unter Berücksichtigung unserer direkten Demokratie zu wahren». Mit diesem Abkommen würde die so eminent wichtige Rechtssicherheit für beide Seiten geschaffen und der Zugang zum europäischen Markt gesichert.

Das Wachstum des Kreativ- beziehungsweise des Musiksektors werde in den nächsten Jahren signifikant an Dynamik gewinnen, schreibt der SMR weiter. Deshalb sei aus Sicht des Musiksektors alles daran zu setzen, dass die Vorteile der Personenfreizügigkeit für die Schweiz erhalten bleiben – in diesem Fall durch die Unterzeichnung des Abkommens. Nebst der Personenfreizügigkeit ist für den Musiksektor der Zugang zu den Förder- und Forschungsprogrammen der EU wie Creative Europe und Horizon 2020 (beziehungsweise deren Nachfolgeprogramme) elementar, da sie für den Sektor gleichbedeutend mit dem Marktzugang sind.

Mehr Infos: www.musikrat.ch

Bildnachweis: Reiner Sturm / pixelio.de

Lehnert folgt in Zürich auf Karlen

Diana Lehnert übernimmt auf Anfang April 2019 die Leitung des Ressorts E-Musik im Zürcher Präsidialdepartement. Das Ressort ist zuständig für die sogenannte «klassische» Musik. Diana Lehnert folgt auf René Karlen, der in Pension geht.

Foto: zVg

René Karlen geht Ende März 2019 auf eigenen Wunsch frühzeitig in Pension. Er leitete das Ressort seit Sommer 2002. Seine Nachfolgerin Diana Lehnert studierte Musikpädagogik und Orchestermusik an der Hochschule für Musik Detmold und der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und war unter anderem als freischaffende Flötistin und Dramaturgin tätig. Zuletzt leitete sie seit 2008 den Bereich Musikvermittlung des Luzerner Sinfonieorchesters. Neben der künstlerischen Leitung bringt sie Erfahrungen aus der Öffentlichkeitsarbeit und dem Kulturjournalismus mit. Diana Lehnert wohnt in der Stadt Zürich.

Das Ressort E-Musik der Abteilung Kultur im Präsidialdepartement ist für die klassische Musik zuständig und fördert in diesem Bereich das Konzertleben der Stadt Zürich. Nebst der Förderung von Aufführungen mit Unterstützungsbeiträgen ist es Organisatorin von drei eigenen Konzertreihen.

Wie im Teilchenbeschleuniger

Im Theater Basel läuft die Oper «Diodati. Unendlich» bis am 8. April. Die dauererregte Musik im Auftragswerk von Michael Wertmüller fordert alle Beteiligten aufs Höchste.

Statisterie des Theaters Basel, Holger Falk, Sara Hershkowitz, Seth Carico. Foto: Sandra Then

Der Abend startet von null auf hundert. Während Lucas Niggli am Schlagzeug einen durchgehenden Beat mit vertrackten Akzenten trommelt, singt der homofon geführte Chor des Theaters Basels (Leitung: Michael Clark) rhythmisch prägnante Linien. Hammond Orgel (Dominik Blum), Bass (Marino Pliakas) und E-Gitarre (Yaron Deutsch) werfen Akkorde ein, die wie Störfeuer wirken und die Grenzen sprengende Musik weiter anheizen. Für das Schweizer Trio Steamboat Switzerland hat Michael Wertmüller schon viele Stücke geschrieben und dabei die Grenzen zwischen Neuer Musik, Jazz und Rock aufgelöst. In seiner Oper Diodati. Unendlich (Libretto: Dea Loher), die das Theater Basel in Auftrag gegeben hat, ergänzt er die Formation mit einer E-Gitarre und platziert sie im Orchestergraben, damit sie gemeinsam mit dem extrem beweglichen Sinfonieorchester Basel diese rhythmische Energie auf die Bühne und in den Zuschauerraum schicken. Die Musik hat fast immer einen hohen Puls. Sie ist dauererregt, arbeitet mit der Schichtung von verschiedenen Metren und Rhythmen und führt die beteiligten Musiker technisch an die Grenze des Machbaren. Umso erstaunlicher, wie souverän Dirigent Titus Engel, der am Haus schon Karlheinz Stockhausens Donnerstag aus Licht unaufgeregt leitete, sich durch diese hochkomplexe Partitur bewegt. Und mit welcher Präzision alle Akteure diese wilden, rhythmisch verschachtelten Eruptionen zum Klingen bringen.

Hohe Reizdichte

Dea Lohers Libretto berichtet vom legendären Besuch englischer Literaten im Jahr 1816 in der Villa Diodati am Genfer See. Die illustre Runde um Lord Byron berauscht sich an Opium und an den Gesprächen. Wegen des schlechten Wetters bleiben sie im Haus, debattieren über künstliches Leben und erzählen sich Schauergeschichten. In der Schweizer Idylle entstehen in diesem Sommer Mary Shelleys Roman Frankenstein oder der moderne Prometheus und die Kurzgeschichte Der Vampyr, geschrieben von Byrons Leibarzt John Polidori. Loher verschränkt in ihrem Text diesen historischen Schauplatz mit dem Cern im Kanton Genf, wo im 27 Kilometer langen Teilchenbeschleuniger physikalische Grundlagenforschung betrieben wird. In ihrer Inszenierung lässt Regisseurin Lydia Steier beide Ebenen sichtbar werden. Flurin Borg Madsen bringt am Theater Basel ein Labor auf die Bühne, in dessen Mitte ein Zimmer der historischen Villa Diodati nachgebaut ist. Hier fahren Wissenschaftler in Schutzanzügen zu den ersten Schlagzeugimpulsen die leblosen Literaten auf Sackkarren herein und reanimieren sie (Kostüme: Ursula Kudrna).

Eigentlich werden die Figuren aber durch Wertmüllers Musik zum Leben erweckt. Dabei arbeitet der Komponist mit schnellen Schnitten, die oft vom Schlagzeug geschärft werden. Die Pausen sind kurz, die Reizdichte ist hoch, alles passiert gleichzeitig! Einen grösseren Spannungsbogen baut der Schweizer Komponist aber nicht auf. Er setzt auf einzelne Bausteine, die für sich stehen und durchaus unterschiedlich gestaltet sind. Kristina Stanek singt als noch unverheiratete Mary Godwin in opernhaft gezogenen Linien von ihrem verstorbenen Kind; die von Lord Byron schwangere Claire Clairmont (bis in stratosphärische Höhen glasklar: Sara Hershkowitz) leckt zur hochgepeitschten Musik seinen Schritt, ehe Byron von den Wissenschaftlern ein blinkendes Gerät um die Hüfte geschnallt bekommt, das ihn zusätzlich stimuliert. Mal sorgt Michael Wertmüller mit Loops für Verdichtung, mal nimmt er für einen Moment das Tempo heraus, um kurz danach wieder einen neuen musikalischen Mix zu kreieren. Mit atemberaubender Geschwindigkeit folgt Szene auf Szene. Rolf Romei als Mary Godwins Freund Percy Bysshe-Shelley mit Mittelscheitel und Nickelbrille singt strahlende Spitzentöne dazu. Seth Carico ist mit seinem mächtigen Bassbariton ein markanter Leibarzt Polidori, der Lord Byron im zweiten Teil in Netzstrümpfen und High Heels seine Liebe erklärt.

Ekstatisches Empfinden

Im exquisiten Solistenensemble ist Holger Falk als anarchistischer Lebemann George Gordon Noel Lord Byron das Kraftzentrum. «Das grosse Ziel des Lebens ist Empfinden. Zu spüren, dass wir existieren», formuliert er im zweiten Teil, in einer der wenigen ruhigeren Szenen, sein Credo im Sprechgesang. Das sexuelle Verhältnis mit seiner Halbschwester Augusta Leigh (koloraturengeschärft: Samantha Gaul) zelebriert dieser Byron genauso selbstverständlich, wie er Orangen an seiner nackten Brust und in seinem Schritt reibt. Rausch und Ekstase als Kern des Lebens? Einzelne Puzzleteile entfalten in dieser ultrahocherhitzten Basler Vorstellung grosse Theatralik, wenn sich beispielsweise Schlagzeuger Lucas Niggli und Sara Hershkowitz als hochschwangere, in Wehen zuckende Claire Clairmont ein spektakuläres Schlagzeug-Koloratur-Battle liefern oder wenn das wiederbelebte Kind unter grossem Pathos als Engel mit dunklen Flügeln von Mary Godwins OP-Tisch aufersteht. Eine Verbindung zwischen all den Elementen, die wie im Teilchenbeschleuniger umherschiessen, gelingt an diesem Abend nicht. Aber vielleicht ist das auch zu konservativ gedacht für diesen herausfordernden, phasenweise auch überfordernden Musiktheaterabend.

Fairplay vom Ständerat gefordert

Der Ständerat berät am 12. März die Revision des Urheberrechtsgesetzes. Die Kulturschaffenden wehren sich gegen einen Antrag, wonach keine Urheberrechtsvergütungen auf Empfangsgeräten in Hotels und Ferienwohnungen mehr erhoben werden sollen, obwohl Gäste in solchen Unterkünften für die Nutzung von Musik und Filmen auf dort vorhandenden Geräten zahlen.

Social-Media-Kampagne der Musikschaffenden Schweiz. Meme: Sonart

«Besitzer von Hotels und Ferienwohnungen würden in Zukunft keine Urheberrechtsvergütungen mehr bezahlen», schreibt Swisscopyright in der heutigen Medienmitteilung. Und weiter: «Über diese Idee, eine geschuldete Entschädigung zugunsten der Hoteliers fallen zu lassen, entscheidet der Ständerat am kommenden Dienstag. Musikschaffende, Filmemacher, Schauspieler und andere Kulturschaffende wären die Geprellten. Sie würden sodann mit ihrer Arbeit die Hotellerie in der Schweiz subventionieren, anstatt für die geschäftliche Nutzung ihrer Werke fair entschädigt zu werden.

Der Antrag basiert auf einer parlamentarischen Initiative von Philippe Nantermod, FDP-Nationalrat VS. Die kleine Kammer würde damit ein Präjudiz schaffen: Das Bundesgericht hat im Dezember 2017 entschieden, dass für die Verbreitung von Radio- und Fernsehprogrammen in Hotelzimmern oder Ferienwohnung weiterhin eine Vergütung bezahlt werden muss, wenn die dazu notwendigen Geräte wie Fernseher oder Radios vom Hotelier bzw. Vermieter zur Verfügung gestellt werden. Anders als von den Initianten behauptet, handelt es sich hier nicht um Privatgebrauch.
 

Internationales Recht würde missachtet – Schweizer Kulturschaffende wären benachteiligt

Ein Gutachten der Universität Lausanne im Auftrag von Swisscopyright, dem Verbund der fünf Schweizer Verwertungsgesellschaften, stellt fest: Der im URG neu geschaffene Artikel widerspräche der Berner Übereinkunft, einem völkerrechtlichen Vertrag zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst; aus diesem Grund könnte dieser nur für die Schweizer Kulturschaffende gelten, wenn die Schweiz ihre internationalen Verpflichtungen einhalten will. Die Schweizer Kulturschaffenden wären also diskriminiert. Es würde eine paradoxe Situation entstehen: Schweizer Künstlerinnen und Künstler erhielten keine Vergütungen mehr, die Hotels müssten aber für Werke ausländischer Kulturschaffender bezahlen. Die Regelung würde auch weitere internationale Abkommen missachten: das World Copyright Treaty WCT und das WTO-Freihandelsabkommen TRIPS. Dies könnte wirtschaftliche Sanktionen gegen die Schweiz zur Folge haben.»

Keine Forderung seitens der Kantone

Zudem führt Swisscopyright aus: «Der neue Artikel im URG sollte laut Vorschlag auch Spitäler und Gefängnisse von der Urheberrechtsvergütungen befreien,» und hält fest, weder kantonale Gefängnisinstitutionen noch Spitäler forderten dies, keine der Institutionen habe erklärt, die Entschädigung der Kulturschaffenden nicht mehr entrichten zu wollen: «Einmal mehr: Hier würde einzig auf Betreiben der Hotellerie für diese eine Ausnahme geschaffen. Für das Kulturschaffen würde diese ungerechtfertigte Massnahme grossen Schaden anrichten. Swisscopyright fordert die Ständerätinnen und Ständeräte zum Fairplay auf. Diese Bevorteilung der Hoteliers ist nicht nötig und auch nicht sachgerecht.

Ein hart errungener Kompromiss steht auf dem Spiel

Der Antrag verletzt schliesslich den hart ausgehandelten und fragilen Kompromiss der Arbeitsgruppe zum Urheberrecht (AGUR 12). Die Forderung, Hoteliers hier (plötzlich) auszunehmen, gelangte zu einem sehr späten Zeitpunkt im Nationalrat in die Gesetzesvorlage. Um den Kompromiss zu ermöglichen, haben Urheber und Rechteinhaber jedoch vorher viele Konzessionen gemacht.»

Soweit die Medienmitteilung von Swisscopyright, des Verbundes von ProLitteris, SSA, Suisa, Suissimage und Swissperform.
 

Offensive der Musikschaffenden

Auch die Musikerinnen und Musiker wehren sich in einer von Sonart – Musikschaffende Schweiz orchestrierten Aktion ausdrücklich gegen diesen Antrag: «Wir subventionieren nicht die Tourismusindustrie!» Sie fordern den Ständerat auf, den Antrag Nantermod abzulehnen. Sonart ruft dazu auf, sich an der Kampagne in sozialen Netzwerken zu beteiligen und sich am Montag, 11. März, zwischen 11 und 13 Uhr auf dem Bundesplatz in Bern zu einer Flyerverteilaktion zusammen mit den Filmschaffenden zu treffen.
 

Weitere Informationen dazu:

https://www.sonart.swiss/de/projekte-kampagnen/alle-0/urg-revision-12/

 

Nachtrag 12. März 2019

Der Ständerat hat beschlossen, die Beratung zu verschieben. Wie die SDA schreibt, will er «die Entwicklung in der EU abwarten, bevor er über die Revision des Urheberrechts entscheidet‘. Und weiter: «Grund für den Entscheid ist eine umstrittene Ergänzung, welche die Kommission angebracht hatte: Sie wollte Internetplattformen wie Google und Facebook zugunsten der Medienverlage zur Kasse bitten, wenn sie Textanrisse und Hinweise auf Artikel veröffentlichen. Der Ständerat befand, der Vorschlag sei nicht ausgegoren.»

Brooklyn-Aufenthalt für Pamela Méndez

Für das Jahr 2019 hat Kultur Stadt Bern gemeinsam mit dem Kanton Bern eine neue Partnerorganisation für ihr New York-Stipendium für Kulturschaffende gefunden. Als erste können der Fotograf Alexander Jaquemet und die Musikerin Pamela Méndez nach Brooklyn reisen.

Pamela Méndez (Bild: zvg)

Jaquemet und Méndez werden in der zweiten Jahreshälfte 2019 für fünf Monate ein Atelier der Organisation Residency Unlimited in Brooklyn nutzen können. Die Berner Musikerin sucht in New York Material für ein drittes Album. Das Stipendium ist dotiert mit je 15’000 Franken als Beitrag an die Reise- und Aufenthaltskosten. 

Die Stadt Bern schreibt jährlich zwei Stipendien in New York aus. Zwei ausgewählte Kulturschaffende können jeweils vom 1. August bis zum 31. Dezember je eine Wohnung und ein separates Studio in New York kostenfrei benutzen. Der Kanton Bern schreibt die New York Stipendien zu denselben Konditionen in der jeweils anderen Jahreshälfte aus.

Nachdem Generationen von Berner Künstlerinnen und Künstlern für ihre New York-Stipendien im Stadtteil Manhattan zu Gast waren, werden Jaquemet und Méndez erstmals in Brooklyn arbeiten. Wohnung und Studio werden durch die lokale Organisation Residency Unlimited RU in Rücksprache mit den ausgewählten Kunstschaffenden angemietet. Die Organisation mit Basis in Brooklyn ist auch Ansprechspartnerin vor Ort. Die nächste Ausschreibung ist im Herbst 2019 geplant, für eine Aufenthaltsdauer in New York vom 1. August bis 31. Dezember 2020.
 

Klassik als globales Exportgut

Eindrücke von der Berliner Avant Première, der jährlichen Präsentation neuer Musikfilme.

Nun verstehe ich, warum mir empfohlen wurde, mich auf einen Stuhl ohne Lehne zu setzen. Ich befinde mich nämlich mitten drin im turbulenten zweiten Akt des Figaro und muss mich ständig um die eigene Achse drehen. Um mich herum verhandeln Susanna, die Gräfin und der eifersüchtige Graf Almaviva den irritierenden Fall, dass offenbar Susanna und nicht Cherubino sich im Ankleideraum der Gräfin versteckt hat.

Aber Stopp! Natürlich sitze ich nicht auf der Bühne. Es ist eine Illusion, und die verdanke ich der VR-Brille, die mir Jan Schmidt-Garre aufgesetzt hat. Sie hat mich in eine virtuelle Realität katapultiert. Das mit 360° Figaro betitelte Experiment im Schnittpunkt von Kunst und Technologie hat der erfahrene Filmautor und Opernregisseur als Eigenproduktion realisiert; Partner beim 200 000-Euro-Projekt waren die Oper Leipzig und das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut Berlin, das die 360-Grad-Kamera entwickelt hat.

Das Endprodukt ist überwältigend – Immersion total. Aber auch anstrengend: Wenn man nach 25 Minuten die Brille abgesetzt hat und der Trip zu Ende ist, fühlt man sich leicht schwindlig. Nüchtern betrachtet ist es auch nichts für ein Massenpublikum, schon weil man dazu erst einmal diese VR-Brille kaufen müsste. Zudem ist man bei dieser Art von Kunstgenuss total auf sich selbst zurückgeworfen. Schmidt-Garre weiss das. Er ist Realist und betrachtet die Produktion als einmaliges Experiment im Bereich medialer Vermittlung von Opern. Vielleicht wird man in zehn Jahren darauf als eine Pioniertat zurückblicken.

Das war eine der vielen interessanten Erfahrungen, die man bei der diesjährigen Avant Première in Berlin machen konnte. Die vom Internationalen Musik- und Medienzentrum Wien (IMZ) veranstaltete Vorschau auf neue Musikfilme im Bereich Klassik, Ballett und Jazz vereinigt Produzenten, Vertriebe und TV-Sender aus der ganzen Welt, die hier Neuheiten sichten und zeigen, kaufen und verkaufen. Die Mehrzahl der über sechshundert Teilnehmer kommt aus Europa, zunehmend aber auch aus Amerika und Fernost. Die Öffentlich-Rechtlichen werden immer stärker von Privaten konkurrenziert, und erstmals waren nun auch zwei potente staatsnahe Player ganz anderer Art dabei: das China Intercontinental Communication Center und die Moscow Philharmonic Society.

Jenseits der Livedarbietung

Die digitalen Medien haben aus der europäischen Klassik einen globalen Exportartikel gemacht. Jenseits der Minderheit, die Zugang zu den exklusiven Livedarbietungen hat, wächst eine neue Konsumentenschicht heran, die auf weltweit vier- bis fünfhundert Millionen geschätzt wird. Die Zahl nennt Rob Overman, Programmverantwortlicher beim Medienkonzern Stingray. Das kanadische Unternehmen ist heute einer der Big Player im internationalen Klassikmarkt. Es hat unter anderem die Rechte an den Aufnahmen von Unitel, der von Leo Kirch initiierten Klassik-Schatzkammer, erworben und den angebundenen Musikkanal Classica gekauft.

Über eigene Apps und globale Anbieter wie Amazon und Comcast hat Stingray heute Zugang zur Hälfte aller Pay-TV-Haushalte weltweit und versorgt sie nicht nur mit Aida, Nussknacker und Beethovens Neunter, sondern auch mit interessanten Minderheitsprogrammen. Dank neuer Technologien ist das Geschäft vereinheitlicht, es funktioniert nach dem Video-on-Demand-Prinzip von Netflix. Ob in Beijing, Paris oder Ottawa, überall kann man direkt auf dem Bildschirm sein Abonnement abschliessen. Unbemerkt von den Konzertgängern in Tonhalle und Elbphilharmonie ist Europas musikalische Hochkultur damit zum Premiumobjekt in einer globalisierten Medienlandschaft geworden. Für unseren traditionellen Musikbegriff bleibt das nicht ohne Folgen.

Der Stoff für diesen globalen Markt besteht in erster Linie aus dem laufend erneuerten Grossangebot an Opern- und Konzertaufzeichnungen: dem publikumswirksamen Schaulaufen der Dirigenten und neuerdings auch Dirigentinnen – Dutzende Male bekommt man die grandiose Herrschergeste beim Abschlag eines Fortissimo-Schlussakkords zu sehen – und den scharf beobachteten Liebesszenen auf der Opernbühne. Juan Diego Flórez oder Anna Netrebko sind Renner. Doch finden sich auch immer wieder Autorenfilme von starker Aussagekraft. So etwa die grandiose Visualisierung von Edgar Allan Poes Erzählung A Descent into the Maelstrom (Hinab in den Maelström) durch den norwegischen Filmautor Jan Vardøen zur suggestiven Musik von Philip Glass.

Jenseits des Mainstreams

Kontrapunktiert wird das globale Mainstream-Angebot auch durch die regionalen Perspektiven kleinerer Sender wie etwa des Slowenischen Fernsehens, das auf einen erstaunlichen Reichtum an eigenen Kulturtraditionen zurückgreifen kann. Mit einer individuellen Note wartet auch das Tessiner Fernsehen RSI auf. Anstelle von reinen Klassikaufnahmen will man heute mehr auf Gegenwartsphänomene eingehen, was auch eine originelle Fernsehdokumentation wie Un Barbiere a Lugano mit einschliesst, in der Rossinis legendärer Coiffeur einen Ausflug in den Alltag macht. Von der RSI kommt auch eine Dokumentation über Cecilia Bartoli, die erste seit 1993 über die jenseits der Bühnenrampe eher zurückhaltende Primadonna. Sie kam über den Dirigenten Diego Fasolis zustande und ist ein internationaler Verkaufserfolg. Die Ticinesi zeigen, dass man auch mit einem kleinen Budget erfolgreich arbeiten kann. Man muss nur die richtigen Ideen haben.

Musikvermittlung ist weiter im Aufwind

Die deutschen Berufsorchester und Rundfunkklangkörper haben ihre Aktivitäten zur Ansprache neuer Publikumsgruppen weiter ausgebaut. Dies zeigen die Ergebnisse der bundesweiten Konzertumfrage 2017/2018 der Deutschen Orchestervereinigung.

Foto: Monika Kozub / Unsplash (s. unten)

Musikpädagogische Aktivitäten wie zum Beispiel Instrumentenpräsentationen, Kammermusikauftritte und Workshops in Schulen nahmen in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren mit über 6000 Veranstaltungen um rund 20 Prozent zu. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Kinder-, Jugend-, Familien- und Schülerkonzerte um mehr als 25 Prozent auf 2863. Im Gegenzug ging die Zahl normaler Sinfoniekonzerte zurück.

Insgesamt hat sich nach schwierigen Jahren die Lage vieler Orchester konsolidiert. Für Ende des Jahres 2019 warten die Orchester auf die Entscheidung der UNESCO zur Aufnahme der deutschen Orchester- und Theaterlandschaft auf die Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit.

Bildnachweis: Monika Kozub / Unsplash

Berner Gaskessel bleibt am bisherigen Ort

Der Berner Gemeinderat hat nach Konsultationen mit Interessengruppen beschlossen, das Jugendzentrum Gaskessel, unter anderem ein bedeutender Veranstalter der Bundesstadt für alternative Musikkulturen, am bisherigen Standort zu belassen.

Foto: Debianux/wikimedia commons (s. unten)

Der Berner Gemeinderat will auf dem Gaswerkareal eine urbane Überbauung mit einem wesentlichen Wohnanteil realisieren. Aus der Industriebrache soll «ein pulsierendes Quartier mit Wohnflächen, Flächen für Gewerbe und Kultur sowie öffentlichem Freiraum entstehen». Die vorhandenen Naturwerte auf dem Areal werden durch ökologische Ausgleichsflächen ersetzt.

Der Gaskessel ist ein Zentrum für Jugendliche und jugendliche Kulturschaffende aus der Stadt und Region Bern. Neben dem Engagement der Jugendlichen bietet er Plattformen für junge Kulturschaffende und lokale Künstlerinnen und Künstler an. Gleichzeitig werden aber auch internationale Kulturschaffende angesprochen.

Jugendkulturzentrum «Gaskessel» in Bern. Foto: Debianux / wikimedia commons
 

Schweiz 2020 Fokus von Eurosonic Noorderslag

ESNS (Eurosonic Noorderslag), eine bedeutende Plattform für europäische Musiktalente, stellt jedes Jahr im niederländischen Groningen die besten Acts aus einem Land in einen speziellen Fokus. 2020 ist die Reihe an der Schweiz.

Zeal & Ardor, 2018. Foto: Sam Town (s. unten)

Die Schweiz habe nicht nur eine sehr aktive und kreative Szene von Musikschaffenden, schreiben die Veranstalter, sondern auch eine hohe Club- und Festivaldichte, international vernetzte Radiostationen sowie «eine äusserst lebendige Independent-Labelszene». Zurzeit entstehe in der Schweiz «extrem kreative und originelle Musik in allen Genres», welche gerne in Groningen präsentiert würden. Acts, welche an ESNS 2020 auftreten möchten, können ihre Bewerbung vom 1. Mai bis zum 1. September 2019 online einreichen. 

ESNS zieht mehr als 4000 Fachleute aus allen Bereichen der Unterhaltungsbranche an, darunter über 400 europäische Festivals. Jedes Jahr veranstaltet ESNS in der Stadt Groningen mehr als 350 Konzerte und bietet ein umfassendes und fokussiertes Konferenzprogramm mit rund 150 Panels und Keynotes sowie vielfältige Möglichkeiten zum Networking.

In der Erfolgsbilanz nennt ESNS die Acts Alice Merton, Alma, BOY, Dua Lipa, Mario Batkovic, Sigrid, Sophie Hunger und Zeal & Ardor. Nebst den Schweizer Acts wie zum Beispiel Crimer, Flèche Love, Long Tall Jefferson et Danitsa waren im diesjährigen Line-Up (Januar 2019) auch folgende Artists erfolgreich: Black Midi, Flohio, Fontaines D.C., girl in red, L’impératice, Manon Meurt, Mavi Phoenix, Pip Blom, Reykjavíkurdætur, SONS and Tamino.

Mehr Infos:
https://swiss-music-export.com/2019/03/01/esns-to-focus-on-switzerland-in-2020

 

Bild oben: Zeal & Ardor, 2018. Foto: Sam Town from Birmingham, UK / wikimedia commons
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.en

Hintergrundmusik stört die Konzentration

Ein Team rund um die Psychologin Emma Threadgold von der britischen University of Central Lancashire ist der Frage nachgegeangen, ob Hintergrundmusik Konzentration, Kreativität und Motivation steigert. Mit ernüchterndem Resultat.

Foto: Burkard Vogt/pixelio.de,SMPV

Gängigen Klischees folgend soll Hintergrundmusik die Kreativät steigern. Das Team testete die These in drei Experimenten, die den Einfluss auf das Lösen kreativer Aufgaben thematisierten. Es konfrontierte Probanden mit Songs mit ungewohnten Liedtexten, mit gewohnten Liedtexten und reiner Instrumentalmusik. Alle beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit, verglichen mt einer Kontrolgruppe, die nicht mit Hintergrundmusik berieselt wurde. 

Es zeigte sich auch, dass der negative Effekt völlig unabhängig davon ist, ob die Musik gute Gefühle weckt oder ob es sich um Probanden handelt, die gewohnt sind, Aufgaben zu lösen, während im Hintergrund Musik zu hören ist.

Originalartikel:
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/acp.3532

Verlinkter Bildnachweis: Burkard Vogt / pixelio.de

Sachers Geist im 21. Jahrhundert

Die zweite «Basel Composition Competition» (BCC) fand im Kirchgemeindehaus Oekolampad statt. – Die hohe Qualität der Veranstaltung überzeugte auch diesmal.

Foto: Niklaus Rüegg

 

Von aussen betrachtet hat sich der Wettbewerb verkleinert, doch der Wechsel vom Foyer des Basler Stadttheaters ins vergleichsweise kleine «Oekolampad» hatte keinen Einfluss auf die Bedeutung der Veranstaltung. Wohl waren die Platzverhältnisse etwas beengend, besonders für die Musiker, doch fürs Publikum war die Nähe zum Geschehen eher förderlich. In fünf Konzerten sollten vom 20. bis 24. Februar dreizehn Wettbewerbsbeiträge aufgeführt werden – nachdem ein Mitbewerber seinen Beitrag zurückgezogen hatte, blieben noch zwölf.

Organisator Christoph Müller hat mit seiner BCC ein offenes Format ohne Alters- und Herkunftsbeschränkungen entwickelt. Ein gut funktionierendes Sponsoring oder besser gesagt ein typisch baslerisches, stilles Mäzenatentum erlaubt es ihm, bescheidene Anmeldegebühren zu verlangen, zugleich hohe Preisgelder auszuschreiben (1. Platz: 60 000 Franken; 2. Platz: 25 000; 3. Platz: 15 000) sowie sämtliche drei Basler Profiorchester zu engagieren. Kammerorchester, Sinfonietta und Sinfonieorchester präsentieren die fürs Finale ausgewählten Stücke, deren Einstudierung – als Uraufführungen – mit einigem Aufwand verbunden ist. Betreffend Länge der Kompositionen und des Instrumentariums gelten klare Bestimmungen. Ein Wettbewerbsbeitrag darf nicht länger als 20 Minuten dauern und die Besetzungen ergeben sich aus den Ressourcen der Orchester.

Der Veranstaltung wurde, wie schon bei der ersten Austragung 2017, ein Jugend-Musikvermittlungsangebot angegliedert. Ein Musiklehrer vom Bäumlihof-Gymnasium lud während der Wettbewerbswoche einzelne Komponisten in die Schule ein und band seine Schülerinnen und Schüler in das Wettbewerbsgeschehen mit ein.

Hoher Anspruch

Die attraktive Konstellation des Wettbewerbs zog sehr viele Anmeldungen nach sich: 450 aus 59 Ländern, der älteste Bewerber mit Jahrgang 1929. Schliesslich wurden 250 Partituren eingesandt, von denen die Jurymitglieder 13 auszuwählen hatten. Das Ziel war, eine stilistisch breite Auswahl zu treffen, die sich bis ins Finale hinein bemerkbar machen sollte. Die Jury widerspiegelte den hohen Anspruch dieses Wettbewerbs: Michael Jarrell (Jurypräsident), Wolfgang Rihm (krankheitshalber abwesend), Helmut Lachenmann, Magnus Lindberg, Andrea Scartazzini – allesamt international anerkannte Komponistengrössen. Ausserdem war je ein Orchestervertreter mit dabei. Felix Meyer vertrat die Paul-Sacher-Stiftung, welche als beratender Partner fungiert, ohne allerdings den Anlass finanziell zu unterstützen. Der Geist Sachers schwingt gehörig mit in diesem Projekt. Christoph Müller nimmt denn auch direkt Bezug auf diesen Förderer und Ermöglicher zeitgenössischer Musik: «Ganz im Geiste Sachers sollen heute die spannendsten Komponistinnen und Komponisten des 21. Jahrhunderts nach Basel geholt werden, mit dem Ziel, Anstösse zu Kompositionen zu geben. Damit will die BCC mithelfen, ein Repertoire von Orchesterwerken aufzubauen, das auch noch Jahre später Relevanz haben wird».

Klasse Schlusskonzert

In der Moderation von Patricia Moreno von SRF 2 Kultur lief das Abschlusskonzert in einer lockeren und, was die Ausführung betrifft, hochkonzentrierten Art und Weise ab. Fünf Werke hatten es ins Finale geschafft. Den Beginn machte das Kammerorchester Basel unter der Leitung von Franck Ollu mit Manuel Martínez Burgos’ Komposition Daivāt, ein Wort aus dem Sanskrit, das der Komponist mit «time beyond the mind» übersetzte. Das Publikum bekam ein schnelles, kleinteiliges, expressives Stück mit marterndem Blech und bedrohlicher Grundstimmung zu hören. Ganz anders das leichter zugängliche Werk des Japaners Takuya Imahori Con mille fiori che sbocciano così belli: Im Schnelldurchgang schilderte die Basel Sinfonietta unter Baldur Brönnimann musikalisch das Blühen und Verblühen von elf Blümchen bei Sonne, Wind und Wetter. Spätromantische Stimmungen wechselten mit sphärischen, poetischen, bunten Klangbildern, um zuweilen in ein mächtiges Forte zu münden: ein grosser Publikumserfolg.

Die Programmpunkte 3 bis 5 wurden alle vom Sinfonieorchester Basel unter Francesc Prat bestritten. Den Anfang machte der Deutsche Benjamin Scheuer, der es in seinem Stück versungen verstand, zeitgenössische Klänge mit Witz und Humor zu verbinden. Aus verfremdeten Musikfetzen, die sich in seiner Erinnerung über viele Jahre abgespeichert hatten, zimmerte er ein höchst innovatives Stück. Grotesk rallentierende Glissandi verlieren sich atemlos im Nichts, um sich rasant wieder aufzuschwingen. Zischen, Zwitschern und penetrante Pfeiftöne gehörten zum reichen Klangmaterial und vermischten sich mitunter bedrohlich mit des Zuhörers Tinnitus. Im zweiten Teil entstand im Dialog zwischen Klavier und Streichern ein etwas kohärenteres Klangkontinuum.

Der Schweizer Thomas Mattenberger schaffte es mit seinem reduktionistischen Labyrinth zu Recht bis unter die letzten Fünf – eine echte Erholung zwischen all diesen intensiven und tönereichen Werken: meditativ mit geringem Intervallumfang, liegenden Bläserklängen, um die sich Orchesterclusters gruppierten, signalgebende Röhrenglocken, kaum Dynamik.

Der junge Argentinier Alex Nante verblüffte mit einem kurzen (man hätte gerne noch etwas länger gelauscht) Stück mit romantisch-impressionistischem Duktus namens Helles Bild, inspiriert vom gleichnamigen Gemälde von Wassily Kandinsky. Das dominierende Gelb des Bildes konnte mit den grellen Forte-Stellen assoziiert werden. Sie wechselten sich ab mit feinen Geigen- und Harfenklängen, garniert mit Klarinetten und Celesta. Am Schluss stand markant eine grosse Sext wie ein Fragezeichen im Raum.

Das Verdikt der Jury: 1. Platz Scheuer, 2. Platz Nante, 3. Platz Imahori.

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Foto: Niklaus Rüegg
Von links: Takuya Imahori (3.), Alex Nante (2.) Benjamin Scheuer (1.)
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