Leistungsverträge mit den Bieler Kulturinstitutionen

Der Bieler Gemeinderat hat beschlossen, mit vier Institutionen neu einen Leistungsvertrag abzuschliessen: mit dem Konzert- und Kulturzentrum Le Singe, dem Festival PlusQ’île, dem Autonomen Jugendzentrum Chessu und den Bourgkonzerten.

Festival Ear we are 2019. Foto: Heinz Windler

Le Singe erhält pro Jahr 80’000 Franken, PlusQ’île 35’000 Franken, der Chessu 40’000  Franken und die Bourgkonzerte 10’000 Franken. Überdies hat der Gemeinderat für 18 bereits unterstützte Institutionen einer Vertragsverlängerung zugestimmt und sieben von ihnen eine Beitragserhöhung gewährt. darunter finden sich das Festival Ear we are, die Société philharmonique und das Theater und Orchester Biel Solothurn TOBS.

Die Kredite für letzteres sind dem obligatorischen Referendum unterstellt. Insgesamt werden für die Periode 2020 bis 2023 Verträge mit 22 lokalen Institutionen und einem Gesamtbeitrag von 848’200 Franken (Vorperiode: 671’100 Franken) abgeschlossen.

 

Jobtausch in Oper und Nachhaltigkeits-Institut

Der Wuppertaler Opernintendant und der Präsident des Wuppertal Instituts tauschen unter dem Motto Wechsel/Wirkung für drei Wochen ihre Job. Der Tausch soll inspirieren und eine nachhaltige Organisationsentwicklung initiieren. Die Beteiligten hoffen auf Nachahmer.

Berthold Schneider (links) und Uwe Schneidewind (Foto: Wuppertal Institut/A. Riesenweber)

Für genau drei Wochen wechseln Berthold Schneider, Intendant der Wuppertaler Oper und Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal Instituts, ihre Ämter. Der Rollentausch ist  keine Hospitanz, bei der sich die beiden Chefs nur auf den Stuhl des jeweils anderen setzen und beobachten, wie ein Opern- und Institutsbetrieb abläuft. Die Leiter beider Institutionen wollen mit dem Ämtertausch ihr Führungsverständnis, ihre eigenen Arbeitsprozesse und sogar Arbeitsziele anhand der gemachten Erfahrungen neu betrachten.

Der Ämtertausch soll beide Institutionen dazu motivieren, ihre Organisationskultur und Organisationsprozesse zu reflektieren.Opernintendant und Instituts-Präsident hoffen, dass das Projekt Wechsel/Wirkung Schule machen wird und zur Nachahmung anregt. Beide sind offen für weitere Ämterwechsel mit weiteren Institutionen und Unternehmen.

Das Wuppertal Institut erforscht und entwickelt «Leitbilder, Strategien und Instrumente für Übergänge zu einer nachhaltigen Entwicklung auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene». Im Zentrum stehen laut Eigencharakterisierung der Institution Ressourcen-, Klima- und Energieherausforderungen in ihren Wechselwirkungen mit Wirtschaft und Gesellschaft. Die Analyse und Induzierung von Innovationen zur Entkopplung von Naturverbrauch und Wohlstandsentwicklung bilden einen Schwerpunkt der Forschung.

ETH-Auszeichnung für Musik-Game

In der Kategorie 2, Studierende bis 25 Jahre, wurde das musikalische Lernspiel «Musa» von Silvia Lama prämiert. Gespielt wird über die Tastatur eines Klaviers oder Keyboards.

Alfred-Escher-Denkmal in Zürich. Foto: ©rachid amrous – stock.adobe.com,SMPV

Zum 200. Geburtstages von Alfred Escher hat die ETH Zürich den Alfred-Escher-Preis ins Leben gerufen. In zwei Kategorien zeichnet sie damit ideenreiche Lernende und Gymnasiasten (Kategorie 1, 17 bis 20 Jahre) und Studierende (Kategorie 2 bis 25 Jahre) aus. Wie die ETH mitteilte, wurden aus 55 Eingaben je 5 Projekte fürs Finale ausgewählt. In der Kategorie 2 ging der erste Preis an Silvia Lama, eine 23-jährige ETH-Studentin am Departement für Management, Technologie und Wirtschaft.

In der dreiminütigen Präsentation sagte sie, sie wolle die Begeisterung der Kinder für Computerspiele nutzen, um sie beim Instrumentalspiel bei der Stange zu halten. Das in italienischer Sprache angelegte Game «Musa» erkennt Töne von Tasteninstrumenten und leitet die Kinder so durchs Spiel. Entwickelt wurde es für Android, eine Apple-Version ist am Entstehen.
 

Weiterhin Lotteriegelder für Kultur

Der Berner Regierungsrat überarbeitet das kantonale Lotteriegesetz und passt es dem neuen Bundesrecht an. Gemeinnützige Vorhaben, vornehmlich aus den Bereichen Kultur und Sport, sollen weiterhin aus Lotteriemitteln unterstützt werden.

Foto: KFM/pixelio.de

Heute stehen dem Kanton Bern gut 50 Millionen Franken jährlich zur Verfügung, um gemeinnützige Vorhaben in Bereichen wie Kultur und Sport zu unterstützen. Davon profitieren jedes Jahr hunderte von Vereinen und Institutionen für ihre gemeinnützigen Vorhaben. Das neue Kantonale Geldspielgesetz soll die Mittelverteilung weiterhin sicherstellen. Es führt dabei gewisse Neuerungen und Präzisierungen bei den Zuwendungsbereichen ein. So sollen künftig auch Gelder an gemeinnützige Projekte aus dem Bereich Jugend und Gesellschaft fliessen können. Die Subventionierung staatlicher Aufgaben durch Reingewinne aus Lotterien und Sportwetten bleibt weiterhin unzulässig.

Der Regierungsrat hat die Vernehmlassung zur Gesetzesänderung bis 21. Mai 2019 eingeleitet. Es ist vorgesehen, dass der Grosse Rat die Gesetzesänderung in der Frühlingssession 2020 in erster Lesung beraten wird. Das neue Recht muss spätestens am 1. Januar 2021 in Kraft treten.
 

Verlinkter Bildnachweis: KFM / pixelio.de

Ehrungen für Sina

Sina gehört zu den Aushängeschildern des Mundartpop. Nun ist sie nicht nur als erste Frau bei den Swiss Music Awards für ihr Lebenswerk geehrt worden. Sie belegt mit ihrem neuen Album auch den Spitzenplatz der Schweizer Hitparade.

Sina (Bild: zvg)

Bei den Swiss Music Awards ist Sina im KKL Luzern der Outstanding Achievement Award für ihr Lebenswerk überreicht worden. Dazu eroberte sie mit ihrem neuen Album «Emma» auch den Thron der Offiziellen Schweizer Hitparade. Für diesen Erfolg zeichnete sie Andy Renggli, General Manager Schweiz von GfK Entertainment, im Rahmen des Events mit einem Nummer 1 Award aus.

«Emma» ist Sinas dritte Platte nach «Wiiblich» (1995) und «Ich schwöru» (2011), die an die Spitze der Schweizer Hitliste gelangt. Gleichzeitig ist es ihr elftes Top-10-Album. Rechnet man sämtliche Platzierungen zusammen, so dominierte Sina im Laufe ihrer Karriere 169 Wochen das Ranking.

Der von GfK Entertainment und IFPI Schweiz ins Leben gerufene Nummer 1 Award der Offiziellen Schweizer Hitparade ehrt nationale Künstler, die auf Platz eins der wöchentlich erstellten Musik-Hitliste stehen. Er wurde im Oktober 2016 eingeführt.

 

Ein für die Componisten gefährlicher Dichter

Über 3000 Musikwerke hat Georg Günther in seinem Kompendium aufgelistet: alles Vertonungen von Texten Friedrich Schillers.

Schiller-Denkmal in Mainz. Foto: Dieter Schütz/pixelio.de

Neben dem 500-seitigen Verzeichnis der Vertonungen von Texten Alexander Puschkins, das Ernst Stöckl 1974 für den Verlag VEB Leipzig zusammengestellt hat, präsentiert sich das Kompendium von Georg Günther zu den Schiller-Vertonungen mit seinen über tausend Seiten noch komfortabler. Bescheiden dagegen nimmt sich das Verzeichnis der Goethe-Vertonungen aus, das Willi Schuh vor mehr als 60 Jahren vorgelegt hat. Dennoch war Schiller anscheinend nur im 19. Jahrhundert der am häufigsten vertonte deutsche Dichter. Goethe, Heine, Eichendorff oder Rückert haben ihn später «überrundet». Es hiess aber schon zu Schillers Lebzeiten, dass er «ein für die Componisten gefährlicher Dichter» sei, da er sich zu viele Freiheiten im Versmass nehme oder seine Lyrik sich zu sehr an den Verstand statt an das Gefühl richte. Aber immerhin sind 3053 Objekte von Schiller aufgelistet, welche auf irgendwelche Weise mit Tönen kombiniert worden sind.

Man könnte denken, dass auch in der Schweiz Festgesänge, Schiller-Kantaten, Schiller-Märsche und Fest-Ouvertüren in den Jubeljahren Konjunktur hatten, der Wilhelm Tell war ja auf verschiedene Weise musikalisierbar. Auffällig ist aber die reservierte Haltung der Schweizer Komponisten: Hans Georg Nägeli ist mit 13 Nummern vertreten, Lothar Kempter mit vier Vertonungen, Heinrich Sutermeister mit einer Kantate (ein Kompositionsauftrag der Schweizer Landesausstellung 1964), von Hans Huber ist eine Tell-Sinfonie für grosses Orchester (1881) aufgelistet, von Paul Huber ein einziges Lied für Sopran, Klavier und Horn (1966). Weder Arthur Honegger, Othmar Schoeck, Peter Mieg, Albert Moeschinger noch Rudolf Kelterborn haben sich mit Schiller beschäftigt.

Auf der Suche nach dem Namen von Arthur Honegger bin ich aber auf Otto Jägermeier (1879–1933) gestossen, der auf Seite 605 mit einem hübschen Werktitel aufgelistet ist: Marie Tell et Guillaume Stuart à Reims. Tragédie à la Potpourri en forme d’une Mélodrame après Frédéric Rellisch. Textbearbeitung Joe G. Weth. Deklamation mit Klavierbegleitung und drei obligaten gedämpften Zimbeln. Schön, dass der Name Jägermeiers den Weg auch in diese lexikalische Aufbereitung gefunden hat; er, der 1972 im Riemann-Musiklexikon erstmals aufgetaucht ist, ohne je existiert zu haben, und doch heute in beinah allen einschlägigen Lexika zu finden ist! Dies alles ist dem Autor des Schiller-Kompendiums bestens bekannt; er fügt deshalb dem Werktitel eine umfangreiche Information bei, worin selbst er noch neue Details beisteuern kann und damit das Spiel, das Herbert Rosendorfer vor beinahe 50 Jahren in Gang gesetzt hat, noch um eine Runde erweitert. Übrigens ist Otto Jägermeier 1933 in Zürich gestorben und liegt auf dem Friedhof Fluntern begraben, nicht unweit von James Joyce.

Zu den Entdeckungen in diesem Buch gehört auch, dass Jürg Kienbergers Tell-Schauspielmusik von 2012 schon erwähnt ist und dass Arnold Schönberg nach 1883 eine Fantasie über Die Räuber für grosses Orchester geschrieben habe, deren Material aber verschollen sei. Noch viel ergiebiger aber ist der Umweg über Rossinis Guillaume Tell zu den von der Zensur erzwungenen sieben alternativen Titeln: Hofer, the Tell of the Tyrol für London 1830, Andreas Hofer deutsche Fassung für Berlin 1830, Le Governatore Gessler e Guglielmo Tell für Lucca 1831, Karl Smily (Karl der Kühne), russische Fassung für Sankt Petersburg 1836, Guglielmo Vallace für Mailand 1836, Rodolfo di Sterlinga für Rom 1840 und Carlo il Temerario für Sankt Petersburg 1847. Ausserdem werden bei der Bearbeitung des Wilhelm Tell von Julius Kapp aus dem Jahre 1934 die Änderungen aufgezeigt, welche «durch die aktuellen Ereignisse in Deutschland» notwendig geworden waren, um der nationalsozialistischen Ideologie Genüge zu tun: «Ich habe absichtlich das Schweizer Lokalkolorit auf das Mindestmass beschränkt und den Freiheitskampf eines Volkes und das Schicksal seines Führers allgemein menschlich zu gestalten versucht», schrieb Kapp über seine Adaption. Im Weiteren erfährt man von ihm auch, dass massive Eingriffe in die Musik vorgenommen worden sind.

Das umfangreiche Material der über 3000 Werke von 1700 Komponisten ist benutzerfreundlich unterteilt, mit Register und allen zur Verfügung stehenden Verlagsangaben versehen. Schade ist nur, dass im E-Book keine Suchfunktion für Namen und Titel integriert ist; nur die einzelnen Kapitel können direkt angesteuert werden.

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Georg Günther: Friedrich Schillers musikalische Wirkungsgeschichte – ein Kompendium,
1070 S., E-Book Fr. 114.50, Hardcover Fr. 134.00,
Verlag J. G. Metzler, Stuttgart 2018,
ISBN 978-3-476-04620-8

Neue Sicht auf Szymanowskis Leben

Die Biografie, von Danuta Gwizdalanka auf Polnisch verfasst, ist auch auf Deutsch erschienen.

Villa Atma in Zakopane, wo Szymanowskis ab 1930 wohnte. Foto: David Conway/wikimedia commons

Die Literatur über den bedeutendsten polnischen Komponisten aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, Karol Szymanowski (1882–1937), ist in Buchform immer noch recht schmal. Jetzt liegt mit einer Neuerscheinung von Danuta Gwizdalanka erstmals eine umfangreiche Veröffentlichung vor. Sie wirft neues Licht auf die Biografie eines Musikers, der seine Homosexualität bis zum Lebensende vor seiner Mutter verbarg. Wie aus seinen Briefen hervorgeht, die von der Szymanowski-Spezialistin Teresa Chylińska herausgegeben wurden, bekannte der 27-jährige Komponist: «Mama ist meine erste und meine letzte Liebe.»

Mit «Leben mit der Familie» und ausführlichen Auskünften über die weit verzweigte Verwandtschaft beginnt die bescheiden illustrierte Biografie ebenso intim, wie sie endet. Aus dem Kapitel «Der Narziss und die Mimose» ist mehr Unbekanntes zu erfahren als etwa aus dem Werkkommentar zu den 12 Etüden op. 33, mit denen Szymanowski die Klaviermusik revolutionierte. «Der nach Huldigungen lechzende Künstler», wie die Autorin schreibt, der an «übersteigertem Ehrgeiz» und Neurasthenie litt, war nicht nur Kettenraucher, sondern auch Alkoholiker. Zu den Vorzügen des Buches gehört nebst sehr informativen Zitaten und detailreichen Einsichten in die Psyche des neurotischen Künstlers die Schilderung, welche Anregungen der Komponist seinen Reisen in den Süden, nach Paris, Wien, Berlin und in den Orient verdankt.

Als ob das EU-Land Polen nicht zu Europa gehören würde, erscheinen Szymanowskis Aufenthalte getrennt in den Kapiteln «In Europa» und «In Polen». Während «Der Nationalkünstler» breit gewürdigt wird, kommt die posthume Werkrezeption im Kapitel «Das Leben nach dem Leben» mit nur gerade zwei Druckseiten aus. Als Sterbeort nennt die Autorin «ein spezialisiertes Sanatorium in Lausanne», ohne zu präzisieren, dass es sich um die von Dr. Dufour geleitete Clinique du Signal handelte. Eine «Chronik von Leben und Werk» rundet zusammen mit einem Literaturverzeichnis und Personenregister die an vielen Wiederholungen leidende Publikation ab.

Anders als die Werbung behauptet, handelt es sich hier nicht um die «erste Szymanowski-Biografie in deutscher Sprache». Das Buch wurde polnisch geschrieben und von Peter Oliver Loew übersetzt, nachdem schon polnische Buchpublikationen von Stanisław Golachowski 1982 in Leipzig, 1983 in Krakau und 1986 die Anthologie Über Karol Szymanowski in Warschau in deutschen Übersetzungen veröffentlicht worden waren.

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Danuta Gwizdalanka: Der Verführer. Karol Szymanowski und seine Musik, Aus dem Polnischen übersetzt von Peter Oliver Loew, 292 S., € 27.10, Harrasowitz, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-447-10888-1

Generalbass «begreifen»

Die Einführung in den Basso continuo von Diez Eichler ist übersichtlich und macht Lust, die Beispiele sofort in die Praxis umzusetzen.

 J. S. Bach: Symbolum Nicenum aus der h-Moll-Messe, bezifferter Bass. Quelle: wikimedia commons

Wer sich mit der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts beschäftigen will, muss die Grundlagen des Generalbassspiels beherrschen – ein dornenvolles Unterfangen, denn entweder klingt er nicht gut oder er steht im Widerspruch zu den einschlägigen Quellen, und in der Musiktheorie wird Generalbass zum Teil ganz anders abgehandelt. Kein Problem für Diez Eichler: Er erklärt ihn in einfachen Worten und bringt zahllose Notenbeispiele (in moderner Umschrift) aus den einschlägigen deutschsprachigen Traktaten des frühen 18. Jahrhunderts (Heinichen, Niedt, Mattheson).

Damit erreicht er, dass man sich gleich hinsetzt, liest und sogleich selber spielt, also im doppelten Sinn «begreift». In logischer Aufeinanderfolge erklärt er die damaligen Gewohnheiten der Bezifferung – eben auch das nicht eigens Bezeichnete – und sorgt dafür, dass man den Generalbass unmittelbar in die Finger bekommt. Eichler beschränkt sich zu Recht auf den deutschen Basso continuo des Hochbarock, vermittelt aber immer wieder Ausblicke auf die französische oder italienische Praxis, ja benennt sogar die Differenzen zum heutigen Sprachgebrauch der Musiktheorie – stets ohne quellenversessenen Mahnfinger; denn der Benutzer will ja alles möglichst ebenso kompetent wie unbelastet in die Praxis umsetzen. Der Cembalist und Generalbasslehrer Diez Eichler will somit die Vorstufe zu Jesper Christensens Grundlagen des Generalbass-Spiels (1992) liefern, und das ist ihm gelungen. Zusätzlich fügt er noch ein Übungsheft bei mit unausgesetzten Bässen, verzichtet aber auf Lösungsvorschläge, weil diese sich allesamt in den Notenbeispielen aus den Originalquellen im Hauptheft leicht finden lassen.

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Diez Eichler: Generalbass. Eine Einführung. Nach historischen Quellen, 82 S., € 19.90, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-7651-0453-4

Ausgewähltes von Froberger

Peter Wollny hat vier Werke aus Johann Jacob Frobergers «Libro Secondo» herausgegeben.

Froberger-Gedenkstein vor Schloss Héricourt, Haute-Saône. Foto: A.BourgeoisP/wikimedia commons

Die herausragende Figur in der Geschichte der Musik für Tasteninstrumente im 17. Jahrhundert war zweifellos Johann Jacob Froberger (1616–1667). Er kann als wesentlicher Promotor der Suite (Partita) im Spannungsfeld zwischen der französischen Tanzkultur und der deutschen Ordnungsliebe betrachtet werden, und seine Tokkaten und kontrapunktischen Werke, welche italienische und deutsche Stilelemente zusammenführen, bilden Ausgangspunkte für Buxtehudes und Bachs Orgelwerke. Bei den Cembalisten und Organisten Allgemeingut, wird Froberger auch gelegentlich von Pianisten wie Grigori Sokolow in Klavierabenden berücksichtigt.

Nun legte der Leipziger Musikwissenschaftler Peter Wollny zu 400. Geburtstag des Komponisten eine Auswahl von vier Werken vor, die alle dem sorgfältigen Autograf von Frobergers Libro Secondo (A-Wn, Mus. Hs. 18706) entstammen. Dazu musste lediglich die Übertragung von Frobergers abweichenden Liniensystemen und Schlüsselungen in die heute gängige Schreibweise geleistet werden. Da aber, wo spieltechnische Probleme wegen zu grosser Handumfänge entstehen und wo eine lesefreundliche Verteilung auf die beiden modernen Notensysteme notwendig gewesen wäre, lässt Wollnys Notation Benutzerinnen und Benutzer im Stich.

Die verlegerischen Interessen an einer solchen Edition mögen berechtigt sein, als wissenschaftliche Leistung bleibt sie weit hinter der Ausgabe von Siegbert Rampe (Bärenreiter, 1993, BA 8063) zurück. Wo Rampe fein zwischen verschiedenen Balken mit je anderem Aussagewert punkto Artikulation unterscheidet, gleicht Wollny einfach an. Wo Rampe das gattungstypische Fehlen von Taktstrichen berücksichtigt, setzt Wollny wenigstens Mensurstriche. Wollnys Vorwort ist ausgesprochen kurz, die wenigen textkritischen Anmerkungen sind dort sogleich integriert. Vergleicht derjenige, der mehr als nur vier zufällig ausgewählte Stücke von Froberger kennenlernen will, den Aufwand dieser Ausgabe (anhand eines allgemein zugänglichen Digitalisats [S. III]) mit demjenigen von Rampes Forschungen, welche dann auch zu leicht lesbaren Varianten im Haupttext geführt haben, so sieht er rasch, dass er sich für die ältere Edition zu entscheiden hat. Dass auch Wollny sein Produkt auf diesen Vorarbeiten fussen liess, allerdings ohne dies in angemessenem Umfang anzumerken, wird einzig aus den Nummerierungen der Stücke nach Rampes Froberger-Werkverzeichnis (FbWV) klar.

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Johann Jacob Froberger, Ausgewählte Werke für Tasteninstrument, hg. von Peter Wollny, HN 1361, € 10.00 G. Henle Verlag, München 2016

Einer der geachtetsten Universalmusiker seiner Zeit

Friedrich Schneider (1786-1853) war ein überaus produktiver Komponist. Ein erster Teil seiner Klaviersonaten ist nun erschienen.

Friedrich Schneider, Stahlstich um 1855 von L. Sichling nach einem Porträt von G. Völkerling (1852) / wikimedia commons

Der Komponist Friedrich Schneider (1786–1853) dürfte den meisten eine unbekannte Grösse sein. Sein Name taucht immerhin im Zusammenhang mit Beethovens 5. Klavierkonzert auf. Er war nämlich der Solist bei der Uraufführung im Leipziger Gewandhaus. Das kam sicher nicht von ungefähr: Schneiders pianistische Fähigkeiten waren offenbar sehr beachtlich. Und so verwundert es nicht, dass er schon in jungen Jahren zahlreiche Klavierwerke schrieb, darunter nicht weniger als 42 Sonaten. Ulrich Urban hat sich nun darangemacht, diese in vier Bänden bei Breitkopf & Härtel zu veröffentlichen. Band 2 ist in einer sorgfältigen Urtextausgabe bereits erhältlich.

Es lohnt sich, die Werke genauer anzuschauen. Erwartungsgemäss versteht sich Schneider auf einen gut spielbaren und brillant klingenden Klaviersatz. Auch das kompositorische Handwerk ist tadellos; die Harmonik mindestens auf der Höhe der Zeit. Einflüsse von Beethoven oder Haydn sind sicher da, aber gelegentlich denkt man sogar an zukünftige Meister, besonders in der A-Dur-Sonate op. 76 von 1806. Da klingt es stellenweise fast wie in Schuberts grosser Sonate gleicher Tonart. Erstaunlich, denn diese entstand ja erst 22 Jahre später!

Woran liegt es also, dass diese Musik trotz solcher Qualitäten in Vergessenheit geriet? Nun, dafür gibt wohl mehrere Gründe. Vor allem: Die Themen sind oft zu wenig packend und originell, als dass sie sich für eine Weiterentwicklung der musikalischen Gedanken eignen würden. Stattdessen werden die Formteile einfach mit virtuosen Sequenzen verbunden. Der Klaviersatz klingt zwar angenehm, ergeht sich aber zu oft in stereotypen Floskeln. Am wenigsten von solchen Mängeln betroffen ist wohl die Grande Sonate in f-moll op. 27. Hier herrschen eine Ökonomie und Konzentration der Mittel vor, besonders im 3. Satz «Largo» mit seinem eindrucksvollen Spiel um Licht und Schatten.

Friedrich Schneider mag genannte Mängel vielleicht auch selber gespürt haben. Ab 1815 komponierte er kaum noch für das Klavier, dafür umso häufiger für Orchester und Chor: 23 Sinfonien,16 Oratorien und unzählige Kantaten flossen aus seiner Feder. Und als Komponist, Hofkapellmeister, Dirigent, Pianist, Organist, Pädagoge und Organisator von Festspielen war er einer der geachtetsten Universalmusiker seiner Zeit.

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Friedrich Schneider: Sämtliche Kaviersonaten, Band II (Sonaten mit Opuszahl), hg. von Ulrich Urban, EB 8942, € 44.90, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2018

Extrem gegensätzliche Stücke

Zwei neue Werke für Harfe, «Calembredaine» und «Ganagobie», von Bernard Andrès versprechen Spass und Stimmung.

Prieuré de Ganagobie, Schiff, Mosaik Nr. 11. Foto: Jochen Jahnke/wikimedia commons

Der Komponist und Harfenist Bernard Andrès hat in den Jahren 2012 (Calembredaine) und 2013 (Ganagobie) zwei Werke komponiert, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Hinter den für uns Deutschsprachige verheissungsvollen Titeln verbergen sich Welten: Calembredaine heisst «alberner Spass», während Ganagobie der Name eines Benediktiner Klosters in der Haute Provence ist. Dementsprechend unterscheidet sich auch die Musik!

Zuerst zu Calembredaine: ein wahrhaft witziges Stück, kurzweilig und spritzig. Es ist im 6/8-Takt geschrieben, spielt mit rhythmischen Verschiebungen und Offbeats. Durch kurze Pausen werden Überraschungen erzeugt, die einen tatsächlich an der Nase herumführen. Dem Stück liegt mehrheitlich ein eigener Modus zu Grunde, der ein bisschen an arabische Musik erinnert. Das heisst, dass nur wenige Pedalwechsel vorkommen, es jedoch auf einer Pedalharfe gespielt werden muss. Nur vier Seiten dauert der Spass, hat Schwung und wirkt packend. Neben den gewöhnlichen Spieltechniken kommen auch die für Andrès typischen «Sons Xylo» und «Sons Pincées» vor. Bezüglich Schwierigkeit würde ich das Stück der 5. bis 6. Stufe zuordnen. Es sei hier noch auf einen Druckfehler hingewiesen: Ende Takt 25 fehlt in der linken Hand der Bassschlüssel und Ende Takt 30 dessen Auflösung zurück in den Violinschlüssel.

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Ganz anders wirkt Ganagobie: Es ist eine Suite aus fünf Sätzen. Der Viertelpuls ist durchwegs deutlich spürbar und erinnert dadurch an das auf Säulen ruhende Kloster. Die verschiedenen Sätze beschreiben eine würdevolle Stimmung: Im ersten, Le Monastère sur la Colline, sieht man das Kloster auf dem Hügel; im zweiten, Le Portail de pierre, tritt man durch das Portal ein; den alten Mönch besucht man im dritten, Le Vieux Moine; der vierte dreht sich um kosmische Mosaiken, Mosaïques cosmologiques, und der fünfte spielt unter grünen Eichen, Sous les chènes vertes. Nachdem das Stück fortissimo angefangen hat, klingt es nach elf Minuten sehr leise aus.

Bernard Andrès bedient sich verschiedener musikalischer Sprachen. Wirkt der Anfang eher impressionistisch und erinnert an Debussy, so tauchen später eher wieder romantische Harmonien und Gesten auf, um die Grösse des Klosters darzustellen. Oft füllen filigranere Sechzehntel-Bewegungen in der rechten Hand das Grundgerüst der Säulen auf, sie lassen an die Verzierungen im Kloster denken.

Das Stück ist nicht einfach zu spielen, da es mehrheitlich ruhig wirkt und selten die Spannung von Gegensätzen sucht. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass es in einem Kirchenraum schön zur Geltung käme.

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Bernard Andrès: Calembredaine pour Harpe, HA 09753, ca. € 11.40, Edition Hamelle (Alphonse Leduc), Paris

id.: Ganagobie, Suite pour Harpe, HA 09754, ca. € 17.80

Spritzige und lyrische Duette

Michael Lötsch hat traditionelle Klezmer-Stücke für zwei Flöten bearbeitet und eine Reihe von neuen Kompositionen hinzugefügt

Jüdische Musiker in Prag, 1741. Aus The prague ghetto, 1902, von Hermann, J. Telge, und Z. Winter. Foto eines Exponats im Diaspora Museum, Tel Aviv / wikimedia commons

Das in der Reihe World Music erschienene Heft für zwei Flöten enthält eine Sammlung von bekannten Stücken der Klezmer-Literatur, bearbeitet vom Herausgeber Michael Lötsch, sowie Eigenkompositionen. Die Bezeichnung Klezmer kommt aus dem hebräischen und bezog sich ursprünglich auf die Musiker. Unter Klezmer versteht man heutzutage vorwiegend instrumentale Musik, deren Repertoire vor allem aus Stücken zur Begleitung von Hochzeiten und anderen Festen besteht. Die Melodien, welche, wie es Michael Lötsch im Vorwort beschreibt, «zugleich Melancholie und Ausgelassenheit vermitteln», sind in ihrer Machart äusserst vielfältig und lassen daher auch bei der Interpretation grössere Freiheiten bezüglich Tempo, Phrasierung und Interpretation zu.

Klezmeron ist eine bekannte Melodie in d-Moll, die sich dann zu einem helleren F-Dur-Teil wendet und wieder nach Moll zurückgeht. Tish Nigun hat eher einen ruhigen Charakter und klingt sehr lyrisch. Die Eigenkompositionen von Michael Lötsch stehen den Originalen kaum nach. Revenge ist ein spritziges Stück, bei dem beide Stimmen in Terzen geführt sind, was den besonderen klanglichen Charme ausmacht. Auch die einfallsreiche Klezmer Fantasy beinhaltet ein prägnantes Thema, welches nach Zwischenteilen immer wieder aufgenommen wird. Seven Steps pulsiert durch seine dauernden Wechsel zwischen 7/8- und 4/4-Takt.

Die Duette, bei denen das thematische Material und die Begleitung auf beide Stimmen verteilt sind, bewegen sich weitgehend in der mittleren bis höheren Lage, sind für fortgeschrittene Flötistinnen und Flötisten gut spielbar und eignen sich auch für den Unterricht.

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Klezmer Flute Duets, 13 Stücke für zwei Flöten bearb. von Michael Lötsch, UE 33044, € 14.95, Universal Edition, Wien 2017

Stimmungsgeladenes Wiegenlied

Fabio Maffeis «Una Carezza infranta» für Violine und Klavier ist nicht einfach einzustudieren.

Fabio Maffei. Foto: Laurent Dubois, Bibliothèque cantonale et universitaire de Lausanne / wikimedia commons

Johann Sebastian Bachs Siciliano-Sinfonia aus dem Weihnachtsoratorium liefert das Muster zu dieser komplexen etwa sieben Minuten dauernden «gebrochenen Liebkosung» für Violine und Klavier. Es ist die 2012/2013 entstandene 18. Komposition des in der Romandie lebenden und weltweit wirkenden Komponisten Fabio Maffei.

Der durchgehende 6/8-Takt ist komplex durchwirkt mit Duolen, Quartolen, Quintolen und sich zu leidenschaftlichem Forte steigernden Läufen. Dass vor jeder Note ein Vorzeichen steht (auch bei gleichen Tönen im selben Takt und mit Auflösungszeichen vor jedem C-Dur-Ton) erschwert das Einstudieren weiter. Nach vielen atonalen Reibungen, überschwänglichen, zärtlichen und alptraumhaften Szenen mündet das Stück in ein friedliches Wegdämmern. Das ausführliche Vorwort von Vincent Arlettaz (auf Deutsch übersetzt von Verena Monnier) inspiriert die Interpretierenden.

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Fabio Maffei, Una Carezza infranta, Ninna nanna per violino e pianoforte, Fr. 20.00, Archives musicales de la Bibliothèque cantonale universitaire (BCU) Lausanne, 2017, ISBN 978-2-88888-148-3

Dramatische Kantate

Mario Venzago und das Musikkollegium Winterthur haben sich Othmar Schoecks Vertonung des Grimm-Märchens «Vom Fischer un syner Fru» angenommen.

Die «Fluh» am Greifensee, Zeichnung von Berta Tappolet im Gästebuch von Hans Reinhart, 1920. Ausschnitt aus dem CD-Cover

Mario Venzago kennt Othmar Schoecks Musik wie kein Zweiter. Dessen Chorwerke hat er mit dem MDR-Chor und -Sinfonieorchester integral eingespielt, und die CDs mit den Opern Venus und Penthesilea wurden mit höchsten Auszeichnungen bedacht. Im Mai letzten Jahres dann die konzertante Aufführung der Oper Schloss Dürande mit neuem Libretto in Bern, eine aufwendige Grosstat. Die Live-Aufnahme ist ebenfalls kürzlich erschienen (Claves CD 1902-04).

Das Musikkollegium Winterthur erinnerte letzte Saison in seinen Konzertprogrammen an die mäzenatischen Taten von Werner Reinhart (1884-1951), der auch Othmar Schoeck stark gefördert hat. Die Dramatische Kantate Vom Fischer un syner Fru hat Schoeck in enger Verbindung mit Reinhart geschrieben, ja er komponierte sie sogar teilweise in dessen Feriendomizil auf der «Fluh» in Maur am Greifensee. Uraufgeführt wurde das Werk am 3. Oktober 1930 an der Sächsischen Staatsoper Dresden.

Venzago legt die erste digitale Einspielung dieses Werkes vor, in dem der Komponist das Märchen von der machthungrigen Fischersfrau aus der Sammlung der Brüder Grimm vertont. Dabei hält sich Venzago an die plattdeutsche Version von Philipp Otto Runge, die Schoeck ursprünglich gewählt hatte. Die eigentümliche Schreibweise des Titels verweist darauf. Und tatsächlich verleiht das Plattdeutsche dem Stück eine volkstümlichere, ja archaische Note.

Schoeck selbst meinte, dass seine Dramatische Kantate auch konzertant gut aufführbar sei, denn ihm war es wichtig, die dramatische Steigerung der immer gieriger werdenden Frau in der Musik anzulegen, als «Variationen & Fuge über ein ‹uraltes› Thema». Venzago und dem Musikkollegium Winterthur gelingt es, die lyrischen Orchesterpartien immer wieder mit dramatischer Verve zu brechen und die Reize der Instrumentierung verführerisch auszuspielen.

In den zunehmend komplexer werdenden Variationen illustriert das Orchester die immer dreisteren Wünsche, welche der Fischer dem Butt im Meer vorbringt und die auch erfüllt werden. Daraus entsteht eine farblich schillernde, verinnerlichte Intensität, die die Sänger atmosphärisch trägt. So vermag Rachel Harnisch als Fru das Changieren zwischen lyrischem Gesang und virtuos exaltierten Intervallsprüngen ausdrucksstark zu gestalten.

Sehr einfühlsam zeigt sich auch Jörg Dürmüller als immer verzweifelter werdender Fischer, er singt seine Tenorpartie mit vielen Schattierungen und Farben. Dagegen setzt Jordan Shanahan die kurzen mächtigen Bassrufe des Butts aus der Tiefe des Meeres mit majestätischer Grösse. Insgesamt ein musikalisch reizvoller, engagiert interpretierter Schoeck, à la Venzago eben.

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Othmar Schoeck: Vom Fischer un syner Fru. Rachel Harnisch, Sopran; Jörg Dürmüller, Tenor; Jordan Shanahan, Bass; Musikkollegium Winterthur, Leitung Mario Venzago. Claves Rarities CD 50-1815

Auf dem fliegenden Teppich

Auf dem Album «Solo» zeigt Nicolas Stocker in völlig unterschiedlichen Stücken einen subtilen Umgang mit den melodischen Möglichkeiten von Perkussion.

Ausschnitt aus dem Cover

Nik Bärtsch, seit langer Zeit Fan, Förderer und Arbeitgeber von Nicolas Stocker, zitiert in seinem Umschlagtext den alten Witz, dass eine Band aus einer Reihe von Musikanten bestehe, dazu einem Schlagzeuger, und verkehrt die despektierliche Aussage ins Gegenteil: Ein Schlagzeuger sei tatsächlich etwas anderes als ein blosser Musiker. Denn einerseits obliege ihm die Pflicht, die urtümliche und mystische Kraft der Perkussion zu verkörpern, andererseits müsse er auch über ein Gefühl für Abstraktion, Raum und Struktur verfügen.

Der 31-jährige Komponist, Schlagzeuger, Perkussionist und Produzent Nicolas Stocker ist mit Haut und Haar ein Perkussionist in diesem Sinne. Seit seinem fünften Lebensjahr spielt er Klavier und seit dem elften Schlagzeug. Dazu ist er mit einer panoramahaften musikalischen Neugier ausgerüstet. So gehört er Nik Bärtschs akustischem Ensemble Mobile an, ist mit Gitarrist Urs Müller und Pianist Raphael Loher Teil des aufregend innovativen Trios Kali, hat aber auch die trip-hoppige Band Marylane mitbegründet. Mit dem Aufzählen seiner mannigfachen anderen Auftritte will man gar nicht erst anfangen.

Solo enthält fünf Stücke: ein kurzes Prelude, betitelt Bells for Pony, dann das viertelstündige Polyrub, zwei knapp zehnminütige Kompositionen und schliesslich eine als Postlude angesagte Reprise von Bells for Pony. Jedes Stück ist völlig anders als das vorangegangene. Alle legen sie einen subtilen Umgang mit den melodischen Möglichkeiten von Perkussion an den Tag. Polyrub beginnt mit knappen Woodblock-Schlägen, um sich in einer flotten Abfolge von lauten und weniger lauten, intensiven und weniger intensiven Passagen in beängstigende Tiefen polyrhythmischer Komplexität vorzukämpfen – ohne je Angst auszulösen, man verliere ob solcher Virtuosität den Halt auf dem fliegenden Teppich. Das faszinierende Bells for No One kombiniert den Rhythmus von lange herausgezogenen Gong-Schlägen mit Geräuschen, die an einen Sack voll rasselnder Nägel gemahnen, sowie allerhand anderen, sporadisch angeschlagenen, so weich wie melodisch klingenden Beats. Burst wiederum ergeht sich in einem druckvollen Trommelgalopp, der nichtsdestotrotz eine faszinierende Melodik freilegt. Fazit: ein rundum superbes Album.

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Nicolas Stocker: Solo. Ronin Rhythm Records RON 021 (CD und Vinyl)

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