450-jährige St. Galler Kirchenmusik

Die «Barbarini Codices» dokumentieren die Anfänge der Mehrstimmigkeit. Das Ensemble Ordo Virtutum hat die Messen, Hymnen und Sequenzen eingespielt.

Ausschnitt aus dem CD-Cover

Die einstimmigen Mess- und Vespergesänge für die Festtage des Kirchenjahres, die Manfred Barbarini Lupus im Auftrag des Klosters St. Gallen von 1561–1563 vierstimmig ausgesetzt hatte, mögen für ihre Zeit als rückständig erscheinen, dokumentieren in der lokalen Musikgeschichte aber eine Innovation. Der Komponist aus Correggio wurde nämlich eigens in die Abtei gerufen, um mit dieser A-cappella-Musik die Mehrstimmigkeit einzuführen. In der Vorrede zum Codex 443 von 1561 wird berichtet, die ans einstimmige Singen gewöhnten Mönche hätten gegen die plötzlich verordnete Polyfonie Widerstand geleistet.

Nachdem sich das klösterliche Leben im frühen 15. Jahrhundert auf zwei Mönche beschränken musste und die vormals im Kloster St. Gallen gerühmte Kultur sozusagen abgestorben war, bemühte sich Abt Diethelm Blarer von Wartensee von 1530–1564 im Zeichen der Gegenreformation um eine Wiederbelebung. Die Barbarini Codices (542 und 543) der Stiftsbibliothek sind denn auch prachtvoll illustrierte Pergamenthandschriften, die in Chorbuch-Anordnung (vier Stimmen auf je einer Doppelseite) vierstimmige Musik in Hufnagel- und Mensuralnotation überliefern. Obwohl der Buch- und Notendruck ja schon im 15. Jahrhundert erfunden worden war und Stimmhefte für jeden Sänger anstelle eines auf einem Pult aufgeklappten Folianten für die ganze Schola eine Erleichterung gewesen wäre, wurde Wert auf Repräsentation gelegt.

Nachdem Therese Bruggiser-Lanker in ihrer Dissertation Musik und Liturgie im Kloster St. Gallen in Spätmittelalter und Renaissance 2004 auf die 204 Kompositionen in den Barbarini Codices aufmerksam gemacht hatte, erlaubt es nun eine Koproduktion des Ensembles Ordo Virtutum unter der Leitung von Stefan Johannes Morent mit SWR 2, SRF 2 Kultur und der Stiftsbibliothek St. Gallen, Festmesse und Vespersätze zum Gallus-Tag, einen Hymnus zu Ehren des Heiligen Othmars und eine Sequenz von Notker I in beispielhafter Qualität zu hören.

Die Einspielung erfüllt historisch orientierte Vorstellungen mit acht Männerstimmen und Interludien, gespielt von Roland Götz auf dem Nachbau einer Baldachinorgel von 1559 durch Johannes Rohlf.

Die Neuerscheinung von Musiques suisses empfiehlt sich als wundersame Musik nicht nur in der Osterzeit.

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Manfred Barbarini Lupus: Cantus coagulatus – vierstimmige Kompositionen für Messe und Offizium für das Kloster St. Gallen (um 1560). Musiques suisses MGB CD 6286

Vom Geschlecht der Macht

Zum 400. Todestag ist Shakespeare überall. Wie in Basel und Zürich boomen darum Neuinszenierungen von Verdis «Macbeth». Anlass für eine Auseinandersetzung mit den Geschlechterrollen in dieser Oper, die das Klischee von der Vernichtung sterbenskranker Frauen in Verdi-Opern weit hinter sich lassen.

Foto: Opernhaus Zürich/Monika Rittershaus

Die Schlüsselstelle findet sich in der Mitte der Oper. Im übernatürlich geprägten, spektakulären dritten Akt erscheint als letzter in einer Reihe stummer Geister vergangener Könige der Heeresführer Banco. Von ihm getötet und selbst nie König, hält er Macbeth grinsend den Spiegel der Macht vor: Banco sieht in ihm nicht nur sich selbst, sondern die Verlängerung seiner selbst in die Zukunft; die Fortführung seiner Macht in der Nachkommenschaft. Nicht den äusseren Körper reflektiert das Glas, sondern es verweist auf den Herrschaftskörper, der unabhängig von physischer Präsenz existiert. Würde Macbeth in den Spiegel blicken, er bliebe blind: Der kinderlose Kindsmörder sähe sich selbst ohne Zukunft, seine Taten würden zur Vergänglichkeit, seine Macht zum Untergang verurteilt.

Innensicht und Aussensicht
In Bancos Spiegel verkehrt sich zudem der Verlauf der Handlung, Machtaufbau wird zu Machtzerfall. Doch auch darüber hinaus prägt der Blick in den Spiegel die Oper, denn zentral steht die Frage: Was ist äusserlich sichtbar, was bleibt Innensicht, was ist «real», was «Wahn». Das bezieht sich nicht nur auf Geräusche – wie die Glocke, die Macbeth zur Mordtat anzufeuern scheint, oder die Stimmen der Hexen und Geister –, sondern auch auf Sichtbarkeiten: Wer sieht sie tatsächlich, die Geister der Ermordeten, das Blut an den Händen der Mörderinnen und Mörder und nicht zuletzt die ersten Protagonistinnen der Oper, die Hexen:

«Wer seid ihr? Aus dieser Welt
oder anderen Sphären?
Euch Frauen zu nennen, verbietet mir
euer schmutziger Bart.»

In diesen Worten Bancos wird zu Beginn bereits deutlich, dass die Wirkungsmacht der Hexen auch in ihrer Zwischengeschlechtlichkeit besteht, die ihre Jenseitigkeit unterstreicht. Zwischen den Geschlechtern steht auch Lady Macbeth, deren Machthunger sie verächtlich auf ihren zu Beginn zögerlichen Mann und seine Schuldgefühle blicken lässt. Und auch diese Rolle verkehrt sich in Bancos Spiegel: Nach dem Blick in die Zukunft ist Macbeth skrupellos siegessicher und die Lady geht an ihren Schuldgefühlen im schlafwandelnden Wahn zugrunde. Das Paar wirkt, wie es Freud bei Shakespeare schon beschrieben hat, als sich ergänzende Einheit mit flexiblen Geschlechterrollenzuschreibungen.

Lotsen für das Publikum

Seit letztem Jahr bietet der Heidelberger Frühling eine Akademie für Musikjournalismus an. Bericht von der Ausgabe 2016 mit gestandenen Profis wie Eleonore Büning und Max Nyffeler und einer Reihe junger Unerschrockener.

Foto: Heidelberger Frühling / studio visuell photography

Die Notebooks sind aufgeklappt. Die Kaffeekanne wandert von Tisch zu Tisch. In vier Stunden ist Deadline für das erste Festivaljournal des Heidelberger Frühlings. «Nun ist es vorbei mit der Plauderei der letzten Tage», sagt Eleonore Büning, Musikredakteurin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), und lässt im Robert-Schumann-Zimmer der Stadthalle gleich eine Kritik auf die Leinwand projizieren. Die zehntägige Akademie Musikjournalismus unter ihrer Leitung findet in diesem Jahr erst zum zweiten Mal statt. Die acht Plätze werden an junge Musikjournalisten vergeben, die schon publiziert haben und sich auch aktiv mit Musik auseinandersetzen. Dieses Jahr sind zwei Sänger und ein Cellist dabei, eine Organistin und mit Anna Lang auch eine Teilnehmerin, die gleich sechs verschiedene Instrumente spielt. Thilo Braun studiert Musikjournalismus in Dortmund und ist freier Mitarbeiter beim Kulturradio WDR3. Seine Kritik über ein Konzert der Geigerin Tianwa Yang mit dem Pianisten Nicholas Rimmer am Vorabend wird kollektiv redigiert. Es geht um einen guten Einstieg, die richtige Balance («Sie dürfen die Texte nicht überwürzen!»), die Auflösung von Relativsätzen und immer wieder um die passende, genaue Formulierung. «Bei ‹Entschlüpfen› denke ich an eine schleimige Angelegenheit», konstatiert Büning trocken und sucht gemeinsam mit den Akademiestipendiaten nach Alternativen. Zehn Minuten lang wird an dem Satz gefeilt. «Zarte Liegetöne aus Yangs Geige kontrastierten zum Rumor der Nachschläge im Klavier» lautet die endgültige Version, die am nächsten Tage im Festivaljournal zu lesen ist.

Plädoyer für den Berufsstand
«Heute findet jede Zeitung grössere Verbreitung durch Musikkritiker», textete Georg Kreisler noch in den 1960er-Jahren. Und definierte in seinem bösen Lied gleich das Berufsbild: «Es gehört zu meinen Pflichten, Schönes zu vernichten als Musikkritiker.» Heute wird die Musikkritik in den Zeitungen an den Rand gedrängt. Die Texte werden kürzer und seltener. In Redaktionskonferenzen spricht man abfällig von Rezensionsfriedhöfen und Special-Interest-Texten, die wegen des Themas und des Fachvokabulars sowieso keiner lese. Tatsache ist, dass noch nie so viel Klassische Musik in Konzertsälen, Festivals und Opernhäusern gehört wurde wie derzeit. Bereits 2011 hatten in Deutschland laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung Klassikveranstaltungen (Konzerte, Oper, Operetten) mehr Besucher als Popkonzerte und Musicals. Was also in der Krise stecke, sei nicht die Klassik, sondern der Musikjournalismus, ist im Programmbuch des Heidelberger Frühlings zu lesen. «Für mich ist eine gute Musikkritik die beste Art der Musikvermittlung», sagt Intendant Thorsten Schmidt. «Musikkritiker sind Lotsen für das Publikum. Das Schreiben über Musik hilft dem Sprechen darüber.» Deshalb hat er 2015 die Akademie Musikjournalismus ins Leben gerufen. Und mit Eleonore Büning (64) die vielleicht wichtigste Musikkritikerin Deutschlands dafür gewonnen. Das Zurückdrängen der Berichterstattung über klassische Musik hat sie auch bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erlebt. Bis 2004 gab es noch vier Musikredakteure, seit 2012 ist sie die einzige Verantwortliche für den Bereich Klassik. «Inhalte orientieren sich an der Quote, Geplauder ersetzt Kompetenz, Reklame ersetzt den Diskurs», schreibt sie im Leitartikel des Akademiejournals. Der ökonomische Druck auf die Zeitungen sei hoch durch die Abwanderung des Anzeigengeschäfts ins Internet, dieser Prozess ist für sie «unaufhaltsam und irreversibel». In der Musikjournalisten-Akademie möchte Büning die Teilnehmer handwerklich fit machen für die Zukunft. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Onlinejournalismus. Für längere Texte, die auch Hörbeispiele einbinden, werden Storyboards erstellt. Die eigene Website www.musik-journalismus.com haben die beiden letztjährigen Stipendiaten Christopher Warmuth und Malte Hemmerich mit neuem Kacheldesign ausgestattet.

Überhaupt entsprechen die acht jungen Musikjournalisten so gar nicht dem Klischee des leidenschaftslosen, von Georg Kreisler karikierten Kritikers («Ich hab zwar ka Ahnung, was Musik ist, denn ich bin beruflich Pharmazeut. Aber ich weiss sehr gut, was Kritik ist: Je schlechter, umso mehr freun sich die Leut»). Keine kauzigen Klassiknerds sind in der Musikjournalismus-Akademie zu erleben, sondern kommunikative Digital Natives, deren Musikbegeisterung in jedem Moment zu spüren ist. Sie hören interessiert zu und fragen nach, wenn der Schweizer Musikjournalist Max Nyffeler (Jahrgang 1941) aus dem Nähkästchen plaudert und die schwierig gewordenen wirtschaftlichen Bedingungen thematisiert. «Gerade beim Radio haben in den letzten Jahren die Sendeplätze für Beiträge, die sich mit klassischer und vor allem auch zeitgenössischer Musik auseinandersetzen, extrem abgenommen. Die Honorare wurden halbiert oder zum Teil geviertelt. Und bei den Zeitungen sieht es nicht besser aus.» Die jungen Musikjournalisten wie Anna Lang (23) aus Karlsruhe lassen sich aber davon nicht abschrecken. Sie möchten sich thematisch breit aufstellen und sowohl Radio als auch Print bedienen. Reich werden können sie mit Musikjournalismus nicht – das ist den Stipendiaten klar. Dafür sind sie mit Leidenschaft bei der Sache. Auch Max Nyffeler hält am Ende seines Statements trotz aller Einwände ein Plädoyer für den Berufsstand: «Den Menschen die Ohren zu öffnen, sie verstehen zu lehren und Kommunikation zu ermöglichen, ist die wichtigste Aufgabe des Musikkritikers.»

www.musik-journalismus.com

HKB präsentiert innovative Kontrabassklarinette

Ein Team der Berner Hochschule der Künste (HKB) hat sich das Ziel gesteckt, die Kontrabassklarinette akustisch ideal neu zu konzipieren. Mit einer radikalen Lösung: Bei ihrem Modell werden die Klappen über eine mechatronische Steuerung betätigt.

Foto: HKB

Durch die Klappensteuerung mittels Motoren können beim Bau des Instrumentes, das die Berner «Clex» getauft haben, die Tonlöcher ideal platziert werden. Dies führe zu einer markanten Erhöhung der klanglichen Qualität bei gleichzeitiger Verbesserung der intonatorischen Spielbarkeit. Auf diese Weise verschwänden akustische und technische Kompromisslösungen.

Für Musiker ist die Umstellung auf das neue Instrument einfach, denn die traditionellen Griffweisen können beibehalten werden. Die Möglichkeiten der elektronischen Steuerung erlauben jedoch zusätzlich neue multimediale Anwendungen, was sowohl für Interpretinnen als auch für Komponisten einen erheblichen Mehrwert beim Einsatz der Kontrabassklarinette bedeuten dürfte.

Clex wird am 5. Juni 2016 um 19 Uhr im Anschluss an einen Workshop in einem Konzert im Stadtcasino Basel mit der Basel Sinfonietta der Öffentlichkeit präsentiert. Ernesto Molinari spielt die Uraufführung von zwei höchst unterschiedlichen Konzerten von Michael Pelzel und Jorge Sánchez-Chiong. Bereits um 18.15 Uhr findet ein Einführungsgespräch statt.

Bandabend im Treibhaus Luzern

Fächer wie E-Gitarre, Schlagzeug und Pop-Gesang sind an der Musikschule Luzern sehr gefragt. Dem trägt eine Band-Nacht Rechnung, die sich zu einem Treffpunkt des Rock- und Pop-Nachwuchses entwickelt hat.

Ausschnitt aus den Flyer 2016

Das Ziel der Schülerinnen und Schüler sei es meistens, in einer Band zu spielen, Konzerte zu geben und sogar eigene Songs zu schreiben, schreibt die Stadt Luzern. Um ihnen eine Möglichkeit zu geben, ihr Talent unter professionellen Bedingungen auch vor Publikum zu präsentieren, wurde vor rund zwölf Jahren von Schlagzeug- und E-Gitarrenlehrpersonen der erste Dr. Git ins Leben gerufen.

Der Name bezeichnet nicht etwa einen Doktor der Gitarre. er setzt sich vielmehr aus den Abkürzungen für Drums und Gitarre zusammen. Dieses Jahr werden zehn Bands mit über 50 Mitwirkenden in wechselnder Besetzung auftreten. Im Anschluss an die Dr. Git-Bands treten zwei weitere Formationen auf, die regelmässig zusammen proben und spielen.

Von den Kindern und Jugendlichen wird eine professionelle Haltung verlangt, denn die Zusammensetzung der Bands wechselt nach jedem Stück. Bei über 50 Mitwirkenden ist das eine logistisch wie organisatorisch anspruchsvolle Aufgabe. Zur Vorbereitung des Konzertes erarbeiten die Musikschüler mit ihren Lehrpersonen die Stücke, welche in zwei Proben gemeinsam eingeübt werden.

Infos:
Samstag, 4. Juni 2016, 19 Uhr (18.30 Uhr Türöffnung), Treibhaus, Spelteriniweg 4, 6005 Luzern

 

Tariferhöhung in deutschen Theatern

Der Deutsche Bühnenverein und die Arbeitnehmer haben eine Gagensteigerung für die an den Stadttheatern, Staatstheatern und Landesbühnen beschäftigten künstlerischen Mitarbeiter vereinbart.

Foro: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt/pixelio.de

Die Gagen werden zum 1. März 2016 für die Theater und Orchester in der Trägerschaft eines Landes um 2,3 Prozent, mindestens aber um 75 Euro erhöht, für die Theater und Orchester in kommunaler Trägerschaft um 2,4 Prozent.

Der Abschluss entspricht den Lohnerhöhungen des öffentlichen Dienstes. Dieser Lohnabschluss gilt für etwa 24’000 künstlerische Mitarbeiter der Theater und Orchester, vor allem Schauspieler, Sänger, Tänzer, Musiker, aber auch Dramaturgen, Inspizienten sowie Bühnentechniker mit überwiegend künstlerischen Aufgaben.

An den Verhandlungen beteiligt waren die Künstlergewerkschaften GDBA (Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger), die VdO (Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer) sowie die DOV (Deutsche Orchestervereinigung)

Prekäre Arbeitsbedingungen von Kunstschaffenden

Viele Künstlerinnen und Künstler arbeiten unter prekären Bedingungen, zeigt eine (nicht repräsentative) Studie der Hans-Böckler-Stiftung zur Situation – primär in Deutschland. Eine deutliche Mehrheit der Betroffenen rechnet mit Altersarmut.

Foto: m. gade/pixelio.de

2011 gab es in Deutschland über 18’000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Musiker und knapp 22’000 darstellende Künstler. Bei der Künstlersozialkasse, die Selbständigen ab einem Jahreseinkommen von 3900 Euro offensteht, waren 2014 etwa 51’000 Musikanten und über 24’000 Schauspieler und Tänzer gemeldet.

Das Nettoeinkommen liegt bei 40 Prozent unter 10’000 Euro pro Jahr. Die prekäre Einkommenssituation hängt auch damit zusammen, dass 70 Prozent der Musiker, Tänzer und Schauspieler unbezahlte Leistungen erbringen müssen. Gut 80 Prozent der Befragten empfinden ihre Beschäftigungssituation als unsicher. Defizite beim Arbeitsumfeld wie ungeheizte Räume, ungeeignete Tanzböden oder schlechte Unterkünfte stellen für die Hälfte der Künstler ein Problem dar. Fast ebenso viele geben an, dass Schutzvorschriften wie beispielsweise das Arbeitszeitgesetz teilweise nicht eingehalten werden. Ein Drittel hat Erfahrungen mit Vertragsbrüchen, Machtmissbrauch und Willkür. Fehlende Mitbestimmung bei der Arbeit kennen 25 Prozent, Mobbing 17 Prozent, sexuelle Belästigung 5 Prozent.

An der Onlineumfrage haben sich 2635 Erwerbstätige beteiligt. Zusätzlich wurden ausführliche Interviews mit 22 Künstlern, Veranstaltern, Vermittlern, Politikern sowie Vertretern von Bildungsinstitutionen und Verbänden geführt. Die Befragung ist nicht repräsentativ, erlaube aber «qualifizierte Einblicke in die Arbeitsbedingungen von Künstlern».

Link zur Studie: http://www.boeckler.de/pdf/p_study_hbs_319.pdf

St. Galler Kulturfördergesetz wird revidiert

Die Regierung des Kantons St. Gallen schickt zwei Entwürfe zur Anpassung der Kulturgesetzgebung in die Vernehmlassung: Eine Totalrevision soll das geltende Kulturförderungsgesetz an die heutigen Anforderungen und Gegebenheiten anpassen.

Barocksaal der Stiftsbibliothek St. Gallen. Foto: wikimedia commons

Das St. Galler Kulturförderungsgesetz aus dem Jahr 1995 entspreche den Anforderungen und Gegebenheiten der heutigen Kulturförderung nicht mehr, schreibt der Kanton, eine Totalrevision sei deshalb überfällig. Gleichzeitig fehle eine gesetzliche Grundlage zur Bewahrung und Über­lieferung des kulturellen Erbes in seiner Gesamtheit, insbesondere von beweglichen Kulturgütern wie beispielsweise der Handschriften und Archivalien der Stiftsbibliothek oder des Stiftsarchivs, die zum UNESCO-Weltkulturerbe Stiftsbezirk St.Gallen gehören.

Zugleich erfordert die Aufgabenteilung zwischen Kanton und Gemeinden in der Denkmalpflege, die der Kantonsrat mit dem Entlastungsprogramm 2013 verlangte, Änderungen auf Gesetzes­stufe. Auch bringen das neue Kulturförderungs- und das neue Kulturerbegesetz mit klaren Definitionen und Zielsetzungen Rechtssicherheit für alle Beteiligten.

Die Arbeiten für die neuen Kulturgesetze wurden insbesondere durch Aufträge des Kantonsrates zur Aufgabenteilung und Schwerpunktbildung in der Kulturförderung ausgelöst. Die Stossrichtungen für die neuen Gesetze wurden in den Jahren 2014 und 2015 in den kantonalen Kulturkonferenzen diskutiert. Der Entwurf des neuen Kulturförderungsgesetzes «nimmt Rücksicht auf die Heterogenität des Kantons, legt den Fokus auf starke Kulturregionen und folgt dem Grundsatz der Subsidiarität».

Die Vernehmlassungsunterlagen sind elektronisch auf der Webseite des Kantons abrufbar:
http://www.sg.ch/home/staat___recht/staat/Kantonale_Vernehmlassungen.html

 

Erste Jahresbilanz der ZHdK im Toni-Areal

Die ZHdK ist im neuen Campus Toni-Areal angekommen. Für das erste Betriebsjahr 2015 weist sie einen Gesamtumsatz von 170 Millionen Franken aus; sie zählt zur Zeit 2888 Studierende (1997 in Bachelor- und Master-Studiengängen, 891 in Weiterbildungen).

Foto: Micha L. Rieser/wikimedia commons

Die direkten Kosten für die Forschung beliefen sich 2015 laut der Mittteilung der ZHdK (Zürcher Hochschule der Künste) auf 10,6 Millionen Franken; davon sind 3,12 Millionen Franken eingeworbene Mittel. Wichtige Geldgeber sind der Schweizerische Nationalfonds SNF, die EU und diverse Stiftungen. Das Institute for Art Education der ZHdK beteiligt sich seit März dieses Jahres überdies am Horizon-2020-Projekt «Traces» (Transmitting Contentious Cultural Heritages with the Arts), einem von der EU mit 2,3 Millionen Euro und vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation mit 423‘000 Franken geförderten Projekt.

Der neu vorgestellte Kreativwirtschaftsbericht Schweiz 2016 geht davon aus, dass in der Schweiz über 450‘000 Personen in der sogenannten Creative Economy arbeiten, wovon die eine Hälfte in den Creative Industries erwerbstätig ist, während die andere Hälfte einem kreativen Beruf ausserhalb der Creative Industries nachgeht. Der abschliessend hergeleitete Begriff der Creative Economies steht für ein neues Verständnis der bisherigen Kreativwirtschaft, welches stärker die Praxen und Prozesse der Akteure ins Zentrum stellt.

Bezugsquelle für den Kreativwirtschaftsbericht:
www.creativeeconomies.com/reports/order
 

Kulturpreise des Kantons Basel-Landschaft 2016

Der Baselbieter Regierungsrat ehrt die Tänzerin Tabea Martin und die Jazzsängerin Lisette Spinnler mit den je mit 20’000 Franken dotierten Spartenpreisen Tanz respektive Musik des Kantons. Der Förderpreis Musik (15’000 Franken) geht an die Chorleiterin Abélia Nordmann.

Mit dem Spartenpreis Tanz würdigt der Regierungsrat die 1978 geborene Tänzerin und Choreographin Tabea Martin aus Oberwil. Tabea Martin hat eine beachtliche internationale Karriere vorzuweisen. Sie arbeitet für die freie Szene sowie an Stadttheatern. Ihre Projekte sind laut der Medienmitteilung des Kantons höchst professionell aufgestellt und überzeugen durch Humor, Intelligenz sowie grosses choreografisches Können.

Mit dem Spartenpreis Musik wird die 40-jährige Liestaler Musikerin Lisette Spinnler ausgezeichnet, eine erfolgreiche, international anerkannte Jazzsängerin mit Baselbieter Wurzeln, die kontinuierlich ihre Karriere verfolgt. Der Kulturkritiker Peter Rüedi bezeichnet sie als «eigentliches Sängerinnenwunder der Schweizer Jazzszene». Ihr Markenzeichen sind der Scat und ihre Fantasiesprachen.

Der Förderpreis Musik geht an die 1988 geborene Chorleiterin Abélia Nordmann. Die Musikpädagogin wuchs in Deutschland und Frankreich auf und schloss im Jahr 2013 ihren Specialised Master ab. Heute leitet sie Chöre, Ensembles und Projekte in der Region Basel und in den Nachbarländern der Schweiz. Sie ist Dirigentin des contrapunkt chor Muttenz, des professionellen Ensembles für Alte und Neue Musik novantik project basel, des Chores bâlcanto, des Projektchors ensemble liberté, des Kinder- und Jugendchores Lörrach und des grenzübergreifenden Ensemble Choeur3.

Winterthurer Übungsräume werden nicht teurer

Die Stadt Winterthur legt für die Musikübungsräume neue Mietverträge vor und verzichtet insgesamt auf eine Preiserhöhung.

Foto: Sascha Erni/flickr commons

Die Winterthurer Fachstelle Quartierentwicklung verwaltet und vermietet in der Stadt Winterthur 41 Musikübungsräume. Im Dezember 2014 kürzte der Grosse Gemeinderat den Globalkredit der Fachstelle für das Jahr 2015 um zwanzig Prozent. Als Beitrag zur Umsetzung dieses Beschlusses entschied die Fachstelle Quartierentwicklung, die Mietzinse der Musikübungsräume zu erhöhen.

Die entsprechende Ankündigung löste bei den Musikerinnen und Musikern einen Protest aus. Die Stadt musste anerkennen, dass sie teilweise unkorrekt vorgegangen war und beschloss im letzten November, auf die geplante Mietzinserhöhung zu verzichten. Gleichzeitig kündigte sie an, die Verträge und Preise bereinigen zu wollen.

Gestern Mittwochabend hat die Stadt laut ihrer eigenen Mitteilung den Mieterinnen und Mietern der Musikübungsräume an einer Informationsveranstaltung dargelegt, wie diese Bereinigung erfolgen soll. Die heute in zwei Varianten vorliegenden Verträge werden in einer vereinheitlichten Form den Mietenden zur freiwilligen Unterzeichnung vorgelegt.

Die Preise werden aufgrund eines Kriterienkatalogs den Qualitäten der Räume angepasst und damit gerechter ausgestaltet. Insgesamt erfolgt keine nennenswerte Preiserhöhung. Die neuen Verträge sollen ab September 2016 gelten.
 

Zehn Jahre Stimmforschung in Freiburg

Die Musikhochschule Freiburg i. Br. feiert ihr 70-jähriges Bestehen. Das Institut für Musikermedizin (FIM), eine gemeinsame Einrichtung der Medizinischen Fakultät der Universität und der Musikhochschule Freiburg, begeht auch ein Jubiläum: Seit zehn Jahren betreibt es Stimmforschung.

Enrico Caruso mit einer Büste seiner selbst. Foto: Library of Congress ID cph.3b09191

In Studien, die durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert werden, hat das FIM mittlerweile nahezu 50 Sänger analysiert, darunter viele, die regelmässig an Opernhäusern wie der Mailänder Scala, der Metropolitan Opera New York, den Bayreuther Festspielen oder der Staatsoper Unter den Linden Berlin auftreten.

Die Studien sind vor allem mit dynamischer Kernspintomographie (MRI) durchgeführt worden. Für die Durchführung und Optimierung der Bildgebung besteht eine enge Zusammenarbeit mit der Abteilung für Medizinische Physik der Klinik für Radiologie am Universitätsklinikum Freiburg und der Klinik für Neuroradiologie des Universitätsklinikums Freiburg.

Geleitet wird das FIM von Claudia Spahn und Bernhard Richter. Matthias Echternach, Oberarzt am Institut für Musikermedizin, hat es sich gemeinsam mit Richter mit zum Ziel gesetzt, wissenschaftlich die Frage zu klären, wie die Stimme bei Hochleistungssängern entsteht.
 

Begeistert vom Sing-Virus

Mit rund 40 fulminanten Darbietungen hat das Europäische Jugendchor Festival in der Region Basel gezeigt, dass Jugendliche auch heute mit Begeisterung singen. Ein Erlebnisbericht.

Foto: werner@laschinger.ch

Bereits zum zehnten Mal fand das Europäische Jugendchor Festival (EJCF) in Basel statt, das 1992 aus einem Ideenwettbewerb der Christoph Merian Stiftung hervorgegangen war. Mitbegründer Beat Raaflaub hält Rückschau: «Bei allen Veränderungen seit der ersten Ausgabe ist der Kerngedanke bewahrt worden: das friedliche Miteinander sehr guter Jugendchöre aus Europa und aus Übersee ohne Wettbewerbscharakter. Wir haben das EJCF als ein Festival der Begegnungen konzipiert.» Also kein Elitedenken, sondern ein Erlebnis voller Lebensfreude und Lust am Singen.

Genau dieser Leitidee entsprach die Einstimmung am Eröffnungsnachmittag: Die Chöre der Gymnasien Bäumlihof, Leonhard, Münsterplatz, Liestal, Münchenstein, Muttenz und Oberwil sangen wechselweise an verschiedenen Orten in Basel a cappella oder mit dezenter Instrumentalbegleitung. Erstaunlich, wie die Gymischülerinnen und -schüler sich im Gewusel der Stadt konzentrieren konnten. Den elf Sängerinnen und Sängern des Leonhard-Schulhauses gelangen unter ihrer mitswingenden Leiterin die Lieder formidabel. Die einen summten den Puls, zwei besonders begabte Sängerinnen gaben Soli zum Besten. Das kam an, Kinder sassen vor den Jugendlichen auf dem Boden und hörten gebannt zu, ältere Passanten blieben stehen und wippten versonnen im Rhythmus mit. Auch die gross besetzten Chöre der Gymnasien Liestal und Muttenz wussten zu gefallen. Mit dem unverwüstlichen Zogä am Bogä trafen sie die Herzen des Publikums, Mitsummen war Pflicht.

Eigene und fremde Volkslieder
Von Musikmüdigkeit, von «kein Bock auf Singen» war nichts zu spüren; das Niveau der beteiligten 18 Chöre aus ganz Europa war sehr hoch, wie das Eröffnungskonzert zeigte. Hier begegneten sich die Teilnehmerchöre nach ihrer Vorbereitung in der Heimat auf musikalischer Ebene, wie es dem Anliegen des Festivals entspricht. Jeder Chor hatte am Vormittag von einem Partnerchor ein Volkslied aus dessen Kultur gelernt, zusammen wurden die Lieder am Abend im Casinosaal dem Publikum präsentiert.

Die Darbietungen waren bunt, die Stimmung im vollen Saal fröhlich und aufgeräumt, und es gab so manches zu entdecken. Die Idee der Begegnung der fremden Kultur im Singen trug Früchte und führte zu stetem Schmunzeln. Da war etwa das Programm des phänomenalen Jugendchors Tutarchela aus Georgien. In ihren bunten Trachten sangen sie Volkslieder aus ihrer Heimat, zuerst langsam, polyfon in perfektem Zusammenklingen, dann folgte ein rascher Teil, untermalt mit Tänzen. Der als Partner zugeteilte Männerchor Zero8ʼs Youth Choir aus Schweden, spezialisiert auf Barbershop-Gesang, wurde dann in die georgische Volksmusik eingeführt, wobei zum Gaudium des Publikums einer der jungen Männer mit einem georgischen Mädchen tanzte.

Auch Schweizer Formationen waren dabei, so die zwei Knabenkantoreien Basel und Solothurn. Zu Begeisterungsstürmen hingerissen wurde man durch den Cor Infantil Amics de la Unió aus Spanien: Da wurden in virtuoser Perfektion Gesang, Geräusche und Bewegungen mit Armen und Beinen dargeboten, rhythmisch heikel durch Synkopen und wechselnde Register. Ein begeisternder Abend!

46 erste Preise mit Auszeichnung

Vom 5. bis 7. Mai haben 386 junge Interpretinnen und Interpreten der klassischen Musik das Finale des 41. Schweizerischen Jugendmusikwettbewerbs (SJMW) auf der Musikinsel Rheinau erfolgreich bestritten.

Foto: SJMW

Die Nachwuchstalente aus allen Regionen der Schweiz waren im März bei den Entradas für das Finale qualifiziert worden. Wie die Stiftung Schweizerischer Jugendmusikwettbewerb (SJMW) gestern mitteilte, wurden insgesamt 370 Preise vergeben (Solo: 241 Preise, Kammermusik: 129 Preise), davon 46 erste Preise mit Auszeichnung und 118 erste Preise. Weitere 154 junge Nachwuchstalente haben einen zweiten und 25 einen dritten Preis erhalten.

Besonders freuen konnten sich über 60 Musikerinnen und Musiker, die einen Sonderpreis entgegennehmen durften. Die Resultate sind auf der Website des Wettbewerbs aufgeschaltet.

Mit der Preisverleihung und dem Preisträgerkonzert im Stadthaussaal Winterthur am Sonntag, 8. Mai, ging die Veranstaltung feierlich zu Ende. Das
Konzert wurde vom Schweizer Radio SRF 2 Kultur aufgenommen und wird zu einem späteren Zeitpunkt ausgestrahlt.

www.sjmw.ch

 

Kulturchefin verlässt Schweizer Radio und Fernsehen

Wie das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) mitteilt, übernimmt die bisherige Kulturchefin Nathalie Wappler per November 2016 den Posten einer Programmdirektorin beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR).

Nathalie Wappler, Abteilungsleiterin Kultur. Foto: SRF/Oscar Alessio

Wappler werde, so SRF weiter, beim MDR das TV-, Radio- und Online-Programm in den Bereichen Kultur, Jugend, Bildung und Wissen verantworten. Ihre Stelle beim SRF werde intern und extern ausgeschrieben.

Wappler habe bei SRF «mit Erfolg eine trimediale Kulturabteilung etabliert, die für einen zeitgemässen Kulturbegriff steht – in Radio, Fernsehen und Internet». Sie hinterlasse eine sehr leistungsfähige Abteilung mit hochqualifizierten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Die trimediale Organisation der Abteilung und die etablierten Produktionsprozesse hätten sich bewährt, heisst es in der Medienmitteilung.

Nathalie Wappler arbeitete ab 2005 für das Schweizer Fernsehen, zuerst als Redaktorin und Produzentin von «Kulturplatz» und ab 2008 als Redaktionsleiterin der «Sternstunden». Sie startete ihre berufliche Laufbahn 1996 als Redaktorin beim 3sat-Format «Kulturzeit», danach war sie unter anderem für «aspekte» und «Berlin Mitte» beim ZDF tätig.

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