St. Gallen fördert Transformationen

St. Galler Kulturunternehmen können neu zusätzlich zu Ausfallentschädigungen auch Beiträge für Transformationsprojekte erhalten. Das hat die Regierung basierend auf dem eidgenössischen Covid-Gesetz entschieden.

Foto: Luis Quintero/unsplash.com (s. unten)

Seit Frühjahr 2020 und bis Ende 2021 stehen insgesamt rund 22,8 Millionen Franken für diese Unterstützungsmassnahmen im Kulturbereich zur Verfügung. Künftig sind in St. Gallen nun auch Buch- und Musikverlage sowie Vermittlungs- und Veranstaltungsprojekte von Buchhandlungen und Galerien anspruchsberechtigt.

Vorgesehen sind im Einklang mit den bundesrechtlichen Vorgaben nichtrückzahlbare Finanzhilfen in Form von Ausfallentschädigungen und neu auch von Beiträgen an Transformationsprojekte. Kulturunternehmen können für den finanziellen Schaden, der aus der Absage, Verschiebung oder eingeschränkten Durchführung von Veranstaltungen und Projekten oder aufgrund betrieblicher Einschränkungen infolge staatlicher Massnahmen entsteht, eine Ausfallentschädigung beantragen. Ebenso können sie für die Kosten, die für Transformationsprojekte entstehen, Beiträge beantragen. Damit werden Projekte unterstützt, mit denen Kulturunternehmen eine Anpassung an die veränderten Verhältnisse bezwecken und mit denen sie eine strukturelle Neuausrichtung oder Publikumsgewinnung erreichen wollen.

Kulturunternehmen können zudem Kurzarbeitsentschädigung beantragen. Kurzarbeit ist in der Regel wirtschaftlich bedingt. Als Kurzarbeit gelten auch Arbeitsausfälle, die auf behördliche Massnahmen oder andere, vom Willen des Arbeitgebers unabhängige Umstände zurückzuführen sind. Da die Ausfallentschädigungen für Kulturunternehmen subsidiär zu den Kurzarbeitsentschädigungen sind, sind Betroffene in einem ersten Schritt aufgefordert, nach Möglichkeit Kurzarbeitsentschädigung zu beantragen.

Aktuelle Informationen sind auf der Website www.sg.ch/coronavirus unter «Kultur» zu finden. Ab dem 1. November 2020 stehen die entsprechenden Gesuchsformulbare zur Verfügung.
 

Kosmos Musik Thurgau prämiert Projekte

Im Januar 2020 hat das Kulturamt Thurgau die Ausschreibung KosmosMusik-Thurgau zur Förderung von innovativen, partizipativen und genreübergreifenden Musikprojekten im Kanton Thurgau lanciert. Eine fünfköpfige Fachjury hat zwei Projekte ausgewählt.

Symbolbild: aidea.pl/stock.adobe.com

Ausgezeichnet wurde das Musiktheaterprojekt «Chronik eines Aussterbens oder der innere Klang» von Micha Stuhlmann und Beat Keller sowie die Konzertreihe «NOEISE» für zeitgenössische Musik des Trompeters Christoph Luchsinger.

Das interdisziplinäre Projekt «Chronik eines Aussterbens oder der innere Klang» wird als Freilichtspiel mit Beteiligung eines Thurgauer Chors im Frühling 2022 im Schreckenmoos in Kreuzlingen aufgeführt. In einer Performance verbinden Micha Stuhlmann und Beat Keller Musik, Theater und Tanz. Das Projekt wird zudem filmisch festgehalten. Christoph Luchsinger konzipiert eine innovative Konzertreihe, die zeitgenössische Musik einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen will und an unkonventionellen Orten stattfindet. Geplant sind bisher drei Programme, die in der Saison 2021/22 zur Aufführung gelangen.

KosmosMusikThurgau wurde im Rahmen des Förderschwerpunkts Impulse für die Thurgauer Musikszene des Kulturkonzepts 2019-2022 ausgeschrieben und richtete sich an Musikschaffende, die in Zusammenarbeit mit thurgauischen Gruppierungen aller Musikrichtungen Musikprojekte umsetzen, die einen innovativen, eigenständigen Ansatz verfolgen und die Vernetzung und Kooperation fördern.

Ausgeschrieben wurde der Wettbewerb im Januar 2020, die Eingabefrist wurde aufgrund der aussergewöhnlichen Situation wegen der Coronapandemie um zwei Monate verlängert. Bis am 30. Juni 2020 sind acht Projekte eingegangen, welche von einer Fachjury beurteilt wurden.
 

Johanna Malangré nach Amiens berufen

Laut France Musique wird Johanna Malangré, eine Studentin von Johannes Schlaefli in Zürich, 2022 Künstlerische Leiterin des Orchestre National de Picardie. Sie folgt in dem Amt auf den Niederländer Arie Van Beek.

Johanna Malangré (Bild: zVg)

Malangré ist damit nach Debora Waldman, die seit September 2020 das Orchestre Régional Avignon-Provence dirigiert, die zweite musikalische Leiterin eines ständigen Orchesters in Frankreich.

Johanna Malangré ist Absolventin der Dirigierklasse von Johannes Schläfli in Zürich. sie absolvierte überdies Meisterkurse unter anderem bei Bernard Haitink, Paavo Jarvi, Reinhard Goebel und Nicolas Pasquet. 2017 war sie Conducting Fellow der Lucerne Festival Academy, in deren Rahmen sie mit Künstlern wie Heinz Holliger und Patricia Kopatchinskaja arbeitete. Sie erhielt eine Wiedereinladung als Assistant Conductor für die Roche Young Comissions und das Academy Orchestra für 2020 und 2021.

 

Sinfonie Nr. 3 «Eroica»

Jeden Freitag gibts Beethoven: Zu seinem 250. Geburtstag blicken wir wöchentlich auf eines seiner Werke. Heute auf die Sinfonie Nr. 3 Es-Dur «Eroica».

Längst hatte Beethoven erkannt, dass die ursprünglich nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit strebende und gegen den feudalen Ständestaat gerichtete französische Revolution an ihr Ende gekommen war, als ihm ein Leipziger Verleger einen unzeitgemässen Vorschlag machte. Für eine (ungenannte) Auftraggeberin sollte er eine die Ereignisse möglicherweise programmatisch darstellende, zumindest aber reflektierende «Revolutionssonate» schreiben. Seine Ablehnung vom 8. April 1802 strotzt denn auch vor Entrüstung: «Reit euch den der Teufel insgesammt meine Herrn? – mir Vorzuschlagen eine Solche Sonate zu machen – zur Zeit des Revoluzionsfieber’s nun da – wäre das so was gewesen, aber jezt, da sich alles wieder in’s alte Gleiß zu schieben sucht, buonaparte mit dem Pabste das Concordat geschlossen – so eine Sonate? – wär’s noch eine Missa pro sancta maria a tre vocis oder eine Vesper etc – nun da wollt ich gleich den Pinsel in die hand nehmen – und mit großen Pfundnoten ein Credo in unum hinschreiben – aber du lieber Gott eine Solche Sonate – zu diesen neuangehenden christlichen Zeiten – hoho – da laßt mich aus – da wird nichts draus»

Wie sich Beethoven zu den politischen Umständen seiner Zeit konkret stellte, ob er gar mit den republikanischen Ideen sympathisierte, ist nicht eindeutig zu bestimmen. Er komponierte, offenbar ratlos gegenüber der französischen Expansionspolitik, anlässlich der österreichischen Generalmobilmachung von 1797 einen Abschiedsgesang an Wiens Bürger WoO 121 (gemeint ist das Corps der Wiener Freiwilligen), gefolgt von einem Kriegslied der Österreicher WoO 122 (1797). Nur wenige Jahre später wiederum erfuhr Napoleon als Erster Konsul in Wien grösste Wertschätzung: Beethoven begeisterte sich vor allem für dessen staatsmännische Weitsicht und den Aufbau einer Zivilgesellschaft mit bürgerlichem Recht (u. a. mit dem in weiten Teilen bis heute gültigen Code civil). Schliesslich erwog er gar eine Übersiedlung nach Paris.

Nachdem in Wien publik geworden war, dass sich Napoleon am 2. Dezember 1804 in Paris selbst zum Kaiser gekrönt hatte, verwarf Beethoven diese idealistischen Pläne allerdings vollständig. In diesem Zusammenhang steht auch die Umwidmung der Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55, wie sie der befreundete Ferdinand Ries in einer (keineswegs sicher belegbaren) Anekdote überliefert: «Bei dieser Symphonie hatte Beethoven sich Buonaparte gedacht, aber diesen, als er noch erster Consul war.Sowohl ich, als Mehrere seiner näheren Freunde haben diese Symphonie, schon in Partitur abgeschrieben, auf seinem Tische liegen gesehen, wo ganz oben auf dem Titelblatte das Wort ‹Buonaparte› und ganz unten ‹Luigi van Beethoven› stand, aber kein Wort mehr.Ich war der erste, der ihm die Nachricht brachte, Buonaparte habe sich zum Kaiser erklärt, worauf er in Wuth gerieth und ausrief: ‹Ist der auch nichts anders wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize fröhnen; er wird sich nun höher, wie alle Andern stellen, ein Tyrann werden!› Beethoven ging an den Tisch, faßte das Titelblatt oben an, riß es ganz durch und warf es auf die Erde. Die erste Seite wurde neu geschrieben, und nun erst erhielt die Symphonie den Titel: ‹Sinfonia eroica›.»

Dass Beethoven mit dieser Einschätzung richtig lag, zeigen die weiteren historischen Ereignisse. Denn nachdem Wien am 13. November 1805 von Napoleon kampflos besetzt worden war, erfolgte eine neuerliche Einnahme der Stadt erst nach schwerem Artilleriebeschuss in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai 1809. Beethoven verbrachte diese Stunden im Keller seines Bruders Kaspar Karl (1774–1815); um sein schwindendes Gehör zu schützen, soll er sich mit Kissen die Ohren zugehalten haben.


Hören Sie rein!

Winterthur regt Corona-Kulturprojekte an

Die Stadt Winterthur unterstützt kulturelle Projekte, die durch die Herausforderungen der Covid19-Pandemie angestossen wurden, mit insgesamt 100′ 000 Franken. Darunter das Projekt «ChorOnline / CaféOnline / ConcertOnline».

Bild: Screenshot der Website des Projekts «ChorOnline / CaféOnline / ConcertOnline»

Mit der Ausschreibung unterstützt die Stadt Initiativen und Projekte, die sich «mit den aktuellen Herausforderungen im Kulturbereich auf vielfältige, innovative und nachhaltige Art und Weise auseinandersetzen». Insgesamt wurden im Rahmen der Ausschreibung 34 Bewerbungen eingereicht. Für die Unterstützung von ausgewählten Projekten stand ein Budget von 100’000 Franken zur Verfügung. Die Ausschreibung wurde unterstützt durch die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG).

Folgende Projekte hat die Jury ausgewählt: Videoprojekt «Shared Set of Concerns», Sarah Hablützel und Marko Mijatovic (5000 Franken), Projekt «Kunstpost», Luca Harlacher (5000 Franken), «Kunstprojekt mit Messina», Messina (5000 Franken), Projekt «ChorOnline / CaféOnline / ConcertOnline», Franziska Welti und Lea Hagmann (10’000 Franken), Projekt «Tanz-Trail-Spiel», Astrid Künzler (10’000 Franken), Ausstellungsprojekt «System Reset. Werkzeuge für eine bessere Arbeitswelt», Museum Schaffen (20’000 Franken), Projekt «Interactive Experiences in Arts & Culture in Times of Crisis & Opportunities», Artsnext (20’000 Franken), Audiowalk «Sag mir wo die Kinder sind…», Cornelia Truninger und Liliane Weber (25’000 Franken).

 

Kultur als Wirtschaftsfaktor

Über 300’000 Kulturschaffende und eine Wertschöpfung von 15 Milliarden Franken oder 2,1 Prozent des BIP: Dies sind die wichtigsten Ergebnisse aus der neuen Statistik des Bundesamts für Statistik (BFS) zur Kulturwirtschaft in der Schweiz.

Symbolbild: Edward Howell / unsplash.com

Im Jahr 2019 gab es in der Schweiz 312’000 Erwerbspersonen, die «Kulturschaffende» im breiteren Sinne sind. Diese Zahl entspricht 6,3 Prozent der Erwerbspersonen in der Schweiz. Im internationalen Vergleich liegt die Schweiz damit am oberen Ende der Tabelle, zusammen mit Ländern wie Island, Malta, Estland, Luxemburg oder Finnland. Ein Drittel  der Kulturschaffenden ist ausserhalb des Kultursektors tätig. Mit 51 Prozent war der Anteil Frauen an den Erwerbspersonen 2019 höher als in der Gesamtwirtschaft (47 Prozent). 2019 waren zudem 28 Prozent der erwerbstätigen Kulturschaffenden selbständig, dies sind deutlich mehr als in der Gesamtwirtschaft (13 Prozent).

Während in der Gesamtwirtschaft der monatliche Medianbruttolohn 2018 bei 6857 Franken für die Männer und 6067 Franken für die Frauen lag, verdienten männliche Kulturschaffende im Kultursektor 7356 Franken, weibliche hingegen 6088 Franken. Dies ist rund 17,2 Prozent tiefer; in der Gesamtwirtschaft sind es 11,5 Prozent weniger.

Die Synthesestatistik basiert auf Erhebungen des BFS. Dabei werden nicht nur traditionelle Kulturbereiche wie etwa Kulturerbe oder bildende Kunst zur Kultur gerechnet, sondern beispielsweise auch Architektur oder Werbung. Die Kulturwirtschaftsstatistik liefert Informationen sowohl zu den Kulturbetrieben als auch zu den Kulturschaffenden.

Originalartikel:
https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/aktuell/neue-veroeffentlichungen.assetdetail.14716508.html

 

Frölichs «missaverde» in Lviv

Seit zehn Jahren leitet Fortunat Frölich seinen «choR inteR kultuR». Zum Jubiläum wird seine «missaverde» im Herbst 2021 in der Schweiz und in der Ukraine aufgeführt. Sängerinnen und Sänger können sich jetzt für das Projekt anmelden.

Der Chor reist ans Contrasts International Contemporary Music Festival 2021 in Lviv. Foto: s. Link unten,SMPV

Der Name ist Programm: Der Chor erarbeitet unter der Leitung seines Gründers Fortunat Frölich immer Projekte mit einem Partnerchor aus einem anderen Kulturkreis. Aus Anlass seines 10-jährigen Bestehens wird Frölichs metaspirituelle «missaverde» zu radikalpoetischen Texten von Beat Brechbühl einstudiert. Das Werk für Chor, Soli und Sinfonieorchester habe nichts an Aktualität eingebüsst, schreiben die Veranstalter in ihrer Mitteilung. Es wird 2021 an das Contrasts International Contemporary Music Festival in Lemberg (Lviv/Ukraine) eingeladen und dort zusammen mit ukrainischen Ensembles zur Aufführung gebracht.

Es sei ein anspruchsvolles Werk für die Teilnehmenden, wird in der Mitteilung präzisiert. Belohnt würden Teilnehmenden durch die bereichernden Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik, mit musikalischen Freiräumen und der Reise in ein unbekanntes Land, wo sie vom Lviv National Philharmonic Symphony Orchestra begleitet werden.

Zum Mitsingen und Mitreisen sind alle eingeladen, für junge Erwachsene bis 26 Jahre ist die Teilnahme kostenlos.

Einige Termine:
Zürich: 24. und 25. Oktober 2020 (Projektbeginn)
Chur: 14. und 15. November 2020 (Registerproben)
Lviv: 2. bis 10. Oktober 2021 (Proben und Konzerte in Lviv)
15. bis 19. November 2021 (Proben und Konzerte in Zürich und Chur)

Orgel im Konzertsaal – ja!

Die neue Metzler-Orgel im Musiksaal des Basler Stadtcasinos hat den Stresstest ihrer öffentlichen Ingebrauchnahme glänzend bestanden.

Iveta Apkalna spielt die neue Orgel am Einweihungskonzert. Foto: Friedel Ammann

An den zweimal drei Tagen des ersten Orgelfestivals im Casino wurde das Instrument im Rahmen unterschiedlicher Veranstaltungsformate vorgestellt. Anlässlich der Neubauten im Basler Musiksaal und in der Zürcher Tonhalle wurde viel über die Anforderungen an eine Konzertsaalorgel nachgedacht: Gefragt sind hier dynamische Flexibilität und raumfüllende Gesamtwirkung. Die Notwendigkeit einer differenzierten Palette von Registern der Normallage (Acht-Fuss-Lage) sowie eines lückenlosen Aufbaus vom leisesten Einzelregister bis zur Vereinigung fast aller Register führt zu Anleihen beim englischen, französischen und deutschen Orgelbau des späten 19. Jahrhunderts. Mit einer kühl klingenden neoklassischen Orgel, wie sie zuvor im Casino vorhanden war, bzw. mit einer Reihung heterogener Soloeffekte, wie sie jüngst aus der Tonhalle entfernt wurde, kann der für den Konzertsaal komponierten Literatur und den vielfältigen Begleitaufgaben kaum entsprochen werden.

Solistisch, mit Orchester und vom Nachwuchs gespielt

Die von Orgelbau Metzler unter Mitwirkung der Basler Firma Klahre erbaute Orgel wurde am 4. September mit einer stringenten Programmfolge erstmals vorgestellt: Auf die noch eher konventionellen Klangmischungen im Programm von Iveta Apkalna (Hamburg) – Werke von Widor, Bach und Kalniņš (letzteres pathetische Hochromantik aus der lettischen Heimat der Organistin) – folgten eine Auswahl ungewohnter Effekte in subtilen Improvisationen von Vincent Dubois (Paris) und der satte, opulente Wohlklang einer englischen Saalorgel in den Beiträgen von Thomas Trotter (London, Birmingham). Zu den innovativen Besonderheiten des Basler Instruments gehört das sogenannte winddynamische Werk, das einen flexiblen Zugriff auf Ansprache, Intensität und Klang einiger Register erlaubt.

Der 5. September wurde als Orgeltag mit Beiträgen von Basler Organistinnen und Organisten gestaltet. Zu hören waren überaus zahlreiche Bearbeitungen (vor allem von Orchesterwerken des 18. und 19. Jahrhunderts), daneben auch Improvisationen und neue Musik. Wie bei vielen kirchenmusikalischen Veranstaltungen neuerer Zeit wurde versucht, das traditionelle kirchliche Sonntagsgesicht der Orgel weitestgehend auszublenden – dies führte dazu, dass das neue Instrument ausgerechnet im Beitrag mit Musik jüdischer Komponisten am meisten nach «Kirche» klang.

Der dritte Festivaltag brachte zunächst den abwechslungsreichen Familiennachmittag: Auf ein Orgelmärchen folgten die Präsentation für Kinder, bei der mutige Teilnehmende selbst in die Tasten greifen durften, und das Preisträgerkonzert des Wettbewerbs «Orgelkompositionen für Kinder», der vom Verein «Kinder an die Orgel» und der Musik-Akademie Basel ausgerichtet worden war. Die abwechslungsreiche Folge neuer Stücke wurde von Nachwuchskräften im Alter von 8 bis 15 Jahren souverän vorgestellt.
Das Konzert des Basler Sinfonieorchesters am Abend begann ohne Orchester: Martin Sander (Basel, Detmold) spielte eine Bearbeitung der Ouvertüre zum Fliegenden Holländer; seine virtuose Tat vor den noch leeren Stühlen des Podiums erregte Bewunderung, führte aber auch zur ironischen Betrachtung, hier sei eine wahrhaft «Corona-taugliche» Version des Orchesterwerks gefunden worden. Es folgten als Uraufführung das süffige Concerto da Requiem von Guillaume Connesson, in dem die Klänge der Orgel raffiniert mit jenen des Orchesters verwoben werden, schliesslich die populäre Orgelsinfonie von Camille Saint-Saëns. Das engagiert und differenziert agierende Orchester wurde von Ivor Bolton geleitet. In einem Grusswort versicherte Orchesterdirektor Franziskus Theurillat, dass die künftige Nutzung der Orgel auch ein Anliegen des Orchesters sei. Dies liess aufhorchen angesichts der Situation in manchen anderen Städten, wo wertvolle Konzertsaalorgeln zwar vorhanden, aber nur selten zu hören sind. In die Konzerte des ersten und dritten Festivaltags waren Ehrungen integriert: Ein Preis der Europäischen Kulturstiftung Pro Europa ging an Jacqueline Albrecht (für ihren grossartigen Einsatz bei der Sammlung der für den Orgelbau nötigen Summe) sowie an die Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron. Allerdings führte die Reihung von Einführung, Laudatio, Preisübergabe und Ansprache der Frischgeehrten zu unerwarteten Längen.

Vielfarbige Klänge, mit Bedacht zu ziehende Register

Nach zwölf Tagen Wartezeit wurde das Festival mit drei weiteren musikalischen Ereignissen fortgesetzt: Am 18. September liess sich das Kammerorchester Basel unter der Leitung von Pierre Bleuse klangfreudig und liebevoll mit Musik aus Frankreich hören. Für das Orgelkonzert von Francis Poulenc hatte der Solist Olivier Latry eine von aller Routine freie, überlegene Klangregie gefunden, die unnötige Schärfen vermied und die farbenreiche Orgel von ihren besten Seiten zeigte. Der Konzertabend Orgel trifft Tango, Jazz und Balkanmusik führte drei Ensembles, die unter Nutzung der Orgel in den genannten Stilen zu Hause sind, und drei Tanzformationen zusammen. Die Performances lösten grosse Begeisterung aus und bestätigten nebenbei die Vielseitigkeit der Orgel. Das Abschlusskonzert sollte über 200 Sängerinnen und Sänger aus sieben Chören vereinen. Aus den allseits bekannten Gründen musste das Singen in dieser grossen Formation auf das Jahr 2021 verschoben werden. Der Abend wurde nun von den Basler Madrigalisten unter Leitung von Raphael Immoos gemeinsam mit den Organistinnen Babette Mondry und Iveta Apkalna gestaltet. Auch auf diese Weise war ein kontrastreiches Programm möglich – von Louis Viernes Carillon de Westminster und dem affirmativen Hymnus für Orgel solo von Peteris Vasks bis zur witzigen Cantata Rejoice in the Lamb von Benjamin Britten, bei der zur Überraschung des Publikums auch eine Auswahl von Mitgliedern der anderen vorgesehenen Chöre kurz zu hören war.

In Basel steht nun also eine Orgel zur Verfügung, die den spezifischen Anforderungen eines Konzertsaals vielfarbig und inspirierend zu genügen vermag. Allerdings setzt diese Orgel eine überlegte Nutzung voraus. Die unhinterfragte Übernahme von ererbten «Rezepten» für die Auswahl der Register kann zu unvorteilhaften Schärfen führen. Das aus England importierte Tuba-Register auf hohem Winddruck ist ein imponierender klanglicher Spezialeffekt für Krönungen oder Papstbesuche – Anlässe, die im Casino selten sind. Eine Verwendung für allfällige Meisterfeiern des FCB könnte in Betracht gezogen werden. Dass dieses Soloregister jedoch nicht in das Tutti der Orgel hineingemixt werden sollte, dürfte klar geworden sein. Und sogar beim Gebrauch der neobarock-strahlenden Mixtur des Hauptwerks der Orgel empfiehlt sich grosse Vorsicht – wie bei tausend anderen Orgeln des Landes auch.

Donaueschinger Musiktage abgesagt

Die Donaueschinger Musiktage 2020 finden nicht statt. Die Entscheidung trafen die Veranstalter des traditionsreichsten und ältesten Festivals für Neue Musik am Montagabend (12. Oktober) in Abstimmung mit der Leitung des Festivals.

Björn Gottstein, Künstlerischer Leiter der Donaueschinger Musiktage. Foto: SWR

Angesichts des Beherbergungsverbots und der sich drastisch verschlechternden Corona-Infektionszahlen sahen sich die Verantwortlichen zu diesem Schritt gezwungen. Besucherinnen und Besucher können sich die gekauften Karten erstatten lassen.

Die Donaueschinger Musiktage sollten vom 15. bis 18. Oktober stattfinden. Auf dem Programm standen 29 Werke, davon 25 Uraufführungen. Veranstalter der Donaueschinger Musiktage ist die Gesellschaft der Musikfreunde Donaueschingen in Zusammenarbeit mit der Stadt Donaueschingen und dem Südwestrundfunk (SWR).

SWR2 sendet am Freitag, 16. Oktober um 20 Uhr einen Probenmitschnitt des Eröffnungskonzerts. Das SWR Symphonieorchester spielt unter der Leitung von Titus Engel sechs Orchesterminiaturen von Klaus Lang, Mica Levi, Cathy Milliken, Lula Romero, Oliver Schneller und Michael Wertmüller – alles Kompositionen für kleines Orchester, die schon im Hinblick auf ein Festival unter besonderen Hygienebedingungen entstanden.

 

Dissertation zu Llobet ausgezeichnet

Cla Mathieu, Absolvent der Hochschule der Künste Bern, erhält von der Phil.-hist.-Fakultät der Universität Bern mit seiner Dissertation den Preis für den besten Abschluss der letzten beiden Semester.

Cla Mathieu (Bild: zVg),SMPV

Den Abschluss des Doktoratsprogramms Studies in the Arts hat Cla Mathieu mit seiner Dissertation «Reimagining the Guitar: The Performance Style of Miguel Llobet, 1878-1938» gemacht. Dafür erhält der ehemalige HKB-Student den Preis für den besten Abschluss, der mit 10’000 Franken dotiert ist. Die Dissertation wurde von Cristina Urchueguía (Uni Bern) und Kai Köpp (HKB) betreut. Zuvor hat Mathieu einen Master in Music Performance bei Elena Casoli an der HKB gemacht.

Ausgangspunkt der Dissertation sind die in den 1920er Jahren entstandenen Mikrofonaufnahmen Llobets, der als der führende Vertreter seines Instruments als Solist und als Pädagoge (unter anderem als Lehrer Andrés Segovias) massgebenden Einfluss auf die Entwicklung des Instruments im 20. Jahrhundert ausübte. Konzeptuell orientiert sich die Studie am Begriff der «Expressivität» – einem zentralen Terminus spätromantischen Musikdenkens und fragt nach dessen konkreten Implikationen für die Instrumentalpraxis Llobets und seines Umfelds.

Duett «mit zwei obligaten Augengläsern»

Jeden Freitag gibts Beethoven: Zu seinem 250. Geburtstag blicken wir wöchentlich auf eines seiner Werke. Heute auf das Duett für Viola und Violoncello in Es-Dur «mit zwei obligaten Augengläsern».

Es gibt Augenmusik, und es gibt Brillenbässe. Mit beiden musikalischen Phänomenen (der Renaissance und der Vorklassik) hat Beethoven wenig zu tun, und dennoch findet sich im Katalog seiner Werke eine Komposition «mit zwei obligaten Augengläsern». Natürlich sollen hier nicht Augen und Brillen in einen Kontrapunkt zu Viola und Violoncello treten, wohl aber sind mit dem Beinamen scherzhaft die beiden Musiker angesprochen, für die Beethoven das Duett geschrieben hat. Nebenbei bemerkt: Bei den Sehhilfen wird es sich nicht um Lorgnetten gehandelt haben, die man sich beim Lesen an einem Stiel vor die Augen hielt (Brille links, Buch rechts). Vielmehr war eine aufwendigere Schläfen- oder Schläfenbügelbrille, notfalls auch ein simpler «Nasenquetscher» nötig, um frei musizieren zu können (dann galt wie immer: Bratsche links, Bogen rechts – und in diesem Fall sowieso: Brille auf der Nase).

Für welche musizierenden Augenglasträger Beethoven sein Duett schrieb, ist freilich nicht bekannt. Immer wieder taucht die Vermutung auf, es könnte sich gar um ihn selbst (Viola) und den befreundeten Nikolaus Zmeskall (1759–1833, Beamter und Komponist) handeln. Das legt zwar ein aus dem zeitlichen Umkreis des Werkes stammender Brief nahe (aus den frühen Wiener Jahren), kann aber nicht mit Sicherheit verifiziert werden. Mehr noch bleibt die Aussage «liebster Baron Dreckfahrer je vous suis bien obligé pour votre faiblesse de vos yeux» (Ich bin Ihnen sehr verbunden wegen der Schwäche Ihrer Augen) zu allgemein.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Komposition «fertig» geworden ist. Überliefert sind im sogenannten «Kafka-Skizzenbuch», einem vollkommen ungeordnet zusammengebundenen Konvolut, lediglich ein langer, vollständiger Kopfsatz und ein Minuetto; von einem (zweiten?) langsamen Satz liegen nur 23 Takte vor. Doch selbst da, wo Beethoven den Notentext vollständig niederschrieb, fehlen weite Teile der Artikulation und der Dynamik. Vielleicht gab es einst auch eine Reinschrift, die über die Jahrzehnte verloren gegangen ist oder seit Generationen in einem Familientresor schlummert. Dann aber heisst es jetzt: Augenglas und Lupe zur Hand nehmen und genau nachschauen.


Hören Sie rein!

10 aus 120

Der «Preis der deutschen Schallplattenkritik e.V.», ein unabhängiger Zusammenschluss von deutschsprachigen Kritikern, zeichnet jedes Jahr qualitativ hochwertige Tonträger aus.

10 aus 120
Foto: Tobias Bräuning/pixelio.de (s.unten)

120 Titel waren von der Gesamtjury vorgeschlagen worden, 112 davon schafften es auf die Longlist, lauter Tonträger, die in den letzten 18 Monaten auf dem deutschsprachigen Markt herausgekommen waren, aus allen musikalischen Sparten ausser Musikfilm, Wortkunst und Kinderproduktion. 10 Titel wurden schliesslich mit einem Preis bedacht.

Die Jahrespreise 2020 gehen an:

  • das Institute for Computermusic and Sound Technology, Zürich, für die Doppel-CD Les Espaces Électroacoustiques II (col legno/Naxos)
  • Bob Dylan für das Doppelalbum Rough And Rowdy Ways (Columbia Records/Sony)
  • die Mezzosopranistin Olivia Vermeulen und den Pianisten Jan Philip Schulze für das Liedrecital Dirty Minds (Challenge Classics/Bertus)
  • den Schauspieler Rufus Beck und die Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, für die ungekürzte Lesung der Bibel in der Lutherübersetzung (Der Audio Verlag)
  • The Düsseldorf Düsterboys für ihr Debütalbum Nenn mich Musik (Staatsakt/Bertus)
  • den Dirigenten Markus Poschner und alle Mitwirkenden der Gesamtaufnahme von Jacques Offenbachs Oper Maître Péronilla (Bru Zane/Note 1)
  • die Countryrockband The Jayhawks für ihr elftes Album XOXO (Sham Records/Membran)
  • den Filmemacher Alan Elliott für die Aufbereitung und Veröffentlichung von Pollacks Konzertfilm Aretha Franklin – Amazing Grace (Sony)
  • die Pianistin Dina Ugorskaja, posthum, für ihre Einspielung von späten Klavierwerken Franz Schuberts (CAvi Music/harmonia mundi)
  • die Jazzpianistin und Komponistin Carla Bley und ihre Trio-Kollegen für das Album Life Goes On (ECM/Universal)

Die Jurybegründungen sind zu finden unter:
https://www.schallplattenkritik.de/jahrespreise

Auszeichnung für «Les Espaces Électroacoustiques II»

Ein aus Projekten des Institute for Computermusic and Sound Technology der Zürcher Hochschule der Künste hervorgegangener Tonträger wurde mit einem der zehn Jahrespreise der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet.

Das ist die Farbe des Covers von «Les Espaces Électroacoustiques II». Bild: SMZ

In der Juryerklärung heisst es dazu: Die sieben Werke (von Luigi Nono, Luciano Berio, Gottfried Michael Koenig und Karlheinz Stockhausen) erstrahlten in dieser Aufnahme alle in neuem Glanz. Les Espaces Électroacoustiques II ist bei col legno erschienen. Die Mitglieder des Forschungsteams sowie mitwirkende Institutionen sind in der Mitteilung der ZHdK erwähnt.

Drei neue Mozart-Briefe in Salzburg

Die Stiftung Mozarteum Salzburg präsentiert bedeutende Neuerwerbungen, darunter den letzten Brief Mozarts an seinen Vater vom April 1787

Letzter Brief Mozarts an seinen Vater (Bild: Mozart Briefe und Dokumente – Online-Edition),SMPV

Anfang des Jahres 2020 fanden drei Briefe der Familie Mozart den Weg nach Salzburg. Coronabedingt konnte bislang nur eines dieser Dokumente, ein Brief Mozarts an Constanze aus dem Jahr 1789 am Karfreitag im Internet vorgestellt werden. Bei dem zweiten Dokument, ein Brief von der ersten Italienreise aus Bologna vom 28. Juli 1770, handelt es sich um ein ausführliches Schreiben Leopold Mozarts an seine in Salzburg verbliebene Frau Anna Maria mit einem kurzen Postskriptum Wolfgangs in italienischer Sprache an seine Schwester Nannerl.

 

Von herausragender Bedeutung ist laut dem Mozarteum jedoch der letzte erhaltene Brief des Komponisten an seinen Vater, der wenige Wochen später, am 28. Mai 1787, in Salzburg starb. Zwar war der Brieftext seit Langem bekannt; das Original war aber mehr als 90 Jahre unzugänglich, und es existierten nicht einmal Aufnahmen davon. Zum ersten Mal wird nun deutlich, dass Mozart seinen Brief mit Freimaurersymbolen versehen hat

Originalartikel:
https://mozarteum.at/presse/?newsId=9090780

Tanin gewinnt 18. Kissinger Klavierolymp

Sergey Tanin ist Sieger des 18. Kissinger Klavierolymps. Der Pianist aus Russland, der zur Zeit bei Claudio Martínez Mehner an der Musikhochschule Basel ein Nachstudium absolviert, überzeugte die Jury mit individueller strukturbewusster Interpretation bei Brahms und Beethoven.

Sergey Tanin. Foto: Meliz Kaya und Konstantin Winter

Die Jury beeindruckten laut der Mitteilung der Veranstalter Tanins «jugendlicher virtuoser Schwung und seine überraschende Gestaltungskraft». Der dritte Preis ging an den 22-jährigen Ziyu Liu, der aus China stammt. Im Max-Littmann-Saal des Kissinger Regentenbaus stimmten diejenigen Besucher, die alle Konzerte gebucht hatten, ebenfalls für Sergey Tanin als Gewinner des Publikumspreises.

Das Schweizer Fernsehen (SRF) strahlte am 4. Oktober 2020 in der Reihe Sternstunde Musik den Dokumentarfilm «Sergey Tanin – Der Pianist, der aus der Kälte kam aus». Das Finalkonzert des KlavierOlymps wurde vom Bayerischen Rundfunk mitgeschnitten und wird am 17.10. um 15:05 Uhr in der Sendung On stage auf BR-Klassik ausgestrahlt.
 

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