Wachablösung beim Ensemble Proton

Matthias Kuhn, der bisherige Dirigent des Berner Ensemble Proton gibt sein Amt per Ende 2019 ab. Künstlerische und strategische Entscheidungen werden künftig im Kollektiv getroffen.

Ensemble Proton (Bild: Oliver Oettli)

Neben Matthias Kuhn werden drei Gastdirigenten die Konzerte der Jubiläumssaison 2020 leiten, Gespräche hierzu seien im Gang, schreibt das Ensemble. Das Ensemble schreibt ab sofort die Stelle der Geshäftsführung aus. Gesucht ist eine Person mit Kenntnis der nationalen und internationalen Szene der zeitgenössischen Musik und der Stiftungslandschaft sowie Erfahrungen in der Kulturpolitik.

Das 2010 gegründete Ensemble Proton ist Ensemble in residence der Berner Dampfzentrale. Es realisiert viermal im Jahr die Konzertreihe Proton am Montag. Im März 2018 gastierte es an der Stanford University und der UC Berkeley. Im Rahmen von weiteren Konzerten in San Francisco und Seattle realisierte es die Uraufführung des Werks «INFR-A-KTION» von Dominique Schafer.

Von Pro Helvetia unterstützte Alben

Pro Helvetia vergibt jährlich Beiträge an die Produktion von Tonträgern, bei denen sie internationales Potential vermutet. Auf einer Webseite präsentiert sie nun eine Auswahl der Geförderten.

(Bild: Webseite Pro Helvetia)

Die Kreation von neuen Repertoires sei für die Entwicklung und den Fortbestand eines musikalischen Projektes oder einer Band von grosser Bedeutung, schreibt Pro Helvetia. Entsprechend unterstütze sie die Produktion von neuen Werken mit Beiträgen.

Jährlich werden gegen zwei Dutzend Gesuche von Schweizer Formationen und Labels berücksichtigt, die sich in der Jazz- oder Pop-Hemisphäre verorten. Pro Helvetia setzt sich auch für die internationale Verbreitung und Live-Präsentation dieser Werke ein.

Eine Auswahl findet sich hier:
https://prohelvetia.ch/de/2019/07/klanglandschaften-entdecken/

Krebskranken nützt Musiktherapie

Das deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bestätigt, dass die gesundheitsbezogene Lebensqualität und das subjektive Wohlempfinden Krebskranker durch Musiktherapie verbessert werden.

Foto-Quelle: IQWIG

Das IQWiG stellt fest, dass vor allem psychische Begleitsymptome wie zum Beispiel Abgeschlagenheit, Angst, Stress, Anspannung, Stimmungsschwankungen durch musiktherapeutische Interventionen kurzfristig günstig beeinflusst werden. Es empfiehlt, Musiktherapie im Sinne eines künftigen einheitlichen Berufs- und Ausbildungsrechts in Deutschland gesetzlich zu regeln.

Laut Lutz Neugebauer, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft (DMtG), wird Musik- und Tanztherapie im Anhang der deutschen Heilmittelrichtlinie aus dem Jahr 1992 als Ausschluss aufgeführt. Die Gründe dafür seien heute weder auffindbar noch nachprüfbar. Deshalb brauche es eine neue Bewertung. Die Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft fordert seit langem eine Rücknahme des Ausschlusses, damit deutsche Krankenkassen ihren Versicherten diese Therapieformen anbieten können.

Who’s Who der Gelehrten des Spätmittelalters

Die spätmittelalterlichen Ursprünge der heutigen Wissensgemeinschaft zeigt die öffentlich zugängliche Datenbank «Repertorium Academicum Germanicum» (RAG). Sie ist unter Berner Federführung entstanden und umfasst die Lebensläufe von mehr als 60’000 mittelalterlichen Gelehrten.

Gründung der Universität Basel am 4. April 1460 im Münster. Bild: Universitätsbibliothek Basel AN II 3,SMPV

Seit über zehn Jahren geht das internationale Forschungs- und Digitalisierungsprojekt RAG der Universität Bern und der Justus-Liebig-Universität Giessen den Lebenswegen dieser Gelehrten nach, ermittelt ihre Herkunft und verfolgt ihre späteren Karrieren. Aus den verschiedensten historischen Quellen wurden die Informationen gesammelt und stehen nun in einer auch für die Musikwissenschaft interessanten Online-Datenbank der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung.

Neben berühmten Persönlichkeiten wie Erasmus von Rotterdam oder Martin Luther sind in der Datenbank des RAG auch Informationen zu 60’000 weiteren Personen erfasst. Mit einfachen Suchbegriffen können all die Gelehrten des Mittelalters nach ihrem Herkunftsort, Studienfach oder den besuchten Universitäten gruppiert, ihre Reisen auf einer Karte dargestellt und ihre Beziehungen zu anderen Personen interaktiv visualisiert werden.

Info: rag-online.org

Die Heimkehr des Odysseus

Mit «Il ritorno d’Ulisse in patria» erklingt im August 2019 Monteverdis Odysseus-Oper auf Schloss Waldegg bei Solothurn. Andreas Reize dirigiert das cantus firmus consort auf historischen Instrumenten. Georg Rootering führt Regie.

«L’Orfeo» im Sommer 2017 auf Schloss Waldegg. Foto: Sabine Burger,SMPV

Nach der Reise an den Ursprung mit L’Orfeo im Sommer 2017, bringt cantus firmus 2019 ein weiteres Werk von Claudio Monteverdi auf die Bühne von Schloss Waldegg. Il ritorno d’Ulisse in patria erzählt die Heimkehr des Odysseus. Die Oper gilt als Schlüsselwerk zwischen Renaissance und Barock.

Andreas Reize leitet das cantus firmus consort und Georg Rootering zeichnet als Regisseur für die Inszenierung verantwortlich.
 

Ein junges Ensemble und barocker Originalklang

Die Rolle des Ulisse verkörpert Hans-Jörg Mammel. Mit Jan Börner als L’humana fragilità und Pisandro, Raphael Höhn als Telemaco, Andrea Brown als Fortuna und Minerva, Lisandro Abadie als Tempo, Nettuno und Antinoo, Michael Mogl als Eurimaco sowie Michael Feyfar als Giove und Eumete zählen sechs Stimmen, die bereits in früheren Produktionen mitgewirkt haben, zur Besetzung.

Geneviève Tschumi als Penelope, Dan Dunkelblum als Anfinomo, Alexandra Rawohl als Melanto, Alice Borciani als Amore und Giunone, Eelke van Koot als Iro sowie Miriam Callegaro als Ericlea stehen zum ersten Mal auf der Bühne von Schloss Waldegg.

Das cantus firmus consort spielt auf historischen Instrumenten. Das von Andreas Reize im Jahr 2001 gegründete cantus firmus consort präsentiert sich heute als eingespielter Klangkörper auf hohem Niveau. Alle Musikerinnen und Musiker sind Spezialisten, die sich schon lange mit Fragen der historischen Aufführungspraxis auseinandersetzen.

Zwischen dem 8. und 17. August 2019 werden auf Schoss Wadegg sieben Aufführungen unter freiem Himmel gespielt. Bei schlechter Witterung finden die Vorstellungen Stadttheater Solothurn statt.
 

Claudio Monteverdi «Il ritorno d’Ulisse in patria»
Oper Schloss Waldegg

 

Donnerstag, 8. August 2019
Freitag, 9. August 2019
Samstag, 10. August 2019
Sonntag, 11. August 2019
Donnerstag, 15. August 2019
Freitag, 16. August 2019
Samstag, 17. August 2019

Vorverkauf

auf www.operwaldegg.ch, unter Tel 0900 441 441 (CHF 1/Min, Festnetztarif) und in der Filiale der Raiffeisenbank Weissenstein, an der Hauptgasse 67 in 4501 Solothurn

Schlechtwetterauskunft am Spieltag ab 16 Uhr per Tel. 1600 oder SMS ULISSE an 1600 und auf www.operwaldegg.ch
 

Videotrailer «Monteverdis Orfeo im Sommer 2017»:
http://www.operwaldegg.ch/trailer/
 

Gregorianik in Wissenschaft und Praxis

Anlass für das Symposium ist die jahrzehntelange wissenschaftliche und praxisbezogene Arbeit des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität Zürich zur Erforschung und Erhaltung des gregorianischen Chorals.

Ausschnitt aus dem Symposiums-Flyer (p. 535 aus dem Codex 121 der Stiftsbibliothek Einsiedeln),SMPV

Das Musikwissenschaftliche Institut der Universität Zürich hat seit mehr als 50 Jahren in Wissenschaft und Praxis beachtliche Beiträge zur Erforschung und zur Erhaltung des Gregorianischen Chorals geleistet. Dies ist Anlass genug, ein Symposium zu veranstalten und damit zu zeigen, dass an diesem Ort nach wie vor Gregorianische Forschung betrieben und dabei auch der Praxisbezug beibehalten wird. Aus diesem Grund sind international renommierte Referentinnen und Referenten eingeladen worden, über Themen zu sprechen, die vorwiegend einen Schweizer Bezug haben und in einigen Fällen sogar mit der Region Zürich – Einsiedeln – St. Gallen in Verbindung stehen. Die Freitag-Session ist verschiedenen Teilbereichen gewidmet und widerspiegelt die Vielfalt der aktuellen Forschungsfragen. Am Samstag ist ein Block von vier Referaten angesetzt, der von Mitwirkenden des Forschungsvorhabens AMRA (Liturgische Gesänge für irische Heiligen in Europa) ausgerichtet wird.

Der Überschrift des Symposiums gemäss geht es bei der Veranstaltung nicht nur um die wissenschaftlich-theoretische Auseinandersetzung mit dem Gregorianischen Choral, sondern – der langjährigen Zürcher Tradition entsprechend – auch um die Praxis der einstimmigen Gesänge. Die praktischen Teile bilden den Rahmen zu den Referaten und sind mit diesen teilweise auch inhaltlich verknüpft. Die ausführenden Scholae sind: die Schola Gregoriana Universitatis Turicensis, die Neue Choralschola St. Gallen und die Schola Cantorum Turicensium.

 

Freitag, 20. September 2019, 12.30 Uhr, Beginn des Symposiums

Samstag, 21. September 2019, 18 Uhr Ende des Symposiums

 

Download Symposiums-Flyer

SME zahlt zinsloses Darlehen zurück

2016 hat die Schweizerische Gesellschaft für Neue Musik (SGNM) der Schweizer Musikedition mit einem zinslosen Darlehen die laufenden Arbeiten zwischenzeitlich finanziert und so die Liquidität des Vereins gesichert. Dieses zinslose Darlehen ist von der SME nun vollumfänglich zurückgezahlt worden.

Screenshot der Homeseite von musinfo.ch

Dank des zinslosen Darlehens sei zudem der Fortbestand der Datenbank zur Schweizer Musik musinfo.ch gewährleistet, schreibt SME-musinfo. Die Bemühungen, die Plattform zu vergrössern und deren Relevanz zu steigern, hätten im Rahmen einer Zusammenarbeit der SME mit der Hochschule Luzern – Musik vertieft werden können.

Die Hochschule hat zu Beginn des Jahres die Datenbank musinfo.ch übernommen und bewirtschaftet diese nun in Kooperation mit der SME. Die Datenbank musinfo.ch wurde 2004 im Internet veröffentlicht und enthält seither Informationen zur Schweizerischen Musikszene. Anfänglich konzentrierte man sich vor allem auf die zeitgenössische E-Musik, mittlerweile hat die Plattform den Anspruch, die hiesige Musiklandschaft umfassender abzubilden.
 

Concord übernimmt Sikorski

Der amerikanische Publisher Concord hat die Sikorski Music Publishing Group übernommen und damit die Kontrolle über die Werke russischer Tonschöpfer wie Schostakowitsch, Prokofjew, Chatschaturjan, Kabalewski oder Schnittke.

Foto: Danilo Rizzuti – stock.adobe.com

Zum erworbenen Portefeuille gehören auch die Werke von Sofia Gubaidulina, Giya Kancheli und Lera Auerbach.

Der deutsche Verlag Sikorski wird Teil der Concord Music Publishing Gruppe, zu der auch der renommierte Verlag Boosey & Hawkes gehört. Concord hofft laut der eigenen Mitteilung, damit seine Position im europäischen Markt stärken zu können.

Concord besteht aus drei Geschäftsbereichen, neben dem Verlagsgeschäft umfassen sie Plattenlabels und eine Theateragentur. Sikorski wurde 1930 von Hans Sikorski gegründet und hat einen Schwerpunkt in der russischen Musik.

Deutsche Musikindustrie wächst um 7,9 Prozent

Die deutsche Musikindustrie ist im ersten Halbjahr 2019 deutlich gewachsen: In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres nahm die Branche insgesamt 783,2 Millionen Euro durch Audio-Streams sowie durch den Verkauf von CDs, Downloads und Vinyl ein.

Foto: Archiv SMZ/lovelyday12/fotolia.de

Das sind 7,9 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum (1/2018: 725,9 Millionen Euro Umsatz nach dem Gesamtjahresabschluss 2018). Das ist die höchste Wachstumsrate seit 1993. Verantwortlich für dieses Ergebnis ist zum einen das Audio-Streaming, das um 27,7 Prozent zulegte und seine Position als umsatzstärkstes Format weiter ausbauen konnte.

Daneben hat sich die CD (-11,7 Prozent) mit einer gegenüber dem Vorjahreszeitraum halbierten Rückgangsrate leicht stabilisiert, während Vinyl nach einer kurzen Atempause wieder Zuwächse verzeichnete (7,4 Prozent). Downloads wiederum gaben zwar deutlich, jedoch ebenfalls etwas weniger nach als im ersten Halbjahr 2018 (-16,3 Prozent).

Unter dem Strich prägt laut dem Bundesverband Musikindustrie den deutschen Tonträgermarkt damit weiterhin eine grosse Formatvielfalt — auch bei der deutlich wachsenden Bedeutung des Audio-Streamings.

Luzern fördert Kreativwirtschaft

Seit 2016 fördert die Stadt Luzern unter dem Titel Kreativwirtschaft diverse Projekte und Initiativen. Der Fokus der diesjährigen Projektförderung wird auf Marktzugang, Marktentwicklung und Networking gelegt.

Foto: KC / stock.adobe.com

Im Rahmen der Umsetzung der Kultur Agenda 2020 fördert die Stadt Luzern seit 2016 unter dem Titel Kreativwirtschaft diverse Projekte und Initiativen. Profitieren in Form einer finanziellen Unterstützung sollen Personen, Institutionen oder Unternehmen, die marktorientierte Produkte und Projekte herstellen beziehungsweise realisieren, welche einen kreativ-künstlerischen Hintergrund haben oder in einem solchen Zusammenhang stehen.

Der Fokus der diesjährigen Projektförderung wird auf Marktzugang, Marktentwicklung und Networking gelegt. Die Ausschreibungsunterlagen sind auf der Webseite www.kultur.stadtluzern.ch zugänglich. Bewerbungen für einen Förderbeitrag können bis am 20. September 2019 eingereicht werden.
 

rur.

Am 26. Juni ist der Zürcher Musikjournalist und Komponist Rolf Urs Ringger im Alter von 84 Jahren gestorben.

Mounzer Awad / unsplash

In jungen Jahren habe er einen Roman mit dem Titel «Der Dandy» schreiben wollen: Die Hauptfigur nimmt ein Taxi und fährt zu Oper. Von dieser kurzen und doch ausgedehnten Fahrt sollte das Buch handeln – und dabei wohl ein wenig auch von ihm selber. Egal, ob das nun erfunden war, oder ob sich im Nachlass tatsächlich ein Romanfragment finden wird: Rolf Urs Ringger wusste natürlich, was für ein Futter er mit einer solchen Anekdote dem Journalistengegenüber gab. Schelmisch stellte er sich vor, wie das Bild des Dandys Ringger entstand, und freute sich, denn das war er ja auch: der Dandy unter den Schweizer Komponisten, unverstellt eitel, aber auch mit dieser Eitelkeit lustvoll spielend. Als Adrian Marthaler sein Orchesterwerk Breaks and Takes fürs Fernsehen visualisierte, spielte Ringger persönlich einen Delius-ähnlichen, melancholischen Komponisten an einem Swimming Pool.

«Ich liebe das Kokettieren. Das gibt ja doch auch meiner Produktion das leichte und spielerische Moment. Und es kommt ja beim Publikum auch sehr gut an. Und ich habe Freude daran.» Sagte er mal im Gespräch. «Das Moment des Narzisstischen, jetzt wertfrei verstanden, ist doch sehr stark bei mir spürbar.» Ich mochte ihn für diese Selbstironie, die bei ihm ganz natürlich war. Er brachte eine ganz eigene und auffallende Farbe in die zur Bescheidenheit neigende Zürcher Musikszene, er war mondän, vielgewandt, urban, wenn er den Sommer auch immer auf Capri verbrachte, wo einige sinnliche Klangbilder entstanden. Zu diesem Image hat der Komponist selber reichlich beigetragen.

Ringger war aber auch ein Zürcher. Hier wurde er am 6. April 1935 geboren, hier wuchs er auf, lebte und arbeitete hier, ein Wort- und Tonkünstler. In Küsnacht besuchte er das Seminar, bei Kurt von Fischer am Musikwissenschaftlichen Seminar Zürich dissertierte er über Weberns Klavierlieder. Als rur. gehörte er über Jahrzehnte zum Kritikerstab der Neuen Zürcher Zeitung, lieferte pointierte und elegante, zuweilen bewusst nachlässige Texte, porträtierte aber auch schon früh jene Komponisten, die später erst weithin Beachtung erhielten wie zum Beispiel Edgard Varèse oder Charles Ives, Erik Satie und Othmar Schoeck. Neben den grossen Figuren finden sich da die Einzelgänger, und gern hat er der Nostalgiker gedacht, zu denen er sich selber wohl auch zählte. In Publikationen wie der Aufsatzsammlung Von Debussy bis Henze hat er diese Porträts gebündelt.

Kompositionsunterricht erhielt Ringger ganz früh privat bei Hermann Haller. Bei den Darmstädter Ferienkursen 1956 studierte er bei Theodor W. Adorno und Ernst Krenek, kurz darauf noch für ein halbes Jahr bei Hans Werner Henze in Rom. Es waren ästhetische Antipoden, denn da schon hatte sich Henze aus der Avantgardeszene zurückgezogen. Obwohl Ringger später mit einem süffisant erwartungsvollen Lächeln erzählte, mit Adorno habe er sich eigentlich besser verstanden als mit Henze, folgte er doch dessen Abwendung von den streng seriellen Techniken und der Hinwendung zu einer sinnlichen Klangsprache. Das hört man schon seinen Titeln an: … vagheggi il mar e l’arenoso lido … für Orchester (1978), Souvenirs de Capri für Sopran, Horn und Streichsextett (1976–77), Ode ans Südlicht für Chor und Orchester (1981) oder Addio! für Streicher und Röhrenglocken. Mit Der Narziss (1980), Ikarus (1991), und Ippòlito (1995) schuf er drei Ballettmusiken. Den grossen musikdramatischen Formen freilich hat er sich offenbar nie zu nähern versucht.

Ringger war einer der ersten, der sich in den 70er-Jahren, in Henzes Gefolge, aber durchaus frühzeitig im Trend, wieder neotonaler Elemente bediente. Derlei vermerkte ich damals in einer Kritik entsprechend bissig. Natürlich reagierte er bei aller Selbstironie entsprechend beleidigt. Und doch kam er ein paar Jahre später genussvoll darauf zurück und verkündete stolz, ich habe ihn damals als den ersten Neotonalen hierzulande bezeichnet. Die postmoderne Wende hatte ihm recht gegeben.

So spielte seine Musik gern mit Zitaten (von Debussy etwa) schwelgte in impressionistischen Farben oder in hochromantischen Gesten, blieb aber dabei durchsichtig und leicht. Am höchsten freilich schätze ich ihn als urbanen Flaneur. Nicht dort, wo er Zeitungsausschnitte auf etwas kindische Weise zu einer Collage (Chari-Vari-Etudes, Vermischtes) für Kammersprechchor montierte, sondern in seinen musikalischen Promenaden. Im Manhattan Song Book (2002) für Sopran, drei Sprechstimmen und fünf Instrumente ist er in New York unterwegs, beobachtet, notiert, kommentiert in elf Songs, frech, unbeschwert, auch da in koketter Selbstbespiegelung. Als ihn eine nicht sehr freundlich als «crazy witch» bezeichnete Dame fragt, ob er der «famous composer» sei, antwortet er kurz: «No, it’s my cousin.»

Nun ist er gestorben. «Licht!» steht zuoberst in der Todesanzeige, darunter die Sätze: «Er liebte die Sonne des Mittelmeers, die Musik und die Jugend. Er dankt allen, die ihm im Leben Gutes erwiesen und seine Musik gefördert haben.» Capri wird ihn vermissen. Sein Notizario caprese (2004) endet mit den Worten «(sehr ruhig, fast ohne Pathos) Se non c’è Amore, tutto è sprecato. (sehr nüchtern) Wo keine Liebe ist, ist alles vergeblich. Ein Grabspruch in Capri; ungefähr 2020.»
 

«Ein himmlisch’ Werk» – sehr menschlich

Das Museum Fram in Einsiedeln zeigt derzeit die musikalischen Schätze der Musikbibliothek des Klosters Einsiedeln. Sie stammen aus über tausend Jahren und zeichnen das Musikleben des Benediktiner Klosters in unerwarteten Facetten. Der Autor unseres Berichts war Einsiedler Stiftsschüler von 1963 bis 71 und erlebte selbst Einiges dieser Geschichte hautnah mit …

Vitrine mit dem Faksimile des Codex 121. Foto: Museum Fram

Pater Roman Bannwart, links von mir sitzend, schiebt den Regler nach unten; im Saal geht das Licht aus. Der «Saal» ist die Turnhalle der Stiftsschule Einsiedeln, die Zeit: Fasnacht 1966. Das Orchester spielt ein Musikstück, das ich inzwischen «Ouvertüre» zu nennen gelernt habe. Es ist die erste Ouvertüre in meinem Leben – und sozusagen auch die letzte. Und sie eröffnet Franz Schuberts Singspiel «Die Zwillingsbrüder». Ich sitze rechts von Pater Roman im Souffleurkasten und habe den Sängern in den Sprechpartien ihre Stichworte zu liefern.

Operntradition

Was Pater Roman nicht weiss und ich noch weniger: Mit der Fasnachtsoper von 1966 – neben den Zwillingsbrüdern wird noch Schuberts Einakter Der vierjährige Posten gespielt –, geht eine lange Tradition zu Ende. Es ist die Tradition der Opernaufführungen im Kloster, die seit 1808 im Kloster dokumentiert ist. Die opernbegeisterten Mönche und unter ihrer Anleitung die Schüler des Gymnasiums wagten sich an Vieles: so an Mozarts Entführung aus dem Serail (1833), an Donizettis Regimentstochter (1860) oder an Aubers Die Stumme von Portici (1890). Allerdings: Aus dem Liebesdrama der Entführung wurde eine Vater-Sohn-Geschichte (Die türkischen Kadeten), aus der Regimentstochter wurde ein Regimentsbursche, aus der Stummen ein Stummer – allzu viel vom anderen Geschlecht sollte den Mönchen und Schülern auf der Bühne wohl nicht vorgeführt werden. In späteren Jahren unterblieb dieses drastische «re-writing»; die beiden Opern, die ich noch erlebte, wurden mehr oder weniger im Original gespielt, natürlich mit Knaben in den (weiblichen) Sopran- und Altpartien. Auch Pater Roman – damals als Choralmagister in der ganzen Schweiz bekannt – agierte nicht immer nur als Chefbeleuchter: Eine Foto der Ausstellung zeigt ihn 1937 in der Hauptrolle einer Oper von Albert Lortzing.

Image
Aus der Regimentstochter wurde ein Regimentsbursche. Foto: Museum Fram

Im Jahr vor Schubert und somit als zweitletzte Opern kam 1965 das Stück eines damals so gut wie unbekannten Komponisten auf die Bühne. Es hiess Orfeo und stammte von einem gewissen Claudio Monteverdi – merkwürdige Musik! Rund 20 Jahre später sollte ich am Opernhaus Zürich die Aufführung von Nikolaus Harnoncourt erleben –, und manche Melodien der Oper kamen mir merkwürdig vertraut vor. Die Rolle des Plutone sang in der Einsiedler Aufführung ein Student namens Arthur Helg – als Pater Lukas Helg ist er heute einer der beiden Kuratoren der Ausstellung.

Geistliche Musik

Und die Oper hatte ihren Platz nicht nur auf der Bühne, sondern auch im klösterlichen Gottesdienst: Gern führte man dort Bearbeitungen von Passagen aus Mozarts Opern auf – die gleiche Musik mit einem neuen, geistlichen Text. Die hauseigenen Komponisten waren in dieser Art der Aneignung sehr geschickt und – man muss es nüchtern sehen – auch ziemlich bedenkenlos. Der Gregorianische Choral dagegen, heute für uns das «Markenzeichen» des klösterlichen Gottesdienstes, wurde damals kaum mehr gesungen.
Eine merkwürdige Geschichte hat auch das emblematische Musikstück des Klosters, das mehrstimmige Einsiedler Salve Regina, das die Mönche täglich in der Gnadenkapelle singen. Das Stück existiert in unterschiedlichen Bearbeitungen des gregorianischen (einstimmigen) Originals; und gerade die Fassung nur für Männerstimmen, die heute regelmässig vor der Gnadenkapelle erklingt, ist musikalisch nicht unproblematisch, denn vorgesehen wäre eigentlich eine Oberstimme für Sängerknaben.

Image
«Einsiedler Salve Regina». Foto: Museum Fram

Neben Pater Roman war unser zweiter Musiklehrer und der Kapellmeister des Klosters Pater Daniel Meier; er spielte übrigens 1937 die Knusperhexe in Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel. Er nun vergass, mit unserem Jahrgang der Sängerknaben das Salve richtig einzuüben, und tadelte nach einiger Zeit ungehalten unser immer noch unsicheres Mitsingen. So sang ich das «Salve» zwar gern – sein volltönig orgelnder Klang hatte im Innern der Gnadenkapelle etwas Überwältigendes –, aber noch lange etwas zaghaft …

Kloster-Komponisten

Pater Daniel Meier (1921–2004) war mehrere Jahre lang Kompositionsschüler von Paul Hindemith in Zürich; Grusspostkarten mit Hindemiths eigenen Zeichnungen bezeugen sogar eine Art Freundschaft. Pater Daniel zählt zur stattlichen Anzahl der Kloster-Komponisten (insgesamt über 30), von denen manche mehrere hundert Werke komponierten; der bisher jüngste ist der ebenfalls sehr produktive Pater Theo Flury (*1955). Hier zeigt sich eine besondere Entwicklung der Musikgeschichte: Bis ins 19. Jahrhundert komponierten auch bedeutende Komponisten noch geistliche Musik, die von talentierten Amateuren aufgeführt werden konnte und von den Klostermusikern denn auch gern aufgegriffen wurde. Mit der radikalen neuen Musik des 20. Jahrhunderts änderte sich das jedoch: Geistliche Musik, die im sonntäglichen Gottesdienst verwendbar war, wurde die Sache von Komponisten, die keinen modernen oder avantgardistischen Stil vertreten wollten, und zu ihnen zählen auch die Einsiedler Komponisten-Mönche. Ihr Schicksal ist jedoch, dass ihre «Gebrauchsmusik» im Konzertsaal kaum je gespielt wird. Aber sie komponierten dann auch nicht immer nur Frommes: Der Kloster-Hit ist bis heute ein fetziger Caecilienmarsch für drei Orgeln, den Pater Anselm Schubiger 1845 schrieb.

Image
«Caecilienmarsch» für drei Orgeln von Pater Anselm Schubiger. Foto: Museum Fram

Hits ganz anderer Art enthielt ein Druck von 1520, der sich ebenfalls in der Ausstellung findet: Das Liber selectarum cantionum – ein Prunkband zusammengestellt vom «Schweizer» Komponisten Ludwig Senfl – enthält 25 Werke der berühmtesten Komponisten der Hochrenaissance. Mit den meisten Werken vertreten ist Josquin Desprez und (etwas unbescheiden) Ludwig Senfl selbst. Das Merkwürdige allerdings: Der Band weist praktisch keine Gebrauchsspuren auf; die Mönche scheinen ihn eher als «Kunstobjekt» und nicht so sehr für den täglichen Gebrauch gekauft zu haben. Dem mag entsprechen, dass die beiden Werke der Renaissance, die wir im Gottesdienst regelmässig sangen, nicht etwa von Komponisten wie Josquin oder Senfl stammten. Es waren vielmehr die Missa Papae Marcelli von G. P. da Palestrina und das Requiem seines Schülers G. F. Anerio, die den Renaissance-Stil in einem etwas spannungslos-eleganten Wohlklang weiterführten.

Musikbibliothek

Gerade diesen Palestrina-Stil erklärte man im 19. Jahrhundert zum Vorbild für die Kirchenmusik – mit nicht immer ganz glücklichen Folgen. Immerhin: Nachdem man früher alles «Veraltete» als nichtwiederverwendbar skrupellos weggeworfen hatte, nahm man nun die Musik früherer Epochen wieder zur Kenntnis und sammelte sie. Auch im Kloster Einsiedeln regte sich dieses historische Interesse; es entstand eine eigentliche Musikbibliothek, deren Anfänge auf die Sammlertätigkeit von Pater Gall Morel (1803–1872) zurückgehen. So verdankt das Kloster ihm – um zwei kontrastreiche Beispiel zu nennen – eine Kostbarkeit wie Mozarts handschriftliche Skizze zu dessen Pariser Sinfonie und andererseits die Kuriosität der Pseudo-Renaissance-Madrigale des damals auf Schloss Wartensee (St. Gallen) lebenden Engländers Robert Lucas Pearsall; er schenkte dem Kloster nicht nur seine eigenen Werke, sondern auch die umfangreiche Musikbibliothek. Schenkungen dieser Art trugen dazu bei, dass die Musikbibliothek des Klosters heute eine der grössten in Europa ist.

Image
Mozarts handschriftliche Skizze des Andante con Moto aus seiner «Pariser Sinfonie». Foto: Museum Fram

Das Interesse an alter Musik richtete sich im späten 19. Jahrhundert dann auch auf den Gregorianischen Choral. Das Kloster besitzt mit dem Codex 121 das älteste erhaltene Graduale mit einstimmigen gregorianischen Gesängen für das ganze Kirchenjahr. Die Handschrift, in Einsiedeln vor dem Jahr 1000 geschrieben, ist in der Ausstellung (natürlich) nur als Facsimile zu sehen – aber auch dieses, mit seiner geheimnisvollen Notenschrift der Neumen, vermag ein leises Erschauern zu wecken. Wenigstens heute. Denn es wäre eine Lüge zu behaupten, dass ich den Gregorianischen Choral damals als Stiftsschüler besonders liebte; nein, er erschien mir immer als etwas langweilig-eintönig, auch wenn Pater Roman ihn uns geduldig beigebracht hatte … So kann die Vergangenheit uns auch nach mehr als 50 Jahren noch einholen.

Ausstellung

Die Ausstellung bietet eine Musikgeschichte ganz eigener Art: Vieles, das sonst wichtig ist, erscheint hier nicht; und was im Kloster wichtig war, wurde und wird ausserhalb nur gelegentlich zur Kenntnis genommen. Das macht aber gerade auch den Reiz der Ausstellung aus, zusammen natürlich mit der Fülle von Handschriften, Drucken, Biografien, Dokumenten der Zeitgeschichte, Tonbeispielen – optisch einladend präsentiert und klar in überschaubare «Kapitel» strukturiert. Dieser Struktur folgt auch eine Begleitdokumentation; und die alles andere als akademischen Führungen von Pater Lukas Helg tragen das Ihre zur Attraktivität der Ausstellung bei. Aber natürlich bleibt auch dieses und jenes offen: Warum nur kam jene Winzigst-Miniatur von 1659 mit calvinistischen (!) Psalmen ins Kloster …?

Die Ausstellung dauert vom 25. Mai bis 29. September 2019. Museum Fram, Eisenbahnstrasse 19, Einsiedeln
www.fram-einsiedeln.ch informiert über die Öffnungszeiten und Führungen

P. Lukas Helg / Christoph Riedo: Ein himmlisch Werk – Musikalische Schätze aus dem Kloster Einsiedeln. Dokumente zur Ausstellung im Museum Fram. 110 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen

P. Lukas Helg: Das Einsiedler Salve Regina – Eine musikalische Studie. 126 Seiten, mit Notenbeispielen

Wieviel Stress verträgt ein Musikstudium?

Australische und amerikanische Forscher haben untersucht, wie Musikstudienanfänger mit den neuen Anforderungen an Professionalität und Selbstorganisation umgehen.

Foto: tadicc1989 / stock.adobe.com

Für viele Musikstudenten kann der Übergang zum Studium auf Hochschulniveau erheblichen Stress bedeuten, da sie sich an den akademischen Standard und die Herausforderungen anspruchsvoller Leistungsbeurteilungen anpassen müssen. Vor diesem Hintergrund hat das Team die Auswirkungen von Stress auf das Wohlbefinden der Schüler, insbesondere ihr Gefühl von Energie und Lebendigkeit, unter die Lupe genommen.

Die Ergebnisse zeigten, dass Stress die Vitalität der Studienbeginner beeinträchtigt, nicht aber der selbstorientierte Wille zum Perfektionismus. Darüber hinaus beeinflussen sowohl die Anpassungsfähigkeit als auch die Qualität der Beziehungen zu den Mitstudierenden die Vitalität positiv. Diese positiven Asepkte reduzieren allerdings die negativen Auswirkungen von Stress nicht.

Originalartikel:
https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/1029864919860554

Tod des Komponisten Rolf Urs Ringger

Der Schweizer Komponist und Publizist Rolf Urs Ringger ist im Alter von 84 Jahren verstorben. Der Adorno- und Henze-Schüler prägte als Journalist auch das Gesicht der NZZ-Musikberichterstattung mit.

Rolf Urs Ringger 2008. Foto: Cygnebleu/wikimedia (s. unten)

Geboren in Zürich studierte Ringger laut der Datenbank Musinfo schon während der Mittelschule und am Konservatorium Zürich. 1956 besuchte er die Darmstädter Ferienkurse. Er studierte bei Theodor W. Adorno und Hans Werner Henze in Neapel und von 1958 und 1962 in Zürich auch Dirigieren.

Ringger studierte überdies Musikwissenschaft und Philosophie an der Universität Zürich und promovierte mit einer Dissertation über Anton Webern. 1967/68 war er Gast des Deutschen Akademischen Austauschdlenstes (DAAD) in Westberlin. Ab 1975 schrieb er als Auftragswerke Klavier-, Gesangs- und Kammermusik, Orchesterstücke, Ballette und Orchestrationen. Seine Werke wurden in London, Manchester, Frankfurt a. M., New York, Berlin, München, Tokio aufgeführt.

 

Foto oben: Cygnebleu / wikimedia commons

Rünzi-Preis geht an Arsène Duc

Der regelmässig auf nationaler und internationaler Ebene ausgezeichnete Brass-Band-Direktor Arsène Duc ist der diesjährige Preisträger der Stiftung «Divisionär F.K. Rünzi».

Arsène Duc (Bild: zvg)

Der 1965 in Chermignon geborene Arsène Duc besitzt einen Abschluss der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Lausanne und hat Musik am Genfer Konservatorium studiert. Mit der Blasmusikgesellschaft Ancienne Cécilia aus Chermignon, die er seit 1988 dirigiert, holte er am Eidgenössischen Musikfest, das alle fünf Jahre stattfindet, 2011 und 2016 in der Höchstklasse den Schweizermeistertitel. 1990, 2014 und 2019 gewann er die Walliser Meisterschaft.

Auf internationaler Bühne kann sich Arsène Duc mit einem Europameistertitel, den er 2018 mit der Valaisia Brass Band geholt hat, und zwei weiteren Vizemeistertiteln, die er in den Jahren 2006 mit der Brass Band Fribourg und 2017 mit der Valaisia Brass Band gewonnen hat, schmücken.

Der mit 20’000 Franken dotierte Rünzi-Preis wird seit 1972 verleihen. Er kann gemäss Stiftungsurkunde vom Rat an jede Persönlichkeit vergeben werden, welche dem Wallis besondere Ehre zukommen lässt.
 

get_footer();