Einheimischer Ersatz für Tropenhölzer

Ingenieure der Technischen Universität (TU) Dresden haben für die Gitarrenmanufaktur Hanika ein Verfahren entwickelt, das Fichte, Ahorn oder Kirsche für den Bau von Gitarren nutzbar macht. Die heimischen Hölzer zeigen damit mindestens die gleichen akustischen Eigenschaften wie Tropenholz.

Anzupftest einer Gitarre an der TU Dresden (Foto: Krüger/TUD),SMPV

Bisher werden Konzertgitarren aus einer Kombination lang gelagerter tropischer Holzarten wie westindische Zedrele für den Hals, ostindischer Palisander für Zarge und Boden und Ebenholz für das Griffbrett hergestellt. Seit Anfang 2017 gelten für den Handel mit bedrohten Hölzern aus den Tropen jedoch strengere Bestimmungen, so dass Musikinstrumentenbauer auf Alternativen angewiesen sind.

Mit dem Behandlungsverfahren der TU Dresden werden einheimische Hölzer mit einer bestimmten Temperatur und einem bestimmten Druck für eine gewisse Zeit thermisch behandelt um die notwendigen Alterungsprozesse des Holzes zu beschleunigen. Im Ergebnis können die thermisch modifizierten einheimischen Hölzer nach nur einem Jahr zu hochwertigen Musikinstrumenten weiterverarbeitet werden.

Mittlerweile produziert Hanika vier neue, vollständig tropenholzfreie Gitarrenmodelle (Basis-, Mittel-, Ober- und Meisterklasse) aus thermisch behandelten einheimischen Hölzern. Dafür wurde die Gitarrenmanufaktur auf dem Innovationstag Mittelstand des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) in Berlin als «ZIM-Handwerksprojekt des Jahres» ausgezeichnet.

 

Lockere Souveränität

Zum 51. Mal bieten die Wittener Tage für Neue Kammermusik Einblicke in zeitgenössisches Komponieren. Mit dabei ist Barblina Meierhans aus Burgau.

Barblina Meierhans‘ Station in der Kegelbahn. Foto: © WDR/Claus Langer

Mit einer «kleinen Prise Humor» blickt Meierhans auf eine spezielle Kultur: Nebst Fussball wird das Kegeln gross geschrieben im Ruhrgebiet. Ist die Arbeit getan, trifft man sich, trinkt Bier und Schnaps, redet – und zwischendrin wirft man Kugeln auf Kegel. Längst verlassen wirkt die Kneipe mit Kegelbahnen an der Wittener Ruhrstrasse. Putz blättert von den Wänden, das Mobiliar ist abgenutzt, gedeckte Farben erinnern an die Fünfzigerjahre. «Ohne Nostalgie» wollte Meierhans sich auf den Ort beziehen, freundlich auf die Absurditäten von «Vereinstätigkeiten» blicken. Dazu postiert die 1981 in Burgau/SG Geborene in der Nähe des einstigen Bierausschanks eine Schlagwerkerin. Direkt an den Bahnen spielen eine Viola, eine Posaune oder ein Saxofon; unterstützt ist das klangliche Ambiente von Sprach-Einspielungen per Lautsprecher.

Mit Fug und Recht komponierte Meierhans keine stringenten Werke. Eher sind es gelockerte Ton- oder Klangfolgen oder so etwas wie kleine Rhythmus-Studien, die da zu Gehör kommen. Das lässt gedankliche, auch sportive Freiräume. Zwischendrin darf der Festivalbesucher selbst eine Kugel werfen, kann sinnieren über vergangene Zeiten, sich Atmosphären überlassen, die letzten Endes hübsch, letztlich aber auch zu zaghaft-reserviert wirken. Nun denn: Es mag verschiedenen Mentalitäten geschuldet sein. Hier das kernige, meist männerdominierte Westfalenkegeln, dort eine reflektierte, aber auch zurückhaltende Künstlerin aus der Schweiz – so etwas ist keine einfache Konstellation.

Spiel mit Innen und Aussen

Barblina Meierhans’ Station Diese Zeiten sind vorbei … ist nicht die einzige. Alternative Orte abseits der Konzertsäle haben in Witten mittlerweile Tradition. Mal ging es – ganz à la Festival Rümlingen – mit einer Klangwanderung in die Natur, mal spielen Stücke auf einer Fähre oder in einer Strassenbahn, mal bestellt der Festivalleiter Harry Vogt Klanginstallationen für Kellergewölbe. Geht es um ortsbezogene Kunst, ist man beim Komponisten und Multimedia-Spezialisten Manos Tsangaris an der richtigen Adresse. Tsangaris’ immer wieder bewährtes Rezept ist das Spiel mit dem Innen und Aussen. In diesem Wittener Jahr sieht es so aus: Innen, in einem fast rundherum verglasten Kiosk aus den Fünfzigerjahren, sitzt das Publikum, das beschallt wird von ein paar Instrumentalisten und Lautsprechern. Draussen bewegen sich in der Nähe einer Strassenkreuzung normale Passanten nebst obskuren Gestalten, die echt sein mögen oder aber – wer weiss es schon? – von Tsangaris bestellt. Als «Kammerspiel» bezeichnet er seine Station, die auch «Hörkino» heissen könnte.

Auf alle Fälle aus der Kunstsphäre kommen eine Sprecherin und ein Interviewer, deren Worte per Funk in den vollbelegten Kiosk gelangen. Feine Antennen hat Tsangaris. Die Musik darf – wie bei Meierhans – nicht zu sehr im Vordergrund stehen. So sind es eher kleine atmosphärische Beigaben, die die Musiker spielen. Jene draussen flanierende Sprecherin sinniert währenddessen über das Thema Fortschritt, während der Interviewer recht aufdringlich Wittener Passanten nach ihrem Musikgeschmack befragt. Rolling Stones sind eine «Macht», sagt ein Passant. Karlheinz Stockhausen kennt er nicht.

Ein Konzert wie ein Rausch

Was drinnen in den Konzertsälen passiert, bleibt den Wittenern wohl auch verborgen. Schade drum! Denn was in diesem Jahr tönt, ist alles hörenswert, teils sensationell gut. Herausragend das Konzert mit Werken von Mikel Urquiza, von Sasha J. Blondeau und von Sara Glojnarić, alle etwa dreissigjährig. Urquiza vertont dänische Texte von Inger Christensen, indem er die Sopranistin in bezaubernd intime Dialoge verwickelt entweder mit gestopfter Trompete, mit Klarinette oder mit Schlagwerk. Sasha J. Blondeau, 1986 im französischen Briançon geboren, entscheidet sich für eine körnig aufgeraute Klangstudie, während der Ansatz der Kroatin Glojnarić eher rhythmischer Natur ist. In witziger Manier bezieht sie sich zwar nicht auf die «Macht» Rolling Stones, dafür aber auf Schlagzeug-Intros der Rock-Gruppen The Police, Nirvana oder U2. Dass dieses etwa 50-minütige Konzert derart gut funktioniert, liegt zum einen an der kurzweiligen Heterogenität und der frappanten Kompositionsqualität der Werke, zum anderen aber auch an den Interpreten. Sarah Maria Sun (Sopran), Marco Blaauw (Trompeten), Carl Rosman (Klarinetten) und Dirk Rothbrust (Schlagzeug) spielen atemberaubend. Begriffe wie «Variabilität», «Perfektion» oder «Klangsensibilität» werden der unglaublichen Musikalität dieses Quartetts kaum gerecht.

Die Wittener Tage für Neue Kammermusik sind offenbar auf einem guten Weg. Nach Jahren verspannt-sophistischer Komplexität und zwanghafter Suche nach neuen Klangwelten kommt offenbar wieder mehr Lockerheit ins Spiel – kein bloss unkonzentriertes Laissez faire, sondern erfreulich gekonnte Souveränität. Drei Tage voll nachhaltiger Erlebnisse. Was will man mehr?

Thurgau zeichnet Jossi Wieler aus

Der diesjährige Kulturpreis des Kantons Thurgau geht an den Theater- und Opernregisseur Jossi Wieler. Mit dem Preis, der mit 20’000 Franken dotiert ist, würdigt der Regierungsrat das Schaffen des aus dem Thurgau stammenden Preisträgers.

Jossi Wieler (Bild: Webseite Kt. Thurgau)

Jossi Wieler ist 1951 in Kreuzlingen aufgewachsen. Bis 1972 war er im Thurgau wohnhaft und zog dann für sein Regiestudium nach Tel Aviv, Israel. Danach sammelte er erste Bühnenerfahrungen am Habimah Nationaltheater sowie ab 1980 am Düsseldorfer Schauspielhaus. Als Schauspielregisseur arbeitete er anschliessend in Heidelberg, Bonn, Stuttgart, Hamburg, München und Berlin. Am Theater Basel war er von 1988 bis 1993 als Hausregisseur tätig. Danach arbeitete er als freier Regisseur, er war unter anderem an den Münchner Kammerspielen sowie wiederholt bei den Salzburger Festspielen engagiert.

Seit 1994 inszeniert er gemeinsam mit Sergio Morabito auch Opern. Wieler und Morabito wurden 2002 und 2012 zum Regieteam des Jahres gewählt und erhielten in den Jahren 2006 («Doktor Faust») und 2012 («Die glückliche Hand/Schicksal») den Deutschen Theaterpreis Der Faust in der Kategorie «Beste Opernregie». 2015 wurde Jossi Wieler mit dem Kulturpreis Baden-Württemberg ausgezeichnet; 2016 erhielt er den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg.

Swiss Jazz Award 2019 an Othella Dallas

Die 93-jährige amerikanische, in der Schweiz wohnhafte Sängerin Othella Dallas wird für ihre aussergewöhnliche Künstlerkarriere mit dem Swiss Jazz Award 2019 ausgezeichnet. Die Preisverleihung findet am Sonntag, 23. Juni 2019, während des Festivals JazzAscona statt.

Othella Dallas (Bild: zvg)

Othella Dallas wurde 1925 in Memphis geboren. Bevor sie ihre Karriere als Sängerin begann, war sie Schülerin der Tänzerin Catherine Dunham. Als Sängerin debütierte Dallas in den frühen 50er-Jahren in den Jazzclubs von Paris, wo sie die Bühne mit Duke Ellington, Sammy Davis Jr., Nat King Cole, Quincy Jones, Sonny Stitt, King Kurtis und vielen mehr teilte. Seit den 1960er-Jahren lebt Othella Dallas in der Schweiz. 1975 gründete sie in Basel die Othella Dallas Dance School. 2008 brachte sie ihr Album «I Live The Life I Love» auf die Bühne zurück.

Der Swiss Jazz Award wurde 2007 von Radio Swiss Jazz und JazzAscona ins Leben gerufen, mit dem Ziel, den Schweizer Jazz einer breiteren Öffentlichkeit näher zu bringen. Zu Beginn war er als Publikumspreis ausgerichtet, 2017 und 2018 wurde er direkt vergeben. Zu den früheren Gewinnern gehören Franco Ambrosetti (2018), Bruno Spoerri (2017), Patrick Bianco’s Cannonsoul (2016), Raphael Jost and lots of horns (2015), Nicole Herzog & Stewy von Wattenwyl (2014), Chris Conz Trio (2013), Christina Jaccard & Dave Ruosch (2012), Alexia Gardner (2011) und Dani Felber Big Band (2010). Ein «Lifetime Achievement Award» wurde bisher an Hazy Osterwald (2009) und Pepe Lienhard (2006) überreicht.
 

Solothurner Förderpreise 2019

Das Kuratorium für Kulturförderung des Kantons Solothurn hat im Auftrag des Regierungsrates zum achten Mal mit 15’000 Franken dotierte Förderpreise vergeben. Ausgezeichnet werden in der Musik Christine Hasler und Simone Meyer.

Lia Sells Fish (Christine Hasler). Foto: Melanie Scheuber

Christine Hasler arbeitet als Theatermusikerin und als Singer-/Songwriterin. Sie hat 2015 den Master in Musik und Medienkunst an der Hochschule der Künste in Bern abgeschlossen. Als Theatermusikerin arbeitete sie unter anderem mit Markus Heinzelmann am Theater Kanton Zürich, am Staatstheater Nürnberg, am Stadttheater Ingolstadt und am Hessischen Landestheater Marburg, mit Marie Bues am Schlachthaustheater in Bern und an der Rampe in Stuttgart. Mit ihrem Singer-/Songwriting-Projekt Lia Sells Fish spielt sie immer wieder Konzerte in der ganzen Schweiz.

Die Geigerin Simone Meyer ist Schülerin von Bartlomiej Niziol, der an der Hochschule der Künste Bern unterrichtet. 2013 gewann sie einen Förderpreis beim Migros Kulturprozent Wettbewerb, 2014/15 ein Rahn-Stipendium. 2016 war sie als Solistin mit der Jungen Münchner Philharmonie, unter der Leitung von Mark Mast auf Tournee und spielte sieben Konzerte in München, Zürich und Wien.

 

Briefe von Ethel Smyth online gestellt

Die Hochschule für Musik und Theater Leipzig veröffentlicht online 57 Briefe aus Smyths Leipziger Studienzeit Ethel Smyth (1858-1944).

Bild: zvg,SMPV

Die englische Komponistin Ethel Smyth (1858-1944) kam 1877 nach Leipzig, um am dortigen Konservatorium ein Musikstudium aufzunehmen. : «Leipzig!!! … HERE I AM», überschrieb sie einen der ersten von über 50 Briefen aus dieser Zeit an ihre Mutter. In ihnen berichtet sie eindrücklich von den im Alltag spürbaren kulturellen Unterschieden zu ihrer Heimat, der Ausbildung am Leipziger Konservatorium und auch von ihren vielfältigen Aktivitäten und Begegnungen im gesellschaftlichen Leben Leipzigs.

Mit einer Patenschaftsaktion gelang es 2014 der Hochschule für Musik und Theater Leipzig (HMT), die 57 durch ein Londoner Antiquariat angebotenen Briefe zu erwerben. Im Anschluss konnten die einzelnen Schriftstücke im Handschriftenportal Kalliope erschlossen werden. Pünktlich zum 75. Todestag der Komponistin, Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Ethel Smyth liegen die Briefe nun auch online vor.

Die Digitalisate befinden sich mit weiteren Objekten der digitalen HMT-Kollektion auf dem Portal Sachsen.digital und sind unter der Lizenz CC-BY-SA 4.0 nutzbar. Die Digitalisierung, Präsentation und Langzeitarchivierung der Kollektion wurde ermöglicht durch das von der SLUB Dresden koordinierte Landesdigitalisierungsprogramm für Wissenschaft und Kultur des Freistaates Sachsen.

Lucerne Festival streicht Ostern und Piano

Das Oster- und das Pianofestival von Lucerne Festival werden nicht weitergeführt. Das Festival konzentriert sich ab 2020 auf das Sommerfestival. Im Mittelpunkt stehen dabei das Festival Orchestra, die Academy, die Lucerne Festival Alumni und Aktivitäten für die Stadt und Region.

Igor Levit, der am diesjährigen Pianofestival auftreten wird. Foto: Felix Broede/Lucerne Festival

Stiftungsrat und Geschäftsleitung von Lucerne Festival haben die ab dem kommenden Jahr geltende neue Festivalstruktur im Rahmen ihrer periodischen Strategieüberprüfung beschlossen. Ab 2020 neu ins Leben gerufen werden zwei Wochenenden. Diese sollen dem Publikum jeweils im Frühjahr und Herbst Konzerte unter anderem mit Eigen­produktionen bieten.

Neben Orchester und Academy sollen die Lucerne Festival Alumni mehr Bedeutung erhalten. Es handelt sich dabei um ein Netzwerk ehemaliger Akademie-Teilnehmer, deren  Konzerttätigkeit in Luzern und im Ausland stetig zunimmt. Auch die Aktivitäten in der Stadt und Region Luzern sollen vertieft werden. Dazu gehören beispielsweise die Konzertübertragung auf dem Inseli, das Festival «In den Strassen», der Erlebnistag oder das Format «40min».

Schweizer Grand Prix Musik 2019 geht an Cod.Act

Der Schweizer Grand Prix Musik 2019 geht an Cod.Act – André und Michel Décosterd. Die zwei Brüder befassen sich mit den Interaktionen zwischen Ton, Bild und Raum. Weitere vierzehn Musikerinnen und Musiker oder Ensembles werden mit dem Schweizer Musikpreis ausgezeichnet.

πTon, Installation von Cod.Act (Bild: Xavier Voirol)

André und Michel Décosterd wurden 1967 und 1969 in Le Locle geboren. Der Musiker André Décosterd spezialisierte sich in Musikinformatik und studierte die Kompositionssysteme der elektroakustischen und zeitgenössischen Musik. Der Ingenieur Michel Décosterd begann, bewegte Skulpturen zu entwerfen. Seit 1997 verbinden die beiden Brüder ihre Talente als Cod.Act und schaffen musikalische und architektonische Formen, deren Ästhetik an die Welt der Industrie erinnert.

Folgende 14 Musikerinnen und Musiker oder Ensembles werden mit einem Schweizer Musikpreis ausgezeichnet: Bonaventure – Soraya Lutangu (Rougemont VD), d’incise – Laurent Peter (Genf), Pierre Favre (Le Locle), Ils Fränzlis da Tschlin (Engadin), Béatrice Graf (Nyon), Michael Jarrell (Genf), Kammerorchester Basel (Basel), KT Gorique (Sitten), Les Reines Prochaines (Basel), Rudolf Lutz (St. Gallen), Björn Meyer (Bern), Andy Scherrer (Brunnadern SG), Sebb Bash (Lausanne) und Marco Zappa (Locarno).

Vom Jazz zur zeitgenössischen Musik, vom Hip-Hop zum Rap und von der Klassik zur Volksmusik sind durch die Preisträgerinnen und Preisträger alle Musiksparten vertreten. Der Schwerpunkt liegt in diesem Jahr allerdings auf elektronischer Musik in den verschiedensten Formen. Erstmals wird zudem ein Preis an ein Orchester vergeben.
 

Hotel-Abgabe soll bleiben

Neu spricht sich die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Ständerates (WBK-S) dafür aus, die Vergütungspflicht für private Räumlichkeiten von Hotels und ähnlichen Institutionen nicht aufzuheben. Die Kulturschaffenden hatten sich für Vergütungen auf Empfangsgeräten in Hotels und Ferienwohnungen eingesetzt.

Foto: Ruslan Keba on Unsplash (s. unten)

Die Ständerats-Kommission will, im Widerspruch zum Nationalrat, dass es bei der Hotel-Abgabe bleibt. Geht es nach dem Nationalrat, sollen Hotels, Spitäler und Gefängnisse für die Verwendung öffentlicher Werke in ihren Räumen nicht mehr zahlen müssen. Die Verwendung soll als Eigengebrauch definiert werden.

Festgehalten hat die Kommission hingegen an ihrem früheren Entscheid zu Video-on-Demand. Sie ist zwar damit einverstanden, dass Filmschaffende eine Vergütung für die Video-on-Demand-Verwendung erhalten. Die Regelung soll der zunehmenden Online-Nutzung von Werken und dem Verschwinden der Videotheken Rechnung tragen. Die WBK schlägt aber vor, Musik in Filmen von einer solchen Vergütungspflicht auszunehmen.

Für die Beibehaltung hatten sich die Urheberrechtsgesellscahften eingesetzt. Siehe dazu diesen Artikel in der SMZ.

Konzertkleidung der Zukunft

Wie sollte eine modische, den besonderen Erfordernissen des Spielens angepasste Konzertkleidung aussehen? Steuern Sie bis zum 16. Mai Ihre Erfahrungen und Wünsche bei!

Foto: Kai Pilger on unsplash (s. unten)

Was tragen Sie bei Ihren Konzertauftritten? Ist es eine vorgegebene Berufskleidung oder können Sie selber bestimmen? Gefällt Ihnen dieses Outfit? Ist es praktisch? Was würden Sie ändern?

Eine Studentin der Schweizerischen Textilfachschule hat sich vorgenommen, eine modische, den besonderen Erfordernissen des Spielens angepasste Konzertkleidung zu entwerfen. Dabei ist sie sehr froh um Ihre Erfahrungen.

Nehmen Sie dazu an dieser Online-Umfrage teil (Dauer ca. 5 Minuten).

Ziel der Umfrage ist es, Ihre Bedürfnisse zu erfahren, aber auch die Schwierigkeiten, die Konzertbekleidung beim Musizieren bereiten kann. Ihre Angaben bleiben anonym und werden nicht ausserhalb dieser Forschungsarbeit verwendet.

Den Entwurf, der aus der Befragung hervorgeht, wird in der Dezembernummer 2019 der Schweizer Musikzeitung vorgestellt.

Foto: Kai Pilger on unsplash

Werkbeiträge der Stadt St. Gallen

Die Stadt St.Gallen vergibt 2019 sechs Werkbeiträge in der Höhe von je 10‘000 Franken. Drei davon gehen an die Musiker Atilla Bayraktar, Davide Rizzitelli und Charles Uzor.

Davide Rizitelli und Atilla Bayraktar haben sich zum Musik-Projekt Vals zusammengetan. Foto: zVg

Davide Rizzitelli und Atilla Bayraktar gründeten im Sommer 2018 die Band «Vals», um mit neuen musikalischen Produktionsmethoden zu experimentieren. Sie arbeiten mit alten Tonbändern statt mit Computersequenzern, mit Kassetten und Tape Loops statt mit Samplern und lassen auch visuelle Aspekte stark miteinfliessen. Mit einem Werkbeitrag werde «das zukunftsweisende und nachhaltige Potential dieser Kombination aus nostalgischen und futuristischen Elementen gewürdigt», schreibt die Stadt.

Charles Uzor beschäftigt sich seit einiger Zeit mit seinem dritten Opernprojekt und thematisiert damit Leopold II., König von Belgien und Inhaber der Privatkolonie Kongo. Das Projekt sei, so die Stadt «in seiner Aufarbeitung des Kolonialismus und der Täter-Opfer-Bilder im Jetzt verankert» und habe das Potential, das Publikum durch Ambivalenz, Spannung und glaubhafte Motive zu fesseln.

Werkbeiträge erhalten von der Stadt zudem Tine Edel (Bildende Kunst), GAFFA (Dario Forlin, Wanja Harb, Linus Lutz, Lucian Kunz) (Angewandte Kunst), Priska Rita Oeler (Bildende Kunst) und Juliette Uzor (Tanz)

Fundgruben

Wenig bekannte Chorkompositionen aus Luxemburg, Frankreich und Deutschland, die den Vergleich mit «Blockbusters» nicht zu scheuen braucht.

Foto: London Wood Co. / unsplash.com

«Repertoire ist eine Lebensfrage.» Eric Ericson, die schwedische Chorlegende, lebte wie kein anderer dieses immer wieder zutreffende Credo und gab es überzeugend seinen Studierenden (zu denen auch der Autor dieses Textes gehören durfte) mit auf den Weg. Auf der Suche nach spannendem Repertoire treffen Chorleiterinnen und Chorleiter in den hier vorgestellten neuen Sammlungen mit Musik aus Luxemburg und Frankreich, wie auch den oratorischen Werken um J. S. Bach auf echte Fundgruben.

Die geistlichen Vokalwerke des in unseren Breiten relativ unbekannten luxemburgischen Komponisten Laurent Menager (1835–1902) sind in einer vorbildlichen Edition beim Verlag Merseburger erschienen, als Band 3 der gross angelegten Kritischen Gesamtausgabe innerhalb des Forschungsprojektes «Musique luxembourgeoise» an der Universität Luxemburg.

Menager studierte Mitte des 19. Jahrhunderts in Köln beim Chopin- und Mendelssohn-Freund Ferdinand Hiller. Seine Kirchenmusik steht in der Tradition der deutschen Spätromantiker und zeichnet sich aus durch eine schlichte Textbehandlung sowie Bevorzugung einer homofon-syllabischen Satzweise. Der Band enthält viele klangschöne, kurze und leicht ausführbare, deutsche und lateinische A-cappella-Werke (einige auch mit Orgelbegleitung), die als Kirchenlieder, Marienlieder und Tantum-ergo-Kompositionen ideal für die katholische Liturgie geeignet sind.

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In Französische Chormusik, erschienen beim Carus-Verlag, finden nicht nur Leiter katholischer Chöre ein stilistisch breit angelegtes geistliches Repertoire mit einigen bekannten Werken, aber vor allem vielen lohnenden Neuentdeckungen und Erstausgaben. Die Werke in lateinischer und französischer Sprache, viele auch mit Orgelbegleitung, sind grösstenteils nicht besonders schwierig, hauptsächlich vierstimmig mit weiteren kleinen Stimmteilungen und überkonfessionell wie auch konzertant gut einsetzbar. Der Herausgeber Denis Rouger, Chorleitungsprofessor in Stuttgart, konnte bei dieser liebevollen Zusammenstellung auf seine langjährige Erfahrung als Kapellmeister an den Pariser Kirchen Notre-Dame und La Madeleine zurückgreifen und ergänzt die Edition mit einer CD mit ausgewählten Werken, klangschön gesungen von seinem Kammerchor figure humaine.

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In den letzten Jahren bieten die Urtext-Ausgaben von Breitkopf & Härtel eine hervorragende Fundgrube für oratorisches Repertoire: seien es die Neuausgaben von «Blockbusters» wie Händels Messias (sehr empfehlenswerte Kritische Ausgabe mit vielen neuen Perspektiven, Partitur PB 5560) oder Mozarts c-Moll-Messe (einfühlsame Rekonstruktion von Clemens Kemme, PB 5562), aber auch neu zu entdeckende Werke um Bach herum, die häufigere Aufführungen verdienen würden.

Besonders hervorzuheben sind die Neuerscheinungen des böhmischen, von J. S. Bach hochgeschätzten Barockkomponisten Jan Dismas Zelenka. Sowohl sein Miserere c-Moll (ZWV 57, PB 5594), als auch seine Missa votiva (ZWV 18, PB 5577) sind Meisterwerke seines kirchenmusikalischen Schaffens für die Dresdner Hofkirche. Sie kommen mit einer kostengünstigen Orchesterbesetzung (zwei Oboen, Streicher und Basso continuo) aus und sind dennoch reich an Formen und Farben.

Eine wirklich lohnende Wiederentdeckung bieten die Werke von Johann Kuhnau, direkter Amstvorgänger Bachs an der Leipziger Thomaskirche. Sein neu erschienenes Magnificat mit weihnachtlichen Einlagesätzen ist eine echte Bereicherung für festliche Weihnachtskonzerte mit Solisten, Chor und Orchester (EB 32108).

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Zwischen den Passionen Bachs, deren Wiederentdeckung und Carl Loewes Das Sühnopfer des neuen Bundes steht das einstündige, nicht allzu schwer ausführbare Passionsoratorium Gethsemane und Golgatha von Friedrich Schneider aus dem Jahr 1838. Die textnah-plastische und süffige Vertonung erinnert mit opulenten Chören an Mendelssohn, enthält nur wenige Arien und bezieht die Gemeinde mit Passionschorälen ein. Eine interessante Bereicherung für Passionskonzerte, aber auch als Karfreitagsmusik im Gottesdienst bestens geeignet.

Laurent Menager: Geistliche Vokalwerke für gemischten Chor SATB, Männerchor TTBB, Singstimmen Solo und Duo, (=Kritische Gesamtausgabe Band 3), hg. von Alain Nitschké und Damien Sagrillo, Partitur, EM 2600, € 140.00, Merseburger, Kassel 2018

Französische Chormusik, 45 geistliche Chöre und Motetten von 15.–21. Jahrhundert, hg. von Denis Rouger, Chorleiterband mit CD, CV 2.311, € 27.90, Carus, Stuttgart 2018

Johann Kuhnau: Magnificat C-dur mit Einlagesätzen für die Aufführung zur Weihnachtszeit, hg. von David Erler , Partitur, PB 32108, € 54.00, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2018

Auf Brahms’ Spuren

Richard Lane und John Frith habe Trios für Violine, Horn und Klavier geschrieben, die vom wohl bekanntesten Werk für diese Besetzung inspiriert sind.

Granitwürfel mit vier Bildnissen von Johannes Brahms vor der Laeiszhalle in der Hamburger Neustadt. Künstler: Th. Darboven. Foto: Claus-Joachim Dickow/wikimedia commons 

Spricht man von Horntrio, denkt man unverzüglich an das bekannte Opus 40 von Johannes Brahms, welches György Ligeti in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts anregte, das für sein Schaffen bahnbrechende Trio Hommage à Brahms zu komponieren. Auch versuchten immer wieder Komponisten der «gemässigten Moderne», sich in Brahms’ Fussstapfen zu bewegen. Es waren dies neben Charles Koechlin mit seiner verträumten Kostbarkeit Quatre petites Pièces op. 32 der Engländer Lennox Berkeley und der Australier Don Banks, die für dieses Gattung Bereicherndes beisteuerten.

In der Edition Bim, dem verdienstvoll umtriebigen Westschweizer Verlag für Blechbläsermusik, ist ein Trio für Violine, Horn und Klavier des Amerikaners Richard Lane (1933–2004) erschienen, welcher eine ganze Reihe von Werken für Orchester, Blasorchester und Solostücke für Blasinstrumente geschrieben hat. Das elfminütige Trio gefällt durch bewegtes Wechselspiel der drei Instrumente und freie lyrische Teile im Adagio des zweiten Satzes.

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Der Engländer John Frith bringt seine Liebe zum Brahms-Trio in sein neues Werk für dieselbe Besetzung ein. Als immer noch ausübender Hornspieler weiss er um die klanglichen Vorzüge seines Instruments, die er hier im bestklingenden Register zu den anderen Instrumenten setzt.

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Richard Lane: Trio, für Violine, Horn und Klavier, Partitur und Stimmen MCX75, Fr. 25.00, Editions Bim, Vuarmarens

John Frith: Horn Trio, für Violine, Horn und Klavier, E717, £ 17.95, June Emerson Wind Music, Ampleforth

Von Heuliedern und der Niemandsrose

Verdichtete Formen, oft ausgehend von einfachem Material und hinführend zu exaltierten Ausbrüchen, kennzeichnen die Kompositionen auf der neuen Trio-CD von Iris Szeghy.

Iris Szeghy. Foto: Pavel Kastl

Mit einer rasch auffahrenden und wieder absinkenden Geste beginnt die Sängerin, die Klarinette imitiert sie, und so geht das weiter, im Wechsel. Innert kurzer Zeit verändert sich die Geste, die Stimmen verschränken sich, reiben sich aneinander, steigern sich weiter, bis sie auf einem höchsten Ton hängenbleiben. Kurze leise Repetitionen folgen und zum Schluss ein schlichtes slowakisches Volkslied, ein Heulied. So zu hören im Meadow Song von Iris Szeghy. Die seit 2001 in Zürich lebende und arbeitende slowakische Komponistin versteht es, ausgehend von solch einfachem Material – das Imitieren ist ja eigentlich urältestes Musikhandwerk – eine schlüssige Form auf engem Raum zu entwickeln. Aufgrund derartiger Erfahrungen habe ich sie einmal vor vielen Jahren eine Meisterin der kleinen Form genannt, was sie nicht unwidersprochen liess: Sie könne auch grosse Abläufe gestalten. Sei’s drum. Was die episch ausladenden Werke angeht, so finden sie sich hier nicht, auf dieser CD, die sie mit dem slowakischen Trio Sen Tegmento aufgenommen hat. Die Sopranistin Nao Higano, der Klarinettist Martin Adámek und die Pianistin Zuzana Biščáková interpretieren ungemein schön. Nur die deutsche Aussprache wirkt manchmal etwas holprig.

Belegen lässt sich hier aufs Schönste, wie Szeghy die Musik verdichtet und knapp formuliert, ohne Innovationszwang, ausgehend von dem vertrauten Material. Manchmal beginnt sie mit schlichten, ja fast banalen Klängen und steigert sie dann ins Extrem, in theatralisch exaltierte Gesten hinein. Aus einem dumpfen Stampfen etwa entwickelt sich das Klavierstück Perpetuum mobile bis zu grellen Kaskaden. In Folclorico wird eine langsame Klarinettenkantilene von Orientalismen des Klaviers kontrastiert, die auch da wieder in heftigen Ausbrüchen explodieren. Das hat seine Tücken, denn so droht das eingangs Gesetzte desavouiert zu werden, etwa wenn sich einer der «Hesse-Splitter» (nach Fragmenten von Hermann Hesse) sarkastisch, wo’s um die Unsterblichkeit geht, in ein lautes Lachen verzerrt. Nicht alle Stücke entgehen so der Plakativität. Das ist die Gefahr einer nicht nur andeutenden, sondern überdeutlichen Darstellung.

Besonders eindringlich ist die Vertonung von Paul Celans Psalm für Stimme allein. Zwischen Flüstern, Wispern, Sprechen und dunklem Gesang entfaltet sich das so bewegende, nichtslastige Gedicht, blüht für einen Moment auf, wie die zentrale «Niemandsrose» – und versinkt wieder. Die Anrufung des Grossen Bären Ingeborg Bachmanns beschliesst die CD: In der Totenstille flattert die Musik leicht und ernst aus.

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Iris Szeghy: Music for Voice, Clarinet and Piano. Trio Sen Tegmento. Diskant DK 0177-2231

Besuch aus der Vergangenheit

Wie gehen wir mit früheren Zeiten um? Die neueste Ausgabe des Festivals Alte Musik Zürich vom 22. bis 31. März regte zu so mancher Reflexion an.

Aufführung der Vesper von Carlo Donato Cossoni. Foto: Samuel Jaussi

Weshalb soll man Musik historischer Epochen hören? Die Musik zumeist toter weisser Männer, wie sich unlängst eine Bekannte echauffierte. Das Problem fordert die gesamte Klassikbranche heraus, akzentuiert sich für einen Veranstalter wie das Forum Alte Musik Zürich aber noch. Schliesslich stammen die Programmschwerpunkte der von ihm zweimal pro Jahr organisierten Festivals doch oft gar aus längst vergangenen Zeiten.

Wie das diesjährige Frühlingsfestival unter dem Motto «Metamorphosen» aber zeigt, spriessen die Lösungsansätze dort am üppigsten, wo sie am dringendsten benötigt werden. Bewusst oder unbewusst, das über zwei Wochenenden verteilte Programm bot eine Reihe von Antworten auf die Frage, weshalb oder wie man sich mit Werken auseinandersetzen soll, die einem kulturell und gesellschaftlich weit entfernten Umfeld entstammen.

Frisches Präludium und einsamer Höhepunkt

Das begann mit den kleinen Apérokonzerten, in denen Linda Alijaj und Hitomi Inoue, beides Studentinnen der Zürcher Hochschule der Künste, Benjamin Brittens Six Metamorphoses after Ovid für Oboe solo vortrugen. Man könnte das nun den musealen Zugang zur Vergangenheit nennen und läge sicher nicht ganz falsch. Mit der Wahl dieses Stücks und den vom Schauspielstudenten Morris Weckherlin noch zusätzlich vorgetra- genen Ausschnitten aus Ovids Dichtung wurde deutlich und demonstrativ auf die lange Tradition europäischer Kultur verwiesen. Dass es sich bei Britten aber gerade nicht um Alte Musik handelt, verleiht der Sache eine gewisse Frische und zeugt von der Offenheit, mit der das Forum seine Programme gestaltet.

Selbstverständlich konnte man an den beiden Wochenenden auch den unter Veranstaltern wohl gängigsten Umgang mit alten Werken beobachten: Die Frage nach ihrer Aktualität wird gar nicht erst gestellt, sondern man vertraut schlicht auf die Kraft der Musik und versucht, sie in einer guten Interpretation möglichst vorteilhaft zu präsentieren. Am Metamorphosen-Festival etwa in einem Konzert, das Josquin Desprez gewidmet war, dem für viele bedeutendsten Renaissance-Komponisten. Das Vokalensemble Alamire demonstrierte dabei in der Kirche St. Peter eindrücklich, wofür englische Kleinensembles zu Recht berühmt sind. Ungemein agil wurden das Stimmengeflecht umgesetzt, einzelne Stimmen hervorgehoben und so der Klangfluss strukturiert. Einzelne Phrasen bekamen da und dort etwas mehr Raum, ohne dabei das delikate Gefüge zu stören. Selbst die frühe und noch verhältnismässig karge Missa d’ung aultre amer blühte so unter der Leitung des Dirigenten und Musikwissenschaftlers David Skinner sinnlich auf. Fragt sich eigentlich nur, weshalb ausge- rechnet dieses Konzert zu den am schlechtesten besuchten des an sich gut frequentierten Festivals zählte – denn musikalisch war es ein Höhepunkt. Eventuell kann es als Hinweis darauf gedeutet werden, dass es heutzutage nicht mehr reicht, einfach sogenannte Meisterwerke der Musikgeschichte zu präsentieren, um Publikum anzulocken. Oder es war einfach Zufall.

Modern gefärbter Blick zurück und eine Ausgrabung

Grossen Publikumszulauf erzielten hingegen drei Konzerte, in denen versucht wurde, Verlorenes oder auch nur vergessene Traditionen zu neuem Leben zu erwecken. So präsentierte die Deutsche Hofmusik eine Rekonstruktion von Johann Sebastian Bachs verlorener Köthener Trauermusik und das Ensemble Melpomen wagte sich unter Conrad Steinmanns Leitung gar an das Wagnis, die Musik der griechischen Antike zu imaginieren. Und, Zufall oder nicht, gerade in solchen Momenten der tastend spekulativen Annäherung erwies sich die Auseinandersetzung mit dem Früher als ungemein produktiv. Nämlich, indem man dazu gezwungen wurde, über unseren Umgang mit der Vergangenheit nachzudenken.

Am stärksten wurde einem das in der Helferei beim Konzert von Arianna Savalls Gruppe Hirundo Maris bewusst. Savall eröffnete ihre Europareise durch 200 Jahre Minnesang mit einer Einladung ins Mittelalter, und bereits da fragte man sich, ob es nicht doch eher umgekehrt sei. Besucht nicht das Mittelalter uns? Und zwar als guter, sich den Gepflogenheiten des Gastgebers anpassender Gast? Ohne den Dreck und die verstörenden Gewohnheiten mitzubringen? Denn Hirundo Maris bot ja kein authentisches Mittelalter, sondern einen modern gefärbten Blick zurück. Das wäre grundsätzlich nicht problematisch, bleibt einem doch gar nichts anderes übrig, als sich eine bestimmte Sichtweise auf die nur in Text und Melodie überlieferten Weisen so gewissenhaft als möglich zurechtzulegen. Und musikalisch war das auch exzellent und historisch fundiert gelöst. Doch das ganze Brimborium inklusive «Mittelalterkleidung» war befremdlich. Mehr Distanz zum eigenen Tun hätte dem Ensemble nicht geschadet. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen verliess man das Konzert musikalisch beschwingt und intellektuell angeregt. Und was möchte man denn mehr? Viele Veranstaltungen mit neuerer Musik vermögen solches nicht zu leisten.

Eine Einsicht ganz anderer Art vermittelte das Abschlusskonzert mit einer Vesper Carlo Donato Cossonis, eines norditalienischen Komponisten des 17. Jahrhunderts, dessen Musik grösstenteils handschriftlich in der Bibliothek des Klosters Einsiedeln liegt. Es zählt zwar mittlerweile zu den beliebtesten Marketingtricks der Industrie, unbekannte Kleinmeister wiederzuentdecken. Hier konstatierte man allerdings einmal mehr, dass es bei vielen dieser Entdeckungen kein grosser Verlust wäre, wenn sie nie gemacht würden. Doch es zählt zu den vielen Stärken des Festivals, dass einem auch solche Konzerte als gewinnbringend in Erinnerung bleiben.

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Das Ensemble Melpomen unter der Leitung von Conrad Steinmann mit Musik der griechischen Antike. Foto: Rolf Mäder
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