Armin Rüeger im Mittelpunkt

Der Bischofszeller Apotheker Armin Rüeger war mit Othmar Schoeck, dem international bekannten Komponisten aus Brunnen, befreundet. Für drei Opern Schoecks hat er die Libretti verfasst. Eine Sonderausstellung des Historischen Museums Bischofszell rückt den vielseitig Begabten in den Mittelpunkt.

Christa Liechti und die Ausstellung «Armin Rüeger – mehr als der Textdichter von Othmar Schoeck» Foto: Historisches Museum Bischofszell

Die Vernissage der Ausstellung «Armin Rüeger – mehr als der Textdichter von Othmar Schoeck» findet am 19. April um 18 Uhr in der Schniderbudig Bischofszell beim Museum an der Marktgasse 4 statt. Auf rueeger-schoeck.ch sind Informationen über die Freundschaft der beiden zu erfahren, ebenso detaillierte Angaben zur Ausstellung und den Begleitveranstaltungen.

Christa Liechti, Präsidentin der Museumsgesellschaft Bischofszell, lässt sich in der Medienmitteilung vom 3. April wie folgt zitieren: «Sie [Rüeger und Schoeck] gingen verschiedene Wege und blieben sich doch immer nah. Das macht die Sonderausstellung so spannend.»

Weitere Informationen über diesen Link.

Künstliche Kunst – Interfinity 2024

Künstliche Intelligenz treibt alle um. An der Basler Fasnacht 2024 war sie eines der häufigsten Sujets. Am Festival Interfinity ging es einige Wochen später um ihre Auswirkungen auf die Kunst, insbesondere die Musik.

Künstliche Intelligenz an der Basler Fasnacht. Foto: Daniel Lienhard

 

Die 2018 in Basel unter dem Namen Basel Infinity Festival gegründete Reihe unter der Leitung des Pianisten und Musikmanagers Lukas Loss hat sich auf die Fahne geschrieben, interdisziplinäre Veranstaltungen zwischen Musik und Wissenschaft auszurichten. Ein dreitägiger Zyklus widmete sich dieses Jahr innerhalb des zu Interfinity umbenannten Festivals vom 18. bis 20. März dem Thema «Artificial Art», den Möglichkeiten von moderner künstlicher Intelligenz (KI) (oder Artificial Intelligence, AI) und deren Auswirkungen auf Kunst und Gesellschaft. Da es zu diesem Thema durchaus noch Informationsbedarf gibt, wurden am ersten Abend im neuen Novartis-Pavillon in einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion die wichtigsten Aspekte und Problematiken von KI erörtert. Moderiert von Gerd Folkers (ETH Zürich) diskutierten Bianca Prietl und Heiko Schuldt (Universität Basel), Damir Bogdan (CEO Quantum Basel), Frank Petersen (Leiter Forschung Naturstoffe Novartis) und Jan Mikolon (Quantum Basel, IBM).

Nicht mehr wegzudenken

Es ist eine Tatsache, dass sich KI in vielen Gebieten etabliert hat. Die Umwälzung ist ähnlich bedeutend wie etwa die Erfindung des Fotokopierers, des Internets oder des Smartphones, und man weiss nicht, wohin die Reise geht. Einen Weg zurück gibt es nicht mehr, und die Gesellschaft ist gezwungen, sich damit zu arrangieren. Ob eine strenge Regulierung sinnvoll wäre, ist umstritten, da immer Schlupflöcher existieren. Ethische Regeln sind in der Wissenschaft meist kurzlebig.

In unterschiedlichen Gesellschaftsmodellen wird KI auch unterschiedlich eingesetzt: In China ist «social scoring», also die totale Überwachung der Bürgerinnen und Bürger, bereits Realität, während KI in Europa eher zur Zeitersparnis bei Bewerbungen und Ausschreibungen verwendet wird. In der Wissenschaft hat sich KI bereits weltweit durchgesetzt, aber in kürzester Zeit werden sich auch Schulen intensiv überlegen müssen, wie KI sinnvoll zu brauchen ist. Die Universität Basel fördert explizit die Auseinandersetzung mit KI, Angehörige aller Fakultäten sollten fähig sein, sie einzusetzen. Transparenz dürfte ein Zauberwort im Umgang damit sein, ihr Zutun und Anteil sollte kenntlich gemacht werden.

Heiko Schuldt hielt in einem Interview der Basler Zeitung fest: «Man muss sich nicht [vor KI] fürchten. Es ist jedoch sehr wichtig, zu verstehen, wie KI funktioniert und wo ihre Grenzen sind. Was KI kann: innerhalb grosser Datensätze verschiedene Informationen miteinander in einen Zusammenhang bringen. Was KI nicht kann: zwischen wahr und falsch unterscheiden.» KI kann auch nicht eigenständig kreative Prozesse auslösen, könnte aber zumindest theoretisch einen spannenden Kriminalroman auf der Basis aller bisher existierenden Krimis generieren. Man war sich auch einig, dass KI nicht unhinterfragt verwendet werden soll, sieht man doch, dass bei der KI-unterstützten Berufsberatung Frauen zum Studium der Psychologie, Männern aber zu IT und Ingenieurwesen geraten wird. Dass durch KI verschiedene Berufe obsolet werden, ist ein Problem, das nicht vernachlässigt werden darf, ebenso wie die in der Zukunft geringere Wochenarbeitszeit. Ist der Mensch fähig, mit der «eingesparten» Zeit etwas Sinnvolles anzufangen?

Künstliche Paradiese

Am zweiten Abend präsentierte der Schweizer Schriftsteller Alain Claude Sulzer einen launigen Text zum Thema «Künstliche Paradiese». Das Paradies kann sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise präsentieren: Für den greisen François Mitterand war es wohl ein Ortolan-Essen, für das Fettammern, kleine Vögel, in einem grotesken, tierquälerischen Ritual zur Befriedigung exquisiter Gelüste zubereitet werden. Einen Gipfel an raffinierter Künstlichkeit stellen die drei Androiden dar, welche die Neuenburger Uhrmacher Vater und Sohn Jaquet-Droz und ihre Mitarbeiter 1774 dem Publikum präsentierten. Diese Automaten, ein Schreiber, ein Zeichner und eine Organistin, begeisterten europäische Schaulustige während Jahrzehnten.

Ein eher absurdes künstliches Paradies schuf sich August Engelhardt um 1900 in der Südsee, wo er sich nur von Kokosnüssen, die ewiges Leben verhiessen, ernähren wollte. Er starb – von Unterernährung und Krätze gezeichnet – frühzeitig, und die von ihm gegründete «kokovorische» Sekte löste sich auf. Auch Albert Hofmanns in Basel erfundenes LSD war ein Weg in ein problematisches künstliches Paradies.

Einen Kontrapunkt zu Sulzers Essay bildeten Klavierwerke von Bach (arr. Siloti), Bartók, Ornstein und Skrjabin, die nicht durch die Wirkung von Drogen entstanden sind, sondern ihre Eigenständigkeit der Beschäftigung mit Volksmusik, der Erfahrung der Emigration und einer esoterischen Weltanschauung verdanken. Der hervorragende Interpret war der weissrussische Pianist Denis Linnik.

Der Pianist Denis Linnik (oben) am Interfinity-Festival mit dem Publikumsvotum über die Chopin-Kopie (unten). Fotos: Daniel Lienhard

Mensch vs. Maschine

Den Abschluss bildete in der Voltahalle ein mit über 300 Personen sehr gut besuchter und vom Basler Erziehungsdirektor Conradin Cramer mit einer kurzen Rede eröffneter Abend mit einem interessanten Konzept: Fünf Komponistinnen und Komponisten schufen je fünfminütige Werke im Stil von Bach, Chopin, Brahms, Messiaen und Bartók für unterschiedlich besetzte Ensembles. Der lettische Komponist Platons Buravickis «komponierte» Gegenstücke mit KI, interpretiert von den gleichen Musikerinnen und Musikern. Die Interpretationen waren durchwegs ausgezeichnet. Zwischen den Aufführungen gab Henry Legg eine mit Videokunst spektakulär unterstützte Einführung in KI.

Das Publikum konnte jeweils mit QR-Code darüber abstimmen, welche Version eines Stücks es für menschengemacht hielt. Man konnte gespannt sein, ob eine Unterscheidung möglich sein würde. Das Publikum irrte sich aber schliesslich bei keinem der Werke, obwohl es zum Beispiel in der KI-Version von Messiaen einige ausgezeichnete Takte gab, die absolut vom französischen Meister hätten stammen können. Das Klavierquintett im Stil von Brahms von Johannes Raiser und speziell das Quartett für Violine, Klarinette, Klavier und Schlagzeug von Amador Buda im Stile von Bartók waren so überzeugend komponiert, dass man sie problemlos in einem «normalen» Konzert spielen könnte. Obwohl dieses Fazit vielleicht wie eine Plattitüde wirkt: Man hatte den Eindruck, dass die KI-Stücke schülerhaft klangen und ihnen die emotionale Tiefe fehlte. Aber KI kann ja noch Fortschritte machen …

Alte oder neue Musik: Zum Unterricht in historischer Aufführungspraxis

Den Ausführungen von Elizabeth Dobbin und Thomas Drescher zur Lage der historischen Aufführungs- und Ausbildungspraxis (SMZ 1_2/24) sollen hier ergänzend noch ein paar Gedanken angefügt werden, die vor allem die Zukunft betreffen.

Detail aus dem Basler Musikmuseum. Foto: SMZ

Der Ausbildungsbereich «Alte Musik» ist in der Regel beschränkt auf die Zeit vom Frühmittelalter bis ins 19. Jahrhundert, das heisst, auf den Bereich der «alten Instrumente». Mit der Entwicklung der modernen Instrumente im Verlaufe des 19. Jahrhunderts ergab sich ein passender Grund, den Bereich nach vorne einzugrenzen. Nun sind aber Brahms, Mahler, Strawinsky und Boulez ebenfalls bereits alte Musik. Auch die Musik des späten 19. und des 20. Jahrhunderts müsste also im Bewusstsein ihres historischen Kontexts erforscht, gelehrt und aufgeführt werden. Für das 20. Jahrhundert ist dieser Anspruch aus gutem Grunde seit Anbeginn eingelöst. Es fehlt also nur noch das späte 19. Der Geltungsbereich der historisch informierten Aufführungspraxis und der dazu passenden historisch informierten Ausbildung ist, so meine nicht nur ich, notwendigerweise auszudehnen auf den Zeitbereich vom Frühmittelalter bis gestern. Die Verbindung von Forschung, Lehre und Aufführung, die Paul Sacher einst als Grundkonzept für die Basler Schola postulierte, erscheint für jede Musikausbildung sinnvoll. Auch im Bereich der mittlerweile längst akademisierten Ausbildung im Jazz. Wenn eine Bigband ein Stück von John Coltrane spielt, dann müssen die Soli im Coltrane-Stil vorgetragen werden. Die Solisten müssen zu solch historischer Aufführungspraxis (technisch und ästhetisch) in der Lage sein, das heisst ausgebildet werden.

Was für Wissen braucht es zum Können

Die Lehrenden müssen sehr viel wissen. Ihren Lernenden aber müssen sie vor allem Handlungsfähigkeit beibringen. Hier liegt meines Erachtens ein grosses Missverständnis beim Anspruch der historischen Informiertheit in der Ausbildung. Sie ist selbstverständlich (auch!) eine Disziplin der wissenschaftlich-historischen Forschung und abhängig davon. Die Resultate solcher Forschung aber sind für die Ausbildung angehender Musiker propädeutisch. Sie sollen nicht einfach in Worten weitergegeben und gelehrt werden, ihre Ergebnisse müssen bei den Lernenden vor allem zur praktischen Anwendung gebracht und so fruchtbar gemacht werden. Hat ein Lernender auf diese Weise «musikalische Handlungskompetenz» erworben, wird er auch die Formulierungen der Komponisten auf ganz andere, nämlich direkte Weise erkennen, einschätzen- und bewerten können. Mit anderen Worten: Für angehende Musiker ist die Ausbildung zum Denken in Tönen wichtiger als diejenige zum Reden oder Vielwissen über Musik. Damit soll die Bedeutung und der Wert des Redens und Wissens keineswegs kleingeredet werden. Es geht nur um die Prioritäten. Gefördert werden soll im Unterricht mit Vorrang das implizite Wissen und erst in zweiter Linie das explizite solche.

Abschied vom vorgefertigten theoretischen Instrumentarium

Kollegen aus dem angrenzenden Ausland berichten mir, wie dieser Denkansatz an ihren Hochschulen diskutiert und wie sehr dessen Realisierung manchenorts als Wunschziel angestrebt wird. Dies bedingt nicht nur die Formulierung neuer Curricula und die sukzessive Anstellung entsprechend ausgebildeten Lehrpersonals, es bedingt auch den Abschied von vielen immer noch ziemlich heiligen Kühen. Dazu gehört etwa das theoretische System der Harmonielehre, mit dem manchenorts die Musik zwischen Monteverdi («da wird’s ja bereits so’n bisschen tonal») und Mahler analysiert wird. Dazu gehört die systematische Formenlehre, mit deren Vorgaben man nach wie vor Kunstwerke vermisst. Dazu gehört wohl schlicht das meiste vorgefertigte theoretische Instrumentarium. Es führt notwendigerweise zur Einengung und nicht selten auch zur bleibenden Deformation des Blick- bzw. Hörwinkels.

Aufeinander bezogene Fächer vermitteln ein Gesamtbild

Die Unterrichtscurricula an Instituten für historische Aufführungspraxis unterscheiden sich nicht nur im Bereich der Hauptfächer (alte Instrumente, Spieltechniken, Ästhetik), sondern auch und ganz besonders im Pflichtfachbereich von denjenigen landesüblicher Musikhochschulen. Dargestellt am Beispiel der Basler Schola: Hier folgen die Kernfächer Satzlehre, Gehörbildung, Notationskunde und Musikgeschichte einem einheitlich historisch differenzierten Ausbildungsplan. Dank dem chronologischen Vorgehen in allen diesen Fächern entstehen viele innere Beziehungen, wird derselbe Gegenstand von unterschiedlichen Standpunkten beleuchtet und betrachtet. Diese Fächer werden ergänzt durch die ebenfalls in chronologischem Vorgehen angebotenen Fächer Quellen- und Instrumentenkunde, den Pflichtfächern Gregorianik (Modalität in der Einstimmigkeit), Historischer Tanz, Improvisation und Verzierungslehre sowie, je nach Arbeitsbereich, auch Generalbassspiel. Für alle Studierenden kommt dazu noch das Pflichtfach Gesang (Stimmbildung, historische Singpraxis). Der Kanon der aufeinander bezogenen Fächer vermittelt den Studierenden ein Gesamtbild, in das sie ihre Arbeit im Hauptfach stellen können. Sie verfügen über einen detailreichen Hintergrund und ein auf allen Ebenen vertraut gewordenes Umfeld. Sie erhalten damit die nötigen Grundlagen für ihre ästhetischen Entscheidungen als Interpreten.

Aufgeteilt ist der Gesamtbereich in die stilspezifischen Arbeitsbereiche bzw. Studiengänge: 1) Mittelalter/Renaissance, 2) Renaissance/Barock/Klassik und schliesslich 3) Barock/Klassik/Frühromantik. (Dieses Ausbildungskonzept geht zurück auf einen Entwurf von Wulf Arlt im Jahre 1970. Es wurde danach erweitert und ergänzt durch Peter Reidemeister und später durch dessen Nachfolgerinnen und Nachfolger.)

Die genannten Arbeitsbereiche liessen sich wie folgt weiterdenken: 4) Klassik/Frühromantik/Hoch- und Spätromantik, 5) Romantik/Neue Musik in der ersten Hälfte des 20. Jh. /Musik nach dem zweiten Weltkrieg. Die Bereiche 1) und 2) blieben wohl den darauf spezialisierten Instituten vorbehalten, an den meisten Musikhochschulen bestünde das Standard-Angebot wie bisher aus den Bereichen 3), 4) und 5). Ausbildungsprogramme könnten als Module frei zusammengestellt werden.

 

Markus Jans unterrichtete von 1972 bis 2010 an der Schola Cantorum Basiliens historische Satzlehre.

Ausgabe 04/2024 – Focus «Schaffhausen»

Annedore Neufeld in Schaffhausen. Foto: Holger Jacob

Inhaltsverzeichnis

Focus

In Schaffhausen arbeiten wir zusammen, die Wege sind kurz
Interview mit Annedore Neufeld, u.a. engagiert bei Musik-Collegium und Bachfest tätig

Schaffhauser Jazzfestival
Spiegel des helvetischen Schaffens

Kleine Stadt mit grossem Herzen für verrückte Musik
Schaffhausen als Hochburg des Do-it-yourself-Pop
Link zu Hanspeter Künzlers Playlist Schaffhausen

Es geht um etwas ganz Grosses
Die Musikschule Schaffhausen und ihre Singschule

Chatten über … die kulturelle Atmosphäre in Schaffhausen
Sonix und Joscha Schraff

 (kursiv = Zusammenfassung in Deutsch des französischen Originalartikels)

 

Critiques

Rezensionen von Tonträgern, Büchern, Noten

 

Echo

Beethoven lebt im Emmental
Das Langnauer Orchester und sein grosses Beethoven-Projekt

Radio Francesco
Accoucher | Gebären

«Ein bisschen an den Basler Madrigalisten riechen»
Erster Schweizer Chorleitungspreis «Swiss Made»

Un parcours hors du commun
Raymond Meylan

Il faut arrêter d’être obsédé par la question de la modernité
Entretien avec Karol Beffa, compositeur, pianiste et écrivain

Chancengerechter Instrumentalunterricht im Aargau
Diskussionsbeitrag von Andreas Schlegel
Link auf musikbildung-aargau.ch

Alte oder neue Musik: Zum Unterricht in historischer Aufführungspraxis
Überlegungen zur Zukunft von Markus Jans

Carte blanche
für Werner Bärtschi


Basis

Artikel und Nachrichten aus den Musikverbänden

Eidgenössischer Orchesterverband (EOV) / Société Fédérale des Orchestres (SFO)

Konferenz Musikhochschulen Schweiz (KMHS) / Conférence des Hautes Ecoles de Musique Suisse (CHEMS)

Kalaidos Musikhochschule / Kalaidos Haute École de Musique

Schweizer Musikrat (SMR) / Conseil Suisse de la Musique (CSM)

CHorama

Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) / Association suisse de Médecine de la Musique (SMM)

Schweizerische Musikforschende Gesellschaft (SMG) / Société Suisse de Musicologie (SSM)

Schweizerischer Musikerverband (SMV) / Union Suisse des Artistes Musiciens (USDAM)

Schweizerischer Musikpädagogischer Verband (SMPV) / Société Suisse de Pédagogie Musicale (SSPM)

SONART – Musikschaffende Schweiz

Stiftung Schweizerischer Jugendmusikwettbewerb (SJMW)

Arosa Kultur

SUISA – Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik

Verband Musikschulen Schweiz (VMS) / Association Suisse des Écoles de Musique (ASEM)

 

Gender-Pay-Gap im 19. Jahrhundert
Rätsel von Rudolf Baumann

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Ausgabe für CHF 8.- (+ CHF 2.- Versandkosten) bestellen

Arthur Furers Werk lebt auf

Am Wochenende vom 23./24. März 2024 findet in der Petruskirche Bern zum 100. Geburtstag von Arthur Furer (1924-2013) ein Festival mit Werken des Berner Komponisten, Musikers und Musikpädagogen statt. Die künstlerische Leitung liegt bei Kaspar Zehnder, Furers Neffe.

Arthur Furer mit Kaspar Zehnder 2003 in Prag. Foto: zVg

Als Neffe von Arthur Furer durfte ich bereits als Jugendlicher vom grossen musiktheoretischen Wissen des Komponisten profitieren. Bis heute zehre ich von der Grundlage in Harmonielehre und Analyse, welche mir mein Onkel vermittelt hat. Noch zu seinen Lebzeiten konnte ich mich revanchieren und mich in zahlreichen Konzerten und Aufnahmen mit seinem Schaffen auseinandersetzen. Dabei war es mir stets ein Anliegen, dafür auch Interpretinnen und Interpreten der jüngeren Generationen zu gewinnen.

Da Arthur Furer wegen eines Gehörleidens ab den 1990er-Jahren nur noch vereinzelt komponierte, war ihm die Wiederaufführung seiner früheren Werke die eigentlich grösste Freude. Er sass dann mit ausgeschalteten Hörgeräten im Konzert und beobachtete aufmerksam Bühne und Publikum. Mit unvermindert charmantem Lächeln pflegte er sich bei den Musikerinnen und Musikern zu bedanken.

Komponist, Geiger, Bratschist

Die Ausführenden waren sehr oft seine Freunde. Allen voran die Geiger Rudolf Brenner und Ulrich Lehmann, aber auch das Berner Symphonieorchester, wo Brenner sowie Lehmann als Konzertmeister und Furer selbst als Geiger wirkten. Dann auch das Berner Kammerorchester, wo Furer Solobratschist war, das Kammerensemble Radio Bern, von dem einige Aufnahmen für Soloinstrumente und Kammerorchester existieren, und die Camerata Bern, für die er in den 1980er-Jahren eine virtuose Musik für Streicher schrieb.

Anlässlich der Einweihung des neuen Inselspitals wurde sein Werk Portum inveni uraufgeführt. Für das Jubiläum 800 Jahre Bern schrieb er die Kantate Aus Zeit und Leid, deren Uraufführung durch die Chöre des Gymnasiums Neufeld (Leitung: Döfe Burkhardt) und das BSO ein Ereignis war. Furers Solosonate und die Musica per Viola sola waren beim ersten Max Rostal-Wettbewerb für Violine und Viola die Pflichtstücke.

Arthur Furer war ein Berner in Bern und für Bern. Dafür wurde ihm 1984 der Grosse Musikpreis des Kantons Bern verliehen.

Dirigent, Musikpädagoge

Von seiner Heirat 1951 bis zu seinem Tod 2013 hat er in der Petrus-Kirchgemeinde gelebt und dort auch lange den Kirchenchor geleitet. Während Jahrzehnten wirkte er als Musiklehrer am Städtischen Lehrerinnenseminar Marzili. Aus dieser Zeit stammen die exemplarischen Aufnahmen der Zyklen Jahreszeitenlieder, Blumenlieder und Kathedrale für Elite-Frauenchor. Furer war ein extrem strenger, aber auch charismatischer Lehrer, Musiker und Dirigent. Seine grossartigen Aufführungen von Bachs h-Moll-Messe und von Schuberts As-Dur-Messe liegen über 40 Jahre zurück, bleiben mir aber unvergesslich. In seinen späten Werken, namentlich in Lob der Gottheit bringt Furer eine pazifistische und pantheistische Weltanschauung zum Ausdruck.

Die Musik von Arthur Furer war nie avantgardistisch, aber stets akribisch durchdacht, anspruchsvoll in jeder Hinsicht und klanglich meisterhaft. Er selbst äusserte sich dazu: «Keiner zeitgenössischen Schule verbunden, suche ich für jede neue Komposition den dem Gehalt des Werkes dienenden und mir momentan entsprechenden persönlichen Stil.»

Verein Music Research & Discoveries

Veranstalter des Festivals ist der von Kaspar Zehnder im September 2023 gegründete Verein Music Research & Discoveries. Der Verein bezweckt die Erforschung und Entdeckung von neuer, wenig bekannter oder in Vergessenheit geratener Musik sowie deren Herausgabe, Aufführung und/oder Aufnahme, was dem Vereinsgründer ein grosses Anliegen ist. Die Vereinstätigkeit wird finanziert durch freiwillige Beiträge der Mitglieder, Spenden und Zuwendungen von Dritten, Erträge aus Veranstaltungen, Sponsorenbeiträgen und Beiträgen der öffentlichen Hand.

Weitere Informationen und detailliertes Programm: kasparzehnder.com

Manuskriptseite einer Komposition von Arthur Furer. Bild: zVg

«Ein bisschen an den Basler Madrigalisten riechen»

Nur wenige Absolventinnen und Absolventen des Masters in Chorleitung finden eine Anstellung in einem professionellen Chor. Mit dem Schweizer Chorleitungspreis «Swiss Made» soll nun dieser Berufseinstieg gefördert werden.

Masterclass Chorleitung mit Maija Gschwind; Raphael Immoos stehend im Hintergrund Foto: Benno Hunziker

Die Schweizer Musikhochschulen bieten ausgezeichnete Ausbildungsangebote für Chorleitende. So weit, so gut, aber was mit den Absolventinnen und Absolventen nach der Ausbildung geschieht, liegt grundsätzlich nicht mehr im Zuständigkeitsbereich der Hochschulen. Raphael Immoos, ehemaliger Professor für Chorleitung an der Basler Musikhochschule und seit zehn Jahren Leiter des traditionsreichen Gesangsensembles Basler Madrigalisten, setzt sich mit diesem Übergang auseinander: «Für hochkarätig ausgebildete Chorleitende mit Masterabschluss gibt es nach dem Studium zu wenige weiterführende Angebote. Es klafft eine Lücke zwischen Studium und Beruf.» Es gebe zwar hervorragende Masterclasses fürs Chordirigieren, wie kürzlich jene mit Florian Helgath und der Zürcher Sing-Akademie, doch bildeten solche Angebote eher die Ausnahme. Die meisten Chorleitenden verrichteten ihre Arbeit im Amateursektor und bekämen selten die Chance, mit professionellen Ensembles zu arbeiten. Wenn also Chorleitende Karriere mit professionellen Chören machen wollen, sind sie nach dem Studium auf Fördergefässe angewiesen.

Wettbewerb und Masterclass in einem

Immoos hat sich vorgenommen, zusammen mit seinem Profichor für diesen Bedarf ein Angebot zu entwickeln. Nachdem er im letzten Jahr die Lehrtätigkeit aufgegeben hatte, war die Zeit reif dafür. Der Internationale Lyceum Club war bereit, unterstützend mitzuwirken. Diese Institution ist seit vielen Jahren unter anderem als Sponsorin von Musikwettbewerben der besonderen Art aktiv. Viele weitere Geldquellen mussten freilich genutzt werden, um das Unterfangen umsetzen zu können. Ein Wettbewerbskonzept völlig neu zu denken und entwickeln zu dürfen, bedeutete für die Madrigalisten eine grosse Chance. Immoos war es wichtig, einen Wettbewerb mit Fördercharakter zu entwickeln, der sich nachhaltig auf die Fortentwicklung der Teilnehmenden auswirken kann.

Das Besondere an seinem Wettbewerbskonzept sind die Coachings in Form von Workshops und Masterclasses. Donnerstag bis Samstag, 15. bis 17. Februar, gab es fachliche Einzelbetreuung durch Raphael Immoos und Körperschulung durch die Physiotherapeutin und Dozentin Johanna Gutzwiller sowie insgesamt zweieinhalb Stunden Probezeit pro Teilnehmenden, während der die vorgegebenen Stücke mit dem Chor unter Aufsicht des Dozenten und der Dozentin erarbeitetet wurden. Samstagnachmittag war Generalprobe, und am Abend erklang das von Radio SRF 2 Kultur aufgezeichnete Konzert. Die fünf Finalteilnehmenden, die aus den elf Bewerbungen ausgewählt wurden und für die Coachings je einen Betrag von 800 Franken zahlten, «durften ein bisschen an den Madrigalisten riechen», schmunzelte Immoos.

Alle zwei Jahre soll der Wettbewerb in Zukunft durchgeführt werden – so der Plan –, und in den Zwischenjahren darf der Preisträger oder die Preisträgerin ein Projekt mit den Madrigalisten planen, proben und aufführen. Jeder Teilnehmer, jede Teilnehmerin erhält neben dem Zertifikat für die Finalteilnahme eine professionelle Tonaufnahme und ein Video- Dokument, die es ihnen erlauben, sich für anspruchsvolle Anstellungen zu bewerben

Anspruchsvolle Literatur, gedrängtes Konzertprogramm

Das Programm war vom Veranstalter vorgegeben worden. Es handelte sich ausschliesslich um zeitgenössische Schweizer Musik. Ausgehend von Heinz Holligers komplexem und gesellschaftskritischem Werk hölle himmel nach Gedichten von Kurt Marti hatten sich die jungen Kandidatinnen und Kandidaten mit Stücken von Thüring Bräm, Walter Courvoisier, Conrad Beck, Hans-Martin Linde, Javier Hagen und Frank Martin auseinanderzusetzen – wahrlich keine leichten Aufgaben. Immoos war es wichtig, dass alle mindestens ein Stück von Heinz Holliger einstudierten, das sie in kürzester Zeit zur Konzertreife bringen mussten.

Im Verlauf der Aufführung wechselten sich die vier Dirigentinnen (Maija Gschwind, Anna Kölbener, Chiara Selva, Deborah Züger) und der eine Dirigent (Grégoire May) am Pult in rascher Folge ab. Auch für die Sängerinnen und Sänger stellte diese spezielle Situation eine Herausforderung dar und sei nicht mit einer «normalen» Konzertsituation zu vergleichen, wie die Altistin Isabelle Gichtbrock in der Pause vor der Preisverleihung zu bedenken gab. Nichtsdestotrotz vermochten die erfahrenen Chorleute manch packenden musikalischen Moment zu kreieren. Die beiden Teilnehmerinnen Chiara Selva und Deborah Züger äusserten sich in der Pause begeistert vom Konzept und betonten, dass sie in der kurzen, intensiven Zeit sehr viel lernen könnten.

Deborah Züger wurde von der dreiköpfigen Jury, bestehend aus Georg Grün (Dirigent Kammerchor Saarbrücken), Jessica Horsley (Dirigentin) und Lukas Bolt (Musikkommission des Schweizerischen Chorverbands) schliesslich zur Gewinnerin erkoren, eine weitere Rangierung gab es nicht. Es sei nicht mehr als eine Momentaufnahme, welche man nicht zu ernst nehmen sollte, betonte Grün und schlug vor, die Jury beim nächsten Mal auf fünf oder gar sieben Köpfe aufzustocken.

Um die Beurteilung auf mehrere Instanzen zu verteilen, könnte man sich ausserdem überlegen, eine weitere Stimme dem Chor zu geben. Auch ein Publikumspreis würde der Veranstaltung gut anstehen. Chor und Publikum urteilen oft aus anderen Blickwinkeln als eine Jury. Dies würde das Verdikt, das ja hinter dem Weiterbildungsaspekt zurückstehen soll, etwas relativieren.

 

 

 

AMG-Ehrenmitgliedschaft Ton Koopman

Die Allgemeine Musik-Gesellschaft Zürich hat den niederländischen Musiker Ton Koopman für seine Verdienste ausgezeichnet.

Ton Koopman und der AMG-Präsident Heinrich Aerni bei der Übergabe der Ehrenurkunde. Foto: AMG

Am 4. März 2024 hat die Allgemeine Musik-Gesellschaft Zürich (AMG) dem Organisten, Cembalisten, Dirigenten und Hochschullehrer Ton Koopman die Ehrenmitgliedschaft für seine Verdienste um das internationale Musikleben und insbesondere die Pflege der Alten Musik verliehen.

Die Feier fand im Lesesaal der Musikabteilung der Zentralbibliothek Zürich im Predigerchor statt. Rund 80 Personen wohnten der Feier bei, darunter die niederländische Botschafterin Karin Mössenlechner. Es spielten das Chava Consort (Renaissance-Flöten), Claire Genewein (Traverso), Martin Zeller (Gambe), Ulrike-Verena Habel (Cembalo, Orgel) und Ton Koopman (Orgel); zudem sang der junge Countertenor Constantin Zimmermann. Die Laudatio hielt Laurenz Lütteken (Direktor des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität Zürich).

Angewandte Musik-Kinesiologie in der Schweiz

Seit 30 Jahren geben Marianne und Wenzel Grund ihr umfassendes Wissen an professionelle Musikschaffende weiter in Beratung, Therapie und Ausbildung. Der Ausbildungsgang «Angewandte Musik-Kinesiologie» wurde neu konzipiert. Einige Hintergründe und Praxisbeispiele.

Folo: vladislavgaijc/depositphotos.com

Die Musik ist ein uralter Weg, die Resonanzfähigkeit des Menschen zu schulen. Schon in frühen Zeiten im Tibet, Ägypten und im antiken Griechenland wurde Musik zur Heilung eingesetzt. Klänge wirken unmittelbar über das Ohr (und dessen Nervenverbindungen zum Gehirn) auf den gesamten Organismus. Jeder Mensch kann natürlicherweise harmonische Klänge von disharmonischen unterscheiden. Dieses Harmoniebedürfnis ist auch in der Psyche verankert.

Ganzheitliches Gesundheitssystem

 Die Angewandte Musik-Kinesiologie erkennt Stressmuster auf der körperlichen, emotionalen und mentalen Ebene. Sie versteht es, die ordnenden Strukturelemente der Musik (Rhythmus, Melodie, Harmonie, Klangfarbe u.a.m.) zu nutzen, um die eigene Persönlichkeit in Einklang zu bringen und die Gesundheit auf allen Ebenen in Balance zu bringen. Mit der richtigen Schwingung (Schallwellen) wird das Gehirn sozusagen auf Heilung programmiert.

Prägende Erfahrungen und Emotionen, die wir nicht richtig verarbeitet haben, speichert unser Körper langfristig auf der Zellebene ab. Dadurch tragen wir unbewusste Blockaden und Konflikte mit uns herum, die unseren natürlichen Energiefluss hemmen, unsere Lebensfreude dämpfen und auf Dauer krankmachen können. Da wir diese inneren Konflikte wortwörtlich «verkörpern», können wir über den Ausdruck unseres Körpers zum ursprünglichen Problem gelangen. Grundannahme der Angewandten Kinesiologie ist, dass wir mittels kinesiologischem Muskeltest als «Biofeedbacksystem», die im Körper gespeicherten Informationen ablesen können. Das Erlernen wirkungsvoller Selbstaktivierungs- und Korrekturtechniken ermöglicht zudem, individuell die richtigen Impulse zu setzen.

Die Dimensionen der Angewandten Musik-Kinesiologie

 

1. Hilfe bei berufsspezifischen Themen von Musikschaffenden, Bühnenkünstlerinnen und -künstlern

Zum Beispiel: körperliche und mentale Disposition herstellen, Lampenfieber, Prüfungsängste, Lernblockaden bei schwierigen Stellen, Auswendigspielen, Umgang mit Kritik, Stress mit Kolleginnen und Kollegen, in Orchester, Ensemble, Schule usw. Blockaden der Kreativität und Inspiration, das Verhältnis zum eigenen Instrument, Intonationsprobleme, Vorbereitung auf Wettbewerbe, Stress auf bestimmte Tonarten, Intervalle und Musikwerke, ungünstige Bewegungsmuster, Muskelverspannungen, bis hin zur Selbstdarstellung, Marktwert und Selbstmanagement.

2. Impulse für den professionellen Musikunterricht

Dieser Teil richtet sich an Musiklehrpersonen in Schule, Musikschule oder an der Hochschule. Es geht darum, die eigene Arbeit zu schätzen und soll helfen, Frustrationen zu überwinden, die heute mit dem Einzel- und Gruppenunterricht in Musik ohne Zweifel verbunden sind.

Musikpädagoginnen und -pädagogen tragen, ob bewusst oder unbewusst, die Verantwortung für den Fortbestand unserer Musikkultur. Sie versuchen, Ideale, Werte und bewährte musikalische Traditionen zu pflegen und zu erhalten und deren Wertschätzung den Schülern, Schülerinnen und Studierenden zu vermitteln. Dieser Versuch ist oft mühsam und mündet bisweilen in Resignation.

Hier mögen die Impulse aus der Angewandten Musik-Kinesiologie mit verschiedenen integrativen und kreativen Übungen dazu dienen, die Motivation des Lehrenden sowie des Lernenden zu fördern.

3. Neuer Berufszweig in den die Heilung unterstützenden Therapieformen

Hier werden die Elemente der Musik in Verbindung mit Kinesiologie im therapeutischen Bereich eingesetzt (aktives Musikhören) und wir befassen uns mit Fragen wie: Welches Instrument kann heilsam wirken, welcher Dreiklang, welches Musikstück aus welcher Epoche?

Die klassische Musik hat sich diesen Bereich bisher noch nicht erschlossen. Dabei wird gerade die harmonisierende und heilende Kraft der sogenannten «Klassik» in Zukunft eine grosse Bedeutung bekommen. Die harmonikalen Gesetzmässigkeiten dieser Musik entsprechen den universellen Lebensgesetzmässigkeiten, in die wir alle eingebunden sind. Deshalb beschreitet man mit der Angewandten Musik-Kinesiologie natürliche Heilungswege und setzt sich dabei mit den Krankheits- und Heilungsprinzipien der Miasmen auseinander, welche sich während eines ganzheitlichen Heilungsprozesses abspielen.

Einen Schwerpunkt bildet dabei auch die typengerechte Atemenergetik, da sie unseren Lebensrhythmus bestimmt. Über den Atem steuern wir all unsere Lebensfunktionen wie Kreislauf, Stoffwechsel, Motorik, Sinneswahrnehmung und Gehirnfunktionen.

Die richtige Art und Weise der Kommunikation bestimmt heutzutage über Erfolg und Misserfolg unseres Tuns. Wichtige Impulse, wie wir authentisch und klar mit unserem Umfeld interagieren können, erhalten wir über die Testung des individuellen Lern- und Wahrnehmungstypus nach der berühmten Verhaltensforscherin Dawna Markova.

Weitere Themen der Angewandten Musik-Kinesiologie sind: Erfahren des eigenen Lebenstons (mit welchen Themen komme ich immer wieder in Resonanz?), die Heilkraft der Musik gezielt nutzen, Zeitmass und Heilung, Klang und Farben, ungünstige Verhaltensmuster erkennen und ablösen, Umgang mit Kritik, Lebensharmonie und Tonarten sowie zahlreiche ganzheitlich orientierte Tipps zur Gesundheitsförderung (Organ-Konflikt Heilung), im Speziellen bei chronischen Leiden.

4. Ein musikalischer Weg zur Spiritualität

Wer sich schon einmal von Musik hat «verzaubern» lassen, wer sich einmal selbst vergessen hat im Erleben der Musik und tief berührt aus dieser Erfahrung wieder aufgetaucht ist, der hat eines der grössten Geheimnisse der Musik erahnt: Sie hat die Kraft, uns in andere Dimensionen des Erlebens zu entrücken, uns auf eine höhere Schwingungsebene zu bringen.

Aus der Sicht der Angewandten Musik-Kinesiologie ist der Mensch mehr als nur eine biologische Maschine, die denkt und fühlt; der Mensch ist in erster Linie ein geistiges Wesen. Die Angewandte Musik-Kinesiologie möchte alle Ebenen, die körperliche, emotionale, mentale und spirituelle im Menschen wieder vereinen.

Im Bereich der «esoterischen Kunst» und im Bereich der Popkultur ist eine solche Verbindung – wenn oft auch auf seichtem Niveau – bereits zu finden. Klassische Musikerinnen und Musiker, die sich mit Spiritualität beschäftigen, stehen heute oft noch alleine da und werden oftmals von ihren Kolleginnen und Kollegen als sonderlich betrachtet. Die Angewandte Musik-Kinesiologie möchte einen Impuls geben, klassische Musik und Spiritualität zu verknüpfen. Viele grosse Komponisten waren spirituell orientiert, äusserten sich auch darüber und es ist keineswegs so, dass es nur eine östliche oder ostasiatische Tradition diesbezüglich gibt. Dies ist wichtig zu betonen, denn viele gute Anregungen kommen aus dem Osten, was uns oft die eigene Kultur vergessen lässt.

Der amerikanische Präventivmediziner und Psychiater John Diamond schreibt in seinem Buch Lebensenergie in der Musik: «Die Funktion der Musik bestand von allem Anfang an in der geistigen Erbauung des Hörers, in der Stärkung seiner Lebensenergie. Wir wissen alle, dass die Musik diese Kraft hat und doch denken wir selten daran, wenn wir musizieren, wenn wir ein Konzert besuchen oder wenn wir eine CD kaufen; oder wir haben den eigentlichen Grund für die Existenz von Musik vergessen.»

Praktische Fallbeispiele

1. Lampenfieber einer Pianistin

Eine Klientin, die 44-jährige Pianistin K. aus der ehemaligen DDR, erzählte mir von den Erziehungsmethoden, die sie in der Schule für musisch begabte Kinder «genossen» hatte. Diese Massnahmen hatten zur Folge, dass sie schon im Alter zwischen 8 und 12 Jahren «verstummte». Im Internat gab es keine Privatsphäre und keine vertrauenswürdigen Bezugspersonen. Sie und alle Kinder wurden nur nach Leistung bewertet und zum Teil auch misshandelt. So kam es bei K. dazu, immer mehr Lust dabei zu empfinden, sich zu quälen – beim Üben und Musizieren.

Sie las mit 12 Jahren bevorzugt Erwachsenenromane über Sklavinnen und identifizierte sich mit den Figuren. Seit der Pubertät litt sie mehr und mehr unter Lampenfieber beim Vorspielen. Nach ihrer Emigration in den Westen spielte K. zehn Jahre lang kein Klavier mehr. Nach dieser Pause fing sie wieder an zu üben. Musik machte ihr wieder Freude. Sie gab auch wieder Konzerte – wenn da nur nicht das grosse Lampenfieber wäre!

 Bei der ersten Sitzung zeigte sich schon bei den Vortests (Vorbereitung klarer Muskelfunktionen), dass sie «linkshirnig» an die Dinge heranging. Deshalb machte ich zuerst etliche kinesiologische Integrationsübungen mit ihr, damit sie im Körper spürte, was es heisst, in der Mitte zu sein. Ich gab ihr die Hausaufgabe, diese Übungen vor und nach dem Üben durchzuführen.

Dann testeten wir zum Thema Lampenfieber Begriffe aus dem Verhaltensbarometer aus. Zum Begriffspaar «still – vernachlässigt» kam eine Altersrückführung mit den Stufen 41 – 21 – 16 – 12 – 8 – 6 hinzu. Wir führten eine Stressablösung mit dem Thema «still – vernachlässigt» auf allen Altersstufen durch. So schlossen wir die erste Sitzung ab.

Beim zweiten Termin wurde, da K. kurz vor einem Konzert stand, eine so genannte «Terminbalance» mit zwölf Muskeln durchgeführt. Die Klientin dachte an ihr Konzert, während ich die den Meridianen zugeordneten Muskeln testete. Es zeigte sich eine Milz-Pankreas- und Kreislauf-Sexus-Überenergie sowie eine Unterenergie bei Blase und Dickdarm. Da der Blasenmeridian als Ursache Unterenergie anzeigte, aktivierten wir zunächst die dazu gehörigen neurolymphatischen und neurovaskulären Zonen. Dann folgte ein emotionaler Stressabbau (ESA) mit den zum Blasenmeridian gehörenden Entsprechungen wie Frieden, Stöhnen, Wasserelement, die wir mit dem Konzert in Zusammenhang brachten.
K. begann sich wohlzufühlen bei der Vorstellung, wieder auf der Bühne zu musizieren und bewusst mit dem Publikum durch Musik zu kommunizieren (Wasserelement).

Wenige Tage nach ihrem Konzert erzählte sie freudenstrahlend über ihren Auftritt. Sie habe sich wohlgefühlt und erstmalig in ihrem Leben Gratulationskarten von Konzertgästen erhalten. Eine wichtige Erkenntnis war, dass man seine Vergangenheit nicht verurteilen soll, egal wie sie ausgesehen hat. Das Leben findet jetzt statt. Nicht in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft. Die Kollegin zeigte mir, wie wichtig es ist, seine Vergangenheit ins jetzige Leben zu integrieren, um sich wieder frei bewegen zu können. Jahre später erhielt ich von K. folgendes Feedback: «Ich danke Dir herzlich für die allumfassende Arbeit an der Seele und am Körper. Es gibt keine Worte, die annähernd meine Begeisterung und Dankbarkeit ausdrücken können.»

2. Wenn Zähne erzählen könnten …

Anfang Jahr kontaktierte mich Klient B. mit der Frage, ob ich ihm bei seinen Zahnschmerzen helfen könne. Er ist ein sehr engagierter Leiter eines pädagogischen Institutes. Ich erfuhr, dass er nicht nur beim Essen (Äpfel und anderes Obst), sondern auch beim kräftigen Einatmen, starke Zahnschmerzen habe. Das wurde auch bei seinem Spiel auf der Oboe zunehmend störend. Er war bereits bei allen möglichen Zahnärzten und Spezialisten gewesen, ohne den geringsten Erfolg. Im Vorgespräch erwähnte er, dass er häufig von seiner Arbeit überfordert sei, besonders bei zähen Verhandlungen mit Behörden und Vertretern aus Politik und Wirtschaft. Abends könne er schlecht abschalten könne.

Als ganzheitlich denkender Therapeut sind Zähne für mich mehr als nur Kauwerkzeuge. Mit dem Mundraum und den Zähnen offenbart sich für jeden sichtbar – wenn man die «Sprache der Zähne» entschlüsseln kann – der Zustand des gesamten Systems Mensch. Zahngeschichten offenbaren uns einen Prozess und keine Akut-Geschehnisse, sondern systemische Gegebenheiten, langanhaltende Stresszustände etc. Sie melden sich laut Christian Kobau immer dann, wenn an unseren Grundfesten gerüttelt wird. (Christian Kobau ist zwischenzeitlich leider verstorben, er war Facharzt für Zahn- und Kieferheilkunde sowie praktizierender Arzt in Klagenfurt, Österreich, und hat umfangreiche ganzheitliche Betrachtungen im Bereich der Zahnheilkunde vorgelegt.)

Ich entschloss mich, zunächst über den Muskeltest das Stressmuster von B. zu erkennen. Dazu wählte der Klient die Affirmation: «Wenn ich selbständig arbeite, bin ich entspannt, konzentriert und zielstrebig.»

Die erste Behandlungsphase dient der Bestandsaufnahme, wo im Energiesystem Stressoren mittels schwacher Indikator-Muskeln auftauchen. Diese Schwachanzeigen trage ich als Minus auf dem Meridianrad ein. Der nächste Schritt besteht darin, über den Muskeltest herauszufinden, welche Anzeige eine Unterenergie und welche eine Überenergie bedeutet. So wie in der Traditionellen Chinesischen Medizin wird auch in der Kinesiologie das Augenmerk auf die Behandlung der Unterenergie gerichtet. Bei der ersten Sitzung zeigten bei meinem Klienten auf dem Meridianrad an: Milz, Blase, Niere – Unterenergie; Herz, Leber – Überenergie.

Das Meridianrad. Bild: Wenzel Grund

Nach der kinesiologischen Regel, dass die nach einer Überenergie folgende nächste Unterenergie die zu behandelnde Störgrösse ist, folgt die zweite Phase des Tests. Hier teste ich entweder auf Stressanzeige oder auf positive Anzeige aus, welche Heilimpulse für die Unterenergie (in diesem Beispiel die Blase) bzw. für das Stressmuster insgesamt in Frage kommen. Beim Blasenmeridian haben wir das Element Wasser mit dem Stressfaktor Angst. Das Wasserelement insgesamt hat wiederum mit dem Thema Kreativität, Sicherheit/Unsicherheit zu tun. In der Musik gibt es viele Werke, die diesem Element gewidmet sind, denken wir z. B. an die Wassermusik von Händel, die Moldau von Smetana oder das Forellenquintett von Schubert.

Über die Korrektur der angezeigten Meridiane durch die Berührung der neurolymphatischen Zonen und neurovaskulären Punkte sowie das Halten der Anfangs- und Endpunkte der Meridiane konnten wir den Energiekreislauf stabilisieren. Während dieser ersten Korrekturmassnahme lief die zuvor ausgetestete Musik – nämlich das Klaviertrio in g-Moll op. 15 von Smetana. (Dur-Tonarten sind generell immer nach aussen gerichtet, Moll-Tonarten haben immer mit unserer Innenwelt zu tun). So wurde mein Klient schon auf sein Thema eingestimmt. Anschliessend führte ich ein Emotional Stress Release (ESR) durch, bei dem wir auf seine Affirmation eingingen und diese positiv integrierten.

Eine ESR oder ESA ist ein höchst kreativer Akt des Therapeuten, sich vollkommen zurückzunehmen und bei gleichzeitiger höchster Aufmerksamkeit den Klienten in einen leichten Alpha-Zustand zu versetzen, so dass dieser seine Bilder, Farben und so seine Symbolwelt aktivieren kann.

Am Kopf befinden sich viele Energiepunkte unserer feinstofflichen Existenz. Einige von ihnen haben sich als ideal erwiesen, ein Stressfeld im Gehirn zu aktivieren und einen Stress oder eine Blockade abzulösen. Durch das Berühren des Hinterkopfes und der Stirn schalten wir gewissermassen das limbische System (Emotionszentrum) im Gehirn aus, so dass wir ein Problem, so wie es ist, ohne Einmischung von emotionalen Reaktionen, betrachten können.

Die Berührung am Hinterkopf löst die Erinnerung an ein Bild aus. Die Berührung der Stirn (Vordere Stirnlappen) aktiviert das zukunftsorientierte Denken und Handeln. Der Tester merkt die Aktivierung eines Stressfeldes daran, dass die Schädelteile anfangen zu schwingen. Der Kopf wird heiss, der Klient kann zu schwitzen beginnen. Die Ablösung des Stresses merkt der Tester daran, dass der Kopf ruhig und kühl wird. Je sensitiver wir mit unseren Händen arbeiten, umso deutlicher nehmen wir wahr, was in unserem Energiepartner (= Klient) abläuft. Wollen wir den ständigen Informationsfluss, den wir senden und empfangen, nicht alle in der Intuition, dem Fühlen und Ahnen überlassen, müssen wir uns der bedeutendsten Fähigkeit des menschlichen Gehirns anvertrauen, dem Denken in Bildern.

Mit dem Halten der Stirnbeinhöcker und der Hinterhauptlappen ziehen wir die Energie in den Teil des Gehirns, den wir als Zone für bewusstes assoziatives Denken (ZBAD) kennen. Diese Gehirnzone ermöglicht es uns, neue Wege im Umgang mit Situationen zu finden und sie arbeitet – wie gesagt – ohne Emotion. Die Hinterhauptlappen sind für den visuellen Bereich wichtig, haben mit Licht zu tun und arbeiten ebenfalls ohne Emotion. Wir fassen uns ja öfters an die Stirn, wenn wir nachdenken, und oft geht uns dann ein Licht auf. Halten wir nun diese beiden Zonen, dann wirkt das beruhigend und zentrierend. Wir können Situationen in neuem Lichte sehen, indem wir uns in einen Alpha-Zustand begeben. In diesem Alpha-Zustand ist es ein Leichtes, mit geschlossenen Augen in unsere Innenwelt einzutauchen und uns innere Bilder mit entsprechenden Sinnesinputs vorzustellen.

Der ganze Vorgang der emotionalen Stressablösung sollte sanft geschehen, was in den meisten Fällen auch passiert. Es ist nicht nötig, nochmals all unsere Traumata durchleben. Unsere Bilder können wir selbst erschaffen und ändern. Wir müssen uns klar darüber sein, dass alles, was das Gehirn speichert, nichts als Energie ist, die sich in Bildern und Wahrnehmungen ausdrücken kann.

Etwa einen Monat später erschien B. zur zweiten Sitzung. Er sagte mir, seine Symptome hätten sich wesentlich gebessert und er verspüre nur noch in den hinteren Zähnen Schmerzen. Diesmal testete ich das Farb-Ton-Barometer aus. Dabei zeigte Orange mit Stress an. In der ESR fiel B. zum Thema Orange Aggression ein. Über dieses Thema kamen wir auf seinen Arbeitsort zu sprechen. Vor allem eine grosse Yucca-Palme brachte ihn in Rage. Er stellte sich vor, diese Pflanze aus dem Raum zu entfernen, obgleich er sich beim Einrichten des Raumes ausgerechnet diese Pflanze ausgesucht hatte! Nach diesem «Pflanzenopfer» fielen B. noch einige Mitarbeiter ein, die ihn nervlich belasteten.

Zur Stressablösung dieser Thematik entschloss ich mich, mit dem Intervallbarometer (zeigt die Spannungsverhältnisse zwischen zwei Einzeltönen an) zu arbeiten. Dabei zeigte die Sexte an (Gabe der Inspiration, Gefühle mitteilen). Als Symbol für die Integration des Intervalls zeigte das Wort «Ferne» an. Nachdem B. wiederum unter ESR erkannt hatte, wie er sich emotional mitteilen könnte und die «Ferne» als «Weite» vor seinem geistigen Auge erschien, beendeten wir diese Balance. Schon nach kurzer Zeit meldete sich B. und teilte mir mit, er habe keine Zahnschmerzen mehr. Er könne essen und trinken, was er wolle.

Die Erfahrung zeigt mir und dem Klienten: Wenn wir bereit sind, Verantwortung für die eigene Gesundheit und das Leben zu übernehmen, erkennen wir auch die Lösung. Sie liegt in uns selber. Die Fachärzte haben in diesem Fall in der Aussenwelt nach Lösungen gesucht. Zum Beispiel: alle Amalgamfüllungen entfernen, Zähne ziehen, Schmerzmittel geben usw. Doch der Klient fand seine Lösung durch eine Innenschau, zu der ich zwar Impulse gab, aber keine vorgefertigten Anleitungen.

3. Gruppenharmonisierung

Drei junge Frauen kamen in meine Praxis: ein Klaviertrio (Klavier, Violine, Cello). Ich lernte sie bei einem meiner Lampenfieber-Seminare kennen. Während des Seminars zeigte sich, dass nicht das Lampenfieber das eigentliche Thema des Trios war, sondern gelegentliche Spannungen während der Probenarbeit. Die drei jungen Damen kommen ansonsten gut miteinander aus. Dennoch gab es immer wieder Unstimmigkeiten, was sich auf die Konzerte auswirkte. Ich hörte mir einen Satz aus dem Klaviertrio von Fauré an. Dabei wurde mir klar, dass die Aufgabenverteilung innerhalb der kleinen Gruppe zu ungenau ist. Zunächst musste jeder Musikerin klar werden, welche Qualitäten sie mitbringt.

 Der erste Schritt war, den Atemtypus der Musikerinnen festzustellen. Man unterscheidet grundsätzlich zwischen dem solaren oder Ausatemtyp und dem lunaren oder Einatemtyp. Die Qualitäten des solaren Typus sind unter anderem: das gebende Prinzip, die Führung des Tones, zum Beispiel kurze, kraftvolle Einsätze, der detailorientierte Blick und die visuelle Wahrnehmung. Die Qualitäten des lunaren Typus sind zum Beispiel: das aufnehmende Prinzip, die Hellfühligkeit, die bewegliche konstante Kraftverteilung und Arbeitsweise, der Blick für das Ganze.

Bei diesem Klaviertrio war die Pianistin lunar, die Violinistin solar, die Cellistin lunar. Bei der Beobachtung ihres Zusammenspiels fiel mir auf, dass die Violinistin sehr scheu ihre Einsätze gab. Sie hörte mehr auf die anderen, auch wenn sie gerade eine führende Stimme zu spielen hatte. Die lunare Cellistin hingegen wartete oft gespannt auf Zeichen der Geigerin, die aber nur zögerlich kamen. So begann die Cellistin, die Führungsrolle zu übernehmen. Die Pianistin nahm intuitiv das Ungleichgewicht in der Gruppe wahr. Sie versuchte durch ihr Spiel zu vermitteln, war aber dadurch zu wenig bei sich. Zudem klagte sie über kalte Hände.

Ich machte der Geigerin bewusst, dass sie ihre Führungsrolle dort, wo es möglich ist, auch übernehmen kann. Sie versuchte es und brach in Tränen aus, da sie genau davor auch im Alltag Angst hat. Wir führten eine kurze Stessablösung (ESA) auf das Thema «Führungsqualitäten» durch. Dabei merkte sie, welch starke Energie sie über ihre Augen und ihren Blick vermitteln kann. Die lunare Cellistin ermunterte ich, eine lunare Sitzhaltung einzunehmen (entspanntes Kreuzbein, Kopf hochhalten, beweglich bleiben). Sie sollte einfach das aufnehmen, was an Zeichen von der Geigerin kommt. Mit der Pianistin führte ich eine kurze Zentrierungsübung durch, da sie ja auch das Zentrum des Trios bildet. Dann zeichnete jede Spielerin mit genauen Vorgaben zu ihrer Rolle ein kleines Bild von sich. Wir schoben die Bilder auf dem Boden zu einem gemeinsamen Bild zusammen. Ich ermunterte die drei Damen, Ergänzungen nach Belieben mit Buntstiften hinzuzufügen, bis ihnen das Gesamtbild gefiel.

Nachdem dies alles als stimmig empfunden wurde, spielte das Trio mit dem verinnerlichten, farbigen Bild nochmals das Musikstück. Es war nicht wiederzuerkennen. Auch die Gesichter der Musikerinnen drückten die ganze Schönheit der Musik aus, die sie spielten.

 

Neues Konzept

Das neu erarbeitete Konzept der Angewandten Musik-Kinesiologie von Wenzel Grund basiert auf der ursprünglichen Musik-Kinesiologie (MK), die 1991 von Rosina Sonnenschmidt und Harald Knauss von Musikerinnen und Musikern für Musikerinnen und Musiker ins Leben gerufen wurde.

Wenzel Grund. Foto: mk-akademie.ch

Seit 1994 führt Wenzel Grund mit seiner Frau Marianne Grund eine Beratungs- und Therapiepraxis für Musikerinnen und Musiker. Seit 2003 setzt Wenzel Grund als zertifizierter MK-Instruktor im gesamten deutschsprachigen Raum das Werk der Begründer der MK fort. Er bildet auch selbst Musik-Kinesiologinnen und -kinesiologen aus.

Auf dieser Basis entwickelte er aufbauend auf seinem reichen Erfahrungsschatz und seinen Erkenntnissen aus der täglichen Praxis die «Angewandte Musik-Kinesiologie», welche die ganzheitliche Wirkung von Musik auf das Energiesystem des Menschen erfahrbar machen soll. Gleichzeitig geht es aber bei dieser praxisorientierten Methode weiterhin um den stressfreien, kreativen und erfolgreichen Umgang mit dem Musiker- und Musikerinnenberuf mit all seinen Facetten.

Marianne Grund beim Anleiten einer solaren Atemübung. Foto: mk-akademie.ch

Mehr Infos zu Ausbildung und Infoabenden

www.mk-akademie.ch

Weitere Artikel von Wenzel Grund:

Krankheit als musikalisches Problem 

Ausbildung zum Holistic Artist Coach

 

Bundesrat verabschiedet die Kulturbotschaft 2025-2028

Der Bundesrat hat am 1. März die Botschaft zur Förderung der Kultur in den Jahren 2025-2028 verabschiedet. Das Parlament hat sie nun zu beraten.

Foto: Arsty/depositphotos.com

In der Medienmitteilung des Bundesrates vom 1. März heisst es, die Kulturbotschaft sei in der Vernehmlassung insgesamt positiv aufgenommen worden. Für jedes der sechs Handlungsfelder (Kultur als Arbeitswelt, Aktualisierung der Kulturförderung, Digitale Transformation in der Kultur, Kultur als Dimension der Nachhaltigkeit, Kulturerbe als lebendiges Gedächtnis und Zusammenarbeit im Kulturbereich) seien Schwerpunkte definiert worden.

Für die Umsetzung sind 987 Millionen Franken vorgesehen, 14 Millionen Franken weniger als im Vernehmlassungsentwurf. Die Botschaft geht nun ins Parlament zur Beratung.

Die originale Medienmitteilung, die Botschaft sowie der Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung sind unter diesem Link zu finden.

Beethoven lebt im Emmental

Das Langnauer Orchester besteht vorwiegend aus Laien. Diese verwalten ihr traditionsreiches Ensemble nicht nur selbst, sie spielen auch erfolgreich ambitionierte Werke.

 

Das Langnauer Orchester mit seinem Dirigenten Christoph Metzger Anfang Februar 2024. Foto: Max Nyffeler

Mit dem Emmental assoziiert man Käse, üppige Kulinarik in Landgasthöfen und Jeremias Gotthelf. Aber nicht unbedingt Beethoven. Doch in Langnau, einem Hauptort des Emmentals mit rund 9000 Einwohnern, gibt es gegenwärtig einen Beethovenzyklus mit allen Sinfonien, der 2027, zum zweihundertsten Todestag des Komponisten, mit der Neunten enden wird. Bestritten wird das ambitionierte Projekt nicht von Gastorchestern, sondern vom Langnauer Orchester, einer Formation von hoch motivierten Laien.

Das künstlerische Niveau ist erstaunlich hoch und widerlegt die Meinung, eine Beethovensinfonie sei nur etwas für hoch subventionierte Orchester und Leute, die für die Berliner Philharmoniker in Luzern locker 300 Franken zahlen. Langnau ist der Beweis, dass man sie auch im Dorf haben kann. Auf einen kleinen Patzer hier oder einen zögerlichen Einsatz dort kommt es dabei nicht an, die Spielfreude macht den Mangel an technischer Höchstleistung wett. Die monumentale Eroica, die vor einem Jahr auf dem Programm stand, dürfte für das Orchester wohl die ultimative Feuertaufe für den Umgang mit Beethovens Orchestertechnik gewesen sein und es auf dem Weg zum charakteristischen «Beethoven-Ton» entscheidend vorangebracht haben.

Furchtlose Konzertprogramme

Die Programme, die vom Dirigenten Christoph Metzger in Absprache mit dem Orchester zusammengestellt werden, lassen mit ihrer Unvoreingenommenheit manche städtischen Philharmonien alt aussehen. Vor einem Jahr gab es zur Eroica ein Kontrastprogramm mit Mauricio Kagels Zehn Märsche, um den Sieg zu verfehlen, und Anfang Februar erklang nun in Langnau die Vierte in einer attraktiven Kombination mit dem Concertstück für vier Hörner und Orchester von Robert Schumann und den sechs Klavierliedern op. 13 von Clara Schumann, instrumentiert von Masayuki Carvalho. Für die romantische Ausdruckswelt der Lieder, die in den ersten Jahren ihrer Ehe mit Robert Schumann entstanden, fand Jeannine Nuspliger mit schön abgerundetem Sopran den passenden Ton. Das mächtig auftrumpfende Hörnerquartett bei Schumann wurde angeführt von Hans Stettler, Orchestermitglied seit nunmehr fünfzig Jahren; die anderen drei waren Zuzüger.

Solide Finanzen aus eigener Kraft

Stettler ist zugleich Präsident des Langnauer Konzertvereins und für die Organisation der Konzerte verantwortlich – das Orchester verwaltet sich selbst, es gibt keine bezahlten Angestellten. Auch finanziell steht man auf eigenen Füssen, von Gejammere über mangelnde Subventionen ist nichts zu hören. Die Musikerinnen und Musiker sind Vereinsmitglieder und zahlen einen Jahresbeitrag von zwei- bis vierhundert Franken – wer will, auch mehr. Studierende zahlen zwanzig Franken jährlich. Daneben gibt es noch die vielen Passivmitglieder. Das deckt die niedrig gehaltenen Betriebskosten und die Honorare von Dirigent und Konzertmeister. Mit den Konzerteinnahmen wird das Projekt inklusive Solisten finanziert. An den Konzertverein, unter dessen Dach das Orchester, der Konzertchor und eine Kammermusikreihe angesiedelt sind, zahlt die Gemeinde ausserdem im Rahmen eines Leistungsvertrags jährlich 15 000 Franken. Mit Sponsoren ist man eher zurückhaltend und baut lieber auf die Zuwendungen von Gönnern, die dann auch die Konzerte in der vollbesetzten Langnauer Kirche besuchen.

Glücksfall Dirigent

Das Selbstbewusstsein, mit dem in Langnau musiziert wird, ist beeindruckend. Man fühlt sich als Teil einer alten Tradition. Das Orchester wurde 1866 gegründet, zwei Jahre vor dem Zürcher Tonhalle-Orchester, und konnte vor acht Jahren das 150-jährige Bestehen feiern. Die Identifikation der Musikerinnen und Musiker ist gross, und das liegt nicht zuletzt an Christoph Metzger, dem künstlerischen Leiter seit 2006. «Wir haben noch nie einen Dirigenten gehabt mit einer solchen pädagogischen Kompetenz», sagt Hans Stettler, «er gibt uns das nötige Vertrauen auch für die schwierigen Dinge.» Die Mitgliederzahl sei mit ihm stetig gewachsen, gerade bei den Bläsern. Die Bratschistin Marianne Etter-Wey, Schulleiterin und seit über zwanzig Jahren dabei, ergänzt: «Es ist ungeheuer animierend, mit Christoph Metzger zu arbeiten. Man lernt viel, die Stimmung ist ausgezeichnet. Unser Orchestermotto ‹Emotion vor Perfektion› bringt das auf den Punkt.»

Für sie wie für viele andere bilden die wöchentlichen Proben einen willkommenen Ausgleich zum Berufsalltag, zumal bei dem anspruchsvollen Repertoire, das von Bachs Passionen über die Dritte von Brahms bis zu Verdis Requiem und Le Roi David von Arthur Honegger reicht. Und Experimente wie mit Kagel sorgen für grossen Spass. Nachwuchsprobleme gibt es keine, dank der Zusammenarbeit mit der lokalen Musikschule, von wo die Begabtesten langfristig ins Orchester hineinwachsen können.

Es sind gesunde Strukturen, die das Langnauer Orchester am Leben erhalten. Die Basis bilden übersichtliche Verhältnisse, solides Wirtschaften, persönliches Engagement und Freude am Musizieren: Hochkultur, bürgerlich-demokratisch geerdet. Unwillkürlich denkt man an die gefährlichen Legitimationskrisen, denen die Institutionen in den grossen Zentren ausgesetzt sind, und man ertappt sich beim Gedanken, dass das Langnauer Modell für das Überleben unserer Musik vielleicht wichtiger sein könnte als der auf Spitzenkonsum ausgerichtete Hochglanzbetrieb in den Metropolen.

Hans Stettler, Orchestermitglied seit 50 Jahren, führt das Hornquartett mit Simone Lehmann, Stephan Osswald und Adrian Städeli in Schumanns Concertstück an. Foto: Max Nyffeler

Geschwisterliche Synkopen

Oft ist die Musikbegeisterung schon ein Erbe der Eltern. Es gibt Phasen der Konkurrenz und des Zusammenfindens, und manche Wegstrecke muss jede und jeder allein machen. Vier Schweizer Geschwisterpaare aus dem Jazz- und Experimentalbereich berichten über ihre Erfahrungen.

Geschwisterliche Synkopen mit Laura und Luzius Schuler, Florian und Michael Arbenz, Simon und Christoph Grab sowie Andreas und Matthias Tschopp. Alle Selfies zVg

Geschwisterlich Synkopen heisst der Artikel , dem diese ausführlichen Interviews zugrunde liegen. Er ist in der Schweizer Musikzeitung 3/2024 ab Seite 16 zu lesen.

Der Klick auf die Namen führt weiter zum entsprechenden Interview.

Andreas und Matthias Tschopp

Christoph und Simon Grab

Florian und Michael Arbenz

Laura und Luzius Schuler

Ausgabe 03/2024 – Focus «Geschwister»

Martina, Stefanie und Andrea Bischof (v.l.) Foto: Holger Jacob

Inhaltsverzeichnis

Focus

«Ohne euch wäre ich nicht Musikerin geworden»
Drei Schwestern und ihre Kammermusik
Ein Gespräch mit Andrea, Stefanie und Martina Bischof

Musik im Blut
Die Familie Kummer im Jura

Geschwisterliche Synkopen
Brüder und Schwestern aus Jazz und Experimental
Link zu den ausführlichen Interviews online

Der Lieblingssänger meiner Schwester
Studien zum Aufbau des musikalischen Geschmacks

Clavardons …
Camille et Julie Berthollet

 (kursiv = Zusammenfassung in Deutsch des französischen Originalartikels)

 

Critiques

Rezensionen von Tonträgern, Büchern, Noten

 

Echo

Weit über den eigenen Tellerrand hinaus
Das zehnte Mizmorim-Kammermusikfestival

Vom politischen Ge- und Missbrauch der Musik
Kommentar zum Mizmorim-Eröffnungskonzert von Francesco Biamonte

«Bitte, ich versuche zu sprechen»
«Sprachkunst in der Musiktherapie» mit Jürg Halter an der ZHdK

Mendelssohn-Trouvaillen
Das Klavierduo Soós-Haag spielt wiedergefundene Kadenzen

Mythenzertrümmerung
Tagung an der HKB

Seiji Ozawa, la fin d’une respiration
L’académie qu’il a fondée en Suisse déplore sa disparition

Gespräch mit Roman Melish
Seine Liederabende in Kyjiw

Welten in Ton und Bild
Das 13. Norient-Festival

Plädoyer für Enrico Mainardi
Leserbrief

Basel diskutiert die Verteilung öffentlicher Musikfördergelder
Kommentar

Carte blanche
für Thierry Dagon

Basis

Artikel und Nachrichten aus den Musikverbänden

Eidgenössischer Orchesterverband (EOV) / Société Fédérale des Orchestres (SFO)

Konferenz Musikhochschulen Schweiz (KMHS) / Conférence des Hautes Ecoles de Musique Suisse (CHEMS)

Kalaidos Musikhochschule / Kalaidos Haute École de Musique

Schweizer Musikrat (SMR) / Conseil Suisse de la Musique (CSM)

CHorama

Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) / Association suisse de Médecine de la Musique (SMM)

Schweizerische Musikforschende Gesellschaft (SMG) / Société Suisse de Musicologie (SSM)

Schweizerischer Musikerverband (SMV) / Union Suisse des Artistes Musiciens (USDAM)

Schweizerischer Musikpädagogischer Verband (SMPV) / Société Suisse de Pédagogie Musicale (SSPM)

SONART – Musikschaffende Schweiz

Stiftung Schweizerischer Jugendmusikwettbewerb (SJMW)

Arosa Kultur

SUISA – Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik

Verband Musikschulen Schweiz (VMS) / Association Suisse des Écoles de Musique (ASEM)

 

Abgekürzte Brüder
Rätsel von Pia Schwab

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Plädoyer für Mainardi

Leserbrief zum Artikel «Historisch, Aufführung, Praxis» in: Schweizer Musikzeitung 1_2/2024, Seite 12 ff.

Bild: sonar/depositphotos.com

Durch den Artikel «Historisch, Aufführung, Praxis» in der Ausgabe von Januar/Februar 2024 in der Schweizer Musikzeitung weiss ich nun, dass es die historische Aufführungspraxis in der Schweiz schon seit 90 Jahren gibt. Weil ich Cello spiele, interessiert mich natürlich, was diese Bewegung für die Interpretation der Suiten für Violoncello solo von Johann Sebastian Bach gebracht hat. Ich hatte im Jahr 1950 die ersten Cellostunden, und damals hat in meiner Heimatstadt in Westdeutschland noch niemand von historischer Aufführungspraxis gesprochen. Aber ich erinnere mich noch, dass mein Lehrer mich in ein Konzert in Frankfurt am Main mitgenommen hat, in dem Enrico Mainardi drei der sechs Solosuiten auswendig gespielt hat. Das war das Ergebnis eines jahrelangen Studiums und einer sorgfältigen Formanalyse.

Wenig später sind die sechs Suiten mit seinen Fingersätzen, Bogenstrichen und der Formanalyse im Verlag Schott erschienen. In der Einleitung schreibt Mainardi: «Die Bogenstriche und Fingersätze dieser Ausgabe sind festgelegt worden in der Absicht, den ‹linearen Kontrapunkt›, der das formgebende Prinzip der Violoncello-Suiten von Bach ist, so deutlich wie möglich zu machen. Dies suchte ich zu erreichen mit Hilfe des Gegensatzes, der aus einem bewussten Wechsel zwischen Gebunden und Nichtgebunden entsteht, sowie durch die Ausnutzung der verschiedenen Klangfarben der vier Cellosaiten.»

Beispiele

Wenn man nun die Ausgabe von Mainardi mit späteren Ausgaben der Suiten vergleicht, dann stellt man fest, dass die Pionierarbeit dieses grossen Cellisten anscheinend keine Früchte getragen hat. Ich möchte das an zwei Beispielen aus der Ausgabe von Leisinger (bei Wiener Urtext-Edition) zeigen. Dort beginnt das Präludium der 1. Suite damit, dass die drei ersten Noten G-d-h auf einen Bogen genommen werden. Es wird also in romantischer Manier der Dur-Akkord hervorgehoben. Bei Mainardi sind hingegen in Takt 1 nur die drei Noten h-a-h gebunden, und das tiefe G wird immer abgesetzt und als Orgelpunkt aufgefasst, der vier Takte lang ausgehalten wird. Man muss nicht wie Leisinger drei oder vier verschiedene Quellen studiert haben, um zu begreifen, dass Mainardi Bach besser verstanden hat.

Das andere Beispiel nehme ich aus der Gigue der 4. Suite in Es-Dur. Hier hat die Wiener Ausgabe durchwegs je drei Achtel durch einen Bogen verbunden, also: (1 2 3) (4 5 6) (7 8 9) (10 11 12). Geht es noch langweiliger? Da bringt es auch nichts, wenn man mit einem Barockbogen spielt. Mainardi bindet so nur zwei Takte lang, danach durchbricht er das starre Schema, und in Takt 7 und 8 bindet er so: (1 2 3) 4 (5 6) (7 8 9) 10 (11 12), und in Takt 9 wieder anders, nämlich (1 2 3) 4 5 (6 7) 8 (9 10) 11 12. Das macht den Satz, der nur aus Achteln und vier langen Endnoten besteht, erst lebendig.

Wie ist es möglich, dass in Wien, wo Nikolaus Harnoncourt, der zuerst Cellist war, mit seinem Concentus Musicus die historische Aufführungspraxis propagiert hat, eine Ausgabe der Cello-Suiten erscheint, die das von Mainardi schon in den 1950er-Jahren Geleistete ignoriert und sich auch noch mit dem Prädikat «Urtext» schmückt?

Kein Autograf

Welche Bögen Bach selber gesetzt hat, wissen wir nicht, weil das Autograf verloren gegangen ist. Das Studium der Abschriften führt zu keinen eindeutigen Antworten. In der Wiener Urtext-Edition (Schott/Universal Edition) heisst es im Vorwort: «Leider sind die Bögen in den meisten Abschriften sehr nachlässig gesetzt.» Das gilt auch für die Kopie aus der Feder von Anna Magdalena Bach. Zum Glück existiert noch das Autograf der Violinsonaten BWV 1001–1006, das ebenfalls von Anna Magdalena kopiert wurde.

Wenn man beides vergleicht, stellt man fest: «Während Bach in aller Regel analoge Passagen wie Sequenzen und Wiederholungen gleich bezeichnet, setzt Anna Magdalena an entsprechenden Stellen die Bögen unterschiedlich. Die Kopistin gestaltet die Bögen häufig zu flach und … zu kurz, so dass Anfang und Ende des Bogens unbestimmt bleiben. Gelegentlich lässt die Schreiberin einzelne Bögen aus, andernorts fügt sie neue hinzu.» (Schwemer und Woodfull-Harris, Textband zur Ausgabe der 6 Suites a Violoncello Solo senza Basso im Verlag Bärenreiter, BA 5215, S. 6) Die alten Quellen können deshalb nicht viel helfen bei der Suche nach geeigneten Bogenstrichen.

In der Ausgabe des Schott-Verlags ist Mainardis Analyse kleingedruckt unter jede Zeile gesetzt. Dadurch ist sie wenig geeignet für Aufführungen. Es wäre von grossem Nutzen, wenn es eine Ausgabe mit den Bogenstrichen von Mainardi gäbe, aber mit seiner Formanalyse in einem separaten Heft.

«So ein Projekt hält die Hoffnung hoch»

Roman Melish lebt in Kyjiw und organisiert dort Liederabende. Ein Gespräch über die Ukraine im Krieg, den Verlust der Stimme, Musik als Kraftquelle und Licht in der Dunkelheit.

Roman Melish bei seinem Auftritt in Basel 2023. Foto: Lied Basel/Benno Hunziker

Roman Melish ist letztes Jahr mit seinen Mitmusikerinnen und -musikern am Festival Lied Basel aufgetreten. Dieses unterstützt ihn auch bei seinen deutsch-ukrainischen Liederabenden (Red. die SMZ hat darüber berichtet). Im Moment plant er mehrere Konzerte in Kyjiw zum Jahrestag der russischen Invasion.

 Wie geht es Ihnen?

Ich lebe noch. Ich habe ein Dach über dem Kopf, meine Familie und meine engen Freunde leben – das ist das Wichtigste. Häufig hörte ich in der Nacht russische Drohnen und Raketen und sass im Treppenhaus mit meinen persönlichen Dokumenten für den Fall, dass das Haus getroffen worden wäre. Das ist Ivanna Plish passiert, die bei den Liederabenden als Sopranistin dabei war. Am 24. Juni 2023 wurde das Gebäude zerstört, in dem sie mit ihrer Familie lebte. Jetzt ist sie gezwungen, eine Wohnung zu mieten. Ausserdem hatte ich im August meine Stimme komplett verloren.

Wie kam das?

Das passierte auf der Rückreise von Utrecht, wo ich auf einem Alte-Musik-Festival gesungen hatte. Ich weiss nicht genau, warum die Folgen so drastisch waren. Wahrscheinlich war es die allgemeine Erschöpfung nach so vielen Monaten Krieg. Man kann sich nie richtig erholen. Natürlich mussten wir uns alle an den Krieg gewöhnen, aber irgendwann streikt der Körper durch den permanenten Stress. Viele meiner Freunde sind auch krank geworden.

 Wie war es für Sie als Sänger, nicht mehr singen zu können?

Man hat alles verloren, für das man sein Leben lang gearbeitet hat. Zunächst fühlte ich, dass ich selbst verloren bin. Ich weiss auch nicht, ob die Stimme so wiederkommt, wie sie war. Zunächst versuche ich in Absprache mit meinem Arzt, in Tenorlage zu singen – und mache kleine Schritte. Wenn es gut funktioniert, dann kann ich es später wieder als Countertenor versuchen. Die ersten Wochen waren hart, als ich auch nicht sprechen durfte. Gerade, wenn ich mit Freunden zusammen war. Ich konnte meine Gefühle nicht teilen. Das war sehr schwierig. Auf der anderen Seite habe ich in dieser stillen Zeit mehr gehört und mehr beobachtet – Menschen auf der Strasse oder Bäume im Wind. Ich habe auf Dinge geachtet, auf die ich sonst nie achte.

Welche Rolle spielt die Musik in der Ukraine?

Manches Mal fühle ich keine Hoffnung. Musik ist gut, aber unsere Soldaten brauchen mehr Waffen. Und sie brauchen auch andere Soldaten, die sie ablösen. Es gibt Soldaten, die 18 Monate oder länger ununterbrochen im Krieg sind. Seit Russland 2014 die Krim und Teile des Ostens der Ukraine besetzt hat, haben wir einen ständigen Kriegszustand. Diejenigen, die nach Hause kommen, brauchen Hilfe. Sie müssen wieder resozialisiert werden. Dabei kann Musik helfen, damit sie wieder normale Gefühle entwickeln können. Taras Stoliar, der an der Front gekämpft hat und bei unseren Liederabenden an der Bandura begleitete, ist jetzt in der Truppenbetreuung engagiert und spielt Metallica-Songs wie Nothing Else Matters für die Frontsoldaten. Das hilft enorm für die Moral. Auf diese Weise erfahren sie auch Wertschätzung. Bei meinem letzten Konzert habe ich für Mütter gesungen, deren Söhne im Krieg gefallen sind. Die Mutter eines ausgezeichneten Piloten, weinte um ihren Sohn. Aber sie spürte durch die Musik, dass sie nicht alleine ist mit ihrer Trauer. Wir vergessen nie, dass dein Sohn gestorben ist, damit wir immer noch leben.

Es gibt keine Anzeichen, dass der Krieg bald endet. Am 24. Februar jährt sich der Überfall Russlands auf die Ukraine schon zum zweiten Mal. Sind Sie desillusioniert?

Natürlich habe ich geglaubt, dass der Krieg früher enden wird. Aber es bringt nichts, darüber nachzudenken – ich kann es nicht beeinflussen. Ich muss etwas tun. Ich kann spenden, ich kann auch die Wahrheit teilen mit Freunden im Ausland, um die Aufmerksamkeit hochzuhalten. Und mich bei der Armee bedanken, für das, was sie für uns tut. Ich habe auch Angst davor, dass ich selbst mal an die Front muss. Aber wir brauchen Leute dort. Unser Feind Russland hat mehr Leute. Für Putin sind Menschenleben nicht wichtig. In der Ukraine zählt jedes einzelne Leben. Ich glaube, wir werden gewinnen – ich weiss nur nicht, wie lange das dauert. Und wie viele Menschen noch sterben müssen. Es ist eigentlich ein Wunder, dass wir so lange Widerstand leisten. Wir haben eine starke Armee. Vor allem haben aber eine starke Moral und ein grosses Zusammengehörigkeitsgefühl.

Jetzt planen Sie ein paar Konzerte zum Jahrestag der russischen Invasion. Und zwar am 1., 3. und 7. März in Kyjiw. Wie ist das für Sie, diese Konzerte vorzubereiten?

Es ist schön, etwas vorzubereiten, auch wenn wir nie wissen, was morgen sein wird. Werden wir noch leben? Ich weiss es nicht, aber wir müssen nach vorne schauen. Wir werden drei Konzerte in Kyjiw geben mit Vokalquartetten von Johannes Brahms und dem Schweizer Komponisten Hans Huber, die wir kombinieren mit Werken ukrainischer Komponisten. Wir werden das alles organisieren. Und hoffen darauf, dass es stattfinden kann. Wir wissen auch nicht, ob wir Strom haben und gesund sein werden. Aber die Konzerte wären wichtig für uns – und natürlich für unser Publikum.

Wie wichtig sind diese Konzerte und die Unterstützung von Lied Basel für Sie?

Das bedeutet mir sehr viel. Eines der Ziele Russlands ist es, dass sich die Ukrainer allein fühlen. Die Russen möchten gerade mit den Angriffen auf die Zivilbevölkerung unsere Moral brechen. Die Aufmerksamkeit und Unterstützung aus Basel helfen dabei, sich nicht allein zu fühlen. Natürlich fühlen wir uns manchmal völlig erschöpft und hoffnungslos. Aber so ein Projekt hält die Hoffnung hoch. Auch von unserem Konzert in Basel am 21. April 2023 können wir noch lange zehren. Das war ein Licht in der Dunkelheit. Und wir brauchen weiterhin dieses Licht, um es anderen weitergeben zu können.

Red. Das Gespräch wurde Ende November 2023 via Online-Schaltung geführt. In den März-Konzerten werden unter anderen Ivanna Plish, Sopran, und Roman Melish als Tenor zu hören sein. Weitere Informationen zu den Konzerten über die Webseite von Lied Basel.

Kommentar: Basel diskutiert die Verteilung öffentlicher Musikfördergelder

Die IG Musik Basel hat im letzten Dezember die Studie «Konzertbesuche und musikalisches Angebot in Basel-Stadt und Basel-Landschaft» veröffentlicht. Ein Kommentar.

Dienstleistungen wie Bühnen, Probenräume, Aufnahmestudios, Orchester oder Konzerthäuser (hier das Treppenhaus im Stadtcasino Basel) sollten offen sein für Produktionen aller Stilrichtungen. Foto: Roman Weyeneth

Die klassische Musik beansprucht den mit Abstand grössten Anteil an öffentlichen Fördermitteln. Das hat historische Gründe: Die städtischen Konzertsäle, Opernhäuser und Sinfonieorchester repräsentieren auch heute noch vor allem die tonangebenden politischen und wirtschaftlichen Eliten. Die meisten öffentlichen Gelder werden dabei von Infrastrukturen, Unterhalt und Löhnen gebunden. Lange Zeit schien dies unbestritten. Mittlerweile ist das Missverhältnis zwischen Kosten und gefühlter gesellschaftlicher Relevanz der klassischen Musik aber so offensichtlich, dass immer mehr die Frage gestellt wird, ob da nicht mit viel Aufwand eine Kultur am Leben gehalten werde, die immer mehr an Wichtigkeit verliert und bloss noch die ästhetischen Bedürfnisse einer exklusiven Minderheit bedient.

Eine Studie des Forschungsinstituts Ecoplan und der Universität Basel hat die ungleiche Verteilung untersucht. Sie beleuchtet die Situation mit Blick auf die kantonale Basler «Initiative für mehr Musikvielfalt», über die am Rheinknie im Herbst abgestimmt werden dürfte. Die Studie stellt zunächst einmal fest, dass die Klassik «mit 90 Prozent des öffentlichen Musikbudgets unterstützt» wird. Für alle andern Stilrichtungen zusammen bleibe das restliche Zehntel. Das widerspreche, schreibt die IG Musik Basel, die hinter der Initiative steht, in einer Medienmitteilung, dem Kulturfördergesetz, das dem Kanton den Auftrag gebe, vielfältig zu fördern. Auch das Kulturleitbild 2020–2025 lege als Ziel fest, alle Genres «angemessen zu unterstützen».

Die Studie beschränkt sich allerdings auf Angaben zum Musikkonsum. Am häufigsten wünschen sich die Befragten, vor allem die jüngeren, mehr Konzerte im Bereich Pop, Rock, Punk, Metal, Hip-Hop, Rap und R&B. Konzerte des Sinfonieorchesters Basel haben einen Anteil von 15 Prozent an allen besuchten Anlässen. Dem stehe gegenüber, dass Basel-Stadt 74 Prozent des gesamten Musikbudgets in das Sinfonieorchester investiere.

Teilhabe, Relevanz und Öffnung

So weit so klar. Weniger eindeutig wird die Sache, wenn danach gefragt wird, ob unabhängig von der konkreten Nutzung der Konzertangebote die Klassikförderung als sinnvoll betrachtet wird. Einen interessanten Hinweis gibt da eine deutsche Untersuchung, der Relevanz-Monitor des Liz-Mohn-Centers und des Instituts für Kulturelle Teilhabeforschung. Eine überwältigende Mehrheit der Deutschen ist demzufolge «voll und ganz bzw. eher der Meinung, dass Angebote in Theaterhäusern (Sprechtheater, klassische Konzerte, Musicals, Oper, Ballett, Tanz) für kommende Generationen erhalten bleiben sollen, selbst wenn sie diese selber kaum oder gar nicht nutzt».

Legitimiert wird die «Hochkultur» von der deutschen Bevölkerung also nicht mit der konkreten Inanspruchnahme, sondern mit der kulturellen Relevanz. Man kann davon ausgehen, dass die Resultate in der Schweiz ähnlich ausfallen würden. Ein weiteres interessantes Ergebnis des Monitors: Jüngere Befragte unter 30 Jahren sagten «überdurchschnittlich häufig, dass sich Angebote in Theaterhäusern nicht an Menschen wie sie richten, sie sich dort fehl am Platz fühlen und nicht wissen, wie sie sich dort richtig verhalten sollen».

Die Basler Initiative für mehr Musikvielfalt fordert, dass «das freie, nicht-institutionelle Musikschaffen künftig mit mindestens einem Drittel des jährlichen Musikbudgets» unterstützt werden muss. Zum freien Musikschaffen gehören aber auch Projekte der Klassik. Eine Annahme der Initiative müsste deshalb keineswegs dazu führen, dass Pop, Rock, Rap und so weiter verstärkt gefördert würden.

Immobilien und Arbeitsplätze kann man nicht einfach so zurückbauen. Will man die Benachteiligung von Pop, Rock, Rap und so weiter in den öffentlichen Fördertöpfen aufheben, kann die Lösung nur heissen, dass man Bühnen, Probenräume, Orchester, Aufnahmestudios und weitere Dienstleistungen, die nach wie vor praktisch ausschliesslich der Klassik zudienen, für die Produktionen aller Stilrichtungen öffnet. Das wäre auch staatspolitisch konsequent. Die öffentliche Hand sollte die neutralen Produktionsmittel zur Verfügung stellen und nicht Stile favorisieren.

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