Wenn Jugendliche die Zukunft komponieren

Das Young Composers Project am Künstlerhaus Boswil ist eine Initiative mit Vorbildcharakter.

Die Young Composers mit den Dozenten Robert Koller (hinten links), Bettina Skrzypczak (vorne rechts) und Moritz Müllenbach (Mitte, 2. von rechts)

Wie kann ich Komponieren lernen? Wie bringe ich meine Musik vom Kopf aufs Papier? Wie entwickle ich einen musikalischen Gedanken? Diese Grundfragen standen im Zentrum des Young Composers Project (YCP), das seit März an einem Wochenende pro Monat im Künstlerhaus Boswil stattfand und elf jungen Komponierenden aus der Deutschschweiz die Gelegenheit bot, unter der Anleitung hochkarätiger Lehrpersonen eigene Werke zu erarbeiten. Der Jüngste war neun, der Älteste neunzehn Jahre alt. Die Ergebnisse des aussergewöhnlich erfolgreichen Projekts werden am 7. September in Boswil und am 9. September in der Kantonsschule Wettingen der Öffentlichkeit vorgestellt.

Begabtenförderung im Bereich des Instrumentalspiels wird heute vielerorts praktiziert. Beim Komponieren hingegen herrscht oft die Meinung vor, das sei eine Angelegenheit für Erwachsene, den Kindern und Jugendlichen fehlten dafür die nötigen Fähigkeiten. Das Gegenteil ist wahr. Davon konnte man sich überzeugen bei einem Besuch des YCP an einem Juniwochenende in Boswil und bei der ersten Probe mit professionellen Musikerinnen und Musikern in Arlesheim im August. Die Vielfalt und Originalität der Ideen, ihre Ausarbeitung und Notation, die meist am Computer geschah, der vorurteilslose Umgang mit Harmonik, der von atonal bis D-Dur reichte, die wache Auseinandersetzung mit theoretischen und praktischen Fragen des Komponierens und das teils noch suchende, teils schon gründlich reflektierte Sprechen über das eigene Tun – das alles weckte Erstaunen und machte neugierig auf die beiden öffentlichen Konzerte im September.

Die Young Composers und ihre Werke

Der Jüngste, der neunjährige Daniel Smirnov, den seine Eltern stets mit dem Auto nach Boswil gefahren haben, hat eine Fantasie komponiert, ein frisch zupackendes, durch Tempo- und Tonartwechsel in kontrastierende Abschnitte unterteiltes Stück für vier Spieler. Er komponiert mit grosser Leichtigkeit, auf seinem Computer hat er über hundert lustige Schweinchenstücke gespeichert, inspiriert durch Walt Disneys Drei kleinen Schweinchen.

Der neunjährige Daniel Smirnov bei der Ensembleprobe mit seiner Schwester und mit Lukas Langlotz, Robert Koller und Bettina Skrzypczak.

Am anderen Ende der Altersskala steht Luca Blanke (*2005), der sich mit The Blind Guitarist für Violine, Cello, Klarinette, Djembe und Triangel ein Bild aus Picassos Blauer Periode zur Vorlage genommen hat. Er versetzt sich in die Lage des blinden Musikanten und übersetzt seine Gedanken auf überlegte Weise in eine mehrschichtige, facettenreich erzählende musikalische Struktur.

Jaël Maier (*2008) spielt Bratsche und hat das Trio Weite im Sturm für Violine, Cello und Klavier komponiert. Weit gespannte Melodien werden darin von bewegten Begleitfiguren untermalt, eine verhaltene innere Erregung prägt das Stück.

Karina Verich (*2009), eine ausgezeichnete Pianistin, die seit ihrer Kindheit Jazz spielt und vor einigen Jahren aus der Ukraine in die Schweiz gekommen ist, hat mit dem Duo As-tu fatigue? für Klavier und Cello pizzicato eine herausfordernde Jazznummer im 7/8-Takt geschrieben. Die beiden Instrumente sind mit kleinteiligen Motiven eng ineinander verhakt, rhythmischer Drive verbindet sich mit schwereloser Eleganz.

In Untitled des gleichaltrigen Laurin Rogausch spielt das Tasteninstrument die Hauptrolle. Der technisch anspruchsvolle Part ist eingebettet in eine Begleitung aus Violine, Cello und Klarinette. Mit den raumgreifenden Läufen und Arpeggien des Klaviers besitzt das in einer erweiterten Durtonalität geschriebene Stück einen ausgeprägt konzertanten Charakter.

Auffällig an der Komposition von Marco Buser (*2006) für fünf Instrumente sind die polyfonen Ansätze in der Stimmführung und der Umgang mit charakteristischen Ausdrucks- und Formtypen. Das detailgenau ausgearbeitete Stück besteht aus drei kontrastierenden Abschnitten – der mittlere basiert auf einem Tangorhythmus – und endet in einem fetzigen Finale. Der Versuch, die divergierenden Teile formal unter einen Hut zu bringen, wird im verspielten Arbeitstitel angesprochen: Rotundum quadrare opportet (etwa: Das Runde muss eckig gemacht werden). Assoziationen an den Fussballerspruch «Das Runde muss ins Eckige» lässt der Komponist übrigens gelten.

Caner Öztas (*2008), der sich schon gut in der akustischen Physik auskennt und die Obertonstruktur eines Instrumentaltons mit lupenreiner Klarheit erläutern kann, kombiniert in The Evolution elektronisch erzeugte Klänge mit Violine, Cello, Klavier und Xylofon. Die auf H basierten, sich fortlaufend wandelnden Lautsprecherklänge verschmelzen mit dem Spiel der Instrumente. Durch das hartnäckige Festhalten am Grundton wird man in das sich verdichtende Klanggeschehen gleichsam hineingesogen.

Caner Öztas, einer der Teilnehmer, erläutert die Obertonspektren des Instrumentaltons.

Der gleichaltrige Loïs Poller entwirft in Vestige für Klarinette, Violine, Cello und Xylofon das Szenario der Suche eines kleinen Jungen nach seinem Vater, was in einer allgemeinen Katastrophe endet. In der expressiven, die Ausdruckswerte sorgfältig gewichtenden Komposition wechseln sich schnelle und langsame Teile ab, doch ein ernster Tonfall ist allen gemeinsam.

Auch Roland Potluka (*2007) fühlt sich eher zu abgedunkelten Gefühlsregionen hingezogen. Im Trio Asphodelus Rêverie bezieht er sich auf die Blume Affodill, die, wie er sagt, mit Trauer in Verbindung gebracht wird. Das inspirierte ihn zu einer interessanten Konstruktion von Wiederholungsstrukturen, in denen sich Cello und Klarinette als führende Instrumente abwechseln, der emotionale Gehalt wird in strukturelle Werte umgesetzt.

Schliesslich Yannick (*2011) und Inès (*2008) Köllner: Die beiden Geschwister erarbeiteten unter dem Titel Nano Haiku eine rund zwanzigminütige Videoinstallation mit Musik, eine schwindelerregende Reise durch eine andere Wirklichkeit, Yannick als bereits versierter, musikalisch denkender Videokünstler und Soundtechniker, Inès als Komponistin und hochbegabte Cellistin, die beim Schweizerischen Jugendmusikwettbewerb 2024 mit Lutosławskis kniffliger Sacher Variation brilliert hat. Bei Nano Haiku, wo gesprochene Texte, Musik und Videoprojektion sekundengenau ineinandergreifen, ist sie nun auch als Textautorin und Dirigentin aktiv.

Die Komponistin und Cellistin Inès Köllner arbeitet mit Moritz Müllenbach an der Cellostimme zu Nano Haiku.

Eine Akademie für den Nachwuchs

Der Zweck dieses Kurses lautete: Ausarbeitung von individuellen Werken bis zur Konzertreife.  Dass das nur über eine genaue Notation geht, war selbstverständliche Voraussetzung. Der Kompositionsunterricht im engeren Sinn wurde dabei ergänzt durch ein breites Angebot an Zusatzfächern. Darin ging es um grundsätzliche Aspekte des Komponierens wie Konzeption eines Werks, Notationsform, Instrumentenkunde, Fragen der Formbildung und anderes mehr; auch massstabsetzende Werke der Vergangenheit wurden diskutiert. Das machte aus dem YCP eine veritable Akademie für den Nachwuchs. Mit ihren Lerninhalten und der professionellen Betreuung würde sie jeder Musik(hoch)schule zur Zierde gereichen. Auch für die Boswiler Stiftung, die sich über den hohen Stellenwert des Unternehmens offenbar nicht so richtig im Klaren war, bildet sie einen ungeplanten Glanzpunkt im Rahmen ihres Förderprogramms.

Zu verdanken ist der Erfolg des Projekts einer engagierten Gruppe von Dozierenden, allen voran dem Bariton Robert Koller, der das komplexe Unternehmen quasi im Alleingang organisierte, und der Komponistin Bettina Skrzypczak; sie war 2013 Mitbegründerin und danach langjährige Leiterin des YCP. In diesem Jahr führte sie es im Team mit Robert Koller. Schwerpunktmässig waren ausserdem beteiligt: Lukas Langlotz als musikalischer Leiter der Proben, der Dirigent Cristoforo Spagnuolo als «Special guest», Pierre Funck für Filmmusik und Karin Wetzel, die die Kursteilnehmer mitbetreute.

Und der Cellist Moritz Müllenbach. Am Beispiel der mit Doppelgriffen und Flageoletts gespickten Cellostimme aus der Komposition von Inès Köllner demonstrierte er gemeinsam mit ihr die unerschöpflichen Möglichkeiten der Klangerzeugung auf den Streichinstrumenten, so lustvoll wie ein Spitzenkoch, der seine besten Rezepte verrät. Müllenbach war neben Heidy Huwiler (Klarinette), Friedemann A. Treiber (Violine/Viola), Elizaveta Parfentyeva (Klavier) und Junko Rusche (Schlagzeug) auch Teil des fünfköpfigen Ensembles, das die kompositorischen Erstlinge einstudierte. Mit einer Sorgfalt, als stammten sie von arrivierten Komponisten.

Die öffentliche Probe mit dem Ensemble in Arlesheim war ein erster Probelauf drei Wochen vor den Schlusskonzerten. Hier hörten die jungen Komponierenden ihre Stücke, mit denen sie sich meist nur am Computer beschäftigt hatten, zum ersten Mal live mit Instrumenten. Dabei konnten Unstimmigkeiten der Partitur mit dem Ensemble besprochen und anschliessend korrigiert werden. Und schon hier wurde klar: Die Werke sind der klingende Beweis, dass Kreativität und kompositorische Intelligenz sich im jungen Alter auf ebenso ernst zu nehmende Weise artikulieren können wie bei akademisch Ausgebildeten. Diese verfügen zwar über ein professionelles Handwerk, mehr kompositorische Erfahrung und damit eine reifere Sicht auf die Musik. Das Kapital der Jungen hingegen sind spontane Entdeckerfreude, der Wille, Neues zu lernen und eine ungetrübte Lust am künstlerischen Schaffen. Mit anderen Worten: Im Komponieren unternimmt hier eine neue Generation die ersten Schritte zur Gestaltung der Zukunft.

Konzerte: So, 7. September, 11 Uhr im Künstlerhaus Boswil und Di, 9. September, 18.30 Uhr in der Kantonsschule Wettingen

«The Groovy Drumbeat»: Forschung im Musikunterricht

Ein Team der Hochschule Luzern zog mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds los, um Jugendlichen Forschung rund um den Groove nahezubringen. Ein Erfahrungsbericht.

Foto:  Tim Meier

Die Themen der Musikforschung sind so vielseitig wie die Materie selbst und die gewonnenen Erkenntnisse mehren sich nicht monatlich oder wöchentlich, sondern täglich. Schaut man sich aber einmal an, wie viele dieser Erkenntnisse tatsächlich in einem breiteren öffentlichen Diskurs landen, wird es doch schnell sehr mager.

Ich gehöre einem Forschungsteam der Hochschule Luzern – Musik (HSLU) an, das sich unter der Leitung von Olivier Senn der Ergründung des «Groove» widmet, einem Phänomen aus der Wahrnehmungspsychologie. Groove erleben wir, wenn wir beim Musikhören den Drang verspüren, uns zur Musik zu bewegen, und dies von positiven Emotionen begleitet ist. Ein völlig alltägliches Phänomen, fast alle kennen es.

Allein in Psychology of Music und Music Perception (zwei wichtige Zeitschriften, die auf die Wahrnehmung von Musik spezialisiert sind, was auch die Groove-Forschung umfasst), wurden im Jahr 2024 über 100 Artikel veröffentlicht. Jetzt kann sich jeder selbst die Frage stellen, mit wie vielen dieser Studien er im Alltag in Berührung gekommen ist. Wäre ich nicht im Wissenschaftsbetrieb tätig, würde ich diese Frage wohl mit «gar keiner» beantworten. Forschungserkenntnisse erreichen uns fast ausschliesslich dann, wenn sie so spektakulär sind, dass sie im Wissenschaftsteil einer grossen Tageszeitung landen.

Dies liegt auch daran, dass die Verbreitung von Ergebnissen an eine breite Öffentlichkeit im Forschungsprozess eher stiefmütterlich behandelt wird. Geforscht wird zumeist an Hochschulen oder Universitäten. Für die Projekte müssen Drittmittel akquiriert werden und die Budgets sind dadurch oft knapp. Viele Projekte sind mit der Veröffentlichung ihrer Studie im Wissenschaftsjournal beendet, selten bleiben Mittel für die Vermittlung an die Allgemeinheit.

Der Nationalfonds springt ein

Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) ist sich dieser Problematik bewusst und hat das Agora-Programm eingerichtet mit dem Ziel, «Kommunikationsprojekte zu fördern, die einen direkten Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ermöglichen».

Wir waren der Ansicht, dass unser Forschungsfeld «Groove» besonders für Jugendliche einen sehr niederschwelligen Einstieg in wissenschaftliches Arbeiten bietet: Musik ist allgegenwärtig. Sie beeinflusst unser Bewegungsverhalten und unsere Emotionen. Die allermeisten Menschen erleben es regelmässig, wenn sie sich beim Musikhören bewegen wollen und die Stimmung mitunter stark positiv beeinflusst wird. Man muss diese Materie nicht erst schmackhaft machen. Wir reichten beim Nationalfonds ein Gesuch ein und bekamen für unser Projekt «The Groovy Drumbeat» Unterstützung zugesprochen.

Die Idee war, unsere Forschung in Workshops an die Schulen in den Musikunterricht zu bringen. Dabei wollten wir nicht nur Vorträge halten, sondern die Klassen aktiv einbeziehen. Insgesamt konnten wir die Workshops an 6 Schulen in 4 Kantonen mit 17 Klassen und knapp 230 Schülerinnen und Schülern (SuS) durchführen. Sie waren zwischen 14 und 18 Jahre alt. Manche waren in Neigungsklassen mit einem Fokus auf Musik, andere besuchten den regulären Musikunterricht.

Mehr Aufwand als gedacht

Bei der Ausarbeitung der Workshops mit den Kollegen Toni Bechtold, Lorenz Kilchenmann und Rafael Jerjen mussten wir schnell feststellen, dass es zwei völlig unterschiedliche Paar Stiefel sind, im Labor zu forschen oder diese Forschung für Laien verständlich aufzuarbeiten, ohne dabei wesentliche Punkte wegzulassen. Wir benötigten viel mehr Zeit für die Vorbereitungen, als im Vorfeld erwartet. Das hatten wir gehörig unterschätzt.

Die Workshops, bestehend aus zwei Sessions, wurden in aufeinanderfolgenden Wochen während je einer Doppellektion von 90 Minuten durchgeführt. Zum Einstieg hörten wir gemeinsam Musik, versuchten mittels Bodypercussion Groove zu erzeugen und diskutierten, in welchen Situationen die SuS in ihrem Alltag Groove erleben. Dann leiteten wir Fragen ab, wie man dieses Phänomen wissenschaftlich untersuchen könnte. In unseren Forschungsprojekten führen wir zu diesem Zweck meist Hörexperimente durch, in denen kurze Hörbeispiele (Stimuli) hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Menschen untersucht werden. Drumbeats, wie wir sie aus der Popularmusik kennen, dienen uns dabei häufig als Audio-Stimuli.

Foto: Tim Meier

Ein solches Experiment wollten wir mit den Klassen aufgleisen und durchführen. Dabei war es uns ein Anliegen, dass die SuS ihre eigenen Hörbeispiele (Stimuli) dafür komponierten. Wir fanden eine geeignete Onlinesoftware «Groove Scribe», mit der sich ohne grosse Vorkenntnisse nach kurzer Einführung Beats «bauen» lassen. Die SuS sollten je einen groovigen und einen ungroovigen Drumbeat komponieren. Diese Stiumuli luden wir auf die Onlineplattform SoSci Survey in unsere Experimentvorlage. Die Teilnahme am Experiment war als Hausaufgabe zu erledigen und in der darauffolgenden Woche ging es für uns zurück in die Schulen, um mit den Klassen die Ergebnisse zu diskutieren und zu überlegen, wie sich diese im Höralltag der SuS widerspiegeln.

Niederschwelliges Thema – hohes Reflexionsniveau

Sehr erfreulich war für uns das hohe Niveau, auf dem die SuS reflektierten und diskutierten. Natürlich variierten Vokabular und Ausdruck je nach Alter, dennoch war es kein Problem für die Jugendlichen, ihre eigenen Beobachtungen zu beschreiben und zu verstehen, wie unsere Groove-Untersuchungen funktionieren und was die Probleme dabei sind.

Ein schönes Beispiel dafür: Bei allen Experimenten mit allen Klassen kam heraus, dass es zwar Stimuli gab, die als sehr ungroovig empfunden wurden, jedoch die groovigsten Patterns es maximal bis ins obere Mittelfeld schafften. Es gab also keine, die als sehr groovig empfunden wurden.

Auf die Frage, woran das liegen könnte, kam bei ausnahmslos allen Klassen als erste Antwort, dass es sich ja gar nicht um «ganze Musik» handle, sondern nur um die Drumbeats. Damit erkannten die SuS sofort eine der grössten Einschränkungen, bei dieser Art von Forschung, nämlich dass wir, um das Experiment kontrollieren zu können, sehr oft keine vollständige Musik verwenden können, sondern die Stimuli reduzieren müssen.

Ein Beispiel für einen groovigen Beat. Er ist rhythmisch interessant gestaltet, gleichzeitig ist der Puls klar zu spüren. Beats, die diese Eigenschaften hatten, wurden meist als groovig wahrgenommen.

Beim «Bauen» der Beats wurde ebenfalls schnell klar, dass die SuS sehr genau wissen, welche Art von Beats sie zum Tanzen bringen und wie diese beschaffen sein müssen. Wir demonstrierten zuvor einige Aspekte, wie Dichte, Regelmässigkeit, Instrumentierungen etc. und los ging es. Egal ob Neigungsklassen oder allgemeiner Musikunterricht, die Hörexperimente zeigten durchwegs, dass die Beats, die mit dem Ziel komponiert wurden, «groovig» zu sein, auch meist so bewertet wurden und umgekehrt.

Erkenntnisse für das persönliche Hören

In der zweiten Doppellektion des Workshops ging es vor allem darum, das Hörexperiment zu interpretieren, also sich mit der Frage zu beschäftigen, warum ein Beat groovt und ein anderer nicht. Auch hier wussten die SuS genau, warum ein Beat für sie groovt oder nicht. In aller Regel war die Transparenz des Pulses sehr wichtig. Aber auch die Dichte an Klangereignissen im Pattern oder eine ungewöhnliche Instrumentierung (z. B. Cymbals oder sonstige Perkussion), die die Beats interessanter machten, spielten eine Rolle.

Dieser Beat wurde als sehr ungroovig empfunden. Die Noten sind willkürlich gesetzt und bei einem sehr langsamen Tempo von 60bpm ist es sehr schwierig, den Puls wahrzunehmen.

Die beiden Top Drumbeats jeder Klasse versuchten wir zusätzlich mit Bodypercussion und sonstigen Perkussionsinstrumenten umzusetzen. Hier zeigten sich dann doch grosse Unterschiede: Mit den Neigungsklassen war grundsätzlich mehr möglich, was jedoch nicht nur den unterschiedlichen Interessen, sondern auch der Gruppengrösse zuzuschreiben war. Die Neigungsklassen waren sehr klein.

Um die Workshops abzuschliessen, war es uns wichtig, die gewonnenen Erkenntnisse auf die Musik zu übertragen, die die Jugendlichen auch tatsächlich in ihrem Alltag hören. Wir hörten zusammen von den SUS ausgewählte Musik und wurden Zeugen teils lebhafter Debatten darüber, welche Musik nun groovig ist und welche nicht.

Impulse werden aufgenommen und weiterentwickelt

Mit diesem Projekt betraten wir als Team Neuland. Obwohl wir alle in irgendeiner Form unterrichten, sei es als Instrumentallehrer oder in einzelnen Kursen an der Hochschule, hatten wir noch nichts Vergleichbares gemacht. Dies betraf viele Bereiche, von altersgerechter Aufarbeitung der Thematik bis hin zur Auseinandersetzung mit den Dynamiken in Schulklassen von Jugendlichen. Der Wissenstransfer lief hier nicht auf einer Einbahnstrasse und auch die Lehrpersonen, die die Workshops natürlich begleiteten, teilten uns mit, sehr profitiert zu haben, und baten uns um noch mehr Material zu solchen Themen. Es stehen auch schon Ideen im Raum, im Rahmen von Projektwochen vielleicht einmal ein ganzes Panel zu organisieren, während dem die Jugendlichen eigene kleine Forschungsarbeiten durchführen und selbst Vorträge halten könnten. Auch gemeinsames Musizieren und kleine Konzerte wären möglich. Was daraus wird, wird die Zukunft zeigen.

 

Befriedigter Abgang mit leise irritierendem Thema

Ein Augenschein vom 4. bis 6. August beim Menuhin-Festival in Gstaad. Es ist das letzte unter der Leitung von Christoph Müller.

Christoph Müller bei der Kirche in Saanen. Foto: Tomas Wüthrich

Balkanroute – das klingt nach Massenflucht und Leid, nach Schleppern und der Angst vor unkontrollierter Einwanderung. «Balkanroute» heisst auch das Konzertprogramm, das Christina Pluhar mit ihrem Ensemble L’Arpeggiata und Gastmusikerinnen und -musikern aus dem Balkan beim Gstaader Menuhin-Festival in der ausverkauften Kirche Saanen präsentiert und damit für Begeisterung sorgt. Hier wird die Balkanroute zur spannenden, sinnlichen musikalischen Entdeckungsreise und erzählt von den Menschen, die dort leben. Der Titel passt nicht nur gut zum Thema Migration, das Intendant Christoph Müller für seine letzte Festivalausgabe gewählt hat. Er spielt auch mit den Erwartungen des Publikums und führt über das Musikalische hinaus. Genau dieses Mehr an gesellschaftlicher Relevanz möchte Müller erreichen.

Westbalkan – Ostbalkan

Dabei ist der Weltmusik-Abend ganz unpolitisch. Keine Statements, kein Aktivismus. Die Lieder erzählen von Sehnsucht und Liebe, Trauer und Tod. Sie versprühen auch unbändige Lebensfreude wie das Romalied Dumbala Dumba, das Luciana Mancini mit kehliger Stimme und geschmeidigem Hüftschwung, angeheizt vom sensationellen Akkordeonisten Petar Ralchev und den kreativen Perkussionisten David Mayoral und Tobias Steinberger, zu einer Party werden lässt. Die Westbalkanroute führt über Griechenland (das getragene Are mou Rindineddha/Wer weiss, kleine Schwalbe), Mazedonien (So maki sum se rodila/Mit Schmerzen wurde ich geboren) und Serbien (Gusta noćna tmina/Tiefe dunkle Nacht) nach Kroatien, das mit dem von Céline Scheen und Vincenzo Capezzuto innig vorgetragenen geistlichen Gesang Panis angelicus (Engelsbrot) aus dem 17. Jahrhundert repräsentiert ist.

Auf der Ostbalkanroute verzückt Peyo Peev mit seinem virtuosen Spiel auf der Gadulka, der bulgarischen Kniegeige. Auch die arabischen Instrumente Oud (Kyriakos Tapakis) und Kanun (Stefano Dorakakis) bringen neben der griechischen Lyra (Giorgos Kontoyiannis) besondere Farben in die zu weiten Teilen improvisierte Musik, die nur manchmal in den zahlreichen Soli etwas ausufert. Christina Pluhar leitet an der Theorbe mit dezentem Kopfnicken das multikulturelle Ensemble. Die insgesamt fünf Sängerinnen und Sänger, darunter besonders ausdrucksstark Katerina Papadopoulo und Nataša Mirković, sorgen ebenfalls für eine grosse musikalische Bandbreite.

Erfreuliche Bilanz über 24 Jahre

Mit seiner Themensetzung hat sich Christoph Müller nicht nur Freunde gemacht. «Es gab tatsächlich einzelne kritische Reaktionen auf verschiedenen Ebenen. Das Thema Migration provozierte einzelne Menschen – und dem Risiko haben wir uns ausgesetzt», sagt der scheidende Intendant. Nach «Demut» und «Transformation» bildet «Migration» den letzten Teil des auf drei Jahre angelegten «Wandel»-Zyklus. «Nach Pandemie und angesichts von Kriegsereignissen und dem rasant fortschreitenden Klimawandel wollte und konnte ich nicht mit Unverbindlichem weitermachen und sah es als meine Aufgabe an, mit unseren Programmen Zeichen zu setzen», erklärt Müller die Profilschärfung der letzten Jahre.

Umso mehr freut es ihn, dass sich das mit 7,5 Millionen Franken budgetierte Programm, davon 15 Prozent öffentlich gefördert, auch beim Publikum ankommt und am Ende zwischen 27 000 und 28 000 Tickets verkauft sein werden – rund 10 Prozent mehr als 2024. Als Müller die Intendanz im Jahr 2002 bei einem damaligen Budget von 2,5 Millionen Schweizer Franken übernahm, war die Zukunft des von Yehudi Menuhin 1957 gegründeten Konzertfestivals unsicher. Vor allem mit den insgesamt sieben Akademien – darunter die drei Wochen dauernde Conducting Academy – hat der Kulturmanager das Festival erweitert und die Nachwuchsförderung ins Zentrum gestellt. Neben den vielen Kammerkonzerten in den Kirchen des Saanenlandes machen auch die Orchester- und Opernkonzerte im grossen Zelt das Festival zu etwas Besonderem. Dass der Abschied von Christoph Müller im letzten Konzert am 6. September zusammen mit dem Beginn der neuen Intendanz von Daniel Hope gefeiert wird, betont den harmonischen Übergang.

Etwas Missfallen und viele Glücksgefühle

Im Konzert Beethoven im Heute in der Kirche Lauenen zeigen Patricia Kopatchinskaja und der Pianist Joonas Ahonen den Komponisten wirklich als Revolutionär. Die grosse Linie geht bei den radikalen Zuspitzungen in den Violinsonaten Nr. 4 in a-Moll und Nr. 8 in G-Dur zwar etwas verloren, aber das rasend schnell genommene Finale der G-Dur-Sonate beispielsweise erhält eine Radikalität, die aufhorchen lässt. Aufregend ist auch die Uraufführung von Márton Illés‘ Stück Én-kör V (Ich-Kreis V), das aberwitzige Virtuosität mit Klangexperimenten kombiniert. Die auch für das Publikum herausfordernde Komposition sorgt durchaus für Missfallen, wie man aus den Gesprächen nach dem Konzert heraushören kann.

Ein kollektives Hochgefühl herrscht dagegen nach dem Auftritt des Mandolinenstars Avi Avital mit seinem Between Worlds Ensemble, das süditalienische Musik und mit der Sängerin Alessia Tondo auch das entsprechende Temperament in die Kirche Saanen bringt. Bis auf Ausschnitte aus Emanuele Barbellas Mandolinenkonzert und aus Igor Strawinskys Suite italienne ist lauter Volksmusik zu hören – von Neapel bis Apulien: lebendig, authentisch, abwechslungsreich. Auch hier gibt es viel Raum für Improvisation (Luca Tarantino: Gitarre, Itamar Doari: Perkussion). Und die Tarantella wird nicht nur virtuos gespielt, sondern auch getanzt. Am Ende herrscht in der Kirche eine Stimmung wie bei einem Rockkonzert. Und man schaut in viele glückliche Gesichter.

Das Festival dauert noch bis am 6. September.

gstaadmenuhinfestival.ch/de

50 Jahre Musikfestwochen in Winterthur

Die Winterthurer Musikfestwochen begehen ihr 50-jähriges Bestehen mit besonderen Formaten und der Frage nach der Zukunft unabhängiger Festivals. Statt auf grosse Namen setzt das traditionsreiche Festival auf Nähe, Haltung und kulturelle Teilhabe.

Der interaktive Parcours «Rätselfestwochen» läuft bereits seit 1. Juli. Foto: Andrin Fetz

Seit einem halben Jahrhundert stehen die Winterthurer Musikfestwochen für unabhängige, nicht-kommerzielle Kultur mitten in der Altstadt. Was 1976 als kleines Konzertwochenende begann, ist heute eines der ältesten Festivals der Schweiz und zieht jährlich rund 60’000 Besucher an. Das Festival hat sich als Sprungbrett für Schweizer Acts und internationale Newcomer etabliert – ermöglicht durch über 1’100 Freiwillige mit mehr als 28’000 Stunden ehrenamtlicher Arbeit.

Im Jubiläumsjahr verzichten die Musikfestwochen bewusst auf Showeffekte und grosse Namen. «Wir haben viele Jahre an der klaren Positionierung unseres Festivals gearbeitet und sind erfolgreich damit», erklärt Co-Geschäftsleiterin Lotta Widmer. Angesichts des aktuellen «Festivalsterbens» und der zunehmenden Monopolisierung in der Musikbranche will das Festival seine Unabhängigkeit bewahren und das Profil schärfen.

Jubiläumsprogramm mit Zukunftsfocus

Das Jubiläum wird mit drei besonderen Formaten gefeiert. Am 9. August findet das «Zukunftslabor» statt – ein Workshop mit dem Think & Do-Tank Dezentrum, in dem Teilnehmende Szenarien für das Festival von morgen entwickeln. Gleichzeitig geht das «Musikfestkarussell» auf Tour: ein musikalischer Spaziergang mit Konzerten an überraschenden Orten rund um das Festivalgelände.

Bereits seit dem 1. Juli laufen die «Rätselfestwochen» – ein interaktiver Parcours durch Winterthur. Das  Escape-Room-Team Geheimgang188 hat sie konzipiert. Sie geben spielerisch Einblick in die Organisation hinter den Kulissen.

Die 50. Ausgabe der Musikfestwochen findet vom 6. bis 17. August 2025 statt. Vereinspräsidentin Anina Ljaskowsky betont: «Wir waren, sind und bleiben ein Werk von vielen. Statt nur zurückzuschauen, wollen wir weiterdenken: Wie muss sich das Festival weiterentwickeln, damit es auch in 50 Jahren noch unabhängig, offen und relevant ist?»

https://musikfestwochen.ch/news/50-jahre/

Die «Rätselfestwochen» geben Einblick in die Organisation hinter den Kulissen. Foto. Andrin Fetz

Danke, Peter Hagmann

Der bedeutende Musikkritiker prägte jahrelang das Feuilleton der NZZ. Es ging ihm um die Fülle des Lebens in der Musik. Am 5. Juni ist er verstorben.

Porträt von Peter Hagmann von seiner Website

«Und das Finale türmt sich in der Passacaglia zu erschütternder Grösse auf und verglimmt dann in der Coda wahrhaft ‹morendo›. Das wirkt alles auch darum so bedrängend, weil das Zürcher Tonhalle-Orchester sein Bestes gibt, und das ist bekanntlich nicht wenig. Ein Abend von Weltformat; danke, Bernard Haitink.» So schrieb Peter Hagmann 2008 in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) über einen Abend mit Schostakowitschs 15. Sinfonie unter Haitinks Leitung. Titel Alles gelebtes Leben; die Wortwahl sorgfältig und genau, die Sicht mitempfindend, nachvollziehend, das Urteil klar, der Gestus bedeutsam. Und vielleicht zeigt sich gerade in einer solchen Rezension die Vielschichtigkeit der leider niedergehenden Institution «Musikkritik» auf schönste Weise.

Peter Hagmann war unter den Kritikern der Deutschschweiz jener, der die weiteste Ausstrahlung erreichte und er war sich durchaus seiner Position bei der NZZ bewusst und ihr verpflichtet. Als einziger von uns hatte er das Zeug zum Grosskritiker, und er versah dieses Amt mit Würde und Traditionsbewusstsein, dabei freilich alles andere als steif, denn sehr wohl konnte er mit Leidenschaft und Gefühl, ja selten auch mit Wut reagieren. Er schrieb darüber ebenso eigenwillig wie elegant, unabhängig in der Meinungsäusserung. Lächelnd erzählte er, wie ihm einst deutsche Kollegen vorgehalten hätten: «Ihr Schweizer habt immer eine so andere Meinung.»

Begonnen hatte er in Basel. Dort kam er am 13. April 1950 zur Welt, dort wuchs er auf, dort studierte er Musikwissenschaft und promovierte mit einer Arbeit über die Welte-Mignon-Reproduktionsklaviere und -orgeln. Schliesslich hatte er sich auch ein Orgeldiplom erworben, kannte das Thema also aus der Praxis. In Basel begann er 1972 als Konzert- und Opernkritiker bei der National-Zeitung und der daraus hervorgehenden Basler Zeitung. 1986 wechselte er zur NZZ, seiner Lebensstelle, wo er ab 1989 als Redaktor wirkte. Zahllos sind die Konzert- und Opernbesprechungen aus Zürich, aus dem In- und Ausland, seine Reportagen und Interviews.

Nach der Pensionierung 2015 setzte er seine Tätigkeit mit Mittwochs um zwölf auf seiner Website fort – einem «Blog für klassische Musik. Für Kunst-Musik im emphatischen Sinn. Für alte Musik, für die klassisch-romantische Musik des grossen Repertoires, für neue Musik». Mit Stolz und auch einem gewissen Trotz schrieb er dazu, er verstehe diesen Blog «als Kontrapunkt zu Tendenzen bei den gedruckten Medien, in denen die Musikkritik als Fossil gehandelt, für obsolet gehalten und vielerorts an den Rand gedrängt, wenn nicht abgeschafft wird. Wer Musikkritik sucht, auf dieser Website kann er, kann sie fündig werden.» Denn weiterhin blieb er neugierig und interessiert, wenngleich er die Entwicklungen in der Medienlandschaft mit Skepsis beobachtete. Oft sassen die Zürcher Musikkritiker kollegial zusammen und besprachen, was da geschah, offen und ohne Konkurrenz. Peter erlebten wir dabei immer als zugewandten und aufmerksam nachfragenden Gesprächspartner.

Daneben unterrichtete der mehrfach Ausgezeichnete an Musikhochschulen, arbeitete als Experte und sass in Jurys ein. Zusammen mit Erich Singer gab er 2019 das Buch Dirigieren ist ein Rätsel über Bernard Haitink heraus. Dieser Band mit Gesprächen und Essays über einen Musiker, dem er sich verbunden fühlte, war seine letzte grosse Publikation: «Dem niederländischen Dirigenten ging es jederzeit einzig und allein um die Musik, um die Verlebendigung des in der Partitur niedergelegten Kunstwerks durch den Akt der Interpretation», hatte Peter Hagmann in seinem Nachruf über Haitink geschrieben. Und darum ging es doch auch ihm, jenseits aller Anerkennung: eine Tradition fortzuschreiben, nicht einer Ideologie gemäss, sondern energievoll aus dem Leben heraus. Deshalb jener emphatische Titel Alles gelebtes Leben, der so typisch für ihn ist. Bis zuletzt. Noch im März besprach er die Uraufführung von Beat Furrers Das grosse Feuer. Nun ist Peter Hagmann nach schwerer Krankheit im Alter von 75 Jahren gestorben.

Klassische Musik für alle in Brugg mit «echo»

Das Brugg-Festival setzt mit seinem Musikvermittlungsprojekt «echo» Massstäbe in der Kulturförderung für Kinder und Jugendliche. Vom 31. August bis 6. September erleben rund 1000 Schülerinnen und Schüler klassische Musik hautnah – kostenlos und ohne Berührungsängste.

Musikvermittlung für Schulklassen im Projekt «echo» 2024. Foto: Dana Moica

Was 2023 mit 300 bis 400 Schülerinnen und Schülern begann, ist heute zum Herzstück des Brugg Festivals geworden. Das Vermittlungsprojekt «echo» verzeichnet ein beeindruckendes Wachstum: 2024 nahmen bereits über 800 junge Menschen teil, für 2025 werden erstmals 1000 Kinder und Jugendliche erwartet.

«Es heisst immer, klassische Musik sei elitär, aber das ist sie bei uns in Brugg nicht», betont Sebastian Bohren, Geiger und Künstlerischer Leiter des Festivals. «Mit ‹echo› erreichen wir auch die breite Bevölkerung.» Ende Juni zählte das Festival bereits über 600 Anmeldungen, darunter erstmals über 100 Realschülerinnen und -schüler.

Direkter Kontakt statt Schulmeisterei

Das Erfolgsrezept von «echo» liegt in seinem unkonventionellen Ansatz. Statt lehrmeisterlicher Pädagogik setzen die Organisatoren auf direkte Begegnungen mit charismatischen Musikerpersönlichkeiten. Die Schülerinnen und Schüler können Instrumente selbst ausprobieren und erleben klassische Musik «ganz unmittelbar», wie Bohren erklärt. Die Musik- und Bewegungspädagogin Noëmi Dittli moderiert sämtliche «echo»-Veranstaltungen.

Walter H. Rambousek, Leiter Musikvermittlung, hat die Moderation der Anlässe auf die vier Teilnehmergruppen abgestimmt: 1. bis 3. Klasse, 4. bis 6. Klasse, 7. bis 9. Klasse (Oberstufe) und Musikschule. «Der Einstieg in die Welt der klassischen Musik braucht einen Türöffner. ‹echo› ist der Schlüssel dazu», sagt er.

18 Veranstaltungen und neue Angebote

Das diesjährige «echo»-Programm umfasst 18 Veranstaltungen in drei Kategorien. Sie sind für Schülerinnen und Schüler der Schule Brugg inklusive der Musikschule Brugg sowie für Lehrpersonen und schulische Begleitpersonen kostenlos. Neben moderierten Konzerten mit Künstlergesprächen können Schulklassen auch Konzertproben besuchen, an «Meet and Greet»-Runden teilnehmen oder den Geigenbauer Gerhard Burger bei der Arbeit erleben. Neu im Programm ist auch eine Orgelführung in der Reformierten Stadtkirche Brugg – ein Wunsch, der direkt von Schülerinnen und Schülern kam.

Als Höhepunkt des Familienprogramms gilt Der Karneval der Tiere von Camille Saint-Saëns. Das Werk wird am 4. September zweimal für Schulklassen und abends als Familienkonzert aufgeführt. Die zeitlose Suite aus dem Jahr 1886 mit ihren tanzenden Elefanten und gleitenden Schwänen gilt als idealer Einstieg in die klassische Musik.

Kooperation als Erfolgsfaktor

Das Projekt basiert auf einer engen Zusammenarbeit zwischen dem Verein Stretta Concerts, der Schule Brugg und der Musikschule Brugg. Insgesamt 1700 Kinder und Jugendliche besuchen die Schule Brugg, 755 davon erhalten Instrumentalunterricht an der Musikschule.

«Weltklasse vor der Haustür – wo gibt es das schon?», schwärmt Simon Moesch. Er ist Lehrer an der Bezirksschule Brugg und Mitglied der «echo»-Programmgruppe. Stephan Langenbach, Leiter der Musikschule Brugg, sieht in dem Projekt einen «immensen Mehrwert». Die Distanz zwischen klassisch Musizierenden und Kindern werde spürbar abgebaut.

Finanzielle Unterstützung ermöglicht Gratisangebote

Dank der Unterstützung der Julius-Stäbli’schen-Stiftung können Schülerinnen und Schüler der Schule und Musikschule Brugg alle regulären Konzerte des Festivals kostenlos besuchen – sofern sie von einer erwachsenen, zahlenden Person begleitet werden. Für andere Kinder unter 16 Jahren kostet der Eintritt zum Familienkonzert Der Karneval der Tiere 10 Franken.

Die «fifty-five minutes»-Mittagskonzerte im Cinema Odeon richten sich speziell an Familien. Sie schaffen ein niederschwelliges Angebot für die Begegnung mit klassischer Musik ausserhalb eines abendfüllenden Programms.

Das Brugg Festival findet vom 31. August bis 6. September 2025 statt. Die Vision der Organisatoren ist es, dass die junge Generation ihre Freude an der klassischen Musik in ihre Familien hineinträgt und so eine neue Generation von Klassikliebhabern entstehen lässt.

Vermittlungsprojekt «echo» 2024 mit Viviane Chassot. Foto: Dana Moica

125 Jahre Schweizerischer Tonkünstlerverein

Der 2017 aufgelöste Schweizerische Tonkünstlerverein wurde 1900 gegründet. Auf einer neuen Website sind Meilensteine der Vereinsgeschichte einzusehen.

Noch bis Ende 2018 erschien die STV-Zeitschrift «dissonance». Das Bild zeigt die von Hubert Neidhart gestalteten Cover-Illustrationen der letzten Ausgaben der «Schweizer Musikzeitschrift für Forschung und Kreation», wie sie sich im Untertitel bezeichnete. Foto: SMZ

Im Rahmen des Forward-Festivals organisieren Lucerne Festival und die Hochschule der Künste Bern am 22./23. November eine Ausstellung von Thomas Gartmann, Doris Lanz, Gabrielle Weber und Raphaël Sudan. Sie trägt den Titel «Im Brennpunkt der Entwicklungen. 125 Jahre Schweizerischer Tonkünstlerverein». Gleichzeitig werden die Sammelbände Im Brennpunkt der Entwicklungen. Der Schweizerische Tonkünstlerverein 1975–2017 sowie Musikdiskurse nach 1970 vorgestellt.

2017 wurde der Schweizerische Tonkünstlerverein (STV) in den Verband Sonart – Musikschaffende Schweiz integriert.

Wer sich für die Geschichte des STV interessiert, findet viele Aspekte dazu auf einer neuen übersichtlichen Website zum Thema:

https://www.hkb-interpretation.ch/ausstellung-stv

Lorenza Borrani ab nächstem Frühling an der ZHdK

Die Violinistin Lorenza Borrani wird ab dem Frühlingssemester 2026 an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) Kammermusik im Hauptfach unterrichten.

Lorenza Borrani. Foto: Piera Mungiguerra

Als Konzertmeisterin des Chamber Orchestra of Europe und Gründungsmitglied von Spira mirabilis tritt die Florentinerin Lorenza Borrani als Dirigentin, Leiterin, Solistin und Kammermusikerin in den wichtigsten Sälen und Konzertsaisons sowie an internationalen Kammermusikfestivals weltweit auf.

Sie unterrichtet Violine und Kammermusik an der Scuola di Musica di Fiesole und wirkt seit 2019 als Gastprofessorin an der Royal Academy of Music in London.

 

Kulturbühne im Ballenberg

Vom 5. Juli bis 17. August zeigt das Freilichtmuseum Schweizer Volkskultur auf der neu geschaffenen Kulturbühne.

Trachten und Volkstanztag im Ballenberg. Foto: David Birri/Freilichtmuseum Ballenberg

Die Kulturbühne befindet sich beim Wohnhaus Sachseln (Gebäude Nr. 711). Jeden Tag sind dort lebendige Traditionen zu erleben. Formationen aus allen Teilen der Schweiz präsentieren Jodelklänge, Alphorntöne, Blasmusik, Chorgesang, Volkstanz und Akkordeonmelodien. Die 20-minütigen Auftritte finden jeweils um 11, 14 und 15 Uhr statt. Anschliessend stehen die Interpretinnen und Interpreten für Gespräche mit dem Publikum zur Verfügung.

Link zum Tagesprogramm

Christian Spitzenstaetter wird neuer Präsident der ISCM Switzerland

Auf den 1. Juli 2025 wurde das Mandat der ISCM Switzerland von der SGNM/SSMC auf die Schweizer Musikedition SME/EMS übertragen. In seiner Funktion als Präsident der SME übernimmt Christian Spitzenstaetter von Javier Hagen das Präsidium der ISCM Switzerland.

Javier Hagen (SGNM) übergibt das ISCM Switzerland-Präsidium an Christian Spitzenstaetter (SME). Foto: SGNM/SSMC

Die ISCM Switzerland ist die Schweizer Sektion der ISCM (International Society for Contemporary Music) und besteht seit deren Gründungsjahr 1922. Sie ist damit eine der weltweit ältesten ISCM-Landessektionen. Ihre Gründung verdankt sie dem Dirigenten Hermann Scherchen und seinem damaligen Arbeitgeber, dem Winterthurer Mäzenen Werner Reinhart. Ihr erster Präsident war der Komponist und damalige Chefdirigent des Tonhalle-Orchesters Zürich, Volkmar Andreae (1879–1962). 1922–1995 wird das Mandat der ISCM Switzerland vom Schweizerischen Tonkünstlerverein STV/ASM geführt, 1995–2025 von der SGNM/SSMC, der Schweizerischen Gesellschaft für Neue Musik.

Ab 2025 übernimmt die Schweizer Musikedition SME/EMS das Mandat der ISCM Switzerland. Auf Volkmar Andreae folgten im Präsidium in chronologischer Reihenfolge Hans Ehinger (1934, ad interim), Paul Sacher (1935), Samuel Baud-Bovy (1955), Paul Müller (1960), Constantin Regamey (1963), Hermann Haller (1968), Julien François Zbinden (1973), Francis Travis (1974), Fritz Muggler (1978), Jean-Luc Darbellay (1995), Max E. Keller (2007), Nicolas Farine (2010), Javier Hagen (2014) und Christian Spitzenstaetter (2025).

Zur Geschichte der ISCM und ihrer World New Music Days

Die International Society for Contemporary Music ISCM ist eine der bedeutendsten musikkulturellen Gesellschaften der Welt und geht – vor dem Hintergrund des Völkerbundes – auf eine Initiative der Zweiten Wiener Schule während der Salzburger Festspiele 1922 zurück. Zu ihren Gründungsmitgliedern gehörten unter anderen die Komponisten Bartók, Hindemith, Honegger, Milhaud, Ravel, Berg, Schönberg, Strawinsky und Webern. Im deutschen Sprachraum ist die Organisation eher als IGNM, Internationale Gesellschaft für Neue Musik, bekannt.

An der diesjährigen Generalversammlung in Lissabon wurde der langjährige Vizepräsident Frank J. Oteri neu zum Präsidenten der Gesellschaft gewählt. Er ist der erste US-amerikanische ISCM-Präsident und folgt auf die scheidende Neuseeländerin Glenda Keam, die das Amt seit 2019 innehielt. Zur neuen Vizepräsidentin rückte Rebecca Diependaele (Belgien) nach, und neu in den ISCM-Vorstand wurde Deborah Keyser (Wales) gewählt. Die weiteren ExCom-Mitglieder sind wie bisher Magnus Bunnskog (Schweden) und Chialin Pan (Taipei). Die Delegierten ernannten zudem zwei Komponistinnen zu Ehrenmitgliedern: die Schwedin Karin Rehnquist (*1957) und die Belgierin Jacqueline Fontyn (*1930).

Der neu zusammengesetzte ISCM-Vorstand am 6. Juni 2025 beim O’culto de Ajuda in Lissabon v.l.: Wolfgang Renzl (Legal Counsel), Ol’ga Smetanova (Secretary General), Magnus Bunnskog (Member), Deborah Keyser (Member), Frank J. Oteri (President), Chialin Pan (Member), Rebecca Diependaele (Vice-President), and David Pay (Treasurer)

Die ISCM organisiert die alljährlich in einem anderen Land stattfindenden Weltmusiktage (ISCM World New Music Days WNMD). Sie dauern zwischen ein und zwei Wochen und gestalten sich in jedem Land verschieden. Gemeinsam und konstant ist ihnen jedoch, Kompositionen aller Mitgliedländer gleich stark und demokratisch vertreten zu haben, was die Festivalprogramme immer in einem weltweit einmaligen Spannungsfeld zwischen internationalen Spitzenpositionen und dem Abbild der globalen Vielfalt der Neuen Musik ansiedeln. Die Schweizer IGNM-Sektionen organisierten seit der Gründung der ISCM im Jahre 1922 insgesamt sechsmal die ISCM-Weltmusiktage: 1926 (Zürich), 1929 (Genf), 1957 (Zürich), 1970 (Basel), 1991 (Zürich) und 2004 – unter dem Motto «Trans_it» – in der ganzen Schweiz.

Die diesjährigen ISCM WNMD fanden vom 30. Mai bis 7. Juni in Portugal unter dem Motto «Thirst for Change» statt. Die insgesamt 23 Konzerte in Lissabon und Porto deckten 14 Kategorien ab. Die künstlerische Leitung des Festivals oblag Miguel Azguime.

Neue Werke für 2026 gesucht

Die nächsten ISCM WNMD finden 2026 in Rumänien statt. Die Ausschreibung für einzureichende Werke ist bereits offen und schliesst auf den 1. Oktober 2025. Bewerben können sich KomponistInnen ohne Alters- und Herkunftsbeschränkungen in zwei Kategorien: Open Submissions (für alle offen) und/oder über die Eingaben der ISCM Mitgliedersektionen.

Christian Spitzenstaetter (*1994) stammt aus Wörgl, Österreich, und ist Klarinettist, Komponist und Dirigent. Ab 2013 studiert er an der HKB in Bern bei Ernesto Molinari, 2014 gründet er das Orchester KOMP.ART, das sich aus befreundeten Musik-Studierenden aus verschiedenen Ländern Europas zusammensetzt. Im März 2016 wird er vom Mozarteum Orchester Salzburg für zwei Konzerte als Dirigent engagiert. Spitzenstaetter lebt in Bern, arbeitet im Moment unter anderem als Assistent der Studiengangsleitung an der HKB und ist ebenfalls der aktuelle Präsident der Schweizer Musikedition SME/EMS.

 

Transparenzhinweis: Der Autor hat Text und Bild kostenfrei zur Verfügung gestellt. Redaktion: SMZ
Der Text wurde am 3. Juli 2025 um weitere Informationen ergänzt zur ISCM-Generalversammlung und die ISCM WNMD 2025.

Katharina Nohl mit Doppel-Uraufführung in der Carnegie Hall

Zwei Werke der Pianistin und Komponistin Katharina Nohl wurden in der Carnegie Hall in New York uraufgeführt.

Katharina Nohl. Foto: zVg

Das Manhattan Chamber Orchestra interpretierte am 28. Juni in der New Yorker Carnegie Hall Nohls Orchesterwerk La Lacrima – ein Werk im Gedenken an ihren verstorbenen Vater. Am 30. Juni spielte das Lehner Quartet Nohls Streichquartett September Tango. Zwei Uraufführungen nacheinander in New York: ein seltener Doppelauftritt für eine Komponistin aus dem deutschsprachigen Raum.

Katharina Nohl wurde in der ehemaligen DDR geboren und dort seit Kindertagen intensiv gefördert. Nach dem Mauerfall studierte sie Musik u.a. in England und Italien. Seit gut 20 Jahren lebt sie mit ihrer Familie in der Nähe des Rheinfalls.

Ihre Musik verbindet klassische Formen mit individuellen Klangfarben, beeinflusst von Stationen ihres Lebens wie Istanbul, Ferrara oder der Zürcher Musikszene. Als Gründerin des Swiss Female Composers Festival engagiert sie sich aus künstlerischer Überzeugung seit Jahren für die Sichtbarkeit von Komponistinnen. Dass diese beiden Werke in der Carnegie Hall Premiere feierten, ist nicht nur ein persönlicher Meilenstein, sondern ein kulturpolitisches Signal mit leiser, aber nachhaltiger Wirkung. Im November findet dort eine dritte Uraufführung statt, zusammen mit ihrer Tochter.

 

Transparenzhinweis:
Dieser Text wurde von der Verfasserin kostenlos zur Verfügung gestellt und von der SMZ-Redaktion redigiert.

Schellen-Ursli-Oper im Engadin

Die Opera Engiadina hat die gleichnamige Familienoper von Marius Felix Lange in rätoromanischer Sprache ins Bündner Hochtal gebracht.

Chalandamarz-Umzug (Detail) mit der Oberengadiner Besetzung Jöri Würms vorne rechts (Uorsin) und Luisa Würms (Flurina) vorne links. Das Chalandamarz-Lied erklingt am Schluss der Oper aus vollen Kehlen. Alle Fotos: Mayk Wendt 

Die Familienoper Schellen-Ursli von Marius Felix Lange erlebte 2019 am Theater Basel ihre erfolgreiche Uraufführung. Jetzt ist das Werk im Engadin präsent. Und zwar in der Originalsprache der Kinderbuch-Trilogie von Selina Chönz und Alois Carigiet (Uorsin/Schellenursli, 1945, Flurina/Flurina und das Wildvöglein, 1952, La naivera/Der grosse Schnee, 1957). Unter dem Titel Schellen-Ursli/Uorsin wird die Oper von 18 singenden Mitwirkenden aufgeführt. Darunter sind 15 Kinder im Alter von 9 bis 14 Jahren. Die Gesangspartien der gemässigt modernen Tonsprache, die auf Elektronik verzichtet, sind anspruchsvoll. Hoch sind auch die Anforderungen an die Camerata Pontresina, das kleine solistisch besetzte Instrumentalensemble. Die Gesamtleitung liegt bei Claudio Danuser. Der Sänger, Dirigent und Musikwissenschaftler mit familiären Wurzeln in Pontresina hat 2020 die Leitung der Opera St. Moritz übernommen. Seither führt er sie unter dem Namen Opera Engiadina weiter.

1. Szene mit v.l.n.r. Chiara Staub (Flurina mit dem Wildvöglein), Gianna Lunardi (Mutter), Chasper-Curò Mani (Vater), Ambra Fanchi (Uorsin)

Doppelbesetzung für beide Engadiner Idiome

Die Hauptrollen sind doppelt besetzt, was den beiden romanischen Idiomen des Engadins Rechnung trägt. Luisa (14) und Jöri Würms (11) aus Pontresina verkörpern Flurina und Uorsin auf Puter, Chiara Staub (12) und Ambra Fanchi (12) aus Sent dieselben Rollen auf Vallader. Es sei nicht einfach gewesen, die Hauptrollen mit Kindern aus dem Engadin zu besetzen, schreibt Claudio Danuser im Programmheft. Die Zusammenarbeit mit der Primarschule Zuoz sei sehr hilfreich gewesen. Der Kern des Kinderensembles stammt von dort. Und dort wurde auch geprobt.

Wetterbaum mit Tieren (Kinderensemble)

Drei Erwachsene komplettieren das Gesangsensemble: Gianna Lunardi (Mezzosopran) als Mutter Madlaina, Chasper-Curó Mani (Bariton) als Vater Andri und Flurin Caduff (Bassbariton) in der Doppelrolle als Onkel Gian und Winter.

Rückkehr des Werks an Originalschauplätze

Marius Felix Lange gilt als Spezialist für grosse Familienopern, der sich auch in anderen Werkgattungen international etabliert hat. Er freut sich über diese zweite Inszenierung. Ganz speziell sei für ihn, dass das Stück mit der Opera Engiadina realisiert werde, und zwar sozusagen an Originalschauplätzen und auf Romanisch. Bevor er nach Fertigstellung des Librettos die Komposition in Angriff nahm, hatte Lange mit dem damaligen Basler Produktionsteam die Vertreibung des Winters im Chalandamarz-Brauch in Ardez und Guarda miterlebt. Das bekannte Chalandamarz-Lied bildet denn auch den musikalischen Schlusspunkt der Oper.

In das ursprüngliche deutsche Libretto hat der Komponist alle bühnenwirksamen Elemente aus der Kinderbuch-Trilogie einfliessen lassen. Episoden um Flurina (eine Identifikationsfigur für kleine Zuschauerinnen), das Wildvöglein und den Lawinenabgang ergänzen die Hauptgeschichte rund um Uorsin und wie er zur grössten Glocke für Chalandamarz kam.

Die Lawine hat den Wetterbaum samt Flurina und die Tiere verschüttet.

Alpenländische Instrumentierung und charakteristische Motive

Die Instrumentation für kleines Ensemble nutzt bewusst Instrumente, die in der alpenländischen Volksmusik verbreitet sind: Geige, Klarinette (mit Alphorn-Fa), Akkordeon, Kontrabass. Dazu kommen Flöten, Viola, Bassklarinette, Vibrafon und Glockenspiel.

«Die Mitwirkenden sind durch kleine musikalische Motive charakterisiert, selbst Flurinas Vogel hat einen (recht eintönigen) Ruf, der nur ihm gehört», erläutert Lange seine Musik. Als einen Höhepunkt der Engadiner Fassung sieht er die Begegnung zwischen Uorsin und dem Winter. Lange hat diese Figur für seine Opernhandlung erfunden. In der Engadiner Fassung singt der Winter als einzige Figur ein unheimliches Lied auf Deutsch, was ihn umso fremdartiger erscheinen lässt.

Der Winter (Flurin Caduff) packt Uorsin (Ambra Fanchi)

Kreatives Team aus Tanz und Theater

Für Regie und Bühne zeichnet Riikka Läser verantwortlich. Die freischaffende Tänzerin und Choreografin führt seit 2022 zusammen mit Tänzer Ivo Bärtsch (Licht und Technik) die Compagnie «Läser @ Bärtsch Tanztheater». Die Kostüme stammen von Briony Langmead.

Weitere Aufführungen:

  • 9. Juli Guarda
  • 10. Juli Stampa
  • 12. Juli Pontresina
  • 13. Juli Sils i.E.

Die Fotos aus den Proben stammen von Mayk Wendt.

Gesamtensemble mit l.v.u.n.o. Briony Langmead, Riikka Läser, Claudio Danuser und r.v.u.n.o. Joni, Simo und Ivo Bärtsch

«Tabu Wagner? Jüdische Perspektiven»

Eine Sonderausstellung im «Richard Wagner Museum» im Landhaus Tribschen bei Luzern beschäftigt sich mit jüdischer Wagner-Rezeption.

Blick in die Ausstellung. Foto: Heinz Dahinden

Bereits seit April ist die Ausstellung in vier Räumen im Obergeschoss des Tribschener Landhauses zu sehen. Wagner hat dort in den Jahren 1866 bis 1872 gelebt und 1869 seinen 1850 in Zürich geschriebenen Aufsatz Das Judenthum in der Musik neu als Broschüre herausgegeben.

Die Ausstellung Tabu Wagner? Jüdische Perspektiven beleuchtet Wagners Antisemitismus aus einem anderen Blickwinkel. Sie stellt Fragen: Wie wirkte und wirkt Wagner auf Jüdinnen und Juden? Wie gingen und gehen diese mit seiner Judenfeindlichkeit um? Ist sein Werk deshalb ein Tabu? Mit der Ausstellung sollen, wie das Museum schreibt, jüdische Positionen aus fast 200 Jahren sichtbar gemacht und die Vielschichtigkeit des Themas aufgezeigt werden.

Kuratiert wurde die Sonderausstellung von Franziska Gallusser, «Richard Wagner Museum», in Zusammenarbeit mit Tom Adler, Richard-Wagner-Stätten Graupa. Sie dauert bis zum 28. November 2025. Spezifische Begleitveranstaltungen und Themenführungen sind auf der Website aufgeführt.

6. Juli, 15 Uhr: Themenführung mit Tom Adler
24. August, 16 Uhr: Gespräch «Jüdische Perspektive heute»
19. Oktober, 17 Uhr: Liedrezital Hermann Levi

Eine App zum Improvisieren

«Yes Don’t Panic» heisst die von Marc Jenny entwickelte Webapplikation. Über Tablets oder Smartphones vernetzt, ermöglicht sie Ausführenden und Publikum, das musikalische Geschehen aktiv zu beeinflussen.

Die Conducting Oberfläche von Yes Don’t Panic. Bild: Marc Jenny

Der Musiker und Komponist Marc Jenny tüftelte seit 2015 an der Web-App Yes Don’t Panic. «2022 wurde das Konzept im Rahmen eines Transformationsprojekts von JazzChur grundlegend überarbeitet und ist seit 2025 für alle zugänglich», heisst es in der Medienmitteilung. Mithilfe der App können Musikerinnen und Musiker gemeinsam in Echtzeit musikalische Verläufe gestalten, indem die musikalische Leitung dynamisch wechselt: unter den Beteiligten, aber auch hin zum Publikum. Jenny bezeichnet dieses hierarchielose demokratische Zusammenspiel als innovatives «Conducting Concept».

Via Tablet regulieren die Ausführenden ihre Aktivitäten. Foto: Urs Anderegg

Der Zugang ist einfach. Ohne etwas installieren zu müssen, können die Beteiligten ihr Improvisationsprojekt starten. Die App eignet sich für Konzerte, Proben, Jam Sessions, Performances oder ausserhalb des Musikalischen für Workshops. Der musikalische Background spiele keine Rolle, meint Jenny. Nützliche Voraussetzungen hingegen seien Mut, Experimentierfreude, Fehlertoleranz, gemeinsames Gestalten und aufmerksames Zuhören – «um keine Panik aufkommen zu lassen.»

Wichtige weiterführende Links:

Video: https://vimeo.com/1047653567

Website: https://www.yesdontpanic.org/

Web-App: https://app.yesdontpanic.org/

Das Publikum schaltet sich via Smartphone zu. Foto: Urs Anderegg

Mit Höreinschränkung im Konzert

Für ein Erleben mit allen Sinnen lässt das Freiburger Barockorchester das Publikum ganz nah heran. Zusammen mit dem dortigen Institut für Musikermedizin will es zudem herausfinden, wie sich Musikhören auf das Wohlbefinden auswirkt.

Ulrike Berger berührt zwischen Cello und Laute sitzend das Cembalo, um die Tonschwingungen wahrzunehmen. Foto: Frank S. Fischer

Ulrike Berger berührt zwischen Cello und Laute sitzend das Cembalo, um die Tonschwingungen wahrzunehmen. Foto: Frank S. FischerDer erste Paukenschlag im Halbdunkel geht durch Mark und Bein. Die Dissonanzen von Streichern und Cembalo bedrängen, die Piccoloflöten erschrecken. Les Éléments von Jean-Féry Rebel beginnt mit «Le cahos». Musik als elementare Kraft – erlebbar mit dem ganzen Körper. Komponiertes Chaos, das aufwühlt. Das Freiburger Barockorchester ist bekannt für seine plastischen, klanglich geschärften Interpretationen. Aber an diesem Sonntagnachmittag im Freiburger Ensemblehaus ist die Wirkung dieser Musik noch viel stärker.

Das Publikum sitzt in der Mitte und ist umgeben vom Orchester. Jeder Besucher darf seinen Hocker dorthin stellen, wo er möchte (Ausstattung: Fenia Garbe), und während des Konzerts seinen Platz wechseln. Auch die Musikerinnen und Musiker ändern zwischen den Werken ihre Position. Die Trompeter spielen mal von hinten, mal von vorne. Die Violinen sind erst ganz nah, dann weit entfernt. Der sonst so leise, kaum wahrnehmbare Klang der Laute ist durch die geringe Hördistanz eine echte Offenbarung. Auch optisch wird das Konzert durch die Nähe zum besonderen Erlebnis. Man kann die Tonerzeugung sehen: die angespannten Gesichtsmuskeln der Bläser, die Bogenstriche und die Schlägel, die das Paukenfell in Schwingung versetzen.

«Miteinander Hören» heisst das gemeinsame Projekt des Freiburger Barockorchesters und des Freiburger Instituts für Musikermedizin (FIM), das von der Hochschule für Musik und dem Universitätsklinikum getragen wird. Das mit Bundesmitteln geförderte Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen mit Höreinschränkungen besser in das Konzertleben zu integrieren. «Es interessiert uns, welche Bedeutung eine Hörbeeinträchtigung hat für den Konzertbesuch, für die Wahrnehmung von Musik und den Hörgenuss», sagt Claudia Spahn, die gemeinsam mit dem HNO-Arzt Bernhard Richter das FIM leitet. Bei der detaillierten Publikumsbefragung im Herbst möchte man aber auch Antworten von Personen ohne Höreinschränkung bekommen, um zu erfahren, wie sich das Musikhören generell auf das Wohlbefinden auswirkt. Nach der genauen Datenanalyse steht in einem dritten Schritt ein Sonderkonzert am 23. März 2026 im Konzerthaus an, in dessen Gestaltung die gewonnenen Erkenntnisse fliessen sollen.

Auf dem Sitzkissen zwischen Laute und Cello

Dass beim besuchten dritten Konzert die Zielgruppe des Formats, also Menschen mit Höreinschränkung, weitgehend fehlt, kann Hans-Georg Kaiser, Intendant des Freiburger Barockorchesters, nicht erklären. «Vielleicht liegt das an der Tabuisierung des Themas in der Gesellschaft. Oder am für unser Abo-Publikum ungewohnten Ort.» Das Konzert bietet mit Livevisuals (Sebastian Rieker) und einer dezenten Choreografie (Friederike Rademann) zusätzliche Reize, die auch Menschen mit einem Hörgerät ein intensiveres Musikerlebnis schenken könnten. Das steht für Kaiser ausser Frage. Inklusiv ist es vor allem deshalb, weil es Personen, die sonst gar keine Musik hören können, ein sinnliches Erleben ermöglicht.

Eine davon ist Ulrike Berger, die eine Hörprothese für Gehörlose und Ertaubte, ein Cochlea-Implantat, trägt. Cochlea bedeutet in diesem Zusammenhang Gehörschnecke. Berger wurde von Projektleiter Andreas Heideker direkt angesprochen. Wie sechs weitere Personen mit Cochlea-Implantat hatte sie sich am Vortag auf den Weg ins Ensemblehaus gemacht. «Wir waren alle total berührt. Ich selbst hatte die Schuhe ausgezogen und spürte so die Vibrationen am Boden, aber auch das Sitzkissen leitete diese weiter.» Seit Jahren hat die Geschäftsführerin der Deutschen Cochlea-Implantat-Gesellschaft (DCIG) kein Konzert mehr gehört, weil Musik durch das elektrische Hören verzerrt klingt. 22 Kanäle können die fehlenden 10 000 Hörsinneszellen nicht ersetzen.

Während des Konzerts setzte sich Berger zwischen Laute und Cello. «Da ich mich auf diese beiden Instrumente konzentrieren konnte, hörte ich die Melodien sehr gut. Und durch meine Hand am Cembalo nahm ich die Tonschwingungen wahr. So kam auch die Harmonie und damit die Musik selbst bei mir wunderbar an.»

Auch Georg Philipp Telemanns Ouvertüre La Bourlesque, Jean Philippe Rameaus Suite aus Les Boréades und Jean-Michel Delalandes Trompetenkonzert (Solo: Jaroslav Rouček, Karel Mňuk) wird durch den Raumklang zu einem besonderen Hörerlebnis. Konzertmeister Gottfried von der Goltz bewegt sich noch ein wenig mehr als sonst, um auch die Musikerinnen und Musiker in seinem Rücken mitzunehmen. Die Motive wandern durch den Raum, das Zusammenspiel klappt trotz der ungewohnten Aufstellungen ausgezeichnet. «Anders ist immer gut», sagt von der Goltz im Gespräch nach dem Konzert. «Auch die Nähe des Publikums war für uns besonders. Mitten im Getümmel zu sein und nicht distanziert auf einer Bühne zu stehen – das belebt unser Spiel.»

 

 

 

 

 

 

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