Stefan Escher wird neuer Geschäftsführer bei der Stiftung SJMW

Der Stiftungsrat des Schweizerischen Jugendmusikwettbewerbs (SJMW) hat an seiner Sitzung vom 29. Januar 2025 Herrn Stefan Escher aus Zürich zum neuen Geschäftsführer gewählt. Er folgt auf Valérie Probst.

Stefan Escher. Foto: Raphael Zubler – Photo Motion

Stefan Escher kommt aus einer Musikerfamilie und ist seit 15 Jahren als Künstleragent und Konzertveranstalter mit der Musikszene bestens vertraut. Von 2015-2019 leitete er die Konzertreihe Meisterinterpreten in der Tonhalle Zürich und seit 2020 war er als Künstleragent bei IMG Artists für internationale Instrumentalisten und Dirigenten zuständig. Er bringt zudem Erfahrung im Bankwesen mit und besitzt einen Master in Arts Management. Der Stiftungsrat freut sich, die Geschäftsleitung der Stiftung Stefan Escher zu übertragen und wünscht ihm viel Erfolg und Freude bei seiner neuen Aufgabe.

Stefan Escher folgt auf Valerie Probst. Sie wird den SJMW per Ende Februar 2025 als Geschäftsführerin verlassen und sich neuen Herausforderungen zuwenden. In ihrer 18-jährigen Tätigkeit als Geschäftsführerin hat Valérie Probst die Entwicklung des SJMW mit grossem Engagement massgeblich geprägt. Unter ihrer Führung wurden Förderprojekte umgesetzt, die den Preisträgerinnen und Preisträgern wertvolle Chancen eröffnet und nachhaltige Erfahrungen ermöglicht haben. Valérie Probst war dabei stets eine verlässliche und inspirierende Begleiterin für den musikalischen Nachwuchs.

Der Stiftungsrat bedauert den Fortgang sehr und dankt Valérie Probst für ihren langjährigen, äusserst wertvollen Einsatz zugunsten des musikalischen Nachwuchses in der Schweiz sowie für die konstruktive und erfolgreiche Zusammenarbeit bestens und wünscht ihr für ihre Zukunft alles Gute und viel Erfolg bei ihren neuen Vorhaben.

Der Stiftungsrat wird neu präsidiert von Andreas Wegelin, CEO der SUISA Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik in Zürich.

Ein chinesischer Doppelsieg

Die 5. Ausgabe der Basel Composition Competition (BCC) vom 30. Januar bis 2. Februar 2025 war erneut eine spannende Begegnung mit neuen Orchesterkompositionen. 255 Werke von Autoren und – wenigen – Autorinnen zwischen 15 und 91 Jahren wurden eingereicht.

Die Bestplatzierten Qianchen Lu (1. Preis), Ersing Wang (2. Preis) und Ramón Humet (3. Preis). Foto: Benno Hunziker/Basel Composition Competition

Dass kein Schweizer oder keine Schweizerin den ersten Preis von 60 000 Franken in einem der höchstdotierten Kompositionswettbewerbe der Welt gewinnen würde, stand schon vor der eigentlichen Austragung fest. Die zwölf Komponistinnen und Komponisten, deren Werke ausgewählt und in drei Konzerten im Paul-Sacher-Saal des Don Bosco Basel dem Publikum präsentiert wurden, stammten nämlich aus Deutschland, Spanien, Italien, Mexiko, der Slowakei, Griechenland und der Volksrepublik China. Die Jury, der die Aufgabe zufiel, die zwölf ihrer Meinung nach besten Werke aus der Riesenmenge an Einsendungen zu bestimmen, bestand aus Michael Jarrell, Augusta Read Thomas, Liza Lim, Andrea Lorenzo Scartazzini und aus Florian Besthorn, dem Direktor der Paul-Sacher-Stiftung. Christoph Müllers Artistic Management GmbH und sein Team veranstalten die BCC.

 Nach den drei Wettbewerbskonzerten wählte die Jury fünf Werke für das Abschlusskonzert aus, die nochmals gespielt und aus denen die prämierten Arbeiten ermittelt wurden. Angesichts der Tatsache, dass es unter den zeitgenössischen Komponistinnen Stars wie Unsuk Chin, Olga Neuwirth, Kaija Saariaho oder Anna Thorvaldsdottir gibt, deren Werke häufig aufgeführt werden, konnte man erstaunt sein, dass nur gerade ein Werk von einer Frau ausgewählt und aufgeführt wurde. Man begründete den mickrigen Frauenanteil mit den insgesamt wenigen von Komponistinnen eingereichten Arbeiten.

Nacht, Farben, Vögel

Am Schluss war es aber so, dass die überaus schüchterne 25-jährige Chinesin Qianchen Lu, derzeit noch Studentin von Shen-Ying Qian in Shanghai, nicht nur den erstmals vergebenen Publikumspreis in der Höhe von 5000 Franken, sondern auch den 1. Preis der Basel Composition Competition gewann. Ihre Nine Odes to The Night nach Gedichten von T. S. Eliot sollen nach den Worten der Komponistin Vagheit und Fluidität nächtlicher Eindrücke schildern und die Unschärfe und Verwandlung der Nacht erfassen, um schliesslich in der Ungewissheit zu verschwinden. Das dicht gewobene Klangband, vielleicht etwas zu lang geraten, fasziniert durch aparte Klangfarben und poetische Stimmungen.

Noch fantasievoller instrumentiert war The Gaze of Mnemosyne. Four Afterimages for Orchestra ihres chinesischen Landsmanns Erqing Wang, der an der Kunstuniversität in Graz bei Annesley Black studiert. Jede Orchestergruppe trägt in diesem Werk, das den 2. Preis erhielt und dem man mit grossem Vergnügen zuhörte, zu einem ausserordentlich farbigen Ganzen bei. Das Stück ist eine eigentliche Hommage an die Musik von Debussy und Ravel, die auch durch Zitate präsent, vielleicht überpräsent, ist.

Weniger überzeugen konnte Bird in Space des Spaniers Ramón Humet (3. Preis). Wie Messiaen ist der Komponist von Vogelstimmen fasziniert, in diesem Stück vom südamerikanischen Turpial. Humet stellt sich vor, dass ein kleiner Vogel in einer riesigen Kathedrale zu singen beginnt. Ein interessanter Gedanke, der aber das Stück nicht trägt und es langfädig wirken lässt.

Unter den nicht preisgekrönten Werken gab es einige, die originell und ansprechend oder zumindest interessant waren, so etwa das pointillistische Musikbild punctum contra punctum von Jona Kümper, der effektvolle Macabre Carnival von Aurés Moussong oder die gewaltige Klangeruption Flowered Fluidity von Carlos Satué, die nach komplizierten mathematischen Prinzipien konstruiert ist.

Leistungs- und vermittlungsstarkes Basler Musikleben

Das Kammerorchester Basel unter der Leitung von Tito Ceccherini, die Basel Sinfonietta unter Pablo Rus Broseta und das Sinfonieorchester Basel unter Roland Kluttig interpretierten die durchwegs schweren Werke engagiert und auf hohem technischem Niveau. Dass es in einer Stadt von der Grösse Basels drei Orchester gibt, die anspruchsvollste zeitgenössische Kompositionen spielen können, ist nicht selbstverständlich. Alle nominierten Werke wurden auf Video aufgenommen und später auf dem Youtube-Kanal der BCC veröffentlicht.

Zum Konzept der BCC gehört auch die Zusammenarbeit mit der Musikhochschule und den Gymnasien der Region. Studenten und Studentinnen der Hochschule erarbeiten in Workshops Werke von Jurymitgliedern und präsentieren sie in Vorkonzerten. Dieses Jahr konnte man durchwegs sehr gut gespielte Stücke von Liza Lim und Augusta Read Thomas hören. Axis Mundi für Solofagott (2012/13) von Liza Lim mit zuvor kaum gehörten Klängen dieses Instruments erlebte etwa eine massstabsetzende Aufführung durch Timm Kornelius. Verschiedene Komponistinnen und Komponisten besuchen in der Woche des Wettbewerbs je eine Schulklasse, die sich bereits zuvor ganz gezielt mit ihrem Werk und mit Neuer Musik im Allgemeinen auseinandergesetzt hat.

Ragna Schirmer und Immanuel Richter ab Herbst an der ZHdK

Die Zürcher Hochschule der Künste gibt zwei neue Professuren ab dem Herbstsemester 2025 bekannt: Ragna Schirmer für das Hauptfach Klavier und Immanuel Richter für das Hauptfach Trompete.

Ragna Schirmer (Foto: Heike Helbig) und Immanuel Richter (Foto: Pia Clodi)

Laut einer Mitteilung der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) umfasst die Diskografie der preisgekrönten Pianistin Ragna Schirmer «derzeit 18 CDs, 2 DVDs sowie 2 Vinyl-Einspielungen mit umfangreichem Repertoire von der Musik des Barock bis zu zeitgenössischen Werken. Ragna Schirmer konzertiert weltweit mit ihren eigenen historischen Tasteninstrumenten oder auf modernen Konzertflügeln. In ungewöhnlichen Projekten und für sie inszenierten Theaterproduktionen lässt sich zudem das dramaturgische Geschick der Pianistin erkennen, mit dem sie ihre Programme in geschichtliche Zusammenhänge einbettet.» Als Pädagogin setze sie Schwerpunkte auf «Körper- und Selbstwahrnehmung, Auftrittstraining und Lampenfieberbewältigung sowie das Ausarbeiten von Interpretationen mit Liebe zum Detail. Die Förderung der Individualität der Studierenden ist ihr dabei ein besonderes Anliegen.»

«Ich freue mich sehr, an meine ‹alma mater› als Dozent zurückzukehren und meine Erfahrungen an die nächsten Generationen weiterzugeben», sagt Immanuel Richter zu seiner neuen Stelle an der ZHdK. Seine Studien (Lehr, Orchester- und Konzertdiplom) hat er am damaligen Konservatorium Zürich bei Claude Rippas abgeschlossen. Der ebenfalls preisgekrönte Musiker hat laut der ZHdK-Mitteilung als Solotrompeter in verschiedenen Schweizer Orchestern und im Orchester der Mailänder Scala mit namhaften Dirigierpersönlichkeiten gearbeitet. «Als gefragter Solist und Kammermusiker ist er regelmässig auf europäischen Bühnen zu erleben. Er ist langjähriger Dozent für Trompete an der Hochschule Luzern – Musik.»

Umfrage zu Arbeitsbedingungen in der Musikvermittlung

Die Online-Befragung des Netzwerks Junge Ohren läuft bis am 5. März. Sie soll Aufschluss geben über die Arbeitsrealität von Personen, die im deutschsprachigen Raum in der Musikvermittlung aktiv sind.

KI generiertes Symbolbild (depositphotos.com)

Das Netzwerk Junge Ohren schreibt, die «Befragung soll Aufschluss über berufliche Kontexte und Tätigkeitsfelder geben, sie untersucht Anforderungen und Rahmenbedingungen von Musikvermittlung und erforscht die Auswirkungen des Berufsfeldes auf persönliche Entscheidungen und gesellschaftliche Potenziale.»

Die Daten werden online anonym erhoben.

Weitere Informationen und Link zum Fragebogen

Andri Hardmeier und Francesca Verunelli neu in Luzern

Andri Hardmeier übernimmt die Leitung des Instituts für Klassik und Kirchenmusik. Francesca Verunelli wird Dozentin für Theorie, Instrumentation und Komposition.

Francesca Verunelli (Foto: Rui Camilo) und Andri Hardmeier (Foto: Caroline Minjolle)

Wie die Hochschule Luzern – Musik schreibt, wird Francesca Verunelli das Institut für Neue Musik, Komposition und Theorie ab dem Frühlingssemester 2025 verstärken. Mit ihren vielseitigen Erfahrungen werde die international renommierte Komponistin die Hochschule Luzern – Musik bereichern.

Andri Hardmeier übernimmt die Leitung des Instituts für Klassik und Kirchenmusik am 1. März 2025. Neben vielen anderen beruflichen Stationen war er langjähriger Leiter der Abteilung Musik bei Pro Helvetia und bringe damit «hervorragende Kenntnisse des musikalischen Berufsfelds sowie der Förderlandschaft mit».

Link zur HSLU-Meldung Andri Hardmeier

Link zur HSLU-Meldung Francesca Verunelli

Ausgabe 01_02/2025 – Focus «Über Musik reden»

Foto: Holger Jacob

Inhaltsverzeichnis

Focus

Ich lade den Hörer in meinen Kopf ein
Francesco Biamonte im Interview über Musik und Sprache

Auf der Suche nach Wörtern für das Gefühlte
«The Listeners» reden nach Konzerten über die Musik

Pop, schwarz auf weiss
Für Hanspeter Künzler sei es ein gewisses «Je ne sais quoi», das ihn zur Berichterstattung animiere

Die Diskothek (im Zwei) – ein privater Hörklub für alle
Carte blanche von Moritz Weber

Chatten über … Podcasts
Susanne Stähr und Ulrike Thiele tauschen sich aus

(kursiv = Zusammenfassung in Deutsch des französischen Originalartikels)

Critiques

Neuerscheinungen Tonträger, Webseiten, Noten

Echo

Mit Bruckners Dritter nach Rom
Das neu gegründete Swiss National Orchestra gastierte auf seiner ersten Auslandsreise im Vatikan

Das Zukunftsorchester mit Vergangenheit
Die Junge Deutsche Philharmonie gilt als Vorreiterin der selbstverwalteten Orchester. In Basel brachte sie ein Werk von Daniel Schnyder erstmals zu Gehör.

Gespeicherte und entfesselte Zeit in der Dampfzentrale Bern
Das Ensemble Proton und das Nouvel Ensemble Contemporain wagen mit Enno Poppes Zyklus «Speicher 1 – 6» eine klangliche Gratwanderung

Penser d’abord à ce qui nous fait vibrer
La HEM de Genève et Neuchâtel fête ses quinze ans. Béatrice Zawodnik  fait le point avec nous et imagine l’avenir.

Ein Walliser in Amerika
Ludwig Bonvin, ein fast vergessener Schweizer Komponist und Musikforscher

Basis

Artikel und Nachrichten aus den Musikverbänden

Eidgenössischer Orchesterverband (EOV) / Société Fédérale des Orchestres (SFO)

Konferenz Musikhochschulen Schweiz (KMHS) / Conférence des Hautes Ecoles de Musique Suisse (CHEMS)

Kalaidos Musikhochschule / Kalaidos Haute École de Musique

Schweizer Musikrat (SMR) / Conseil Suisse de la Musique (CSM)

CHorama

Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) / Association suisse de Médecine de la Musique (SMM)

Schweizerische Musikforschende Gesellschaft (SMG) / Société Suisse de Musicologie (SSM)

Schweizerischer Musikerverband (SMV) / Union Suisse des Artistes Musiciens (USDAM)

Schweizerischer Musikpädagogischer Verband (SMPV) / Société Suisse de Pédagogie Musicale (SSPM)

SONART – Musikschaffende Schweiz

Stiftung Schweizerischer Jugendmusikwettbewerb (SJMW)

Arosa Kultur

SUISA – Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik

Verband Musikschulen Schweiz (VMS) / Association Suisse des Écoles de Musique (ASEM)

 

Dixit Sixtus
Rätsel von Chris Walton

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Das Zukunftsorchester mit Vergangenheit

Die Junge Deutsche Philharmonie gilt als Vorreiterin der selbstverwalteten Orchester. Als Gegenmodell gegründet, ist sie heute eher ein Sprungbrett in den etablierten Klassikbetrieb. Ihre Neujahrstournee begann sie im Basler Stadt-Casino.

 

Delyana Lazarova dirigierte mit Witz, Swing und Präzision. Bild: Fotoman

 

Die Junge Deutsche Philharmonie (JDPh), Beiname «das Zukunftsorchester», feierte im vergangenen Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. Eine kleine Gruppe aus dem Bundesjugendorchester gründete 1974 eine eigene Formation, da die jungen Leute keine Lust hatten, einem Berufsorchester beizutreten. Damals hatte der etablierte Klassikbetrieb bei vielen Studierenden einen schlechten Ruf. Basisdemokratisch und selbstverwaltet sollte das neue Orchester sein und sich klar vom verkrusteten Konzertleben absetzen. Ein «spätes Wetterleuchten der 68er-Bewegung» nannte dies Lothar Zagrosek, von 1995 bis 2014 Erster Dirigent und Berater der JDPh. Heute sei es «für Orchestermusiker ebenso wie für Dirigenten ein Sehnsuchtsziel, dort eingeladen zu sein». (JDPh-Magazin Taktgeber 55, S. 8)

Allen Unkenrufen zum Trotz hat sich das Mitbestimmungsmodell im klassischen Konzertbetrieb als alternative Organisationsform durchgesetzt. Ähnlich funktionierende Formationen wie das Ensemble Modern, die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, das Ensemble Resonanz, das Freiburger Barockorchester oder auch die Basel Sinfonietta sind seit Jahren höchst erfolgreich. Die Mitglieder der JDPh arbeiten in verschiedenen Ausschüssen an der Zukunft des Orchesters, den Programmen sowie an der Auswahl von Dirigentinnen und Solisten. In der Mitgliederversammlung werden die Vorschläge diskutiert und zur Abstimmung gebracht.

 

Angesiedelt zwischen Studium und Beruf

Die JDPh ist bei Studierenden deutschsprachiger Musikhochschulen als Ausbildungsorchester heute sehr begehrt, denn es wird auf höchstem künstlerischem Niveau und mit hochkarätigen Dirigenten und Solistinnen musiziert. Viele Profi-Orchester schätzen die Schulung an der JDPh und greifen gerne auf deren Absolventinnen und Absolventen zurück. Unter den vielen erfolgreichen ehemaligen Mitgliedern findet man Namen wie Thomas Hengelbrock, Jun Märkl, Stefan Dohr und Sabine Meyer. Die momentan 280 Mitglieder zwischen 18 und 28 Jahren aus 35 verschiedenen Hochschulen wurden einem strengen Auswahlverfahren unterworfen: 10 bis 15 Prozent der 500 Bewerberinnen und Bewerber, die jedes Jahr zum Probespiel kommen, werden, zunächst provisorisch, aufgenommen. Im Schnitt bleiben sie 4 Jahre.

Gegenwärtig sind 5 Mitglieder aus Schweizer Hochschulen dabei. Schwerpunkte in der Programmgestaltung bilden zum einen die sinfonische Literatur des 19., 20. und 21. Jahrhunderts. Diese gelangt in den Frühjahrs- und Herbsttourneen zur Aufführung. Zu Neujahr wird meist auf ein spritziges Programm mit mehreren kürzeren Werken gesetzt. Ein anderer Schwerpunkt ist die zeitgenössische Musik. Das «Freispiel», ein biennal durchgeführtes, experimentelles Festival, fand im vergangenen Sommer unter dem Titel «Shifting Futures» mit 13 Konzerten in Frankfurt letztmals statt.

 

Heute geht es um Jobs

Was ist geblieben von den damaligen idealistischen Zielen? Jürgen Normann, eines der Gründungsmitglieder, war mehr als vier Jahrzehnte Solo-Kontrabassist der NDR-Radiophilharmonie in Hannover. «Haben wir wirklich etwas bewirkt?», fragt er sich rückblickend. Da könne man geteilter Meinung sein, denn «die schlechten Traditionen von damals bestehen zum Teil noch immer». (ebd. S. 9) Doch die Welt dreht sich weiter und die beruflichen Realitäten verändern sich. Jonathan Nott, Erster Dirigent seit 2014, ordnet das Bestreben der Mitglieder ein: «Zwar schätzen sie nach wie vor die Selbstverwaltung und basisdemokratische Organisation, aber sie wollen auch Jobs, sie wollen in den Betrieb hinein, vielleicht gegenläufig zu dem, wofür ein Teil der Gründer gekämpft hatte.» (ebd. S. 22)

Die hohe Fluktuation und das Einbinden aller in die Verantwortung bleibt eine der grossen Stärken der JDPh. Die Medienverantwortliche Johanna Kehl sagt: «Die JDPh erfindet sich jedes Mal neu. Durch die Selbstbestimmtheit unserer Mitglieder, die aktiv die Gestaltung der Programme und der Konzertformate übernehmen und verantworten, entsteht eine besondere Energie und die Freiheit, innovative Ideen zu entwickeln und auszuprobieren.»

Das Saxofonquartett Kebyart in William Bolcoms Concerto Grosso. Bild: Fotoman

Diese besondere Energie war im Konzert «Celebrations» vom 9. Januar unmittelbar zu spüren. «Die Vorreiterin der selbstverwalteten Orchester» sorgte beim Publikum für Begeisterung und gute Stimmung. Delyana Lazarova dirigierte mit Witz, Swing und Präzision. Das Programm mit Copland, Gershwin, Bolcom, Bernstein und Daniel Schnyder zeichnete sich aus durch einen Stilpluralismus zwischen Klassik, Neuer Musik und Jazz. Trotz grosser Besetzung blieb der Streicherklang immer schlank und plastisch. Blech, Holz und Perkussion waren durchwegs prominent im Einsatz, etwa in William Bolcoms Concerto Grosso mit dem umwerfenden Saxofonquartett Kebyart. In Daniel Schnyders komplexem Konzert für Orchester (UA, Auftragswerk JDPh) erhalten normalerweise eher stiefmütterlich behandelte Instrumente wie Tuba, Bassposaune und Kontrafagott motivisch wichtige Soli zugeteilt.

Die Junge Deutsche Philharmonie hatte bei Daniel Schnyder ein Werk bestellt. Der Komponist bei der Uraufführung seines Konzerts für Orchester in Basel. Bild: Fotoman

Neue Streichquartettreihe in Bern

Das Berner Yehudi-Menuhin-Forum hat einen Musikzyklus unter dem Namen «Streichquartett Bern» lanciert. Erste Konzerte finden am 17. und 18. Januar mit dem Vogler-Quartett statt.

Vogler-Quartett Leipzig. Foto: Marco Borggreve

Das Streichquartett habe sich in den letzten 300 Jahren zur «Königsklasse» der Streichinstrumente etabliert, schreibt das Yehudi-Menuhin-Forum in seiner Mitteilung vom 12. Januar. Es sei heute eine in verschiedenen Musikstilen eine vielseitige Musikgattung für professionelle Musikerinnen und Musiker wie auch Amateure. Deshalb will das Forum einen Akzent in diesem Bereich setzen.

Den Anfang von «Streichquartett Bern» macht das Vogler-Quartett Leipzig am 17. und 18. Januar im Berner Yehudi-Menuhin-Forum. Es soll auch weitere Angebote für Mitwirkende und Zuhörende geben.

Weitere Informationen: menuhinforum.ch

Weniger Musikunterricht in St. Gallen

Das St. Galler Bildungsdepartement will ab dem nächsten Schuljahr die Lektionenzahl ab der 3. Primarklasse kürzen. Betroffen ist auch der Musikunterricht.

Bald leere Unterrichtsräume? Symbolbild: Paylessimages/depositphotos.com

Je nach Klasse sind unterschiedliche Fächer von den Kürzungen betroffen. Gemäss einer Nachricht des Online-Portals Sardona24.ch soll ab nächstem Schuljahr in der sechsten Primarschulklasse nur noch eine Musiklektion stattfinden. Bisher waren es zwei.

In anderen Klassen gibt es weniger Lektionen in Französisch, Englisch oder im Fach Natur, Mensch, Gesellschaft. Auf der Oberstufe fallen Lektionen in den Schwerpunkt- und Wahlfächern weg.

Mit diesen Kürzungen könne die grosse Beanspruchung der Klassenlehrkräfte vermindert werden. Deren Entlastung um eine Unterrichtslektion war im Sommer 2024 beschlossen worden.

Der Kantonale Lehrerinnen- und Lehrerverein St. Gallen kritisiert diesen Entscheid in seiner Mitteilung vom 8. Januar. Der Entscheid sei aus rein finanzpolitischen Überlegungen ohne vorgängige Vernehmlassung bei den Akteurinnen und Akteuren der Schule gefallen. Es sei ein heikler Sparentscheid, mit dem die St. Galler Regierung die Bildungsqualität im Kanton gefährde.

Der Schweizer Musikrat erarbeitet mit den involvierten Mitgliedsverbänden eine Strategie, wie sichergestellt werden kann, dass der gemäss Schweizer Verfassung (BV67a, Abs. 2) verlangte und im Lehrplan verankerte «hochwertige Musikunterricht» an den Schulen tatsächlich stattfindet und nicht aus Spar- oder anderen Gründen abgebaut wird. Dazu wird sich eine Steuerungsgruppe am 22. Januar konstituieren.

Gespeicherte und entfesselte Zeit in der Dampfzentrale Bern

Erwartungshaltungen fehl am Platz! Das Ensemble Proton und das Nouvel Ensemble Contemporain wagen mit Enno Poppes Zyklus «Speicher 1–6» eine klangliche Gratwanderung. Und reüssieren.

Das Ensemble Proton und das Nouvel Ensemble Contemporain proben am 11. Dezember in Bern unter der Leitung von Gregor A. Mayrhofer. Foto: Pablo Fernandez

 

Was wohl mit Speicher genau gemeint ist? Eine Festplatte? Ein altes bäuerliches Gebäude? Oder vielleicht das menschliche Gehirn? Fragen dieser Art begleiteten einen an diesem Winterabend in das Kesselhaus der Dampfzentrale, wo sogleich die nächste Besonderheit wartete – 22 Instrumente standen auf der Bühne bereit, Harfe und zwei grosse Schlagwerke inklusive. Noch gespannter wartete man also auf die ersten Klänge und wurde erneut überrascht von einer Solo-Bratsche, die mit endlosen Glissandi schier minutenlang nach festen Tonhöhen suchte.

In diesem Werk für grosses Kammerorchester, zwischen 2008 und 2013 komponiert, bildet jeder der sechs Speicher eine eigenständige Klanglandschaft, die sich durch ihre spezifische Atmosphäre und musikalische Sprache auszeichnet. Poppe entwickelt darin eine Welt der Kontraste: von sanften, lyrischen Passagen, die an eine stille Meditation erinnern, bis hin zu kraftvollen und rhythmischen Ausbrüchen, die das Publikum aufrütteln. Die Musik ist dabei nicht immer leicht verständlich, und auch in emotionaler Hinsicht führt sie oft auf neue Pfade. Im Konzert spürte man unvermittelt, wie die Klänge die Stimmung im Saal veränderten; mal hin zu konzentrierter Aufmerksamkeit, oftmals auch zu ausgelassener Heiterkeit.

Wie die Zeit vergeht

Ein zentraler Aspekt in Speicher 1–6 ist das Spiel mit Raum und Zeit. Poppe dehnt und staucht den musikalischen Zeitfluss. Dadurch entsteht ein Gefühl von ständiger Bewegung und Veränderung, das den Hörer unweigerlich in seinen Bann zieht. Die einzelnen Speicher können als unterschiedliche Räume aufgefasst werden, die jeweils eine eigene Perspektive auf das Vergehen der Zeit haben. Manchmal scheint diese stillzustehen, während die Klänge sich endlos ausdehnen, dann wiederum beschleunigt sich das Geschehen zu einem fulminanten Ritt ins Ungewisse. Die Kombination traditioneller Orchesterinstrumente mit vereinzelten elektronischen Elementen erzeugt dabei eine einzigartige Klangkulisse, die gleichzeitig vertraut und fremdartig wirkt. Poppe schafft es, eine Brücke zu verschiedenen musikalischen Epochen zu schlagen und zugleich eine völlig neue musikalische Sprache zu entwickeln.

Sein Zyklus ist ein herausforderndes Stück, das ein hohes Mass an technischem Können und interpretatorischer Präzision erfordert. Und es verlangt von den Musikerinnen und Musikern neben Virtuosität auch ein ausgeprägtes Verständnis für die komplexen Strukturen und Feinheiten der Komposition. Die beiden Ensembles erfüllten diese Anforderungen an diesem Abend vollauf. Unter der Leitung des deutschen Dirigenten Gregor A. Mayrhofer, der mit beeindruckender Autorität und Übersicht agierte, gelang den Aufführenden eine Darbietung, die sowohl die strukturelle Raffinesse als auch die klangliche Vielfalt des Werks hervorhob. Gemeinsam sorgten sie dafür, dass die dichten, bisweilen spröden Texturen nie überforderten, sondern stets präzise und transparent blieben.

Wie Ordnung und Chaos zusammenhängen

Speicher 1–6 entwickelte sich so während rund 70 Minuten zu einem Dialog zwischen den Musikern, dem Publikum und in gewisser Weise auch dem Komponisten. Poppe fordert mit diesem Zyklus dazu auf, aktiv mitzuhören und sich ganz auf die Musik einzulassen. Dabei ist es ihm ein Anliegen, keine interpretatorischen Hinweise vorauszuschicken, keine begrifflichen Hinweise sollen das Erlebnis vorprägen. Was sich dabei ergeben kann, ist ebenso überraschend wie individuell. Oftmals scheinen diverse Synthesizer gleichzeitig aufzuheulen oder klagend zugrunde zu gehen, manchmal klingen die Streicher wie verstreute Datenträger in den letzten Momenten vor ihrer Desintegration; und immer wieder wirken die Klänge wie eine subtile Darstellung der Wechselwirkung von Ordnung und Chaos.

Das Kesselhaus der Dampfzentrale, ganz in schwarz gehüllt, erwies sich einmal mehr als passender Austragungsort. Die Akustik war angemessen trocken, die Beleuchtung manchmal vielleicht ein bisschen zu kontrastreich. Nichtsdestotrotz schien auch die Örtlichkeit diese Aufführung umstandslos in ihren mittlerweile reichen Speicher für zeitgenössisches Kunstschaffen aufzunehmen.

 

Die Aufführungen fanden am 17. und am 20. Dezember 2024 in Bern respektive in La Chaux-de-Fonds statt. Konzertausschnitte werden zu einem späteren Zeitpunkt auf Youtube veröffentlicht.

Eingesandte Bücher

Die Musikbücher in den untenstehenden Listen sind auf der Redaktion eingegangen oder uns als Neuerscheinungen angezeigt worden.

Grafik: VisualGeneration/depositphotos.com

Eingegangene Musikbücher Juli–Dezember 2024

  • Anton Voigt: Alfred Cortot. Tastenpoet – Lehrer – Kulturakteur, Solo Porträts und Profile, 285 S., € 28.00, Edition Text+Kritik, München 2024, ISBN 978-3-96707-708-7
  • Köchel-Verzeichnis, Thematisches Verzeichnis der musikalischen Werke von Wolfgang Amadé Mozart, Neuausgabe 2024, bearbeitet von Neal Zaslaw, vorgelegt von Ulrich Leisinger unter Mitwirkung von Miriam Pfadt und Ioana Geanta, BV 300, CXXV + 1263 S., € 499.00, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2024
    >>> Rezension von Dominik Sackmann
  • Corinne Holtz: Welt im Werk. Klaus Huber (1924–2017), Biografie, 309 S., Fr. 54.00, Schwabe, Basel 2024, ISBN  978-3-7965-5148-2
  • Hanspeter Spörri: Steff Signer. Die musikalische Biografie, Ein Stück Schweizer Rock-, Pop- und Highmatt-Geschichte, 400 S., Appenzeller Verlag, Schwellbrunn 2024, ISBN 978-3-85882-888-0
    >>> Rezension von Hanspeter Künzler
  • Ernst Kurth / Guido Adler: Briefwechsel 1908-1936, hg. von Luitgard Schader, 205 S., € 22.80, Königshausen & Neumann, Würzburg 2024, ISBN 978-3-8260-7969-6
  • Barbara Busch und Barbara Metzger: 44 Warm-ups für den Instrumentalunterricht, (=üben & musizieren Praxis), 80 S., € 24.50, Schott, Mainz 2024, ISBN 978-3-7957-3172-4
  • Joachim Kühn und Michael Brüning: Der Kühnfaktor. Frei + unabhängig: no Limits im Jazz, 320 S., € 24.95, Alfred Music, Köln 2024, ISBN 978-3-947998-59-3
  • Briefwechsel Arnold Schönberg – Heinrich Jalowetz, hg. von Simon Obert, (=Veröffentlichungen der Paul-Sacher-Stiftung, Band 13; Briefwechsel der Wiener Schule, Band 7), 408 S., Schott, Mainz 2024, ISBN 978-3-7957-3341-4
  • Howard Griffiths: Barboza und der klingende Baum — eine musikalische Reise durch die Schweiz, Musik Fabian Künzli, gespielt vom Mozarteumorchester Salzburg; Erzähler Fernando Tiberini Illustrationen Andrea Peter, 52 S., Audio-Download, Fr. 29.80, GH 11817, Hug Musikverlage, Zürich 2024, ISBN 978-3-03807-145-7
  • Autoritätsbildung in der Musik, hg. von Bernd Brabec, Marc-Antoine Camp, Dorit Klebe, 280 S., Fr. 38.00, Chronos, Zürich 2024, ISBN 978-3-0340-1734-3
  • Marko Simsa: Walzerschritt und Polkahit. Johann Strauss für Kinder, Bilderbuch mit Musik (CD oder Download), Illustrationen Silke Brix, 32 S., € 24.00, Jumbo, Hamburg, ISBN 978-3-8337-4800-4
  • Peter Benary. Komponist, Musikwissenschafter, Publizist und Dozent, hg. von Niccolò Raselli und Hans Niklas Kuhn, ca. 229 Seiten, ca. Fr. 46.00, Schwabe, Basel 2024, ISBN 978-3-7965-5109-3
    >> Rezension von Torsten Möller
  • Bernhard Suter: Gestaltungsprozesse im Musikunterricht anleiten. Eine Design-based-Research-Studie zur reflexionsgestützten Kompetenzentwicklung von berufseinsteigenden Primarlehrkräften, 334 S., Potsdamer Schriftenreihe zur Musikpädagogik, Bd. 10, Universitätsverlag Potsdam, 2024, ISBN 978-3-86956-567-5, open access
  • Luigi Nono. Zur Frage der Wende, Musik-Konzepte Nr. 206, hg. von Ulrich Tadday, 121S., € 28.00, Edition Text+Kritik, München 2024, ISBN 978-3-96707-966-1
  • Friedrich Chrysander. Musikwissenschaftler der ersten Stunde, hg. von Ivana Rentsch, Hamburg Yearbook of Musicology Band 4, 266 S., € 39.90, Waxmann, Münster 2024, ISBN 978-3-8309-4884-1
  • Wolfgang W. Müller: Musik der Engel. Eine Kulturgeschichte, 264 S., ca. Fr. 28.00, Schwabe, Basel 2024, ISBN 978-3-7965-5128-4
  • Joseph Joachim. Identities / Identitäten, (= Studien und Materialien zur Musikwissenschaft, Bd. 128), hg. von Katharina Uhde und Michael Uhde, 477 S., € 58.00, Georg Olms, Baden-Baden, ISBN 978-3-487-16425-0
  • Michel Roth: Aufs Spiel gesetzt. Eine spieltheoretische Untersuchung indeterminierter Musik, 524 S., Wolke, Hofheim 2024, ISBN 978-3-95593-152-0, open access
  • Julius Otto Grimm – ein Komponist und Dirigent des Brahms-Kreises, hg. von Anna Maria Plischka und Peter Schmitz, 704 S., € 69.90, Waxmann, Münster 2024, ISBN 978-3-8309-4759-2
  • Tania Salvador,aka La Rata: Give it to me! Im Graphic Novel-Stil illustrierter Essay, Gegengeschichte der populären Musik, die Künstlerinnen in den Mittelpunkt rückt, Übersetzung Petra Sparrer, 256 S., € 36.00, Laurence-King-Verlag, Berlin 2024, ISBN 978-3-96244-435-8
  • Daniel Martin Feige: Philosophie der Musik. Musikästhetik im Ausgang von Adorno, 216 S., € 24.00, Edition Text+Kritik, München 2024, ISBN 978-3-689-30028-9
    >>> Rezension von Lukas Nussbaumer
  • Music, Performance, Architecture. Sacred Spaces as Sound Spaces in the Early Modern Period, hg. von Tobias C. Weissmann und Klaus Pietschmann, 312 S., € 69.00, Georg Olms, Baden-Baden 2024, ISBN 978-3-487-16724-4
  • Meinolf Brüser: «Es ist alles Windhauch», Bach und das Geheimnis der «Kunst der Fuge», 177 S., € 39.99, Bärenreiter/J.B Metzler, Kassel/Stuttgart 2024, ISBN 978-3-7618-2654-6
  • Radio Cologne Sound. Das Studio für Elektronische Musik des WDR, hg. von Harry Vogt und Martina Seeber, 287 S., Deutsch/Englisch, ill., mit 5 CDs, € 39.00, Wolke, Hofheim 2024, ISBN 978-3-95593-259-6
    >>> Rezension von Thomas Meyer
  • Luiz Alves da Silva: Zwischen Zürich und Rio de Janeiro, Hausmusik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, aus dem Portugiesischen von Daniel Schnurrenberger,(=Schweizer Beiträge zur Musikforschung, Band 28),  326 S., € 49.95, Bärenreiter, Kassel 2024, ISBN 978-3-7618-2616-4
  • Gemeinsam neu starten. Perspektiven für Musikvereine nach der Pandemie!?, hg. von Verena Bons, Johanna Borchert, Thade Buchborn, Wolfgang Lessing, (Schriften der Hochschule für Musik Freiburg), 160 S., € 44.00, Georg Olms, Baden-Baden, ISBN 978-3-487-17048-0
  • Nicole Johänntgen und Raffaella Ligi: Schmusebärs klangvolle Reise mit dem fliegenden Stuhl, 28 S., nicolejohaenntgen.com/

 

Eingegangene Musikbücher Januar–Juni 2024

  • Jannis Mallouchos: Adolf Reichel (1816-1896). Politische, kulturhistorische, musiktheoretische und kompositorische Aspekte eines Musikerlebens, (=Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft, Band 56), 650 S., Hollitzer, Wien 2023, ISBN 978-3-99094-084-6
    >>> Rezension von Max Sommerhalder
  • Studies in the Arts II, Künste, Design und Wissenschaft im Austausch, hg. von Thomas Gartmann, Cristina Urchueguia, Hannah Ambühl-Baur, 313 S., Transcript, Bielefeld 2024, ISBN 978-3-8376-6954-1, Open Access: transcript-verlag.de/media/pdf
  • Revue musicale de Suisse romande, Numéro spécial 75 ans, La musique à Genève au XVe siècle, Décembre 2023, avec CD: La contenance angloise. La chapelle des Ducs de Savoie, dir. Vincent Arlettaz, Revue musicale de Suisse romande RMSR 20232
  • Robert Craft et Igor Strawvinsy: Conversations avec Igor Stravinsky, 192 p., € 16.00, Editions Allia, Paris 2024, ISBN 979-10-304-1836-1
  • Mathias Gredig: Grandhotels, Risotto und Bomben, Geschichte der futuristischen Geräuschkunst, Fröhliche Wissenschaft 232, 173 S., € 15.00, Matthes & Seitz, Berlin 2024, ISBN 978-3-7518-3012-6
    >>> Rezension von Thomas Meyer
  • Rien de Reede: The School of Blavet, Flutist in Paris in the Second Half oft he Eighteenth Century, 144 p., Linos Edition, Amsterdam 2022, ISBN 978-90-9036371-4
  • Walter Fähndrich: Warum improvisieren wir?, 80 S., € 18.00, Wolke, Hofheim 2024, ISBN 978-3-95593-270-1
  • Text as Source and Material in Contemporary Music Theatre, ed. by Christa Brüstle, (=Studien zur Wertungsforschung 65), 304 p., € 33.50, Universal Edition, Wien 2023, ISBN 978-37024-7793-6
  • Peter Petersen: Arnold Schönbergs Streichquartett op. 7, Drei Wege zum Verständnis des Werks, 211 S., zahlr. Musikbeispiele, Georg Olms, Baden-Baden 2024 ISBN 978-3-487-16700-8
  • Kreative Missverständnisse oder universale Musikprinzipien? Hugo Riemann und der internationale Wissenstransfer, hg. von Stefan Keym in Verbindung mit Christoph Hust, (Studien und Materialien zur Musikwissenschaft, Bd. 131), 377 S., geb., € 99.00, Georg Olms, Baden-Baden 2024, ISBN 978-3-487-16680-3
  • Salonorchester in den Alpen, hg. von Mathias Gredig, Matthias Schmidt, Cordula Seger, 232 S., Fr. 38.00, Chronos, Zürich 2024, ISBN 978-3-0340-1733-6
    >>> Rezension von Lukas Nussbaumer
  • Stefan Braese: Cool. Jazz als Gegenkultur im westlichen Nachkriegsdeutschland. 442 S., € 42.00, Edition Text + Kritik, München 2024, ISBN 978-3-96707-915-9
  • Lothar Freiburg: Wunder der Musik. Von der Musik Europas aus 2000 Jahren, 354 S., € 44.80, Wissner, Augsburg 2024, ISBN 978-3-95786-3287-7
  • Ingo Bredenbach: Johann Sebastian Bachs Clavierunterricht. Bach als Lernender und Lehrender, 519 S., € 59.00, Bärenreiter, Kassel 2024, ISBN 978- 3-7618- 2617-1
  • Handbuch der Oper. 16. aktualisierte und erweiterte Auflage, hg. von Rudolf Kloiber, Wulf Konold und Robert Maschka 1021 S., € 49.99, Bärenreiter/J.B. Metzler, Kassel/Heidelberg 2024, ISBN 978-3-7618-2644-7
  • Wolfgang Jansen: Musical – das Musiktheater der Gegenwart, (= Gesammelte Schriften zum Populären Musiktheater, Band 3), 286 S., € 39.90, Waxmann, Münster 2024, ISBN 978-3-8309-4757-8
  • Jutta Toelle: Mission durch Musik, Stimmen zu Musik und Klängen in der europäischen Missionierung Hispanoamerikas, Musik und Migration, Band 4,  172  Seiten,  € 34.90, Waxmann, Münster 204, ISBN 978-3-8309-4728-8
  • Komponisten im Gulag der Stalinzeit, hg. von Inna Klause, AndreasWaczkat, Stefan Weiss, 468 S., € 89.00, Georg Olms, Baden-Baden 2024, ISBN 978-3-487-16694-0
  • Lied und populäre Kultur / Song and Popular Culture, Weltmusik und ihre Kritik: Postkoloniale Zugänge zu globaler Musik, (= Jahrbuch des Zentrums für Populäre Kultur und Musik, 68. Jahrgang – 2023), hg. von Maria Fuchs, Johannes Müske, Knut Holtsträter, 258 S., € 39.90, Waxmann, Münster 2024, ISBN 978-3-8309-4889-6
  • Musik in den monotheistischen Religionen, Reflexionen zur ästhetischen Funktion sakraler Musik, hg. von Wolfgang Müller, Franc Wagner (=TeNOR. Text und Normativität 11), 240 S., Fr. 48.00, Schwabe, Basel 2024, ISBN 978-3-7965-5045-4

 

Eingegangene Musikbücher Juli–Dezember 2023

  • Sigfried Schibli: Erlebnis Orgel. Die schönsten Instrumente in und um Basel, 160 S., Fr. 44.80, Reinhardt, Basel 2023, ISBN 978-3-7245-2660-5
  • Alte Musik heute, Geschichte und Perspektiven der Historischen Aufführungspraxis, hg. von Richard Lorber, 414 S., € 39.99, Bärenreiter/Metzler, Kassel/Stuttgart 2023, ISBN 978-3-7618-2520-4
  • Le plus beau pays du monde ? Othmar Schoecks Umfeld in der Innerschweiz, Begleitbuch zum Othmar Schoeck Festival 202, hg. von Alvaro Schoeck und Chris Walton, 180 S., Fr. 20.00, Müsigricht, Steinen 2023, ISBN 978-3-9525658-2-7
    >>> Rezension von Daniel Willi
  • Corina Nastoll: Üben geht klar! Effizient und mit Freude üben, (= übern & musizieren spezial), 44 S., € 18.50, Schott, Mainz, ISBN 978-3-7957-3094-9
    >>> Rezension von Torsten Möller
  • «Du bist mir Kunst». Der Briefwechsel Alma Mahler – Walter Gropius 1910 bis 1914, hg. von Annemarie Jaeggi und Jörg Rothkamm, 784 S., € 49.00, Residenz, Wien 2023, ISBN 9783701735945
  • Ethel Smyth: Paukenschläge aus dem Paradies. Erinnerungen, aus dem Englischen von Heddi Feilhauer, 256 S., € 24.00, ebersbach & simon, Köln 2023, ISBN 978-3-86915-286-8
  • Rainer Schmusch: Hörsinn und «Ton». Ästhetische Anthropologie der Musik, nach Herder und Händel, (= Myosotis Bd. 8),  452 S., € 62.00, Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2023, ISBN 978-3-8253-4867-0
  • Musik und Migration. Ein Theorie- und Methodenhandbuch, hg. von Wolfgang Gratzer, Nils Grosch, Ulrike Präger, Susanne Scheiblhofer, (= Musik und Migration, Band 3), 746 S., br., € 69.90, Waxmann, Münster 2023, ISBN 978-3-8309-4630-4, Open Access, doi.org/10.31244/9783830996309
    >>> Rezension von Torsten Möller
  • Silke Kruse-Weber: Reflect! Ein Beobachtungs- und Reflexionstool für Instrumental- und Gesangslehrende, (= Grazer Schriften zur Instrumental- und Gesangspädagogik, Band 4), 88 Seiten, br., mit Kartenspiel, €34,90, Waxmann, Münster 2023,  ISBN 978-3-8309-4658-8
  • Silja Reidemeister: Zwischen zeitgenössischem Gestalten und historischem Interesse – der Komponist Rudolf Moser. Eine Spurensuche in Originaldokumenten, 227 S., Fr. 38.00, Schwabe, Basel 2023, ISBN 978-3-7965-4849-9
  • Markus Cslovjecsek: Schulmusik für alle? Zur Legitimation des Unterrichtsfachs Musik, 313 S., € 48.00, Transcript, Bielefeld 2023, ISBN 978-3-8376-6884-1, Open Access: transcript-verlag.de/shopMedia/openaccess/pdf/oa9783839468845.pdf
  • Eike Fess: Arnold Schönberg und die Komposition mit zwölf Tönen, 224 S., € 27.00, Edition Text+Kritik, München 2023, ISBN 978-3-96707-862-6
  • Milena Amann-Rauter: «Avec mon arme, la musique». Politisches Engagement exilierter Musikerinnen und Musiker im Kontext des Front Populaire, 504 S., € 48.00, Edition Text + Kritik, München 2023, ISBN 978-3-96707-887-9
  • Julia Wilke: Musik und Bewegung in pädagogischer Einzelarbeit. Videobasierte Analysen zu musik- und bewegungsbezogenen Koordinationsprozessen, 2023, (= Internationale Hochschulschriften, Band 707), 228 S. € 39.90 €,  Waxmann, Münster 2023, ISBN 978-3-8309-4720-2
  • Robert Gervasi: Ein Grenzlandschicksal, Leben und Werk des elsässischen Komponisten Leo Justinus Kauffmann (1901–1944), 588 S., € 119.00, Tectum, Baden-Baden 2023, ISBN 978-3-8288-4916-7
  • Nicole Jost-Rösch: Alban Berg – erzählender Komponist, komponierender Erzähler, 540 S., € 49.00, Edition Text + Kritik, München 2023, ISBN 978-3-96707-834-3
  • Werner Reinhart, Mäzen der Moderne, Musik-Konzepte, Sonderband XI/2023, hg. von Ulrich Tadday, 228 S., € 42.00, Edition Text+Kritik, München 2023, ISBN 978-3-96707-843-5
  • Dominik Susteck: Knochenpfeifen und Krachlatte. Hand-Joachim Hespos und die Orgelmusik ab 1962, Schriften zur Neuen Musik Bd. 3, 230 S., Are, Köln 2023, ISBN 978-3-3924522-90-2
  • Tobias Heyl: 75 Jahre G. Henle Verlag, 208 S.,€ 28.00, Hanser, München, ISBN 978-3-446-7847-9
  • Ute Elena Hamm: «Musik zum Lesen», Musikalisch-literarische Hybride, Werke von Erik Satie, John Cage, Dieter Schnebel und Ingeborg Bachmann, 649 S., geb., € 129.00, Rombach, Baden-Baden 2023, ISBN 978-3-96821-993-6

 

Eingegangene Musikbücher Januar–Juni 2023

  • Klaus Steffes-Holländer: Nicht nur an Tasten. Neue Spieltechniken für Klavier, 136 S., € 49.90, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2022, ISBN 978-3-7651-0486-2
  • Ulrich Menke: Das Methoden-Navi. Routenplaner zu einem erfolgreichen Instrumental- und Ensembleunterricht, üben & musizieren, 192 S., € 22.95 Schott, Mainz, ISBN 978-3-7957-3092-5
    >>> Rezension von Walter Amadeus Ammann
  • Tobias Bleek: Im Taumel der Zwanziger. 1923: Musik in einem Jahr der Extreme, 316 S., € 29.99, Bärenreiter/Metzler, Kassel/Berlin 2023, ISBN 978-3-7618-7245-1
  • Gaël Liardon (1973-2018): Anthologie d’un passionné, Orgelwerke, Generalbass, Chansons, Bibliothèque cantonale et universitaire, Lausanne 2023, ISBN 978-2-88888.152-0
  • Goldberg! Variationen zu Bach, hg. von Violeta Dinescu und Michael Heinemann, (= Bach nach Bach, Vol. 4), 384 S., € 69.80, Dohr, Köln 2022, ISBN 978-3-86846-171-8
  • Roberto Reale: Elemente der Klage in George Enescus Oper Œdipe, Archiv für osteuropäische Musik, 7, BIS-Verlag, Oldenburg 2022, ISBN 978-3-8142-2404-6
  • Myriam Marbe, hg. von Violeta Dinescu, Michael Heinemann, Roberto Reale, Archiv für osteuropäische Musik, 6, BIS-Verlag, Oldenburg 2022, ISBN 978-3-8142-2393-3
  • Reto Weber: Drummin’. Am Anfang war die Trommel – Erinnerungen, 280 S., Fr. 49.00, editione clandestin, Biel/Bienne 2023, ISBN 978-3-907262-41-2
  • Politics of Curatorship – Collective and Affective Interventions, edited by Monia Acciari & Philipp Rhensius, 288 p., € 34.00, Norient Books, Bern 2023, ISBN 978-3-9525444-4-0
  • Musik und Bewegung mit älteren Menschen. Einblick in die Rhythmikgeragogik, hg. von Monika Mayr, 220 S.,€ 24.95, Reichert, Wiesbaden, ISBN 9783752007145

 

 

Meinrad Schütter: Zu Unrecht vernachlässigt

Ute Stoecklins Schütter-Biografie ist 2010 erschienen. In England ist jetzt eine überarbeitete Version auf Englisch herausgekommen. Dies nehmen wir zum Anlass, Torsten Möllers Rezension vom März 2011 hier öffentlich zugänglich zu machen.

Foto: Meinrad-Schütter-Gesellschaft

«Was für ein Werk!! Und wer weiss etwas davon? Ich denke, das ist schon etwas ganz Besonderes. Und wie unterscheidet sich das gegenüber der Geschäftigkeit, die heute herrscht.» Robert Suter hat im Brief an seinen Kollegen und Zeitgenossen Meinrad Schütter (1910–2006) in wenigen Worten Wesentliches erfasst: Zum einen die Begeisterung über das ebenso reichhaltige wie absonderliche Schaffen eines Komponisten, der viele Klavierlieder schuf, zahlreiche opulente Orchesterwerke, eine grosse Oper namens Medea und sich in Form einer Grossen Messe sogar der im 20. Jahrhundert prekär gewordenen Kirchenmusik zuwandte. Zum anderen kommt in Suters Worten der Aussenseiter Schütter zur Sprache. Seitdem Carl Vogler in kaum erträglicher Arroganz dem jungen Komponisten die Aufnahme in den Tonkünstlerverein verweigerte, hat Schütter im Schweizer Musikleben nie richtig Fuss fassen können. Lag es an seinem eigenartigen Temperament, an der latenten Sperrigkeit seiner Werke oder an konservativen Gralshütern wie dem Herrn Präsidenten Vogler?

Das von Ute Stoecklin, der langjährigen Wegbegleiterin Meinrad Schütters, verfasste Buch gibt Antworten. Reich an biografischen Fakten, ausgestattet mit zahlreichen Originaldokumenten und Fotografien, nicht zuletzt mit vielen Werkbetrachtungen und einem beeindruckenden Werkverzeichnis gelingt es, Schütter von verschiedenen Seiten zu porträtieren. Vielleicht hatte der Platz, den Stoecklin vielen Zeitzeugen inklusive auf Dauer redundanter Lobeshymnen einräumte, besser genutzt werden können für differenzierte Werkanalysen, vielleicht hätte ein Autor mit nüchterner und distanzierter Aussenperspektive dem Buch gut getan – Stoecklins Verdienst bleibt von solcherlei Kritik unangetastet: Mit ihrer 230-seitigen, gründlich lektorierten Biografie ist die Basis geschaffen für eine tiefer gehende Beschäftigung mit einem Komponisten, der – eine beigefügte CD vorwiegend mit Kammermusik stellt es musikimmanent unter Beweis – zu Unrecht zu einem Vernachlässigten wurde.

Ute Stoecklin: Meinrad Schütter 1910–2006, Lebenswerk Musik oder «Die Kunst, sich nicht stören zu lassen», 230 S., mit CD, Fr. 44.50, Müller & Schade, Bern 2010, ISBN 3-905760-06-4

Englische Neuausgabe

Meinrad Schütter – Maverick Swiss Composer, by Ute Stoecklin, translation by Chris Walton. 188 pages, 23.3 x 15.5 cm, 16 colour and 33 b/w illustrations, hardcover, ISBN: 978-0-907689-70-6

Das neue Werkverzeichnis in der überarbeiteten Ausgabe stammt von Chris Walton.

 

«Kultur und Digitalisierung» – die Ergebnisse

Auf Anregung des Schweizer Musikrates gab die Stiftung TA-SWISS drei Teilstudien zum Thema «Kultur und Digitalisierung» in Auftrag. Die Resultate haben zum Teil überrascht.

Wahrgenommene Veränderungen in der Folge der Digitalisierung, Organisationen (Anteile in Prozent). Fallzahl je nach Frage zwischen 201 und 224. Grafik: Stiftung TA-SWISS

Veränderungen im Kultursektor durch die Digitalisierung beschäftigten den Schweizer Musikrat schon seit längerem. Die Pandemie führte jedoch drastisch vor Augen, wie schnell ganze Wirtschaftszweige bedroht sein können – und wie rasch zumindest in Teilbereichen durch die Digitalisierung Ersatz geschaffen werden kann. Die Frage nach den Chancen und Risiken, welche die digitalen Entwicklungen bieten, wurden mit einem Schlag sehr aktuell.

Vor diesem Hintergrund schrieb die Stiftung TA-SWISS, die im Auftrag des Bundes Chancen und Risiken von neuen Technologien untersucht, im Dezember 2021 eine Studie zum Thema «Kultur und Digitalisierung» aus. Der erste Abschnitt aus dieser Ausschreibung umreisst die Thematik: «Mit der interdisziplinären Studie sollen die Chancen und Risiken der Auswirkungen der Digitalisierung auf die Kultur und auf unsere gesellschaftliche Entwicklung abgeschätzt werden. Sie will versuchen, technische, rechtliche, gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche, ökologische und ethische Fragen zu beantworten. Wegen dieser Vielfältigkeit kann sie auch aus mehreren Teilprojekten bestehen.»

Drei Teilstudien – Digitalisierung in der Musik als wichtiges Thema

Den Zuschlag erhielten die Hochschule Luzern HSLU, der Schweizer Musikrat SMR sowie das Dezentrum Zürich. Während sich die HSLU mit den sozialen, wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Auswirkungen der Digitalisierung auf verschiedene Kulturbereiche beschäftigte, fokussierten die beiden anderen Studien auf die Kunst (Dezentrum) und die Musik (Schweizer Musikrat SMR). Die Studien sind sowohl in Buchform als auch online verfügbar.[1] Gerade für die Fachverbände dürften die Studien wertvoll sein, geben sie doch Hinweise darauf, inwiefern die Digitalisierung in der Verbandstätigkeit ein Thema sein sollte.

Im Zentrum der SMR-Studie zum Musikbereich standen die folgenden Fragen:

– Wie schätzen die Betroffenen die Digitalisierung allgemein ein: Überwiegt die Wahrnehmung von Risiken oder werden eher die Chancen hervorgehoben?

– Welche digitalen Technologien werden genutzt und wie werden sie beurteilt?

– Welche Wirkungen hat die Digitalisierung auf verschiedene Aspekte des Musikschaffens? Wie sieht es beispielsweise mit der Organisation und Durchführung von Konzerten, der Aufnahme und Vermarktung von Musik oder den Erwerbsmöglichkeiten aus?

– Welche zukünftigen Entwicklungen werden erwartet? Hier wird beispielsweise nach der Entwicklung von Live-Auftritten, Musikunterricht oder der Vielfalt des Musikschaffens gefragt.

– Sehen die Betroffenen politischen Handlungsbedarf – und falls ja: welchen?

Um diese Fragen zu beantworten, wurden mittels einer Online-Befragung sowohl die Einschätzungen von Organisationen, welche im Schweizer Musiksektor tätig sind, als auch von Musikschaffenden (professionelle und Amateurmusiker:innen, Lehrpersonen, Mitarbeitende von Organisationen, welche im Musikbereich aktiv sind) erfasst.

Optimismus und Zuversicht überwiegen

Die Befragungen erbrachten stellenweise überraschende Befunde. Dass nur etwas über 6 Prozent der Musikschaffenden und weniger als 2 Prozent der Organisationen des Musikbereichs in der Digitalisierung überwiegend Risiken sehen, konnte vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der Pandemie nicht erwartet werden. Insgesamt erweisen sich die Organisationen der Digitalisierung gegenüber als noch etwas optimistischer als die Musikschaffenden, unter denen die Amateur:innen noch etwas häufiger die Chancen hervorheben als die professionellen Musikschaffenden.

Mit Blick auf die Nutzung digitaler Technologien zeigt sich, dass diese sowohl von Musikschaffenden als auch von Organisationen breit genutzt werden und eine bemerkenswerte Offenheit für künftige, neue Entwicklungen besteht. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass digitale Technologien in der Wahrnehmung der Befragten eher zu Vereinfachungen als zu Erschwerungen des musikalischen Lebens führen. Die nachstehende Abbildung 2 zeigt diesen Befund anhand der Antworten der Organisationen.

Bei vielen der abgefragten Aspekte verzeichnen die Organisationen kaum Änderungen, aber gerade wenn es um das Aufnehmen von Musik, die Verbreitung digitaler Aufnahmen und die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen geht, ist der Anteil derjenigen, die Vereinfachungen konstatieren, erheblich. Nur bei der Wahrnehmung durch die Medien und den Verdienstmöglichkeiten ist jeweils rund eine Fünftel der Organisationen mit grösseren Schwierigkeiten konfrontiert waren. Dass sich beim «Geld verdienen» fast die Hälfte der Organisationen nicht äussert, hängt damit zusammen, dass an der Befragung viele Vereine und Verbände teilgenommen haben, bei denen diese Zielsetzung keine hohe Priorität hat.

Nicht nur die aktuellen Entwicklungen, sondern auch die Zukunftsperspektiven waren Gegenstand der Studie. Werden die Musikschaffenden und im Musikbereich aktiven Organisationen danach befragt, wie sie die Zukunft verschiedener Teile des Musikbereichs beurteilen, so gelangen sie insgesamt zu einer eher optimistischen Einschätzung. In der Wahrnehmung einer Mehrheit der Befragten führt die Digitalisierung zu einer vielfältigeren Musikwelt, in der Live-Musik weiterhin eine wichtige Rolle spielen wird. Pessimistische Haltungen überwiegen allerdings bezüglich der Zukunft der Musikvereine und des Instrumentalunterrichts, und ein erheblicher Teil der Musikschaffenden und Organisationen befürchtet, dass das musikalische Leben in Zukunft härter werden könnte.

Aus Sicht des Musikrates war die Frage nach der Wünschbarkeit von politischer Intervention im Kontext von Musik und Digitalisierung wichtig, ist doch die Einflussnahme in Bern eine der Kernaufgaben des SMR. Auch hier fiel die Antwort anders aus als erwartet. Die nachstehende Graphik zeigt, dass die meisten Musikschaffenden und Organisationen keinen unmittelbaren Interventionsbedarf sehen:

Allerdings zeigten sowohl die Detailanalyse als auch die vielen individuellen Kommentare, dass dieser Befund zu differenzieren und nicht dahingehend zu verstehen ist, dass es keinerlei Handlungsbedarf gibt. Dies deshalb, weil die Digitalisierung sowohl innerhalb der Wertschöpfungskette (Kreation, Distribution, Rezeption) als auch in den Bereichen des Amateur- und des professionellen Musikschaffens, der musikalischen Bildung sowie in der Musikwirtschaft bestehende Problemfelder zusätzlich verschärft.

Handlungsempfehlungen aufgrund der Gesamtstudie

Es gehört zu den Aufgaben der Stiftung TA-SWISS, aufgrund von Studienresultaten Empfehlungen an die Politik zu formulieren. Dazu zählen mit Blick auf die Digitalisierung im Kultur- und Musikbereich unter anderem:

– Das Thema Digitalisierung ist vom Kultursektor zusammen mit der öffentlichen Hand und der Gesellschaft proaktiv anzugehen, um für weitere Entwicklungen gewappnet zu sein. Institutionen und Verbänden kommt dabei eine wichtige Aufgabe zu.

– Die Digitalisierung sollte als mehrjähriger Schwerpunkt auf die Agenda des Nationalen Kulturdialogs gesetzt werden.

– Die in der Kulturbotschaft 2025 – 2028 vorgesehenen Massnahmen «Faire Einkommensbedingungen im digitalen Umfeld» sollten rasch umgesetzt werden.

– Die Digitalisierung proaktiv angehen heisst auch, sie als festen Bestandteil in der Aus- und Weiterbildung zu etablieren. Auch hier können die Verbände eine wichtige Rolle spielen.

– Das Thema Urheberrecht ist ein Dauerbrenner, bekommt aber durch die rasante Entwicklung wie etwa in der Künstlichen Intelligenz ganz neue Fragestellungen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sollten deshalb laufend überprüft und angepasst werden.

– Die Amateurvereine, gerade in der Musik bzw. Kultur, bilden gewissermassen den Humus, auf dem das musikalische / kulturelle Leben gedeihen kann. Sie sollten deshalb weiterhin auf allen Staatsebenen gezielt gefördert werden. Zudem bräuchte es ein konstantes Monitoring, um die Entwicklung dieser wichtigen Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens genau beobachten zu können.

– Bereits heute ist die Musikerziehung aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung unter Druck. Die Digitalisierung verstärkt diesen, weshalb die Musikschaffenden schwere Zeiten auf die Musikerziehung zu kommen sehen. Um dem entgegenzuwirken, müssen die Lehrpersonen befähigt werden, digitale Hilfsmittel zu beherrschen und zielgerichtet einzusetzen.

Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger, welcher die Begleitgruppe der drei Studien präsidierte, äussert sich zur Thematik wie folgt[2]:

«Die Digitalisierung prägt unser Denken und Fühlen. Sie ist zu einer unverzichtbaren Dienerin unserer Kultur geworden, hat gleichzeitig jedoch längst den Taktstock in die Hand genommen. Damit sie sich nicht zur alleinigen Dirigentin aufschwingt, sind wir gehalten, ihre Chancen und Gefahren auszuloten und den Takt selbst zu bestimmen.»

Eine Besonderheit dieser Studie ist, dass die zentralen Inhalte auf einer Plattform interaktiv erlebbar / erfahrbar sind, mit je einem interaktiven Raum pro Teilstudie: https://www.proofofculture.ch/

 

Fussnoten

1. TA-SWISS Publikationsreihe (Hg.)(2024): Kultur und Digitalisierung. Zollikon: vdf. Der Text und eine Kurzfassung finden sich online unter: https://www.ta-swiss.ch/kultur-und-digitalisierung

2. Vgl. die weiter oben erwähnte Publikation von TA-SWISS, S. 7.

Ausgabe 11_12/2024 – Focus «KI»

Inhaltsverzeichnis

Focus

«Wir sind in einer Übergangsphase»
Kieran Pavel im Interview

«Zurzeit herrscht Wilder Westen»
Wie es für die Kreativen ausgehen wird, ist völlig offen

(kursiv = Zusammenfassung in Deutsch des französischen Originalartikels)

Critiques

Neuerscheinungen Tonträger, Webseiten, Noten

Echo

«Seine Musik war den Amerikanern fremd»
Nuria Schoenberg Nono über Arnold Schönberg
Link zum Artikel auf der Seite des Autors Max Nyffeler

100 Jahre Klaus Huber

L’EJCM reçoit un orgue

Eine Blosslegung, eine Blossstellung
Alfred Schnittkes Oper «Leben mit einem Idioten» in der Inszenierung von Kirill Serebrennikow

Schwimmkurs für lebenslanges gesundes Musizieren
«Nationaler Gesundheitstag Musik» von Swissmedmusica

Tiefe Klänge, Plastikklänge
Reiche Ernte heuer bei den Donaueschinger Musiktagen vom 17. bis 20. Oktober

Nachdenken über Musikkritik
An der ZHdK diskutierte am 23. und 24. September 2024 eine namhafte Expertenrunde

Basis

Artikel und Nachrichten aus den Musikverbänden

Eidgenössischer Orchesterverband (EOV) / Société Fédérale des Orchestres (SFO)

Konferenz Musikhochschulen Schweiz (KMHS) / Conférence des Hautes Ecoles de Musique Suisse (CHEMS)

Kalaidos Musikhochschule / Kalaidos Haute École de Musique

Schweizer Musikrat (SMR) / Conseil Suisse de la Musique (CSM)

CHorama

Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) / Association suisse de Médecine de la Musique (SMM)

Schweizerische Musikforschende Gesellschaft (SMG) / Société Suisse de Musicologie (SSM)

Schweizerischer Musikerverband (SMV) / Union Suisse des Artistes Musiciens (USDAM)

Schweizerischer Musikpädagogischer Verband (SMPV) / Société Suisse de Pédagogie Musicale (SSPM)

SONART – Musikschaffende Schweiz

Stiftung Schweizerischer Jugendmusikwettbewerb (SJMW)

Arosa Kultur

SUISA – Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik

Verband Musikschulen Schweiz (VMS) / Association Suisse des Écoles de Musique (ASEM)

 

KI-Sinfonie
Rätsel von Torsten Möller

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SNO: Mit Bruckners Dritter nach Rom

Das neu gegründete Swiss National Orchestra gastierte auf seiner ersten Auslandsreise im Vatikan und bewies seine musikalische Exzellenz.

Ralf Weikert dirigierte das Swiss National Orchestra in Rom. Foto: Max Nyffeler

Das einzig Suboptimale war die Akustik in der riesigen Basilika San Paolo fuori le mura in Rom. Bei mehr als fünf Sekunden Nachhall musste sogar Bruckner, der seine Sinfonien mit der Orgelpraxis im Hinterkopf komponiert hat, stellenweise kapitulieren. Ansonsten war das erste Auslandsgastspiel dieses neuen Orchesters mit Namen Swiss National Orchestra, kurz SNO, rundum geglückt. Das Konzert fand im Rahmen des vom Vatikan getragenen internationalen Festivals Musica e Arte Sacra statt. Mit einigem protokollarischem Aufwand: Unter den laut den Veranstaltern rund 2000 Besucherinnen und Besuchern befanden sich politische Prominenzen aus Italien und der Schweiz, unter anderem die Schweizer Botschafter in Italien und beim Vatikan.

An Sinfonieorchestern aller Art ist kein Mangel, wozu also noch eine Neugründung, dachte ich vor meiner Reise nach Rom. Doch die leise Skepsis, mit der ich dem Auftritt des mir bisher nur aus ominösen Pressemitteilungen bekannten Orchesters entgegensah, verflog bei den ersten Tönen des Sinfonischen Präludiums von Puccini, neben Bruckner der zweite Komponist mit Gedenkjahr 2024. Ein schön abgerundeter Bläserchor, gefolgt von einem sanft aufblühenden Streichertutti – ein perfekter Beginn, der augenblicklich in Bann schlug und eine Grundeigenschaft des Orchesters deutlich machte: das organische Zusammenwirken der Orchestergruppen, getragen von einem gemeinsamen Atem. Der delikate, mit schlafwandlerischer Sicherheit intonierte Einstieg machte Lust, das Orchester einmal mit Wagners Lohengrin-Vorspiel oder mit Debussy zu hören.

Lustvoll professionell

Der frappanten Präsenz dieses Anfangs waren die fünf Proben in Basel anzuhören, die der Reise nach Rom vorangegangen waren, ein Verdienst des Dirigenten und ehemaligen Zürcher Operndirektors Ralf Weikert. Seine gründliche Einstudierung bewährte sich vor allem bei der dritten Sinfonie von Anton Bruckner, die in der Letztfassung von 1889 erklang. Den latenten Kampf gegen die Überakustik, die leider die abrupten dynamischen Kontraste verwischte und die Struktur in den massiven Tutti – vor allem im dritten Satz – immer wieder verunklarte, bestand das Orchester glänzend. Die Präzision des Zusammenspiels liess, soweit das hörend nachvollziehbar war, in keinem Moment nach. Im langsamen Satz beeindruckten die Bläser mit fein aufeinander abgestimmtem Spiel, der auskomponierte lange Nachhall der Hörner klang zauberhaft; die Wirkung wurde hier von der Akustik ausnahmsweise unterstützt. Der vierte Satz: trennscharf in der Darstellung der kontrastierenden musikalischen Charaktere, High Energy pur und ein markanter Schlusspunkt für das sinfonische Geschehen.

Das Konzert in Rom war ein künstlerischer Erfolg. Die Gründe dafür liegen neben der disziplinierten Vorbereitung in der Professionalität, nicht zuletzt aber in der Spielfreude und im gemeinsamen Wollen aller Mitwirkenden. Dass sie eine bunt zusammengewürfelte Truppe sind, ist ihrem Spiel nicht anzumerken. Die Chemie stimmt, und wer sich mit den Musikern unterhält, bekommt einen Eindruck von der gehobenen Stimmung, wenn nicht sogar Euphorie, die unter ihnen herrscht. Rahel Cunz, Konzertmeisterin im Musikkollegium Winterthur, bringt das auf den Punkt: «Mit den meisten habe ich jetzt zum ersten Mal zusammengespielt, und das finde ich absolut spannend. Alle sind ja freiwillig dabei und machen das mit grosser Lust. Das spürt man hoffentlich auch im Publikum. Wir empfinden eine unglaubliche Freude, miteinander zu interagieren. So entsteht eine einzigartige Dynamik, und mit dieser positiven Energie machen wir unsere schöne Musik.»

Manuela Leimgruber, Schweizer Botschafterin im Vatikan, bei ihrer Rede. Foto: Swiss National Orchestra

Aus hiesigen und internationalen Orchestern

Swiss National Orchestra: Das klingt ambitioniert, basiert aber auf einer ebenso einfachen wie zündenden Idee. Es besteht zur Mehrzahl aus hochqualifizierten Schweizer Musikerinnen und Musikern aus Orchestern im In- und Ausland, etliche davon mit Spitzenpositionen als Solobläser und Stimmführerinnen. Um auch dem Nachwuchs eine Chance zu geben, sind auch einige talentierte Studierende zur Mitwirkung eingeladen. Von den Mitgliedern der Schweizer Orchester sind diejenigen aus Zürich, Basel, Genf und Bern besonders gut vertreten; die im Ausland tätigen kommen unter anderem aus den Sinfonie- und Opernorchestern in Barcelona, Bergen, Lyon, Berlin, München und Stockholm.

Die Anfänge des SNO liegen im Jahr 2016. Der Tessiner Musiker und heutige Intendant Igor Longato unternahm damals mit einigen Gleichgesinnten einen ersten Versuch zur Gründung, und nach langer Anlaufzeit, in der sich das Projekt schrittweise konkretisierte, ist es nun 2024 gleich mit zwei verschiedenen Programmen mit wechselnden Dirigenten an die Öffentlichkeit getreten. Beim Debütkonzert in Bern am 1. August 2024 war es John Axelrod, in Rom nun Weikert.

Privat finanziert

Mit seiner flexiblen Struktur folgt das SNO dem Modell von Orchestern wie dem 1981 gegründeten Chamber Orchestra of Europe, dem Lucerne Festival Orchestra oder den Spezialensembles für Alte Musik. Im Vergleich mit diesen im internationalen Konzertbetrieb fest verankerten Klangkörpern steht es zwar noch in seinen Anfängen, kann aber mit dem Alleinstellungsmerkmal des «Swiss made» aufwarten. Und mit dem Enthusiasmus der Newcomer. Zukunftschancen sind allemal gegeben, nicht nur von der hohen Qualität der Mitwirkenden her, sondern auch aufgrund der offenkundig gesicherten finanziellen und institutionellen Basis. Dank privaten Gönnern und Stiftungen, die vom Projekt hundertprozentig überzeugt sind, ist das Orchester weitgehend unabhängig von öffentlichen Subventionen; auch die Kosten des jetzigen Projekts in der Höhe einer stattlichen sechsstellige Summe waren so zu bewältigen. Dazu kommt eine gute Vernetzung mit Persönlichkeiten und Institutionen aus Politik und Wirtschaft, die den Aktionsradius des Orchesters national und international entscheidend erweitern kann.

Mit der Musik punkten, statt nur mit Swissness

Der Weg zu einem längerfristigen Aufstieg des SNO in die Riege der internationalen Orchester scheint also geebnet. Für ein Orchester, das über keine feste Residenz verfügt und mit Ausnahme der jährlich geplanten Konzerte in Bern an stets wechselnden Orten auftritt, stellen sich aber auch spezifische Fragen punkto Identität. Vor allem zwei Aspekte sind aktuell von Bedeutung. Da ist zum einen das Erscheinungsbild. Die bisherige Öffentlichkeitsarbeit verkauft das Orchester unter seinem Wert; die Webseite ist rudimentär, die Pressemitteilungen lassen wenig Verständnis für die genuin künstlerischen Aspekte des Unternehmens erkennen und betonen vor allem die protokollarische Funktion. Ohne entsprechende kommunikative Kompetenzen wird es aber schwierig sein, dem Orchester die Stellung im Musikbetrieb zu erobern, die es verdient.

Und dann der Schweiz-Bezug: Weniger ostentative Swissness würde vermutlich mehr einbringen. Der Vergleich mit Schweizer Markenartikeln wie Uhren und Nati verstellt den Blick auf das Kerngeschäft, und das ist die Musik. Sie ist kein Exportprodukt wie jedes andere. Die erwünschte Rolle des Orchesters als musikalischer Botschafter der Schweiz wird umso erfolgreicher sein, je mehr es künstlerisch glänzen kann. Der Werbeeffekt ergibt sich dann von selbst und muss nicht an die grosse PR-Glocke gehängt werden. Voraussetzung ist eine Programmierung, mit der es, wie jetzt im Fall von Bruckner, den Wettbewerb mit den grossen Orchestern aufnehmen kann. An Werken mit einem Schweiz-Bezug von Mendelssohn und Brahms bis Rachmaninow, Strawinsky und darüber hinaus sollte es dabei nicht fehlen. Und anders als die Nati kennen sie kein Formtief.

Rund 2000 Menschen besuchten das Konzert des Swiss National Orchestra am 17. November 2024 in der Basilika San Paolo fuori le mura. Foto: Renato Cerisola/SNO

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Transparenzhinweis:
Die Reise kam auf Einladung des Orchesters zustande.
Website des Swiss National Orchestras: https://sno.ch
Website des Autors Max Nyffeler: https://beckmesser.info

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