Norient vermittelt Welten mit Ton und Bild

Im Rahmen des 13. Norient-Festivals führte die kenianische Künstlerin und Festivalleiterin Emma Mbeke Nzioka auch Workshops für Schulklassen durch.

Foto: Norient/Marianne Wenger

Dieses Jahr fand das Norient-Festival vom 10. bis zum 14. Januar an unterschiedlichen Orten in der Innenstadt von Bern statt. Es war, wie auch seine Vorgänger, kein Anlass für schwache Nerven. Der Name Norient (No-Orient) stellt sich gegen den Orientalismus und Exotismus. Norient sieht sich als weltweite Gemeinschaft aus Kunstschaffenden, die ihr Gedankengut an ein breites, interessiertes Publikum bringen und einen kulturellen Austausch herstellen. Dies geschieht durch Auseinandersetzung mit diversen sozialkritischen und geopolitischen Themenfeldern. Auf dem diesjährigen Programm standen Formate wie (Kurz-)Film- und Podcast-Screenings, Podiumsgespräche, DJ-Sets oder Online/live-Hybrid-Konzerte von Künstlerinnen und Künstlern aus der ganzen Welt. In diesen Formaten wurden zum Beispiel die Verbindung von Ton und Storytelling, der Israel-Palästina-Konflikt, das Aussterben der Musiksprache der Hmong oder die westliche Ausbeutung afrikanischer Ressourcen thematisiert, wobei der musikalische Aspekt meist im Mittelpunkt steht.

Inmitten dieser schwer verdaulichen Denkanstösse fand man etwas überraschend zwei Workshops für Schulklassen, veranstaltet vom Berner Verein Bee-flat. Bee-flat und Norient sind dafür ideale Partner. Beide suchen auf der ganzen Welt nach spannenden Themen, die sich musikalisch umsetzen lassen, um den Horizont des Publikums zu erweitern. Die kenianische DJ, Fotografin und Cinematografin Emma Mbeke Nzioka (aka DJ Coco Em) erklärte in der einen ungefähr 90-minütigen Veranstaltung routiniert die Basics der elektronischen Musikproduktion anhand des Programms Ableton. Nzioka, die künstlerische Leiterin des diesjährigen Festivals, animierte die Kinder gekonnt zur Beteiligung. Kreativ produzierten sie Beats und fragten zum Schluss interessiert nach der vorgestellten Software und der künstlerischen Tätigkeit Nziokas.

Respekt schaffen, Selbstverständlichkeiten hinterfragen

Trotz der Leichtfüssigkeit, mit der sich Nzioka und der Leiter des zweiten Workshops, Justin Doucet (aka DJ Huilly Huile), musikvermittelnd bewegten, sind Kinder nicht das Kernpublikum des Festivals. Auf die Frage, inwiefern solche Workshops ins Festivalprogramm passen, sagt Nzioka: «Es soll dabei ein gewisser Respekt für das entstehen, was man konsumiert, wie es entsteht und welche Arbeit sich dahinter versteckt. Es ist wichtig, den gesamten Prozess zu verstehen und mit diesem in Berührung zu kommen.» Auch wenn die Workshops im Festival auf den ersten Blick fremd wirken, harmonieren sie mit der Rolle von Norient als «Überbringer».

Es geht darum, Selbstverständlichkeiten der modernen Welt zu hinterfragen, sowohl in den Veranstaltungen für Kinder wie auch in den komplexen Inhalten des restlichen Festivals. Reisefreiheit beispielsweise ist für Nzioka nicht selbstverständlich. Am 12. Januar erzählte sie an einem Podiumsgespräch von ihren eigenen Erfahrungen mit der Visums-Politik Europas. Auch sie war bereits Opfer von willkürlichen Rückweisungen, da sie als kinderlose und unverheiratete Afrikanerin von europäischen Behörden als Risiko eingestuft wird. Es werde davon ausgegangen, dass sie sich illegal hier aufhalten wolle und nicht mehr zurückfliegen werde. Beweise von Auftritten, Arbeit und Rückflügen reichten nicht. Wie zum Beweis konnten auch am diesjährigen Norient-Festival gleich zwei Kunstschaffende nicht antreten. «Man sollte die Bewegungsfreiheit afrikanischer Künstlerinnen und Künstler nicht für selbstverständlich halten, weder in Europa noch innerhalb Afrikas», ergänzte Nzioka.

Neue Gedanken, die haften bleiben

Abends waren Filme in zwei Kinos zu sehen. Einen Höhepunkt bildete der Dokumentarfilm Songs That Flood the River. Diesen Film empfiehlt Nziokas wärmstens. Er handelt von der Auslöschung spiritueller kultureller Praktiken im Zusammenhang mit der Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Darüber hinaus spricht er den künstlerischen Prozess des Songwritings an und zeigt auf, inwiefern externe Faktoren diesen beeinflussen können. Das Publikum wird mit Gedanken entlassen, die nicht mehr abzuschütteln sind. Nzioka sagt dazu: «Das Publikum wird nicht finden: ‹Wir ändern heute noch die Welt!›, nein, aber vielleicht werden Zuschauerinnen und Zuschauer immerhin einen Aspekt in ihrem Leben verändern … Vielleicht ihren Umgang mit anderen Leuten oder die Bildung ihrer Kinder.»

Bei den Norient-Festivalbesucherinnen und -besuchern, so verschieden sie sind, fördern Musik und Bilder das Verständnis für wenig bekannte Teile dieser Welt. Es ist zu hoffen, dass Norient durch diese Vermittlung eine neue Art kulturellen Bewusstseins schaffen kann.

Check für female+ des Künstlerhauses Boswil

Am 18. Dezember übergaben die Soroptimisten Bremgarten einen Unterstützungsbeitrag von 5000 Franken in Form eines Checks an das Förderprogramm female+ für junge Musikerinnen.

Manuela Luzio (Vizepräsidentin Soroptimisten Bremgarten), Rose-Marie Mülli, Stefanie C. Braun, Dorothee Bokhoven, Therese Kron, Stefan Hegi, Michaela Allemann. Foto: Künstlerhaus Boswil

Am Jubiläumsanlass zu seinem 30-jährigen Bestehen führte der Service Club Soroptimist International – Club Bremgarten-Freiamt im September 2023 eine Spendenaktion in Form einer Versteigerung zugunsten des Musikfonds female+ des Künstlerhauses Boswil durch. Üblicherweise findet alle zwei Jahre ein Benefizkonzert zugunsten von female+ statt. Gäste und Soroptimistinnen waren aber auch von diesem Spendenprojekt überzeugt und beteiligten sich grosszügig an der Versteigerung. Am 18. Dezember wurde im Künstlerhaus Boswil der Check in der Höhe von 5000 Franken an den Musikfond female+ übergeben.

Das nächste Benefizkonzert findet am 8. September 2024 statt.

Link zur Medienmitteilung des Künstlerhauses Boswil

Tessiner Musik-Campus nimmt Form an

Einige der wichtigsten musikalischen Institutionen des Kantons sollen auf dem heutigen Radio-Gelände in Lugano ein gemeinsames Zuhause finden. Mit der Vorstellung des siegreichen Architekturprojekts wurde am 12. Dezember erstmals umfassend über das ambitionierte Vorhaben «Città della Musica» informiert.

Visualisierung des neuen multifunktionalen Probensaals der Città della Musica in Lugano. Bild: Architecture Club

Die Città della Musica, so der Name des Projekts, entsteht auf dem bisherigen Areal von Radio Svizzera italiana (RSI) im Quartier Besso oberhalb des Bahnhofs SBB. Hauptnutzer ist das Conservatorio della Svizzera italiana (CSI), Partner sind das Orchestra della Svizzera italiana, der Coro RSI und die Barrocchisti von Diego Fasolis, die Schweizerische Nationalphonothek und der Verband Sonart. (Das Radio belässt einige Studios hier, zieht aber mit allen anderen Aktivitäten auf das Gelände des Fernsehens an den Stadtrand nach Comano um.) Die Gesamtkosten werden auf rund 45 Millionen Franken veranschlagt. Geldgeber sind die Stadt Lugano, der Kanton und, was das CSI angeht, der Bund. Rund ein Drittel soll von Privaten kommen. Der Baubeginn ist für 2025 geplant, und bis 2028 soll die Città stehen.

Kultureller Brennpunkt mit überregionaler Ausstrahlung

Mit dem Projekt entsteht, in Ergänzung zum modernen Konzertbau des LAC am Seeufer, ein kultureller Cluster, der die wachsende Bedeutung Luganos als Musikstadt auf halbem Weg zwischen Zürich und Mailand unterstreicht. Aus lokaler Sicht füllt die Città della Musica zudem eine empfindliche Lücke in der Infrastruktur. Das LAC verfügt nämlich über keine Probenräume, und das akustisch einzigartige Auditorio Stelio Molo auf dem Radiogelände ist zwar ein gesuchter Ort für Aufnahmen, aber zu klein für sinfonische Besetzungen. Mit der Città della Musica wird der Probenraum-Notstand ein Ende finden.

Abgesehen vom hohen Nutzen für die professionelle Ausbildung und Forschung eröffnet der Campus mit seinem grosszügigen Raumangebot auch kulturpolitisch neue Perspektiven. Die musikalischen Institutionen sollen sich zur Stadt und zur Region öffnen, heisst es, einerseits durch den niederschwelligen Zugang zum Areal und zu den Veranstaltungen, andererseits durch das Lehrangebot des Conservatorio. Die Präsidentin der Stiftung Conservatorio Ina Piattini Pelloni spricht von der integrativen Wirkung, die von dem Projekt ausgehe und musikalisch alle Generationen zusammenbringe. So wird neben dem international ausgerichteten Hochschulbetrieb und der Pre-College-Abteilung nicht zuletzt die Musikschule mit der Basisausbildung für Kinder und Jugendliche vom neuen Standort profitieren können. Auf die allgemeine Musikerziehung wird in Lugano viel Wert gelegt. Der Verein der Freunde des Conservatorio, der sich der Nachwuchsförderung widmet, hat beispielsweise allein für das laufende Schuljahr 160 000 Franken eingeworben und damit über 150 Stipendien an Schüler aus wenig bemittelten Familien ausgerichtet – Inklusion einmal anders.

Architektonische Synthese von Alt und Neu

Dem Prinzip Offenheit ist auch das prämierte Projekt des Architecture Club verpflichtet. Das junge Architektenteam aus Basel, das auch den Campus 2040 für die Musik-Akademie Basel entworfen hat, fand für die Neugestaltung des Areals eine Lösung, die nun bei der Präsentation viel Beifall erhielt. Das weiträumige Ensemble der bestehenden Gebäude bleibt äusserlich weitgehend unangetastet, ihre erstaunlich zeitlos anmutende Formensprache aus den Fünfzigerjahren wird für die Neubauten unauffällig übernommen. Das sechseckige Auditorio Stelio Molo bleibt als Herzstück im Zentrum erhalten. Doch eine wichtigere Funktion hat nun der ebenfalls polygone Bau des grosszügig bemessenen, multifunktionalen Probensaals, der bei Konzerten bis zu dreihundert Personen Platz bietet und sich wie alle anderen Bauten in die parkähnliche Umgebung organisch einfügt. Für alle Proben- und Übungsräume auf dem Gelände liegt das Akustikdesign in den Händen der japanischen Firma Nagata Acoustics, die auch der Hamburger Elbphilharmonie ihren Stempel aufdrückte.

Beispielhafte Zusammenarbeit auf allen Ebenen

Das Projekt der Città della Musica wird von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen. In den Redebeiträgen und persönlichen Gesprächen bei der Pressekonferenz war so etwas wie eine kollektive Euphorie über den erfolgreichen Start zu spüren. «Sämtliche Absichtserklärungen und Vereinbarungen sind in einem kollegialen, vertrauensvollen Verhältnis zustande gekommen», sagt Konservatoriumsdirektor Christoph Brenner, der das Projekt massgeblich vorangetrieben hat. «Es gibt diesen Willen in einem kleinen Kanton, wirklich zusammenzuarbeiten.» Das Wort Mentalitätswechsel fiel, und einige sprachen von einem kleinen Wunder: Alle Entscheidungsträger von den beteiligten Institutionen bis zur hohen Politik hätten an einem Strang gezogen. Gute Voraussetzungen für die Entwicklung einer zukunftsträchtigen, lokal gut verankerten Musikkultur mit internationaler Ausstrahlung.

Das Tessin, nur ein Ferienparadies mit Palmen, Spaghetti und Vino rosso? Die Neugründung widerlegt das Vorurteil. Nach dem LAC ist die Città della Musica ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Kulturkanton.

Link: cittadellamusica.ch

Langer Atem für das Schweizer Musiklexikon

Eine Tagung in Bern zeigte auf, mit welchen medialen Umbrüchen das «Musiklexikon der Schweiz» (MLS) fertig werden muss. Interessierte sind im Rahmen eines Partizipationsprojekts eingeladen, beim Verfassen neuer Einträge mitzuwirken.

Auf der Startseite des Schweizer Musiklexikons ist die Suche integriert. Bild: Screenshot

Die Schweiz verfüge im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern über kein modernes Nachschlagewerk zur Musikgeschichte. Die bestehenden Lexika seien veraltet und würden der Vielfalt und dem Reichtum des Musiklebens der Schweiz nicht gerecht, schreibt die Schweizerische Musikforschende Gesellschaft (SMG) auf ihrer Webseite. Ein neues, wissenschaftlich fundiertes Musiklexikon werde schon seit Jahrzehnten verlangt.

Gearbeitet wird an dem geplanten und mittlerweile in ersten Fragmenten realisierten Musiklexikon der Schweiz (MLS) bereits seit 2013. An der Universität Bern ist für das MLS aus den bestehenden Nachschlagewerken eine Stichwortliste erstellt worden. Dabei sind etwa 11 000 ältere Lexikonartikel zu 6800 Personen digitalisiert und in einer Datenbank aufbereitet worden. Neue, eigene Artikel zu verfassen, stellt nun aber eine weitaus grössere Herausforderung dar, als es sich das Gründungsteam vorgestellt haben dürfte, denn in den letzten Jahren hat die Welt der Enzyklopädien fundamentale Veränderungen erfahren. Statt in Büchern finden sich diese heute im Internet.

Multimedial, veränderbar, mehrsprachig

Mit der Medienrevolution hat sich auch die Textredaktion vollkommen verändert. Lexikonartikel sind nicht mehr erratische Texte, die vielleicht für zweite oder dritte Auflagen nach einigen Jahren korrigiert oder ergänzt werden, sondern im Extremfall liquide Gebilde mit integrierten Audio-, Video- und Bildmaterialien, an denen Redaktoren, externe Freiwillige und weitere Beteiligte unablässig herumwerkeln. Neben den eigentlichen Artikeln muss zum Beispiel nun auch die Geschichte ihrer Veränderungen dokumentiert werden. Nicht zuletzt müssen Internet-, Datenbank- und Multimedia-Fachkräfte ins Team integriert werden. Darüber hinaus findet zurzeit eine Umwälzung in Sachen Mehrsprachigkeit statt: Lexikon-Nutzende greifen immer häufiger auf automatische Übersetzungshilfen zurück, um Texte in ihrer Muttersprache lesen zu können. Das hat tiefgreifende Konsequenzen für das Sprachen-Design eines Nachschlagewerks, besonders, wenn, wie beim MLS, ein mehrsprachiges Lexikon entsteht.

Das MLS, dessen Finanzierung noch keineswegs gesichert ist, sieht sich damit vor vielerlei Herausforderungen: Zum einen müssen seine Exponenten zurzeit ständig neu definieren, wie es aussehen soll – im Bewusstsein darum, dass sich digitale Lexika und ihre Nutzungen in wenigen Jahren wieder ganz anders präsentieren können. Zum andern gilt es, alle, die an dem grossen Werk mitarbeiten werden, auf eine Art zu organisieren, mit der akademische Institutionen in der Schweiz noch wenig Erfahrung haben. Eine professionelle, hauptamtlich damit beschäftigte Redaktion, wie sie vor Jahrzehnten für derartige editorische Mammutprojekte üblich war, genügt nicht mehr. Heutzutage sind in solche Projekte auch zahllose freie Autorinnen und Autoren integriert, die mit sachlichen Spezialgebieten oder geografischen Regionen vertraut sind, und es braucht Moderationen für laufende Kommentare zu Artikeln.

Datenbanken und Citizen-Science-Projekte

Um das Projekt etwas weiterzubringen, hat das Kuratorium des MLS in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) und der SMG an der Universität Bern ein Kolloquium (23. und 24. November 2023) und einen Workshop (25. November 2023) für interessierte Autoren und Autorinnen durchgeführt.

Was die Umwälzungen in der Medienwelt für die Aktualisierung traditioneller Lexika bedeutet, zeigte sich etwa in einem Bericht über die Retrodigitalisierung des Theaterlexikons der Schweiz (tls.theaterwissenschaft.ch). Im Kolloquium staunte man aber auch darüber, wie vielfältig die Landschaft digitaler Enzyklopädien mittlerweile ist. Vorgestellt wurde etwa das Kompetenznetzwerk Memoriav  zur Erhaltung des audiovisuellen Kulturerbes der Schweiz, ein Dictionnaire du Jura  oder das Westschweizer Projekt notreHistoire.ch, eine historisch ausgerichtete Plattform, auf der die Romands Sichtweisen und Dokumente zur Vergangenheit austauschen können und die entsprechende Ableger in den andern Landesteilen hat (unseregeschichte.ch, lanostrastoria.ch, nossaistorgia.ch). Es gibt auch einen «MusikerIndex», eine Namenliste für in der Schweiz im 19. Jahrhundert tätige Persönlichkeiten aus dem Musikleben. Dieser Index ist eine von mehreren Datenbanken des Instituts Interpretation an der Hochschule der Künste Bern. Der Wikipedia-Kulturbotschafter Diego Hättenschwiler ergänzte die Tagung mit Einblicken in die Arbeit des weltweiten Onlinelexikons.

Freie Mitwirkende und viel Geld sind gesucht

Die Übersetzerin und Musikwissenschaftlerin Irène Minder-Jeanneret, die Initiantin des MLS, wies darauf hin, dass für das auf zehn Jahre konzipierte Projekt mit Kosten von rund 9 Millionen Franken gerechnet werden muss. Die ganz grosse Herausforderung dürfte dabei die Suche nach freien Mitwirkenden und deren Zusammenarbeit mit der MLS-Redaktion werden. Geht man davon aus, dass ein umfassendes Schweizer Musiklexikon vielleicht 10 000 neue Artikel enthalten müsste, ist ein entsprechendes kulturelles Partizipationsprojekt doch ein überaus ambitiöses Unterfangen.

Auf der anderen Seite ist kulturelle Teilhabe seit 2016 ein Schwerpunkt der Schweizer Kulturpolitik. Im Rahmen einer «Citizen Science»-Initiative der Akademien der Wissenschaften Schweiz hat das MLS-Team denn auch ein Partizipationsprojekt ausgeschrieben. Gruppen und Einzelpersonen werden dabei angeregt, für das MLS lokale Musikkulturen mit Worten, Bildern und Klängen zu dokumentieren. Im Workshop im Anschluss an die Tagung liess sich eine noch recht kleine Gruppe Interessierter darin instruieren, wie Texte vorverfasst werden sollten, damit sie lexikontauglich sind.

Link zum Citizen-Science-Projekt:
schweizforscht.ch/projekte/musiklexikon-der-schweiz-1153

Xavier Dayer folgt an der ZHdK auf Michael Eidenbenz

Der Fachhochschulrat hat Xavier Dayer per 1. August 2024 zum neuen Direktor des Departements Musik an der Zürcher Hochschule der Künste ernannt.

Xavier Dayer. Foto: zVg

Wie die Bildungsdirektion des Kantons Zürich schreibt, gewinne die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) mit Xavier Dayer eine erfahrene und gut vernetzte Persönlichkeit mit einem breiten Leistungsausweis in der Schweizer Musikhochschullandschaft als Nachfolger von Michael Eidenbenz, der das Amt noch bis Ende Juli 2024 innehat.

Xavier Dayer ist seit 2002 an der Hochschule der Künste Bern tätig, seit 2011 Präsident der Genossenschaft Suisa. Er hat mehrere Kompositionspreise gewonnen und zahlreiche Werke für wichtige Ensembles geschrieben.

Link zur Medienmitteilung der Bildungsdirektion des Kantons Zürich vom 13. Dezember 2024

 

«Ligeti-Labyrinth» in Basel und Budapest

Eine sehenswerte Ausstellung begibt sich auf Spuren von Ligetis Schaffen in neun sinnfälligen Modulen.

Die Originaldokumente sind auf Gitterflächen angebracht. Fotos: Philipp Emmel/Historisches Museum Basel, Musikmuseum

Das Ligeti-Jahr ist schon fast vorbei und in Zeitungen, Veranstaltungen und Radiobeiträgen wurde der 100. Geburtstag des 2006 verstorbenen ungarischen Komponisten eingehend gewürdigt. So mag es manchem wie die «Schneckenpost» vorkommen, dass die Paul-Sacher-Stiftung erst jetzt eine Ausstellung präsentiert: Im Musikmuseum des Historischen Museums Basel zeigt sie mehrheitlich Objekte des in der Stiftung verwahrten Nachlasses von György Ligeti.

Diese «späte» Ehrung hat vor allem zeitliche Gründe. Das Musikhistorische Museum Budapest – zu den Kooperationspartnern gehört das Musikwissenschaftliche Institut des Budapester Forschungszentrums für Geisteswissenschaften Hun-Ren –, wo die Ausstellung zuvor zu sehen war, hatte nur im Frühjahr 2023 Kapazität dafür, während die Basler Räumlichkeiten erst ab November zur Verfügung standen. Diese Umstände tun dem Inhalt der Ausstellung, die unbedingt zum Besuch zu empfehlen und bis am 7. April 2024 zu sehen ist, keinen Abbruch.

Sie demonstriert nicht nur den hohen Stellenwert Ligetis in der Musik des 20. Jahrhunderts, der ungebrochen andauert, sie führt uns auch in einer faszinierenden Weise an das Denken und Schaffen des Komponisten heran, wie es so bald wohl nicht mehr möglich sein wird. Essenzieller Bestandteil dieser «Reise» ins «Ligeti-Labyrinth», so der Titel der Ausstellung, sind die vielen zu bestaunenden Originale – eine Qualität, die leider immer mehr vernachlässigt wird.

Irrgarten in Gefängniszellen

Wer eine chronologische Präsentation erwartet, wird allerdings enttäuscht – zum Glück. Denn im Mittelpunkt stehen vielmehr die verschiedenen Facetten von Ligetis Denken, Schaffen und Arbeitsprozessen, die in neun Modulen ergründet werden. Themen wie «Träume und Fantasien» oder das «Netz von Stimmen» katapultieren die Kennerinnen und Kenner von Ligetis Werken sogleich in seine spezielle Welt hinein.

Ausgeheckt haben die sinnfälligen Module Heidy Zimmermann von der Sacher-Stiftung, welche den Ligeti-Nachlass seit Jahren betreut, und die ungarischen Musikwissenschaftler Anna Dalos und Márton Kerékfy. Konzept und Idee beruhen auf einer Aussage Ligetis: «Ich taste mich von Werk zu Werk vorwärts, in verschiedene Richtungen, wie ein Blinder in einem Labyrinth.» Und dieses «Ligeti-Labyrinth» findet in dem schwierig zu bespielenden Musikmuseum Lohnhof Basel mit seinen ehemaligen Gefängniszellen eine faszinierende Entsprechung.

Gezeigt wird ein breites Spektrum an Quellenmaterial, das sorgfältig ausgewählt und kommentiert ist. Gemäss Schätzungen von Heidy Zimmermann umfasst der Ligeti-Nachlass rund 25 000 Seiten Manuskript, 10 000 Korrespondenzen und 800 Fotos, Filme und Tondokumente. Ohne zu wissen, was in diesem Fundus sonst noch verborgen ist, scheint die in Basel präsentierte Auswahl stringent und spannend. So kann der persönliche Arbeitsprozess Ligetis in einmaliger Weise studiert werden.

Grafische Konzepte für musikalische Faktoren

Für seine Werke hat Ligeti jeweils seitenweise Konzept-Ideen aufgeschrieben, keine Noten, sondern Worte, wild durcheinander mit verschiedenen Buntstiften oder zum Teil auch in grafischen Darstellungen. Was auf den ersten Blick wie ein undurchdringlicher Wirrwarr erscheint, wird in Nachbarschaft zum komponierten Werk immer wieder zu einem Aha-Erlebnis. Die Begleittexte vermitteln den nötigen Hintergrund und mit dem Handy können die gezeigten Musikausschnitte auch abgehört werden.

Da ist etwa eine Skizze zum berühmten Atmosphères (1961) zu bestaunen, auf der die Musik genau beschrieben ist mit Disposition der Formteile und deren präziser Dauer. Oder es gibt eine Verlaufsskizze von Aventures (1962), die auf vier horizontal zusammengeklebten A4-Blättern die Vokal- und Instrumentalstimmen festhält, als «Zeit- und Formkontrolle», wie darauf vermerkt ist. Warum Ligeti zuerst solche aussermusikalischen Skizzen gemacht hat? «Ligeti hat erst mit 14 Jahren Klavierunterricht erhalten», erklärt Heidy Zimmermann, «er musste sich also lange Musikeindrücke vorstellen, weil er keine Schreibweise dafür hatte. Vielleicht ist das der Grund für diesen Weg.»

Verdeutlichen kann Ligetis Sonderweg das Violinkonzert (1990–1992), das im Kapitel «Stimmung und Verstimmung» thematisiert wird. Es existieren nicht weniger als fünf Blätter bunter Verbalskizzen. Kerékfy charakterisiert diese im ausgezeichneten Begleitkatalog: «Die Notizen beziehen sich teils auf die Form der Sätze, teils auf deren melodischen Inhalt und metrische Struktur. Ausserdem plante Ligeti das Grundtempo und die geschätzte Dauer.»

Ein weiteres Modul thematisiert die «Rhythmischen Entdeckungen». Es zeigt Ligetis Hinwendung zur Polyrhythmik, wie sie etwa im Klavierkonzert (1985) zur Anwendung kommt. Seine Inspiration erhielt er unter anderem durch die Musik eines zentralafrikanischen Stammes, der Banda-Linda, die aus rhythmischen Polyfonie-Patterns besteht. Ligeti besass eine Sammlung von rund 140 Schallplatten mit traditioneller Volksmusik aus aller Welt, die in einem Themenraum mit allen Covers präsent ist. Ein spannender Aspekt, der auch bei Ligeti zur Diskussion anregt. Es gibt eben viel zu sehen und zu lesen in Basel.

Eine Zelle zeigt Covers der Plattensammlung Ligetis. Foto: Philipp Emmel/Historisches Museum Basel, Musikmuseum

Ligeti-Labyrinth – HMB

Sonic Matter: Sprung ins Ungewisse

Die dritte Folge von Sonic Matter, dem Festival für experimentelle Musik Zürich, stand unter dem Motto «Leap». An 4 Tagen wurden 16 Veranstaltungen an mehreren Konzertorten und in unterschiedlichen Formaten angeboten.

Eröffnungskonzert im Schiffbau: Mazen Kerbajs Bilder werden auf die Leinwand projiziert. Foto: Kira Kynd

Die frohe Kunde gleich zu Beginn: Sonic Matter kann weitergeführt werden. Auf Antrag des Zürcher Stadtrats hat der Gemeinderat beschlossen, das Festival für experimentelle Musik in den kommenden vier Jahren weiterhin mit einem Betriebsbeitrag von jährlich 250 000 Franken zu unterstützen. Die Stadt Zürich ist der Hauptgeldgeber von Sonic Matter. Das 2021 aus den Tagen für Neue Musik Zürich hervorgegangene Festival befand sich bisher in einer Pilotphase und wurde von einer externen Firma auf seine Kreditwürdigkeit geprüft.

Andersartiges kennenlernen

Nachdem die erste Ausgabe unter dem Motto «Turn» den Blick auf musikalische und aussermusikalische Veränderungen gerichtet hatte und die letztjährige mit dem Motto «Rise» das Aufstehen auch in einem politischen Sinn verstehen wollte, bildete nun das Motto «Leap» die Klammer für das dritte Jahr. Im Vorwort des Programmhefts luden die beiden künstlerischen Leiterinnen Katharina Rosenberger und Lisa Nolte das Publikum ein, «gemeinsam den Sprung ins Ungewisse zu wagen». Die Vernetzung der Welt solle als Chance genutzt werden, das Andersartige kennenzulernen, sich auf das Unvorhergesehene einzulassen. Neben Musikerinnen und Musikern aus der Schweiz waren auch zahlreiche ausländische Künstler und Künstlerinnen, vornehmlich aus dem Vorderen Orient, eingeladen. Und als Gast war das Festival Irtijal Beirut mit von der Partie.

Überraschende Klänge und Wendungen

Eine Konkretisierung dieser Ideen lieferte gleich das Eröffnungskonzert im Schiffbau des Schauspielhauses Zürich. Spannend war etwa die Begegnung mit der iranischen Komponistin und Qanun-Spielerin Nilufar Habibian. In ihrem Stück Becoming gehen die orientalische Zither mit der E-Gitarre, dem Cello und der Bassklarinette verblüffende Verbindungen ein. Einen kräftigen Kontrast zu dieser Darbietung des Genfer Ensembles Contrechamps setzten der Gitarrist Sharif Sehnaoui und der Videokünstler Mazen Kerbaj, die beiden Gründer des Beiruter Festivals Irtijal, mit ihrer Stegreif-Performance Wormholes. Zu den ungewohnten Klängen auf der präparierten Gitarre zeichnete und sprayte Kerbaj abstrakte Bilder auf eine Folie, die simultan auf eine Leinwand projiziert wurden. Im Licht des aktuellen Gaza-Krieges las sich dann der plötzlich auftauchende Satz «Wir sind die Toten von morgen» als deutliche politische Botschaft. Die zum Schluss präsentierte Komposition für Live Ambisonic Turntables und immersive Elektronik der Komponistin Shiva Feshareki bot zwar überraschende 360-Grad-Klangerlebnisse, dauerte aber gemessen am Ideenreichtum eindeutig zu lange.

Mit einem Eklat war das traditionelle Tonhalle-Konzert verbunden, das diesmal, wie Sonic Matter kurzfristig mitteilte, nicht als Teil des Festivals stattfand. Über die Gründe schwiegen sich beide Veranstalter aus. Auf Nachfrage war vom Pressesprecher von Sonic Matter lediglich zu erfahren, dass die Entscheidung «mit der geopolitischen Lage zu tun» habe. Die Abkoppelung des Tonhalle-Konzerts bedeutete für Sonic Matter auf jeden Fall einen Prestigeverlust.

Klangparcours im Freien. Foto: Kira Kynd

Lounge, Party, Parcours, Marathon

Neben den herkömmlichen Konzerten bot Sonic Matter auch diesmal alternative Präsentationsformate an: so etwa die Listening Lounge mit aktueller elektroakustischer Musik aus zwanzig Ländern, die Party für junge Leute mit der DJ-Gruppe Frequent Defect aus der Beiruter Clubszene oder einen Klangparcours im Freien. Der vierstündige Konzertmarathon Long Night of Interferences im Theaterhaus Gessnerallee liess Musik aus verschiedenen Kulturen aufeinanderprallen. Den Schweizer Anteil daran bot die Uraufführung eines neuen Werks des Genfer Komponisten Denis Rollet, bei dem Violine, Bassklarinette und Live-Elektronik verschiedene Stadien der Annäherung und Entfernung durchlaufen.

«Umva!» von Aurélie Nyirabikali Lierman mit der Gruppe Silbersee im Schlusskonzert in der Roten Fabrik. Foto: Kira Kynd

Einen grossen geografischen und ästhetischen Sprung wagte das Festival mit der Schlussveranstaltung in der Roten Fabrik. Die in den Niederlanden lebende Komponistin Aurélie Nyirabikali Lierman und ihre Gruppe Silbersee entführten das Publikum in ihrer performativen Installation Umva! nach Ruanda. Gegenstand bildet das Leben von Aurélies Grossvater Kanyoni Ladislas, der in Ruanda als Kuhhirte und Naturheiler gelebt und mit 113 Jahren gestorben ist. Durch die Erzählung, die tänzerischen Elemente und das Spiel auf traditionellen afrikanischen Instrumenten sowie der «europäischen» Geige entstand ein faszinierendes afro-europäisches Musiktheater.

Fazit nach drei Jahren

Nach der dritten Durchführung von Sonic Matter kann man beobachten, dass sich das Festival inzwischen zu einem festen Bestandteil der avantgardistischen Musikszene entwickelt hat, den man nicht mehr missen möchte. Die Vielfalt der Präsentationsformen, die ästhetische Breite der Darbietungen und die Mitwirkung von Künstlern aus der halben Welt birgt aber auch die Gefahr einer gewissen Beliebigkeit und führt zudem zu einer Aufspaltung des Publikums in verschiedene Interessengruppen.

Listening Lounge mit aktueller elektroakustischer Musik aus zwanzig Ländern. Foto: Kira Kynd

 

Musikakademie Liechtenstein fokussiert auf ganzheitliche Menschenbildung

Seit gestern hat die Musikakademie Liechtenstein ein neues Erscheinungsbild. Sie präsentierte es auf der Baustelle: Den Campus «Hofstätte Hagenhaus» samt Konzertsaal in Nendeln wird sie voraussichtlich nächsten Herbst beziehen können.

Oberstes Organ der Musikakademie Liechtenstein ist der Stiftungsrat. Auf dem Bild zu sehen sind an der Pressekonferenz vom 30. November im Konzertsaal von links: Jürg Kesselring, Drazen Domjanic (Künstlerischer Leiter), Otmar Hasler (Präsident), Olav Behrens (Vizepräsident), Christina Zeller und oben auf dem Bildschirm der Cellist Kian Soltani, Alumnus und heute Professor der Musikakademie Liechtenstein. Foto: SMZ

Der Boden ist noch roher Beton, die Zugangstür ein Provisorium. Gleichwohl fand die Pressekonferenz im zukünftigen Konzertsaal der seit 2010 bestehenden und von Drazen Domjanic geleiteten Musikakademie Liechtenstein statt. Der Saal befindet sich im ehemaligen Tenn der Hofstätte Hagenhaus in Nendeln. Die dortigen Gebäude werden derzeit renoviert und durch einen Neubau ergänzt. Voraussichtlich ab nächsten Herbst wird die Musikakademie dort eine neue Heimat mit vielversprechenden Entwicklungsmöglichkeiten finden.

Im Zuge dieser grossen Veränderung wurde der Auftritt ganz überarbeitet, ebenso das Ausbildungskonzept. Die Musikakademie hat den Anspruch, «eine führende Institution in der internationalen Musikwelt mit fester Verankerung im Fürstentum Liechtenstein» zu sein. Ihr Ausbildungsangebot versteht sie als Ergänzung zu den Bachelor- und Masterausbildungen an Musikhochschulen. Neben der bewährten qualitativ hochstehenden musikalischen Ausbildung junger ausserordentlicher Begabungen aus der ganzen Welt durch international herausragende Lehrpersonen steht die ganzheitliche Menschenbildung im Zentrum. Dazu gehört eine umfassende Karriereplanung, die den Menschen mit all seinen sozialen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Bedürfnissen fördert. Die drei Lehrgänge sprechen unterschiedliche Altersgruppen an: Studierende bis 18 Jahre, über 18-Jährige und solche, die bereits einen Bachelorabschluss haben. Ein grosser Teil der Ausbildung wird durch Stipendien finanziert.

Detaillierte Informationen zum Ausbildungsangebot: https://www.musikakademie.li/

Inspiration – die Interviews

Für meinen Artikel «Mysterium unter der Dusche» (Schweizer Musikzeitung 12/2023) habe ich Musikerinnen und Musiker befragt. Ihre ausführlichen Antworten sind hier in alphabetischer Reihenfolge zu lesen.

 

 

Pfeifend dahinschlendern: Niklaus Keller in Bologna. Foto: zVg

Annakin, Singer/Songwriter

Was bedeutet für dich «Inspiration»? 

Inspiration ist für mich der Geisteszustand, den es braucht, um einen guten Song zu schreiben. Sie ist die Epiphanie, also eine Offenbarung oder ein Geistesblitz, der Einschuss an Endorphin und der Beginn von etwas Spannendem. Sie steht am Anfang und ist wichtig, damit der kreative Prozess fliesst.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?

Ohne Inspiration geht es für mich eigentlich nicht, weil man ohne sie kaum oder nur harzig vorwärtskommt. Und ich glaube auch, dass man es einem Song anhört, weil er dann uninspiriert tönt. Die Inspiration ist für mich also eine unabdingbare Quelle, um kreativ arbeiten zu können und vielleicht auch ein Qualitätssiegel. Ich glaube nicht, dass das Ergebnis das gleiche ist, wenn man uninspiriert hart an etwas Kreativem arbeitet. Denn die Inspiration beseelt meiner Meinung nach das Werk.

Welche Umstände führen bei dir am ehesten zu kreativer Inspiration?

 Ich habe irgendwann gemerkt, dass es Methoden gibt, um die Inspiration anzuzapfen. Oft schreibe ich auf der Suche nach guten Lyrics zum Beispiel einfach meinen inneren Monolog auf. Früher oder später kreisen meine Gedanken dann um etwas, das sich lohnt zu verfolgen oder es entsteht dabei ein Wortspiel, das ich aufnehme. Grundsätzlich findet man aber überall Inspiration, wenn man seine Sinne dafür schärft. Gerade kürzlich habe ich ein Schild, auf dem «Brockenhaus» stand von weitem nicht recht lesen können und meinte, es stehe da «Broken Hans». Ein wunderbarer Titel für einen neuen Song, fand ich.

Möchtest du noch etwas anderes zum Thema «Inspiration» sagen? 

Embrace it while you can! Es ist oft eine flüchtige Liaison mit der Inspiration und harte Arbeit, sie über längere Zeit an der Seite zu behalten.

https://annakin.net

 

Benjamin Amaru, Singer/Songwriter

Was bedeutet für dich «Inspiration»?

Inspiration (in Bezug zur Kunst/Schaffung) ist für mich etwas, auf das ich hinarbeiten möchte. Ich sehe es meistens in Form von anderen Künstlern, welche etwas erreichen was ich erstrebenswert finde. Wichtig ist dabei für mich vor allem, wie sie es erreichen und wie authentisch sie dabei sind, zu sich selbst und zur Aussenwelt. Dabei inbegriffen sind Dinge, welche mich berühren und oder beeindrucken. Sprich, alles, was etwas mit mir macht und womit ich mich identifizieren kann, kann für mich Inspiration sein und zu eben diesem Prozess oder Werdegang, den ich verfolge, dazu gehören.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?

Ich denke man kommt um «harte Arbeit» nicht herum. Jedoch finde ich, dass Inspiration auch im Zentrum harter Arbeit steht. Warum arbeitet man hart? Der Drive dabei ist für mich genauso gelinkt zur Inspiration wie bei allem anderem. Dementsprechend, glaube ich, dass Inspiration im Zentrum jedes Schaffens liegt.

Welche Umstände führen bei dir am ehesten zu kreativer Inspiration und künstlerischen Resultaten?

Bei mir kommt das sehr sporadisch. Es braucht keinen bestimmten Zustand oder eine spezifische Situation, nur den Willen inspiriert zu sein.

https://benjaminamaru.com

 

Daniel Schnyder, Komponist

Was bedeutet für dich «Inspiration»?

 Es bedeutet, dass etwas deinen Geist anregt. Das kann nun von aussen kommen oder von innen. Der Geist, der «inspiriert», also den Menschen besucht, ist überall, aber man kann sich ihm nicht immer gleich öffnen. Er klingelt teils auch zu ungünstigen Momenten an der Künstlertür. Was löst die Inspiration aus? Ein Schaffensumfeld kann inspirierend wirken, andere Menschen, Künstler. Aber auch das Alleinsein kann inspirieren. Wie gesagt, Geist wohnt überall, nur offenbart er sich nicht immer.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?

 Inspiration heisst Energie; ja es braucht Inspiration zum Schaffen, und dann sofort harte konzentrierte Arbeit, sonst ist der Geist gleich wieder weg. Man kann Inspiration nicht «verschieben». Harte Arbeit alleine reicht leider nicht. Man hat dann einfach nicht die Kraft, etwas zu tun. Man versiegt ohne Inspiration. Heute ist die Ablenkung die Gefahr; alles strebt nach dem Energieminimum, das ist Physik, Chemie: d.h.: Kühlschrank, News, Wellness, TV, Social Media. Da marschiert der Geist dann grad wieder zur Tür raus … Wenn es aber gelingt dabei zu bleiben, gibts eben den «Inspirationssog», wo dann gleich ein ganzer Strom von Ideen, Schaffensdrang und Kairos zusammen kommen.

 Welche Umstände führen bei dir am ehesten zu kreativer Inspiration und künstlerischen Resultaten?

Andere Musiker, tolle Konzerte, grossartige Werke der Vergangenheit; aber auch tolle Literatur und andere Kulturen.

Möchtest du noch etwas anderes zum Thema «Inspiration» sagen?

 Ja; ich glaube es gibt einen übergeordneten «Schaffensgeist», der den Menschen auszeichnet und ihm die Möglichkeit gibt, eine Art «Gegenschöpfung» zu entwerfen. Wenn man sich diesem übergeordneten Spiritus anschliessen kann, sich mit ihm verbinden kann, ist man zu Sachen befähigt, die man eigentlich nicht kann. Das meint z. B. Bach, wenn er in den kompliziertesten Teilen seiner Kompositionen JESU JUVA schreibt. Man möchte den Geist dazu bringen, einem zu helfen, den Kairos, den Punkt des Gelingens zu erreichen. Das bedeutet dann Glück.

Das ist auch der einzige Grund, weshalb man das überhaupt tut. Es gibt ja keinen kommerziellen Sinn, eine vierstimmige Spiralfuge zu schreiben. Man kann damit heuer auch nicht mehr bluffen hahaha. Aber wenn’s dann gespielt wird und funktioniert, ist das natürlich toll und ein Glücksmoment. Und Jahre später versteht man dann nimmer, wie das alles so gut zusammen passt und gelingen konnte: Man schafft als Komponist seine eigenen Schöpfungsrätsel, hahaha.

https://www.danielschnyder.com/

 

Emanuela Hutter, Hillbilly Moon Explosion

Was bedeutet für dich «Inspiration»? 

Inspiration ist für mich lebenserhaltend. Wie das Öl im Getriebe.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?

Zum Kreieren von Neuem, nie Dagewesenem, braucht es sehr wohl Inspiration. Für die Umsetzung der Inspiration braucht es die harte Arbeit. Und sehr viel Ausdauer.

 Welche Umstände führen bei dir am ehesten zu kreativer Inspiration und künstlerischen Resultaten?

Dem Lockdown sei Dank durfte ich die Erfahrung machen, dass ich nur zu kreativem Schaffen tauge, wenn ich in sozialer Interaktion mit Menschen bin, und zwar mit Unbekannten. Das Beobachten von fremden Menschen inspiriert mich und regt meine Fantasie an. Zuhause abgeschottet mit der Familie in Harmonie und Geborgenheit rumzulümmeln, ist zwar wunderschön und wirkt entspannend, ist für mich indessen kontraproduktiv. Ich schrieb während des ganzen Lockdowns kein einziges Lied.

Wie schreibt man einen Ohrwurm?

Ohrwürmer können blödsinnig aufdringlich und unangenehm sein. Manchmal fallen sie mich beim Aufwachen an und schwirren ruchlos weiter im Kopf, und wenn ich sie verarbeiten will, sind sie zu schmierig und aufdringlich, als dass etwas Schönes daraus werden kann. In solchen Fällen ist das Vertrauen in die Zusammenarbeit mit einem Mitmusiker oder Produzenten fruchtbar. Eine Zusammenarbeit, die Nichtübereinstimmung und Spannung zulässt und aushält. Auf einen Ohrwurm abzuzielen, finde ich schwierig.

Möchtest Du noch etwas anderes zum Thema «Inspiration» sagen?

Inspiration ist etwas Wundervolles, weil es einem einfach passiert. Wie ein Hauch daherkommt. Ohne sich darum bemühen zu müssen. Es fühlt sich an wie Verlieben. Und kann weder erzwungen noch gekauft werden. Das ist mitunter ein schöner Aspekt.

https://www.hillbillymoon.com/

 

James Varghese, Musiker/Produzent

Was bedeutet für dich «Inspiration»?  

Inspiration ist der Grund, wieso ich kreieren muss. Es ist, als ob ich etwas Wichtiges habe, das ich unbedingt sagen will. Es muss raus. Es ist ein Glücksgefühl, ein «Flash». Wobei Glücksgefühl nicht ganz treffend ist. Man ist dann eher fokussiert, «in the zone». Ich hüpfe nicht vor Freude im Studio herum. Ich werde eher still, demütig und dankbar, dass ich diesen Moment erleben darf. Es fühlt sich dann auch nicht so an, als hätte ICH etwas getan oder kreiert. Es ist ein spirituelles Erlebnis und man selber fühlt sich dann nicht als Akteur, eher als Medium.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?  

Wenn ich nur kreieren würde, wenn ich inspiriert bin, würde nie ein Song fertiggestellt werden. Es braucht immer auch den Aspekt der harten, trockenen Arbeit. Aber nur durch harte Arbeit würde ich nie einen Song interessant genug finden, um ihn zu veröffentlichen. Da ich auch nicht steuern kann, wann ich inspiriert bin und wann nicht, muss ich auch ins Studio, wenn ich gerade keine Lust habe. Es gibt viele Bereiche der Musik, an denen ich arbeiten kann, auch wenn ich uninspiriert bin.

Welche Umstände führen bei dir am ehesten zu kreativer Inspiration?  

Wenn ich das nur wüsste! Musik hören kann zu Inspiration führen und umgekehrt auch die Stille. Da ich in der Stadt wohne, sind Ausflüge in die Natur immer sehr inspirierend. Vielleicht geht es einfach um den Szenenwechsel. Besuche in anderen Städten lösen auch immer sehr viel aus. Es fühlt sich manchmal an, wie eine Batterie, die aufgeladen wird.

Wie ist die Idee einer Zusammenarbeit mit Simone Felber in der Bergbahn zustande gekommen? Hat die dadurch «erzwungene» Inspiration deine kreative Arbeit in andere Bahnen geführt, als wenn du allein bist?  

Die Zusammenarbeit wurde von der Swisscom initiiert. Sie haben ein Online-Format erschaffen, welches X-Stories heisst und Menschen aus unterschiedlichen Welten zusammenbringen soll. In unserem Fall war es Stadt X Land, Elektronische Musik X Volksmusik. Dieses Erzwungene war für mich sehr erfrischend und förderlich, weil ich das ja sonst nicht so oft habe. Ich «musste» etwas abliefern und dieser Druck hat mir gutgetan. Ich denke, immer wenn man raus aus der Comfort Zone muss, passieren spannende Sachen. Wenn ich immer nur Kollaborationen machen würde, dann hätte ich voll Lust, wenn ich plötzlich einen Tag lang allein arbeiten dürfte. Aber weil ich so oft alleine tüftle, war der Austausch sehr wertvoll und bereichernd.

Was auch geholfen hat, waren die strengen Deadlines. Ich kann ja sonst ewig an einem Track rumfeilen. Hier noch ein Detail verschieben, dort eine kleine Veränderung vornehmen, bis es «perfekt» ist. Und perfekt ist es dann trotzdem nie. Ich musste viel pragmatischer sein und das hat mir geholfen. Wir haben einen guten Mix gefunden zwischen freier Spielzeit, rumtüfteln und Suchen auf der einen und der harten Realität, dass wir 15 Minuten Musik abliefern müssen, auf der anderen Seite. Das klingt jetzt nach Kompromiss und «sich schneller zufriedengeben», so wars aber nicht. Es waren eher einfach längere Arbeitstage und kurze Nächte.

Möchtest du noch etwas anderes zum Thema «Inspiration» sagen?  

Es ist ein Wort, bei dem man alles und nichts sagen kann. Und es kann auch als Totschlagargument gebraucht werden und als Ausrede, weil man es nie be- oder widerlegen kann. Ich könnte immer noch an meinem ersten Song dran sein und mir selber einreden, dass ich einfach noch auf die Inspiration warte und in der Zwischenzeit auf dem Sofa liege und mich durch Social Media scrolle. Wenn man aber diesen «Flash» mal erlebt hat, möchte man das Gefühl am liebsten für immer festhalten. Ich frage mich oft, wie es sich für andere Menschen anfühlt. Und bei welchen Aktionen oder in welchen Momenten Nicht-Musiker diesen empfinden und wie sie das ausdrücken.

https://jamesvarghese.bandcamp.com/album/uijo

https://quietloverecords.com/jamesvarghese

 

Michael Sele, The Beauty of Gemima

Was bedeutet für dich «Inspiration»?

 Es ist dieser Funke, der meine Kreativität entfacht, der Moment, in dem Ideen, Emotionen und Eindrücke zusammenkommen und mich dazu bringen, etwas Neues zu erschaffen.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?

 Die Inspiration steht bestenfalls am Anfang des kreativen Prozesses, der meine Arbeit zum Leben erweckt, aber da man ja nicht nur auf die ganz grosse Eingebung warten kann, habe ich schon auch meine Techniken entwickelt, um meine Kreativität zu fördern. Und hier kommt dann der Aspekt der Arbeit dazu. Diese kann mehr als mühsam, gar frustrierend sein, doch ist sie auch die einzige treue und furchtlose Begleiterin, die während des ganzen Prozesses an meiner Seite ist.

Welche Umstände führen bei dir am ehesten zu kreativer Inspiration und künstlerischen Resultaten?

 Inspiration finde ich in vielen Aspekten des Lebens, denn grundsätzlich ist man ja tagtäglich, um nicht zu sagen pausenlos von Ideen und Eindrücken umgeben. Wichtig ist einfach dabei, dass ich mich auch auf dem Weg befinde, etwas Neues erschaffen zu wollen. Nur dann sind meine Antennen auch aktiv und ich kann Signale empfangen. Auszubrechen aus der täglichen Routine, die Wohlfühlzone zu verlassen, wieder einmal die Nacht zum Tag zu machen, rauszugehen, die warme Stube zu verlassen, Konzerte zu besuchen, ins Theater zu gehen, ins Kino, all dies sind Umstände oder wunderbare Dinge, welche dann die Signale exponentiell verstärken.

Kann man einen Ohrwurm erzwingen?

 Ein Ohrwurm ist ja in der Regel ein eingängiges Lied oder eine Melodie, die immer wieder im Geist auftaucht. Man kann auf jeden Fall versuchen, eingängige Melodien zu komponieren, die das Potenzial haben, bei den Hörern einen Ohrwurm auszulösen. Dies kann durch die Verwendung bestimmter Harmonien, Melodien oder Texte erreicht werden, die leicht im Gedächtnis haften bleiben. Da gibt es ja ganze Lehrbücher, welche die grossen Hits analysiert haben und versucht haben, einen sogenannten Erfolgsschlüssel daraus abzuleiten. Produktionsteams und Plattenfirmen versuchen diese Schemas auch anzuwenden und wenn dieser Song dann noch pausenlos und in Dauerrotation auf allen Kanälen läuft, stehen die Chancen sicher nicht schlecht, dass aus dem Ohrwurm bestenfalls auch noch ein Hit wird.

Möchtest Du noch etwas anderes zum Thema «Inspiration» sagen?

 Inspiration im Sinne von Einatmen bedeutet doch eigentlich nichts anderes als, dass jeder Mensch zum Überleben Inspiration braucht und Inspiration für andere sein kann und muss.

https://www.thebeautyofgemina.com

 

Nik Bärtsch, Musiker/Komponist

Was bedeutet für dich «Inspiration»?

Ein künstlerisches Werk, eine Performance ein Fussballspiel müssen belebt werden – in der Entstehung und während der Ausführung. Regeln, Können und ein fettes Budget alleine reichen nicht. Wir sprechen von «beseelt» wenn ein Ereignis Empathie, Emotion und Gemeinschaft auslöst. Dies geschieht durch den «Atem der Dinge» – den Beteiligten Lebewesen wird Leben eingehaucht. Sie beginnen an das gemeinsame Hier und Jetzt zu glauben.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?

Inspiration ist wie ein japanischer Geist, der ständig in andere Körper wechselt. Sie taucht sowohl aus dem Nichts unter der Dusche auf, wie während harter Arbeit. Erzwingen lässt sie sich also nicht, aber evozieren schon: durch Geduld und Hingabe an die Musik, sozusagen in der künstlerischen Ekstase als Dauerzustand.

Welche Umstände führen bei dir am ehesten zu kreativer Inspiration und künstlerischen Resultaten?

 Work-Flow – egal ob im Stress oder mit viel Zeit und Platz, der Tunnelblick muss also stimmen. Der Komponist Morton Feldman sagt dazu: Um zu komponieren braucht es zwei Sachen – bedingungslose Konzentration und den Glauben daran. Ich würde noch ergänzen: ungeheure Freude an der Musik. So wurde übrigens der FCZ Meister vor Kurzem gegen die überbezahlte und angefettete Konkurrenz: Freude, Fokus, Glaube.

https://www.nikbaertsch.com

 

Niklaus Keller, Komponist

Wärest du dazu bereit, mir ein paar Fragen zum Thema «Inspiration» zu beantworten?

Gerne, denn:

A: Inspiration und Kreation sind die zwei Eckpfeiler meines Lebens. Geist und Schöpfung bestimmen mein Dasein, von der Muse geküsst, komponiere ich meinem Studierzimmer. Keine Ahnung was ich dort mache, der göttliche Funke durchdringt mich und den Federkiel in meiner Hand, die Noten schreiben sich von selber.

B: Vielleicht doch nicht, ich mache Musikstücke und habe wenig Ahnung von den neurologischen Abfolgen im Gehirn. Inspiration und Kreation sind schlussendlich vielleicht nichts anders als elektrische Ladungen und der Mensch kreiert nur Neues, genauso wie er auf einen Berg steigt, nämlich weil der Berg da ist. Er schreibt also Musik, weil er es kann und aus keinem Grund mehr.

Ob A oder B die Musik tönt gleich. Gut, dann können wir jetzt mit dem Interview beginnen, «Herr Keller, vielen Dank für die Einleitung.»

Was bedeutet für dich «Inspiration»?

Inspiration bedeutet für mich, einen Einfall zu haben, ohne aktiv nachzudenken zu müssen, der Spirit dringt hierbei unerwartet ins Bewusstsein und wird wahrgenommen. Dies geschieht in einem Moment der Entspanntheit und Selbstverlorenheit, die beide nicht bewusst herbeizuführen sind, weil  der ganze Vorgang, ich wiederhole mich, unerwartet passiert.

Mir fallen leider nicht schlagartig abendfüllende Sinfonien ein, es sind dies eher kurze Motive und Melodien, die sich mir meistens offenbaren, wenn ich pfeifend dahinschlendere. Wenn mir ein Motiv gefällt, nehme ich es mit meinem Device, dem Mobiltelefon, auf.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?

Inspiration ist für mich nichts Übersinnliches, sie wird vom Menschen respektive seinem Hirn selber generiert, tendenziell unbewusst und entsteht aus dem, was man als Musik in seinem Hirn gespeichert hat und wird ebendort neu zusammengestellt, wenn es denn ein originaler Einfall ist. Wie bereits gesagt, sind es bei mir kurze Melodien, die mir einfallen. Nachher beginnt die harte Arbeit, die sich manchmal lohnt, wenn die Idee gut ist. Die Inspiration ist der Baustein und eine Hilfe, um zu beginnen.

Dass die Inspiration als Einstiegshilfe dient, sieht man auch daran, dass manche Musiker glauben, Inspirationen seien eine direkte Botschaft Gottes. Das Vertrauen auf Gott gibt einem sicher zusätzliche Kraft und legitimiert das eigene Schaffen. Man kann aber auch ohne Inspiration anfangen, denn es gibt auch andere Parameter neben der Inspiration, die eine Rolle spielen, wie zum Beispiel der Drang etwas kreieren zu wollen, welches in sich stimmt, wie ein Designer bei einem formschönen Automobil oder ein Fussballer bei einem schön gestossenen Freistoss oder wie bei Rossini, wenn er was Gutes kocht.

Und ja, es ist Arbeit. Man arbeitet lange, denn es soll nicht nach harter Arbeit, sondern wie aus dem Stegreif gemacht klingen, und es soll auch gut klingen, also sollte man auch handwerklich gewisse Fertigkeiten aufweisen.

Welche Umstände führen bei dir am ehesten zu kreativer Inspiration, und künstlerischen Resultaten?

Da habe ich leider keine Antwort parat. Ich denke nicht einmal Beethoven wüsste eine, denn sogar er hat, wenn ich mich richtig entsinne, im Opernbereich nicht 100%ige Resultate erzielt. Hätte er die Situation richtig einzuschätzen gewusst, hätte er keine Opern geschrieben – oder bessere. Aber eben, Inspiration ist nicht alles, es kommt auch darauf an, dass man sich von seinem eigenen Machen befreit und es quasi von aussen anschaut. Wie es die Beatles beim Liederschreiben gegenseitig füreinander machten. Die Inspiration findet zudem nicht nur am Anfang statt. Auch während der Arbeit hat man wieder neue Ideen, die eine Folge der Initialzündung sind.

https://niklauskeller.bandcamp.com/

 

Romaine Blum, Wintershome

Was bedeutet für dich/euch «Inspiration»? 

 Inspiration ist das, wovon ein Musiker lebt. Es ist der Herzschlag unseres kreativen Daseins. Inspiration ist das, was sich nicht erklären lässt, die Magie, die hinter einem Song steckt, das gewisse Etwas.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?

 Es braucht auf jeden Fall Inspiration. Mit harter Arbeit kann man einiges erreichen, aber ich bin überzeugt, dass es gerade in der Kreativarbeit Eingebungen braucht, die irgendwo herkommen und dich finden. Ich denke nur harte Arbeit bringt keine innere Zufriedenheit, weil eben diese Magie fehlt.

Welche Umstände führen bei dir/euch am ehesten zu kreativer Inspiration und künstlerischen Resultaten?

 Ganz Alltägliches, aber auch die ganz grossen Gefühle. Manchmal schreibt man einen Song über eine Trennung, einen Verlust, eine Geburt eines Kindes oder andere einschneidende Erlebnisse. Aber manchmal reicht nur ein Satz aus einem guten Buch, welcher dich inspiriert, einen Song zu schreiben.

Kann man einen Ohrwurm mit Kalkül erzwingen? Ihr habt ja zum Teil wahnsinnig süffige Refrains …

 Wir glauben nicht, dass man das erzwingen kann. Wir haben das tatsächlich schon paarmal probiert. Sind aber immer wieder an den Punkt gelangt, wo wir nicht mehr weiterkamen oder unzufrieden wurden, und genau da kommt die Inspiration ins Spiel. Am besten klappts, wenn man offen dafür ist, und keine Erwartungen hat, und dann fliesst es einfach plötzlich.

https://www.wintershome.ch/

Ausgabe 12/2023 – Focus «Geschenk»

Inhaltsverzeichnis

Focus

Begabung ist ein Geschenk, ihre Entfaltung ein Glück
Interview mit Michael Eidenbenz

Musik schenken zum Fest
Musikalische Gaben jenseits von CDs und Vinyl

Musikalische Widmungen
Eine kleine Sammlung

Mysterium unter der Dusche
Das Geschenk der Inspiration
Link zu den ausführlichen Interviews online

 (kursiv = Zusammenfassung in Deutsch des französischen Originalartikels)

 

Critiques

Rezensionen von Tonträgern, Büchern, Noten

 

Echo

Maria Schmidt und Theodor Kirchner
Zum Geburtstag des Komponisten die Erstveröffentlichung eines Porträts seiner Frau

Rachmaninow in Luzern
Ausstellung im Luzerner Hans-Erni-Museum

« La partition permet de me connecter aux autres »
Entretien avec David Philip Hefti

Chronist der Nachkriegsmoderne
Nachruf auf Fritz Muggler

Verlorenheiten und Ausbrüche
Donaueschinger Musiktage 2023

Stabwechsel bei den «Talentscouts»
Orpheum-Stiftung: Howard Griffiths übergibt an Oliver Schnyder

Radio Francesco
Spectres | Geister

Le réveil de musiques endormies
Des cahiers d’anciens airs à danser viennent d’être publiés

Volksmusik in Graubünden
Ausstellung «Grenzenlos lüpfig» im Rätischen Museum in Chur

Wer sich wohlfühlt, bleibt motiviert
Symposium Swissmedmusica

«360-Grad-Panorama der musikalischen Bildung»
Aktualisiertes Berufsleitbild Musikpädagogik

Chatten über …
Musikinstrumente als Geschenk

Bach, lo Stato e Spotify: Carte blanche
per Zeno Gabaglio


Basis

Artikel und Nachrichten aus den Musikverbänden

Eidgenössischer Orchesterverband (EOV) / Société Fédérale des Orchestres (SFO)

Konferenz Musikhochschulen Schweiz (KMHS) / Conférence des Hautes Ecoles de Musique Suisse (CHEMS)

Kalaidos Musikhochschule / Kalaidos Haute École de Musique

Schweizer Musikrat (SMR) / Conseil Suisse de la Musique (CSM)

CHorama

Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) / Association suisse de Médecine de la Musique (SMM)

Schweizerische Musikforschende Gesellschaft (SMG) / Société Suisse de Musicologie (SSM)

Schweizerischer Musikerverband (SMV) / Union Suisse des Artistes Musiciens (USDAM)

Schweizerischer Musikpädagogischer Verband (SMPV) / Société Suisse de Pédagogie Musicale (SSPM)

SONART – Musikschaffende Schweiz

Stiftung Schweizerischer Jugendmusikwettbewerb (SJMW)

Arosa Kultur

SUISA – Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik

Verband Musikschulen Schweiz (VMS) / Association Suisse des Écoles de Musique (ASEM)

 

Heimliche Organspende
Rätsel von Michael Kube

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Ausgabe für CHF 8.- (+ CHF 2.- Versandkosten) bestellen

«360-Grad-Panorama der musikalischen Bildung»

Do-re-mi im stillen Kämmerlein – ist es das, was eine Musikpädagogin, ein Musikpädagoge im Alltag tut? Seit Juni 2021 nahm eine breit abgestützte Arbeitsgruppe unter der Leitung des Verbands Musikschulen Schweiz den Beruf unter die Lupe und entwickelte ein zeitgemässes Berufsleitbild.

Symbolbild. Foto: fransz/depositphotos.com

Der berufliche Weg zum Musikpädagogen, zur Musikpädagogin ist klar vorgegeben. Nach der bestandenen Aufnahmeprüfung an einer Hochschule absolvieren Studierende einen Bachelor- und einen Masterstudiengang, letzteren mit Fokus auf Musikpädagogik und Fachdidaktik. Daraufhin unterrichten sie selbständig oder an Musikschulen, oft in Teilzeit, damit genug Raum bleibt für die eigene künstlerische Arbeit. – Eine knappe Zusammenfassung, die dem Strauss an Möglichkeiten, die sich nach erfolgreichem Abschluss bieten, nicht ganz gerecht wird. Denn was bedeutet das: Musik unterrichten? Ist es der Einzelunterricht am Instrument für Kinder im Schulalter? Ist es die Leitung eines Angebots im Bereich Musik und Bewegung? Die Leitung des Eltern-Kind-Singens, des Ensembles für Senioren, des Jugendorchesters, von Bands aller Stilrichtungen? Der Unterricht im Teamteaching mit Lehrpersonen der Volksschule? Die Organisation und Leitung von Musicals und Konzerten? Der Aufbau eines Angebots für Music Producing am Smartphone oder am Computer?

Berufsverständnis vereinheitlichen

Im November 2023 veröffentlichte die Arbeitsgruppe, bestehend aus Mitgliedern verschiedener Verbände sowie Vertreterinnen und Vertretern von Hochschulen und Musikschulen aus der ganzen Schweiz, das Berufsleitbild Musikpädagog*in. Das Dokument soll sowohl Musikstudierenden und Musikhochschulen wie auch Bildungsverantwortlichen, Politikerinnen und Politikern als Grundlage dienen. Es ist als Aktualisierung des 2006 entwickelten Leitbilds zu verstehen und gibt in vier Kapiteln Einblick in Themen wie den Bildungsauftrag, die Aus- und Weiterbildung sowie das musikalische Lehren und Lernen an sich.

Der Schüler, die Schülerin im Zentrum

Besonders wichtig ist der Arbeitsgruppe der Grundwert der «Schüler*innenzentriertheit»: Musiklehrpersonen sollen sich ganz auf ihr Gegenüber ausrichten. Dazu gehört zum Beispiel die Berücksichtigung unterschiedlicher Biografien, aber auch des individuellen Erfahrungsschatzes der Schülerinnen und Schüler. Von den Lehrpersonen erfordert dies eine inklusive Haltung und die Sensibilität für vielfältige Bedürfnisse und spezielle Lernprofile. Diese Haltung, gerade unter Einbezug der körperlichen Dimension, ist vor allem im Bereich Musik und Bewegung zentral, wie Céline Shuler, Leiterin der Geschäftsstelle Rhythmik Schweiz, betont.

Breiten- und Talentförderung – Musik für alle

Ein weiterer zentraler Punkt im Berufsleitbild besagt, dass Musikpädagoginnen und -pädagogen Botschafter der musikalischen Bildung sind und sich für Chancengerechtigkeit einsetzen. «Musikpädagogen und -pädagoginnen führen ihre Schülerinnen und Schüler zum aktiven Musizieren sowohl in der Breite als auch in der Spitze», meint dazu Marcel Blanchard, Prorektor Musikschule Konservatorium Zürich. Auch Matteo Piazza, Präsident der Tessiner Musikschulvereinigung FeSMuT (Federazione delle Scuole di Musica Ticinesi), unterstreicht die Bedeutung der Chancengerechtigkeit in der musikalischen Bildung, die im Artikel 67a der Bundesverfassung ja gesetzlich verankert ist.

Weiterentwickeln, weiterdenken

Das Konzept des lebenslangen Lernens kommt auch in der Musikpädagogik zum Tragen. Dieses Lernen könne sich vielfältig gestalten, besagt das Leitbild. Genannt werden Gefässe wie Coaching oder Teamteaching genauso wie die Teilnahme an Weiterbildungsprogrammen sowohl im pädagogischen wie auch im künstlerischen Bereich.

Öffentliches Bewusstsein fördern

Kreativ seien Musiklehrpersonen, musikalische Vorbilder, motivierend, kompetent in Organisation und Projektmanagement und doch, wo nötig, spontan, interessiert an aktuellen Entwicklungen und fähig zur Zusammenarbeit in verschiedenen Teams. Das sind hohe Anforderungen. – Gibt es solche Musikpädagoginnen und -pädagogen? «Oh ja, vieles ist nicht neu und wird bereits so gelebt», sagt Christian Braun, Leiter der Musikschule St. Gallen. «Leider sind viele Facetten dieses tollen Berufs in der Öffentlichkeit noch nicht bekannt», ergänzt Philippe Müller, Leiter des Cercle Lémanique d’Études Musicales in Lutry. Julien Feltin, Leiter der École de Jazz et de Musique Actuelle in Lausanne, bezeichnet das Dokument als ein «360-Grad-Panorama der musikalischen Bildung in der Schweiz». Für die Arbeitsgruppe ist klar: Das Berufsleitbild soll inspirieren und als Grundlage für Reflexion und Weiterentwicklung dienen. Gleichzeitig soll es aufzeigen, worin das Potenzial der musikalischen Bildung liegt – mit dem Ziel, das Angebot in der ganzen Schweiz strukturell und politisch weiter zu verankern.

 

Das Berufsleitbild liegt in
Deutsch https://www.verband-musikschulen.ch/de/musikschule/musikpaedagogik/berufsleitbild
Französisch https://www.verband-musikschulen.ch/fr/musikschule/musikpaedagogik/berufsleitbild
und Italienisch https://www.verband-musikschulen.ch/it/musikschule/musikpaedagogik/berufsleitbild
vor.

Schweizer Chorleitungspreis Swiss Made 2024

Die Basler Madrigalisten schreiben zusammen mit weiteren Partnern erstmals einen Preis für Chorleitung aus. Der Wettbewerb ist verbunden mit einer Masterclass.

 

Die Basler Madrigalisten unter der Leitung von Raphael Immoos (vorne Mitte). Foto: Christoph Läser

Bewerbungsaufruf an junge Chorleiterinnen und Chorleiter mit Wohn- und Arbeitsort in der Schweiz

Die Basler Madrigalisten schreiben in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Lyceum Club der Schweiz, Schweizer Chorverbänden und dem Medienpartner Schweizer Radio SRF2 Kultur erstmals den «Schweizer Chorleitungspreis Swiss Made» aus. Dieser Preis soll junge, talentierte Chorleiterinnen und Chorleiter fördern und ist der erste seiner Art in der Schweiz.

Der Gewinner resp. die Gewinnerin erhält die einzigartige Gelegenheit, im Folgejahr gemeinsam mit den Basler Madrigalisten, dem renommierten Kammerchor professionell ausgebildeter Sängerinnen und Sänger, ein Konzertprogramm zu entwickeln und aufzuführen. Die Zusammenarbeit ermöglicht praktische Erfahrungen in Probentechnik, Projekt- und Konzertorganisation.

Masterclass mit Wettbewerb: 15. bis 17. Februar 2024, Musik-Akademie der Stadt Basel

Hast du ein Berufsdiplom in Chorleitung und lebst und arbeitest in der Schweiz? Dann bewirb dich jetzt! Die Vorauswahl ermöglicht dir:

  • 4 Dirigate à 30 Minuten mit den Basler Madrigalisten, inklusive Generalprobe und Wettbewerbskonzert.
  • Ein individuelles Coaching während der Masterclass mit Raphael Immoos, dem künstlerischen Leiter der Basler Madrigalisten.
  • Die Teilnahme am 1. Schweizer Chorleitungswettbewerb Swiss Made mit der Chance, ein eigenes Projekt mit den Basler Madrigalisten zu gewinnen.

Bewerbungsfrist: 17. Dezember 2023

Programmdetails und Anmeldeformalitäten findest du auf unserer Website www.basler-madrigalisten.ch. Jetzt anmelden und mitmachen!

Fortuna zu Gast im ausverkauften Stadtcasino

Am Samstag, 11. November, brachte der junge Basler Verein vokal:orgel Carl Orffs «Carmina Burana» auf die Bühne des Stadtcasinos. Mit über 200 jungen Stimmen, Orgel, Perkussionsensemble und einer äusserst lebendigen Inszenierung.

Alle Bilder: Fotoman

Jede und jeder kennt es, das hochdramatische O Fortuna – in zahllosen Werbespots verwertet, und damit von seinem ursprünglichen Kontext mittlerweile weitgehend losgelöst. Eigentlich bildet das Stück den Rahmen von Carl Orffs Carmina Burana, einer szenischen Kantate über die Launenhaftigkeit und die Ambivalenzen der menschlichen Existenz. Orff vertonte dafür 24 der insgesamt 254 Dichtungen der mittelalterlichen Handschrift Codex Buranus, entstanden im 11. und 12. Jahrhundert.

Dieses heute weltbekannte Werk erklang am Samstag, 11. November in ganzer Fülle im Stadtcasino Basel. Hauptverantwortlich dafür waren Organistin Babette Mondry und Chorleiter Tobias Stückelberger, die 2022 den Verein vokal:orgel ins Leben gerufen haben und mit diesem regelmässig neue Formate für Chor und Orgel präsentieren.

Neu war bei der Aufführung von Carmina Burana schon der Anfang: Sie begann nicht mit O Fortuna, sondern mit einer Art Prolog – Hanna Marti, Spezialistin für Mittelalter-Musik, sang das ebenfalls aus dem Codex Buranus stammende Vacillantis trutine und begleitete sich dabei selbst auf der Harfe. Nach einer Überleitung folgte dann das Werk Orffs in seiner ursprünglichen Struktur. Neu war die Instrumentierung: Mondry imitierte an der vielseitigen Stadtcasino-Orgel die meisten Instrumente, dazu spielte das Perkussionsensemble der Hochschule für Musik FHNW unter der Leitung von Matthias Würsch. Es war das erste Mal, dass eine Orgel-Fassung der Carmina Burana zu hören war – adaptiert wurde sie von Mondry selbst, die extra für dieses Projekt die Verlagsrechte des Werks einholte.

Szenische Elemente

Der Chor bestand aus über 200 bunt gekleideten jungen Sängerinnen und Sängern, zusammengesetzt aus dem Jungen Kammerchor Basel und Chören der Gymnasien Bäumlihof, Kirschgarten, Muttenz und Oberwil. Die Solo-Stimmen waren mit Sopranistin Jardena Flückiger, Bariton Yannick Debus und Countertenor Julian Schmidlin besetzt. Speziell waren auch die zahlreichen szenischen Elemente vom Chor und den Solo-Stimmen, die das Werk zwar eigentlich vorsieht, die heute aber nur noch selten umgesetzt werden.

Carmina Burana handelt – in Szenen auf dem Feld, in der Schenke oder im Hof der Liebe – vom Auf-und-Ab des Lebens, von den wechselnden Stimmungen und Launen der (menschlichen) Natur, symbolisiert vom sich immer weiterdrehenden Rad der Fortuna. Die Aufführung im Stadtcasino unter der Leitung von Tobias Stückelberger überzeugte auf ganzer Linie, denn sie schaffte es erstens gekonnt, zwischen dörflich-naivem und apokalyptischem Klang hin- und her zu wechseln. Zweitens waren die Inszenierung der Schweizer Regisseurin Mélanie Huber sowie die Musik voller Leben – wie es sein sollte, bei einem Werk über die Ambivalenzen der menschlichen Existenz. Das ausverkaufte Stadtcasino würdigte den Auftritt mit Standing Ovations.

Wer sich wohlfühlt, bleibt motiviert

Unter dem Titel «Are you motivated?» fand am Samstag, 11. November 2023, in Freiburg das diesjährige Symposium von Swissmedmusica statt.

Zur Eröffnung spielten Justine Pittet (Violine), Nino Overney (Viola) und Edgar Dupré (Cello) vom Conservatoire Fribourg Ernst von Dohnányis Streichtrio op. 10. Foto: zVg

Prävention im Musikunterricht sei lange ein Tabuthema gewesen, sagte Pia Bucher, Gründungsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Musikmedizin, heute Swissmedmusica SMM, in ihrem Grusswort der Schweizerischen Interpretenstiftung SIS. Niemand habe zugeben wollen, dass es einem im Musikerberuf nicht immer gut gehe. Besonders durch die Pandemie habe sich das aber geändert. Auch soziale Sicherheit trage viel zur psychischen und physischen Gesundheit bei. Deshalb riet sie den Anwesenden, das Vorsorgeportal für Kulturschaffende sein-oder-nichtsein.ch zu besuchen und sich über die Möglichkeiten zu informieren.

Selbstbestimmtes Musizieren

Durch die ersten drei Referate zog sich als roter Faden die Forderung nach Individualität: Anke Grell erinnerte daran, dass Musikunterricht für Kinder und Jugendliche oft die einzige 1:1-Zeit mit einer erwachsenen Person ausserhalb der Familie sei. Welche Verantwortung sich daraus für eine Musiklehrperson ergibt, versteht sich von selbst. Durch spielerischen und individuell angepassten Unterricht lässt sich die Motivation zum Musizieren und auch zum Üben erhalten. Die Lernenden werden dazu angeleitet herauszufinden, mit wie viel Aufwand sie ihre Ziele erreichen, und sie sollen ihrer Ausbildungsstufe gemäss selbst Verantwortung für ihr Üben übernehmen dürfen. So entsteht eine intrinsische Motivation, die nachhaltiger ist, als eine vom familiären Umfeld oder von überambitionierten Lehrkräften aufgezwungene.

Oliver Margulies schreckte auf mit der Aussage, dass drei Viertel aller Berufsmusiker und -musikerinnen berufsbedingte gesundheitliche Beschwerden haben. Verkrampfungen, Fehlhaltungen und einseitige Belastungen führen oft dazu, dass schon jugendliche Musizierende an Schmerzen leiden. Es ist deshalb wichtig, dass Musikstudierende an den Hochschulen individuell musikphysiologisch unterstützt werden. Wer sich beim Musizieren wohlfühlt, bleibt motiviert, und wer zukünftig musikpädagogisch tätig sein wird, kann mit dem notwendigen musikphysiologischen Wissen bei seinen Schülerinnen und Schülern viel Positives bewirken.

Carine Tripet Lièvre hielt ein flammendes Plädoyer dafür, Musiklernende bei allfälligen Misserfolgen individuell zu begleiten. Sie beschrieb Motivation als Motor, der statt mit Benzin mit Engagement und Anstrengung genährt werde. Lernende erkennen, welche Anstrengungen zu Erfolgen führen. Bleibt diese Belohnung aus, muss die Lehrperson den stockenden Motor wieder zum Laufen zu bringen, indem sie eine Aufgabe stellt, die unmittelbar, z. B. innerhalb der nächsten Unterrichtsstunde, gelöst werden kann.

Der erlernten Auftrittsangst kann man laut Antonia Pfeiffer mit positiven Affirmationen entgegentreten, und man kann sie «wegklopfen»: PEP nennt sich die Methode, bei der man auf Akkupunkturpunkte klopft, während man sich mental in eine angsterregende oder stresserzeugende Situation begibt.

Emotionales Engagement bringt Interaktion

Wie nach jedem Referat versuchte Moderatorin Isabelle Freymond zu diesem Zeitpunkt, die Zuhörenden zu Fragen zu motivieren. «Könnte es am fehlenden Praxisbezug liegen, dass die Fragen ausbleiben?», fragte jemand. – Die behandelten Themen hatten alle einen Praxisbezug und in den Referaten wurde viel Wissen vermittelt. Etwas ermüdend war aber, dass die Referierenden primär ihre Powerpoint-Präsentationen vorlasen. Einzelne interaktive Elemente hätten wohl zusätzlich motiviert.

Der ideale Zeitpunkt also für das Referat von Christian Studler: Er erzählte aus der Praxis als Musiker und als Professor für Querflöte. «Ängste fühlen sich in der Musikerseele zu Hause», meinte er und fand es erschreckend, dass an der HKB ganze Klassen vor jedem Auftritt Betablocker schluckten. Sein Mittel gegen das Anerziehen von Auftrittsängsten ist eine Feedback-Kultur, in der sich die Studierenden so akzeptiert fühlen, wie sie sind. Nicht der Zwang zur Leistung und der Kampf gegen Fehler darf im Vordergrund stehen. Vielmehr soll die Kritik aufzeigen, was alles schon da ist und was gut ist und wie man darauf aufbauen kann.

Christian Studler. Foto: zVg

Man glaubte ihm, dass er während seiner Lehrtätigkeit Menschen ausgebildet hat, und keine Musikmaschinen. Interessanterweise löste sein Referat eine Flut von Fragen aus. Das war ein Schaustück, wie echtes Engagement und Emotionalität zu motivieren vermögen!

Das übrigens zweisprachige und simultan übersetzte 19. SMM-Symposium war von Präsident Wolfgang Böhler und seinem Team perfekt organisiert. In den Pausen und beim anschliessenden Apéro blieb Zeit für angeregte Diskussionen mit Kollegen und Kolleginnen aus den Sparten Musik, Musikpädagogik, Medizin, Psychologie und Therapie, und an der Tischmesse konnte man sich über neue Unterrichtsmethoden, unterstützendes Instrumentenzubehör und Präventionsmethoden informieren. Prävention steht denn auch seit dem Namenswechsel zu Swissmedmusica im Zentrum der Organisation.

Das alles motiviert, nächstes Jahr das Jubiläums-Symposium zu besuchen!

Neues Förderangebot für den Big-Band-Nachwuchs

Auf Anregung von Joe Haider wurde diesen Herbst der Verein «Joeʼs Youth Jazz Orchestra.ch» gegründet. Zentral ist die Förderung des Zusammenspiels im Jazzorchester.

Joe Haider ist der Initiant des neu gegründeten Joe’s Youth Jazz Orchestra. Foto: zVg

Joeʼs Youth Jazz Orchestra.ch fokussiert laut der aktuellen Ausschreibung auf die Auseinandersetzung mit originalem Big-Band-Material. Die Musikerinnen und Musiker im Alter von 16 bis 22 Jahren setzen sich mit Jazzliteratur und Komposition auseinander. Das Zusammenspiel in der Big Band wird ebenso gefördert wie solistische Improvisationen.

Neben Joe Haider, Pianist, Komponist, Bandleader und langjähriger Direktor der Berner Swiss Jazz School, engagieren sich in der Projektleitung Claus Reichstaller, Leiter des Jazz Instituts an der Münchner Hochschule für Musik und Theater, sowie der Trompeter Bernhard Schoch, Uster. Während der Arbeitsphase vom 2. bis 10. August in Uster werden sie von einem grossen Dozententeam unterstützt.

Weitere Konzerte in der Schweiz und im nahen Ausland sind geplant. Für die Vorspiele im März können sich in der Schweiz wohnhafte Jugendliche bis am 31. Januar 2024 anmelden.

joesyouthjazzorchestra.ch

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