Das rätoromanische Volksliedgut

Ein Band mit bisher unveröffentlichten Liedern, Balladen und Gesängen, begleitet von historischen Fotos und Dokumenten.

Foto: PeeF/pixelio.de

Bereits von 1912–1915 nahm der Engadiner Peider Lansel mit einem Phonographen, den er eigens in Amerika bestellt hatte, ladinische Volkslieder auf. Von 1896–1919 publizierte Caspar Decurtins unter dem Titel Rätoromanische Chresthomathie 13 Bände mit zahlreichen Liedtexten aus Graubünden. 1930 beauftragte die Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde verschiedene Forscher, unter ihnen den Soldatensänger und Volksliedsammler Hanns in der Gand und den Lehrer und späteren Ethnomusikologen Alfons Maissen, mit einer Liederhebung in ganz Romanischbünden. In Zusammenarbeit mit Werner Wehrli hat Alfons Maissen 1945 zwar die Consolaziun dell‘ olma devoziusa (Trost der andächtigen Seele), geistliche Lieder, veröffentlicht, aber Hunderte von weltlichen Liedern, Ton- und Fotoaufnahmen sowie Notenmanuskripte, lagen während mehr als 70 Jahren weitgehend brach.

Eine erfreuliche Ausnahme macht ein Büchlein mit 60 Liedern aus Bergün, Müstair und Tschlin, die Gian Gianett Cloetta 1958 unter dem Titel Chanzunettas populeras rumauntschas im originalen Idiom und auf Deutsch herausgegeben hat, während das vielfältige Heft Rätoromanische Volkslieder aus mündlicher Tradition von 2011 an Wert einbüsst, weil die zwar ausgezeichneten Kommentare von Iso Albin und Cristian Collenberger nicht mit den Tracks der beiliegenden CD übereinstimmen.

Von 2006–2009 bereitete der Churer Kantonsschullehrer und Musiker Iso Albin 1500 Dokumente der Sammlung Maissen für die digitale Nutzung auf. Sie sind seit 2011 über die Online-Plattform der Schweizer Nationalphonothek zugänglich: eine einzigartige Sammlung von Gehörsnotationen, Aufnahmen auf Pilaphonplatten (Schallfolien) und Magnettonbändern, Notizen, Korrespondenzen, Fotos und Biografien der Sängerinnen und Sänger aus den frühen 1930er-Jahren (Links s. unten); Material, das für das historische Verständnis der Alltagswelt im Alpenraum von hohem Wert ist.

Wer sich Volkslieder nach wie vor lieber in einem Buch gedruckt und von einem Tonträger akustisch zu Gemüte führt, darf zum gelungenen, reich bebilderten und mit einer CD ergänzten Band aus dem Somedia-Verlag greifen. Die 40 bisher unveröffentlichten, aus den 1500 Tonaufnahmen und Notationen sorgfältig ausgewählten und kommentierten Liedtranskriptionen erlauben es in Übersetzungen auch jenen, die in den romanischen Idiomen nicht bewandert sind, historische Gesänge und Balladen von Liebes- und Brauchtumsliedern zu unterscheiden. Unter ihnen gelten die «Mintinadas», die der Braut am Abend vor der Hochzeit gesungen werden, wie z. B. E pitigot al mitger bab (Nr. 27, Track 15) als Spezialität der Volkskultur in Graubünden.

Den Katalog von Iso Albin leiten Begleitaufsätze von Karoline Oehme-Jüngling (Zur Idee des Volkslieds), Dieter Ringli (Zur alltäglichen Praxis des Singens) und, besonders aufschlussreich, der Artikel von Cristian Collenberg (Zur Sammlung von rätoromanischen Volksliedern in Zeiten der kulturellen Selbstfindung) ein.

Die liebevoll gestaltete und besonders in den ganzseitigen Foto-, Noten- und Textseiten aussagekräftige Neuerscheinung ist für das kulturelle Gedächtnis der Rumantschia und damit für die ganze Schweiz kostbar und leistet einen Beitrag zum immateriellen Kulturerbe, für den man den Sängerinnen und Sängern, den Feldforschern und den Herausgebern nur dankbar sein kann.

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Die Sammlung Maisen. Ein Querschnitt durch das rätoromanische Volksliedgut, 272 Seiten mit Illustrationen, Notenbeispielen und CD, Fr. 56.00, Edition Terra Grischuna, Somedia-Verlag, Chur 2014, ISBN 978-3-7298-1190-4

Katalog Maissen der Schweizer Nationalphonothek

Die Lieder der Consolaziuns dell‘ olma devoziusa
(mit Sängerbiografien)

Klingende Vergänglichkeit

Wie hat es die Musik mit Abschied, Trauer und Trost? Eine Erkundung über mehrere Jahrhunderte von Peter Gülke.

Foto: Joerg Trampert/pixelio.de

Wo Sie auch aufschlagen in den 54 kurzen Kapiteln von Musik und Abschied, machen Sie auf Schritt und Tritt Entdeckungen, die verblüffen, erhellen, das eigene Wissen bestätigen oder allenfalls auch zu Widerspruch reizen. Kein bequemes Thema, denn mit dem Abschied in der Musik ist vor allem der Tod gemeint – und der ist in den unterschiedlichsten Werken der Musikgeschichte präsent. Peter Gülke, der als Dirigent, Musikwissenschaftler und Lehrer in zahlreichen Publikationen Werke als Ganzes kommentiert hat, überblickt die Entwicklung vom Mittelalter bis in die Gegenwart auch in dieser speziellen Perspektive, holt die Beispiele so souverän heran und deutet sie so klar, oft auch mit Querverweisen zu literarischen Werken, dass man sofort darauf brennt, die Passagen erklingen zu lassen. Dazu sind allerdings in vielen Fällen die Partituren oder die Klavierauszüge (auch Chorpartituren) unerlässlich.

Damit wird offensichtlich, dass sich die Texte eher an «Eingeweihte» richten, denn oft sind es harmonische Entwicklungen oder nicht offen daliegende motivische Verbindungen, welche den Schlüssel zum Verständnis bieten. Eine vertiefte Betrachtung kann im Kapitel «Transzendiertes C-Dur» bei Gluck, Haydn oder Beethoven zur Erhellung beitragen. In «Totengedenken unter Musikern» werden Werke von Du Fay bis Kurtág unter gleichem Aspekt betrachtet oder, noch schonungsloser, im Kapitel «Musik für den eigenen Tod» auch Gesualdo, Froberger und Schostakowitsch.

Mit wenigen Sätzen gelingt es Gülke, etwa bei Schostakowitsch das achte Streichquartett mit seiner ersten und fünften Sinfonie und gleich auch mit dem d-es-c-h-Motiv zu verknüpfen oder mit treffsicherer Titelwahl der Erwartung ironisch vorzugreifen: «Land, das ferne leuchtet – Fahrkarten nach Orplid» oder «Tod mit und ohne Verklärung». Völlig überraschend ist die Parallelsetzung von Ferdinand Hodler und Leoš Janáček im Kapitel 47 mit dem Titel «Sterbeprotokolle», wenn er Hodlers Bilderzyklus der sterbenden Lebensgefährtin Valentine und Janáčeks Sprechmelodie-Notate von Artikulationen der sterbenden Tochter Olga – respektlos, aber nach überstandenem Schock bei der Überprüfung als doch genau zutreffend akzeptiert – als Ergebnisse «kreativer Gefrässigkeit» bezeichnet. Andererseits beschreibt er in diskretester Nachsicht Mahlers letztes Adagio und Skizzen zur zehnten Sinfonie unter dem Aspekt «Parallelismus von Musik und Leben»; die Umschreibung mit der «schaurig-grossartigen Grenzgängerei dieser Musik» verunmöglicht es, darüber hinwegzugehen, ohne die Takte 184 bis 212 des Adagios im Klangbeispiel zu hören..

Gülkes Formulierungen sind anspruchsvoll, seine Ausführungen ist reich an deutschen, lateinischen und französischen Zitaten, seine Vergleiche verlangen viel Allgemeinwissen, und nicht immer gelingt es auf Anhieb, seinen Gedankengängen zu folgen. Aber nur in wenigen Fällen kann man den Eindruck bekommen, die Sprache sei, am Thema gemessen, unnötig komplex. – Adornos Schreibe schimmert noch ab und zu durch: «Im Übrigen bildet die sorgsam aufrechterhaltene Inkohärenz den strukturellen Gegenpol zur nahezu choralhaften Komplexität der ‹Verklärung›, in die der nicht eben moribunde Impetus des Stückes sich rettet.»

Ergreifend direkt und sehr persönlich – in einem Fachbuch über musikalische Abschlussformulierungen völlig ungewöhnlich – sind die (auch drucktechnisch abgesetzten) ausführlichen Betrachtungen zum Tod, die zwischen Kapitelgruppen als «Selbstgespräche I–V» eingelegt werden: gedankenschwere Abschnitte zu Krankheit und Tod seiner Frau, mit der er fast 60 Jahre lang verbunden war; aber nicht nur dies, sondern auch weiterreichende Reflexionen über Gehenlassen und Alleinsein, die sich oft wieder mit der Musik verschränken, so dass die fachtechnisch besprochene Musik beim Weiterlesen näher an das eigene Verständnis vom Tod heranrückt und subkutane Wirkung erzielen kann.

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Peter Gülke, Musik und Abschied, 362 S., mit Notenbsp. und Personen-/Werkregister, € 29.95, Bärenreiter/Metzler, Kassel/Stuttgart 2015, ISBN 978-3-7618-2377-4, auch als E-Book erhältlich

Ein Kontrabass? Verloren?

Ein Bilderbuch, das den Kleinsten bei den ersten Schritten mit dem grossen Instrument begleitet. Man kann es aber auch einfach so erzählen.

Ausschnitt aus dem Buchcover

«Mensch Noah, stell dir bloss vor, mein Kontrabass ist weg», ruft Pauline am Anfang der Geschichte ihrem Freund zu. Da gibt es nur eins, die beiden müssen Paulines Instrument suchen gehen. Dabei erleben die beiden Freunde allerhand musikalische Abenteuer, sie spielen und lösen Aufgaben, immer begleitet von Schnecke, Frosch und Katze. Die drei Tiere sind auf jedem Bild versteckt und erzählen jeweils ihre eigene, witzige Geschichte.

Noah & Pauline auf der Suche nach dem Kontrabass ist ein Musikbilderbuch für die allerkleinsten Kontrabassspielerinnen und ihre Lehrpersonen. Es ist sorgfältig und zeitgemäss illustriert. Auf den Bildern gibt es viele liebevolle Details, die stark an der Erfahrungswelt der Kinder anknüpfen. Das Bilderbuch kann einfach erzählt, es lässt sich aber auch – durch die Lehrperson vermittelt – im Früh- oder etwas späteren Kontrabassunterricht einsetzen. In die Geschichte eingebettet und trotzdem ziemlich zügig wird einiges an Theorie transportiert. Über mehrere Episoden hinweg werden Notenwerte und Rhythmen erklärt. Später kommt das Notensystem ins Spiel, und schon auf Seite 25 gibt es ein erstes Stück, das auf der leeren G-Saite gezupft werden kann. Gegen Schluss treffen die Kinder auf einen Kontrabassspieler, und nun kommt auch der Bogen dazu. Das letzte Stück des Heftes ist denn auch relativ komplex. Es ist mit Bogenstrichen versehen und enthält Pausen. Damit all dies auf nur 39 Seiten möglich ist, muss die Geschichte manchmal Umwege machen.

Meine neunjährige Testperson hat das gar nicht gestört. Sie hat mit Elan Schnecke und Frosch gesucht, Kontrabässe gezeichnet und Rhythmen geklatscht. Sie fand es zudem ganz praktisch, dass sie aus ihrem Kontrabassunterricht schon einige Zeichen kannte, und fühlte sich positiv bestätigt.

Die Geschichte endet mit einer charmanten Pointe: der Kontrabass war die ganze Zeit bei Noah zu Hause. Pauline hatte ihn dort vergessen und Noah traute sich nicht, ihr das zu sagen. Er hatte aus Versehen den Stachel ganz herausgezogen und meinte, der Kontrabass sei kaputt.

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Song Choi und Eva Lotta Stein, Noah & Pauline. Auf der Suche nach dem Kontrabass, ab 4 Jahren, Fr. 24.00, Gilgenreiner, Winterthur 2015, ISMN 979-0-700268-19-0

Ein zeitgerechter Begleiter

Auch das Studium der Musikwissenschaft sieht im digitalen Zeitalter ganz anders aus als früher. Nun gibt es den passenden Studienführer.

 Foto: Snowing/depositphotos.com

Als ich das Studium der Musikwissenschaft antrat, Anfang der Neunzigerjahre, stand uns Studierenden der DTV-Atlas der Musik sowie die Einführungen der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt zur Verfügung. (Ich kann mich noch gut an Feders Musikphilologie und Reidemeisters Historische Aufführungspraxis erinnern.) Ein umfassendes Vademecum zum Einstieg ins Fach kannten wir (noch) nicht. Gerade 1992 veröffentlichte aber Nicole Schwindt-Gross für Bärenreiter eine solche Einführung mit dem Titel Musikwissenschaftliches Arbeiten, die sich über verschiedene Neuauflagen mit mehr als 20 000 verkauften Exemplaren zu einem Bestseller entwickelte. Seitdem sind weitere Bücher mit der Zielsetzung erschienen, einen praktischen Studienbegleiter und ein Nachschlagewerk für angehende Musikwissenschaftler bereitzustellen, beispielsweise der von Kordula Knaus und Andrea Zeder herausgegebene Sammelband Musikwissenschaft studieren (Herbert Utz Verlag, München 2012). Nun legt Bärenreiter einen Nachfolger des Buches von Schwindt-Gross vor.

Erst gegen Ende meiner Studienzeit hörte ich etwas skeptisch von meinem älteren Bruder, dass er fast täglich von einem Nachrichtenprogramm namens «Email» Gebrauch mache. Es sind denn auch primär die tiefgreifenden Veränderungen, die das Internet seit 1992 für die Recherche und das Studium gebracht hat, die ein Nachfolgewerk notwendig machen. So finden sich im Inhaltsverzeichnis in fast jedem Kapitel Abschnitte, die dem Digitalzeitalter gerecht werden: «Wikipedia – geeignet für den ersten Überblick?», «Das Internet als Informationsmedium», «Grundlagen der Onlinerecherche». Die Grenzen und die Vorteile von Wikipedia, Google Books & Co. werden nüchtern, ohne Vorurteile dargestellt. Die aufgeführten Beispiele aus der digitalen Welt sind der aktuellen Forschung entnommen wie z. B. die Software Edirom (www.edirom.de) und das Projekt Opera (www.opera.adwmainz.de) im Kapitel «Digitale und digitalisierte Notenausgaben».

Neben der umfassenden und zeitgemässen Darstellung der digitalen Möglichkeiten wissenschaftlichen Arbeitens, sind auch andere Kapitel erwähnenswert, die von einer altmodischen Fixierung auf die Schriftlichkeit absehen: Abschnitte über Tonträger und audiovisuelle Medien, Bilder, Musikinstrumente, ja Gebäude und Räume als Objekt musikwissenschaftlicher Betrachtung. Willkommen ist auch das Kapitel zum mündlichen Referieren und Vortragen. Etwas zu kurz kommt allerdings die Erörterung der beruflichen Perspektiven eines Studiums der Musikwissenschaft; es wird dafür auf einschlägige Literatur verwiesen.

Der Inhalt wird übersichtlich präsentiert. Kästchen mit grauem Hintergrund heben Tipps und Zusammenfassungen vom Fliesstext ab. Nach jedem Abschnitt folgen hilfreiche Fragen zur Selbstüberprüfung und kurze bibliografische Hinweise. Eine ausführliche Literaturliste und ein Register finden sich dann am Schluss des Buches. Die beiden Autoren Matthew Gardner und Sara Springfeld werden also ihrem Anspruch gerecht, den Studierenden ein praktisches Lehr- und Nachschlagebuch in die Hände zu legen. Für Dozierende wird das Buch aber auch von Nutzen sein: Es hilft nämlich, sich die Ausgangslage der jungen Leute zu vergegenwärtigen, die bereits in der Wiege auf dem www zu surfen gelernt haben.

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Matthew Gardner und Sara Springfeld, Musikwissenschaftliches Arbeiten. Eine Einführung,292 S., € 24.95, Bärenreiter, Kassel 2014, ISBN 978-3-7618-2249-4

Die Säulen des Repertoires

Eine Zusammenstellung der mustergültigen Werke gibt es für die Musik bisher nicht. Theorie und Geschichte solcher Kanonbildungen aber schon.

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Auf der Suche nach den bildungsbürgerlichen Auswüchsen des vor einigen Jahren in Mode gekommenen Begriffs des «Kanons» trifft man relativ rasch auf den Kanon der Literatur von Marcel Reich-Ranicki. Dass sich im Bereich der Musik bisher (glücklicherweise?) weder ein Kritiker noch ein Wissenschaftler gefunden hat, Vergleichbares zu präsentieren, muss freilich nicht unbedingt am Gegenstand oder einem allgemeinen Skrupel liegen. Viel eher fehlt eine lustvoll aneckende, kundige wie charakterstarke Persönlichkeit mit ähnlicher, verlegerisch verwertbarer Medienpräsenz.

Um Theorie und Geschichte eines «Kanons der Musik» (nicht zu verwechseln mit dem Kanon in der Musik) wird man sich freilich mit dem Erscheinen des vorliegenden Handbuchs kaum mehr Sorgen machen müssen. 34 Texte von 35 Autoren decken hier ein sehr breit angelegtes Spektrum ab: von einer Gegenstandsbestimmung über spezifische Repertoirebildungen durch die Jahrhunderte bis hin zu medialen und systematischen Aspekten. Hinzu kommt ein bislang ungedruckt gebliebener Text von Ernst Ludwig Gerber aus dem Jahre 1805: Ueber die Mittel das Andenken an verdiente Tonkünstler auch bey der Nachwelt zu sichern – ein heute noch aufschlussreicher Beitrag, auch (oder gerade) wenn ein darin zitierter Verleger klagt, dass «die Musici keine historischen Werke kauften». Geändert hat sich daran vermutlich wenig. Und gerade darum ist es nötig, dieses Handbuch auf die diversen privaten und öffentlichen Leselisten in Universität und Hochschule zu setzen – auch wenn aus diesem oder jenem Grund nicht alle möglichen Gesichtspunkte berücksichtigt werden konnten und man sich in einigem Abstand eine um aktuelle Beiträge erweiterte Neuauflage vorstellen kann. In diesem Fall aber sollte das «Handbuch» auch wirklich ein solches werden: Mit seinen stolzen 950 Seiten, einem Gesamt-gewicht von 1.716 kg und der glatten Oberfläche des verwendeten Bilderdruckpapiers stellt es weder eine handliche Lektüre dar, noch lässt sich gut damit arbeiten.

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Der Kanon der Musik. Theorie und Geschichte. Ein Handbuch, hg. von Klaus Pietschmann und Melanie Wald-Fuhrmann, 950 S., € 79.00, edition text+kritk, München 2013, ISBN 978-3-86916-106-8

Theatralische Sonate

Von majestätisch bis hüpfend setzt Henry Vieuxtemps die Bratsche in Szene.

Henri Vieuxtemps. Lithografie von Josef Kriehuber, fotografiert von Peter Geymayer, wikimedia commons

Der berühmte belgische Geiger war auch Komponist und Bratscher. 1860 schuf er das
5. Violinkonzert und die Bratschensonate op. 36 und beschloss, letztere noch vor der Veröffentlichung auf seiner Englandtournee uraufzuführen, was ihm viel Lob einbrachte. Erst im November 1862 erschien sie unter dem Titel Sonate für Klavier und Viola oder Cello. Diese Erstausgabe durch Julius Schuberth, Leipzig, ist die einzige Quelle für die hier vorliegende erste, im Vorwort sehr informative Urtextausgabe von Henle; es ist bis jetzt keine Handschrift zu der Sonate aufgetaucht.

Vieuxtemps versteht es ausgezeichnet, die Bratsche in Szene zu setzen. Der erste Satz beginnt und endet mit einer aus majestätischen ganzen Noten bestehenden Melodie. Das dazwischen liegende Allegro ist ein Wechselspiel von Läufen der beiden Instrumente, immer wieder unterbrochen von breiten rhetorischen Einfällen und überleitend zur Anfangsmelodie mit einer kühnen sanften Modulation. Die Barcarolle ist berühmt dank ihrer wechselhaften Szenen – auf den Wellen glitzert und wiegt es. Das Finale scherzando entwickelt sich aus dem leichtfüssigen Hüpfmotiv vom Ende einer eingängigen Melodiefloskel.

Tabea Zimmermann setzt gut liegende Fingersätze, oft verachtet sie zwar die zweite Lage und den vierten Finger und viele Fingerzahlen sind unnötig, weil sie keine Lagenwechsel anzeigen.

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Henry Vieuxtemps, Violasonate B-Dur op. 36, hg. von Peter Jost, Fingersatz der Klavierstimme von Klaus Schilde, mit einer unbezeichneten und einer von Tabea Zimmermann bezeichneten Violastimme, HN 577, € 19.00, G. Henle, München 2014

Moderne Tänze – historisches Muster

In Wolfram Wagners Variationssuite sind die Spieler gefordert, die immanente Mehrstimmigkeit herauszuarbeiten.

Foto: Jakob Ehrhardt/pixelio.de

Die Variationssuite des Komponisten und Flötisten Wolfram Wagner,  geboren 1962 in Wien, enthält eine grosse stilistische Vielfalt, die seine Werke generell auszeichnet. Schon während seiner Londoner Studienzeit entwickelten sich eine deutliche Struktur und Anlehnung an klare Formmuster als Charakteristika seiner Kompositionen, die von Solostücken bis zu Chor- und Bühnenwerken reichen. Der erste Satz Präludium lässt Anklänge an die bachschen Suitensätze, speziell an die Allemande aus der Partita a-Moll BWC 1013 für Soloflöte, spüren. Er beginnt mit einem g, das an den Taktanfängen regelmässig wiederkehrt und von dem dann die harmonischen Entwicklungen ausgehen. So weist der Komponist im Vorwort darauf hin, dass für jeden Spieler die Herausforderung darin bestehe, «die immanente Mehrstimmigkeit, die alle Sätze durchdringt, hörbar zu machen und zudem die Strenge der Form in Emotionalität und Virtuosität des Vortrags aufzulösen».

Mehrstimmige Strukturen zeigen sich auch im folgenden Wiener Walzer, der erst im Schlussteil eine freie präludierende kadenzartige Passage einbaut. Auch der Tango bezieht sich auf das Anfangspräludium ebenso wie der diesem ähnelnde Calypso, der durch chromatische Triolenbewegungen sehr virtuos wird. Im Langsamen Walzer kommen dann erstmals zeitgenössische Spieltechniken wie Flageoletttöne zum Einsatz. Das mit Abstand längste Stücke bildet die Variation fünf, Blues, Rock and Roll (Passacaglia), die eine gelungene Mischung aus modernem rhythmischem Drive und neoklassizistischen Anklängen mit Mehrstimmigkeit und Verzierungen mit Pralltrillern darstellt.

Der Komponist gibt konkrete Anweisungen zur Aufführung: entweder alle Sätze oder die ersten Vier in der originalen Reihenfolge oder nur die Passacaglia. Das erlaubt den Interpretinnen und Interpreten eine grössere Flexibilität bei der Auswahl. Die Variationssuite von Wolfram Wagner ist eine gelungene Ergänzung des Solorepertoires und bereits von fortgeschrittenen Schülern spielbar.

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Wolfram Wagner, Variationssuite für Flöte solo, D 35 023, € 20.95, Doblinger Wien 2014

Verzichtbare und unverzichtbare Werke

Antonín Dvořák hatte möglicherweise gute Gründe, drei seiner Streichquartette zu vernichten.

Dvořák-Statue in einem tschechischen Park. Foto: NoblePiranha/wikimedia commons

Die beiden Streichquartette Nr. 2 (1869?) und Nr. 5 (1873) stehen exemplarisch für das Dilemma der Nachgeborenen in der Frage, welche Werke eines grossen – besonders bereits zu Lebzeiten – respektierten Komponisten als typisch und aufgrund seines Urteils als anerkannt gelten sollen und welche eben nicht.

Über die zerstörerische Selbstkritik von Johannes Brahms und anderen sowie die daraus resultierenden – oft vermeintlichen – grossen Verluste, ist an vielen Stellen gemutmasst und diskutiert worden. Die Vorstellung, dass ein durch zahlreiche Meisterwerke zu Berühmtheit gelangter Komponist einfach immer genial und grossartig gewesen sein müsse, kann man mit Hilfe des gesunden Menschenverstandes nur ablehnen. Selbst Mozart und Beethoven, Garanten scheinbar ewig gültiger Geistesfrüchte mit einem direkten Draht zu göttlicher Inspiration, haben banales, unverbindliches, verzichtbares Notenmaterial produziert, das durchaus allgemeinem Vergessen anheimfallen dürfte, ohne ernstzunehmende Verlustgefühle zu produzieren. Sollte man nicht annehmen dürfen, dass diejenigen, die die besten Kenner ihres eigenen Werkes waren, auch deren absoluten Wert am ehesten beurteilen konnten? Ein Klarinettenquintett von Dvořák, ein Oktett mit Klavier – verloren!! Wir neigen eher dazu, den Verlust zweifelhafter Werke (des Übergangs oder wichtiger Entwicklungsphasen) zu betrauern, als deren Zerstörung durch ihre Schöpfer als notwendigen Reinigungsprozess ihres Gesamtwerkes zu begreifen, durch den die Wertigkeit der übriggebliebenen Werke umso deutlicher wird. Die Neugier verführt uns dazu, nach dem zu suchen, was eigentlich nicht mehr zu erforschen sein sollte.

Dvořáks intensive Auseinandersetzung mit Wagner und Liszt ab 1863 war derart folgenreich, dass er sein eigens Schaffen in den Dienst anderer Geistesgrössen stellte, ohne sich in diesen allzu grossen Schuhen überzeugend bewegen zu können. Drei Quartette (D-Dur, e-Moll, B-Dur) entstanden in dieser Phase der Götzenanbetung, deren Partitur Dvořák später konsequenterweise vernichtete, da er den eingeschlagenen Weg als Irrweg identifiziert hatte. Leider – muss man fast sagen – überlebten Stimmensätze in Privatbesitz, die nun zur Verlegung der Stücke geführt haben, die bei der höchsten Instanz, dem Autor selbst, in Ungnade gefallenen waren. Denn gerade das 50-minütige B-Dur-Quartett mit seinen endlosen thematischen Verflechtungen, seiner halb improvisierten Unfasslichkeit ist ein akustisches Ungetüm und eine Zeitverschwendung ersten Ranges für jeden Interpreten. Als Studienobjekt einer kompositorischen Sackgasse mag es angehen, aber zu mehr taugt es einfach nicht.

Ganz anders das 5. Quartett des aus verblendetem Tiefschlaf erwachten und klarsichtig gewordenen Komponisten. Hier findet Dvořák zu einem individuellen Stil, zurück zu fassbar formalen Leitlinien, einer emotionalen Aussage, Schwung, Verve, Sinnlichkeit. Freilich darf man keines der späteren Meisterstücke an seine Seite stellen, aber freudig das Unbekannte der Partitur im Konzert zum Klingen bringen, sich unvoreingenommen mitreissen lassen und hören, wo die Ursprünge der später unanfechtbaren Meisterschaft wirklich liegen. Dvořák war kein Frühvollendeter, kein Wunderknabe, sondern ein hart arbeitender Musiker, dessen Kampf um den eigenen Ton auch vernachlässigbare Ware produzierte. Das B-Dur-Quartett dürfte weiterhin getrost vor den Augen der Welt verborgen bleiben, das f-Moll-Quartett hingegen gehört öfters auf die Bühne!

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Antonín Dvořák, Streichquartett Nr. 2 B-Dur B 17, hg. von Antonín Pokorný und Karel Šolc, Stimmen, BA 9540, € 24.95; Studienpartitur, TP 540, € 18.95, Bärenreiter, Prag 2014

Antonín Dvořák, Streichquartett Nr. 5 f-Moll op. 9, hg. von Jarmil Burghausen und Anton Cubr Stimmen, BA 9545, € 17.95; Studienpartitur, TP 535, € 16.50, Bärenreiter, Prag 2014

Spätromantische Suite

Charles-Marie Widor hat sich hier für einmal nicht der Orgel, sondern der Flöte gewidmet.

Charles-Marie Widor, Ferruccio Busoni und Isidor Philipp (v.l.). im Restaurant Foyot, Place de l’Odéon, Paris, ca. 1910. Quelle: Bibliothèque nationale de France/wikimedia commons

Der französische Pianist und Organist Charles-Marie Widor (1844–1937) ist vor allem für seine Orgelwerke bekannt, obwohl sein Œuvre auch viel Kammermusik umfasst. Allerdings hatte nur die Suite op. 34 für Flöte und Klavier ähnlichen Erfolg wie die Kompsitionen für Orgel, weil sie möglicherweise eine Lücke an spätromantischen Werken im Flötenrepertoire schliesst.

Eines der bekanntesten Stücke daraus ist der dritte Satz, die «Romance», die etwas an die Drei Romanzen für Flöte und Klavier von Robert Schumann op. 94 erinnert. Dieser Satz ist auch in der Orchestersuite op. 64 enthalten und dort von Widor selbst für Soloflöte und Orchester bearbeitet worden. Der bekannte Flötist Georges Barrère hatte den Komponisten zwar um die Orchestrierung der ganzen Suite gebeten, was dieser jedoch ablehnte, woraufhin Barrère dann das Scherzo selbst orchestrierte und beide Sätze oft mit Orchesterbegleitung aufführte.

Die Komposition ist vermutlich 1885 oder 1886 im Pariser Verlag Hamelle erschienen und wurde dann 1897 in das Programm des Verlags Heugel aufgenommen. Anschliessend wurde das Werk vom Komponisten selbst überarbeitet und im Finale erweitert. Da die handschriftliche Quelle fehlt, bildet die überarbeitete Fassung die Quelle für die Urtextausgabe bei Henle. Sie bereichert die Palette der bisherigen Editionen auch durch ihre Gestaltung, so ist z. B. der Notendruck übersichtlich und gut lesbar, ausserdem mit ausklappbaren Seiten erweitert, um «gutes Blättern zu ermöglichen», wie der Verlag schreibt. Am Schluss der Edition weist der Herausgeber auf Unstimmigkeiten in Phrasierung, Artikulation und Dynamik innerhalb der verschiedenen Fassungen hin. Der Klavierpart wurde von Klaus Schilde mit Fingersätzen versehen.

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Charles-Marie Widor, Suite op. 34 für Flöte und Klavier, Urtext hg. von Ernst-Günter Heinemann, HN 1218, € 16.00, G. Henle, München 2014

Figuren

Gerald Resch lässt in seinem Solostück für Altsaxofon mit zeitgenössischen Spieltechniken Räume entstehen.

Foto: Andrey Burmakin/fotolia.com

Eine figürliche und in höchsten Tönen virtuose Welt eröffnet sich im Solostück des 1975 in Linz geborenen Gerald Resch. «Eines meiner Stücke hat die Satzüberschriften Genauigkeit, Leichtigkeit, Anschaulichkeit, Vielschichtigkeit und Schnelligkeit. Diese Begriffe stecken den Raum ab, in dem sich meine Musik bewegt», so beschreibt der Komponist sein Tun mit eigenen Worten. In Figuren für Altsaxofon, einer Bearbeitung der ursprünglichen Version für Klarinette von Lars Mlekusch und Gerald Resch selbst, werden die Räume mit Signalen, Linien, Rastern und Ebenen gezeichnet.

Die spürbare künstlerische Intuition lässt hier zusätzlich an eine didaktische Umsetzung dieser Komposition denken, allerdings nur im Unterricht mit sehr fortgeschrittenen Schülerinnen und Schülern: Multiphonics, Vierteltöne, Slap-Zunge und Altissimo-Register verlangen ein Niveau, welches die hohe Schule des Saxofonspiels anstrebt.

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Gerald Resch, Figuren, für Altsaxofon, D 05 485, € 12.50, Doblinger, Wien 2013

Lieder, für einmal instrumental

Eine jeweils kleine Werkauswahl grosser Liedkomponisten ist in «Adrian’s Song Albums»für Klarinette gesetzt.

Foto: rosefirerising/flickr commons

In der Sammlung Adrian’s Song Album Series hat Adrian Connell für die deutsche Edition Dohr je fünf bis sechs Lieder von Hugo Wolf, Robert Schumann, Gabriel Fauré, Franz Schubert und Felix Mendelssohn Bartholdy für Klarinette arrangiert. Die Klavierstimme hat der Bearbeiter jeweils original belassen und die Gesangsstimme wurde ebenfalls fast eins zu eins für die Klarinette übernommen. Die Tonarten sind nur ganz vereinzelt angepasst, um unnötig viele Vorzeichen zu vermeiden. Vom Herausgeber ergänzt wurden Metronomangaben sowie teilweise Dynamik und Artikulation in der Gesangs- respektive Klarinettenstimme.

Adrian Connell gibt als Ziel dieser Ausgaben an, «auch Instrumentalisten die Gelegenheit zu geben, sich an diesen Liedern zu erfreuen». Die versammelten Lieder sind mehrheitlich auch im Internet frei zugänglich, die Ausgaben bei Dohr sind jedoch sehr sorgfältig gesetzt und für Klarinettisten bereits komfortabel transponiert. Als Sammlung bieten sie ausserdem die Möglichkeit, sich mit den Liedern dieser grossen Komponisten ohne grossen Aufwand instrumental auseinanderzusetzen und sie auch bei der einen oder anderen Gelegenheit vorzutragen.

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Hugo Wolf, Wolf Song Album I, arranged for Clarinet (Bb) and Piano by Adrian Connell, Partitur und Stimme, E.D. 88554, € 10.80, Verlag Dohr, Köln 2014

Robert Schumann, E.D. 88544, € 9.80

Franz Schubert, E.D. 88534, € 11.80

Gabriel Faure, E.D. 88514, € 10.80

Felix Mendelssohn Bartholdy, E.D. 88504, € 9.80

Sonate agréable …

Viele Einfälle,wenige Schwierigkeiten: Diese Sonate für Violine und Klavier ist ein Vergnügen für die Spielerinnen und Spieler.

Titelblatt der Sonate 43/1, Ausgabe Schott, Mainz o. J. (1812). Quelle: imslp/Petrucci Music Library

Sonate agréable heisst zu Recht eine der über 70 Violinsonaten von Vanhal, weil sie trotz der leichten Spielbarkeit für beide Instrumente viele kostbare Überraschungen bereithält, Violine und Klavier gleichberechtigt Zwiesprache halten lässt und mit ausgereiften Formen überzeugt. Kein Vergleich zu den für die Violine langweiligen Violinsonaten Haydns; sie nähern sich eher dem gesanglichen Stil Schuberts an. Das Heft ist überschrieben mit: «Drei Sonaten», aber es sind darin drei normale Sätze einer Sonate enthalten.

Der Böhme Vanhal war Schüler des gleichaltrigen Carl Ditters von Dittesdorf in Wien und lebte dort selbständig von seinen Kompositionen und vom Unterrichten. Die Titelblätter seiner gedruckten Werke tragen die Namen vieler europäischer Adelsfamilien und beweisen seinen damaligen Bekanntheitsgrad. Das umfassende Werkverzeichnis, 1987 von Paul Bryan erstellt, förderte eine Renaissance der zahlreichen Kammermusikwerke und 77 Sinfonien, letztere denjenigen Haydns ebenbürtig. Zu hoffen ist, dass noch mehr solche Schätze verlegerisch gehoben werden.

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Johann Baptist Vanhal, Drei Sonaten für Violine und Klavier «Sonate agréable» op. 43/2, hg. von John F. und Virginia F. Strauss, DM 1472, € 19,95, Doblinger, Wien 2013

Klaus Hubers Flötenwerke

Diese Porträt-CD mit Einspielungen von Suzanne Huber, Aurèle Nicolet und anderen dokumentiert flötistische Meilensteine im Werk des Komponisten: eine Hommage.

Foto: Harald Rehling

Klaus Huber, der 2013 von der Gema für sein Lebenswerk mit dem deutschen Musikautorenpreis gewürdigt wurde, prägte wichtige zeitgenössische Komponisten wie Younghi Pagh-Paan, Brian Ferneyhough und Wolfgang Rihm, die zu seinen Schülern zählten. In seinem Umfeld gab es auch einige hervorragende Flötisten, die seinen Bezug zur Flöte verstärkten und sein Wissen um die Experimentiermöglichkeiten und klanglichen Raffinessen des Instruments erweiterten, Aurèle Nicolet, Pierre-Yves Artaud und Suzanne Huber etwa.

Die nun erschienene Doppel-CD enthält Einspielungen von Flötenkompositionen, die innerhalb eines grossen Zeitraums von fast vierzig Jahren, zwischen 1961 und 1999, aufgenommen wurden und daher auch historischen Wert haben.

Bereits in den Sechzigerjahren begibt sich Huber in seinem Solostück To ask the flutist, das von Suzanne Huber fantasievoll, lebendig und gleichsam lyrisch interpretiert wird, in instrumentales Neuland mit Multiphonics. Das für Heinz und Ursula Holliger komponierte Trio Sabeth für Altflöte, Englischhorn und Harfe entzieht durch aleatorische Teile dem Hörer die Greifbarkeit und führt, wie es Heinz Holliger formuliert zur, «schwerelosen, ins geheimnisvolle Offene führenden Klangwelt von Sabeth». Auf der CD befindet sich auch ein Livemitschnitt des wohl berühmtesten Flötenstücks von Klaus Huber: Ein Hauch von Unzeit. Dieses beginnt poetisch mit dem Passacaglia-Motiv in der Flöte, das von der Zeit in die Unzeit wandert, in das bald leise Multiphonics und fragile Drittelstöne einfliessen. Die multiple Version Ein Hauch von Unzeit III verwirklicht, wie es Huber bezeichnet, «einen Schwebezustand zwischen Klang und Aleatorik», wodurch der Flötenklang in «fluktuierender Gleichzeitigkeit» mit Oboe, Akkordeon, Sopran und Streichern eine pulsierendere Wirkung entfacht. Reizvolle Raritäten sind auch die Livemitschnitte mit Aurèle Nicolet wie das streng kanonisch komponierte Duo Il pleut des fleurs für zwei Querflöten und das farbig gespielte Trio Oiseaux d`argent, in welchem die drei Flöten sich zwitschernd gegenseitig imitieren. Auf der CD sind auch das anlässlich der Mondlandung 1967 komponierte, gesellschaftskritische Ascensus für Flöte, Violoncello und Klavier sowie weitere kammermusikalische Werke eingespielt.

Die sorgfältige Auswahl der Musikstücke gibt einen Einblick in die stilistisch reichhaltigen Flötenkompositionen eines nach neuen Klängen suchenden Komponisten, die von Suzanne Huber und ihren Kammermusikpartnern klangfarbenreich interpretiert wurden.

Als Fortsetzung der Reihe werden 2015 erstmals die beiden Streichquartette von Klaus Huber, gespielt vom Q3G Drei-Generationen-Quartett mit Egidius Streiff, Daphné Schneider, Mariana Doughty und Walter Grimmer, auf CD erscheinen (SC 1501).

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Streiffzug – Hommage: Klaus Huber, vol. I, Suzanne Huber plays works for flute. www.streiffzug.com

Selige Zuversicht mit Jan Börner

Direkt aus dem barocken Manuskript auf die CD: aufregende Neuentdeckungen für Countertenor und Basso-Continuo-Ensemble.

Jan Börner. Foto:zvg

Wahrlich selten zu hörende Frühkantaten und Geistliche Konzerte des 17. Jahrhunderts aus dem deutschsprachigen Kulturraum hat der junge Solothurner Countertenor Jan Börner mit dem Basler Ensemble Il Profondo eingespielt. Sie haben sich im Mai des letzten Jahres ins ehemalige Kapuzinerkloster Solothurn zurückgezogen, um ihre sorgfältig ausgesuchten barocken Werke einzuspielen. Und dies nicht etwa aus modern edierten Notenfassungen: Sie musizieren direkt aus den originalen Handschriften. Nicht nur das: Unter den zehn eingespielten Kantaten finden sich drei eigentliche Neuentdeckungen von Johann Theile, Martin Koler (Colerus) und David Pohle, die nun als Welt-Ersteinspielungen vorliegen.

Wie so oft in Handschriften des frühen Barock, erst recht in noch älteren Manuskripten, sind kaum Angaben zu Tempo, Dynamik oder Instrumentierung vorhanden. Dies kommt den Musikern von Il Profondo, allesamt Absolventen der Schola Cantorum Basiliensis, mit ihrem fundierten Wissen über die historische Aufführungspraxis und ihrem geschulten Umgang mit kompositorischen Strukturen sehr entgegen. Je nach Werk wird die makellose Stimme von Jan Börner mit Geigen-Consort, Dulzian, Lauten-Instrumenten oder einer originalen italienischen Prozessionsorgel aus dem 17. Jahrhundert, welche eigens für die Aufnahmen ausgeliehen wurde, begleitet. Entstanden ist ein Album, auf dem in grossen Bögen, sehr linear und doch detailreich sowie in einem äusserst authentisch wirkenden barocken Gestus musiziert wird.

Auf absorta est … – von Seligkeit und Zuversicht (etwa: «überwunden ist …»), so der Album-Titel, sind hörfällig Spezialisten erster Güte am Werk. Grossartig musizieren sie. Grossartig muss man auch das gewählte Repertoire nennen, geprägt vom Drang, Neues zu entdecken. Da reiht sich Musikperle an Musikperle. Passend ist das kunstvoll gestaltete, reich schwarz-weiss bebilderte und ordentlich informative Booklet. Damit liegt ein eigentliches Gesamtkunstwerk vor, das etwas zu sagen hat. Notabene von einem Schweizer Countertenor, von dem man noch viel hören wird, ja hören muss …

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Jan Börner & Ensemble Il Profondo: Absorta est … – von Zuversicht und Seligkeit. Werke von David Pohle, Johann Vierdanck, Georg Schmetzer, Samuel Capricornus, Johann Christoph Bach, Romanus Weichlein, Johann Rosenmüller, Heinrich Scheidemann, Johann Theile. Resonando, RN-10002

Neue Studierende an der ZHdK

605 neue Studierende beginnen an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) am kommenden Dienstag ein Bachelor-, Master- oder MAS-Studium in den Künsten, im Design oder in der Vermittlung. 202 davon in der Musik.

Foto: Sebastian Bernhard/pixelio.de

Die insgesamt 605 neuen Studierenden verteilen sich auf die Bereiche Design (110), Musik (202), Kunst & Medien (95), Art Education und Transdisziplinarität (89), Theater und Film (62), Tanz (17) sowie auf berufsbegleitende Master-of-Advanced-Studies-Programme (30).

Total zählt die Zürcher Hochschule der Künste 2163 Studierende, wovon 1236 ein Bachelor-Studium und 927 ein Master-Studium absolvieren. 483 Personen besuchen eines der zahlreichen Weiterbildungsangebote (MAS, CAS, DAS). An der ZHdK gilt ein Numerus Clausus, das bedeutet, Studieninteressierte müssen vorgängig ein Zulassungsverfahren durchlaufen.

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