Gründung eines Netzwerkes Mädchenchöre

In Basel ist ein Netzwerk für Mädchenchöre aus der Schweiz, Österreich und Deutschland gegründet worden. Die Initiative besteht aus Chorleitenden und Geschäftsführenden von Mädchenchören aus dem deutschsprachigen Raum.

Mädchenkantorei Basel am Schweizer Kinder- und Jugendchor-Festival 2015. Foto: Mattias Nutt

Ziel der neuen Gruppe ist eine verstärkte Vernetzung untereinander und eine bessere Kommunikation der Anliegen von Mädchenchören. Das Netzwerk möchte «die Stärken des weiblichen Sängernachwuchses präsentieren und auf die vielerorts bestehende Ungleichbehandlung von Knaben- und Mädchenchören aufmerksam machen».

Mit dabei sind unter anderen Anna Katharina Kalmbach, Luzerner Kantorei,  Martina van Lengerich, Mädchenkantorei Freiburg DE,  Marina Niedel, Mädchenkantorei Basel, Gerd Rixmann, Mädchenchor Wiesbaden DE sowie Lea Scherer, Solothurner Mädchenchor.

Die Gruppe steht allen interessierten Führungskräften aus dem Sektor offen, ein Folgetreffen ist für Februar 2016 geplant.

Infos:
afintelmann@maedchenkantorei.ch

SJMW-Jubiläum in der Tonhalle Zürich

Mit einer Konzertmatinee feierte der grösste nationale Musikwettbewerb für jugendliche Amateure sein 40-jähriges Bestehen. Martin Vollenwyder wird ab 2016 an der Spitze des Stiftungsrates stehen.

Foto: Michael Ingenweyen, München

«Wie geht es dem Schweizerischen Jugendmusikwettbewerb?» Gerd Albrecht, von 1975 bis 1980 Chefdirigent des Tonhalle-Orchesters Zürich und Gründer des Schweizerischen Jugendmusikwettbewerbs (SJMW), hätte eine erfreuliche Antwort erhalten, wäre es für ihn möglich gewesen, an der Jubiläumsmatinee in der Tonhalle Zürich am 13. September teilzunehmen. Die Frage nach dem Befinden des SJMW sei immer ganz oben auf der Traktandenliste ihrer Treffen gestanden, erinnerte sich Bobby Keller, der damalige kaufmännische Direktor des Tonhalle-Orchesters und heutige SJMW-Ehrenpräsident. Stand zu Beginn die Förderung des Nachwuchses für Schweizer Orchester im Mittelpunkt, hat sich der Wettbewerb den Entwicklungen des Musiklebens angepasst und entsprechend geöffnet. Gleich geblieben ist die Qualität der Förderung, in deren Mittelpunkt das Gespräch der Jury mit den Wettbewerbsteilnehmerinnen und -teilnehmern, deren Lehrpersonen und Eltern steht.

Der Wettbewerb zeigte sich an diesem Vormittag von seinen besten Seiten. Festredner würdigten Entwicklung und Bedeutung. Die zu diesem Anlass gestaltete Festschrift bot aus den Perspektiven verschiedener Akteure eine gelungene Momentaufnahme des SJMW. Und im Mittelpunkt stand natürlich die Musik. Aktuelle und ehemalige Preisträgerinnen und Preisträger aus vier Jahrzehnten waren in einem Programm zu hören, das in seiner Vielfalt durch einen feinen klanglichen roten Faden zusammengehalten wurde und so die ganze Variationsbreite des SJMW abbildete. Vermeintliche Gegensätze waren hinfällig, allein das Musikalische stand im Mittelpunkt.

Eine Neuigkeit war schliesslich noch zu erfahren: Neuer Stiftungsratspräsident ab 2016 wird der jetzige Präsident der Tonhalle-Gesellschaft, Martin Vollenwyder. Damit rückt der Wettbewerb wieder ein bisschen näher zurück an seinen Ausgangspunkt.

www.sjmw.ch

Bildlegende

Das Bazar Qartet eröffnete die Konzertmatinee am 13. September im kleinen Saal der Tonhalle Zürich.

Das Foto wurde am Preisträgerkonzert des SJMW-Finales 2014 in Lausanne aufgenommen.

Sébastian Jacot Gewinner des ARD-Musikwettbewerbs

Nach dem HKB-Studenten Michael Buchanan hat mit dem Genfer Flötisten Sébastian Jacot eine weiterer Repräsentant der Schweiz im ARD-Musikwettbewerb 2015 in seinem Fach den ersten Preis gewonnen.

Foto: BR/Daniel Delang.

Der Spanier Francisco López Martín ist mit dem zweiten Preis und dem Publikumspreis ausgezeichnet worden. Dritter wurde sein Landsmann Eduardo Belmar.

Jacot ist unter anderem Gewinner des Wettbewerbs von Kobe 2013. 2014 gewann er die Carl Nielsen International Flute Competition. Zwischen 2006 und 2008 war er Assistant Principal Flute des Hong Kong Philharmonic Orchestra, danach Erster Flötist des Saito Kinen Festival und Soloflötist des Genfer Ensembles Contrechamps. Dieses Jahr ist er zum Ersten Flötisten beim Gewandhaus Orchester Leipzig ernannt worden.

Im Fach Posaune überzeugte der erst 22-jährige Brite HKB-Student Michael Buchanan die Jury. Er erang den ersten Preis sowie den Publikumspreis (die SMZ berichtete). Der zweite Preis ging an den Franzosen Jonathan Reith. Guilhem Kusnierek aus Frankreich wurde mit dem dritten Preis ausgezeichnet.

 

Onlinekurs der Uni Basel zur Musiknotation

Die Universität Basel bietet neu kostenlose Online-Kurse an, die einer breiten Öffentlichkeit offen stehen. Zu den zwei ersten gehört unter dem Titel «From Ink to Sound» einer zur Musiknotation im Wandel der Zeit. Kurssprache ist Englisch.

Foto: Dieter Schütz/pixelio.de,SMPV

Der Online-Kurs «From Ink to Sound» setzt sich mit theoretischen und praktischen Aspekten der Niederschreibung von Musik auseinander und beleuchtet die Entwicklung der Musiknotation vom Mittelalter bis zur Renaissance.

Matteo Nanni und Angelika Moths vom Fachbereich Musikwissenschaften an der Universität Basel zeigen, wie Musik in Handschriften festgehalten wurde, wie man sie decodiert und in eine neuzeitliche Notation transkribiert. Musiker aus dem Umfeld der Schola Cantorum Basiliensis haben für den Kurs über 15 Aufnahmen eigens eingespielt – unter anderem eine Musikhandschrift der Universitätsbibliothek Basel, die zum ersten Mal seit 700 Jahren transkribiert und aufgeführt wurde.

Der Kurs richtet sich an Musikerinnen und Musiker mit Interesse an Musikpaläographie sowie an Studierende und Interessierte der Musik, der Geschichte, der Philologie, der Theologie, der Kunstgeschichte und der Semiotik. Die einzige Vorbedingung für Lernende ist, dass sie das moderne Notationssystem kennen.

Webseite: www.futurelearn.com/courses/from-ink-to-sound

Der Codex Gisle

Eine der prächtigsten Musikhandschriften des deutschen Spätmittelaltes, das goldene Graduale der Gisela von Kerssenbrock, wird vom Quaternio-Verlag einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Adventsminiatur im Codex Gisle. Bild: zvg,SMPV

Der Codex Gisle ist ein Graduale, also ein Chorbuch für den täglichen Gesang in der Messfeier. Er stammt aus dem Zisterzienserinnenkloster Marienbrunn in Rulle, nördlich von Osnabrück, und wurde dort um 1300 erschaffen.

Höchst ungewöhnlich ist es, dass Künstler- und Schreibernamen bekannt sind: Mit roter Tinte hat Schwester Gisela von Kerssenbrock, Angehörige einer alten westfälischen Adelsfamilie, das Graduale an mehreren Stellen mit einer anbetenden Nonne und dem Schriftzug «Gisle» signiert. Gisela war die cantrix oder Sangmeisterin des Klosters, unterwies ihre Mitschwestern im Singen und war für die Herstellung der Musikhandschriften verantwortlich. Sie schuf den Buchschmuck, schrieb Texte und Noten und stiftete den Codex Gisle ihrem Konvent in Rulle, wo er für rund 500 Jahre ununterbrochen in Gebrauch war.

Ungewöhnlich am Codex Gisle ist auch seine ungeheure Bildervielfalt: Mit 53 Bild-Initialen übertrifft er andere Graduale um mehr als das Doppelte. Die Zierbuchstaben sind prächtig ausgestattet und zeigen die wichtigsten Stationen aus dem Leben Jesu in teilweise ungewöhnlichen Szenen.

Der Quaternio-Verlag Luzern hat diese schönste niedersächsisch-westfälische Handschrift der Zeit zwischen 1250 und 1400 im Bistumsarchiv Osnabrück entdeckt und macht sie durch seine Faksimile-Edition einem breiten Publikum zugänglich.
Zur aufwendigen Faksimile-Edition erscheint ein wissenschaftlicher Kommentarband; geplant ist auch eine Musik-Edition ausgewählter Gesänge.

In der Ausstellung Goldene Pracht für himmlische Gesänge – Die Faksimile-Edition des Codex Gisle im Kloster Eberbach (D-65346 Eltville im Rheingau, Öffnungszeiten: täglich 10–18 Uhr) ist die die Faksimile-Edition noch bis 29. Oktober 2015 zu sehen – in Einzellagen und zum Blättern.

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Faksimile Codex Gisle: 172 Blätter im Originalformat von 35,5 x 26 cm mit 53 Initialen, Ledereinband mit Eck- beschlägen, in Leinenkassette, Kommentarband, Auflage: 480 Exemplare, ISBN 978-3-905924-20-6, Fr. 12 400.-; Dokumentationsmappe mit zwei Original-Faksimileblättern und Informationsbroschüre, Fr. 124.-
www.quaternio.ch

Paolo Fabbri mit Glarean-Preis geehrt

Die Schweizerische Musikforschende Gesellschaft (SMG) hat zum fünften Mal den mit 10’000 Franken dotierten Glarean-Preis für Musikforschung verliehen. Geehrt wird heuer Paolo Fabbri, Professor an der Universität Ferrara und Direktor der Fondazione Donizetti in Bergamo (Italien).

zVg,SMPV

Der 1948 in Ravenna geborene Paolo Fabbri ist Ehrenmitglied der American Musicological Society; 1989 war er Träger der Dent Medal der Royal Musical Association. Seine weit über 200 Publikationen behandeln nicht nur die Oper des 19. Jahrhunderts, sondern auch die Werke Monteverdis und die venezianischen Opern des 17. Jahrhunderts. Zu seinen neuesten Publikationen gehören der unter seiner Herausgabe erschienene Sammelband Musica e società oder die 2007 erschienene Monografie Metro e canto nell’opera italiana.

Der Glarean-Preis wird seit 2007 alle zwei Jahre an Wissenschaftler verliehen, die sich durch ein herausragendes OEuvre auf dem Gebiet der europäischen Musikgeschichtsschreibung auszeichnen und deren Forschungstätigkeit Fragen der Publikation und Distribution von Musik angemessen berücksichtigt.

Finanziert wird der Preis aus Geldmitteln, welche die Basler Musikhistorikerin Marta Walter (1896–1961) der SMG testamentarisch vermacht hat. Dieses Legat
erlaubte des Weiteren die Schaffung des ebenfalls mit 10’000 Franken dotierten Jacques-Handschin-Preises, welcher die Förderung junger Forschung zum Ziel hat. Die Verleihung dieses Nachwuchspreises erfolgt im nächsten Jahr.

Bisher vergeben worden ist der Glarean-Preis an Salwa El-Shawan Castelo-Branco (Lissabon), Karol Berger (Stanford), Martin Staehelin (Göttingen) und Reinhard Strohm (Oxford).

Heinz Holliger erhält Grand Prix Musik 2015

Der diesjährige Gewinner des mit 100’000 Franken dotierten Schweizer Grand Prix Musik 2015 ist der Oboist, Dirigent und Komponist Heinz Holliger. Die Preisverleihung fand im Basler Münster im Beisein von Bundesrat Alain Berset statt.

Foto: Priska Ketterer/Schott Music

Der Preisträger, der sich momentan auf einer Tournee in Japan befindet, hat sich während einer Live-Schaltung zu seiner Auszeichnung geäussert. Heinz Holliger wurde unter den fünfzehn von der Eidgenössischen Jury für Musik vorgeschlagenen Nominierten ausgewählt.

Holliger wurde 1939 in Langenthal geboren und studierte in Bern, Paris und Basel Oboe, Klavier und Komposition. Bereits 1959 gewann er einen ersten Preis beim Concours de Genève, 1961 folgte die Auszeichnung am Internationalen Musikwettbewerb der ARD in München. Holliger wurde international bekannt als Oboist und spielte eigens für ihn geschriebene Stücke von Komponisten wie Berio, Carter oder Ligeti. Als Dirigent arbeitet er regelmässig mit renommierten Symphonieorchestern zusammen, unter anderem mit den Berliner und Wiener Philharmonikern, dem Cleveland Orchestra oder dem London Philharmonic Orchestra.

Der Schweizer Grand Prix Musik wurde zum zweiten Mal verliehen und hat zum Ziel, «herausragendes und innovatives schweizerisches Musikschaffen zu würdigen und ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken».

Das BAK mandatierte 2014 ein zehnköpfiges Expertenteam, bestehend aus Musikjournalisten, Musikschaffenden und Musikexperten. Das Team wählte Kandidaturen aus allen Sprachregionen der Schweiz und aus sämtlichen Musiksparten, um diese der Eidgenössischen Jury für Musik zu unterbreiten. Die aus sieben Mitgliedern zusammengesetzte Jury bestimmte im Mai 2015 aus den rund fünfzig vorgeschlagenen Musikschaffenden fünfzehn Finalistinnen und Finalisten und designierte unter diesen Nominierten schliesslich den Preisträger Heinz Holliger.

Die fünfzehn Nominierten für den Schweizer Grand Prix Musik 2015 waren: Philippe Albèra (Genf), Nik Bärtsch (Zürich), Malcolm Braff (Vevey / Le Mont Pèlerin), Markus Flückiger (Schwyz), Joy Frempong (Bolgatanga (GH) / Zürich), Marcel Gschwend aka Bit-Tuner (St. Gallen / Zürich), Heinz Holliger (Basel), Daniel Humair (Genf / Paris), Joke Lanz (Basel / Berlin), Christian Pahud (Lausanne), Annette Schmucki (Zürich / Cormoret), Bruno Spoerri (Zürich), Cathy van Eck (Zürich), Nadir Vassena (Lugano) und Christian Zehnder (Basel). Sie erhalten ein Preisgeld von je 25’000 Franken.

Sofiia Suldina gewinnt den ersten Preis

Im Rahmen des Musikfestivals Bern zeichnete der Concours Nicati neben der Erstpreisträgerin auch Estelle Costanzo und das Eunoia Quintett aus.

Foto: Concours Nicati

Wie die Wettbewerbsleitung mitteilt, fand der Concours Nicati, der «renommierteste Interpretationswettbewerb für zeitgenössische Musik der Schweiz» dieses Jahr vom 4. bis 9. September im Rahmen des Musikfestivals Bern statt. Es nahmen 40 professionelle Musikerinnen und Musiker teil. Die Jury setzte sich zusammen aus Pierre Sublet (Vorsitz), Xavier Dayer, Heike Hoffmann, Martina Schucan und Marcus Weiss. Sie zeichnete folgende Personen aus:

1. Preis Sofiia Suldina, Violine
(Preisgeld CHF 16 000.-)

2. Preis Estelle Costanzo, Harfe
(Preisgeld CHF 12 000.-)

3. Preis Eunoia Quintett
(Preisgeld CHF 12 000.-)

 

www.nicati.ch

HKB-Student gewinnt ARD-Musikwettbewerb

Der Posaunist Michael Buchanan, ein Schüler von Ian Bousfield an der Hochschule der Künste Bern (HKB), hat am 64. Internationalen Musikwettbewerb der ARD in seiner Instrumentalkategorie den ersten Preis und den Publikumspreis gewonnen.

Foto: BR/Daniel Delang

Der 22-jährige Brite Michael Buchanan hat am Clare College von Cambridge und an der Royal Academy of Music in London Musik studiert. Er war mit 13 jüngstes Mitglied des National Youth Orchestra of Great Britain und wurde im Alter von 15 dessen Erster Posaunist. Buchanan ist trotz seines jugendlichen Alters schon hochdekoriert, und Komponisten wie Cecilia McDowell und Chris de Souza haben bereits Werke für ihn geschrieben.

Der ARD-Musikwettbewerb wird dieses Jahr in den Fächern Posaune, Flöte, Gesang und Klavierduo durchgeführt. Die Jury des Posaunenwettbewerbs bestand aus Vinko Globokar (Vorsitz), Andrea Bandini, Michel Becquet, Enrique Crespo, Thomas Horch, Stefan Schulz, Jörgen Van Rijen und Mike Svoboda.

Gabetta Artist in Residence der Dresdner Philharmonie

Die argentinische Cellistin Sol Gabetta mit Wohnsitz im aargauischen Olsberg engagiert sich in der kommenden Saison als Artist in Residence bei den Dresdner Philharmonikern. Ein Schwergewicht bilden dabei dabei die Cellokonzerte von Elgar, Martinů und Saint-Saëns.

Foto: Marco Borggreve

Sol Gabetta unterrichtet seit 2005 an der Musik-Akademie Basel. An ihrem Wohnort Olsberg veranstaltet sie ihr eigenes Festival Solsberg. Auch in Dresden ist sie offenbar überaus beliebt: Die meisten ihrer dortigen Auftritte in der kommenden Saison sind bereits jetzt ausverkauft.

Die Dresdner Phiharmonie ist seit 1870 das Sinfonieorchester seiner Heimatstadt. Neben der Pflege des klassisch-romantischen Kernrepertoires hat es sich auch immer dem zeitgenössischen Musikschaffen geöffnet. Davon zeugen unter anderem Aufträge an Komponisten wie Sofia Gubaidulina, Rodion Schtschedrin, Gija Kancheli und Michael Nyman. Chefdirigent des Orchesters ist seit 2011/12 Michael Sanderling.

150 Jahre Orgelbau

Zum Jubiläum hat die Kuhn AG eine umfangreiche Firmengeschichte veröffentlicht. Neben den familiären Gegebenheiten spiegelt diese auch Umbrüche und Tendenzen im Orgelbau.

Spieltisch-Montagesaal. Fotoalbum der Firma Kuhn aus dem 1930er-Jahren

Friedrich Jakob war von 1967 bis 1999 Direktor der Orgelbau Kuhn AG Männedorf und legte 1987 eine Kurzdarstellung der Firmengeschichte vor. Während die meisten seiner zahlreichen Aufsätze und 18 umfangreichen Bücher eine bestimmte Orgel umfassend darstellen, wagt er hier eine geschichtliche Gesamtschau und Wertung der Orgelbau-Entwicklung anhand der Firma von 1864 bis 1925, dem Todesjahr von Theodor Kuhn, Sohn des Firmengründers. Dies tut er mit derselben Akribie, Quellen-Recherche und gesunder Skepsis bisherigem Schrifttum gegenüber, in welchem er manche Fehler findet und richtigstellt.

Wer war der Firmengründer Johann Nepomuk Kuhn und warum beendete er seine Wanderschaft in Männedorf? Da tappte man bisher völlig im Dunkeln. Dank jahrelangem Forschen in öffentlichen und privaten Archiven wissen wir jetzt viel über seine Herkunft im württembergischen Bad Waldsee, seine Ausbildung im Walcker-Weigle-Laukhuff-Kreis und seine Gesellenjahre. Er wurde, was damals ehrenrührig war und vertuscht wurde, unehelich geboren. Umso erstaunlicher sind seine überragenden beruflichen Fähigkeiten im technischen und klanglichen Bereich. Allseits gerühmt wird seine Gewissenhaftigkeit, Treue, Pünktlichkeit und sein Fleiss; er wird zudem als solide, bescheiden und fürsorglich geschildert, was auf gute Erziehung und Charakterstärke hindeutet.

Nach Männedorf kam er 1863, 36 Jahre alt, zusammen mit Johannes Spaich, um die erste Kirchenorgel, gebaut von Eberhard Friedrich Walcker, in der reformierten Kirche aufzustellen. Beide wurden von Gemeindegliedern animiert und unterstützt, hier 1864 eine Firma zu gründen. Diese erhielt sogleich ehrenvolle Aufträge für Neubauten, 1865 in Dittingen BL, katholische Kirche, 1867/68 sogar für dreimanualige Orgeln in der Grubenmann-Kirche von Wädenswil und in der Martinskirche Chur. Ihr letztes gemeinsames Werk, op. 20, 1872 für die alte Tonhalle in Zürich gebaut, ist im Grundbestand von Pfeifen und Prospekt 1995 glanzvoll im Zürcher Neumünster wieder auferstanden. Spaich trennte sich 1872 von Kuhn, um in Rapperswil eine eigene Manufaktur aufzubauen. Nennen wir aus den 55 weiteren Neubauten bis zu Kuhns Todesjahr 1888 nur die bedeutendsten: Zürich St. Peter, Grossmünster und Fraumünster; St. Gallen Dom; Schaffhausen St. Johann und katholische Kirche St. Maria (ursprünglich für die Landesausstellung in Zürich 1881).

Alle Orgeln stattete Kuhn aus mit den von Walcker entwickelten Registerkanzellen und Kegelventilen, die dreimanualigen zur Erleichterung des erforderlichen Tastendrucks mit Barkerhebel. Von der ausgefeilten, langlebigen Technik und klanglichen Raffinesse vom zartesten Säuseln bis zum gravitätischen, immer noch massvollen Gebraus zeugen die einzigen zwei auf den Urzustand restaurierten Orgeln, die letztgenannte op. 52 und op. 40 in der christkatholischen Kirche von Olten. Von bewährten Pfeifenformen, räumlichen Aufstellungen und Dispositionen rückte er möglichst wenig ab. Das bietet, wie der Autor darlegt, Gewähr und wohl auch Voraussetzung für höchste Qualität. Jakob hat auch Physik studiert. Davon zeugen erfrischend zu lesende Bemerkungen, zum Beispiel über aufwendige «Expressionen» (Pfeifenverlängerungen), eine damals und bis heute gepriesene «Klangverbesserung», die keine akustisch messbaren Auswirkungen hätten.

1887 kränklich geworden, holte Nepomuk Kuhn seinen einzigen Nachkommen Theodor (1865–1925) nach zwei Auslandjahren zurück und machte ihn sogleich zum Firmenteilhaber. Dieser soll in frühen Jahren gut Klavier und Orgel gespielt haben. Seine ganze Schaffenskraft habe er jedoch zur technischen und kaufmännischen Entwicklung der Firma eingesetzt. Er blieb Junggeselle und hinterliess fast kein persönliches Schriftstück. So wissen wir, was Jakob genau referiert, fast nichts über seinen Werdegang, die Lehr- und Gesellenjahre sowie Freundschaften, ausser den Namen von zwei langjährigen Freunden, mit denen zusammen er ein Jahr vor seinem Tod für den Fortgang seines Betriebs eine Aktiengesellschaft gründete. Dies und indem er einen namhaften Vermögensteil stiftete zur Unterstützung von Lehrlingen, zeigen einen guten, väterlich-fürsorglichen wenn auch strengen Patron, ähnlich seinem Vater. Genau dokumentiert sind hingegen seine technischen Errungenschaften, vor allem die pneumatische Spiel- und Registertraktur, die er überstürzt eingeführt habe. Dies habe 1895 beinahe zum Bankrott geführt. Unaufhörlich habe er die Pneumatik vervollkommnet mit ausländischen und eigenen Patenten.

Pneumatische Orgeln wurden später im Gefolge der Orgelbewegung als dekadente Fabrikware verschrien. Ihr Nachteil, eine leichte Verzögerung zwischen Taste und Pfeife, wurde übertrieben, ihre Langlebigkeit jedoch unterschätzt. Sie sind noch seltener erhalten geblieben als ihre Vorläufer mit mechanischen Kegelladen. Nachdem noch in den achtziger Jahren Kuhns prachtvolles Werk für die 1902 gebaute Kirche St. Jakob in Zürich «barock» erweitert und auf elektrische Traktur umgestellt worden ist (heute auf gute Weise rückgeführt, soweit technisch möglich), können wir sein einziges auf den Urzustand 1914 restauriertes Werk (2002) in der katholischen Kirche St. Anton bewundern, von derselben Firma sorgfältig und liebevoll auf ihre aparte Klangpracht zurückgeführt. Es sind berückende, auch pastellartige Klangmischungen, durch exotische Labiale, Zungenregister in französischer Bauweise (auch durchschlagende) und das grosse Schwellwerk bewirkt. Jakob beschreibt denn auch treffend Theodor Kuhns stilistische Weiterentwicklung: Während sein Vater der deutschen Romantik verhaftet geblieben ist, berücksichtigt der Sohn zunehmend französische Romantik, was im Einklang steht mit der Schweizerischen Teilhabe an beiden Kulturkreisen und sich im Orgelbau später allgemein bemerkbar macht.

Spannend zu lesen und auch für Laien gut verständlich geschrieben sind Jakobs allgemeine Darlegungen. Mit Liebe zum Detail und reich bebildert stellt er alle vorkommenden Personen und Firmen sowie ausgewählte Orgeln dar. Er fügt mit den benutzten Quellen eine umfassende und dennoch Unwesentliches weglassende Dokumentation hinzu, eine Fundgrube für Spezialisten!

Der Buchteil von Jakob zählt rund 300 zweispaltige A4-Seiten; mehr als die Hälfte davon füllen die Quellen. Der zweite Autor Michael Meyer, der die Fortsetzung der Firmengeschichte bis heute auf 55 Seiten nachzeichnet, fasst seine Aufgabe anders auf: Er beschränkt sich auf die grossen Entwicklungslinien anhand von kursorisch präsentierten 14 Neubauten und 6 Restaurierungen, streift die technischen Entwicklungen und stellt die wirtschaftshistorische Perspektive mit knappem Text und Diagrammen dar. Meyer ist Musikwissenschaftler und Organist, aber kein Orgelbauer. Sein Konzept bringt durchaus Vorteile für historisch interessierte Leser. Das Weglassen orgelbaulicher Details ist auch insofern sinnvoll, als die Objekte in allen wünschenswerten Einzelheiten anhand von Einzeldarstellungen, Einweihungsschriften, dem lückenlosen Firmenarchiv und Internet-Orgeldatenbank (www.orgelbau.ch) erfasst sind. Als in Meyers Text nur beiläufig zweimal erwähntes Beispiel diene die vom Organisten Heinz Specker in jahrelanger Aufklärungs- und Sammeltätigkeit ermöglichte Restaurierung in St. Anton (1997–2002) und dessen durch Beiträge namhafter Fachleute bereicherte Einweihungsschrift.

Vorsichtig geht Meyer auf Rückschläge in den Kriegs- und Nachkriegsjahren ein und beschreibt sachkundig die langwierig-stufenweise Entwicklung einer zeitgemässen Restaurierungstechnik, die zu einem immer wichtigeren Geschäftszweig von Kuhn geworden ist. Sie verdankt sich zunächst den Experten Schiess (Würdigung in Acta organologica 31, 2009, S. 399) und Koller, dann jedoch seit der Anstellung von Friedrich Jakob 1963 und Wolfgang Rehn (1974–2014). Lücken sind dabei unvermeidlich. Zum Beispiel der bahnbrechende Umbau der Berner Münsterorgel 1930 ist beschrieben, dessen Beseitigung durch den jüngsten Umbau 1999 jedoch nicht. Die nicht behobene Ursache für beide Umbauten ist der zu Beginn des 20. Jahrhunderts massiv verstärkte Chorbogen, hinter dem der Schallaustritt der Orgel in den Raum arg behindert wird. Umsonst sucht man auch die Basler Münsterorgel von 1956 (heute in der römisch-katholischen Kathedrale von Moskau) und die Restaurierung der Bommer-Orgel von St. Katharinenthal TG (1965–69) mit späterer Rückführung auf eine ungleichstufige Stimmung. Es handelt sich dabei um minime Flecken in der sonst so erfolgreichen Firmengeschichte, gipfelnd in vielen ehrenvollen Auslandaufträgen trotz starkem Schweizerfranken. Der grösste je erteilte Auftrag war vor kurzem die Restaurierung der riesigen Steinmeyer-Orgel zu Trondheim.

Zuletzt, nach den Listen aller Aktionäre, Leitenden und Mitarbeitenden seit 1925 (mit Fotos) sowie alten bis neuesten Abbildungen der Liegenschaft und den Arbeitsabläufen sei des Geschäftsführers Dieter Utz (2000–2014) gedacht, der diesen Prachtsband herausgegeben hat. Ein durch Pierre Freimüller mit ihm geführtes Interview lässt seine hervorragende Betriebskultur aufleuchten, den Schlüssel zum kunsthandwerklichen und wirtschaftlichen Erfolg.

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Dieter Utz (Hg.), Die Orgelbauer. Das Buch zur Geschichte von Orgelbau Kuhn 1864–2014. Friedrich Jakob: Die Gründerfamilie Kuhn – Michael Meyer: Zwischen Historismus und Postmoderne – Die Geschichte der Orgelbau Kuhn AG. Hardcover, 432 S., Format A4, mit 170 Abbildungen und 8 Diagrammen, Fr. 68.30, Verlag Orgelbau Kuhn, Männedorf 2014, ISBN 978-3-033-04728-0

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Aller Anfang ist schwer. Zum Saisonbeginn resp. neuen Schul- oder Studienjahr seien einige Aspekte dieses Themas ausgeleuchtet.

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Aller Anfang ist schwer. Zum Saisonbeginn resp. neuen Schul- oder Studienjahr seien einige Aspekte dieses Themas ausgeleuchtet.

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Focus

Die Angst des Kritikers vor dem leeren Schirm

Unʼunica casa per tutte le arti – Lugano Arte e Cultura

Oleg, 13 ans, directeur de festival – Interview

Am Start – Festivalbühnen für Nachwuchstalente

Comment commencer à vivre de musique

 

… und ausserdem

RESONANCE

Kammermusikfestival «Klangraum Riehen Marlboro»

Erster Basler Orgelspaziergang

Konzertprojekt «25+1» des Neuen Zürcher Orchesters

Aus spektakulärer Langeweile — Davos-Festival young artists in concert

Richard Wagner heute — Eine Ideologie für die Gegenwart
Vortrag von Frank Piontek am Dessauer Wagner Kongress 2015
 

Rehabilitation einer Epoche — 3. Festtage Alter Musik in Basel

Faisons une gamme

Exotica statt Liebe — Seismographic Sounds – Visionen einer neuen Welt

Carte Blanche mit Ilona Schmiel

Rezensionen — Neuerscheinungen

 

CAMPUS

 
Lʼultime révérence dʼun grand homme — Jean-Jacques Rapin sʼest éteint

Audiation – Musik im Kopf

Bam, Pop, Wham et Toc… entre autres — LʼInstitut Jaques-Dalcroze en fête

Ein Festival für die Querflöte — Internationales Camp Falaut in Salerno

E-Learning an der Musikschule — Praxistest in Sarnen

Rezensionen Unterrichts- und Studienliteratur — Neuerscheinungen

klaxon — Kinderseite

 

SERVICE


Malta barock 
— Leserreise der Schweizer Musikzeitung
Valletta International Baroque Festival 23. bis 27. Januar 2016

Ausschreibung mit Anmeldetalon (PDF) 

FINALE

Rätsel — Michael Kube sucht

 

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E-Learning an der Musikschule

Der Forschungsschwerpunkt Musikpädagogik an der Hochschule Luzern testete zusammen mit der Musikschule Sarnen die E-Learning Software «Smart Music». Ein Bericht.

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E-Learning an der Musikschule

Der Forschungsschwerpunkt Musikpädagogik an der Hochschule Luzern testete zusammen mit der Musikschule Sarnen die E-Learning Software «Smart Music». Ein Bericht.

E-Learning ist in aller Munde – aber taugt es auch für den Instrumental-/Vokalunterricht mit Kindern und Jugendlichen? Diese Frage stellte sich Roland von Flüe, Saxofonist und Dozent an der Hochschule Luzern und Initiator eines einjährigen Praxistests mit der E-Learning Software Smart Music. Ist heutzutage der Einsatz etwa von Laptop, Tablet oder Smartphone und dazugehöriger Programme oder Apps bereits gang und gäbe, scheint E-Learning noch wenig Eingang in den Instrumental- und Vokalunterricht gefunden zu haben. Ein kleines Pilotprojekt zur Ermöglichung erster Praxiseinblicke im Umgang mit einer E-Learning Software wurde an der Musikschule Sarnen, Kanton Obwalden, durchgeführt und vom Forschungsschwerpunkt Musikpädagogik der Hochschule Luzern fachlich begleitet. Am Projekt beteiligt waren drei Instrumentallehrer und drei Jungen im Jugendalter; da sich der Praxistest an der Interessenskonstellation der Schüler/innen ausrichtete, musste die einseitige Genderkonstellation in Kauf genommen werden. Für die Evaluation der E-Learning Software wurden Lehrpersonen und Schülern Vorlagen zur Führung eines Unterrichtstagebuchs zur Verfügung gestellt, weiter die Ausgangssituation bezüglich Motivation und Lernverhalten der Schüler als Vergleichswert zu möglichen Veränderungen im Verlauf der Pilotphase festgehalten. 

Funktionsweise der Plattform

Beim Testprodukt handelt es sich um Smart Music, eine Musik-Lernsoftware mit umfangreichen Funktionen. Die Lernenden spielen ausgewählte Musikstücke unter wahlweisem Einbezug interaktiver Tools ab ihrem Tablet oder Computer. Die kostenpflichtige Software wird im Lizenzsystem erworben. Eine Jahreslizenz für Lehrpersonen beträgt aktuell USD 140, jene für Schülerinnen und Schüler USD 40. Smart Music ist als geschlossene Software konzipiert, womit bereits ein wesentlicher Schwachpunkt genannt ist: Der Dateienimport ist lediglich im smp-, mp3-Format oder als konvertierte Finale-Datei möglich. Ein Export, wie etwa das Ausdrucken von Notenmaterial, ist, wohl aus Gründen des Urheberrechts, nicht möglich. Wird die Jahreslizenz nicht erneuert, gehen alle gespeicherten Daten und damit auch die angelegte Bibliothek, also das «Gedächtnis» der Nutzerinnen und Nutzer verloren.

Die Anwendung von Smart Music geschieht mittels Internetzugang durch den Computer oder das Tablet, wobei auch offline gearbeitet werden kann. Das Programm verfügt mit der interaktiven Notenspielanwendung für die Schülerinnen und Schüler, und einem von der Lehrperson einzurichtenden virtuellen Klassenraum über zwei zu unterscheidende Anwendungsebenen. Über die in Smart Music integrierte Notenbibliothek wird Notenmaterial zur Verfügung gestellt. Das von Lehrperson und Schüler oder Schülerin ausgewählte Musicsheet kann vom Anwendungsfenster abgespielt werden, das eigene Spielen der Noten kann zudem aufgenommen werden, wobei es durch die Software bewertet wird. Zur Optimierung der Aufnahmequalität empfiehlt sich – jedenfalls für die im Test eingesetzten akustischen Instrumente Klarinette und Saxofon – ein externes Clip-Micro. Spannend sind die zahlreichen Funktionen wie Transposition, Metronom und Stimmgerät, Looper, Stopp bei Fehlern, Tempowahl oder etwa die Zusammenstellung der Begleitung aus einem Pool von Einzelinstrumenten. Bei der «Follow me»-Funktion passt sich die Begleitung dem variablen Spieltempo an, eine hübsche Spielerei, die der Überealität sehr gut Rechnung trägt. Ein Cursor führt bei alldem jeweils durch die Notenlandschaften. Mittels «Customize» oder «Waite for note» können weitere Funktionen wahrgenommen werden. So ist Letzteres beim Erlernen neuer Noten hilfreich, weil dabei die Begleitung jeweils stoppt, bis die richtige Note gespielt wird. Fragezeichen ergeben sich zur Bewertungsfunktion, die lediglich Tonhöhen und rhythmische Parameter überprüft. Die Bewertung geschieht mittels farblicher Kennzeichnung und Prozentangabe. Der Lehrperson obliegt es dabei, ihren Schülerinnen und Schülern die engen Grenzen einer elektronischen Bewertung verständlich zu machen.

In einem von der Lehrperson einzurichtenden virtuellen Klassenraum werden den Schülerinnen und Schülern gezielte Aufgabenstellungen erteilt, deren Ergebnisse dann wieder abgerufen werden können. Das Lernverhalten der Schülerinnen und Schüler ist für die Lehrperson jederzeit einsichtig: Wann, wie oft und wie lange gespielt wird, und wie der Übeprozess verläuft, ist kontrollierbar. Da kann sich schon einmal ein Gefühl von «big brother is watching you» einstellen. Oder kommt in diesem Falle der gesellschaftliche Wert des Schutzes von Individuum und Privatsphäre nicht zum Tragen? Lehrpersonen sind jedenfalls gut beraten, ihren Umgang mit den Kontroll- und Bewertungstools den Schülerinnen und Schülern gegenüber proaktiv und transparent zu kommunizieren und deren Einverständnis einzuholen.

Die in der Lernplattform enthaltene umfangreiche Musikbibliothek bedient verschiedenste Musikstile und enthält neben einer breiten Palette an üblichen Spielstücken Unterrichtsmaterialien wie Tonleiter- und Blattspielübungen, Methoden, Etüden und Solostücke. Das spürbar für den amerikanischen Markt mit seinen zahlreichen College-Bands ausgelegte Spielmaterial vermag den Bedürfnissen europäischer Nutzerinnen und Nutzern nicht in allen Teilen gerecht zu werden, weshalb sich ein Unterricht nur mit Smart Music nicht empfiehlt. Von den am Test beteiligten Lehrpersonen wird insbesondere das etwas dürftige und unausgeglichene Literaturangebot im Segment Jazz bemängelt. Andererseits können die Materialien mit Begleitung gespielt werden, so auch jede Einzelstimme grösserer Arrangements, was als Plus zu werten ist: Denn welche Klarinettistin einer Jungmusik wünschte sich nicht, ihre vielleicht nicht gerade von schönen Melodien überquellende 3. Stimme zusammen mit dem gesamten Orchesterklang üben zu können!

Positive und problematische Aspekte

In der folgenden Aufstellung sind die positiven und problematischen Aspekte von Smart Music, wie sie sich im Praxistext gezeigt haben, zusammengefasst:

Positive Aspekte

  • Schüler und Schülerinnen (und Lehrpersonen) können sich in einer umfangreichen Notenbibliothek umsehen, sich die Stücke anhören und dabei Neues entdecken.
  • Übungen, Jazz-Arrangements und einfachere Stücke lassen sich in alle Tonarten transponieren.
  • Für die Begleitungen kann ausgewählt werden zwischen Klavier oder Ensemble, wobei die Samples der Begleitinstrumente hochwertig sind.
  • Über smp- oder mp3-Dateien können eigene Materialien in Smart Music importiert werden.
  • Durch den Gebrauch der Plattform (in Verbindung mit dem Notensatz-programm Finale) können Schülerinnen und Schüler zum eigenen Experimentieren mit Materialien und/oder zum Komponieren angeregt werden.
  • Die Nachverfolgung des Übeverhaltens ermöglicht es der Lehrperson, den Übeprozess der Schüler und Schülerinnen zu begleiten und ihnen individualisierte Übetipps zu vermitteln.

 

Problematische Aspekte

  • Die Installation der Software scheint nicht ganz problemlos zu verlaufen.
  • Ohne schnelle und stabile Internetverbindung ist die Nutzung nicht optimal. Die Online-Zugänglichkeit ist fehleranfällig, was zu vermehrten Ausfällen führt.
  • Die Notenbibliothek enthält nur eine vergleichsweise geringe Zahl von Jazz-Standards.
  • Der virtuelle Klassenraum ist unübersichtlich gestaltet.
  • Die Bewertungsoptionen bei Aufgabenstellungen folgen eindimensionalen Kriterien.
  • Das Programm erkennt gespielte Akkorde nicht (bspw. Gitarre).
  • Midi-Files-Begleitungen klingen im Gegensatz zu den Samples nicht besonders gut.
  • Bestimmte Arrangements sind für Europa nicht lizenziert.
  • Arrangements und Begleitdateien können nicht exportiert oder ausgedruckt werden, eigene Aufnahmen gehen bei einer Nichtverlängerung der Lizenz verloren.
  • Schüler und Schülerinnen können nicht von sich aus entscheiden, ob ihre Lehrperson das Üben nachverfolgt.

Ergebnisse des Praxistests

Für die am Test beteiligten Jungen war der Gebrauch der Lernsoftware zumindest anfänglich sehr motivierend, flachte dann aber auch wieder ab. Der Reiz des Neuen, verbunden mit den technischen Spielereien, scheint massgeblich zu diesem initialen Motivationsschub beigetragen zu haben. Einer der Schüler jedoch spielt mittlerweile lieber wieder in herkömmlicher Weise. Ein Schüler befand das Bewertungssystem als sehr motivierend, da es auf einfache Art Orientierung zu den Lernfortschritten verschafft. Auch die Möglichkeit zur Anpassung der Tempi wurde von einem der Schüler als positiv herausgestrichen. Gelungene Aufnahmen werden von den Schülern in der persönlichen Bibliothek abgespeichert und gesammelt, später gerne wieder aufgerufen. Die umfangreiche Notenbibliothek ermuntert Schüler und Schülerinnen zum selbständigen Stöbern und Entdecken neuer Musikwelten, obwohl sie möglicherweise eine kleine Starthilfe ihrer Lehrperson benötigen.

Von den Eltern erfuhr Smart Music eine durchwegs positive Beurteilung, wobei sie sich dabei wohl vor allem auf den beobachteten Motivationsschub und das veränderte Übeverhalten ihrer Kinder bezogen. Dass die Software nur in Englisch erhältlich ist, wurde von einer Mutter als ein gutes Beispiel von Praxisbezug des in der Schule Gelernten positiv vermerkt. Von den am Test beteiligten Lehrpersonen erfährt die Lernsoftware eine eher skeptische Beurteilung: «Die Software kann viele grundlegende Elemente der musikalischen Erziehung nicht genügend vermitteln», so Nils Fischer, Absolvent des Masters Musikpädagogik Jazz der Hochschule Luzern. Smart Music lasse auch wenig Spielraum zum kreativen Umgang mit dem gegebenen und eigenem Material. So sehr die Beurteilungstools motivierend sein können, verhindern sie doch die Kompetenz zur Selbstbeurteilung und Eigenverantwortlichkeit. Es fragt sich daher, ob das, was Smart Music aus einem Guss zu bieten verspricht, nicht besser durch eine Kombination verschiedener Programme erreicht wird. So kann ein virtuelles Klassenzimmer etwa auf Dropbox eingerichtet werden, Optionen für Arrangements und die Möglichkeit zur Temporegulierung von Begleitstimmen finden sich bei Band-in-a-box oder Finale.

Allgemeingültige Aussagen zum Verhalten der Schülerinnen und Schüler lassen sich aufgrund der geringen Anzahl Beteiligter in unserem Praxistest nicht machen. Es ist jedoch zu vermuten, dass sich technikbegeisterte Jugendliche davon angesprochen fühlen und mittels gezielter Aufgabenstellungen und Kontrollfunktion ihr Üben nachhaltiger ist. Marc Scheidegger, E-Gitarrist und Absolvent eines CAS für E-Learning sagt im Anschluss an den Praxistest: «Ich werde Smart Music nach Ablauf meines Testabos nicht mehr verlängern. In der Zwischenzeit gibt es für meine Zwecke besser geeignete und offenere Lernplattformen und Notenprogramme mit integriertem Notenshop, so etwa Moodle oder das Notationsprogramm Guitar Pro mit dem MySongbook Notenshop. Der Erfolg solcher Tools hängt meiner Meinung davon ab, wie intuitiv und einfach diese zu bedienen sind.» Der erste Teil dieser Einschätzung verweist auf einen der wichtigsten Punkte bei der Beurteilung von E-Learning Software: Die Eignung solcher Lernplattformen kann für die verschiedenen Instrumente sehr unterschiedlich ausfallen.

Eine in ihren Funktionen eingeschränkte Schülerversion von Smart Music (ohne Klassenraum-Funktion) kann gratis getestet werden – also: teste, wer testen mag! www.smartmusic.com

Weiterführende Informationen

Sind Instrumental-/Vokallehrpersonen Auslaufmodelle? – so die etwas zugespitzte Fragestellung von Nils Fischer angesichts der Lerngewohnheiten vieler Jugendlicher, die ein Instrument autonom und nur mittels Anleitungen im Internet erlernen. In Nils Fischers Masterarbeit sind Funktionsweise sowie Stärken und Schwächen von Smart Music anschaulich dargestellt.
Nils Fischer (2015): Erfahrungen mit «Smart Music». Masterthesis des Studiengangs Musikpädagogik. Luzern: Hochschule Luzern – Musik.

Zu beziehen bei: nils.fischer@gmx.ch

 

Informationen zur Entstehung und Geschichte von Smart Music (englisch)

www.gurufocus.com/news/120118/makemusic-mmus–niche-business-with-free-cash-flow-and-solid-balance-sheet-is-music-to-my-ears

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Richard Wagner heute

Hat uns Wagner noch etwas zu sagen? Wer Wagners Schriften und Werke liest, wird feststellen, dass seine Thesen keine Gültigkeit beanspruchen können. Verfälschende Aufführungen sind daher unausweichlich und notwendig.

Strassen neben dem Festspielhaus auf dem grünen Hügel. Foto: Txllxt TxllxT, wikimeida commons
Richard Wagner heute

Hat uns Wagner noch etwas zu sagen? Wer Wagners Schriften und Werke liest, wird feststellen, dass seine Thesen keine Gültigkeit beanspruchen können. Verfälschende Aufführungen sind daher unausweichlich und notwendig.

Am Dessauer Wagnerkongress vom Mai 2015 hat sich Frank Piontek in einem Vortrag mit diesen Fragen beschäftigt.


Vortrag als PDF herunterladen (19 Seiten): Wagner heute

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Neue Studierende an der ZHdK

605 neue Studierende beginnen an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) am kommenden Dienstag ein Bachelor-, Master- oder MAS-Studium in den Künsten, im Design oder in der Vermittlung. 202 davon in der Musik.

Foto: Sebastian Bernhard/pixelio.de

Die insgesamt 605 neuen Studierenden verteilen sich auf die Bereiche Design (110), Musik (202), Kunst & Medien (95), Art Education und Transdisziplinarität (89), Theater und Film (62), Tanz (17) sowie auf berufsbegleitende Master-of-Advanced-Studies-Programme (30).

Total zählt die Zürcher Hochschule der Künste 2163 Studierende, wovon 1236 ein Bachelor-Studium und 927 ein Master-Studium absolvieren. 483 Personen besuchen eines der zahlreichen Weiterbildungsangebote (MAS, CAS, DAS). An der ZHdK gilt ein Numerus Clausus, das bedeutet, Studieninteressierte müssen vorgängig ein Zulassungsverfahren durchlaufen.

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